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„Zwischenbilanz der Transformation“ aus GSP 1-10 als PDF

30. März 2010 5 Kommentare

Vor ungefähr fünf Jahren habe ich meinen ersten Leserbrief an die Redaktion des GegenStandpunkt geschrieben und Fragen zur Osterweiterung der Europäischen Union gestellt:

Peter Decker hat in seinem jüngsten Vortrag über den Stand und die Friktionen in der EU betont, daß jetzt für alle Nationalisten/“Partner“-Staaten das Heil in der Durchsetzung ihrer jeweiligen Nationalinteressen gegen den Rest der Welt bestünde. Jetzt wo es insgesamt mit der weiteren Kapitalakkumulation trübe ausssieht, muß eben jeder Staat (wieder vermehrt) darauf schauen, daß sich das Ganze auch und gerade da für ihn lohnt. Soweit so gut (oder genauer schlecht, denn es stimmt ja, daß einem das Lob auf die EU, sie habe bisher den Frieden unter den bis dato konkurrierenden bis verfeindeten europäischen Staaten gesichert, eigentlich zu denken geben muß, wie brutal ernst es denn bei diesem EU-Frieden zugeht).
Warum haben sich aber bei Gründung der EU bzw. bei deren Erweiterung diverse Staaten freiwillig darauf eingelassen, es in der EU mit dem relativ stärker werden zu versuchen, wenn doch auch schon damals allen halbwegs realistischen Leuten hätte klar sein müssen, daß Konkurrenz ja immer auch Verlierer bedeutet und sie höchstwahrscheinlich nicht zu den Gewinnern gehören werden?
Peter hat ja auch auf die Beschwichtigungsmaßnahmen hingewiesen, die deshalb historisch immer fällig waren. War im langen wirtschaftlichen Aufschwung der Zweifel, der jetzt überall hochkommt, daß es vielleicht doch die anderen sind, die was von diesem schönen großen Markt haben, einfach nur vom absoluten Wachstum überdeckt, weil die relative Zurückdrängung durch die Zentralmächte und deren Industrie leichter zu verschmerzen war? Spielte die antisowjetische Einheitsfront eine Rolle, die alle zusammenstehen ließ, auch wenn es für einige schon damals nur mit Zähneknirschen zu ertragen war? Das ganze Arsenal von Handelshemmnissen, daß mit der EG/EU im Laufe der Zeit abgeschafft wurde, hatte doch vorher seinen ganz nationalistischen Sinn gehabt für die Staaten, die sich nur damit gmeint hatten, behaupten zu können.
Peter ist sehr vorsichtig gewesen, dem ganzen verrückten Projekt verstärkte Integration irgendwelche Überlebenschancen zu- oder abzusprechen, bzw. dessen Endpunkt zu beschreiben. Er hat nur betont, daß zumindest jetzt allseits die vorherrschende Meinung ist, die jeweils eigenen nationalen Interessen eben in und durch die EU besser durchzudrücken. Letztlich geht das aber nicht, irgendwer muß ja irgend wann jemand Anderen entscheidend über den Tisch ziehen, dann wird es doch Ärger geben müßen. Historisch war dies immer eine Gewaltfrage zwischen den Staaten, der deutsche „Einigungsprozeß“ wurde doch zum ersten Mal auch 1866 in Königgrätz entschieden (und 1938 dann auch ganz handfest durch Hitler)

(Ich habe darauf, glaube ich, damals leider keine Antwort erhalten, oder sie ist mir inzwischen abhanden gekommen). Mit dem umfangreichen Artikel im Heft 1-10 hat der GegenStandpunkt sozusagen auch darauf jedenfalls nun eine eindrucksvolle Antwort gegeben. Ironischerweise bzw. genauer naheliegenderweise läuft die zum Schluß auf den gleichen Gedanken hinaus, den ich mir damals auch schon gemacht hatte.
Man kann den Artikel jedenfalls bei mir im Download-Bereich als OCR-PDF runterladen.

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Wie Theologie, Pädagogik und Pädophilie zusammengehören

20. März 2010 10 Kommentare

Diesen Kommentar habe ich dem Blog vonmarxlernen entnommen [die haben den aber schon wieder vom Netz genommen]:

Pädophilie
Skandal: Jede Menge Kindsmißbrauch in Schule, Internat, Kirche

Jeder verurteilt diese Taten von Erziehern und Kirchenmännern. Jeder scheidet aber auch fein säuberlich zwischen den guten edlen Aufgaben von Pädagogen und religiösen Hirten und deren verdammenswürdigen Übergriffen auf die ihnen anvertrauten Kinder. Als ob es die Erziehungsgewalt, die diese Herrschaften verliehen bekommen und ausüben und dann in schlimmer Weise überschreiten, nicht sowieso ganz schön in sich hätte. Kindern etwas Nützliches beibringen – lesen, schreiben, rechnen (beim Kirchenmann fällt einem schon gleich nichts Vergleichbares ein!) – ist eine Sache. Sie, ihren Geist und ihren Willen, so zu formen und zu triezen, dass/bis sie genau die Regeln des moralischen Anstands und deren religiöse Überhöhung beachten lernen, die nur für das Leben in einer staatlich verwalteten Konkurrenzgesellschaft nützlich und unentbehrlich sind, das ist ein Übergriff auf die Kinder, der sich gewaschen hat. Der aber geht in Ordnung, ist gesellschaftlich erwünscht.
Der andere nicht.
Es lohnt sich vielleicht ein Blick auf den schönen Geist und das notorisch gute Gewissen von Kinderführern und –verführern.
Wie Theologie, Pädagogik und Pädophilie zusammengehören
Natürlich gedeiht die verpönte Kinderliebe in allen Kreisen und Berufsgruppen. Aber vor die Frage gestellt, ob es nicht doch eine gewisse `natürliche´ Nähe der Pädagogen und Priester zum Päderastentum gebe, tut man sich doch schwer, nein zu sagen.
Diese Berufe widmen sich bevorzugt dem Kinde, weil es hier besonders viel zu investieren gilt und man viel Gutes bewirken kann.
Ein Kind, das ist das Ethos dieser Berufe, verlangt geradezu danach, die spezielle Zuwendung zu erhalten, derer ein Pädagoge oder Priester fähig, zu der er ausgebildet ist. Es bedarf zu seinem Glück der mannigfachen Erziehung, des Herausgeführtwerdens aus seiner unverschuldeten Unmündigkeit. Und seine Seele lechzt danach, einer Gotteserfahrung teilhaftig und der eigenen Unzulänglichkeit inne zu werden.
Diesen im Kinde angelegten Bedürfnissen, die die Pädagogik und die Theologie wissenschaftlich ermittelt haben, kommt der einzelne Berufsausübende ganz konkret, als individuelle Inkarnation des Berufsethos nach. Er in seiner individuellen Persönlichkeit ist es, der dem Kinde das schenkt, worauf es in seinem Innersten hinaus will, wovon es aber meist gar keine rechte Ahnung hat.
Diese mit einem Hauch von Schuld befleckte Unschuld des Kindes ist reizend und reizt den einen oder anderen eben ganz besonders. Manch einer geht in seiner Liebe zu dem kleinen Wesen, das aufblüht, wenn man seine Seele bildet, sehr weit und schließt den Körper, der um die Seele ist, gleich mit ein. Um ihm auch so seinen Stempel aufzuprägen. Zur eigenen Lust und zur Untermauerung des ganz speziellen Vertrauensverhältnisses, in das man das liebe Kleine verstrickt hat.
Arschlöcher!“

Hierzu als ausführliche weiterführende Lektüre empfehle ich das Buch von Freerk Huisken:
Erziehung im Kapitalismus
Von den Grundlügen der Pädagogik und dem unbestreitbaren Nutzen der bürgerlichen Lehranstalten.

Studienausgabe der Kritik der Erziehung, Band 1 und 2
1998 • (VSA) ISBN 3-87975-722-4, 20,40 €, 480 Seiten
Das Buch fasst die beiden zunächst getrennt erschienenen Bücher „Die Wissenschaft von der Erziehung“ (1991) und „Weder für die Schule noch fürs Leben“ (1992) zusammen.

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Voodoo China slight return

22. Februar 2010 Kommentare ausgeschaltet

Audioarchiv kritischer Theorie & Praxis weist auf folgendes hin:
China: Wie rot ist der rote Riese?
Dr. Indoctrinator hat für die neueste Sachzwang FM-Sendung die Aufzeichnung einer von der »Jungen Welt« veranstalteten Podiumsdiskussion zum Charakter der sog. Volksrepublik China bearbeitet. …Wer mit der Hintergrundmusik der Sachzwang FM-Sendungen für gewöhnlich ein Problem hat, wird diesmal vermutlich ein großes Problem haben. Denn es gibt Auszüge aus der revolutionären Pekingoper „Shachiapang“ von 1970 zu hören.“
Download:
Hier
oder hier (mp3, mono, 48 kBit/s, 41,1 MB; 2 h)
Von der Musik mal abgesehen, das ist nun wirklich in erster Linie Geschmacksache (und gottseidank kriegt man ja die message der Oper eh nur mit, wenn man ganz ganz gut chinesisch kann), finde ich, daß hier wichtige Beiträge zusammengestellt wurden.

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Westerwelle und die Lügen vom Abstandsgebot und der Leistungsgerechtigkeit (von Pirx)

19. Februar 2010 11 Kommentare

[Dieser Artikel ist gespiegelt vom Blogger Pirx]

Westerwelle, der versucht aus seinem Beliebtheitstief herauszukommen, indem er sich zum Wortführer in der Hartz IV Debatte macht, tut dies als Anwalt der Gerechtigkeit, genauer, der Leistungsgerechtigkeit. Sein zentrales Schlagwort, mit dem er für eine Absenkung der Stütze unter das bisherige offizielle Existenzminimum argumentiert, ist das Lohnabstandsgebot: Wie soll ein deutscher Arbeitnehmer wissen, wozu er morgens aufsteht, wenn andere mit Stütze genauso gut (oder schlecht) leben?
Die Öffentlichkeit steigt in die Gerechtigkeitsdebatte ein: Westerwelle hat ein großes Problem angesprochen, sich aber möglicherweise im Ton vergriffen. Linke Kritiker werfen ihm vor, gegen die Schwachen der Gesellschaft zu hetzten, wollen oder können aber in der Sache nicht viel gegen ihn einwenden. An sachlichen Feststellungen ist von der sogenannten politischen Mitte, insbesondere deren sachverständiger Abteilung, zu hören, dass er in der Sache recht habe (was er in gewisser Weise hat, denn ein Hindernis, die Leute in Jobs zu bringen von denen man nicht leben kann und deren Bedingungen unerträglich sind, stellt ein soziales Sicherungssystem trotz aller Maßnahmen, diese unerwünschte Nebenwirkung zu bekämpfen, durchaus dar). Linkerseits pflegt man die Sorge, die Stabilität des demokratischen Kapitalismus könnte durch die dosierten Unverschämtheiten des liberalen Obermotz Schaden nehmen. Zweifel an dieser delikaten Befürchtung können allerdings durch die Schlagzeilen in den entsprechenden Medien ausgeräumt werden. Die dort unverfälscht wiedergegebene westerwellsche Diagnose wird den Lesern problemlos zugemutet und diskutiert: Macht Hartz IV faul? Bin ich dumm, wenn ich arbeiten gehe? Auch ein Stab für die Arbeitslosen darf da mal gebrochen werden. Die im Begriff des Lohnabstandsgebots so durchschlagend vergegenständlichte Mischung aus Leistungsmoral und kapitalistischer Erpressungslogik aber wird weder in der politischen, noch in der medialen Öffentlichkeit irgendwie problematisiert.
Dabei könnte man sich erinnern, dass dieselbe Debatte vor wenigen Jahren erst mit demselben Argument schon einmal geführt wurde: Arbeit lohne für viele nicht, weil die Sozialhilfe zu hoch sei, hieß es zu Zeiten der Hartz Reformen. Die Stütze wurde gesenkt – der Abstand zwischen Lohn und Stütze war aber schnell wieder geschlossen, das Problem kam wieder. Wie das?, könnte man fragen. Die Antwort ist kein Geheimnis, das Ergebnis seitens der Verantwortlichen bezweckt: Der Kapitalismus braucht Lohnabhängige, also Leute die über keine anderen Mittel zu ihrer Selbsterhaltung verfügen. Jede Alternative zu einem Lohnarbeitsverhältnis, selbst ein als solche erkennbar nicht gedachtes Sozialsystem, verschafft dem Arbeitssuchenden die Möglichkeit, Angebote auszuschlagen (macht also „faul“). Eine weitere Absenkung der Sicherungssätze schafft nicht etwa „Gerechtigkeit“, sondern erschwert Arbeitslosen die Selbsterhaltung, verschärft die Erpressung, Arbeit anzunehmen ohne nach Bedingungen zu fragen, und erleichtert Unternehmern die Lohndrückung enorm, weswegen die ja auch so scharf auf mehr Armut im Lande sind. Flugs hat man wieder das Problem, dass die Höhe der Stütze den freien Fall der Löhne bremst…
Die Hartz IV Debatte ist eine Debatte um die Frage, ob das Volk mehr verarmt oder die bestehende Verarmung besser organisiert werden muss (Was natürlich gleichzeitig geht). Westerwelle hat nach der bewährten Praxis des Tabubruchs (das ist inzwischen schwer geworden: man muss mittlerweil das Lumpenproletariat zur römischen Oberschicht erklären) diese Fragestellung so zurechtgemacht, dass sie ein enormes Potential zur Volkserziehung hat. Das Lohnabstandsgebot ist aber weder eine Gerechtigkeitsfrage, noch eine der Leistungsmoral, sondern eine Lüge und ein nie zufrieden zu stellender Anspruch auf Lohnsenkung. Arbeiter, die vor lauter Stolz auf ihr frühes Aufstehen den „auf ihre Kosten“ lebenden Arbeitslosen den Bettel an den Stab wünschen, sägen an dem Ast, auf dem sie sitzen. Die öffentliche Linke aber sieht keinen Bedarf, hier Aufklärungsarbeit zu leisten, sondern leistet ihren Teil zur Volksverdummung, indem sie sich munter an der bestehenden Debatte beteiligt. Das liegt sicher nicht daran, dass Kritik an Argumenten wie dem Lohnabstandsgebot zu kompliziert wäre, um unters Volk gebracht zu werden.

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antikap bleibt sich (und wem auch immer) treu

7. Februar 2010 38 Kommentare

Jemand, der z.B. hier ab und zu, z.B. zu China mit „antikap“ gepostet hat (und weil, bzw. soweit er das mit ernsthaften Argumenten und ohne seine politische Identität mir gegenüber zu verleugnen getan hat, von mir auch zugelassen worden ist, denn es wäre ihm wie allen anderen ja ein Leichtes gewesen, hier wirklich anonym zu posten), hat bei Windows Live einen eigenen Blog. Dort kann man an seinem letzten Posting wieder mal seine mit viel Energie und Rachsucht vorgetragene Feindschaft zum GegenStandpunkt bekundet finden:

Bevor noch jemand auf die Idee kommt, zwecks Feindstudium alte Ausgaben des MG-Blattes GegenStandpunkt beim „Verlag“ zu bestellen, und dabei der Sekte die eigene Identität, Geld vom und Zugriff aufs eigene(n) Konto überlässt, weise ich lieber auf die Möglichkeit hin, sich das GegenStandpunkt-Archiv 1992-2006 herunterzuladen.
* Magnet-URI: magnet:?xt=urn:btih:da370313bd680f4fa4f25261f83ceb6fdb707b99&dn=GegenStandpunkt+Archiv+1992-2006&tr=http%3A%2F%2Ftracker.publicbt.com%2Fannounce
* Torrent
* Informationen
So muss man die Funktionäre nicht noch unnötig mästen. Die sind sowieso allesamt hochbezahlte Staatsdiener, die auch prächtig von den Dauerspenden ihrer über 10000 Schäfchen leben. Mit Duldung (oder Auftrag?) des Staates lässt es sich entspannt und noch beliebig lange vom Katheder aus „destruktiv“ gegen die linke Konkurrenz wettern. Effektiv werden potenziell revolutionäre Kräfte in der Sekte gebunden und durch langjährige Gehirnwäsche für die Aufopferung für die Sekte, d.h. für den ganz realen „Kommunismus“ der Funktionäre, deren Luxusleben auf Kosten entmündigter Anhänger, mobilisiert. Warum hat eigentlich keine Bank den Mut, denen mal die Konten zu kündigen und das Vermögen einzuziehen? Bei anderen „Linken“ klappt das doch auch.

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China: Dillmann versus Schölzel

16. Januar 2010 49 Kommentare

Renate Dillmann hat mir ihren Briefwechsel mit Arnold Schölzel (dem Chefredakteur der „jungen Welt“, der die China-Veranstaltung von Renate Dillmann mit Peters und Berthold am 17.12.2009 in Berlin organisiert hatte) zur Verfügung gestellt und zur Veröffentlichung freigegeben.
Hier der Streit im Hin und Her:

„Sehr geehrter Herr Schölzel, sehr geehrter Herr Borat,
über den Verlauf der Diskussion am 17.12., mehr noch über den nachfolgenden Artikel von Helmut Peters bin ich einigermaßen verärgert. Stellen Sie sich bei der jw eigentlich so eine sachliche Auseinandersetzung vor? Zu einer solchen hatte mich Peter Borat auf der Buchmesse in Frankfurt eingeladen. Uns beiden war damals durchaus bewusst, dass Peters/Berthold und ich auf der Veranstaltung kontroverse Thesen und Urteile bezüglich der Volksrepublik und ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik vertreten würden. Dazu hieß es, das sei ja durchaus wünschenswert und gerade reizvoll, interessanter jedenfalls, als wenn nur Peters und Berthold ihre im Tenor relativ gleich lautenden Bücher vorstellen würden. Nun ist es wirklich nicht so, dass ich es nicht gewohnt wäre, kontrovers zu diskutieren und auch hart zu streiten. Dabei kommt es mir aber in der Tat darauf an, über eine Sache, in diesem Fall eben die Volksrepublik und ihre heutige ökonomisch-politische Verfasstheit, zu argumentieren. Das war in der Diskussion leider nicht einmal ansatzweise der Fall. Die Frage, ob man der Ansicht sein darf, dass in der VR Kapitalismus herrscht und ihre Außenpolitik heute den unternehmerischen und staatlichen Interessen entspricht, wenn man nicht dem Klassenfeind in die Hände spielen will, verrät schon einiges über ein eher bedingtes Verhältnis zur Wahrheit…
Im Vorfeld wurde mir übrigens für die Vorstellung meines Buchs explizit das Thema China – Amerika vorgegeben; die Replik von Helmut Peters nimmt sich dagegen die Freiheit, auf das Buch / die Thematik als Ganzes zu antworten. Und dies in der Form, dass er sich zunächst einmal sehr lange nicht mit dessen Inhalt auseinandersetzt, sondern mit den angeblichen wissenschaftlichen Defiziten der Autorin. Die Veranstaltung und Peters’ Beitrag bemühen sich weniger um Kritik an den von mir vertretenen Gedanken als um die Diskreditierung ihrer Urheberin und Verurteilung ihrer Resultate als Häresie am wissenschaftlich-methodischen Herangehen – übrigens eine erzbürgerliche Manier, Aussagen an vorgeblich gültigen Maßstäben, Methoden und Begrifflichkeiten zu messen, hier nur mit dem Adjektiv „marxistisch“ oder „historisch-materialistisch“ versehen. Dreimal wird Peters dann inhaltlich: in der Frage „Kommunismus und Nation“, dem Grund für Dengs Übergang zur heutigen, von mir als kapitalistisch beurteilten Produktionsweise der VR und bei der modernen chinesischen Außenpolitik. In allen drei Fällen gibt er meine Argumentation aus dem Buch nicht richtig wieder – sei es, weil er sie nicht verstanden hat, sei es, weil er sie nicht teilt und sich die Argumente für seine Kritik so zurechtlegt, wie es ihm günstig erscheint. Auf alle Fälle möchte ich das so nicht stehen lassen. Deshalb hoffe ich – auch im Sinne einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit –, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer entsprechenden Replik geben.
Mit freundlichen Grüßen,
Renate Dillmann“

Die Antwort von Arnold Schölzel::

„Sehr geehrte Frau Dillmann,
es tut mir leid, daß Sie über den Verlauf der Diskussion am 17. Dezember verärgert sind, verstehe aber nicht ganz den Grund Ihrer Verärgerung. Die Veranstaltung war – auch mir – als Vorstellung dreier Bücher angekündigt worden. Kontroversen waren zu erwarten. Unplanbar war der konkrete Verlauf der Diskussion, der zum großen Teil vom Publikum beeinflußt wurde. Da es eine Veranstaltung von ungewöhnlicher Länge war, hatte meines Erachtens jeder Teilnehmer auf dem Podium ausreichend Zeit, seine Position darzulegen. Daß über die drei Bücher gesprochen wurde, d. h. nicht über diese oder jene spezielle Frage, war wohl unvermeidlich. Im übrigen halte ich es für besser, Fragen, die einem nicht gefallen, an Ort und Stelle zu beantworten anstatt den Frager unter erkenntnistheoretischen, ideologischen oder sonstigen Verdacht der Bedingtheit zu stellen. Das macht aus einer Diskussion natürlich eine andere, die ich z. B. für völlig überflüssig halte. Ich übrigen bin ich auch nicht der Meinung, daß eine Veranstaltung derart Subjekt wird, daß es ihr weniger um Kritik als um Verurteilung von Häresie geht. Das können dann wohl doch nur konkrete Personen.
Ihre Reaktion auf den Artikel von Helmut Peters, der sicher sehr kritisch ist, erhöht aus diesem Grund nicht meine Neigung, die Kontroverse fortzuführen. Im Mittelpunkt der Kritik von Peters steht aus meiner Sicht nicht der Vorwurf einer Häresie, sondern sehr konkrete Details wie die Deng-Zitate, die Auffassungen der KP Chinas zu Kapitalismus im eigenen Land oder die nachweisbaren westlichen Konzepte gegen China. Sollte Helmut Peters sachlich Falsches geschrieben haben, läßt sich das korrigieren. Darüberhinaus sehe ich wenig Veranlassung, die Kontroverse fortzuführen.
Freundliche Grüße
Arnold Schölzel“

Darauf entgegnete Renate Dillmann:

„Sehr geehrter Herr Schölzel,
wie gesagt, ich habe kein Problem damit, wenn jemand ein anderes Urteil vertritt. Auf Streit in der Sache bin ich aus und stelle mich dem gerne. Lassen wir die Veranstaltung einmal außen vor. Folgendes hat mich geärgert an dem Beitrag von Peters:
1. Was ist bereits problematisch an einer „eigenen Begrifflichkeit“?
2. Was meint Peters mit „arroganter Art und Weise, in der die Autorin vermeint, die KP Chinas belehren zu müssen“? a) ist Kritik an der KP arrogant? b) ist die KP gleich dem Papst unfehlbar? Oder was soll ein solcher Unfug?
3. „Andererseits werden anscheinend bedenkenlos Berichte großbürgerlicher Medien bzw. wissenschaftliche Untersuchungen von Autoren mit einer distanzierten oder antisozialistischen Haltung gegenüber China bedenkenlos (!) wiedergegeben, um die chinesische Entwicklung einseitig in abschreckender Weise zu zeigen“. Dem Leser Primärmaterial zu unterbreiten, ist also gleich zweifach „bedenkenlos“. a) ist Peters der Auffassung, dass seine Leser nicht selbst in der Lage sind, sich über die vorgestellten Quellen Gedanken zu machen und Urteile zu bilden? b) will er vorschlagen, „antisozialistisches“ Material erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen?
4. Peters weiß sehr genau, dass sich mein Buch ein ganzes Kapitel lang (etwa 10 Seiten) mit Dengs Überlegungen 1978 auseinandersetzt. Er müsste auch wissen, dass ich die Gründe der damals beginnenden „Modernisierung“ im nationalen Standpunkt verorte, den Deng bei allen Unterschieden mit Mao teilt. Es ist sachlich mehr als inkorrekt, wenn er den Eindruck erzeugt, als sei die zu Beginn des Teils II zitierte Floskel „Bereichert euch!“ die einzige Stelle, an der sich mit Dengs Bestandsaufnahme und seiner Programmatik beschäftigt wird. Späteres Zitat: „Die Ursachen für diesen Strategiewechsel werden nicht einmal erwähnt.“ Was soll das? Hat er das Buch nicht gelesen – oder will er bewusst falsch informieren?
5. Ich habe nie den Eindruck erzeugt, dass ich diese Quellen im chinesischen Original gelesen habe. Ganz sicher ist das aus wissenschaftlicher Sicht ein Nachteil, den ich auch bedauere; ich bin allerdings nicht der Meinung, dass das in Deutsch und Englisch zur Verfügung stehende Material es verunmöglicht, sich ein fundiertes Urteil zu bilden – nicht mehr und nicht weniger habe ich angestrebt. Und in diesem Sinne zur Sache: Was soll denn der von Peters beschworene Unterschied von „Bereichert euch“ und „einem Teil der Regionen, der Unternehmen und der Arbeiter und Bauern zu erlauben, als erste durch Fleiß, Anstrengungen und große Leistungen ein etwas größeres Einkommen als andere zu haben“ sein? Wo liegt denn da die hinterhältige Fälschung? Selbst wenn man das „etwas größere Einkommen“ ganz auf die Sphäre der Warenzirkulation beschränkt und annimmt, dass hier tatsächlich der Fleiß der Produzenten (von Unternehmen ist übrigens schon die Rede!) die Waren hervorbringen soll, mit denen er dieses „etwas größere Einkommen“ erzielt – was soll denn das anderes beinhalten als eine Bereicherung an der zahlungsfähigen Nachfrage der anderen? Und will man wirklich behaupten, dass es dabei geblieben ist in der Deng-Phase? Oder hat es da nicht doch sehr schnell den Schritt gegeben, dass „etwas größere Einkommen“ durch unternehmerische/landwirtschaftliche Produktion (also die Anwendung und Ausbeutung von Arbeitskraft) zustande gekommen sind? Ist die Behauptung eines Unterschieds also nicht nur Ausfluss eines gar nicht sachlichen Interesses, das auf eine Ehrenrettung des Deng-Programms hinaus will?
6. „Zum einen sprach Marx von einer asiatischen Produktionsweise, zum anderen ist die von der Autorin in diesem Zusammenhang vorgenommene Einschätzung wissenschaftlich längst widerlegt.“ Was soll ein solcher Satz, außer diskreditieren? Weder erklärt Peters, was Marx mit asiatischer Produktionsweise meint, noch warum dieser Gedanke „wissenschaftlich längst widerlegt ist“. Worauf kommt es ihm an?
7. „Sie teilt nicht die marxistische Erkenntnis, dass es für den Sozialismus ,zivilisatorischer Voraussetzungen’ bedarf, dass es z.B. für den Übergang aus vorkapitalistischen Verhältnissen zum Sozialismus unumgänglich ist, sich zunächst einmal den materiellen und geistigen Fortschritt der Menschheit im Kapitalismus zusammen mit seinen Erfahrungen, die ,bürgerliche Kultur’, anzueignen.“ Ja und? Was ist das für eine Art der Feststellung? Ich teile etwas nicht. Und zwar eine angebliche „marxistische Erkenntnis“. Muss man das? Was soll das überhaupt für eine Erkenntnis sein? In der Tat sehe ich im Aufmachen dieses Verhältnisses – erst muss Kapitalismus mit seinen „zivilisatorischen Errungenschaften“ sein, dann Sozialismus – schon ein Lob für die kapitalistische Produktionsweise, das diese meiner Ansicht nach nicht verdient hat. Und wenn dieses falsche Lob für die Entwicklung der Produktivkräfte zum Anlass dafür wird, die angepeilte sozialistische Ökonomie mit einem Instrumentarium falsch verstandener Kategorien der Warenproduktion anzugehen, wird daraus ein praktisches Programm, das die Schädlichkeit des Kapitalismus für die Produzenten des Reichtums nicht wirklich überwindet und sich noch Widersprüche ganz eigener Art einbrockt. So sieht meine Kritik an der realsozialistischen Ökonomie grob gefasst aus – und ich bin der Meinung, dass es doch einiges für sich hat, über die inzwischen untergegangene Produktionsweise mal in dieser Art und Weise nachzudenken.
8. „Losgelöst von den objektiven (?) ökonomischen Bedingungen kann sich Dillmann zum Beispiel gar nicht genug über die angebliche, dem Kapitalismus vergleichbare ,Lohnsklaverei’ im Sozialismus auslassen. Dieses ideologisch geprägte Konstrukt ist das Kriterium, mit dem sie die ersten 30 Jahre Entwicklung in der Volksrepublik China misst.“ Das Wort Lohnsklaverei kommt in meinem Buch ein einziges Mal vor – ich habe die Stelle im Kontext zitiert, damit die wirklich bösartige Manier dieser Zusammenfassung deutlich wird:
4 Prinzipien staatlich geplanter Wertproduktion und ihre praktische Umsetzung im ersten Fünf-Jahres-Plan: Ein Fehler und viele Widersprüche
Auf dem Land gerät die Bodenreform sehr bald in eine Krise. Die kleinbäuerlichen Eigentümer bleiben im Zustand bloßer Subsistenzwirtschaft, immer knapp an der Grenze zum Verhungern. Ein Grund dafür liegt gerade im relativen Erfolg der Anfangsjahre im Hinblick auf Ernährung, medizinischen Fortschritt und Sicherheit der Lebensumstände: Die Kindersterblichkeit geht drastisch zurück, die Lebenserwartung steigt, Seuchen und Kriege, die zuvor ganze Generationen dezimiert haben, bleiben aus. Das damit einhergehende Bevölkerungswachstum droht nun seinerseits, die Erfolge zunichte zu machen. Dabei macht sich zunehmend auch der Umstand bemerkbar, dass die bloße Neuaufteilung des Landes an die Bauernfamilien natürlich nicht wie von selbst einhergeht mit einer Steigerung der Produktivität. Die dafür notwendigen Mittel (Traktoren etc.) sind nicht vorhanden, ebenso wenig wie eine Industrie, die sie herstellen könnte. Mittel, die ihre Landwirtschaft wenigstens auf kleiner Stufenleiter ergiebiger machen (besseres Saatgut, Zugtiere, Düngemittel) können sich die wenigsten leisten – das private Eigentum wirkt dabei als Schranke, weil die kleinen Bauern auf eigene Rechnung und im Rahmen der in Kraft gebliebenen Geldwirtschaft produzieren. Von dem sowieso schon kümmerlichen Resultat der bäuerlichen Produktion verlangt der sozialistische Staat per Steuern und Naturalabgaben einen Teil, den er für Ernährung und Kleidung seines städtischen Proletariats braucht. Als Folge setzen bereits Anfang der 50er Jahre erste Wellen von Notverkäufen der in der Bodenreform zugeteilten Äcker ein; ansatzweise bilden sich erneut Großgrundbesitz und Lohnsklaverei auf dem Land.
Deshalb treibt die kommunistische Regierung nun genossenschaftliche Zusammenschlüsse voran. Angesichts der beschränkten materiellen Ausgangsbedingungen sollen so mit einfacher Kooperation der Arbeitskräfte und gemeinsamer Nutzung von Tieren und Arbeitsmitteln bessere Ergebnisse erzielt werden. Wegen ihrer Erfahrungen aus der Bürgerkriegsphase und auch mit Blick auf das Desaster der Zwangskollektivierung in der frühen Sowjetunion wird in dieser Phase noch viel Wert auf Einsicht und Freiwilligkeit gelegt. Die ersten Genossenschaften arbeiten auf Basis des eingebrachten Eigentums, das erhalten bleibt und dessen Nutzung den Bauern ebenso vergütet wird wie ihre individuelle Leistung. Die Genossenschaften erhalten zudem staatliche Kredite und Hilfe durch Unterweisung in Agrartechnik; so wird den nicht-genossenschaftlich weiter wirtschaftenden Bauern vor Augen geführt, wie nützlich und vorteilhaft sich ein Zusammenschluss auswirkt. Zudem tritt der Staat als größter Auf- und Verkäufer der wichtigsten Agrarprodukte auf, vor allem von Getreide. Damit will er der wieder aufflammenden Spekulation und Preissteigerung die Grundlage entziehen; andererseits sollen die Bauern über garantierte Aufkaufpreise zur Produktion angeregt und Bauern und Städter über die staatlichen Verkaufspreise mit lebensnotwendigen Getreiderationen versorgt werden.“ (S. 72 ff)
No comment!
9. „Für mich erstaunlich, dass eine promovierte Akademikerin, die sich zum Marxismus bekennt, nicht wissen will, dass sich mit der sozialistischen Revolution auch der bisherige bürgerliche Klassencharakter der Nation ändert und sich eine vom Sozialismus gepräfte Nation in ihrer historischen inneren und äußeren Funktion herausbildet. Natürlich (!?!) spielt der Begriff der Nation im heutigen China eine überragende Rolle. Das drückt sich in dem Ziel der KP Chinas aus, eine ,Renaissance der chinesischen Nation’ anzustreben. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich auch der Wille, sich als Volk nie wieder unterdrücken, ausbeuten und diskriminieren zu lassen. Ein tragender Gedanke in China, dem die Autorin bisher nicht begegnet zu sein scheint (obwohl sie diesem bedauerlichen Umstand ganze Kapitel widmet, wie Peters kurz zuvor feststellt! R.D.) Ungeachtet dessen ist es für mich unredlich, nicht zu erwähnen, dass die KP China diese nationale Renaissance auf der Grundlage der Erkenntnis Mao Tse-tungs verfolgt, dass allein der Sozialismus China retten kann (eben dieser Gleichsetzung: der Sozialismus soll China retten – was heißt das für Maos Vorstellung vom Sozialismus und was heißt das für seine Vorstellung von Nation wird lange nachgegangen! R.D.) Ich sehe im Programm und in der Strategie der chinesischen Partei keinen Widerspruch, sondern vielmehr einen dialektischen Zusammenhang zwischen sozialistischem Weg und Entwicklung der chinesischen Nation. Entwicklung der Nation ist hier in gewisser Weise ein Synonym für die Stärkung des Gesamtpotential des Landes zur Sicherung der Existenz und der Abwehr von Versuchen vor allem des US-Imperialismus, China zu ,verwestlichen’. Unter diesen Umständen ist die Stärkung des Landes objektiv Voraussetzung und Bedingung für die Absicherung des sozialistischen Weges.“ Okay, es ist ja offensichtlich, dass Peters für die Volksrepublik und die Politik der KP ist und alles daransetzt, Programm und ideologische Selbstdarstellung des Landes zu verdolmetschen und mit den berühmten „objektiven Bedingungen“ und „dialektischen Zusammenhängen“ jede Entscheidung und jedes dabei rauskommende Fakt als historisch angemessen zu deuten. Weiter gehören Kategorien wie Volk und Nation offensichtlich wie selbstverständlich in sein marxistisches Weltbild. Sich darüber Gedanken zu machen, was da eigentlich alles dialektisch zusammenpassen soll: Sozialismus und ein gediegenes Ausbeutungswesen für Weltmarkterfolg heute bzw. Sozialismus und ein Programm das Volk hart in Anspruch nehmender Massenkampagnen in der Mao-Zeit und schließlich Sozialismus und das Programm einer auf Weltgeltung drängenden Nation damals wie heute! – das darf nicht sein, das ist eine Verfehlung vor allen angeblichen, von Peters’ höchstpersönlich bestimmten Leitlinien des Marxismus.
10. Ich komme zum Kern der ganzen Chose. Der liegt in der Behauptung von Peters, dass es sich in der Volksrepublik nach wie vor um zumindest „perspektivischen“ Sozialismus handelt, eine Behauptung, die sich gedanklich schlicht auf die Weiterexistenz der Herrschaft der KP stützt. „Nach der tiefgreifenden Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses durch den Untergang des frühen Sozialismus und der damit verbundenen Staatengemeinschaft hatte die Volksrepublik zwei Möglichkeiten: entweder sich nur sehr bedingt zu öffnen, dann wäre das Ende der Volksrepublik nur eine Frage der Zeit gewesen, oder sich zu entschließen, das Wagnis einzugehen, bei Wahrung der nationalen Selbständigkeit innerhalb der kapitalistischen Weltordnung zu agieren und alle sich dabei bietenden Möglichkeiten für die Stärkung des Landes mit langfristiger sozialistischer Perspektive zu nutzen. Die KP Chinas entschloss sich für die zweite Möglichkeit (…).“ Einmal abgesehen von der Unwahrhaftigkeit, die darin liegt, die Rolle der chinesischen KP beim Untergang des Ostblocks wegzulassen; einmal abgesehen von der Tatsache, dass die Öffnung Chinas zum Weltmarkt erheblich früher begann und keinesfalls als bloße Re-aktion aufzufassen ist – wofür soll das eigentlich sprechen? Ergibt sich die „sozialistische Perspektive“ wirklich daraus, dass die Volksrepublik im Unterschied zu den anderen sozialistischen Staaten überlebt hat und sich heute – ungeachtet ihres ökonomischen Programms – so nennt? Klar, wenn man bereit ist, alles heute in China stattfindende als Sozialismus durchgehen zu lassen, nur weil man auf diese charakterlose Art rückwärts behaupten kann und will, dass der eigene gelebte Sozialismus doch nicht ganz verfehlt war, bei etwas geschickterer Handhabung durch die eigene Partei vielleicht sogar in ähnlicher Art und Weise hätte überleben können – ja, dann muss man wohl so argumentieren.
11. Selbstbetrug und eine ziemlich systematische Schönfärberei von Programm und Praxis der KP Chinas – statt: eine Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Fehlern des realen Sozialismus, die auf der einen Seite zu seinem Untergang und auf der anderen Seite zu der neuen Weltmacht China geführt haben!
Auf der Veranstaltung wurde aus dem Publikum unter großem Beifall behauptet, dass die junge Welt im Gegensatz zur bürgerlichen Presse die einzige wirklich freie Zeitung ist. Gerade haben Sie die Rosa-Luxemburg-Konferenz veranstaltet – mehr brauche ich vermutlich nicht zu sagen…
Ich bin gespannt, wie Sie verfahren werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Renate Dillmann“

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Freiheit um den ganzen Globus

12. Januar 2010 7 Kommentare

Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, daß auch bei der GegenStandpunkt-Diskussion jetzt in Oakland, deren Thema die Gesundheitsreform unter Präsident Obama war, die Diskussion auf Freiheit, richtige und falsche, gekommen ist. Lohnt sich also auch hier, sich das anzuhören.

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Was für Antikapitalisten (von Jutta Ditfurth)

8. Januar 2010 5 Kommentare

Ein relativ neuer Blog „Für den Kommunismus!“, (der den GegenStandpunkt und den „Planet der Kommunisten“ verlinkt), hat folgenden Beitrag geschrieben:

Die so genannte Antikapitalistische Linke der Linkspartei, vom VS Baden-Württemberg als linksexrem eingeschätzt, hat einen Brief verfasst, in dem sie resp. Vertreter von ihr Stellung nehmen zu aktuellen inneren Debatten innerhalb der Partei. Soweit, so egal.
Eines aber ist doch Bemerkenswert: Diese so genannten Antikapitalisten loben Oskar – Ausländer Raus, Löhne Runter – Lafontaine als einen Politiker, der einen konsequenten Linkskurs vertreten würde. Eine kleine Sammlung zur Auffrischung des historischen Gedächtnisses kann man hier finden.

Und dieses „hier“ führt (nicht ganz überraschend) auf Jutta Ditfurths Blog zur Bundestagswahl 2009, der schon recht lange Ex-Grünen linksradikalen in der Wolle gefärbten Demokratin.

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China-Veranstaltungsbericht in der jungen Welt: „Würde und Maskerade Fortschritt oder Konterrevolution?

21. Dezember 2009 147 Kommentare

Ein Veranstaltungsbericht (junge Welt, 21.12.2009) von Manfred Lauermann: Würde und Maskerade
Fortschritt oder Konterrevolution? In der jW-Ladengalerie wurde die Volksrepublik China diskutiert

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Die Frankfurter Buchmesse brachte durch die Wahl der VR China zum Gastland einigen Trouble mit sich, der nostalgisch an den Kalten Krieg erinnerte. Erwartungsgemäß erschienen etwa drei Dutzend China-Bücher, darunter drei, die sich in der marxistischen Tradition sehen. Nun konnte man gespannt sein, wie die drei Protagonisten ihre Lesarten in einem Streitgespräch verteidigen würden, das am Donnerstag in der jW-Ladengalerie veranstaltet wurde.
Auf dem Podium saßen die Politologin Renate Dillmann, der Sinologe Helmut Peters, früher Leiter des Forschungsbereiches China an der Akademie der Gesellschaftswissenschaften der DDR und der letzte Botschafter der DDR in Peking, Rolf Berthold.
Die Schüsselfrage war einfach. Ist die Entwicklung Chinas nach der 3. Revolution seit der Staatsgründung 1949, nach der Kulturrevolution 1966ff., durch Deng Xiaoping nach 1978, geprägt durch die offensive Übernahme kapitalistischer Strukturen, eher eine Konterrevolution? Wird der sozialistische Grundcharakter beibehalten, unterstellt man die Ziele der KP Chinas und analysiert wie Peters langfristige Prozesse über 50 bis 100 Jahre? Oder werden die schon nach 1949 vorhandenen kapitalistischen Elemente (Warenproduktion!) nun kenntlich, ist, wie Dillmann ausführte, der Sozialismus mit chinesischem Antlitz Illusion, wenn nicht gar Maskerade für die Geburt eines neuen kapitalistischen Imperialismus? Der dritte Diskutant konnte kaum einen Widerspruch erkennen, Berthold hält die KP Chinas für mächtig genug, den geschichtlichen Prozeß zu planen und die kapitalistischen Momente der sozialistischen Substanz problemlos zu unterwerfen. Seine stoische Gewißheit ist: Hätte die SED (und die KPdSU) 1989 eine ähnliche Potenz gehabt, wäre die Konterrevolution gescheitert.
Peters sah eine neue chinesische Theorie wie Praxis von Entwicklung, denn der nachmaoistische Ausgangspunkt bestand in der Alternative einer weiteren Isolation nach Wegbruch der sozialistischen Länder oder der konsequenten Einbettung in den kapitalistischen Weltmarkt. Das Wirtschaftswunder – seit zehn Jahren Wachstumsraten um zehn Prozent, Staatsüberschuß von mehr als zwei Billionen US-Dollar, die Herausführung von 300 bis 400 Millionen Bauern aus totaler Armut – beweise die Richtigkeit des chinesischen Weges »auf der Furt« zu einem Sozialismus, der allgemeinen Wohlstand realisiert. Der Begriff einer Entwicklungsdiktatur, die (noch) viele autokratische Züge aus der chinesischen Geschichte (einschließlich Mao/Deng) enthalte, die eine gesamtgesellschaftliche Planung durch wissenschaftliche Begleitung und Beratung ermöglicht, kennzeichne China heute.
Ganz anders Dillmann. Das »Lehrstück« China beweise das Gegenteil. Die Einbettung in den kapitalistischen Globalisierungsprozeß bringe einen mit den USA vergleichbaren Imperialismus hervor, der noch, weil neu auf der Weltbühne sich als friedlich ausgibt, einen Imperialismus, der wie der klassische als innere Seite den Kapitalismus benötige. Diese Diagnose traf im Publikum auf erheblichen Widerspruch. Wer führt denn die gegenwärtigen Kriege? Sind die Beziehungen Chinas etwa zu Afrika nicht geprägt von gegenseitiger Achtung? Ist es nicht unhistorisch, mit solchen, zudem kaum definierten Begriffen zu operieren? Dillmann war nicht bereit, ihre scharfe Kritik an Warenproduk­tion im Sozialismus theoretisch näher zu erklären, ihr reichte das Aussprechen der ekligen Wörter Ware, Preis, Gewinn, Kredit. Nachvollziehbarer ist ihre Kritik an dem paternalistischen, dem vormundschaftlichen Sozialismus, den China in die Begrifflichkeit einer »harmonischen Gesellschaft« verkleidet. Gepaart mit einer Verherrlichung von Nation, so ihre massive Kritik, unterwerfe die Partei den Staat allen kapitalistischen Implikationen, die vorstellbar sind. Entkollektivierung der Gesellschaft, Vorrang materieller Interessen, ja Förderung kleinbürgerlicher Eigentumsmentalität Ausdrücke einer Geburt des Kapitalismus unter der Hülle eines Sozialismus. Kaum verwunderlich seien Arbeitsverhältnisse, wo der Lohn unter dem Lebensminimum liege (Wanderarbeiter), der Weltrekord von Arbeitsunfällen und nicht zuletzt die katastrophale Umweltzerstörung durch hemmungslose Industrialisierung.
Die Diskussion wurde nach dieser, wie einige meinten, Provokation lebhaft geführt. Bestätigt wurden oft Dillmanns Phänomenbeschreibungen, teilweise erweitert, angezweifelt dagegen ihre Einordnung in ihr Schema, was doch verdächtig nach Robert Kurz aussah, nämlich die Verwerfung des Sozialismus als bloße nachholende Industrialisierung. Die »Würde der – chinesischen – Realität« (Peter Hacks) wurde von Peters in seiner Gegenreplik angemahnt. Man soll sich von europazentristischen Wahrnehmungen distanzieren, um die Widersprüchlichkeiten des Geschichtsprozesses zu begreifen. Es blieb, typisch für deutsches akademische Geplänkel, (so Berthold) ein philosophisches Problem übrig: Ist das Wirkliche vernünftig, wird die Vernunft wirklich (so mit Hegel wohl Peters), oder ist das Argument mit Geschichte und mit Realität nicht immer affirmativ, gleich ob es die kapitalistische BRD oder China meint, so die kritische Kritikerin Dillmann.

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Antwortartikel von H. Peters in der jW v. 21.12.09 zu Dillmanns China-Artikel

21. Dezember 2009 23 Kommentare

Helmut Peters hat in der Ausgabe von 21.12.2009 auf Renate Dillmanns Artikel in der jungen Welt am 15.12.09 geantwortet:
Ein fragwürdiges Lehrstück
Debatte. China – eine imperialistische Macht? Antworten an Renate Dillmann
Von Helmut Peters

Die Redaktion der jungen Welt hat mich gebeten, mich zum Beitrag von Dr. Renate Dillmann, »Großmacht China?« (jW v. 15.12.09) zu äußern. Dem komme ich aus grundsätzlichen Überlegungen gern nach. Ich halte es allerdings nicht für zweckmäßig, es bei diesem Beitrag zu belassen. Da er inhaltlich ihrer umfassenden Veröffentlichung »China. Ein Lehrstück« (Hamburg 2009) entnommen ist, ist es sinnvoller, ihn im Zusammenhang mit dem Grundanliegen des Buches zu analysieren.
Das Buch »China. Ein Lehrstück« ist eine Mischung von dozierter ideologischer Grundsatzerklärung in eigener Begrifflichkeit und deren schematischer Anwendung auf die Betrachtung von wesentlichen ökonomischen, sozialen, innen- und außenpolitischen Aspekten in Geschichte und Gegenwart der Volksrepublik China. Auf dieser Grundlage wird die Entwicklung des Landes von 1949 bis zur Gegenwart zweigeteilt – 30 Jahre »Sozialistische Volksrepublik« und 30 Jahre »kapitalistische Volksrepublik« (Groß- und Kleinschreibung wie im Buch – H. P.).
Dillmann beansprucht für sich, die Entwicklung der Volksrepublik China vom Standpunkt des Marxismus analysiert und verallgemeinert zu haben. Mehr noch, sie nennt ihre Veröffentlichung ein »Lehrstück«. Das kann nur als Anspruch verstanden werden, dem Leser endlich die authentische Lesart von Geschichte und Gegenwart der Volksrepublik mitgeteilt zu haben. Dem entspricht auch die arrogante Art und Weise, mit der die Autorin vermeint, die KP Chinas belehren zu müssen. Kritisches Herangehen ist etwas anderes, es verlangt die sachliche Auseinandersetzung Argument gegen Argument. Ich vermisse generell im Buch, daß der attackierten Seite die Möglichkeit gewährt wird, sich und ihre Politik darzustellen. Es ist richtig, die Veröffentlichung nebst beigefügter CD bietet dem Leser eine Fülle detaillierter Angaben und Berichte über Leben und Geschehnisse in China. Die Frage ist jedoch, wie die Autorin mit ihnen umgeht. Mehr…

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Sozialismus in einem Lande (Die Gewaltfrage fortgesetzt)

19. Dezember 2009 1 Kommentar

Nachdem ich die hier nicht enden wollende Diskussion zu „Kommunismus und Nation“ zum Schluß im wesentlichen von und gegen Universum/libelle hier zugemacht habe, wird das Thema auf Krims „Forum Kapitalismuskritik“ nun doch noch weiterdiskutiert im dortigen Thread „Sozialismus in einem Lande“. Ich empfehle das deshalb, weil ich vor allem Krims dortige Zurückweisungen von libelle sehr nützlich finde und für passende Weiterführungen dessen, was er hier libelle auch schon entgegengehalten hatte.

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Die Nation ist zum wahnsinnig werden

19. Dezember 2009 Kommentare ausgeschaltet

slowglass, ein Blogger, den ich bisher nicht auf dem Radar hatte (Nestor hat ihn verlinkt) hat ein älteres Papier zur Kritik am Natonalismus ausgegraben und veröffentlicht. Ein zentraler Passus lautet:

„Nicht was der Mensch will ist also der Witz, sondern daß er wollen muß. Er muß sich auch dort noch als Subjekt vorkommen, wo er keines ist. Damit ist auch klar, daß er entweder einen Gesichtspunkt des Einverständnisses und der persönlichen Zugehörigkeit zur Nation finden muß oder scheitert, wahnsinnig wird.“

Das ist eine der wahnsinnigsten Versionen der typischen MG/GSP-Sichtweise, die mir untergekommen ist. Denn immerhin wird dieses Argument von jemand vorgetragen, der dies sozusagen im Vollbesitz seiner geistigen Kräfte vorträgt. Also sich, den Antintionalisten aus der weiten Schar der Wahnsinnigen ausnimmt.

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Mitschnitt der China-Veranstaltung der jungen Welt vom 17.12.2009

18. Dezember 2009 14 Kommentare

Bei www.archive.org ist ein Mitschnitt der China-Veranstaltung der jungen Welt vom 17.12.2009 mit Renate Dillmann vom GegenStandpunkt und den beiden früheren führenden DDR-China-Experten Rolf Bert­hold und Hel­mut Pe­ters verfügbar.

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China-Veranstaltung mit Renate Dillmann in Berlin jetzt online

18. Dezember 2009 Kommentare ausgeschaltet

Der Mitschnitt der Veranstaltung am 26.11.2009 an der HU in Berlin, bei dem Renate Dillmann die zentralen Thesen ihres China-Buches vorgestellt hat, ist jetzt bei Kein Kommentar / Berlin zum Download bereitgestellt:
Vortragsmitschnitt Teil_1 und Teil_2 (jeder ca. 22 Mbyte) und Ankündigungstext

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Gaidar: Tod eines Marktwirts

16. Dezember 2009 Kommentare ausgeschaltet

„Wie ist es möglich, daß jemand, der 1978 mit Auszeichnung als Ökonom auf der Lomonossow-Universität promovierte und dann als Wirtschaftsexperte für die Pravda schrieb, schließlich nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in der Einführung der Marktwirtschaft die Zukunft der russischen Wirtschaft sah? Was haben die ihm eigentlich beigebracht auf der Lomonossow-Uni? Was hat er als ultima ratio der Ökonomie im Sprachorgan der Kommunistischen Partei Rußlands verbreitet? Offenbar eine große Bewunderung des Geldes als Zwangsmittel für die Bevölkerung, und eine ebenso große Bewunderung der „Effizienz“ desjenigen Wirtschaftssystems, das es versteht wie kein anderes, seine Bevölkerung für den Dienst am Kapital einzuspannen.“

So lautet die zentrale Frage aus einem Nachruf auf Jegor Gaidar von Nestor Machno, der ganz ohne die bei Nachrufen sonst übliche Nachsicht auskommt.

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Rezension des Buchs von Albert Krölls: Das Grundgesetz – ein Grund zum Feiern?

16. Dezember 2009 1 Kommentar

In die Jubelorgien zugunsten des 60jährigen Bestehens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der BRD hat sich der Hamburger Rechts- und Verwaltungswissenschaftler Albert Krölls mit einer luziden und stringenten Streitschrift eingemischt, die im besten Sinne des Wortes Aufklärung über Gründe und Begründungen der Gefeierten gibt.

So beginnt die Rezension von Hendrik Wallat von der roten ruhr uni

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Renate Dillmann in der jungen Welt: Großmacht China? Debatte

14. Dezember 2009 Kommentare ausgeschaltet

Den folgenden Artikel aus der jungen Welt vom 15.12.2009, ein erster Debattenbeitrag von Renate Dillmann zur VR China, hat Kozel als Kommentar bei mir eingestellt (Danke dafür), ich hieve ihn hier als Artikel hoch.
Am 17. Dezember 2009 findet in der jW-Ladengalerie ein Streitgespräch zu neuen Büchern über China statt. Eingeladen sind der ehemalige Botschafter der DDR in der Volksrepublik Rolf Berthold und der Sinologe Helmut Peters. Als dritte Diskutantin sitzt die freie Journalistin Renate Dillmann auf dem von jW-Chefredakteur Arnold Schölzel moderierten Podium. Sie formuliert in ihrem Buch »China. Ein Lehrstück« höchst provokante Thesen. So sieht Dillmann in der Volksrepublik eine aufstrebende Macht, die sich mittels imperialistischer Politik gegen Konkurrenten auf dem Weltmarkt durchzusetzen suche. Helmut Peters wird dieser These in der nächsten Woche auf den Thema-Seiten entgegnen.
Zu Beginn der 70er Jahre vollzog die sozialistische Volksrepublik eine weltpolitisch bedeutsame Weichenstellung: Sie nahm Verbindung zu den USA, der Führungsmacht des bis dahin nach Kräften attackierten imperialistischen Lagers, auf. In der Folge konnten die USA die Sowjetunion welt- wie rüstungspolitisch mehr unter Druck setzen. Vor allem aber war es den USA gelungen, China – das dem Weltkapitalismus mit seiner Doktrin von der »Unvermeidbarkeit des Krieges« zwischen Imperialismus und Sozialismus bis dahin trotzig und unberechenbar gegenüberstand und seit 1964 auch über die Atombombe verfügte – ein Stück weit in ihre »Ordnung« der Welt einzubinden. Mit der (Wieder-)Aufnahme bilateraler Beziehungen zu Washington mitten im Vietnamkrieg und trotz der militärischen Präsenz der USA in Südkorea, Japan, den Philippinen etc. signalisierte Mao seine Bereitschaft, sich mit einer führenden Rolle der USA in der Welt und im Pazifik zu arrangieren. Umgekehrt akzeptierten die Vereinigten Staaten dafür eine atomar bewaffnete Volksrepublik als Regional- und Großmacht und akzeptierten kurz darauf, daß »Rotchina« den (vorher dem US-Verbündeten Taiwan zugesprochenen) Sitz im Sicherheitsrat der UN besetzte.
Die USA haben der Volksrepublik China also das Angebot auf einen Platz in »ihrer« Welt gemacht – unter der Bedingung, daß die chinesische Parteiführung sich damit abfindet, wie es in dieser Welt zugeht: 1. freier Handel zwischen den Staaten der »freien Welt«, über welche die Vereinigten Staaten eine Art Oberaufsicht führen; 2. unversöhnliche Feindschaft zwischen dem westlichen und dem sowjetischen Lager, aus dem die Volksrepublik endgültig ausschert. Selbstverständlich war das Angebot des damaligen Nixon-Kissinger-Gespanns mit dem Wunsch verbunden, daß die Einordnung im Idealfall zur Unterordnung des Landes führen soll. Die USA haben deshalb die neu eröffneten Beziehungen mit ein paar ökonomischen Angeboten flankiert – in der Hoffnung, daß sich das wirtschaftlich nicht gerade gefestigte Land alsbald in ausnutzbare Abhängigkeiten hineinreiten würde.
China seinerseits hat sich entschieden, seine nationalen Interessen künftig in Kooperation mit dieser kapitalistischen Welt und all ihren – bis dahin vorwurfsvoll angeklagten – Gemeinheiten zur Geltung zu bringen. Die berechnende Anerkennung, die ihm die USA angeboten haben, hat es – bei allem gehörigen Respekt vor der nordamerikanischen Supermacht! – als Gelegenheit betrachtet, sich neu aufzubauen und einen anerkannten Platz in der Hierarchie der großen Nationen zu ergattern, sich also in der Konkurrenz der imperialistischen Staaten durchzusetzen und nicht im Kampf gegen sie. Dafür hat China die politische Wendung nach Westen in der Folgezeit um seine ökonomische Öffnung ergänzt.
Pferdefuß für den Westen
Das alte »Reich der Mitte« hat es dabei in den vergangenen 30 Jahren seines staatlich initiierten und gelenkten Kapitalismus geschafft, sich zu einer der wenigen wichtigen Wirtschaftsnationen auf der Welt hochzuarbeiten – ein durchaus bemerkenswerter Sonderfall gegenüber dem »normalen Schicksal« eines Entwicklungslandes. Während sonst nach der Logik von Geschäft und Gewalt die Aufnahme von Beziehungen mit den in jeder Hinsicht überlegenen kapitalistischen Nationen regelmäßig zu einseitiger ökonomischer Abhängigkeit und prinzipieller Beschränkung des politischen Handlungsspielraums führt, macht es offenbar einen entscheidenden Unterschied aus, als größtes Entwicklungsland der Welt in ein solches Unterfangen einzusteigen. Das entsprechend riesige Interesse der internationalen Geschäftswelt (und deren Konkurrenz) sorgte nämlich für eine ansonsten unübliche Bereitschaft, die von der kommunistischen Staatspartei erlassenen Zugangsvoraussetzungen zu akzeptieren. Einmal erfolgreich »angestoßen«, fand eine »ursprüngliche Akkumulation« statt – die durch viel staatliche Gewalt »flankierte« Schaffung einer allgemeinen Basis kapitalistischer Gewinnproduktion, deren Ergebnisse den Ausgangspunkt für die beständige Ausweitung und Ausbreitung rentabler Geschäfte bilden – und das in einem bisher unbekannten Ausmaß. Auch wenn der kapitalistische Boom bislang hauptsächlich Chinas Ostküste (und selbst die noch nicht durchgängig) erfaßt hat – die Menge der dort stattfindenden Produktion gewinnträchtiger Ware hat bis heute schon einiges durcheinandergebracht im etablierten Weltkapitalismus.
Das ist einerseits ideal für westliche Unternehmen, weil akkumulierendes chinesisches Kapital eine gute Basis für weitere und mehr eigene Geschäfte darstellt. Das ist andererseits nicht ganz so günstig, weil dieses Kapital inzwischen genauso agiert wie das westliche, also vor Ort zunehmend als Konkurrent auftritt und außerdem beileibe nicht in seiner angestammten Heimat bleibt, sondern längst in alle Welt ausschwärmt und die hiesigen Märkte angreift, die doch eigentlich für den Absatz »unserer« (China-)Waren reserviert waren.
So hat sich dasselbe, was China für den Westen so attraktiv gemacht und sich in Zeiten stagnierenden oder schrumpfenden Weltgeschäfts als riesiges, noch zu entwickelndes Potential für geschäftliches Wachstum dargestellt hat, seine Größe als Quelle von Bereicherung also, vom Standpunkt der westlichen Führungsnationen inzwischen gewissermaßen als Pferdefuß herausgestellt. Nicht in dem Sinn, daß die zahlreichen kapitalistischen Spekulationen auf das Reich der Mitte nicht oder nicht genügend aufgegangen wären. Ganz im Gegenteil: Westliche Unternehmer haben ein erfolgreiches Geschäft in China zustande gebracht und es deshalb immer weiter ausgeweitet. Genau das hieß aber umgekehrt: Wenn in einem so riesigen Land kapitalistisches Wachstum in Schwung kommt und eine Staatsführung wie die Kommunistische Partei es schafft, Land und Leute dafür ebenso zu mobilisieren wie unter ihrer Kontrolle zu halten, wird auswärtiges Kapital zum Mittel seines nationalen Aufstiegs. Der Einstieg in die imperialistische Weltordnung hat die Nation bereichert, macht sie damit zu einem potenten Konkurrenten und stärkt die politischen Verwalter der chinesischen Ökonomie, statt daß er sie schwächt und zunehmend politischer Erpressung und auswärtiger Kontrolle ausliefert.
Eine neue imperialistische Macht
Dabei haben Chinas Politiker in dem Bewußtsein agiert, allein schon wegen der schieren Größe ihres Landes über eine potentielle Weltmacht zu herrschen, der sie endlich wieder zu dem ihr »zustehenden« Platz verhelfen wollten. Daß sie mit diesem Anliegen in eine internationale Gewaltordnung eintreten, in der die USA das Sagen haben, hat sie genausowenig geschreckt wie die Aussicht, daß zur Behauptung in dieser Welt von Geschäft und Gewalt diverse Gemeinheiten nötig sind. Die Einladung der US-Amerikaner, in ihrer Weltordnung mitzumachen, haben diese Nationalkommunisten jedenfalls nie blauäugig mißverstanden. Von ihrem ansonsten nicht mehr so angesagten Exvorsitzenden Mao haben sie sich auf alle Fälle gemerkt, daß »die Macht aus den Gewehrläufen« kommt, die Rolle eines Landes in der Welt also vor allem anderen an den (Gewalt-)Mitteln hängt, die es mobilisieren kann, um anderen Staaten das eigene Interesse aufzwingen zu können.
Daß gerade der ökonomische Erfolg ihres Landes für einige neue Gegensätze und scharfe Töne im regional- wie weltpolitischen Szenario gesorgt hat, hat die Politikergarde in Peking insofern nicht überrascht. Ebensowenig die etablierten Weltordnungsmächte, welche die Unvereinbarkeit so mancher chinesischer Konkurrenzanstrengung mit ihrer Lesart der »globalen Spielregeln« festgestellt und die »Lösung« der so definierten »Konflikte« auf die Tagesordnung gesetzt haben. Sie finden es nämlich überhaupt nicht in Ordnung, wenn sich ein »armes« Land in einem solchen Tempo zur Export-, Gläubiger- und Kapitalexportnation hocharbeitet – auch einmal eine schöne Aufklärung darüber, wie der früher im Westen so beliebte Terminus Entwicklungsland auf alle Fälle nie gemeint war! US-amerikanische Politiker rechnen hoch, wie diese »Entwicklung« weitergehen soll, und sehen sich durch eine »kommende Weltmacht China« enorm gestört.
Dagegen macht die Volksrepublik selbstbewußt ihr »Recht auf friedliche Entwicklung« geltend. Neben den »Fortschritten«, die die politische Klasse des Landes im Inneren in Gang setzt, werden chinesische Politiker mit einer ganzen Latte außenwirtschaftlicher wie -politischer Aktivitäten, die einem »Lehrbuch Imperialismus« entnommen sein könnten, auf dem Globus aktiv: Sie nutzen die wachsenden ökonomischen Mittel, über die sie inzwischen verfügen, wie die Abhängigkeiten, die sich für andere Staaten in aller Welt aus dem Geschäft mit China bereits eingestellt haben, zielstrebig dafür aus, gegen die etablierten kapitalistischen Großmächte ökonomische Besitzstände auf- und auszubauen, ob in Asien, Lateinamerika oder Afrika. Sie bringen politische Kooperationen auf den Weg, die sich perspektivisch – und auf der Basis einer gesteigerten chinesischen Militärmacht, welche für die fälligen Schutzversprechen wie Erpressungsmanöver auch materiell einstehen kann – zu wertvollen Positionen in der strategischen Machtkonkurrenz ausgestalten lassen, etwa mit Rußland und den zentralasiatischen Staaten im Rahmen der Shanghai Cooperation Organization (SCO).
Hegemon USA herausgefordert
Die etablierten Hüter der internationalen Konkurrenzordnung bemerken selbstverständlich, daß sich der Neueinsteiger ins kapitalistische Weltgeschäft überall unangenehm breitmacht. Vor allen anderen sehen sich natürlich die USA herausgefordert. Schließlich haben sie die Weltordnung zu ihrem Nutzen eingerichtet – und in diesem Sinne auch China zur Teilnahme eingeladen. Nicht erst seit heute steht man in Washington dem Resultat mit gespaltenen Gefühlen gegenüber. Daß chinesische Waren die US-Märkte »überschwemmen«, finden amerikanische Politiker unerhört – auch wenn es Amerikas eigene Global player sind, die diese Waren in China produzieren lassen, damit Gewinne einheimsen und diese Billigimporte die Inflationsrate niedrighalten. Daß chinesische Devisengewinne massenhaft US-Schatzbriefe kaufen, finden seine Finanzstrategen unheimlich – auch wenn China mit seinen Dollarkäufen letzten Endes ausgerechnet die Kriege finanziert, mit denen Amerika seine führende Rolle in der Welt sichern will, oder momentan verhindert, daß der Dollar noch einen ganz anderen Absturz hinlegt. Andererseits will man das Land weiterhin und sogar verstärkt als US-amerikanische Bereicherungsquelle benutzen; die damit verknüpften Wirkungen, ein stetig andauernder chinesischer Zuwachs an ökonomischen und militärischen Machtmitteln, sollen aber auf alle Fälle unter Kontrolle gehalten werden.
Dafür bringen die USA gegen den Newcomer in der Sphäre der Ökonomie alle »konventionellen« Mittel in Anschlag, die es sich in den supranationalen Organisationen zur Regelung seines Vorteils auf dem Weltmarkt geschaffen hat (Dumpingklagen, Beschwerden über den »künstlich« niedrigen Yuan etc.). Und nicht nur das. Auch in China beklagen die Vereinigten Staaten natürlich dauernd den Zustand von Menschenrechten und Demokratie – sprich: Die USA vermissen die Zulassung von regierungskritischen Stimmen, NGO und Oppositionsparteien, die sie für ihre Anliegen instrumentalisieren könnten. Und es sind, rein vorsorglich, auch deutliche militärische Schritte nötig, um die Aufholanstrengungen Chinas auf dem Felde der Waffen zum Scheitern zu verurteilen, sei es mit Raketenabfangprogrammen, sei es mit einer weit gediehenen geostrategischen Einkreisung.
Gleichzeitig aber enthält die US-amerikanische Stellung zu China immer auch ein – ausgesprochen zwiespältiges – Angebot: Peking möge sich, gerade angesichts der »drohenden Verschlechterung« der doch so nützlichen Beziehungen, lieber fügen, Rücksicht nehmen auf die Vorhaltungen der Weltmacht, sich einordnen in die pax americana und eine darin für Amerika nützliche, dann aber auch anerkannte Rolle spielen. Obama hat die chinesische Führung mit Angeboten in diesem Sinne geradezu bombardiert. Er hat den kommunistischen Führern in Peking seine Anerkennung für ihre ökonomische und politische Potenz ausgesprochen, um sie damit zur Ein- und Unterordnung in seine, die US-amerikanische Weltordnung, zu bewegen – ein recht anspruchsvolles Ideal imperialistischer Gewalt.1)
Es ist nämlich so, daß die USA China ebensosehr brauchen wie sie die Volksrepublik nicht aushalten. Ihr Geschäft braucht die Ausbeutung chinesischer Arbeitskraft, den Import billiger Waren, den Kapitalexport nach China und beklagen all das gleichzeitig als Verhinderung des US-amerikanischen Geschäfts und als Arbeitsplatzabbau; Washington braucht die Dollarkäufe Chinas und leidet unter dieser Abhängigkeit; es braucht selbst die Staatsgewalt in China, damit dort ein geregeltes Geschäftsleben stattfindet – und findet deren Macht zugleich unerträglich.
»Multipolare Welt«
Es ist also nicht verwunderlich, daß China den ziemlich »unilateralen« Weltordnungswillen der USA nicht nur allgemein als Einengung seiner Handlungsfreiheit zur Kenntnis nimmt, sondern ihn eindeutig auf sich und sein Aufstiegsinteresse bezieht, das damit angegriffen wird. Und China läßt keine Zweifel daran, daß es das nicht hinnehmen will. Früher haben die chinesischen Kommunisten die Welt einmal dafür angeklagt, daß in ihr der »US-« und später der »Sozial-Imperialismus« der Sowjetunion zu Unrecht die Interessen der »fortschrittlichen« Völker »dominierten«. Heutzutage stören sich ihre Nachfolger daran, daß China in seinem Recht auf »friedliche Entwicklung« behindert wird. In ihren »Weißbüchern« bedauern sie, daß die ansonsten auf der Welt bereits vorbildlich herrschenden »Haupttendenzen Frieden und Entwicklung« durch das Treiben »einer Macht« empfindlich gestört werden: Amerika »maße« sich »an«, die Welt »hegemonial«, »unipolar« zu beherrschen und jede Veränderung seiner Weltordnung strikt zu unterbinden. Dagegen setzt China sein »Konzept« einer »multipolaren Welt« – und kündigt mit dieser Formel, die harmlos und beschwichtigend klingen soll, nicht weniger als seinen Kampf gegen die Vormachtstellung der USA an. Die heutigen chinesischen Machthaber sind nicht gewillt, das »Kräfteverhältnis« auf der Welt als unveränderlich hinzunehmen. Auch in Sachen Machtkonkurrenz wollen sie also nur das eine: mithalten – und dafür nehmen sie alles Nötige in Angriff, ob die Modernisierung ihrer Marine oder entsprechende strategische Allianzen.
»Jetzt erst recht!«
Seit dem Ausbruch der weltweiten Finanzkrise sieht sich die Volksrepublik mit der bitteren Wahrheit konfrontiert, daß der Weltmarkt, den sie bisher als Mittel ihres Aufstiegs genutzt hat, ihr eine Quittung präsentiert, die sie in mehrfacher Hinsicht sehr grundsätzlich schädigt.
– Ihre Devisenreserven entwerten sich. Die Summen, die der chinesische Staatsfonds in Geschäfte wie etwa, die der Investmentfirmen Freddie Mac und Fanny Mae gesteckt hatte, haben sich bereits in Luft aufgelöst. Der Rest ihrer Dollar-, Yen- und Eurobestände ist von noch gar nicht abzuschätzenden Wirkungen bedroht, die die Krise und die jeweiligen staatlichen Rettungsmaßnahmen auf die etablierten Weltwährungen haben.
– Gleichzeitig wächst erstmals seit vielen Jahren der das Staatsvermögen nicht mehr, da sowohl das Exportgeschäft als auch die ausländischen Direktinvestitionen im großen Stil wegbrechen. Zudem fließt angesichts unsicherer Aussichten des Geschäfts Kapital nach Hongkong ab.
– In der chinesischen »Realwirtschaft« macht sich die Abhängigkeit der Geschäfte von den ausländischen Märkten (USA, Japan, Europa) geltend: Ein großer Teil der Weltmarktfabriken ist in ungemein kurzer Zeit geschlossen worden; Millionen Arbeitskräfte werden ohne jegliche soziale Absicherung entlassen (bis Ende Januar 2009 allein 20 Millionen Wanderarbeiter), und die Perspektiven für die jährlich zusätzlich auf den Arbeitsmarkt strömenden Jugendlichen (davon allein 5,5 Millionen Studienabgänger) sind erbärmlich schlecht.
Der chinesische Staat, der seinen Erfolg wie das Leben und Überleben seines Volks praktisch davon abhängig gemacht hat, daß auf seinem Territorium ein kapitalistisches und auf den Weltmarkt bezogenes Geschäft stattfindet, sieht sich konfrontiert mit den »Naturgesetzen« dieser Marktwirtschaft. Wenn diese Wirtschaft nicht jedes Jahr erheblich wächst – in China müssen das mindestens acht Prozent sein –, kann die Gesellschaft nicht einfach auf dem bisherigen Niveau weiterexistieren. Ihr ökonomisches Leben hängt an diesen Profitrechnungen und bricht deshalb im großen Stil weg. Das ist nicht wie in vorsozialistischen Zeiten Folge von natürlichem Mangel oder Naturkatastrophen. Obwohl alle materiellen Mittel des Produzierens – qualifizierte Arbeitskräfte, natürliche Ressourcen, industrielle Technik – inzwischen im Überfluß vorhanden sind, herrscht dann »die Krise«.
Diese Notlage geht die chinesische Regierung mit einem entschiedenen »Jetzt erst recht!« an. Sie setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Mittel ein und verkündet, wie alle anderen imperialistischen Mächte auch, daß sie gestärkt aus der Krise herauskommen wird. Mit geldpolitischen Instrumenten und einem schnell verabschiedeten gigantischen Konjunkturpaket hat sie der Wirtschaft auf die Beine geholfen. Haushaltspolitische Erwägungen ebenso wie andere Staatsziele, etwa der Aufbau einer Sozialversicherung und die Durchsetzung der Arbeitsrechtsreform, hat sie fürs erste aufgeschoben. Auch in China zeigt sich auf diese Art und Weise drastisch, was inzwischen der Systemzweck ist, an dem alles hängt und von dessen erneutem Funktionieren alles andere abhängt – von wegen kapitalistische »Methoden« und den »Tiger reiten«.
Die Krisenkonkurrenz verschärft dabei alle schon bisher vorhandenen Widersprüche und Gegensätze der Staaten. Alle haben jetzt ihre guten, nationalen Gründe dafür, das Wachstum in ihrem Land gegen und auf Kosten der anderen zu sichern, und befürchten gleichzeitig, daß ihnen damit langfristig die Mittel ihres Gewinnemachens abhanden kommen – die globalen freien Märkte, weshalb sich alle gegenseitig vor »Protektionismus« warnen. Sie beanspruchen die Konjunkturmaßnahmen der anderen einerseits als Mittel für sich (»China soll die Welt retten«), machen andererseits eben deren Rettungsstrategien für ihre schlechten Aussichten verantwortlich (neue Attacken der USA gegen einen »unterbewerteten« Yuan). Amerika bekommt zu spüren, wie weit sein Dollar und damit seine gesamte schöne Finanzwelt inzwischen von einer konstruktiven Politik der Volksrepublik abhängig sind – ein ganz und gar unerträglicher Zustand für seinen Anspruch, auch ökonomisch die Welt zu führen. Umgekehrt müssen die Chinesen feststellen, daß eine Ablösung des Dollar-Regimes, an der ihnen gelegen wäre, jede Menge mögliche Schäden für ihre eigenen Interessen enthält. Deshalb kaufen sie zwar fürs erste weiter amerikanische Staatspapiere, verlangen aber – ganz als Eigentümer hart verdienter Dollars auftretend! – von den Amerikanern eine entsprechende Pflege ihrer Währung …
Ein Grund zur Schadenfreude etwa der Art, daß sich die Weltmacht USA da einen interessanten Widerspruch selbst herangezüchtet hat und jetzt an ihm herumlaboriert, ist das alles nicht. Denn jenes China, das den Nordamerikanern da in die Quere kommt, ist mitnichten eine Art Hoffnungsträger für eine alternative Weltordnung. Einmal abgesehen vom Unsinn eines solchen Bedürfnisses, nach einer »real existierenden« Kraft zu fahnden als Bedingung, Perspektive, Kronzeuge oder sonstwas für die eigene Gegnerschaft, um die es schlecht bestellt ist: Um zu glauben, daß man so etwas in China vor sich hat, muß man Ökonomie und (Außen-)Politik der Volksrepublik gegen alle Realität ziemlich umdeuten– nur so werden nämlich aus Konkurrenzerfolgen dieses Landes, das seit jetzt 30 Jahren mit aller nötigen staatlichen Gewalt und Umsicht eine erfolgreiche kapitalistische Wirtschaft etabliert, »Ansätze« oder zumindest »Bedingungen« für etwas »Anderes«. Zweitens führen die Widersprüche, in denen sich Staaten befinden, regelmäßig zu einem brutalen Bereinigungsprogramm – und das betreiben die Subjekte der Weltgeschichte, indem sie ihre Instrumente ins Rennen schicken, ihre loyalen Völker und ihre Gewalt- und Erpressungsmittel.
1 Vgl. dazu den Artikel »Obama bietet der aufsteigenden Großmacht China Mitverantwortung für die amerikanische Weltordnung an« in GegenStandpunkt 4/2009
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Bei der Gelegenheit möchte ich nochmals auf die am 17.12.2009 anstehende Debatte hinweisen:
Veranstaltung mit den Autoren neuster Publikationen zur VR China mit Renate Dillmann, Rolf Berthold, Helmut Peters
Moderation: Arnold Schölzel (junge Welt)
Ort: jw-Ladengalerie, Torstraße 6, 10119 Berlin
Zeit: Donnerstag, 17.12.2009

Beginn: 19:00 Uhr
Eintritt: 5,00 € ermäßigt 3,00 €

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Heinrich Dieterich vor der Flinte des GSP!

14. Dezember 2009 8 Kommentare

Ein meiner ideologisch größten Herzenswünsche ist in Erfüllung gegangen!!
In seinem neuen Heft 4-09, das am 18.12.2009 im Handel erhältlich sein wird, bringt der GegenStandpunkt auch eine Kritik an Heinz Dieterichs „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“. Man kann diesen Artikel schon jetzt auf der Webseite des GegenStandpunkts lesen. Und ich dachte schon, es gibt niemand Vernünftigen sonst, der das Zeugs von dem für hanebüchen hält.

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junge Welt zum China-Buch von Renate Dillmann

13. Dezember 2009 9 Kommentare

In der jungen welt vom 14.12.2009 gibt’s eine Rezension von Vinzenz Bosse (sozusagen dem GegenStandpunkt-Fachmann der jW) des China-Buches von Renate Dillmann : http://www.jungewelt.de/2009/12-14/001.php?sstr=dillmann
Er geht dabei übrigens mit keiner Silbe darauf eingeht, daß Renate für den GegenStandpunkt auftritt und keine lonesome rider ist, er wird seine Gründe dafür gehabt haben, denn wissen tut er es ja nachweislich.
(Dank für den Hinweis an Klaus Unruh)
Neue Klassen
Analyse über Geschichte und Gegenwart der VR China vorgelegt

Von Vinzenz Bosse
Ist das moderne China schon kapitalistisch? Oder – entgegen dem ersten Anschein – doch noch sozialistisch? Ist es heute vielleicht sogar der brutalste kapitalistische Staat? Oder doch so etwas wie eine alternative Kraft, die das internationale Kräfteverhältnis hin zum Guten beeinflußt? Ist ein demokratisches China denkbar? Wird dann mehr Rücksicht auf das Volk genommen? Oder kann und muß man auf einen Aufruhr der chinesischen Arbeiter hoffen? – Fragen dieser Art bewegen die Linken, wenn sie sich mit der Volksrepublik China beschäftigen. Gegen die darauf folgenden Antworten und Mutmaßungen, die sich mit einer gewissen Notwendigkeit auf dem Feld subjektiver Einschätzungen tummeln, setzt Renate Dillmann, Autorin des gerade bei VSA erschienenen Buchs »China – Ein Lehrstück«, eine Analyse, die es in einiger Hinsicht in sich hat.
Soziale Widersprüche
Der Band, der zum China-Rummel der Frankfurter Buchmesse herauskam und jetzt bereits in der zweiten Auflage vorliegt, liefert eine umfassende marxistische Erklärung dessen, was heute ökonomisch und politisch in der Volksrepublik auf der Tagesordnung steht. Er untersucht die Subsumtion einer kompletten, vormals »realsozialistischen« Gesellschaft unter den Imperativ des Geldverdienens und die dazugehörende Scheidung der egalitären maoistischen Gesellschaft in neue soziale Klassen (Bauern, Lohnarbeiter und neue Kapitalisten). Er analysiert den ökonomischen Sonderfall, in dem – weltpolitisch einmalig – aus der Zulassung westlichen Kapitaltransfers ein Aufstiegsmittel der chinesischen Nation geworden ist. Er widmet sich den gesellschaftlichen Widersprüchen, die aus Deng Xiaopings Devise »Bereichert euch!« erwachsen sind und die 1989, mit dem staatlichen Zuschlagen am Tiananmen-Platz, zugunsten der neuen kapitalistischen Staatsräson »bereinigt« wurden. Und er geht den Konsequenzen nach, die das neue ökonomische Programm für die Kommunistische Partei, die politische Willensbildung und das Bewußtsein des chinesischen Volks hat. Dillmanns Fazit: »Die Partei ändert sich und ihren sozialistischen Staat – der neuen Ökonomie zuliebe«. Die Analyse des modernen China wird komplettiert durch ein Kapitel zur Außenpolitik und eine kurze, nicht auf Vollständigkeit abhebende Darstellung linker Literatur.
Die mit viel Material angereicherte (dem Buch ist eine CD mit Quellen, Grafiken und Zahlenmaterial beigegeben) und trotzdem ausgezeichnet lesbare Abhandlung zur modernen Volksrepublik ist aber nur die eine Hälfte der Publikation. In einem ersten, fast genauso langen Teil befaßt sich Dillmann mit Maos sozialistischer Volksrepublik. Ein kurzer Rückblick auf die imperialistische Vorgeschichte des Landes leitet die Auseinandersetzung mit der Kommunistischen Partei und ihrem Programm ein; es folgen Kapitel über die Durchsetzung Maos gegen die Guomindang-Partei (mit einer Untersuchung der unrühmlichen Rolle, die die Sowjetunion und die Komintern dabei gespielt haben), über die neudemokratische Etappe und ihre Widersprüche bis zum Aufbau der sozialistischen Planwirtschaft. Deren Anliegen – staatlich geplante Gebrauchswert- und Wertproduktion, die Anwendung des »Wertgesetzes« in einer Wirtschaft, die die Produktivkräfte entfaltet und Arbeitern und Bauern einen gerechten Anteil am produzierten Reichtum einbringt – wird vorgestellt und als halbherzige Überwindung der kapitalistischen Produktionsweise ausführlich kritisiert. Am historischen Material (Verhältnis von Schwerindustrie und Landwirtschaft, Maos Massenkampagnen wie der »Große Sprung nach vorn« oder die Kulturrevolution) werden die daraus resultierenden Widersprüche und Schlußfolgerungen der chinesischen KP erörtert; ein Kapitel zur Außenpolitik macht den Leser mit dem Korea-Krieg und der Welt des Kalten Kriegs bekannt und analysiert »Freundschaft und Bruch mit der Sowjetunion«.
Nationale Frage
In einem für ihre Argumentation zentralen Exkurs über »Kommunismus und Nation« setzt sich die Autorin zudem mit einem prinzipiellen Problem auseinander, das die Geschichte der Arbeiterbewegung und gerade auch die antiimperialistischen Emanzipationsprojekte von ihren ersten Tagen an begleitet hat: mit der nationalen Frage. In der ungenügenden Kritik von Staat und Nation macht sie die entscheidenden »Sollbruchstellen« der chinesischen KP dingfest, die letztlich zur »historischen Wende« von 1978 geführt haben. »Daß sie mit ihrem Nationalkommunismus in dieser realen Konkurrenz nichts auszurichten vermochten und all ihre sozialen Errungenschaften dafür wenig hergegeben haben, hat ihnen dann so zu denken gegeben, daß sie nach nicht einmal dreißig Jahren lieber ihren Kommunismus für ihren nationalen Erfolg weggeworfen haben, als umgekehrt ihrer sozialistischen Volksfürsorge zuliebe das Programm einer weltweit erfolgreichen chinesischen Nation sein zu lassen.« Die anhand des maoistischen Chinas vorgelegte Kritik von halbherzigem Antikapitalismus, Staatsidealismus und nationalem Ehrgeiz kann tatsächlich als exemplarisch für eine ganze Reihe anderer sozialistischer Projekte gelten – entsprechend breit sollte die Auseinandersetzung mit diesem Buch ausfallen!
Renate Dillmann: China – Ein Lehrstück über alten und neuen Imperialismus, einen sozialistischen Gegenentwurf und seine Fehler, die Geburt einer kapitalistischen Gesellschaft und den Aufstieg einer neuen Großmacht. VSA Verlag, Hamburg 2009, 389 Seiten, 22,80 Euro * mit CD-ROM

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Die vielen engagierten Bildungsstreiker und ein einziger Kommunist

13. Dezember 2009 Kommentare ausgeschaltet

contradictio hat auf einen podcast hingewiesen, bei dem es um eine Diskussionsveranstaltung mit Sigrid Maurer (Bundesvorsitzende der Bundesvertretung der Österreichischen Hochschülerschaft, politisch PUFL-GRAS „Die PUFL-GRAS versteht sich als basisdemokratische, feministische, alternative, nachhaltige und solidarische bunte Truppe, die sich in erster Linie der Studierendenvertretung widmet“ ) und Freerk Huisken im Rahmen der Besetzung der SOWI-Aula an der Uni Innsbruck im November 2009 geht.
Diese Diskussion zeigt exemplarisch, wie schwierig es ist, die zum Teil ausgesprochene Reform-der Reform-Ideologie dieser zum großen teil recht selbstbewußten Eliteaspiranten anzukratzen oder gar aufzubrechen. Vom klassischen „Mißverständnis“, daß Kommunisten Studenten nur das „Nichtstun“ anzuempfehlen hätten, bis zum Hinweis, daß man als Realpolitiker eben von der Regierung nimmt, was man da sio kriegen kann. So frei ist man als Studierender eben.
Also eher ein trauriges Event, aber leider wohl für den Stand der Bewegung nicht untypisch, wie Freerk Huisken auch vorsichtig vorgetragen hat. Also wirklich anhörenswert für Leute, die sich Gedanken machen wollen, wie man da einen ideologischen Fuß in die Tür des bei aller Kritik und Selbstkritik recht beinharten Selbstverständnis kriegen will.

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