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„Zwischenbilanz der Transformation“ aus GSP 1-10 als PDF

30. März 2010

Vor ungefähr fünf Jahren habe ich meinen ersten Leserbrief an die Redaktion des GegenStandpunkt geschrieben und Fragen zur Osterweiterung der Europäischen Union gestellt:

Peter Decker hat in seinem jüngsten Vortrag über den Stand und die Friktionen in der EU betont, daß jetzt für alle Nationalisten/“Partner“-Staaten das Heil in der Durchsetzung ihrer jeweiligen Nationalinteressen gegen den Rest der Welt bestünde. Jetzt wo es insgesamt mit der weiteren Kapitalakkumulation trübe ausssieht, muß eben jeder Staat (wieder vermehrt) darauf schauen, daß sich das Ganze auch und gerade da für ihn lohnt. Soweit so gut (oder genauer schlecht, denn es stimmt ja, daß einem das Lob auf die EU, sie habe bisher den Frieden unter den bis dato konkurrierenden bis verfeindeten europäischen Staaten gesichert, eigentlich zu denken geben muß, wie brutal ernst es denn bei diesem EU-Frieden zugeht).
Warum haben sich aber bei Gründung der EU bzw. bei deren Erweiterung diverse Staaten freiwillig darauf eingelassen, es in der EU mit dem relativ stärker werden zu versuchen, wenn doch auch schon damals allen halbwegs realistischen Leuten hätte klar sein müssen, daß Konkurrenz ja immer auch Verlierer bedeutet und sie höchstwahrscheinlich nicht zu den Gewinnern gehören werden?
Peter hat ja auch auf die Beschwichtigungsmaßnahmen hingewiesen, die deshalb historisch immer fällig waren. War im langen wirtschaftlichen Aufschwung der Zweifel, der jetzt überall hochkommt, daß es vielleicht doch die anderen sind, die was von diesem schönen großen Markt haben, einfach nur vom absoluten Wachstum überdeckt, weil die relative Zurückdrängung durch die Zentralmächte und deren Industrie leichter zu verschmerzen war? Spielte die antisowjetische Einheitsfront eine Rolle, die alle zusammenstehen ließ, auch wenn es für einige schon damals nur mit Zähneknirschen zu ertragen war? Das ganze Arsenal von Handelshemmnissen, daß mit der EG/EU im Laufe der Zeit abgeschafft wurde, hatte doch vorher seinen ganz nationalistischen Sinn gehabt für die Staaten, die sich nur damit gmeint hatten, behaupten zu können.
Peter ist sehr vorsichtig gewesen, dem ganzen verrückten Projekt verstärkte Integration irgendwelche Überlebenschancen zu- oder abzusprechen, bzw. dessen Endpunkt zu beschreiben. Er hat nur betont, daß zumindest jetzt allseits die vorherrschende Meinung ist, die jeweils eigenen nationalen Interessen eben in und durch die EU besser durchzudrücken. Letztlich geht das aber nicht, irgendwer muß ja irgend wann jemand Anderen entscheidend über den Tisch ziehen, dann wird es doch Ärger geben müßen. Historisch war dies immer eine Gewaltfrage zwischen den Staaten, der deutsche „Einigungsprozeß“ wurde doch zum ersten Mal auch 1866 in Königgrätz entschieden (und 1938 dann auch ganz handfest durch Hitler)

(Ich habe darauf, glaube ich, damals leider keine Antwort erhalten, oder sie ist mir inzwischen abhanden gekommen). Mit dem umfangreichen Artikel im Heft 1-10 hat der GegenStandpunkt sozusagen auch darauf jedenfalls nun eine eindrucksvolle Antwort gegeben. Ironischerweise bzw. genauer naheliegenderweise läuft die zum Schluß auf den gleichen Gedanken hinaus, den ich mir damals auch schon gemacht hatte.
Man kann den Artikel jedenfalls bei mir im Download-Bereich als OCR-PDF runterladen.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. 4. April 2010, 08:13 | #1

    Es wird z.B. in Serbien, aber auch in anderen ost- und südosteuropäischen Staaten als REALISMUS hingenommen, daß die EU keine andere Wahl als eben ihr erpresserisches Angebot zuläßt. Das gilt sogar für das Angebot an die Türkei, sich außerhalb der EU mit ihr als Vorzugs“partner“ zu bescheiden. Und wenn der griechische Ministerpräsident auch in Moskau und Beijing nach Krediten fragt, dann ist das eine aus der von der EU aufgeheischten Not geborene und gebotene Vorgehensweise, aber keine wirkliche strategische Alternative.
    An diesem „Realismus“ blamieren sich die Nationalisten, die die EU für die neue „kommunistische“ Bevormundung halten.

  2. Lullus
    4. April 2010, 19:26 | #2

    Der Artikel im GS 1-10 beschreibt in vielfältiger Weise die Wirkungen der EU-Osterweiterung auf die betreffenden Staaten. Die regierenden und von ihren Völkern unterstützten Nationalisten haben die Hinwendung zur EU als Chance für sie gesehen, am dort existierenden Reichtum teilzunehmen. Sie gingen ganz selbstverständlich von der Annahme aus, dass der Beitritt zur EU ihren wirtschaftlichen Fortschritt entscheidend befördert. Und der Ausgangspunkt dabei war, dass diese Länder keinen weltmarkttauglichen Kapitalismus bei sich hatten, den sie auf diese Weise herstellen wollten.
    Die Verlaufsformen des Anschlusses werden im Artikel thematisiert, v.a. die Inbesitznahme durch das Finanzkapital. Der ganze Prozeß hatte bereits vor der Finanzkrise seine typischen Widersprüche bis hin zur Spekulation gegen die Währungen der Länder oder dem beständigen Herunterdrehen der Sozialkosten.
    In der Krise denken dann alle Beteiligten unmittelbar an sich selbst, das Finanzkapital zieht sich aus den Ländern zurück. Die dortigen Regierungen tun alles, um ihre Kreditwürdigkeit zu erhalten, z.B. Polen. Die Krise sortiert die Staaten in zweit- und drittklassige Teilnehmer.
    Mit ihren Misserfolgen gehen die Staaten um, indem sie etwa der jeweiligen Vorgängerregierung Misswirtschaft und Korruption vorwerfen. Und es kommen rechte Parteien zum Zug, die gegen ausländische Banken hetzen, aber auch gegen Zigeuner…
    Deine Gedankengänge, Neoprene, gehen über die hier kurz skizzierten Verläufe einfach hinweg und widmen sich der Frage, warum diese Länder so blind sich der Konkurrenz stellen, wo doch klar sei, dass es da auch Verlierer geben muss. Willst du dann wirklich die Frage aufmachen, was mit den Ländern heute wäre, wenn sie sich nicht der EU angeschlossen hätten? Die Frage aber wäre müßig. Und dann tendierst du zu einer Teleologie, im Grunde sei jede Einigung immer schon eine Gewaltfrage gewesen, mit der du dich einig wähnst mit dem letzten Satz im GS-Artikel. Dieser Satz will aber doch nur das vorher Gesagte in seiner ganzen Widersprüchlichkeit abschließend beleuchten und ist auf keinen Fall eine Spekulation auf zukünftige Verläufe!

  3. 4. April 2010, 21:20 | #3

    Lullus, dein Einwand geht nicht wirklich auf meine alte Frage und die jetzigen Ausführungen des GegenStandpunkt ein:
    Du kannst nicht einerseits so leichthin beschreiben, „Sie gingen ganz selbstverständlich von der Annahme aus, dass der Beitritt zur EU ihren wirtschaftlichen Fortschritt entscheidend befördert“, was ja offensichtlich weitgehend richtig ist was die Sichtweise der damaligen Nationalisten anbetrifft, aber genauso offensichtlich eben gerade nicht „selbstverständlich“ der Sache nach war und ist und dann als Ausgangspunkt für diesen Kurs der dortigen Nationalisten völlig korrekt darauf verweisen, „dass diese Länder keinen weltmarkttauglichen Kapitalismus bei sich hatten“.
    Meine Frage war doch gar nicht die von dir vermutete, „was mit den Ländern heute wäre, wenn sie sich nicht der EU angeschlossen hätten“, sondern die ja angesichts der Ausgangslage und des mittlerweile so offensichtlichen Verlaufs und der darob erreichten Ergebnisse nicht völlig abwegige, da zitierst du mich schon richtig, „warum diese Länder so blind sich der Konkurrenz stellen, wo doch klar sei, dass es da auch Verlierer geben muss“, oder noch schärfer, wo man schon ein Sauopitmist gewesen sein muß, um nicht auch wie die generösen starken Macher der EU, die den Neuen gnädig den Anschluß genehmigt haben im Bewußtsein, daß es nun wirklich nicht zu ihrem Schaden sein würde, zu sehen, daß die eigene Anschluß-Nation fast garantiert der Verlierer sein wird.
    Da finde ich Wolfgangs Beschreibung schon vernünftiger, der den dortigen Politikern nicht unterstellt, blöde blinde Optimisten gewesen bzw. jetzt zu sein, sondern denen schon zugesteht, auch zu erkennen, daß die EU lauter „erpresserische Angebote“ gemacht hat. Der dann aber in denen die ja auch sonst immer zu findenden „Realisten“ sieht, die trotzdem ihre obligatorische Chance gesucht haben. Nur eben leider nicht gefunden haben.
    Mag sein, daß ich in dieser Frage zu teleologisch denke und die „ganze Widersprüchlichkeit“ mit einer vorschnellen „Spekulation“ beantworte, was in der Tat der GegenStandpunkt ganz bewußt in den ganzen Jahren nicht gemacht hat, aber daß solche handfesten grundlegenden Widersprüchen nicht ewig weiter in der bisherigen Verlaufsform von EU-„Reformen“ abgewickelt werden können, scheint mir nicht gerade eine allzuirre Annahme/Prognose zu sein.

  4. Lullus
    5. April 2010, 07:38 | #4

    Wenn der Ausgangspunkt, die damaligen Regierungen seien von der kapitalistischen Beförderung ihrer Nationen ausgegangen, „weitgehend richtig“(?) ist und ebenso „korrekt“, die hätten keinen konkurrenzfähigen Kapitalismus bei sich gehabt, wenn das also stimmt, warum kann man es dann nicht auch so sagen?
    Es ist eben dein Punkt, dass du deren politische Zwecksetzungen für „in der Sache nicht selbstverständlich“ hältst und deshalb gedachte Verläufe erwartest, die aber auch jetzt in der Krise nicht stattfinden. Statt dessen gibt es jede Menge Nationalismus und Rechtslastiges. Die Widersprüche toben sich doch aus z.B. in der Kriminalisierung von Vorgängerregierungen oder den mannigfachen Beschwerden über Brüssel… Aber sie sehen offensichtlich keine Alternative zum Verbleib in der EU.
    Die Behauptung ist doch ganz und gar nicht, diese seien „blöde blinde Optimisten“, die sich von der EU über den Tisch ziehen lassen. Es reicht doch, die „Angebote“ und Auflagen der EU als das zu bezeichnen, was sie sind, nämlich die Einbindung dieser Länder in den EU-Machtbereich, und deren Antworten darauf, und das ist die privatwirtschaftliche Herrichtung von Land und Mannschaft.
    Man hat doch mehr als genug zu tun, der hierzulande vorherrschende Schönrednerei über die EU-Osterweiterung zu widersprechen, und mindestens genauso viel Anstrengung erforderte es für die Anschlußländer, sich mehr Klarheit über Erfolg oder Misserfolg ihrer Gegend zu verschaffen.

  5. 5. April 2010, 11:13 | #5

    Erst mal stimme ich der zentralen Bewertung des Artikels zu:

    „Das entscheidende Subjekt, die EU, hat da doch wohl eher ein Programm von eminent strategischer Qualität verfolgt, nämlich die Erweiterung ihrer politischen Macht in den Herrschaftsbereich einer anderen Macht hinein.“

    Zwar haben sich auch die Anschlußnationalisten für den Anschluß entschieden und dafür ihre jeweiligen Völker erfolgreich mobilisiert, aber des entscheidende Subjekt dieses Projkets waren sie in der Tat nicht. Es stimmt also, daß „dortigen Wende-Politiker wild entschlossen [waren], die Herrschafts- und Wirtschaftsweise der potenten Europäer zu kopieren, um sich dieselben beeindruckenden Machtmittel verfügbar zu machen“, aber schon im „wild“ klingt an, daß es alles andere als „selbstverständlich“ war, daß sie dadurch auch wirklich wie gewünscht selber zu „beeindruckenden Machtmitteln“ kommen würden. Es war eben in erster Linie „alternativlos“, ungefähr so wie ein Restaurant in vielen Staaten das Angebot der lokalen Mafia nicht ablehnen kann, für „Frieden“ zu sorgen und dafür eine Schutzgeldzahlung blechen muß.
    Und nochmal: mir geht es überhaupt nicht um irgendwelche von mir erwünschten zumindest „erdachte Verläufe“, zudem der Zug ja eh abgefahren ist und insofern solche Gedankenspiele eh müßig wären. Also eher im Sinne dieses Statements aus dem Jour fix-Protokoll vom 8.3:

    „Es ist etwas anderes, ob man das, was jetzt vorliegt, erklärt – und da stellt sich ja so etwas wie eine Notwendigkeit heraus – oder ob man eine vom Gang der Dinge aus rückblickende Prognose macht, also ideell an den Ausgangspunkt zurückgeht und dann sagt: Das konnte ja nicht gut gehen. Das sind zwei verschiedene Betrachtungsweisen, die man unterscheiden muss. Natürlich soll hier erklärt werden, wie Griechenland in diese Lage geraten ist, und jede Erklärung benennt die Gründe. Die Notwendigkeit, warum was passiert ist, ist also in der Erklärung enthalten. Aber sich auf den Standpunkt einer fiktiven Gesetzmäßigkeit zu stellen und von daher zu sagen: das konnte ja nicht gut gehen, macht eine falsche Notwendigkeit auf.“

    Wenn meine Ausführungen also für dich eher wie die rückwirkende Prognose klingen, dann will ich das hier noch nachträglich dementieren, auch wenn das zugegebenerweise eher so geklungen haben mag.

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