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Rezension des Buchs von Albert Krölls: Das Grundgesetz – ein Grund zum Feiern?

16. Dezember 2009

In die Jubelorgien zugunsten des 60jährigen Bestehens der freiheitlich-demokratischen Grundordnung der BRD hat sich der Hamburger Rechts- und Verwaltungswissenschaftler Albert Krölls mit einer luziden und stringenten Streitschrift eingemischt, die im besten Sinne des Wortes Aufklärung über Gründe und Begründungen der Gefeierten gibt.

So beginnt die Rezension von Hendrik Wallat von der roten ruhr uni

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  1. Heinrich
    22. Dezember 2009, 17:41 | #1

    Noch eine Rezension:
    http://www.socialnet.de/rezensionen/8691.php
    „Im Jahr 2009 feiert Deutschland den 60. Geburtstag des Grundgesetzes. Dieses wird von der Öffentlichkeit als nicht zu hinterfragende Grundlage eines funktionierenden und erfolgsträchtigen Staates gelobt, das selbst unter linken Kritikern der Republik hohe Anerkennung genießt. Albert Krölls wendet sich in seinem Buch, das sich den Fundamentalprinzipien des Grundgesetzes in sieben Kapiteln widmet, gegen die herrschende Sichtweise, die Güte des Grundgesetzes an den innen- und außenpolitischen Erfolgen der Nation zu messen. Die von ihm vorgelegte Bilanz stellt demgegenüber den Versuch dar, die grundlegenden Prinzipien eines demokratischen und sozialen Rechtsstaats zu erklären, ohne zugleich parteilich für diese zu argumentieren. Krölls lässt dabei schon zu Beginn des Buches an seinem Standpunkt keinen Zweifel, dass er zwischen dem Erfolg der Nation und dem, was die Bürgerinnen und Bürger davon haben, einen Unterschied sieht, den es in der Praxis moderner Sozialstaatlichkeit nachzuweisen gilt. Schon dieser Anspruch unterscheidet das Buch grundlegend von den auf dem Markt befindlichen grundsätzlich positiv gestimmten Abhandlungen über die Leistungen des Grundgesetzes und seine Wirkungen auf das (materielle) Dasein der Deutschen.
    Aufbau
    Das erste Kapitel behandelt das Thema der staatsbürgerlichen Freiheit, die schon in der Überschrift als politisches Herrschaftsverhältnis bezeichnet wird. Ausgehend von der im Grundgesetz enthaltenen Formulierung, dass „jeder das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit“ hat, stellt Krölls die irritierende Frage, warum ein Staat etwas so Selbstverständliches wie die freie Betätigung des Willens ausdrücklich anerkennen und zum obersten sozialen Ordnungsprinzip erklären muss? Seine Antwort lautet, dass dies auf soziale Gegensätzlichkeiten in der Gesellschaft verweist, die es mittels Geboten und Verboten zu regeln gilt und die allen Bürgern abverlangt, sich einem staatlichen Gewaltmonopol zu unterwerfen, dass diese Gegensätzlichkeiten installiert und aufrecht erhält. Schaut man sich diesen sozialen Gegensatz genauer an, dann handelt es sich um die als Konkurrenz von Privateigentümern existierende Freiheit, je nach den Mitteln, mit denen man in dieser Konkurrenz ausgestattet ist, sein Kapital zu verwerten oder seine Arbeitskraft einzusetzen. Gerade in den Form, dass durch das Grundgesetz alle Staatsbürger gleichermaßen auf die Anerkennung von Person und Eigentum verpflichtet werden, ist der Tatbestand, dass sich deren materielle Ausstattung gravierend unterscheidet, scheinbar ausgelöscht und wird damit als (gewaltsam garantierte) Anerkennung des gesellschaftlichen Antagonismus verpflichtend.
    Das zweite Kapitel behandelt „Das Privateigentum“. Nach einer ideologiekritischen Würdigung unterschiedlicher Theorien zur Rechtfertigung der Notwendigkeit von Privateigentum befasst sich Krölls mit der staatlichen Eigentumsgarantie als Gewährleistung des kapitalistischen Produktionsverhältnisses. Privateigentümer stehen sich in einem ökonomischen Abhängigkeitsverhältnis gegenüber, das zugleich ihren gesellschaftlichen Zusammenhang stiftet. Um an den gesellschaftlichen Reichtum heran zu kommen, muss man folgerichtig über Geld verfügen, was für die Mehrheit der Bürger dieser Gesellschaft den Sachzwang in die Welt setzt, sich ein Leben lang um Arbeit bemühen zu müssen, die allerdings nur dann gebraucht wird, wenn sie anderen zur Vermehrung ihres Eigentums hilft. Dass Eigentum das Recht zur Aneignung fremder Arbeit ist wird auch nicht durch dessen im Grundgesetz verankerte Sozialpflichtigkeit ausgehebelt, einem der Grundpfeiler der sozialen Marktwirtschaft. Anhand von drei Beispielen (der Steuerhoheit, dem Umwelt- und Verbraucherschutz und der Arbeitsschutzgesetzgebung) erläutert Krölls seine Auffassung, dass die Sozialpflichtigkeit nicht im Gegensatz zur Geltung des Eigentumsprinzips steht, sondern im Gegenteil der Staat durch diverse Beschränkungen dafür sorgt, dass sich dieses erst so recht entfalten kann und Störungen dabei möglichst gering ausfallen.
    Das dritte Kapitel behandelt „Gemeinwirtschaft-Verstaatlichung- Privatisierung“ – und auch hier geht es um eine detaillierte Schilderung von Tatbeständen, die scheinbar als staatliche Einschränkung des Privateigentums daher kommen, in Wirklichkeit aber diesen als ideellen Hüter desselben ausweisen, weshalb er schon einmal mit Zwang seinem Standpunkt Geltung verschafft, dass um des Funktionieren des Ganzen willen auch einzelne Unternehmen Schaden nehmen können. Die Verstaatlichung der Hypo Real Estate Bank oder die Privatisierungen auf kommunaler und nationaler Ebene zeugen von den Abwägungen, die mit Blick auf ein möglichst optimales Wachstum staatlicherseits getroffen werden und die sich oftmals im Spannungsverhältnis von Rentabilitätsminderung und Gewährleistung öffentlicher Infrastruktur bewegen.
    Das vierte Kapitel befasst sich mit „Gewerkschaften, Tarifwesen und Arbeitskampfrecht“ und damit mit dem auch von den Gewerkschaften gefeierten grundgesetzlichen Tatbestand der Koalitionsfreiheit. Hierunter ist nach Krölls allerdings nur eine sehr bedingte „Lizenz zum Klassenkampf“ zu verstehen, da der Zwang, sich zur Verteidigung seiner Interessen zusammenschließen zu müssen, auf eine Produktionsweise verweist, die eben dies immer wieder notwendig macht. Eine Überschreitung dieser grundsätzlichen Grenze würde das die Koalitionsfreiheit gewährende Subjekt auf den Plan rufen und was das bedeutet würde eher in ein Kapitel zur Geschichte der Arbeiterbewegung gehören. Tarifvertragswesen und Arbeitskampfrecht sind im Lichte ihrer Funktionalität für die Aufrechterhaltung der kapitalistischen Produktionsweise deshalb auch nicht der staatlichen Kontrolle entzogen, sondern werden von diesem auf ihren maßvollen und dem Gemeinwohl dienenden Gebrauch hin überprüft und ggf. modifiziert.
    Das fünfte Kapitel setzt sich mit dem Sozialstaatsprinzip auseinander. Krölls warnt davor, aus der Tatsache, dass es einen Sozialstaat gibt, zu schlussfolgern, dass dessen Daseinszweck darin bestünde, Arbeitslosen, Kranken oder alten Menschen ihr Dasein zu sichern. Schon die Finanzierung der Solidarsysteme zeigt, dass der Sozialstaat der Wirtschaft einen Dienst erweisen will, weil er durch die verpflichtende Vergemeinschaftung von Lohnbestandteilen Leistungen zustande bringt, die das organisierte Unternehmertum aus sich heraus nicht zustande brächte. Die Erhaltung der Brauchbarkeit und Verfügbarkeit von Teilen der lohnabhängigen Bevölkerung nutzt deren (potentiellen) Anwendern und ist nicht als Lebensstandard sichernde Maßnahme mißzuverstehen. Hartz IV ist der handfeste Ausdruck der staatlichen Kalkulation, mit wie viel Aufwand er seinen „Inklusionsauftrag“ noch wahrnehmen soll und ob sich dieser mit Blick auf die abnehmende Erwerbsarbeit überhaupt noch rechnet. Dass Fordern und Fördern sich mit Blick auf diese Funktion gar nicht unterscheiden – in diesem Urteil kann man Krölls nur zustimmen, wenn man sich die Vermittlungspraxen der ARGEn vor Augen führt. Der Sozialstaat definiert angesichts der internationalen Standortkonkurrenz seine Interventionszwecke gegenüber einem wachsenden Teil der Bevölkerung so um, dass er deren Sozialintegration für weniger förderungswürdig hält – und – hier argumentiert Krölls mit Blick auf linke Verfechter der Sozialstaatsidee – er handelt dabei nach dem gleichen Maßstab, mit dem der alte Sozialstaat im Prinzip jedes Gesellschaftsmitglied als potentiell tauglich für weitere produktive Verwendung beurteilt hat. Für im Bereich der Arbeitsmarktpolitik tätige Wissenschaftler besonders lesenswert ist Krölls Auseinandersetzung mit Kritikern der Hartz IV Regelungen, die ungeachtet von deren Wirkungen davon ausgehen, dass diese eigentlich ihrem Gegenteil, nämlich der Bekämpfung von Armut und Ausgrenzung dienen müssten. Die Forderung nach mehr Gerechtigkeit oder der Verweis auf die (geschädigte) Menschenwürde sind keine Einwände gegen die realen Beweggründe von Gesetzen wie Hartz IV, sondern teilen deren Absicht – wenn auch unter Zähneknirschen.
    Das Kapitel 6, das sich der Demokratie als Herrschaftsform widmet, beginnt Krölls mit einem Hinweis darauf, dass diese sich – entgegen Auffassungen im linken Spektrum der Republik – durchaus mit dem Tatbestand einer Klassengesellschaft verträgt. Vorstellungen von unzureichender Legitimation der Herrschenden oder die Sorge um die mangelnde Zuwendung des demokratischen Staates gegenüber seinen unterprivilegierten Bürgern sind aus Sicht des Verfassers nicht geeignet, sich ein wissenschaftliches Urteil über diese Staatsform zu erarbeiten. Das Grundrecht auf Meinungsfreiheit ist – so Krölls – denn auch nicht die Selbstverständlichkeit, das jeder Mensch seine Interessen auch artikulieren darf, sondern die Verpflichtung auf einen Meinungspluralismus, der der die Meinungsfreiheit gewährenden Staatsmacht souveräne Handlungs- und Entscheidungsbefugnis verschafft. So bleibt die Unzufriedenheit die Begleitmusik zu den eingeschränkten Möglichkeiten der eigenen materiellen Existenz und der demokratische Streit folgenlos. In der demokratischen Wahl vollzieht sich aus Sicht des Autors denn auch alles Andere als eine Durchsetzung geschädigter Interessen: regelmäßig lässt sich der demokratische Staat eine Generalvollmacht für seine politische Herrschaftsausübung erteilen, wobei die Alternativen, die sich dem Wahlvolk präsentieren, sich aus einer Parteienkonkurrenz um das bestmögliche Vorankommen der Staatsnotwendigkeiten ergeben. Die Wähler unterwerfen sich willentlich einer Staatsmacht, die in den darauf folgenden 4 Jahren mit dieser Legitimation ihre eigenen souveränen Zwecksetzungen verfolgt. Wer sich die Auseinandersetzungen in der neuen Koalition in Folge der letzten Bundestagswahl betrachtet, wird diesen von Krölls behaupteten Tatbestand schwerlich bestreiten können.
    Das abschließende siebte Kapitel behandelt „Das deutsche Staatsvolk, die Ausländerfrage und das Asylrecht“. Mit der Zuteilung der Staatsbürgerschaft scheidet der Rechtsstaat zwischen dem Volk, das zu ihm gehört, und der Bevölkerung, die auf seinem Territorium lebt. Zu dieser gehören auch Ausländer. Im Ausländerrecht finden sich hoch differenzierte Abstufungen des Rechtsstatus von Ausländern, die sich daran orientieren, wie brauchbar diese für inländische Anwendungszwecke sind bzw. in welchem Verhältnis zur deutschen Staatsmacht die Nation steht, aus der sie stammen. Das Asylrecht knüpft – so Krölls – an diese Logik an, indem es politisch Verfolgte bis zu einem gewissen Prozentsatz aufnimmt und gleichzeitig bestrebt ist, Deutschland möglichst zur flüchtlingsfreien Zone zu machen. Weshalb bei der Wahrnehmung des Rechts auf Asyl stets der Missbrauch dieses Rechts als Verdacht geäußert wird, verdankt sich dem Einsatz des Asylrechts als Waffe gegen andere Nationen und deren Verständnis von Menschenrechten, was mit Blick auf die Aufnahme von Flüchtlingen möglichst folgenlos bleiben soll. Das Asylrecht lebt davon, dass es nicht in Anspruch genommen wird.
    Das Buch von Krölls endet mit einer Schlussbetrachtung, in der nochmals seine Anschauung verdeutlicht, dass eine Bilanz des Grundgesetzes und seiner Leistungen eigentlich keinen Grund abgeben, in feierliche Stimmung zu geraten.
    Diskussion
    Das Buch von Albert Krölls ist von seinem Anspruch und seiner Durchführung her eine herausragende Neuerscheinung. Krölls gelingt es mit einer präzisen und jederzeit nachvollziehbaren Argumentation gängige Vorstellungen über Wohl und Wehe demokratischer und kapitalistisch verfasster Gesellschaften zu desavouieren und gleichzeitig eine Erklärung für die Entstehung solcher Ideologien zu liefern. Das Buch sollte deshalb zur Grundausstattung insbesondere im Fach Politikwissenschaft gehören, deren Vertreter sich inzwischen mehrheitlich als Politikberater oder journalistische Kommentatoren des Zeitgeschehens verstehen. Dem Buch wird sicherlich der Vorwurf gemacht werden, es sei theorielos. In der Tat verzichtet Krölls darauf, seine Argumentation in einen methodologisch abgeleiteten Erklärungskontext zu stellen, sondern er bemüht sich um eine Klärung der Sache. Und dies gelingt ihm mit begrifflicher Klarheit und Überzeugungskraft. Es könnte auch als Mangel gedeutet werden, dass der Autor auf Rezepte oder Hinweise darauf, wie sich denn die von ihm kritisierte Gesellschaftsordnung besser gestalten ließe und welche Alternativen er vorschlagen würde, gänzlich verzichtet. Das mag man bedauern, würde aber (und bei genauem Lesen kann man diese Antwort schon im Text finden) Krölls Replik herausfordern, dass genau diese Alternativsuche davon abhält, sich gegen das Kritisierte zu engagieren. Für soziale Berufe an einschlägigen Bildungsinstitutionen ein Lehrstück, weil hier so manches Mal die Arbeitslosigkeit und Armut in der Gesellschaft mit Sozialraumromantik u.ä. bekämpft werden soll.
    Dem VSA-Verlag ist mit diesem Buch ein Highlight seines Verlagprogramms gelungen, dem man nur die breiteste Rezeption wünschen kann.
    Fazit
    Auch wenn Krölls Streitschrift nicht den Anspruch erhebt, eine systematische Staatsableitung vorzulegen, sind die sieben Kapitel seines Buches doch grundlegende Erklärungen von Staatsfunktionen, die insgesamt den Anspruch erheben dürfen, eine systematische Erklärung der Staatstätigkeit zu liefern. Dass sich das hieraus ergebende Fazit keinen Grund zum Feiern abgibt, darf man dem Autor nicht zum Vorwurf machen. Es verdankt sich wohl der behandelten Sache.“
    Rezensent
    Prof. Dr. Norbert Wohlfahrt
    Jg. 1952, Professor für Sozialmanagement, Verwaltung und Organisation am Fachbereich Sozialarbeit der Evangelischen Fachhochschule Bochum
    Forschungsschwerpunkte: Entwicklung sozialer Dienste, Wohlfahrtsverbände, Sozialpolitik und Sozialstaat
    Homepage http://www.efh-bochum.de/homepages/wohlfahrt

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