Nehmen wir einmal die Beschreibung: „Die von der Dominanz der G8 geprägte Welt ist eine Welt der Kriege, des Hungers, der sozialen Spaltung, der Umweltzerstörung und der Mauern gegen Migrantinnen und Flüchtlinge.“ Ja, das kann man sagen, dagegen ist nichts einzuwenden. So ist es. Wer mit so etwas anfängt, steht ein aber wenig in der Pflicht, zu sagen warum das so ist. Denn für sich deutet er bloß auf Fakten. Auf Fakten, übrigens, und das ist ganz wichtig, die kein Schwein bestreitet. Es gibt niemanden, der das Gegenteil sagt. Wenn man die Kanzlerin nimmt, und von ihr die Liste der Aufgaben, die sie behandeln will, sieht, dann steckt in dieser Liste der Aufgaben das Bekenntnis zu all diesen Beschreibungen. Wenn die Kanzlerin sagt, wir brauchen friedensfördernde Maßnahmen, wir brauchen friedenserhaltende Interventionen, was ist das anderes, als ein Bekenntnis dazu, dass in dieser Welt Kriege herrschen? Wenn sie sagen, wir müssen uns um Afrika kümmern, Armutsbekämpfung ins Auge fassen, ist das etwas anderes, als zu bekennen, Hunger ist millionenfach? Natürlich, das ist denen doch klar, die leiten doch daraus gerade ihre Aufgabe ab! Die soziale Spaltung, ja, die kennen sie auch. Das ist jetzt mehr nach innen gedacht, also bei uns gibt es jetzt das Problem der „Unterklasse“. Umweltzerstörung, ja die Kanzlerin setzt das auf die Tagesordnung des Gipfels. Daß die Umweltzerstörung existiert und fortschreitet, ist denen klar, ist der Öffentlichkeit klar, ist den Protestlern klar.
Wenn man das als Faktum so hinsetzt, dann wird schon die Frage, wir protestieren dagegen, zu einer heiklen Frage. Gegen einen Faktum protestieren, dass niemand bestreitet, ist eine heikle Geschichte. Was soll das denn eigentlich überhaupt heißen: Ich protestiere gegen den Hunger? Man hört schon raus: Der sollte nicht sein. Aber das sagt ja nun doch wirklich jeder, dass der nicht sein sollte. Wen gibt es denn, der sagt, ich bin dafür, daß mehr gehungert wird (außer im Augenblick der deutsche Ernährungsminister, aber das ist wieder etwas anderes)? Gegen Fakten, die niemand bestreitet, kann man eigentlich auch nicht protestieren. Protestieren kann man doch bloß gegen den Zweck, das Interesse, den Standpunkt, der das, was alle für das Übel halten, verursacht. Protestieren kann man eigentlich bloß gegen den Verursacher, gegen den Zweck, der diese negative Wirkung hervorbringt. Aber man kann nicht gegen die Wirkung protestieren. Man merkt also, das ist schon windschief wenn jemand sagt, dagegen wollen wir protestieren.
Das liest sich dann weiter (ich habe da jetzt etwas ausgelassen): „Alle 5 Sekunden stirbt in der Welt ein Kind an Hunger, mehr als 800 Millionen Menschen sind unter. Verantwortlich dafür ist eine ungerechte Welthandelspolitik der G8. Trotz vollmundiger Versprechungen vom G8- Gipfel in Glenneagles wurde den Ländern des Südens bislang nur ein geringer Teil ihrer Schulden erlassen. Die G8-Staaten sind die größten Klimazerstörer, sie sorgen für 41% des weltweiten CO2-Ausstoßes. Die G8-Staaten sind verantwortlich für 90% der weltweiten Waffenexporte und für eine neue Ära von Rohstoffkriegen.“ Und so zu, da gibt es noch viel. Aber es ist immer eine Liste von Übeln, die im Grunde jeder für ein Übel hält und dann fügen sie den Verursacher hinzu.
Warum die G8 das macht, ist nicht ihre Sache. Man merkt das auch, die sagen nicht, wir wollen gegen das protestieren und die Gründe dafür sagen, sondern sie wollen Alternativen aufzeigen. Sie wollen sagen, das müsste doch nicht sein. Sie wollen nicht sagen, warum es so ist. Jetzt ist es eh schon eine komische Botschaft über Großmächte, von denen man zu erzählen weiß, dass die so unglaublich zerstörerischen Waffen haben, daß die die ganze Welt zwingen können, wenn sie es wollen, von Großmächte in dieser Art zu sagen, sie tun in der Welt Schlechtes und nicht Gutes. Ja, wozu haben Sie denn Ihre Waffen, doch nicht um Geschenke zu machen? Man redet doch von Mächten, von Staatsgewalten. Und das alles ist doch gar kein Geheimnis. Und das alles wird hingesetzt, um dann zu sagen, und mit all diesen Mitteln tun sie Schlechtes und Nicht Gutes. Wie gesagt, man ist in der Pflicht zu sagen, warum sie das tun, aber das interessiert sie gar nicht, im Gegenteil: In dem negativen Urteil, das gute, was sich die Kritiker vorstellen können, tun die Großmächte nicht, in diesem negativen Urteil sind sie zufrieden, bei diesem negativen Urteil bleiben sie stehen, und es ist sogar aktiv der Konsens der Bewegung, daß nur das negative Urteil eine gemeinsame Position ist.
Um diesen Punkt noch etwas auszuführen: die breite Bewegung verspricht sich untereinander, sie ist solidarisch. Und sie ist solidarisch dadurch, dass nicht irgendeiner seine Ursachenforschung den anderen aufzwingen will. Einig ist sich die Bewegung bloß in der Benennung der Übel. Kaum fängt einer an zu sagen, das ist die Ursache, sagen Sie untereinander, du magst das so sehen, aber das macht nicht die Bewegung aus, die Bewegung ist einig nur in der Benennung der Übel. Es gibt sogar Aufrufe, dasteht drin, „manche nennen das Kapitalismus“, und da weiß ich jetzt gar nicht genau, ob daß einer von denen war, die selber nicht Kapitalismus sagen wollen, sondern sagen, es gibt welche, die sehen das so, aber uns macht das nichts, denn wir sammeln alle, die sich zum negativen Urteil bekennen, die die Abwesenheit des Guten beklagen wollen. Oder ob es welche waren, die auf eine ganz pluralistische Art und Weise ihre Deutung mal zum Angebot machen wollten: Manche nennen das Kapitalismus, wir nämlich! Es ist schon wurscht, ob es solche oder solche waren, in beiden Fällen ist es die Trennung der Erklärung der Ursache von dem Übel. Die Anprangerung des Übel ist die Gemeinsamkeit der Bewegung. Die Zurückführung auf die Ursache ist quasi Privatsache des einzelnen Demonstranten, das kann jeder halten wie er will. Umgekehrt: Ein Streit über die Ursachen, da finden die, das wäre eine Schwächung der Belebung, eine Spaltung der Bewegung, und dann wäre die breite Mobilisierung wieder beschädigt. Damit allerdings, und das ist jetzt ganz wichtig, dass sie beim negativen Urteil stehen bleiben, und wirklich der Welt sagen, die tun Schlechtes und nicht Gutes, und mehr noch, die tun Schlechtes und nicht das Gute, das wir für nötig hielten und uns wünschen würden, mit diesem Satz tun sie so, als wenn sie eine Aussage über die Staaten und ihre Zwecke geboten hätten, dabei ist es immer noch bloß ein negatives Urteil. Das Feststellen einer Abwesenheit und nicht das Feststellen, was passiert, und worum es dabei geht. Das war A.