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Was damals Recht war, kann heute nicht Unrecht sein

12. Mai 2007

Beim rumgoogeln bin ich auf ein recht frisches Urteil des Bundesverwaltungsgericht gestoßen, in dem jemand dem Verfassungschutz bestreiten wollte, ihn als Mitglied der Marxistischen Gruppe zu führen, was bei seinem Antrag auf Ermächtigung zum Zugang zu Verschlusssachen in seinem Unternehmen zu Tage kam.
Da das Urteil in mancher Hinsicht starker, durch und durch rechtsstaatlicher Tobak ist, hier ein paar Exzerpte:

Die „Marxistische Gruppe“ kenne keine förmliche Mitgliedschaft; die Gruppenzugehörigkeit finde vielmehr „im Kopf des Einzelnen“ statt. Die Feststellung in der Personenakte, der Kläger sei langjähriges Mitglied der MG, stelle daher eine zusammenfassende Wertung tatsächlicher Anhaltspunkte für eine langjährige Zugehörigkeit des Klägers zur MG dar. Dass derartige Anhaltspunkte bestünden, sei unbestritten und unbestreitbar.
Die Beklagte macht geltend: Nach dem Wortlaut von § 13 Abs. 1 BVerfSchG setze ein Berichtigungsanspruch voraus, dass das Bundesamt die Unrichtigkeit der Akten positiv feststelle. Daran fehle es; das Bundesamt gehe vielmehr unverändert von der Richtigkeit des Inhalts der Personenakte aus. Das Berufungsgericht dehne die Vorschrift auf Fälle der Nichterweislichkeit aus. Dies möge angebracht sein, wenn die Nichterweislichkeit auf eine rechtswidrige Weigerung des Bundesamtes zurückgehe, seine Quellen zu nennen. Eine rechtmäßige Weigerung dürfe aber nicht zu Lasten des Bundesamtes gehen. Diese Auslegung des Gesetzes führe zu untragbaren Konsequenzen für die weitere Tätigkeit des Verfassungsschutzes und die Sicherheitsüberprüfung.
Ist infolge einer Weigerung der zuständigen obersten Aufsichtsbehörde nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO, Urkunden oder Akten vorzulegen, elektronische Dokumente zu übermitteln oder Auskünfte zu erteilen, im gerichtlichen Verfahren nicht feststellbar, ob in Akten des Bundesamtes gespeicherte personenbezogene Daten richtig oder unrichtig sind, so kann der Betroffene nicht nach § 13 Abs. 1 BVerfSchG die Beifügung eines Unrichtigkeitsvermerks verlangen.
Damit ist zugleich über die Verteilung der Beweislast entschieden: Verlangt der Betroffene die Beifügung eines Unrichtigkeitsvermerks zu in Akten enthaltenen personenbezogenen Daten, so trägt er die Beweislast, wenn sich im Prozess weder die Richtigkeit noch die Unrichtigkeit feststellen lässt. Das gilt auch dann, wenn dem Betroffenen damit im Einzelfall der Beweis für das Nichtvorliegen eines Umstandes obliegt; die Schwierigkeit eines Negativbeweises ändert die Verteilung der Beweislast grundsätzlich nicht.
Das Bundesamt aber war zu der vom Berufungsgericht vermissten näheren Darlegung „widerlegbarer Umstände“ nicht verpflichtet, ja rechtlich gar nicht imstande. In der Diktion der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs war ihm die nähere Darlegung rechtlich nicht möglich oder „zumutbar“. Dem stand nämlich die Sperrerklärung des Bundesinnenministeriums nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO entgegen. Macht die oberste Aufsichtsbehörde von dieser Möglichkeit der Geheimhaltung rechtmäßig Gebrauch, so ist der im Prozess beteiligten Behörde insoweit eine nähere Darlegung aus Rechtsgründen nicht möglich. Dass die Sperrerklärung im vorliegenden Fall aber rechtmäßig war, steht nach der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO bindend fest.
Dass personenbezogene Daten, die die Behörde für richtig hält und deren Richtigkeit oder Unrichtigkeit infolge einer berechtigten Sperrerklärung nicht aufgeklärt werden kann, nicht gelöscht oder berichtigt, sondern lediglich mit einem Bestreitensvermerk versehen werden, ist aber durch hinlängliche Gründe des gemeinen Wohls gerechtfertigt. Von einer Löschung oder Berichtigung würden auch Daten erfasst, die richtig sind, deren Richtigkeit lediglich vor Gericht nicht bewiesen werden kann, oder die möglicherweise richtig sind, deren Richtigkeit aber nicht oder noch nicht feststeht. Es besteht ein erhebliches öffentliches Interesse daran, dass derartige Daten in den Personenakten des Bundesamtes erhalten bleiben und von diesem nach Maßgabe der gesetzlichen Vorschriften verwendet werden dürfen. Andernfalls wäre die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben des Bundesamtes gefährdet; damit würde zugleich den im Interesse der öffentlichen Sicherheit in verschiedenen empfindlichen Bereichen vorgeschriebenen Sicherheitsüberprüfungen eine wesentliche Grundlage entzogen. Begründen nämlich derartige Daten den Verdacht etwa verfassungsfeindlicher Bestrebungen oder einer sicherheitsgefährdenden oder geheimdienstlichen Tätigkeit für eine fremde Macht, so bilden sie überhaupt erst die Grundlage für eine weitere Sammlung und Auswertung von Informationen (§ 4 Abs. 1 Satz 3 i. V. m. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BVerfSchG). Zugleich bilden sie eine Grundlage für das Votum, welches das Bundesamt als mitwirkende Behörde im Rahmen von Sicherheitsüberprüfungen (§ 3 Abs. 2 SÜG, § 3 Abs. 2 Nr. 1 BVerfSchG) gegenüber der zuständigen Stelle abzugeben hat (§ 5 Abs. 1 i. V. m. § 14 Abs. 2 SÜG).
Weitere Ermittlungen sind nicht angezeigt. Namentlich besteht nicht die Möglichkeit, das Bundesamt auch im vorliegenden Hauptsacheverfahren zur Vorlage der gesperrten Akten „in camera“ zu veranlassen. Das geltende Prozessrecht sieht eine Beweisaufnahme „in camera“ nicht vor.
Dann aber muss nach Beweislast entschieden und die Klage abgewiesen werden.

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