Griechenland: Das Land wird drastisch ärmer

31. Mai 2012 Kommentare ausgeschaltet

Der Londoner Guardian vom 31.05.2012 hat folgende Grafik vom drastischen Einbruch des Einzelhandels und damit der Lebensverhältnisse in Griechenland gebracht:
Griechenland Umsatzrückgang

„Retail sales in March were 16.2% lower than a year ago on a volume basis, accelerating the decline in consumer spending (February’s data showed a 12.9% tumble).“

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Abschrift eines Vortrages von Rolf Röhrig zur Moralkritik

31. Mai 2012 Kommentare ausgeschaltet

Auch andere machen sich die Mühe, Vorträge abzutippen: Ich habe eine Abschrift eines Vortrags von Rolf Röhrig vom GegenStandpunkt zur Kritik der Moral und ihrer „Werte“ (28.01.2009 in München, als MP3 bei argudiss anzuhören) zugeschickt bekommen mit der Bitte, das verfügbar zu machen. Die Datei im MS-doc-Format oder als PDF findet man nun im Downloadbereich unter Diverses. (Rolf hatte auf meine Anfrage dazu übrigens geschrieben „Du kannst die Mitschrift gern veröffentlichen.“)

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13.06.12¦ Berlin¦ Europa soll gesunden – durch mehr Armut überall!

30. Mai 2012 Kommentare ausgeschaltet

Am 13. Juni 2012 wird es eine Veranstaltung des GegenStandpunkts im Festsaal Kreuzberg in Berlin geben:
Krisenpolitik in der EU: Europa soll gesunden durch mehr Armut überall!
Referentin: Margaret Wirth
Festsaal Kreuzberg
Skalitzer Str. 130, 10999 Berlin (am Kotti)
19:30 Uhr, 13.06.2012
Dazu hat es in der „jungen Welt“ vom 14.05.2012 einen Artikel des GegenStandpunkts gegeben, der sich gut als Vorbereitung eignet. Es gibt ihn auch als PDF
Auf kk-gruppe.net wird die Veranstaltung so angekündigt:

„In Griechenland, einem Mitglied des stärksten Wirtschaftsblocks des 21. Jahrhunderts, wird inzwischen gehungert; die Renten und der mickrige staatliche Mindestlohn, an dem auch alle anderen Löhne im Land orientiert sind, werden um mehr als 20% gekürzt. Im öffentlichen Dienst werden Zehntausende entlassen, weitere sollen folgen; die Arbeitslosigkeit liegt auf einem Dritt-Welt-Niveau von 25%. In Spanien, Portugal etc. ist es nicht viel besser. Dort ist eine ganze Generation oft gut ausgebildeter junger Leute ohne Job, ohne Mittel und ohne Perspektive. Mit Renten, Gesundheitsleistungen und Löhnen wird ähnlich verfahren wie in Griechenland, zugleich werden die verarmten Bürger mit immer höheren Steuern und öffentlichen Gebühren für die Staatskasse in Anspruch genommen.
Die Finanzlage der betreffenden Nationen bessert sich dadurch nicht. Die Staatsausgaben sinken zwar, die Staatseinnahmen aber noch mehr, weil das staatliche Sparen die Wirtschaftstätigkeit im Land abwürgt. Aus all dem Elend folgt nur eines: Es ist noch lange nicht genug!
Damit sie endlich wieder Kapitalwachstum erzeugen, sollen die Partner ihre Länder gefälligst wettbewerbsfähiger machen, verlangt die deutsche Kanzlerin. Und wie geht das ohne neue große Staatsausgaben? Natürlich durch die weitere Senkung der Löhne, durch die Demontage von Kündigungsschutz, die Abschaffung geregelter Arbeitsverhältnisse und das Aufbrechen von bisher geschützten Branchen und Berufen: Arbeit in Europa muss billiger werden! Frankreich, Italien und andere brauchen dringend die Übernahme der deutschen Arbeitsmarktreformen unter Kanzler Schröder: Seine Arbeitslosenunterstützung am Existenzminimum (Hartz IV) und die Erpressung, auch die noch zu streichen, hat die Arbeitslosen gezwungen, jede Arbeit zu jedem Preis anzunehmen. Die Nötigung der Arbeitslosen, sich für alles herzugeben, hat einen wunderbaren Niedriglohnsektor wachsen lassen und über ein ganzes Jahrzehnt lang auch die Löhne im Nicht-Niedriglohn-Bereich nicht nur stabil gehalten, sondern gesenkt.
In der großen europäischen Krise ist Deutschland der Garant der Schulden der Nachbarstaaten, der Zuchtmeister bei deren sparsamer Haushaltsführung und das leuchtende Vorbild dafür, wie „es geht“: Politik, Wirtschaft und Medien in Deutschland schämen sich nicht dafür, das Lebensniveau der Arbeiterklasse nach unten reformiert zu haben; sie sind stolz, damit so erfolgreich gewesen zu sein: Heute schaffen in Deutschland mehr Menschen mehr Stunden denn je, und das für weniger Geld als die Jahrzehnte davor.
Erfolgreiche wie erfolglose Staaten der EU demonstrieren je auf ihre Weise: Der Reichtum ihrer Nationen beruht auf der Armut der Masse ihrer Bürger.
Das ist keine Propagandalüge und kein Fall von schlechter Politik, sondern hat System.“

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Rolf Röhrig: „Nein, das will „man“ so nicht geschehen lassen“

27. Mai 2012 7 Kommentare

Rolf Röhrig, einer der Wortführer des GegenStandpunkts, hat als Antwort auf eine pro-imperialistisch gemeinte Frage aus dem Publikum zum Schluß seines Vortrags zur Kritik der Menschenrechte bei der Veranstaltung in Frankfurt am 23.05.2012 Folgendes gesagt:

„Will man das so geschehen lassen? Nein, das will „man“ so nicht geschehen lassen. Und wenn ich mich selber darauf befrage, was könnte ich denn da tun, dann muß ich sagen:
Wenig. Ich bin ein Staatsbürger dieses Staates, aber ich könnte versuchen auf jenes Gelände zu kommen. Heikel. Ich bin ein Mitglied der europäischen Sprachgemeinschaft und jener Sprache nicht mächtig. Gut, ich könnte versuchen, die Sprache zu lernen oder mir jemand greifen, der sie beherrscht. Wenn ich diese, quasi gewaltigen Hindernisse aus dem Weg geräumt hätte, dann wäre mein Anliegen, in Libyen Flugblätter zu schreiben und unter die Menschen zu bringen, um ihnen zu sagen: Für die Frage, von welcher Sippschaft man beherrscht wird, Senoussi oder Gaddafi, für so eine nationale Frage der Herrschaft bringt man sich nicht wechselseitig um. Man soll sich überhaupt nicht um die Frage streiten, welche Sorte Herrschaft man über sich etabliert haben will, sondern man soll sich vielmehr über die Frage verständigen, wie man sein gesellschaftliches Leben uns seine Wirtschaft so gestaltet, dass alle gut leben können. Man hätte an die Stelle der nationalen Frage, für die in Libyen zerstrittene Clans sich wechselseitig massakrieren, die soziale Frage zum Gegenstand der Befassung zu machen: Wie wollen wir leben, damit das Leben besser wird?
Du merkst, ich lasse mich auf deinen Gedanken ein, und du nötigst mich damit natürlich zu sehr vielen Wenns, Wenns, Wenns, Abstraktionen die ich erledigen muß. Ja, und deswegen gelingt es mir auch nicht, dass ich in Libyen meine Flugblattaktion starte. Aber wenn ich gefragt bin, was ich ganz konkret dort bewirken will, dann ist es das. Ich will die Menschen dazu bringen, dass sie sich über ihre gesellschaftlichen Verhältnisse einen Reim machen, um ihr Leben für sich auskömmlicher zu gestalten.“

Das ist mit viel gutem Willen so ungefähr das Konkreteste zu revolutionärem Internationalismus, oder wie auch immer man das dieser Tage nennen will, was ich in letzter Zeit (nun ja eigentlich überhaupt) von Genossen des GegenStandpunkt gehört oder gelesen habe. Insbesondere bei deren zahlreichen Kuba-Veranstaltungen der letzten Zeit hätte es meiner stehenden Auffassung nach dem GSP gut zu Gesichte gestanden, wenn gerade zu diesem Punkt etwas ausgeführt worden wäre. Das, was da jeweils überhaupt dazu gekommen ist, (das wurde ja nie völlig ausgeblendet,) habe ich jedesmal zum Anlaß für einen Artikel genommen, in der Hoffnung, daß das wenigstens im Nachhinein eine Diskussion darüber anstößt, die es auf den Veranstaltungen ja kein einziges Mal gegeben hat. Kam aber auch nicht (wirklich), was auf den ersten Blick das Ausblenden sozusagen rechtfertigen könnte. Wie man sich denken kann, finde ich das aber weiterhin nicht.

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Krölls zur Kritik der Psychologie (Vortrag 10.05.12 in Augsburg)

24. Mai 2012 2 Kommentare

Ich habe das Skript des Vor­trags von Al­bert Krölls zu sei­nem Vor­trag zur Kri­tik der Psy­cho­lo­gie vom 10.​05.​2012 in Augs­burg, daß KoKa Augsburg veröffentlicht hat, umformatiert und in den Download-Bereich unter Diverses gestellt.

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Einwände gegen die Politik des Blockupy-Bündnisses

17. Mai 2012 1 Kommentar

Widerstand gegen Verarmung – für einen sozialeren und demokratischeren Kapitalismus?
Europa spart – am Lebensunterhalt seiner Bürger. Die demokratischen europäischen Regierungen machen das Leben ihrer Völker dafür haftbar, dass ihre Wirtschaft zu wenig wächst und die Kreditwürdigkeit ihrer Nation dahin ist. Deswegen haben die verantwortlichen Staatsführer ihren Bürgern ein gewaltiges soziales Abbruchprogramm verordnet. Betroffene melden sich zu Wort und protestieren. Dass sie das tun, ist überfällig. Nur wie!
1.
”Widerstand tut not: Die Troika aus EU, EZB und Internationalem Währungsfond nutzt überall in Europa die Staatsschulden als Hebel, um radikale Kürzungen zu verordnen. Diese sind undemokratisch und unsozial.” (Pressemitteilung Blockupy-Bündnis Frankfurt)
Der Entschlossenheit, mit der alle Regierungen in Europa ”gleich welchen politischen Lagers” (Demo-Aufruf) ihre Staatshaushalte von allen „unproduktiven” Kosten entlasten, also am Lebensunterhalt ihrer Völker sparen, lässt sich entnehmen, was die aktuellen Staatsnotwendigkeiten sind. Für diese Regierungen sind Spardiktate zur drastischen Verarmung ihrer Bevölkerung „alternativlos”. Das sollten die Protestierer einmal ernst nehmen. Für die Standortverwalter geht es ums Ganze: Die Rettung des Euro, die Sanierung des Staatshaushalts und die Gesundung der Marktwirtschaft, die den Insassen der Kapitalstandorte Europas als unabweisliches Lebensmittel vorgesetzt wird – das ist marktwirtschaftliche Staatsräson, und die ist nur durch eine durchgreifende Verschlechterung der Lebenslage der Bevölkerung zu haben. Und zwar nicht nur vorübergehend, sondern dauerhaft. Das beweisen die Kürzungsorgien bei Renten, Gesundheit und überhaupt allen Bereichen, die den Lebensstandard der Leute ausmachen.
Blockupy-Anhänger meinen, all dies müsste gar nicht sein, wenn es in Europa wirklich demokratisch und sozial zuginge. Woher nehmen sie bloß ihre Gewissheit, dass hierzulande ein Rechtsanspruch gegen Verarmung existiert? Von den real existierenden europäischen Demokratien können sie das unmöglich herhaben.
2.
Blockupy kennt noch ein weiteres Verbrechen, das die von der Troika verordneten ”radikalen Kürzungen” anrichten: ”Sie verschärfen die Krise.” (Pressemitteilung) Sie seien”ökonomisch unsinnig” und würden ”die Konjunktur abwürgen”; besser solle man ”in Schuldenaudits die Rechtmäßigkeit der öffentlichen Schulden bewerten”(Attac).
Soll man den Finanz- und Wirtschaftspolitikern wirklich schlechtes Management der Krise vorwerfen? Was wäre denn eines, das den Massen gut bekommt? Soll man sich im Ernst in die Logik der Verwalter von Kapitalstandorten hineindenken und mit den Staatsschuldenmanagern darum rechten, wie Staatshaushalte rechtlich einwandfrei zu sanieren und das Wachstum des Geldreichtums von Kapitalisten anzukurbeln wären? Wie Löhne so festzusetzen wären, dass sie den Geschäftemachern nicht bloß als stets zu senkender Kostenfaktor, sondern auch noch zur Versilberung ihrer Produkte dienen könnten? Soll man sich also den kapitalistischen Laden mit seinen unversöhnlichen Interessen – auf die spielen die Widerstandsparolen von Blockupy ja jedenfalls noch an! – als ein Gemeinschaftswerk von Krisenbewältigern einbilden und sich sein gutes Gelingen zum Anliegen machen?
3.
Bei Blockupy kennen sie eben noch ganz andere Opfer der „Troika” als die geschädigten Leute. Mindestens so schlimm wie der ”soziale Kahlschlag” soll am ”Spardiktat”sein, dass es ein Diktat ist. Welch hohe Güter unter dem Label ”undemokratisch” erst unter die Räder kommen! Da soll doch glatt ”die Souveränität der nationalen Parlamente weiter eingeschränkt” werden (Attac); manche im Blockupy-Spektrum sorgen sich auch um eine Aushöhlung des ”Königsrechts des Parlaments”, die Gelder für den Staatshaushalt zu bewilligen. Das ist gut: Gestern noch, als die griechischen, spanischen etc. Parlamente ihre Spardiktate zu Lasten ihrer Bevölkerung beschlossen haben, hieß es aus dem Spektrum der „Empörten”: ‚Diese Politiker vertreten uns nicht!‘. Und jetzt, wo Merkel & Co die Parlamente der minderen Euro-Staaten auf die Linie der kapitalistischen Konkurrenztüchtigkeit bringen – da soll die ”Souveränität der nationalen Parlamente” etwas Verteidigenswertes sein? Habt ihr denn vergessen, dass diese feinen Institutionen zuallererst mal souverän gegen ihr Volk sind, das den Beschlüssen der Gesetzesmacher unterworfen ist? Die Sache mit dem ”Souveränitätsverlust” ist sogar noch ausbaufähig: ”Ganze Völker werden unter das Kürzungsdiktat von EZB, IWF und EU gestellt: Der sog. ‚Fiskalpakt‘ schränkt die demokratischen Selbstbestimmungsrechte der Staaten massiv ein.” (GEW). Schon stark, welche Gleichheitszeichen die Autoren da ganz unbefangen aufstellen: Geschädigte Interessen derBevölkerung = Aushöhlung der Rechte der Herrscherfiguren aus dem Parlament über die Bevölkerung = Einschränkung der Rechte von Staatsgewalten gegenüber anderen Staatsgewalten!
4.
Laut Blockupy-Bündnis steht ”Demokratisierung” vor allem gegenüber der ”Macht der Banken” an: Die EZB ist ”undemokratisch, weil ‚unabhängig‘, damit nicht demokratisch kontrolliert. Was wollen wir? Demokratisierung und Vergesellschaftung des Finanzsektors >>Überwindung kapitalistischer Verhältnisse!” (Blockupy-Präsentation). Und was folgt daraus? Wahl des EZB-Leitzinses durch das Volk? Oder wenigstens Wahl der Finanzfachleute, die den EZB-Leitzins festlegen, durch eine Europa-weite Asamblea? Wie hoch wäre denn bitteschön ein Zinssatz, der dem Wohlergehen des Volkes und den Geschäftsbedürfnissen verschiedener Kapitalisten-Abteilungen gleichermaßen dienlich ist? Für Leute aus dem Blockupy-Bündnis ist es anscheinend kinderleicht, sich das Verleihen und Ausleihen von Geld gegen Zins, also den Gegensatz von Gläubigern und Schuldnern, als ein wirtschaftliches Gemeinschaftswerk vorzustellen. Jedenfalls dann, wenn ein paar Eingriffe von oben vorgenommen würden:
”Die Profiteure der Krise müssen endlich angemessen an ihren Kosten beteiligt werden. Die staatlichen Einnahmen müssen erhöht und Reichtum muss massiv umverteilt werden. Dazu brauchen wir eine stärkere Besteuerung von hohen Einkommen und Vermögen sowie eine Finanztransaktionssteuer, deren Erträge für Armutsbekämpfung, Klimaschutz oder globale soziale Mindeststandards eingesetzt werden.” (Attac)
Offenbar ist im Blockupy-Spektrum die soziale Phantasie entschieden unterentwickelt. Denn unter dem Markenzeichen ”Überwindung kapitalistischer Verhältnisse!”marschieren dann sämtliche Instanzen und Charaktermasken eben dieser Verhältnisse wieder auf, die in der schlechten alten Gesellschaft das Sagen haben und die all die aufgezählten Übel von A wie Armut bis Z wie Zerstörung der Natur verursachen. Vermögende z.B., denen ihr Vermögenssteuern verpassen wollt; oder die ”Profiteure der Krise”, die es ja auch weiterhin geben muss, wenn sie ”an ihren Kosten beteiligt werden” sollen. Und auf der anderen Seite der Klassenscheidung verortet ihr dann ganz folgerichtig auch die Armut und die globalen Sozialfälle als bleibende Einrichtung, wenn ihr per Besteuerung der Spekulanten (ja, auch die sollen ihren Beruf behalten) Mittel zur ”Armutsbekämpfung und globale soziale Mindeststandards” locker machen wollt. Nicht zuletzt habt ihr auch für die Staatsgewalt eine bleibende Verwendung: Die soll das”Raubtier” im Kapitalismus, das ihr statt des Kapitalismus für Krise und Volksverarmung verantwortlich macht, ja schließlich an die Kette legen. Und spätestens mit den Kontrolletis von Blockupy im eingebildeten Aufsichtsrat der Staaten über den globalen Kapitalismus wäre dann aus den national sortierten konkurrierenden Kapitalstandorten eine schöne Gemeinschaftsveranstaltung geworden, die statt der schlimmen lauter gute Werke tut.
5.
”Wir widersetzen uns dem Versuch, mit nationalistischen Parolen die Beschäftigten, die Erwerbslosen, die Prekären in Deutschland und Griechenland, in Italien und Frankreich oder in anderen Ländern gegeneinander aufzuhetzen. Wir setzen dagegen ein Zeichen der Solidarität mit allen Menschen und Bewegungen, die sich seit Monaten schon in Europa gegen die Angriffe auf ihr Leben und ihre Zukunft wehren.” (Aufruf)
Das ist nobel gedacht, angesichts der nationalistischen Hetze, die die demokratische Öffentlichkeit als Begleitmusik zur Krise veranstaltet. Es ist aber auch ein bisschen zu kurz gedacht: Die Völker werden ja nicht erst jetzt gegeneinander aufgehetzt; und sie werden ja nicht nur ideologisch bearbeitet – sie werden längst praktisch gegeneinander aufgestellt, daheim und international. Die kapitalistischen Betriebe und die politischen Standortvorsteher lassen ihr Arbeitsvolk zu einer weltweit geführten Konkurrenz antreten. Die von deutschen Unternehmen benutzte billige Leistung der deutschen Arbeiterschaft ist es, die mit deutschen Exporterfolgen den anderen nationalen Arbeitsmannschaften in Europa Arbeitsplatz und Einkommen bestreitet. Gegen die Wirklichkeit dieses tobenden Konkurrenzkampfes der nationalen Volkswirtschaften und der dafür eingespannten Arbeiterklassen ein demonstratives ”Zeichen der Solidarität” mit allen Betroffenen in Europa zu setzen: Ist das nicht ein bisschen zu billig?!
6.
”Von den Milliardenbeträgen der ‚Eurorettung‘ bekommen die Menschen in den betroffenen Ländern keinen Cent, der Hauptteil fließt direkt an die Banken zurück.” (Aufruf)
Ja, was denn sonst? Der Rettungsschirm heißt doch nicht „Rettungsschirm für den kleinen Mann”! Natürlich kriegen die gewöhnlichen Menschen nicht die Milliarden aus den Rettungsfonds für die Banken und überschuldeten Staatshaushalte. Die dienen der Rettung des Euro, des Allerheiligsten des kapitalistischen Europa-Blocks. Für die Regierungen, die bei jedem Cent fürs Soziale knausern, sind die Milliardensummen zur Rettung des Finanzkapitals und zur Vermeidung des Bankrotts ganzer Mitgliedsstaaten zweckgemäß verausgabt. Der private Geldreichtum und seine Vermehrung, um den sich der ganze Laden dreht, genauso wie die Finanzmacht der Staaten, mit der sie ihren Standort bewirtschaften – das alles steht in Frage, wenn Banken crashen und ganze Nationen bankrott zu gehen drohen; und damit auch die Existenz jedes einzelnen Menschen, der mit Arbeitsplatz und Einkommen abhängig gemacht ist vom Geld- und Finanzwesen. Die Herrschaften vom Schlage der „Troika” lassen wirklich keinen Zweifel daran, welche Interessen in ihrem System ”systemische” Qualität haben – und welche eben nicht!
[diesen Text habe ich der Seite des GegenStandpunkt Marburg entnommen]

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komfor Archiv jetzt bei archive.org

17. Mai 2012 2 Kommentare

Da die ehemaligen Macher vom komfor (oder früher „Kommunistisches Diskussionsforum“) nun die schon jahrelang stillgelegte Webseite endgültig vom Netz genommen haben, habe ich mein Archiv bei archive.org eingestellt, weil doch ab und zu danach gefragt wurde. Es ist dort als 500 MB große ZIP-Datei runterladbar.

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Nachtrag zum 1. Mai: „Wir sind es wert“

14. Mai 2012 Kommentare ausgeschaltet

„Wir sind es wert“:
Die Gewerkschaft Verdi klärt auf über den wahren Wert der Beschäftigten im öffentlichen Dienst – Der besteht in einem Mickerlohn plus 6,42 % geteilt durch zwei.
Die kürzlich zu Ende gegangene Tarifrunde im öffentlichen Dienst hat die Gewerkschaft Verdi mit der Parole: „Wir sind es wert“ bestritten. Warum die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes künftig mehr Geld verdienen sollen, hat die Gewerkschaft so begründet:
„Sie räumen unseren Müll weg, sorgen sich um uns, wenn wir krank sind. Sie sind für uns da, wenn wir ihr Wissen und ihre Unterstützung auf dem Amt benötigen. Sie kommen, wenn’s brennt. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – wir brauchen sie.“
Eine Preisfrage: Wie rechnet man den Gebrauchswert einer Tätigkeit, die hohe Wertschätzung ihres Nutzens, in ein Entgelt um? Nach welcher Formel? Die Frage ernsthaft zu stellen wäre einigermaßen absurd. Jeder Versuch einer Antwort – wie rechnet man Wertschätzung in Geld um – wäre das Eingeständnis: Die Leistungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind teils unbezahlbar – man denke nur an die Feuerwehr, wenn es brennt –, teils völlig nutzlos bis ärgerlich – jeder Amtsbesucher kann davon ein Lied singen. Der Nutzen und der Preis der Dienste stehen augenscheinlich in keinem Verhältnis zueinander. Es ist also völlig unmöglich, den Nutzen einer Sache oder einer Dienstleistung in einer Geldeinheit ausdrücken zu wollen.
Aber es hilft ja nichts: Mit dem Verweis auf den vielfältigen Nutzen, den der Öffentliche Dienst erbringt, treten die Gewerkschaft und ihr Fußvolk zur Tarifrunde an. Und die Gewerkschaft schafft das Unmögliche. Sie verfügt anscheinend über eine Formel, nach der sich der Nutzen einer Tätigkeit in Geld umrechnen lässt und tritt mit der zur Tarifrunde an. Und siehe da: Sie hat ausgerechnet, dass all diese nützlichen Tätigkeiten von Feuerwehrleuten, Straßenreinigern und Altenpflegern gerade so viel wert sind, wie sie es bisher waren plus die geforderten 6,5 %. Also immer noch ziemlich wenig. Erst zu sagen: „Wir sind es wert“ und selbstbewusst aufzutreten mit der Geste: „Wir sind unbezahlbar“ und dann soviel wie bisher plus 6,5 % zu fordern, das ist schon ein gewisses Eingeständnis, dass sich aus der Wertschätzung gar nichts ableitet. Offenbar glaubt Verdi also selbst nicht, dass die Wertschätzung durch die Bevölkerung eine durchschlagende Wirkung besitzt, die sich bei all den nützlichen Dienstleistern in einer auskömmlichen Lohnhöhe niederschlagen würde.
Zu Recht. Denn für Wertschätzung gibt es gar nichts. Ein Entgelt, erst recht ein irgendwie aufgebessertes Entgelt, gibt es nur, wenn Druck gemacht wird. Denn der Lohn, auch in einem noch so wertvollen öffentlichen Dienst, enthält einen Interessengegensatz. Die Arbeitgeberseite stellt das knallhart klar. Sie hält es nicht einmal für nötig, das Argument der Wertschätzung zurückweisen zu müssen. Die Arbeitgeber klopfen ihren Angestellten durchaus auf die Schultern und anerkennen sie als „sehr wertvoll“. Aber im nächsten Augenblick verweisen sie schlicht auf ihre Haushaltslage: „Unsere Kassen sind leer.“ – Ende der Durchsage.
Wofür steht dann die Sache mit der Wertschätzung? Warum reitet die Gewerkschaft so darauf herum? Damit verleugnet sie den Interessengegensatz, der beim Lohn besteht und den sie mit ihrer Tarifforderung ja auch geltend macht. Sie verleugnet ihn, indem sie eine allseitige Harmonie der Interessen beschwört, die sich mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit des Dienstes für das Gemeinwesen doch auch bei dessen Verwaltern, Bund und Kommunen, einstellen müsste. Die Gewerkschaft betreibt den Widerspruch, einerseits eine Forderung durchfechten zu wollen, und andererseits beim Aufstellen der Forderung von der Fiktion einer Interessenharmonie auszugehen, was die Absage ist, dass sie diesen Interessengegensatz betreiben will. Bei Verdi enthält also schon die Tarifforderung ein Versöhnungsangebot.
Das Resultat sieht entsprechend aus. Die Forderung von 6,5 % wird halbiert und um ihre soziale Komponente (200 € mehr für die unteren Lohngruppen) amputiert. Die Gewerkschaft sieht das allerdings anders; sie hält das Ergebnis für „beachtlich“ und rechnet vor: Wenn man die Lohnerhöhung von 3,5 % bis Januar 2012 und die für das nächste Jahr vereinbarten 2,8 % addiert, dazu noch einen Zinseffekt hineinrechnet, dann ergibt sich ein Ergebnis von 6,42 %, das ganz nah an den geforderten 6,5 liegt. (Der Zinseffekt ergibt sich daraus, dass die Gewerkschaft die Erhöhung für 2012 zweimal in Anschlag bringt: als Lohnerhöhung und als Geldsumme, die sich 2013 um 2,8 % verzinst). Das Ergebnis ins Verhältnis zur Parole des Streiks zu setzen, das versagt sich die Gewerkschaft. Dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Durchschnitt ein bisschen mehr wert sind als das Existenzminimum der Hartz‑IV-Bezieher, diese Auskunft wollten weder Führung noch Basis hören.
[Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 7. Mai 2012]

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14.05.21 Wentzke in jW: Europa soll gesunden – durch die Verelendung der Bevölkerung

14. Mai 2012 3 Kommentare

Armut für alle!
Europa soll gesunden – durch die Verelendung der Bevölkerung
Reihenweise sind in der EU Regierungen abgewählt worden, weil sie ihren Völkern rigide »Sparprogramme« verordnet haben, mit denen die Staaten ihre Kreditwürdigkeit wiedergewinnen wollen. Die betroffenen Länder scheinen Opfer des Finanzkapitals zu sein, das ihr Rating herabstuft, ihnen untragbare Zinsen abknöpft oder ihnen den Geldhahn völlig zudreht, indem es ihnen neue Anleihen und die Refinanzierung der fälligen Schulden verweigert.
Als Heilmittel predigen Ökonomen, Gewerkschaften und immer mehr Politiker aller Couleur neue Schulden, also genau das, wovon viele Euro-Staaten mehr haben, als sie bedienen können. Sparen, so die Kritik, läßt die kriselnde Wirtschaft weiter schrumpfen. Staatliche Wachstumsprogramme müßten her, von einem neuen Marshall-Plan ist sogar die Rede, z.B. im Mai-Aufruf des DGB.
Die »Pleitestaaten« als Opfer des Finanzkapitals, das kann nicht die Wahrheit sein: Sie haben sich Jahrzehnte lang locker verschuldet. Die Finanzindustrie sah darin ein so gutes Geschäft, daß sie ihnen nicht nur für neue Projekte Geld lieh, sondern völlig selbstverständlich auch für die Tilgung von fälligen Verbindlichkeiten. Die Banken wollten ihr Geld gar nicht zurück, sondern mit der »Revolvierung« dieser Schulden zusätzliche Gewinne einfahren. Daß in einer Reihe von Euro-Ländern die Wirtschaft nicht in dem Maß gewachsen ist, wie es die Regierungen mit den Staatsschulden herbeihebeln wollten, macht nicht sie zu Opfern ihrer Geldgeber von gestern. Und wenn der neue französische Präsident Wahlkampf mit dem Versprechen der »Neuverhandlung des Fiskalpakts« und der »Wachstumsförderung statt Sparpolitik« machte, dann sollte man genau hinschauen, wo bei der Politik, die er demnächst durchsetzt, die Opfer anfallen.
Prinzip Verschuldung
Um eine Staatsschuldenkrise handelt es sich, wenn die Banken und andere Investoren einem Staat kein Geld mehr leihen, wenn sie ihm neue Papiere nicht mehr abkaufen. Dann muß der Staat nicht etwa mit dem auskommen, was er sonst einnimmt, sondern ist pleite. Warum? Weil er die neuen Schulden machen muß, um alte zur Fälligkeit abzulösen; d.h. weil er nicht irgendwann einmal in einer Sonderlage Schulden macht, sondern dies die immerwährende Normalität ist. Wenn er bei den Banken keine neuen Kredite bekommt, dann fehlt ihm nicht nur Geld für Ausgaben, die er tätigen möchte, sondern für Zahlungen, die er leisten muß.
Diese universelle Schuldenfinanzierung des Staates belegt der Bankrott, der eintritt, sobald ihm keine Darlehen mehr gewährt werden. Also unterscheiden sich erfolgreiche von erfolglosen Staaten nicht darin, in welchem Ausmaß sie in der Kreide stehen, und ob sie sie zurückzahlen können oder nicht – das könnte keiner! –, sondern darin, ob ihnen die Geldkapitalisten erlauben, bei ihnen immer neue Schulden zu machen.
Daran zeigt sich, in was für einem Verhältnis ein kapitalistischer Staat zu seiner Ökonomie steht und worauf die Investoren setzen, wenn sie ihr Kapital in Staatsanleihen anlegen: Die Machtausübung nach innen ist darauf gerichtet, daß in der von ihm getrennten, von ihm aufs Geldverdienen ausgerichteten, beaufsichtigten und geregelten Sphäre der Privatwirtschaft auf seinem Standort Jahr für Jahr Wachstum produziert wird, an dem er sich mittels seiner politischen Gewalt ausreichend bedienen kann. Schon in Zeiten der Prosperität ist klar: Dafür braucht es Armut, nämlich die einer ganzen Klasse von Leuten, die nur an Geld für das Lebensnotwendige kommen, wenn sie ihre Arbeitskraft an Kapitalisten verkaufen und sich zur Vermehrung von deren Eigentum ausbeuten lassen. Daran, daß das auf dem von ihnen regierten Territorium klappt, haben kapitalistische Staaten ein ureigenes Interesse.
Aber was sie über Steuern aus ihrer Gesellschaft ziehen, reicht ihnen nicht. Sie leihen sich Geld, wälzen dabei ihre Schulden immer um und vermehren sie noch laufend. Das können sie in der Regel auch problemlos, weil Staatsschulden normalerweise als konkurrenzlos sichere Anlage gelten. Die Finanzanleger haben staatliche Zinsversprechen zu vergleichsweise niedrigen Zinssätzen gekauft, obwohl ein Staat kein kapitalistisches Unternehmen ist, das seine Verbindlichkeiten aus einem dann erwirtschafteten Profit bedienen kann. Er gibt sein Geld nur konsumtiv aus, egal ob für Straßen, Schulen oder Panzer. Die Investoren setzen darauf, daß der Staat Erfolg dabei hat, seine Ökonomie auf kapitalistisches Wachstum auszurichten; und daß er als politische Gewalt selbst dann noch genug Steuern eintreiben kann, sollte das Wachstum mal zu wünschen übrig lassen. Sie wollen im Normalfall die Schulden gar nicht zurückbezahlt bekommen, sondern verbuchen sie als sichere, eigenkapitalgleiche Geldanlage, daß sie höchstens den Zins bedient sehen wollen . Es ist ihnen eher daran gelegen, den Staat weitere Schulden machen zu lassen.
Im Rechtfertigungskarussell
Wenn das alles klappt, dreht sich ein schönes wechselseitiges Rechtfertigungs- und Beglaubigungskarussell: Der Staat verschuldet sich und rechtfertigt seine Schulden damit, daß er sie für ein Regieren verwendet, bei dem Wirtschaftswachstum herauskommt, aus dem er sie bedienen kann. Die Aussicht darauf rechtfertigt für das Finanzkapital wiederum, die Staatsschuldscheine in seiner Hand wie Kapital zu nehmen, mit dem wiederum das Wachstum befeuert wird, das der Staat braucht.
Für den Staat hat das allerdings Folgen: Das, was er von sich aus will, nämlich seine Gesellschaft als Profitmaschine einrichten, die ihm Jahr für Jahr wachsende Steuererträge einspielt, mit denen er Zinsen bedient und seine Kreditwürdigkeit gegenüber den Banken beweist, steht ihm jetzt als Anspruch von Banken und Finanzanlegern gegenüber, bei denen er verschuldet ist. Seine Handlungsfähigkeit hängt an der Kreditfähigkeit, also daran, daß bzw. inwieweit er vom Finanzkapital als Regent einer dauerhaft prosperierenden Profitmaschine beurteilt wird. Allerdings verdient der Staat da kein Mitleid: Das muß er nämlich nicht wegen der Banken, bei denen er verschuldet ist. Umgekehrt verschuldet er sich, um in seiner Gesellschaft mit allen dafür nötigen Mitteln ein Wirtschaftswachstum anzustoßen, mit dem er in der Konkurrenz mit seinesgleichen – mit den anderen Staaten, die dasselbe tun – bestehen will. Wie erfolgreich sein Standort dabei abschneidet, hat er allerdings mit seiner Verschuldung dem Urteil der Finanzmärkte überantwortet.
Diese Beurteilung ist seit dem Beginn der Weltfinanzkrise gegenüber immer mehr europäischen Staaten zunehmend negativer ausgefallen; die Zinsen für neue Staatsanleihen steigen, wobei gerade die verlangten hohen Zinsen es immer unwahrscheinlicher machen, daß der Staat sie wird bedienen können. Immer öfter fällt das Finanzkapital das Urteil: Dieser Staat lohnt sich als Anlage nicht mehr; seine Schulden stehen in keinem tragbaren Verhältnis zu den Wachstumsaussichten dort. Seine Ausgaben waren Verschwendung; dieser Staat ist zu teuer für das, was er aus seiner Gesellschaft herauszuholen versteht. Daß Bahnen und Fähren fahren, Brücken halten, Schulen und Krankenhäuser betrieben, Renten bezahlt werden etc. – alles das ist überflüssig, wenn es sich für diejenigen, die Geld in den Staatshaushalt investieren, nicht lohnt. So bekommt die Gesellschaft zu spüren, daß all das, was man gemeinhin so als »Errungenschaften der Zivilisation« verbucht, überhaupt nicht ein für alle mal errungen, sondern darauf berechnet ist, daß es gut für das Wachstum des Kapitals ist und das von den Kreditgebern des Staats auch für die Zukunft so gesehen wird.
Abkassieren bei den Massen
Die Pleite eines (Euro-)Staats bedeutet nicht, daß er aufhört zu existieren, sondern daß er jetzt ohne den Kredit durchs Finanzkapital weitermachen muß. Er muß sein Verhältnis zu den Banken und Anlegern »wieder in Ordnung bringen«. Das heißt, er muß »sparen«. Bei der Wirtschaft kann er unmöglich Abstriche machen: Das Kapital lohnt sich im Land ja ohnehin nicht oder viel zu wenig; Wachstum der Profite und der Investitionen, Wirtschaftstätigkeit, Einkommenserzeugung und Steuern kommen nicht im für den Schuldendienst erforderlichen Ausmaß zustande. Die Klasse, die zu wenig unternimmt und mehr unternehmen soll, kann man nicht belasten. Ihre Bereicherung ist ja die Bedingung aller Wirtschaftstätigkeit und aller anderen Einkommen, die dem Staat das für ihn Nötige abwerfen sollen. Seine Einnahmen steigern kann der Staat nur durch das Abkassieren bei der breiten Bevölkerung, deren Einkommen sowieso konsumiert und nicht investiert werden. Daher werden die Mehrwertsteuer und andere Abgaben, die die Massen treffen, erhöht, dito Studiengebühren, Wasser- und Fahrpreise usw.
Zugleich ist radikale Verelendung, absolute Armut angesagt. Alles ist wie vor dem Bankrott des Staates für den Arbeits- und Lebensprozeß der Gesellschaft vorhanden, aber all die vorhandenen Mittel läßt man verkommen, legt man brach, schließt sie oder fährt sie zurück, wenn sich ihre Anwendung für die kapitalistischen Unternehmen, damit für den Staat und darüber für die Investoren nicht lohnt. Frühere Gesellschaften haben gehungert, weil es an Lebensmitteln wegen mangelnder Produktivität der Arbeit oder infolge von Mißernten fehlte. Heute gibt es vom Standpunkt der Investoren aus in einem Pleitestaat wie Griechenland viel zu viel: Straßen, Krankenhäuser, Schulen, ja, sogar Nahrungsmittel, die sich verarmte Griechen nicht mehr leisten können.
Und woran kann er sparen? Wieder nicht an seinen Leistungen fürs Kapital, die sollen ja Einkommen kreieren, sondern an Ausgaben für das sonstige Funktionieren des gesellschaftlichen Lebens: an Schulen, Gesundheitswesen, Renten, Löhnen für Staatsdiener.
Die bewiesene Entschlossenheit, gegen das Volk rücksichtslos vorzugehen, ist darauf berechnet, bei den Finanzmärkten Vertrauen zurückzugewinnen. Wie weit das Erfolg hat, ist eine andere Frage. Aber wenn die Märkte etwas honorieren, dann die Rücksichtslosigkeit der Staaten, ihre Bereitschaft, eine weitreichende Verarmung in ihren Ländern durchzusetzen. Armut ist also nicht nur Folge des Mißtrauens der Finanziers in die Kapitalqualität der Staatsschulden, sondern auch politisch gewolltes Mittel, dieses Mißtrauen zu zerstreuen.

Auf dem Holzweg

Der Widerspruch dieses staatlichen »Sparens« ist mittlerweile allgemein bekannt: Mit ihm schrumpfen auch die Geschäftsgelegenheiten für die Wirtschaft, die Länder rutschen folglich erst recht in eine Rezession, und das Verhältnis von Staatseinnahmen und -ausgaben verschlechtert sich erstens sogar bei sinkenden Ausgaben weiter und zweitens entstehen durch die Rezession wieder neue Nöte.
Die »Sparpolitik« gilt daher als Holzweg. Vernünftig soll dagegen Wachstumspolitik sein. Daher wird in der EU nun anerkannt: »Wir« brauchen nicht nur Sparsamkeit, sondern gleichzeitig auch Wachstum. Ein offener, unvermittelbarer Widerspruch, wenn die entscheidende Voraussetzung von Wachstumspolitik, nämlich Geld für den Staat, also neue Schulden, wegfällt. Weniger Staatsausgaben und zugleich ein Marshall-Plan für Griechenland oder den ganzen Süden – Wie soll das angehen? Ist ein solcher Plan denn etwas anderes als eine neue Verschuldung beim Finanzkapital? Wenn »die Finanzmärkte« aber nicht daran glauben, daß Griechenland und Co. rentable Standorte sind, weil dort trotz geringerer Löhne zu wenig Rendite herausspringt, dann setzen sie das fort, was sie derzeit machen: Wo kein Gewinn absehbar ist, gibt’s auch keine Kredite.
Eines aber läßt sich fürs Wachstum auch bei reduzierten Staatsausgaben tun. Es gibt eine Sorte Kapitalförderung, die nichts kostet: dem Kapital die Arbeitskraft noch billiger machen, damit sie mehr Profit abwirft. Also werden in Griechenland Tarifverträge durch staatlichen Beschluß außer Kraft gesetzt, wird der Mindestlohn, an dem alle anderen Löhne hängen, und das Arbeitslosengeld radikal gekürzt, so daß die Unbeschäftigten jede Arbeit zu jeder Bedingung annehmen müssen. Kündigungsschutz wird abgeschafft. Also wird »liberalisiert« und »Bürokratie abgebaut«, dem Kapital werden Arbeits- und Umweltschutz erspart oder existierende Auflagen nicht mehr ernsthaft durchgesetzt. Mehr Armut wird offen als Lebensmittel der Nation gehandelt: Sie soll die nationale Wirtschaft, darüber das Wachstum, die Steuereinnahmen, darüber wieder die Kreditwürdigkeit des Staates stärken.
Tatsächlich ist die Armut der Arbeitenden in einem absoluten Sinn zwar die Grundbedingung aller kapitalistischen Wirtschaft, ihre Steigerung aber keineswegs das einzige und noch nicht einmal das stärkste Mittel zur Ankurbelung des Wachstums: Viel wichtiger sind der Umfang der Anleihen, die ein Staat aufnehmen und für Standortförderung ausgeben kann, und die Größe der privaten Kapitalvorschüsse, die in einer Nation zu mobilisieren sind. Diese ermöglichen die Erarbeitung oder den Einkauf wissenschaftlicher Ergebnisse und technischer Errungenschaften, welche für innovative Erzeugnisse und lohnende Arbeitsbedingungen sorgen. Das erst macht Arbeit produktiv fürs Kapital: Wenn die Arbeitsproduktivität höher ist als bei der Konkurrenz, hat man bei sich die Stückkosten gesenkt, ohne daß der Wert der Waren allgemein schon entsprechend gesunken ist; man kann also auf dem Markt die anderen unterbieten und Marktanteile auf sich ziehen. Aber es hilft nichts – die Verarmung der Arbeiter mag nicht das entscheidende Wachstumsmittel sein, es ist in den Ländern, die ihren Kredit verloren haben, das einzige, das ihnen zur Verfügung steht.
Dabei hat die Förderung des Wachstums durch die Vergrößerung der Armut der Arbeitskräfte ja auch ihren Widerspruch: Leute die immer weniger verdienen, kaufen auch immer weniger. Die zweite Funktion des Lohnes – Kaufkraft zu sein, die das Kapital zur Realisierung der in der Produktion erzeugten Gewinne braucht – entfällt für die Produzenten von Konsumgütern für die Arbeiter. Aber auch dieser Widerspruch verhindert die Anwendung dieses Mittels nicht: Die zweite Funktion des Lohnes rangiert immer hinter der ersten – daß er lohnende Kost für die Erzeugung des Gewinns sein muß, nie umgekehrt. Wäre ja noch schöner, wenn die Kapitalisten erst den Arbeitern den Lohn spendieren müssen, damit die ihnen dann die Waren abkaufen können. Wo bliebe da das Geschäft? Für Kapitalisten – und der Staat hat natürlich volles Verständnis dafür – ist der Lohn möglichst niedrig zu halten, und wenn er schon gezahlt werden muß, dann ist die eingekaufte Arbeitskraft effektiv und ausgiebig auszunutzen. Daß sie mit ihrer Kostensenkung an irgendeiner anderen Stelle der Gesellschaft die Kaufkraft verringern, ist nicht ihr, sondern das Problem jeweils anderer Kapitalisten. Auf Märkte, wie immer die insgesamt dadurch, daß jeder so verfährt, schrumpfen mögen, beziehen sie sich als welche, die es von ihnen gegen ihre Konkurrenten zu erobern gilt, gerade mit Stückkostensenkung per Rationalisierung und Lohnsenkungen.
Vorbild Deutschland
Bei allen Problemen und Widersprüchen – Merkel weiß, was die Problemländer brauchen, damit sie wieder Wachstum erzeugen und die Staatsfinanzen in Ordnung bringen können: Sie müssen etwas dafür tun, daß sie daheim und in Europa mehr Geld verdienen und dafür müssen sie ihre »Wettbewerbsfähigkeit« stärken. Werdet eben auch Konkurrenzsieger – so wie wir, die alles rechtzeitig richtig gemacht haben! An uns könnt ihr doch sehen: Es geht doch! Merkel präsentiert den deutschen Erfolg, das Resultat der Konkurrenzanstrengungen, das sich naturgemäß nur für einige, nie für alle einstellen kann, wie eine Fähigkeit, die sich jeder Staat beschaffen kann, wenn er nur will.
Dabei ist erstens ja gerade der deutsche Konkurrenzerfolg nicht der geringste unter den Gründen für die Pleite Griechenlands und die Überschuldung Spaniens, Portugals, Irlands… Daran merkt man, daß es einen großen Unterschied macht, ob eine Nation, die Kapital, modernste Hightech-Produkte und hohe Produktivität hat, eine Wachstumsschwäche durch die Verarmung ihrer Arbeiter überwindet und die zusätzlich in der Standortkonkurrenz in die Waagschale werfen kann, oder ob dieses Mittel alles andere ersetzen soll.
So legt Merkel die Partnerstaaten darauf fest, die Verarmung des Volks, das einzige Mittel, das ihnen in ihrer Konkurrenz gegen den überlegenen Nachbarn verfügbar ist, immer radikaler anzuwenden, je weniger es leistet. Und damit zu leben, daß ihnen das andere Mittel, die öffentliche und private Vorfinanzierung des Wachstums mit geliehenem Geld vorenthalten wird. Zudem tut Merkel so, als ob sie das bislang Deutschland entgegengebrachte Vertrauen der Finanzmärkte in der Hand hätte – und das angesichts dessen, daß die Verarmungsrezepte für die Südeuropäer langsam aber sicher auch den deutschen Export­erfolg untergraben.
»Richtig gemacht« hat Deutschland laut Merkel alles – für wen eigentlich? Für die Renditen und Wachstumsraten des hiesigen Kapitals, für Steueraufkommen und Kreditwürdigkeit Deutschlands. Dafür schon. Aber für die arbeitende Bevölkerung in der BRD? Von der malochen nun zehn bis 20 Prozent für Geld, das sie früher als Arbeitslosenunterstützung bekommen haben. Für sie besteht der Fortschritt darin, daß sie für ein elendes Minimaleinkommen auch noch arbeiten müssen. Den Unternehmen eröffnet diese Lohndrückerei neue Perspektiven im Land; manche Standortverlagerung in Billiglohnländer kann vielleicht unterbleiben, wenn Deutschland selbst so ein schönes Billiglohnland wird. Und die Weltmarktführer, die deswegen hier bleiben und zusätzlich investieren, machen mit der Ausnutzung niedriger Löhne und dem Einsatz von maßstabsetzender Produktivität höhere Gewinne. Dem Staat bringt der Fortschritt die Verwandlung von Leuten, die Steuern gekostet und Sozialkassen belastet haben, in welche, die Steuern und Sozialbeiträge zahlen; das Erobern von Marktanteilen durch deutsche Exportindustrien hat die durch Rationalisierungen verursachten Entlassungen mehr als wettmacht. An der Armut der vorher Erwerbslosen hat sich wenig geändert, nur daß diese Armut von einer für die staatlich verwalteten Sozialkassen unnützen und belastenden zu einer »nützlichen« geworden ist.
Die übrigen deutschen Arbeiter und Angestellten sind beständig von diesem Absturz in die Niedriglohn- und Hartz-IV-Zone bedroht und entsprechend erpreßbar geworden. Auch ihre Löhne sinken seit über einem Jahrzehnt, während die Arbeitsanforderungen radikal gesteigert wurden. Sie haben weniger von ihrer Arbeit, dafür immer mehr Arbeit pro Stunde und Tag
Das sind die guten Verhältnisse, die Europa sich zum Vorbild nehmen soll. Das sind die Bedingungen, die erfüllt sein müssen, damit ein Land gesunde Finanzen und dadurch überhaupt eine intakte und handlungsfähige Staatsmacht hat.
[Dieser Artikel von Theo Wentzke, Redakteur der Zeitschrift GegenStandpunkt, ist ursprünglich am 14.05.2012 in der Tageszeitung „junge Welt“ erschienen, es gibt ihn auch als PDF]

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Mitschnitt Heinrich vs. Decker überarbeitet bei VEKKS

13. Mai 2012 2 Kommentare

Amelie Lanier hat für ihre Sendereihe VEKKS bei Radio Orange 94.0 den Mitschnitt der Podiumsdiskussion vom 25.04.2012 in Bielefeld mit Michael Heinrich (Prokla) und Peter Decker (GegenStandpunkt) überarbeitet (gereinigt und leise Stellen angehoben). Die beiden Teile kann man auf der VEKKS-Seite runterladen:
Teil 1
Teil 2

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„Erfahrungen“ versus „unbrauchbare Unzufriedenheit“

10. Mai 2012 95 Kommentare

Abschrift so ungefähr des Schlußteils (ab 1:18:35) der Po­di­ums­dis­kus­si­on in Bie­le­feld „Klas­sen – Kämp­fe – Kom­mu­nis­mus“ am 25.04.2012 mit Michael Heinrich, Peter Decker (und weiteren GSPlern):
Peter: Das allgemeine Bewusstsein ist auf dem Stand dessen, womit Michael Heinrich oft argumentiert, der trinitarischen Formel: Der Revenuequelle, weil sie bereit sind, Kapital für Produktionsmittel zu halten, die doch jede Arbeit braucht, Grund und Boden für die örtliche Arbeitsbedingung, die doch jede Arbeit braucht, und Arbeit für den Beitrag der Arbeiter zum Gesamtprodukt. Und dass sie bereit sind, Arbeitsmitteln ein Recht auf Einkommen genauso zuzubilligen wie der Arbeit. Daß sie also letztlich diese Produktionsweise dann doch nicht für eine von einem besonderen Interesse bestimmte Produktionsweise halten, sondern fürs Produzieren überhaupt.
Insofern ist es die Aufgabe derer, die den Kapitalismus studiert haben, und davon dann was verstehen, dass sie das, was die bürgerlichen Menschen, also in erster Linie die Arbeitskräfte (es ist klar, dass andere Menschen auch immer Einsicht in das Verhältnis nehmen können, und sie genauso missbilligen und ablehnen könne, wie es der Proletarier kann, aber um die geht es jetzt einmal nicht). Wir können etwas dafür tun, dass die Leute, das, was sie für sachliche Verhältnisse halten, dann doch als zum System gewordene Interessen erkennen, die man auch nicht anerkennen kann. Und dann zu dem Bewusstsein kommen, dass die Leute, mit denen Michael geredet hat [bei gewerkschaftlichen Bildungsveranstaltungen und Seminaren], schon haben. Wenn es von denen mehr gäbe, dann würde die Welt anders aussehen.
Michael: Daß die Leute, die ich vorher im Auge hatte, eine Minderheit sind, das ist völlig unbestritten. Womit ich jetzt Probleme habe bei deiner Argumentation ist wenn du sagst, na ja, wenn es jetzt Lohnverhandlungen gibt, Lohnkämpfe, dann bewegt sich das auf der Ebene der trinitarischen Formel, dann spreche ich den Besitzern der Arbeitsmittel das Recht zu, Einkommen zu erhalten, weil sie diese Arbeitsmittel besitzen und so freundlich sind, die mir in die Hand zu drücken, dass ich dann arbeiten kann. Das ist einerseits richtig, faktisch: Wenn ich eine Lohnverhandlung führe, spreche ich dem anderen, der mir da auf der Kapitalseite gegenüber sitzt, das Recht zu, dass er Profit haben kann. Aber, die Frage ist, aus welchen Gründen passiert das: Mache ich das, weil ich den Kapitalismus eigentlich ganz in Ordnung finde, eine produktive Angelegenheit (in der Tat, noch nie hat sich die Technik so entwickelt wie unter dem Kapitalismus), und lediglich nicht in Ordnung finde, dass ich, bzw. die Seite, die ich vertrete, nicht so gut dabei wegkommt, dass die einen geringen Lohn hat. Oder mache ich das, obwohl ich einsehe, dass diese sachlichen Verhältnisse auf bestimmte Interessen zurückgehen. Obwohl ich einsehe, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht die Produktionsweise schlechthin ist, mache ich das, weil ich im Moment keine Möglichkeit sehe, wie ich effektiv diese Produktionsweise überwinden kann. Und dann sage ich, ok, ich muß noch eine ganze Weile innerhalb dieser kapitalistischen Verhältnisse leben und jetzt versuche ich, ein bisschen mehr Lohn rauszuschlagen, als ich bisher hatte.
Für dasselbe Verhalten, daß ich Lohnkämpfe führe, kann es ganz unterschiedliche Gründe geben: Mangelnde Einsicht kann der Grund sein, die findet das eigentlich ganz in Ordnung, was hier läuft. Oder: Ich finde das gerade überhaupt nicht in Ordnung, verfüge aber nicht über die materiellen Möglichkeiten, dieses System in Frage zu stellen, materiell in Frage zu stellen und nicht nur argumentativ. Und was werde ich dann machen? Egal wie viel Kapitalkurse ich besucht oder vielleicht sogar selber abgehalten habe: Ich werde den Lohnkampf führen.
An dem Unterschied muß man ansetzen. Und da komme ich nicht zu einem ganz negativen Ergebnis wie Peter das sieht: Die Menschen machen nicht nur die Erfahrung, es geht auf ihre Kosten im Betrieb, sondern die lernen dabei auch, wer davon profitiert, auch ohne was gelesen zu haben. Du hast einerseits Recht, die Leute, die da in meinen Gewerkschaftsseminaren sitzen, die sind nicht die typischen. Aber warum sind das nicht die typischen? Nicht weil die meinen Namen vorher kennen würden und sagen, oh, von dem haben wir ein Buch gelesen, da wollen wir mal hingehen. Sondern, da sind Leute drin, die haben noch nicht so fürchterlich viele Bücher gelesen, haben aber ihre Erfahrungen gemacht und über ihre Erfahrungen nachgedacht, und sagen: Ok, und jetzt will ich es noch ein bisschen genauer wissen. Und dann werden sie von bestimmten Themen angesprochen und nicht so sehr von Namen, die sie eventuell sowieso nicht kennen. Das würde ich nicht unterschätzen.
Peter: Darum geht es nicht, es geht um Folgendes: Ich finde, du nimmst dein Urteil mit dem Fetischbewusstsein (diese Gesellschaft beruht auf einem falschen Bewusstsein, sie beruht darauf, dass als vernünftig gilt, was hier herrscht), das nimmst du letzten Endes, wenn man an diese Stelle kommt, nicht mehr ernst, sondern sagst: manche so, manche so.
Jetzt halten wir doch erst mal fest: 99 % so und eine Minderheit hat sich (selbstverständlich, durch Erklärung der eigenen Erfahrungen und durch Bücherlesen und durch Debatten und was auch immer, das ist ganz unwichtig,) zu der Einsicht hingearbeitet, man versteht überhaupt nicht mehr, warum es das alles braucht, man erkennt es als gegen einen feindlich gerichtet und hält es für unsinnig und unnötig. Die Letzteren, die stehen da wie wir, die haben dann schon das Problem: Auch wir können dem Lohn nicht entkommen, bloß weil wir ihn für verkehrt ansehen. Die haben dann die Frage: Was kann ich tun, um den Willen zu verallgemeinern, sich das nicht mehr bieten zulassen? Was kann ich tun, um die verkehrte Einsicht in die Vernünftigkeit dieser Ordnung, die allgemein verbreitet ist, zu untergraben? Die haben schon etwas zu tun, die können halt nicht von heute auf morgen den Kapitalismus stürzen, wenn sie allein sind, das ist ja klar. Aber für die gibt es was zu tun, die sind aber auch nicht die Erklärung dafür, daß nichts passiert. Deswegen ist die ganze Frage, die du aufwirfst: Es gibt Leute, die haben alles eingesehen und es passiert trotzdem nichts, was kann man dann tun, was folgt dann? Diese Frage, die halte ich wirklich für daneben. Die gibt es gar nicht. Die haben etwas zu tun, die das wissen, daß der ganze Laden verkehrt ist. Natürlich können sie nicht von heute auf morgen, wenn sie so wenig sind, alles umstürzen, daß ist klar, die müssen halt Agitation machen, die müssen halt ihren Gedanken verbreiten. Da stehen sie nicht besser oder schlechter da wie wir auch. Und die anderen, die halten es mehr oder weniger für vernünftig. Da ist es mir dann egal, ob die wegen falscher Gedanken die Welt in Ordnung finden, oder ob die Not, in die sie praktisch gestellt werden sie dazu führt und sie diesem Verhalten, daß ihnen praktisch aufgezwungen wird, auch noch gedanklich Recht geben und dann sagen: „Muß halt wohl so sein!” Ist egal, jedenfalls führt es dazu, daß man den Laden irgendwie einsieht.
Ein Zusatzgedanke, der ist ganz wichtig:
Wo du hinkommst, Arbeiter, Rentner, was immer, alle schimpfen, daß alle anderen ihnen alles wegnehmen. Die Welt ist doch nicht voller Zufriedenheit, sondern die Welt ist voller unbrauchbarer Unzufriedenheit. Sie meinen, es geschieht ihnen Unrecht, massenhaft. Aber eines meinen sie in der Regel nicht: Daß sie was verkehrt machen. Was fehlt ist die Kritik der eigenen Revenuequelle. Das ist nämlich der Haken. Daß der Kapitalist alles abgreift, daß der dem Arbeiter nicht das Schwarze unterm Fingernagel gönnt, usw. usw, das kann man doch überall haben und hören, das ist doch nicht die Frage. Aber das Arbeiten gehen doch nichts Verkehrtes sein kann, daß man mit ehrlicher Arbeit ehrliches Geld beanspruchen kann, das kann doch nichts Schlechtes sein, das ist Gemeingut.
Anders gesagt: Im Lohnkampf (der ist ja das Scharnier, um das sich die ganze Gesellschaft dreht. Übrigens: Das weiß auch die ganze Gesellschaft. Wenn es irgendwo giftige Lohnkämpfe gibt, dann wissen alle, damit steht und fällt die Konjunktur, der Stand der Nation in der internationalen Konkurrenz, die Stabilität der Ordnung, usw., manchmal gleich die Demokratie. Es ist ja nicht unbekannt, daß das das Scharnier ist, um das sich alles dreht), wenn in diesem Kampf den Kapitalisten was weggenommen wird, dann ist, so wie die Dinge heute laufen, immer die Rücksicht auf die andere Seite (wirklich schädigen darf man die aber nicht, denn sie soll uns ja morgen wieder Arbeit geben) drin (in Deutschland schon gleich in der Radikalität: Wir fordern überhaupt nur in der Abhängigkeit vom Erfolg der anderen Seite, so nach dem Muster: In der Krise, da bringen wir große Lohnopfer und wenn dann die Gewinne wieder explodieren, dann dürfen wir doch auch mal).
Eigentlich braucht es nur eins, und das ist zugleich ein kleiner Schritt und ein Riesenschritt: Das nicht mehr Rücksicht nehmen auf das Interesse der anderen Seite. Das würde schon reichen. Aber das verlangt, daß man nicht darauf setzt, daß man morgen wieder beschäftigt wird. Das verlangt den Willen zum Umsturz. Die Arbeiterschaft hat jede Macht, die Verhältnisse zu stürzen, aber nicht, wenn sie Lohnarbeiter bleiben wollen. Dann haben sie gar keine Macht, dann sind sie das Anhängsel und müssen sich auch so benehmen. Und das läuft nur über die Kritik der eigenen Revenuequelle. Nämlich das Nichtanerkennen der anderen Seite: „Wir brauchen euch nicht mehr als Arbeitgeber, haut doch ab!” Das heißt auch: „Ich glaub auch nicht, daß ich morgen mein Einkommen durch einen Verkauf meiner Arbeitskraft am Arbeitsmarkt erziele.” Das darf man nicht mehr wollen. Und dazu ist die Kritik der Lohnarbeit, die Kritik, was wird da eigentlich getauscht, dazu ist das, was man bei Marx dazu lernt, entscheidend, weil es die Kritik der eigenen Revenuequelle ist, an der es hapert. Das ist jetzt vielleicht ein Punkt, der etwas weiter führt in den Überlegungen. Mehr…

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25.04.12 ¦ Bielefeld ¦ Heinrich und Decker zu Klassen – Kämpfe – Kommunismus

6. Mai 2012 2 Kommentare

Endlich der Hinweis eines Genossen: Die Aufzeichnung der Podiumsdiskussion in Bielefeld „Klassen – Kämpfe – Kommunismus“ mit Michael Heinrich und Peter Decker, die am 25.04.2012 stattgefunden hat, ist doch noch online gestellt worden:
http://archive.org/details/2012_04_25_Heinrich-Decker

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09.05.12 ¦ Berlin ¦ Heinrich: Marx, Sraffa und die Kritik an der Neoklassik

5. Mai 2012 4 Kommentare

Im Rahmen seiner Veranstaltungsreihe „Alternativen zur Mainstream-Ökonomik? Vortragsreihe heterodoxe Ökonomik im SoSe 2012“ wird es vom AK Kritische WirtschaftswissenschaftlerInnen (KriWis) am FB Wirtschaftswissenschaft an der FU Berlin einen Vortrag von Michael Heinrich geben:
Mittwoch 9. Mai 2012, 18.00
Marx, Sraffa und die Kritik an der Neoklassik
Vortrag von Dr. Michael Heinrich am Fachbereich Wirtschaftswissenschaften der FU Berlin
Garystr. 21, 14195 Berlin

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Pekinger Volkszeitung jetzt an der Börse

27. April 2012 Kommentare ausgeschaltet

Das Sprachrohr der in China herrschenden Kommunistischen Partei wagt sich tief in den Sumpf kapitalistischer Umtriebe vor: Die Online-Ausgabe der „Renmin Ribao“ geht an die Börse – und beschafft sich so umgerechnet fast 170 Millionen Euro frisches Kapital.

(n-tv)

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The Militant, Workers Vanguard und Spartacist Archive jetzt online

25. April 2012 1 Kommentar

Marxist.org, die digitale Archivseite zur Geschichte der marxistischen Arbeiterbewegung, genauer ihrer Autoren und Publikationen, hat nun (darauf hat entdinglichung hingewiesen) zwei trotzkistische Zeitungen als Scans online zur Verfügung gestellt:
The Militant“ bis 1949 („The Militant was published in the United States by the Trotskyist movement originally as the US Section of the International Left Opposition, later the Fourth International“)
Workers Vanguard„, die Zeitung der Spartacist League /U.S. als führender Sektion der international Spartacist tendency, dann International Communist Leage (Fourth Internationalist) von 1971 bis 1990
und Spartacist [Published by the expelled Revolutionary Tendency of the Socialist Workers Party. Became the organ of Spartacist, later known as the Spartacist League. Became the theoretical journal after the launch of the new official Spartacist League/U.S. organ, Workers Vanguard. Became the publication of the international Spartacist tendency (“iSt”), later the International Communist League (Fourth Internationalist), published by the Central Executive Committee. Appears in four languages (English, Spanish, French, and German). The English edition began in 1964, the Spanish edition began in 1965 (as Cuadernos Marxistas), the French edition began in 1974, and the German edition began in 1974. A single Italian issue was published in 1975. [Ongoing].]

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Zur leider weitverbreiteten Kritik der Auswüchse des Turbokapitalismus

24. April 2012 9 Kommentare

Auch so kann man den Kapitalismus (nicht) kritisieren: Profit: gut – zu viel Profit: böse
Seit es den Kapitalismus gibt, gibt es viel Unzufriedenheit mit ihm. Heutzutage zum Beispiel bei Attac, bei den Befürwortern eines „Bedingungslosen Grundeinkommens”, bei den „Empörten” in verschiedenen europäischen Staaten oder bei der „Occupy”-Bewegung. Diese Bewegungen kritisieren den Kapitalismus wegen seiner „Auswüchse”, die doch wohl zum Himmel schreien. Es ist ja auch nicht zu übersehen, dass einem ständig wachsenden Reichtum bei den einen eine ebenso ständig wachsende Armut bei den anderen gegenübersteht. Nicht zu übersehen ist auch die notorische Existenzunsicherheit, die für viele Leute bedeutet, dass schon ein unglücklicher Umstand – Entlassung, Krankheit, eine psychische Ausfallerscheinung, ein familiäres Drama, falsch eingekauft, auf einen falschen Rat gehört – zu einer privaten Katastrophe wird. Und auch die gesamtgesellschaftlichen Folgeerscheinungen des Kapitalismus werden angeprangert. Weltweit breiten sich Hunger und sonstiges Elend immer mehr aus; es gibt eine fortschreitende Zerstörung der natürlichen Umgebung und nicht zuletzt: jede Menge Kriege der kleineren und der größeren Art.
Dem Kapitalismus selbst macht das allerdings nichts aus. Er wächst und wächst, all diese Katastrophen haben ihm auf Dauer nicht geschadet, vielmehr hat er sich – wie es bewundernd heißt – als die „überlegene Wirtschaftsweise” durchgesetzt und mittlerweile den ganzen Globus besetzt.
Im Zentrum dieser Wirtschaftsweise steht der Profit. In ihr beruht alles Wirtschaften darauf, dass Kapital vorgeschossen wird; und diejenigen, die das tun – die Kapitalisten, auch „die Wirtschaft” genannt –, tun das mit der Absicht und in der Erwartung, dass ihnen ihr Kapital vermehrt, mit einem Profit eben, zurückfließt. Sehen sie keinen Profit winken, schießen sie auch kein Kapital vor. Dieses Grundprinzip kapitalistischen Wirtschaftens stellen die Kritiker, die sich in dem breiten Spektrum von Attac bis Occupy tummeln, nicht in Frage. Ganz im Einklang mit den Grundsätzen der Volkswirtschaftslehre halten auch sie den Profit für ein unentbehrliches Instrument des Wirtschaftens. Selbstverständlich müsse es Unternehmer geben, die eine Produktion, ein Dienstleistungsgewerbe oder auch eine Bank aufbauen, und da sie das tun, steht ihnen auch zu, persönlich davon zu profitieren. Damit stellen diese Unternehmer, was eben nicht jeder kann, die Dinge her, die „wir alle” brauchen, und damit das weitergehen kann und auch immer mehr produziert werden kann, ist es richtig und sinnvoll, dass das eingesetzte Kapital mit einem Profit darauf zurückkommt. So werde für die Güterproduktion gesorgt und auch für die Ausweitung der Güterproduktion, da aus dem Profit ja auch die Investitionen bezahlt werden. Eigentlich, so sagen diese Kritiker, hat der Profit eine volkswirtschaftliche Funktion: nämlich der Menschheit ein immer besseres Leben zu ermöglichen. Deshalb heißt die Parole der amerikanischen Occupy-Bewegung: „People over profit”. Damit ist gesagt, dass das Volk Dienste des Profits für sich erwartet, und eben nicht: „People against profit”.
Nun beklagen diese Kritiker aber selbst alltägliche Vorkommnisse im Kapitalismus, die doch sehr das Gegenteil von einem immer besseren Leben sind. Das hat Zweifel am Profit hervorgerufen: Erfüllt er denn tatsächlich die nützliche Funktion, die man ihm zuschreibt? Der Zweifel geht freilich nicht so weit, den Profit selbst abschaffen zu wollen, stattdessen besteht die heutzutage sehr verbreitete Kritik darin, dem Profit eine Entartung vorzuwerfen, was sie beklagen, nennen sie „Auswüchse” und haben sich damit ohne jede nähere Untersuchung dazu entschieden, das Beklagte für eine Abweichung vom eigentlich guten Prinzip zu halten. Die Profitmacher würden nicht an ihre volkswirtschaftliche Aufgabe, sondern nur an sich denken, würden daraufhin durch ”Übertreibung”, ”Entfesselung”, ”Gier” die eigentlich gute Sache verzerren, verschandeln, missbrauchen, sie entgegen ihrer eigentlichen Zweckbestimmung pervertieren – so dass der Kapitalismus gar nicht mehr er selbst ist, sondern zu einem ”Turbo-Kapitalismus” geraten ist. Und daraus, so diese Kritiker, würden dann all die skandalösen „Auswüchse” entstehen. Ihre Aufgabe sehen diese Kritiker folgerichtig darin, den Profit sozusagen auf seine nützliche Funktion zurückstutzen, und zwar indem sie diese „entfesselten” Profitmacher anklagen und zügeln. Mehr…

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Peter Deckers Thesen für die Podiumsdiskussion mit Heinrich (25.04.12)

20. April 2012 12 Kommentare

Die Thesen von Peter Decker vom GegenStandpunkt für die Podiumsdikussion mit Michael Heinrich am 25.04.2012 in Bielefeld, die es auf der Webseite des Veranstalter als PDF gibt, hier nochmal in HTML umgewandelt:
Thesen zu den Charaktermasken des Kapitals, den sozialen Klassen – und was für antikapitalistische Politik daraus folgt
1. Die Klassen
a) Wie die Klassen erscheinen, weiß jedes Kind: Nämlich als eine gespaltene Gesellschaft, aufgeteilt in eine extrem reiche Minderheit, eine größere Minderheit extrem armer Bürger und dazwischen eine stufenlose Hierarchie von Einkommen, Konsumniveau, Existenz(un-)sicherheit, Gesundheit, Kultur und sogar Lebensspannen. Dazu braucht man keinen Marx. Diese Fakten beklagen von ihrem Blickwinkel aus auch Kirchen, Gewerkschaften, politische Parteien.
b) Wer von Klassen redet, sagt mehr als die Soziologenphrase von der sozialen Ungleichheit. Er benennt den Grund für die ungleiche Verteilung der Glücksgüter: Mit der Stellung zum Eigentum an den Produktionsmitteln, – ob nämlich einer sie besitzt oder ob er nur sich selbst als Eigentum besitzt, – sind das Erwerbsleben und die Resultate der individuellen Anstrengungen vorentschieden und im Durchschnitt nicht mehr entscheidend veränderbar. Der Besitz „ökonomisch relevanten Eigentums” (Heinrich) erlaubt seinem Besitzer den Arbeits- und Lebensprozess der Gesellschaft als Instrument der eigenen Bereicherung auszubeuten: Nur er hat die Mittel, Arbeit zu organisieren, Produktion zu unternehmen und die für sich hilflose Arbeitswilligkeit der eigentumslosen Masse wirksam werden zu lassen – natürlich unter der Bedingung, dass der Prozess sein Eigentum vermehrt. Die exklusive Verfügung einiger über die Instrumente des materiellen Reichtums legt umgekehrt die große Masse der Bürger darauf fest, Diener am Wachstum fremden Eigentums zu sein und eigenes Einkommen nur erzielen und aufbessern zu können, indem sie den Vermögens-Zuwachs der anderen Seite vergrößert. Die Besitzer der Ware Arbeitskraft können sich aus dieser Lage durch Arbeit nicht befreien. Deshalb ist das Etikett „Klassengesellschaft” eine fundamentale Kritik: Es charakterisiert ein System, das die Vielen auf den Dienst am Wachstum eines fremden Reichtums festlegt, von dem sie nichts haben; ein System, das ferner alle sonstigen Schichten und sozialen Rollen, die nicht Kapitaleigentümer oder Lohnarbeiter sind, diesem die Gesellschaft beherrschenden Gegensatz zuordnen.
c) Die Betroffenen sehen ihre Lage anders. Weil sie nicht per Geburt in einer Kaste oder einem Stand eingesperrt sind, sondern frei mit ihrem Eigentum um ökonomischen Erfolg konkurrieren dürfen, wollen sie auch nichts davon wissen, dass eine durch Eigentumslosigkeit definierte Klassenlage ihr Leben weitgehend vorherbestimmt. Dass es ihnen um sich gehen darf, dass sie von niemandem gezwungen werden, Arbeitsverhältnisse einzugehen, als von ihrem Erwerbsinteresse bzw. ihrer Geldnot, das legitimiert in ihren Augen die Resultate ihres Strebens als Produkte ihrer Leistung: Konkurrenz erzeugt Gerechtigkeit! Ausnahmen – vom Tellerwäscher zum Millionär -beweisen, dass es geht; dass es also bei der Klassenlage nicht darauf ankommt, was sie ist, sondern was einer daraus macht. Die Konkurrenz, zu der sie berechtigt und willens sind, verdeckt ihnen, dass eben diese Konkurrenz freier und gleicher Bürger dem Inhalt nach ein einseitiges Dienstverhältnis vermittelt zwischen einer herrschenden Klasse, die sich die Früchte der gesellschaftlichen Arbeit aneignet und einer dienenden Klasse, die dauerhaft in Existenzunsicherheit und relativer oder absoluter Armut lebt.
d) Da gibt es für die kapitalismus-kritische Linke also etwas zu tun: Die Kritik des falschen Bewusstseins der Opfer des Systems. Denn wenn sie ihre Klassenlage sehen würden, wie sie ist, würden sie sich die nicht gefallen lassen. Sie kennen sich als „Wir da unten, ihr da oben”, halten sich für „sozial schwach”, schwanken zwischen Selbstzweifeln, weil sie es „nicht weit bringen” und durchsichtigem Größenwahn. Aber eines wissen und billigen sie nicht: Dass sie die Deppen des Laden und auf der Welt sind, um zu arbeiten und andere reich zu machen, und dass sie sie Macht, sie auszunutzen, durch ihre Dienste auch noch selbst herstellen.
2. System – Charaktermaske – Mensch
a) Wenn man mit Marx vom Kapital als einem „automatischen Subjekt” spricht und von den Menschen als Charaktermasken und Personifikationen des Kapitals, formuliert man zunächst einmal ein Rätsel, das aufgelöst werden muss. Die Akteure sind nämlich keine Marionetten, sondern selbstbewusste Menschen, die ihre Interessen haben und wissen und Mittel einsetzen, um sie zu realisieren. Man muss erklären, wie es dazu kommt, dass sie die Gesetze des Kapitals exekutieren, die sie gar nicht kennen; und dass sie durch Betätigung ihrer bewussten Interessen ökonomische Sachzwänge in die Welt setzen, an denen manche scheitern.
Die erste Quelle der „subjektlosen” Macht des Kapitals und seiner Sachzwänge ist die gar nicht subjektlose Macht des Staates. Verfassungsgemäß etabliert und garantiert die politische Gewalt das Privateigentum, ein Recht auf ausschließendes Verfügen über bearbeitete und unbearbeitete Natur wie über eigene Arbeit. Das private Verfügen erstreckt sich auf Mittel der Konsumtion, die jeder braucht, wie auf die Mittel der Produktion, die erst recht jeder braucht. Die Staatsgewalt setzt vor alles Benutzen das eigentumsrechtliche Besitzen und definiert dadurch, was in dieser Gesellschaft Reichtum ist: Nicht nämlich ein Haufen von nützlichen Dingen, sondern die im Geld quantifizierte Verfügungs- und Zugriffsmacht auf sie. Und sie macht diese gesellschaftliche Zugriffsmacht – ein Rechts-, also ein Gewaltverhältnis – zum ökonomischen Hebel, zur Quelle von neuem Reichtum: Zugang zu dem, was einer besitzt, gewährt er anderen, die es brauchen, nämlich nur, wenn die ihm dafür einen Gegenwert liefern oder Dienst leisten, dessen Größe sich aus dem Grad ihrer Angewiesenheit auf das Eigentum des anderen ergibt. Nur unter der politischen Gewalt des Eigentums werden Arbeitsmittel zu Instrumenten der Aneignung fremder Arbeitsleistung, nur unter dieser Bedingung verwandeln sich die Lebensbedürfnisse der Habenichtse für sie zum Zwang, sich fremden Geldinteressen dienstbar zu machen.
b) Auf Basis des politischen Zwangs zum Verkehr als Privateigentümer zwingen die Akteure einander die Logik und die Konsequenzen ihrer Erwerbsquellen dadurch auf, dass sie sie in Konkurrenz zu einander betätigen: Anbieter der gleichen Warenart konkurrieren um dieselben Nachfrager und bekommen von der Gesamtheit der Anbieter und Nachfrager, „dem Markt”, mitgeteilt, was ihr Angebot wert ist. Die Rückwirkung des eigenen Interesses auf den kapitalistischen Akteur, dadurch, dass andere dasselbe Interesse verfolgen, bringt dabei weder neue oder noch andere Zwecke in die Welt, als in den Erwerbsquellen, die die Akteure betätigen, selbst schon stecken. Mit dem Zweck der Geldvermehrung durch Einsatz seines Eigentums tritt der Kapitalist, mit dem Zweck des Geldverdienens durch Arbeit tritt der Arbeiter schon in die Konkurrenz ein, weil andere mit denselben Interessen ihm aber den Markt, die Arbeitskräfte, den Arbeitsplatz streitig machen, zwingen sie einander, nicht den Zweck, aber die Messlatte des Erfolgs ihrer Zweckverfolgung auf und machen dadurch die „inner tendencies” des Kapitals (bzw. der Lohnarbeit) zu äußeren, jedem Akteur gegenüber verobjektivierten Gesetzen. [Marx, Grundrisse, MEW 42, S. 550f, 558f, 644] Jedem einzelnen treten so die Erfolgsbedingungen seines kapitalistischen Interesses und die Mittel, die er dafür ergreifen muss, als äußere Fakten und Sachzwänge gegenüber, denen er genügen muss, um Erfolg zu haben.
Der Unternehmer z.B. will durch Einsatz eines Kapitalvorschusses einen Überschuss erzielen, eine Gelddifferenz – und zwar eine möglichst große. Dieser Zweck ist weit hinaus über den bescheidenen Gesichtspunkt von Bedürfnis und Lebensunterhalt. Der Bedarf nach Geld ist – anders als der nach allen anderen Gütern – per se maßlos; und der nach Geldquellen ist es erst recht. Was der Kapitalist will, ist Wert und Wertsteigerung. Was er nicht kennt und nicht will, ist das Wertgesetz, das er und seinesgleichen durch ihre allseitige Aktion erzeugen und dem sie unterliegen.
Die Konkurrenz zwingt die Wirtschaftssubjekte nur zu den Konsequenzen, die in ihren ökonomischen Mitteln schon eingeschlossen sind – und das heißt für die gegensätzlichen Klassen Gegensätzliches: Sie zwingt die Kapitalisten zum Einsatz der Mittel ihres Zwecks: Um den angestrebten Überschuss über ihre Kosten zu erzielen, müssen sie die Kosten ihrer menschlichen und sachlichen Produktionsfaktoren senken und die einmal bezahlten Faktoren möglichst ausgiebig nutzen. Sie müssen gar nichts wissen vom Unterschied zwischen dem lebendigen Arbeitsvermögen und den technischen Anlagen: Sie machen automatisch das für sie Richtige, wenn sie beide billigst einkaufen und intensiv nutzen. Sie haben Mittel ihres Erfolg, die Konkurrenz zwingt sie, sie auf dem gesellschaftlich gültigen Niveau einzusetzen.
Für Arbeitskräfte sieht die Sache anders aus: Sie sind selbst die Mittel ihres Erfolgs; auch sie zwingt die Konkurrenz zur Kostensenkung. Nur sind sie selbst diese Kosten: Sie müssen sich billiger anbieten, länger arbeiten, sich mit Fähigkeit und Willigkeit dem Kapital nützlicher machen als der Mitbewerber um den Arbeitsplatz. Den Kapitalisten zwingt die Konkurrenz zum effizienten Einsatz seiner Mittel, um seinen Geldmaterialismus zu befriedigen, den Lohnarbeiter zum Verzicht auf seinen Materialismus.
3. Klassenbewusstsein und Klassenkampf, wie es sie gibt – und wie wir sie brauchen.
a) Kapitalismuskritik wendet sich an die lohnabhängige Mehrheit. Denn erstens bleibt im diesem System deren Materialismus auf der Strecke, während die reiche Minderheit ihren Materialismus als Abfallprodukt der Kapital-Akkumulation außerordentlich gut bedient sieht. Die Lohnabhängigen haben also guten Grund, den ruinösen Dienst am Kapital abzuschütteln. Zweitens haben auch nur sie die Macht dazu: Mit ihrer Arbeit reproduzieren und vergrößern sie beständig die Macht des Kapitals über sich. Die endgültige Verweigerung ihres Dienstes entzieht dem Kapital die Macht über die Gesellschaft und dem Staat die Mittel ihrer gewaltsamen Sicherung.
b) Dabei ist es nicht so, dass es kein Klassenbewusstsein gäbe – nur was für eines! Der Gegensatz von Lohn und Profit ist kein Geheimnis. In den Gewerkschaften ist das Bewusstsein organisiert, dass der Arbeiter nur einerseits als freier Eigentümer seiner Einkommensquelle für sich sorgen und um seinem Vorteil konkurrieren kann. Damit seine Arbeit als Einkommensquelle überhaupt funktioniert, braucht er auch das Gegenteil, die Aufhebung der Konkurrenz, den Zusammenschluss mit seinesgleichen: Nur kollektiv kann er der beherrschenden wirtschaftlichen Macht, den Kapitaleignern, als Verhandlungspartner gegenüber treten und steht nicht gleich als hilfloser Bittsteller da. Freiwillig – soviel Einsicht steckt in diesem Zusammenschluss – zahlt die andere Seite gar nichts.
c) Das Bewusstsein des Gegensatzes wird allerdings ergänzt durch sein Gegenteil: Genau die Profitgeier, die ihm nichts gönnen, braucht der Lohnarbeiter in der Rolle der Arbeitgeber: Nur sie können mit seiner Arbeitsbereitschaft etwas anfangen und ihm einen Lohn zahlen. Die widersprüchliche Stellung führt dazu, dass die Lohnabhängigen den Gegensatz der Interessen von vornherein nur unter dem Gesichtspunkt der angestrebten Versöhnung zur Kenntnis nehmen. Sie treten den Interessen der anderen Seite nicht ebenbürtig mit den eigenen Interessen entgegen, sondern mit einem Antrag auf Kompromiss, der doch möglich sein sollte, weil sie das Recht der Kapitalisten auf Profit ja nicht bestreiten. Sie pflegen eine „personalisierende Kapitalistenkritik”: Nicht in dieser Klasse und ihrem objektiven Interesse sehen sie ihren Gegner, sondern im einzelnen „raffgierigen Egoisten”, der nach „Maximalprofit” statt Normal-Profit strebt, dem es „nur um Profit und nicht um die Menschen geht”; eben in dem schlechten Menschen, der den Kompromiss verweigert, den er sich doch leicht leisten könnte.
d) Was es braucht und was fehlt, ist die moralfreie Einsicht, dass das Kapital und seine Agenten sich nicht eine Versündigung an einer eingebildeten Gemeinsamkeit und auch keinen Verrat an einer sozialen Verantwortung zu schulden kommen lassen, sondern dass ihr Interesse eben das Allgemeininteresse dieser Gesellschaft ist, von dem alle anderen Interessen abhängen, dem sie alle nachgeordnet sind. Kapitalisten erfüllen ihre soziale Pflicht, wenn sie ihren Profit mehren, denn Volks- und Gemeinwohl, soziale Verantwortung etc. haben zur Voraussetzung, dass die Mittel dafür erst einmal – kapitalistisch natürlich – erwirtschaftet sein müssen. Die Arbeiterschaft hat zu erkennen, dass die ganze Ordnung ein zum System gewordenes feindliches Interesse gegen sie und dass ihre eigene Erwerbsquelle kein Besitzstand ist, sondern nichts als die freiheitliche Form der Dienstbarkeit für fremde Zwecke.

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18.04.12 ¦ Berlin ¦ Dillmann: China und der Weltmarkt – Ein dritter Weg zum Sozialismus?

20. April 2012 Kommentare ausgeschaltet

Der Mitschnitt der Auftaktveranstaltung vom 18.04.2012 des Fachschaftsrats Sozialwissenschaften der HU Berlin seiner Veranstaltungsreihe „kritische Sozialwissenschaften“ 2012 mit Renate Dillmann vom GegenStandpunkt als Referentin zum Thema „China und der Weltmarkt – Ein dritter Weg zum Sozialismus?“ ist bei www.archive.org als Download verfügbar.

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David Walters on the U.S. Left Opposition Digitization Project

10. April 2012 1 Kommentar

David Walters has published the following post:
The Marxists Internet Archive’s USA History Publications Section as part of joint project involving the Holt Labor Library, the Encyclopedia of the Trotskyism On-Line and the Riazinov Library, the U.S. Left Opposition Digitization Project has now completed the digitization, uploading and linking of the early press of the Communist League of America (1928-1934), Workers Party of the U.S. (1935-1936), the Trotskyist tendency inside the Socialist Party of America (1936-1937) and the Socialist Workers Party (1938-1946) with the following uploads of high-resolution PDF scans of the following periodicals. These are complete runs, in some cases amounting to over 52 issues a year:
The Militant: 1928-1934
New Militant: 1934-1935
Socialist Appeal: 1936-1941
The Militant: 1941-1946
The consolidated table of contents for this is located here:
http://marx.org/history/etol/newspape/themilitant/index.htm
Additionally, and most recently, we started placing online the internal discussion bulletins of the early Trotskyist movement in the United States organized as the Communist League of America (Opposition)1928-1934 and then the Workers Party of the United States (1935-1936). These are the first of the entirety of the internal bulletins of the US Trotskyists through the early years of the Socialist Workers Party. Presented in high resolution PDFs.
Communist League of America Internal Bulletins (1930-1934)
Communist League of America International Internal Bulletins (1931-1935)
Workers Party of the United States Bulletins (1934-1935)
http://marx.org/history/etol/document/swp-us/idb/index.htm

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Grass: Deutscher Großdichter als Weltgewissen – national abgewatscht

8. April 2012 1 Kommentar

Freerk Huisken hat einen Kommentar zur im Augenblick in allen medialen Kanälen geführten Abwehrschlacht gegen den zumindest moralischen Verbrecher Günter Grass unter seiner Rubrik „Lose Texte“ veröffentlicht.

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