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„Erfahrungen“ versus „unbrauchbare Unzufriedenheit“

10. Mai 2012

Abschrift so ungefähr des Schlußteils (ab 1:18:35) der Po­di­ums­dis­kus­si­on in Bie­le­feld „Klas­sen – Kämp­fe – Kom­mu­nis­mus“ am 25.04.2012 mit Michael Heinrich, Peter Decker (und weiteren GSPlern):
Peter: Das allgemeine Bewusstsein ist auf dem Stand dessen, womit Michael Heinrich oft argumentiert, der trinitarischen Formel: Der Revenuequelle, weil sie bereit sind, Kapital für Produktionsmittel zu halten, die doch jede Arbeit braucht, Grund und Boden für die örtliche Arbeitsbedingung, die doch jede Arbeit braucht, und Arbeit für den Beitrag der Arbeiter zum Gesamtprodukt. Und dass sie bereit sind, Arbeitsmitteln ein Recht auf Einkommen genauso zuzubilligen wie der Arbeit. Daß sie also letztlich diese Produktionsweise dann doch nicht für eine von einem besonderen Interesse bestimmte Produktionsweise halten, sondern fürs Produzieren überhaupt.
Insofern ist es die Aufgabe derer, die den Kapitalismus studiert haben, und davon dann was verstehen, dass sie das, was die bürgerlichen Menschen, also in erster Linie die Arbeitskräfte (es ist klar, dass andere Menschen auch immer Einsicht in das Verhältnis nehmen können, und sie genauso missbilligen und ablehnen könne, wie es der Proletarier kann, aber um die geht es jetzt einmal nicht). Wir können etwas dafür tun, dass die Leute, das, was sie für sachliche Verhältnisse halten, dann doch als zum System gewordene Interessen erkennen, die man auch nicht anerkennen kann. Und dann zu dem Bewusstsein kommen, dass die Leute, mit denen Michael geredet hat [bei gewerkschaftlichen Bildungsveranstaltungen und Seminaren], schon haben. Wenn es von denen mehr gäbe, dann würde die Welt anders aussehen.
Michael: Daß die Leute, die ich vorher im Auge hatte, eine Minderheit sind, das ist völlig unbestritten. Womit ich jetzt Probleme habe bei deiner Argumentation ist wenn du sagst, na ja, wenn es jetzt Lohnverhandlungen gibt, Lohnkämpfe, dann bewegt sich das auf der Ebene der trinitarischen Formel, dann spreche ich den Besitzern der Arbeitsmittel das Recht zu, Einkommen zu erhalten, weil sie diese Arbeitsmittel besitzen und so freundlich sind, die mir in die Hand zu drücken, dass ich dann arbeiten kann. Das ist einerseits richtig, faktisch: Wenn ich eine Lohnverhandlung führe, spreche ich dem anderen, der mir da auf der Kapitalseite gegenüber sitzt, das Recht zu, dass er Profit haben kann. Aber, die Frage ist, aus welchen Gründen passiert das: Mache ich das, weil ich den Kapitalismus eigentlich ganz in Ordnung finde, eine produktive Angelegenheit (in der Tat, noch nie hat sich die Technik so entwickelt wie unter dem Kapitalismus), und lediglich nicht in Ordnung finde, dass ich, bzw. die Seite, die ich vertrete, nicht so gut dabei wegkommt, dass die einen geringen Lohn hat. Oder mache ich das, obwohl ich einsehe, dass diese sachlichen Verhältnisse auf bestimmte Interessen zurückgehen. Obwohl ich einsehe, dass die kapitalistische Produktionsweise nicht die Produktionsweise schlechthin ist, mache ich das, weil ich im Moment keine Möglichkeit sehe, wie ich effektiv diese Produktionsweise überwinden kann. Und dann sage ich, ok, ich muß noch eine ganze Weile innerhalb dieser kapitalistischen Verhältnisse leben und jetzt versuche ich, ein bisschen mehr Lohn rauszuschlagen, als ich bisher hatte.
Für dasselbe Verhalten, daß ich Lohnkämpfe führe, kann es ganz unterschiedliche Gründe geben: Mangelnde Einsicht kann der Grund sein, die findet das eigentlich ganz in Ordnung, was hier läuft. Oder: Ich finde das gerade überhaupt nicht in Ordnung, verfüge aber nicht über die materiellen Möglichkeiten, dieses System in Frage zu stellen, materiell in Frage zu stellen und nicht nur argumentativ. Und was werde ich dann machen? Egal wie viel Kapitalkurse ich besucht oder vielleicht sogar selber abgehalten habe: Ich werde den Lohnkampf führen.
An dem Unterschied muß man ansetzen. Und da komme ich nicht zu einem ganz negativen Ergebnis wie Peter das sieht: Die Menschen machen nicht nur die Erfahrung, es geht auf ihre Kosten im Betrieb, sondern die lernen dabei auch, wer davon profitiert, auch ohne was gelesen zu haben. Du hast einerseits Recht, die Leute, die da in meinen Gewerkschaftsseminaren sitzen, die sind nicht die typischen. Aber warum sind das nicht die typischen? Nicht weil die meinen Namen vorher kennen würden und sagen, oh, von dem haben wir ein Buch gelesen, da wollen wir mal hingehen. Sondern, da sind Leute drin, die haben noch nicht so fürchterlich viele Bücher gelesen, haben aber ihre Erfahrungen gemacht und über ihre Erfahrungen nachgedacht, und sagen: Ok, und jetzt will ich es noch ein bisschen genauer wissen. Und dann werden sie von bestimmten Themen angesprochen und nicht so sehr von Namen, die sie eventuell sowieso nicht kennen. Das würde ich nicht unterschätzen.
Peter: Darum geht es nicht, es geht um Folgendes: Ich finde, du nimmst dein Urteil mit dem Fetischbewusstsein (diese Gesellschaft beruht auf einem falschen Bewusstsein, sie beruht darauf, dass als vernünftig gilt, was hier herrscht), das nimmst du letzten Endes, wenn man an diese Stelle kommt, nicht mehr ernst, sondern sagst: manche so, manche so.
Jetzt halten wir doch erst mal fest: 99 % so und eine Minderheit hat sich (selbstverständlich, durch Erklärung der eigenen Erfahrungen und durch Bücherlesen und durch Debatten und was auch immer, das ist ganz unwichtig,) zu der Einsicht hingearbeitet, man versteht überhaupt nicht mehr, warum es das alles braucht, man erkennt es als gegen einen feindlich gerichtet und hält es für unsinnig und unnötig. Die Letzteren, die stehen da wie wir, die haben dann schon das Problem: Auch wir können dem Lohn nicht entkommen, bloß weil wir ihn für verkehrt ansehen. Die haben dann die Frage: Was kann ich tun, um den Willen zu verallgemeinern, sich das nicht mehr bieten zulassen? Was kann ich tun, um die verkehrte Einsicht in die Vernünftigkeit dieser Ordnung, die allgemein verbreitet ist, zu untergraben? Die haben schon etwas zu tun, die können halt nicht von heute auf morgen den Kapitalismus stürzen, wenn sie allein sind, das ist ja klar. Aber für die gibt es was zu tun, die sind aber auch nicht die Erklärung dafür, daß nichts passiert. Deswegen ist die ganze Frage, die du aufwirfst: Es gibt Leute, die haben alles eingesehen und es passiert trotzdem nichts, was kann man dann tun, was folgt dann? Diese Frage, die halte ich wirklich für daneben. Die gibt es gar nicht. Die haben etwas zu tun, die das wissen, daß der ganze Laden verkehrt ist. Natürlich können sie nicht von heute auf morgen, wenn sie so wenig sind, alles umstürzen, daß ist klar, die müssen halt Agitation machen, die müssen halt ihren Gedanken verbreiten. Da stehen sie nicht besser oder schlechter da wie wir auch. Und die anderen, die halten es mehr oder weniger für vernünftig. Da ist es mir dann egal, ob die wegen falscher Gedanken die Welt in Ordnung finden, oder ob die Not, in die sie praktisch gestellt werden sie dazu führt und sie diesem Verhalten, daß ihnen praktisch aufgezwungen wird, auch noch gedanklich Recht geben und dann sagen: „Muß halt wohl so sein!” Ist egal, jedenfalls führt es dazu, daß man den Laden irgendwie einsieht.
Ein Zusatzgedanke, der ist ganz wichtig:
Wo du hinkommst, Arbeiter, Rentner, was immer, alle schimpfen, daß alle anderen ihnen alles wegnehmen. Die Welt ist doch nicht voller Zufriedenheit, sondern die Welt ist voller unbrauchbarer Unzufriedenheit. Sie meinen, es geschieht ihnen Unrecht, massenhaft. Aber eines meinen sie in der Regel nicht: Daß sie was verkehrt machen. Was fehlt ist die Kritik der eigenen Revenuequelle. Das ist nämlich der Haken. Daß der Kapitalist alles abgreift, daß der dem Arbeiter nicht das Schwarze unterm Fingernagel gönnt, usw. usw, das kann man doch überall haben und hören, das ist doch nicht die Frage. Aber das Arbeiten gehen doch nichts Verkehrtes sein kann, daß man mit ehrlicher Arbeit ehrliches Geld beanspruchen kann, das kann doch nichts Schlechtes sein, das ist Gemeingut.
Anders gesagt: Im Lohnkampf (der ist ja das Scharnier, um das sich die ganze Gesellschaft dreht. Übrigens: Das weiß auch die ganze Gesellschaft. Wenn es irgendwo giftige Lohnkämpfe gibt, dann wissen alle, damit steht und fällt die Konjunktur, der Stand der Nation in der internationalen Konkurrenz, die Stabilität der Ordnung, usw., manchmal gleich die Demokratie. Es ist ja nicht unbekannt, daß das das Scharnier ist, um das sich alles dreht), wenn in diesem Kampf den Kapitalisten was weggenommen wird, dann ist, so wie die Dinge heute laufen, immer die Rücksicht auf die andere Seite (wirklich schädigen darf man die aber nicht, denn sie soll uns ja morgen wieder Arbeit geben) drin (in Deutschland schon gleich in der Radikalität: Wir fordern überhaupt nur in der Abhängigkeit vom Erfolg der anderen Seite, so nach dem Muster: In der Krise, da bringen wir große Lohnopfer und wenn dann die Gewinne wieder explodieren, dann dürfen wir doch auch mal).
Eigentlich braucht es nur eins, und das ist zugleich ein kleiner Schritt und ein Riesenschritt: Das nicht mehr Rücksicht nehmen auf das Interesse der anderen Seite. Das würde schon reichen. Aber das verlangt, daß man nicht darauf setzt, daß man morgen wieder beschäftigt wird. Das verlangt den Willen zum Umsturz. Die Arbeiterschaft hat jede Macht, die Verhältnisse zu stürzen, aber nicht, wenn sie Lohnarbeiter bleiben wollen. Dann haben sie gar keine Macht, dann sind sie das Anhängsel und müssen sich auch so benehmen. Und das läuft nur über die Kritik der eigenen Revenuequelle. Nämlich das Nichtanerkennen der anderen Seite: „Wir brauchen euch nicht mehr als Arbeitgeber, haut doch ab!” Das heißt auch: „Ich glaub auch nicht, daß ich morgen mein Einkommen durch einen Verkauf meiner Arbeitskraft am Arbeitsmarkt erziele.” Das darf man nicht mehr wollen. Und dazu ist die Kritik der Lohnarbeit, die Kritik, was wird da eigentlich getauscht, dazu ist das, was man bei Marx dazu lernt, entscheidend, weil es die Kritik der eigenen Revenuequelle ist, an der es hapert. Das ist jetzt vielleicht ein Punkt, der etwas weiter führt in den Überlegungen.
Michael: Gut, darin würde ich dir ja auch zustimmen: Kritik der eigenen Revenuequelle und die Arbeiterklasse kann was umstürzen, wenn sie bereit ist, nicht mehr Lohnarbeiterklasse zu sein. Nur, das Problem ist: Auf dem Weg dahin gibt es eine Menge Leute, die dieses Bewußtsein haben, die diese Einsichten haben, die auch das Wollen haben, und dann ist die Frage, die du, finde ich, ein bißchen zu schnell abgetan hast: Was folgt daraus? Wenn ich dich richtig verstanden habe: Agitation. Solange wir in der Minderheit sind, daß das eher selbstmörderisch ist, ich stürme jetzt los, und sage: „Revolution!”, dann kann man sich ausrechnen, wie weit ich damit komme.
Peter: Ja, das ist so lachhaft, daß man das gar nicht zu kritisieren braucht. [Gelächter aus dem Publikum]
Michael: Und insofern: Agitation ist in Ordnung. Die Frage ist aber, ist das das Einzige? Oder gibt es die Möglichkeiten, auch durch Kämpfe, mögen sie auch noch so beschränkt sein, etwas zu lernen? (Daß muß ich jetzt nebenbei mal sagen, es ist für mich eine ganz neue Erfahrung, daß mir vorgeworfen wird, ich würde den Fetischismus nicht ganz Ernst nehmen, normalerweise kriege ich den umgekehrten Vorwurf, ich würde alles darauf reduzieren!)
Nur: Der Punkt ist: Der Fetischismus, die trinitarische Formel, Religion des Alltagslebens, das ist alles vorhanden, das ist alles das Hintergrundrauschen, dem sich im Prinzip keiner entziehen kann. Aber auf der anderen Seite ist das auch nicht dieser geschlossene Verblendungszusammenhang, den Adorno und andere Autoren im Blick hatten, sondern es gibt permanent Brüche darin. Also es gibt einerseits diesen Zusammenhang und es gibt Prozesse, die ihn aufbrechen. Prozesse, die ihn aufbrechen sind unter anderen solche Kämpfe, wo Menschen, die vielleicht vorher alles Mögliche als selbstverständlich hingenommen haben, lernen, die Welt sieht völlig anders aus, wenn ich anfange, mich dagegen zu wehren. Und deswegen wäre mein Punkt: Es bleibt eben nicht nur Agitation, sondern es gibt durchaus Eingriffsmöglichkeiten in Kämpfe, die stattfinden, wo man dann versuchen kann, diese entweder über dieses rein Immanente, ich stärke jetzt meine eigene Revenuequelle, hinauszuführen, oder zumindest im Laufe dieser Kämpfe die Einsicht zu schärfen, woran es denn liegt, daß selbst wenn wir kurzfristigen Erfolg haben, sich trotzdem nicht grundsätzliches ändert. Insofern: Es gibt noch etwas mehr als Agitation, wobei ich jetzt Agitation, Aufklärung, Kapitalschulungen, überhaupt nicht bagatellisieren will, das ist ja in der Tat auch genau das, was ich zum größten Teil mache.
Publikum: Ich will gar nicht bestreiten, daß man dann, wenn man sich vom Polizeiknüppel wieder erholt, auch einen klugen Gedanken fassen kann. Aber es hat in gewisser Weise etwas Zynisches, zu sagen, man will eigentlich etwas völlig anderes, man will eigentlich, daß die Leute aufstehen und sagen, ich finde die eigene Revenuequelle Scheiße und dementsprechend einen Umsturz wollen, und läßt sie jetzt aber in Kämpfe reinlaufen, und ist sogar für Kämpfe, die was ganz anderes wollen. Nur damit sie dann dabei merken, daß das, was sie wollen, damit nicht geht.
Michael: Dann wäre es zu wenig. Aber du merkst in einem Kampf nicht nur, was nicht geht. Du merkst auch plötzlich, was zum Beispiel eine kollektive Aktion ist. Das ist ein bedeutender Unterschied, ob wir hier abstrakt darüber reden, dass Kämpfe, Umstürze usw. nötig sind, oder zum ersten Mal wirklich einen Streik zu machen, eine Fabrik zu besetzen, zum ersten Mal bestimmte Grenzen bürgerlichen Rechts, die du vorher peinlich genau ein gehalten hast, weil du Angst hast, einen Strafzettel für dein Auto zu kriegen, und jetzt plötzlich besetzt du ein fremdes Grundstück, akzeptierst nicht mehr diese normalen Eigentumsregeln. Das ist ein verdammter Unterschied, ob du das praktisch machst oder nur darüber redest vorher. Und diese Erfahrung, die ist wichtig.
Publikum: Als „kollektive Aktion” kann man auch ins Fußballstadium gehen.
Michael: Ich sag nicht, jede kollektive Aktion ist, weil sie kollektiv ist, schon gut. Aber eine kollektive Aktion, die darauf rausläuft, bestimmte bürgerliche Eigentumsrechte zu verletzen, und zu sagen, das ist jetzt notwendig, für das was wir wollen, das ist ein Unterschied.
Publikum: Bei Agitation ist mir etwas verschwommen, was der Gegensatz war: Du hast über Agitation geredet und eigentlich gesagt: Ja, und in den Kämpfen muß man die dann zuspitzen, also doch wieder aufklärerisch wirken, da habe ich den Gegensatz zu Peter überhaupt nicht verstanden, denn Peter hat ja überhaupt nicht gesagt, Agitation findet dadurch statt, dass wir uns in Unisälen treffen, sondern – das ist ja auch der Zeitschrift zu entnehmen – die gehen ja auch auf Demos und verteilen da Flugblätter, „spitzen” also sozusagen „die Kämpfe” da zu und treiben da Agitation. Da würde ich sagen, das ist nicht der Dissens. Was ich aber komisch finde, sind zwei Punkte. Erstens: Erfahrung ist doch was ganz anderes, als bestimmte Schlüsse aus der Erfahrung zu ziehen. Aus der Erfahrung, ich gehe auf den Streik und wir verlieren den Streik, da kann man dann sagen: Scheiße, die Arbeiterklasse ist noch nicht entschlossen genug, jetzt wird mal ordentlich aufgeklärt, damit das nächste Mal alle mitmachen, die das auch angeht. Und man kann genauso sagen: Was für ein Scheiß, da gehe ich doch lieber ins Stadion. Den Schluß, den man aus dem Streik zieht, das ist kein deterministischer, das ist halt die Sache, welches Argument je nach dem mir mehr einleuchtet. Also wieder die Notwendigkeit der Agitation.
Warum kommt man eigentlich immer auf den Lohnkampf? Lohnkampf ist da, wo der Klassenwiderspruch, der Klassenantagonismus am offensichtlichsten wird. Wo man eigentlich meint, man hat eigentlich einen ziemlich guten Anknüpfungspunkt, und jetzt kommts: um den Kampf in was ganz Anderes zu verwandeln, als was er ist. Der Lohnkampf ist systemimmanent. Er ist notwendigerweise auch da, weil das Kapital permanent die Revenuequelle Lohnarbeit bestreitet und Lohnarbeit nicht zum Leben reicht. Deshalb ist über die Notwendigkeit von Lohnkampf eigentlich alles gesagt. Da kann man was Schäbiges draus machen: In dieser Gesellschaft ist es offensichtlich noch nicht einmal selbstverständlich, dass die Person, die arbeitet, sich davon ernähren kann, so was muß immer wieder erkämpft werden. Aber umgekehrt verhält es sich doch, wenn man sagt, jetzt habe ich diese Gesellschaft begriffen und will die abschaffen, dann verhält sich der Lohnkampf dazu wie, ich will schwimmen und dafür gehe ich in den Wald einen Baum fällen. Das hat nichts miteinander zu tun. Weil, wenn du gerade revolutionär unterwegs sein willst, dann gehst du doch nicht in den Lohnkampf, um Lohnkampf zu machen, sondern das machst du notwendigerweise, um dich damit zu ernähren, sondern wenn du revolutionär tätig wirst, dann gehst du hin und klärst die Leute über ihre Lage auf.
Michael: Dagegen spricht doch auch niemand, Leute über ihre beschissene Lage aufzuklären. Der Punkt, auf den es mir ankam, den hatte ich ja schon gesagt, ist nicht, zu sagen, Agitation, Aufklärung, Kritik sei unwichtig, sondern zu gucken, das Lernprozesse, die nötig sind, damit Leute was umstürzen wollen, nicht allein so ablaufen, dass ich sie jetzt aufkläre, oder jemand anderes, und sie dann verstanden haben, hoppla, das ist ja gar nicht zufällig, das es mir immer dreckig geht, das hat ja ein bestimmtes System. Sondern, da gehört auch anderes dazu: In Kämpfen z.B. eigene Ängste zu überwinden, die da sind. Und wenn du das nicht gelernt hast, irgendwo, und sei es in einem beschränkten Lohnkampf, dann wirst du das in einer anderen Situation nie machen!
Publikum: Zu dem Punkt, dass einem ein paar ängstliche Revolutionäre die Suppe versalzen: Es ist doch erst mal angesagt, die 99 %, die mit dem DGB einen gerechten Lohn fordern, darüber aufzuklären, wie weit sie damit kommen.
Michael: Dagegen spricht auch niemand, die aufzuklären! Das ist jetzt wirklich der falsche Gegensatz.. Mein Punkt ist: Diese Aufklärung allein, die reicht nicht aus!
Publikum: Du sagst immer, da muß noch mehr kommen und bei den Beispielen, die du dann durchgehst, kommt immer: Am ende, nachdem du die Besetzung gemacht hast und von der Polizei abtransportiert wurdest oder einen Lohnkampf gemacht hast, steht, du musst dir erklären, warum es nicht mehr geworden ist: Wir waren zu wenig, es waren leider nur 50 Piepen drin und das reicht immer noch nicht, um zurecht zu kommen. Es bleibt doch dabei, dass der Mensch sich dann aus dieser Lage und dieser Erfahrung die richtigen Schlüsse ziehen muß! Und das ist doch Agitation. Und da sagst du immer, nein, da braucht man noch die Erfahrung. Wir haben eben doch schon festgehalten, die Erfahrung, dass es den Leuten hier dreckig geht, dass ihre Revenuequelle eigentlich ständig nichts taugt, die machen doch alle und darüber klagen sie doch auch. Ich weiß deshalb nicht, warum du immer noch eine ganz besondere Erfahrung dazu brauchst.
Michael: Erfahrungen ist was anderes. Was du sagst, ist keine Erfahrung, sondern das ist: du kriegst mit, dein Lohn reicht nicht aus und dann hängst du Erklärungen dran oder nicht. Dagegen spreche ich im Übrigen überhaupt nicht. Für gesellschaftliche Kämpfe kommt es noch außerdem auf etwas anderes an – ich spiele das nicht gegeneinander aus – als nur Einsichten: Du musst bestimmte Grenzen überschreiten, das setzt ein bestimmtes kollektives Verhalten voraus. Das setzt voraus, dass du bestimmte Ängste überwindest. Und das kommt mir hier völlig zu kurz! Da scheint es so, als ob Revolution alles nur eine Frage mangelnder Einsicht sei. Hätten wir die Einsicht, genügend Leute machen Kapitalkurse, ja dann geht hier die Post ab!
Peter: Ja, Michael, so ist es, genauso ist es! Wenn man das mit den Kapitalkursen noch etwas kleiner schreibt, es muß nicht jeder da wunder wie studieren, aber die Einsichten, die da zu holen sind: Ja so ist es!
Michael: Die Einsichten sind nötig, aber sie allein reichen nicht aus.
Publikum: Aus der Einsicht muß dann so was folgen wie die Taten. Ein entschlossener Wille, das ist etwas anderes als wenn man halt im Seminar von mir aus, sich klar macht, jawohl es gibt hier den Gegensatz von Lohnarbeit und Kapital und das ist ein antagonistischer Gegensatz, da ist die Schädigung der einen Klasse das permanente Resultat und die hat allen Grund dazu sich aufzulehnen. Und wenn ich das begriffen habe, dann mache ich mir das aber auch zum Zweck, aus dem soll was folgen, das soll jetzt nicht bloß Gelaber bleiben, und dafür muß ich auch was auf die Beine stellen. Da sagt der Peter an der Stelle: Jawohl dafür muß man als allererstes auf die Beine stellen, dass man jede Menge anderer Leute von dieser Einsicht überzeugt. Du hast jetzt gesagt, ja, aber selbst das reicht nicht, ich seh doch, die Leute kämpfen an den diversen Stellen der Gesellschaft, und das ist auch wichtig. Ja das ist auch wichtig, dass sie sich daraus auch die entsprechenden Schlüsse ziehen von dem Unterschied, ich kämpfe um einen gerechten Lohn zu dem überzugehen zum Kampf gegen den Lohn, denn der Lohnkampf präsentiert mir die Frage nach dem gerechten Lohn so ungefähr jedes Jahr aufs Neue. Da kann man also ganz genauso, quasi mitten in einem gesellschaftlichen Kampf, den es jedes Jahr gibt, diese Frage, was ist die richtige Einsicht und wie kommt da überhaupt der richtige Wille mal in die Welt, die kann man da stellen und den Leuten in dieser Sache mit einer grundsätzlichen Kritik ihres dauernden Rumlaborierens kommen.
Michael: Gegen diese grundsätzliche Kritik wende ich mich hier doch überhaupt nicht! Da rennst du offene Türen ein.
Publikum: Ich wollte fragen, ob es einfach dieser eine Unterschied ist, zwischen dieser Agitation mit diesen Einsichten, mit dieser Kritik erstmal der Stellung, die auch wirklich die große Masse der Leute hat. Wenn es so wäre, wie du dir das denkst, oder mal angedeutet hast, man hat schon die Einsicht, aber man setzt sie nicht um in den Willen, dann müsste man sich ja nur mal untereinander verständigen: Hallo, wie steht es eigentlich untereinander? Es stellt sich plötzlich heraus, alle haben die Einsicht, aber keiner traut sich. Ja, wenn das so wäre, dann wäre es relativ einfach. Das kann aber gar nicht sein.
Michael: Ich rede ja nicht davon, alle haben die Einsicht, aber viele Einsichten und trauen sich nicht und haben sogar gut Gründe, dafür, sich nicht zu trauen, weil nämlich das Risiko von bestimmten Kämpfen durchaus hoch ist. Ich habe etwas zu verlieren, von mir aus meinen bescheuerten Arbeitsplatz. Solange wir Kapitalismus haben, geht es mir ohne Lohnarbeit schlechter als mit Lohnarbeit. Insofern hab ich hier was zu verlieren und das erzeugt Ängste und mit den Ängsten muß man überhaupt erst mal lernen, umzugehen. Und das ist ein bestimmter Punkt, der scheint mir hier ausgeblendet zu sein. Da wird sozusagen Widerstand, Revolution auf so eine rein intellektuelle Einsicht runtergebrochen, die ich entweder habe oder nicht habe. Und wenn ich sie habe, dann müsste doch konsequenterweise der Wille dranhängen, diese Einsicht umzusetzen. Es wäre schön, wenn es so klar und einfach wäre, aber das sehe ich nicht, dass das so klar und einfach ist.
Publikum: Die Leute lernen doch, mit ihren Schäden umzugehen. Entweder, indem sie sich noch mehr zu Recht machen für die Logik der Marktwirtschaft, oder indem sie den Schluß ziehen, dass sie eben Versager sind. Ich habe den Eindruck, du verwechselst da eins: Dass die Leute unzufrieden sind, das gibt es doch massenhaft, das ist doch auch kein Wunder in dieser Gesellschaft, wo es Eigentum gibt und lauter Gegensätze Unzufrieden sind viele, die Mieter, die Rentner, die Studenten. Aber da ist doch längst noch nicht der Schluß: Das liegt an der Gesellschaft! Statt dessen habgierige Manager oder unnütze Politiker, Ausländer die alles durcheinander bringen, die haben doch nicht das Bewusstsein, dass man kollektiv das Eigentum missachtet und ruckizucki gibt es eine Revolution.
Peter: Vermeiden wir die Extreme im argumentieren: Als unausgeräumt bleibt vorläufig stehen, dass der Michael sagt, alles mit dem Bewusstsein und der Aufklärung und der Einschätzung der Gesellschaft und des Gegners, mit dem man es zu tun hat, das alles ist gut und schön und auch richtig und will er auch unterstützen und haben, aber das reicht nicht. Es braucht darüber hinaus die Erfahrung wirklicher Kämpfe. Und da kommen dann Formulierungen, die in die Nähe einer sagen wir es mal psychologischen Theorie der Emanzipation gehen: Ängste überwinden, Schranken missachten, Erfahrungen kollektiver Stärke sammeln und solche Formulierungen. Und das gibt es sehr viel in den linken Bewegungen, dass eben – in deinem Fall ganz ausgesprochen – du fällst richtig voll raus aus deiner Kapitalanalyse, das hat jetzt damit gar nichts mehr richtig zu tun, sondern jetzt sind wir in einer ganz anderen Welt, in der Welt der wirklichen Kämpfe.
Da meine ich, gibt es eine einfache Formel: Der Mensch, der sich zu irgendwas aufrafft, hält immer soviel Radikalität für nötig und zweckmäßig, wie er die Lage einschätzt. Es ist sein Urteil über den Gegner, sein Urteil über seine Lage, sein Urteil über den Zweck, den er überhaupt verfolgt, aus dem sich ergibt, wie frech, wie zerstörerisch, oder wie vorsichtig er auftritt. Beim Lohnkampf, wie er existiert, ist es doch kein Wunder, dass die Leute einerseits sehen, dass sie ihn führen müssen, andererseits davor Angst haben: Sie wollen ja hinterher wieder beschäftigt werden. Und mit diesem Zweck ist man vorsichtig. Mit dem Zweck ist man dann auch quasi der Versuchung schnell erlegen, dass man den notwendigen Gegensatz delegiert: Man ist zahlendes Mitglied der Gewerkschaft, aber man lässt sich am besten nirgendwo sehen. Die Gewerkschaftsfunktionäre sollen den Gegensatz zum Kapital aushandeln, selber ist man Basis und lässt sich allenfalls dann aufrufen, wenn auch schon quasi die Rechtslage geklärt ist, dass es keine Sanktionen von Seiten der Unternehmer für Streikaktionen geben darf, weil das ja gesetzliche erlaubte Streiks sind, usw.
Ich meine, es gibt keine lebensmäßige Schulung in Radikalismus, oder Schulung in Kampfentschlossenheit jenseits des Urteils dessen, wogegen man wie sich betätigen möchte und muß. Ich will ja gar nicht leugnen, dass Erfahrungen gemacht werden, die man nicht in Büchern liest, wenn Leute sich mal zu etwas aufraffen, das ist doch klar. Aber aufraffen tun sie sich bloß zu dem, was sie für nötig halten und dann mit den Widersprüchen, die dem Zweck anhaften, den sie für nötig halten, (wo ich jetzt beim Lohnkampf ein paar Bestimmungen dafür geben wollte). Deswegen meine ich, ist die Vorstellung, außer sich den Zweck zu setzen, den Laden umzuschmeißen, auch noch das Kämpfen lernen auf einem ganz anderen Feld, diese Idee, nein, die ist es nicht. Nach beiden Seiten hin: Natürlich ist der Bücherwurm zu jedem Radikalismus bereit, wenn er der Meinung ist, das bringt es und das braucht es. Und umgekehrt: Die größten radikalen und äußerst erbittert geführten Kämpfe, die die Spontis in Deutschland geführt haben, haben doch zu nichts geführt, weil kein anderer Zweck damit verbunden war. Es stimmt doch nicht, dass Radikalität lernen irgendwohin führen würde. Da verbeißt man sich in der Gorlebenfront, oder Stuttgart 21, und ist da superradikal und macht auch alle Erfahrungen von Solidarität und Feindschaft usw. Aber wozu führt das?
Podium: Ich denke der Punkt ist, das wir feststellen müssen, dass es umgekehrt bleibt: Denn auch 150 Jahre Kapitalrezension und schlagmichtot wie viele Kapitalschulungen und Lesekreise, haben nicht mehr geleistet als Stuttgart 21, haben sich auch aufgerieben.
Peter: Dafür wollen wir nicht verantwortlich sein. Es geht nicht um die Frage, wozu führt das. Das Argument muß sein, was lernt man denn nun wirklich? Mein Argument war, es führt genau zu dem, was der Zweck des Kampfes selber gewesen ist. Das ist ein anderer Ton als, das führt doch nicht zum großen Erfolg und dann kommst du mir dagegen und sagst, das führt doch auch zu nichts.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Johnny Crash
    10. Mai 2012, 13:42 | #1

    Kannst du mal sagen, ab welcher Minute das so ungefähr beginnt ?

  2. 10. Mai 2012, 13:53 | #2

    Ich bin sozusagen mitten rein gegangen, ganz genau: ab 1:18:35 der Laufzeit des Mitschnitts.

  3. KHM
    10. Mai 2012, 13:54 | #3

    Der dritte Teil (Klassenbewusstsein und Klassenkampf) ab ca. Min. 66 und die Abschrift ab ca. Min. 78.

  4. 10. Mai 2012, 19:59 | #4

    Ich habe die Abschrift deswegen gemacht, weil mir dieser Streitpunkt zwischen Michael Heinrich und Peter Decker recht zentral zu sein scheint. Und – Überraschung – ja nicht nur zwischen diesen beiden. Was mir bei der „Verteidigung“ des Lernens aus Erfahrungen, auf die Michael Heinrich immer wieder verwiesen hat, zu kurz gekommen ist, ist die ja offensichtlich auch historisch wichtige Kiste, daß dieses „Lernen“, was da als unumgänglich eingefordert wurde und deshalb dem Aktionismus wenn schon nicht das Wort geredet wurde (um den abwertenden Begriff zu benützen) so diesem von Michael doch viel abgewonnen wurde (wenn auch nur potentiell). Und eben nicht nur oder vielleicht nicht mal in erster Linie wegen dem, um das es in dem im weitesten Sinne „progressiven“ Kämpfen geht (also zumeist, wenn überhaupt sowas stattfindet, im Lohnkampf), sondern wegen der förderlichen Einflüsse aufs kommunistische Gemüt sozusagen.
    Und das scheint mir eine recht brüchige leicht reversible Sache zu sein: Das, was die Streikpostenketten-Arbeiter aus ihrem Streik „gelernt“ haben mögen, also welche Schlüsse sie gezogen haben, welchen (nunmehr revolutionären) Willen sie sich daraufhin zugelegt haben oder bekräftigt haben, wenn es so gut kam, das kann doch genauso wieder verloren gehen, so wie es ja auch alles andere als ausgemacht ist, daß die Arbeiter dadurch überhaupt was in kommunistischem Sinne „gelernt“ haben. Das sind doch nicht Erkenntnisse wie das kleine Ein-mal-eins, die man zumeist nicht wieder vergißt oder verwirft, wenn man die erst mal drauf hat. Das sind Entscheidungen, Zielsetzungen. Und die sind eben nicht für die Ewigkeit. Unerschütterliches Klassenbewußtsein gibt es nur in Nachrufen von Stalinisten, im realen Klassenkampf ist das zumeist ein Hin und Her, sowohl was die Verbreitung und Tiefe des Klassenbewußtseins und des revolutionären Willens in der Arbeiterklasse angeht, bis hin zum Charakterwechsel ganzer Organiationen.
    Und deshalb ist der Königsweg der „Agitation“ und „Aufklärung“, den die GSPler Michael da unisono entgegengesetzt haben (gab es da wirklich keinen einzigen Unterstützer von Michael Heinrichs Sichtweise? Die ist schließlich die Mehrheitssichtweise bei fast allen Linken, so wie ich das immer mitbekomme), eben auch nichts Verbrieftes. Was man übrigens gut an denen selber ablesen kann: Ich hacke zwar nicht mehr so häufig auf MGler und GSPler ein wie noch zu Zeiten, da ich stolzer Leninist gewesen bin (schon deshalb, weil ich das ja mittlerweile selber auch nicht mehr bin und das dann recht hohl klingen würde), aber dem einen oder anderen Linken sollte doch die Geschichte sowohl des Aufstiegs der MG zur „stärksten der Parteien“ und deren abrupter Auflösung in 1991 bekannt sein. An der Summe der Kapitalschulungen, die die damals wie heute in Mengen organisiert haben, wird das ja nicht gelegen haben. Und bei vielen war es ja nicht nur der „realistisch“ taktische Umgang mit den von Michael Heinrich vielfach angeführten „Ängsten“, sondern wohl wirklich ein Bruch, eine Abkehr, eine auch ideologische Rückkehr in den politischen Mainstream, mehr oder weniger links.

  5. Mattis
    10. Mai 2012, 21:56 | #5

    Aber es bleibt doch wirklich ein zutreffendes Argument, dass seit 40 (!) Jahren in Deutschland immer wieder Bewegungen anfangen und auf Kritik hin sagen: man muss doch in kleinen Schritten anfangen, das ist doch ein Lernprozess, und auf den Erfahrungen baut man dann weiter auf.
    Und so ging das ja fast zwei Generationen lang! Ich schaue mir heute also die linke Szenerie an und suche angestrengt: nach den erreichten Schritten, nach dem Lernerfolg, nach dem Ergebnis der gemachten Erfahrungen. Kann mir jemand sagen, wo die geblieben sind? Sie sind „realistisch“ geworden, d.h. sie haben „gelernt“, dass die Realität stärker war als ihre Aktionen.
    Eben – die Kehrseite dieser eigenartigen Vorgehensweise sollte nämlich nicht vergessen werden: dass nämlich illusionäre Aktionen so was von demotivieren können, weil sie ja zwangsläufig scheitern müssen, aber dass sie scheitern müssen, sagt man den Leuten natürlich vorher nicht, und hinterher hütet man sich erst recht, zu erklären, dass man vorher schon mit dem Scheitern gerechnet hat, denn es sollten ja Erfahrungen gemacht werden … diese Art angewandte Pädagogik ist doch zynisch.

  6. zerdings
    11. Mai 2012, 01:29 | #6

    Man muss nun wirklich kein Heinrich oder Decker sein um sich die Lehren aus den 70ern in Italien oder anderswo einleuchten zu lassen. Mehr hab ich dazu im Internet – und das ist wirklich bloss erst seit zwei drei Jahren der Fall – wirklich nicht zu sagen.

  7. 11. Mai 2012, 11:34 | #7

    Welche „Lehren“ denn?? Was dem einen da eine historische Eule ist ist doch dem nächsten eine Nachtigall. Alle Menschen haben sich schon immer auf Alles jeweils „ihren“ Reim gemacht, ihre „Lehren“ gezogen.

  8. libelle
    11. Mai 2012, 12:31 | #8

    Vielleicht ist es beim Thema Erfahrung hilfreich, sich die eigenen Erfahrungen mal zu überlegen. Auch der GSP erfährt mit seiner Diagnose über die Welt praktisch ob sie zutrifft oder nicht. Wenn man mit der Idee auf die Leute losgeht, sie durch Ansprache für gesellschaftliche Veränderungen mobilisieren zu können; wenn man also meint damit etwas in der Hand zu haben die Verhältnisse sich selbst gemäß zu machen, dann erfährt man durch Anwendung dieser Idee, ob sie tatsächlich zutrifft (in dem Fall ist das Ergebnis, dass diese Idee nicht zutrifft).
    Diese Erfahrung verarbeitet man dann zu irgendwas Neuem – d.h. man erklärt sie sich – , das man dann wieder auf die Welt anwendet etc..
    Man kann auch von Leuten, die einem Erfahrungen voraus haben durchaus was lernen und sich so bestimmte Erfahrungen ersparen, indem man sich die Ergebnisse ihrer Auseinandersetzung mit ihren Erfahrungen aneignet.
    Angewendet auf die Proletarier heißt das: Sie können durchaus vom GSP was lernen, wollen das aber wegen ihrer Stellung zu den Verhältnissen nicht. Sie können aber durch Erfahrungen, die sie machen Erklärungsbedarf entwickeln, der auf eine Kritik der Verhältnisse weist. Das passiert genau dann, wenn die Erwartungen, die sie an die Verhältnisse haben ihnen als notwendig durch die Verhältnisse enttäuscht erscheinen. Die Argumentation mit der Erfahrung ist also eine, die versucht im proletarischen (oder bürgerlichen) Bewusstsein, wie man es vorfindet, durch Erfahrung (wie oben erklärt) einen „Ausgang“ hin zur Kritik der Verhältnisse zu finden.
    Die Vorstellung, die Erfahrung und „Argument“ unterscheidet, finde ich richtiger, auch wenn ich nicht teile, was Linke oder M.Heinrich daraus schließen.

  9. 11. Mai 2012, 12:52 | #9

    Das ist so leicht dahin gesagt:

    „Auch der GSP erfährt mit seiner Diagnose über die Welt praktisch ob sie zutrifft oder nicht. Wenn man mit der Idee auf die Leute losgeht, sie durch Ansprache für gesellschaftliche Veränderungen mobilisieren zu können; wenn man also meint damit etwas in der Hand zu haben die Verhältnisse sich selbst gemäß zu machen, dann erfährt man durch Anwendung dieser Idee, ob sie tatsächlich zutrifft (in dem Fall ist das Ergebnis, dass diese Idee nicht zutrifft).“

    Zwischen der Aussage, man „kann“ Menschen durch „Ansprache“ dazu bringen, sich dazu zu entschließen die Gesellschaft „verändern“ zu wollen und der Behauptung, daß man dann auch gesagt habe, „damit etwas in der Hand zu haben“ liegen Welten. Das betonen doch auch immer wieder GSPler, daß es keine Erfolgsgarantie beim Überzeugen wollen gibt und das das auch nicht durch noch bessere Argumentation herbei gezwungen werden kann.
    Ja, die Proletarier

    „können durchaus vom GSP was lernen, wollen das aber wegen ihrer Stellung zu den Verhältnissen nicht“.

    Den Stein der Weisen, wie man angesichts dieses offensichtlichen für Kommunisten betrüblichen Fakts „einen „Ausgang“ hin zur Kritik der Verhältnisse“ findet, den habe ich genausowenig wie irgendjemand sonst. Insbesondere aber ist es eine äußerst blöde Hoffnung, deshalb darauf zu setzen, daß wenigstens die „Erfahrungen“ den Proletariern doch beibringen „müsse“, was die bis dato vorgetragenen Argumente an deren Willen nicht haben abtragen können.

  10. libelle
    11. Mai 2012, 13:57 | #10

    Zwischen der Aussage, man „kann“ Menschen durch „Ansprache“ dazu bringen, sich dazu zu entschließen die Gesellschaft „verändern“ zu wollen und der Behauptung, daß man dann auch gesagt habe, „damit etwas in der Hand zu haben“ liegen Welten. Das betonen doch auch immer wieder GSPler, daß es keine Erfolgsgarantie beim Überzeugen wollen gibt und das das auch nicht durch noch bessere Argumentation herbei gezwungen werden kann.

    Es ist nicht nur keine Erfolgsgarantie, sondern der Veränderungswille bzgl. der Gesellschaft hat mit der Ansprache der Bürger durch die GSPler (oder allgemein: durch kapitalismuskritische oder sonstige Gruppen) einfach nix zu tun. Daraus folgt ja die Kritik – nicht nur an ihnen – dass sie ihre theoretischen Gegenstände, ihren Erklärungsbedarf etc… aus einem Vorhaben ableiten, das nie und nimmer etwas damit zu tun hat, wie die Änderung der Gesellschaft abläuft. So erzeugt das Projekt die Ideologie und nicht das, was man über die Welt weiß, das, was man tut.
    Solche Gruppen wie der GSP sind, wenn es diesen Veränderungswillen gibt, nichts weiter als ein Angebot an diesen Willen, sich eine Richtung zu geben. Und dann ist es eben blöd, wenn die Kritik selbst eine Ideologie ist, die sich z.B. an einem Feindbild, an der Vorstellung Feinde bekämpfen zu müssen, gebildet hat (wie bei Kommunisten). Dann kommt eben keine vernünftige Gesellschaft heraus, sondern StalinismusV2.
    Zur Erfahrung: Du kennst doch selbst die Situationen, dass einer einem eine Diagnose über einen Gegenstand nicht glaubt. Dann empfiehlt man ihm einfach praktisch zu erfahren, dass die Diagnose zutrifft.
    Und da gibt es eben ein paar linke Gruppen, die das versuchen. Und sie liegen damit näher am Problem, da das falsche Bewusstsein Resultat ihm vorausgesetzter Interessen ist, zu denen der Wille erst einmal Abstand einnehmen muss, um überhaupt über sie reflektieren zu können. Das ist ein Problem, das weit vor irgendeiner richtigen oder falschen Überlegung zur Lohnarbeit oder was weiß ich liegt. Es geht dabei um die Korrektur der Stellung zur Welt. Ist die Resultat von Überlegung oder sind die Überlegungen Resultat der Interessen. Und darin unterscheiden sich Kommunisten und Bürger nicht. Beide denken interessengeleitet.

  11. flfl
    11. Mai 2012, 16:06 | #11

    Ob man durch einen gescheiterten Lohnkampf den Mut verliert oder sich gleich ohne Kampf gegenseitig mit Defätismus fertigmacht, läuft wohl auf dasselbe hinaus. Bei Heinrich geht es auch um was anderes.
    Einmal weist er auf die vom (revolutionären oder fetischbestimmten) Bewusstsein unabhängige Notwendigkeit hin, fürs Überleben um einen Lohn zu kämpfen. Das muss jeder Lohnarbeiter, wenn er ein Interesse hat, zu überleben. Am Kampf für einen höheren Lohn lässt sich keine Gesinnung ablesen. Decker gesteht das ja auch in der vorhergehenden Diskussion zu, dass auch der revolutionärste Proletarier notwendig ein gespaltenes Bewusstsein hat. Er hat nebenbei auch einen Warenfetisch, weil er in dieser Gesellschaft auf Geld, auf ein Einkommen, zum Überleben angewiesen ist.
    Zum anderen spricht Heinrich nur eine Banalität aus, nämlich dass man sich etwas eher traut, wenn man sich darin übt. Wer irgendwann mal schwimmen können will, sollte vorher schon mal ins Wasser gestiegen sein. Wie sollen Proletarier eine Revolution machen, wenn sie sich schon aus Angst vor dem Kapital nicht trauen, andere zu agitieren oder sich an Streiks zu beteiligen? Die Angst wird man am ehesten los, indem man sich mit diesen Situationen konfrontiert, indem man trotz Unbehagen einfach mal bei Aktionen mitmacht, den Anstoß gibt, dass auch andere sich trauen, und so merkt, dass man als Arbeiter handlungsfähig ist, dass man – um Decker zu zitieren – „jede Macht [hat], die Verhältnisse zu stürzen“.
    Der Einwand aus dem Publikum, man könne bei Aktionen auch die Erfahrung des Scheiterns machen, ist so absurd, dass man nicht weiß, ob das ein Witz sein sollte. Scheitern tun die Proletarier andauernd ohne irgendeine Aktion. Ohne jeden Widerstand gegen das Kapital ist das Scheitern garantiert. Nimmt sich die Position, die in dem Publikumsbeitrag zum Ausdruck kommt, ernst, so spricht sie erst recht dafür, sich nicht untätig alles vom Kapital gefallen zu lassen.

  12. 11. Mai 2012, 20:09 | #12

    „Bei Heinrich geht es auch um was anderes.
    Einmal weist er auf die vom (revolutionären oder fetischbestimmten) Bewusstsein unabhängige Notwendigkeit hin, fürs Überleben um einen Lohn zu kämpfen. Das muss jeder Lohnarbeiter, wenn er ein Interesse hat, zu überleben.“

    Und wer hätte das jetzt bestritten? Das trägt doch selbst noch jeder GSP-Referent bei seiner alljährlichen DGB-Kritik vor oder nach deren unsäglichen 1. Mai-Aufrufen vor, regelmäßig mit dem Nachsatz, daß das doch schon eine vernichtende Kritik an diesem Laden ist, daß sowas notwendig ist.
    Insofern ist es nicht nur oder nicht mal in erster Linie korrekt, „dass auch der revolutionärste Proletarier notwendig ein gespaltenes Bewusstsein hat“. Denn das geht ja in dieser kapitalistischen Gesellschaft gar nicht anders, solange man es noch nicht geschafft hat, sie loszuwerden. Das Bewußtsein ist schon ein kommunisitisches (jedenfalls bei den wenigen, die es haben), das Verhalten ist ein doppeldeutiges: Da streikt eben jemand mit bei einem popeligen (meinetwegen trotzdem erbittert geführten) Lohnkampf und erzählt dabei seinen streikenden (und den nichtstreikenden natürlich auch), daß es eigentlich richtiger wäre, endlich Schluß mit dem Lohnssystem zu machen statt einen besseren Lohn anzustreben und zu erkämpfen.

    „Wie sollen Proletarier eine Revolution machen, wenn sie sich schon aus Angst vor dem Kapital nicht trauen, andere zu agitieren oder sich an Streiks zu beteiligen?“

    Nochmal, wer sagt, denn, daß Kommunisten den Proletariern sagen sollten, das Maul zu halten, in der Kneipe genauso wie vor allem im Betrieb? Oder, daß ein Kommunist sich dadurch auszeichnet, erstens selber Streibrecher zu sein und auch noch seine eventuell streikwilligen Kollegen lauthals davon abzuhalten?
    Grundlegend falsch halte ich die weitverbreitete, wohl auch von Michale Heinrich geteilte Auffassung, daß es gut sei, wenn

    „man trotz Unbehagen einfach mal bei Aktionen mitmacht, den Anstoß gibt, dass auch andere sich trauen, und so merkt, dass man als Arbeiter handlungsfähig ist.“

    Denn dieses „Unbehagen“, also die immer vorhandenen Überlegungen, wie sich der streikmäßige Bruch mit seinem Arbeitgeber auf die zukünftige eigene Stellung in der Konkurrenz mit den anderen Lohnarbeitern auswirkt, die wird doch durch einen Streik, egal wie der nun konkret ausgeht, gar nicht weggeräumt. Denn es geht doch gar nicht um diese allerabstrakteste „Handlungsfähigkeit“, sondern bei Lohnkämpfen als immanenter Kampf darum, genau die „Handlungen“ an den Tag zu legen, die einem die Perspektive einer weiteren „erfolgreichen“ Arbeiterexistenz ermöglichen/erkämpfen. Und die „Handlungsfähigkeit“, die für sowas nötig ist, ist eben nicht die, die Arbeiter haben, die sich entschieden haben, die kapitalistischen Verhältnisse zu stürzen. Erst dann haben sie eben auch die Macht, „jede Macht“, um das auch wahr werden zu lassen.
    Der Einwand aus dem Publikum war gerade nicht, „man könne bei Aktionen auch die Erfahrung des Scheiterns machen“, das weiß schon jedes kleine Kind, das nicht alle Pläne aufgehen. Sondern es hieß,“

    Er­fah­rung ist doch was ganz an­de­res, als be­stimm­te Schlüs­se aus der Er­fah­rung zu zie­hen. Aus der Er­fah­rung, ich gehe auf den Streik und wir ver­lie­ren den Streik, da kann man dann sagen: Schei­ße, die Ar­bei­ter­klas­se ist noch nicht ent­schlos­sen genug, jetzt wird mal or­dent­lich auf­ge­klärt, damit das nächs­te Mal alle mit­ma­chen, die das auch an­geht. Und man kann ge­nau­so sagen: Was für ein Scheiß, da gehe ich doch lie­ber ins Sta­di­on. Den Schluß, den man aus dem Streik zieht, das ist kein de­ter­mi­nis­ti­scher, das ist halt die Sache, wel­ches Ar­gu­ment je nach dem mir mehr ein­leuch­tet. Also wie­der die Not­wen­dig­keit der Agi­ta­ti­on.“

    Das ist offensichtlich was völlig anderes als Hosenscheißerei, die dem GSPler da unterstellt wurde.
    Nochmal: Es geht nicht um „Untätigkeit“, gern auch „Abstinenz“ genannt, sondern zentral darum, was die paar Kommunisten den anderen so tagein tagaus, also auch bei den eh unumgänglichen Klassenauseinandersetzungen, in die alle zusammen immer wieder kommen, an Erkenntnissen und Argumenten mit auf deren Weg oder weg von deren Weg anbieten können.
    „Sich nicht untätig alles vom Kapital gefallen zu lassen“ muß mit einem vernünftigen Inhalt gefüllt werden, damit diejenigen, die das zum Teil ja in der Tat jetzt schon nicht mehr wollen, sich dann zu Einsichten und dementsprechenden „Taten“ aufraffen, die aber bitte nicht im Verteilen von DGB-Aufrufen bestehen sollten.

  13. Mattis
    11. Mai 2012, 22:33 | #13

    1)
    libelle sagt: „da das falsche Bewusstsein Resultat ihm vorausgesetzter Interessen ist“.
    Nein. Das „Interesse“, so wie es dasteht, beinhaltet (!) das falsche Bewustsein. Wenn der Mensch es zulässt, dass seine ökonomische Lage (ein objektiver Umstand) auch schon gleich sein „Interesse“ bestimmt, dann ist schon ein Fehlschluss impliziert.
    Aber ohne argumentatives Hinzutun geht das eben nicht, denn die Notwendigkeit, sich dienstbar zu machen, IST noch nicht das falsche Bewusstsein selbst.
    Wer „falsches Bewusstsein“ hat, ist immer einer unzutreffenden Schlussfolgerung aufgesessen, egal nun, ob er sie von anderen übernommen oder diese sich selbst ausgedacht hat.
    „Ohne Arbeit hat man nichts zu essen“ – ist falsches Bewusstsein, wenn man dabei Arbeit und Dienst für ein Kapital gleichsetzt. Die Gleichsetzung mag „nahegelegt“ sein dadurch, dass es Arbeit derzeit eben nur als Arbeit fürs Kapital gibt, man also fälschlicherweise beides ineins setzt – trotzdem bleibt es ein Fehlschluss, der NUR durch Gegenargumente, NICHT durch Erfahrungen aufgelöst werden kann.
    2)
    Und deshalb ist auch deine Behauptung, grundlegende Kapitalismuskritik rühre aus dem Willen zur Gegnerschaft und nicht aus der Kritik der Umstände, ein bemühter Idealismus. Als wollte ein negativer Weltgeist partout Gegnerschaft – grundlos – und sucht sich dann eine geeignete Bühne, sich zu manifestieren. Bist du Hegelianer oder Esoteriker?
    Auch hier zeigt sich wieder dein Denkfehler (wie unter 1), dass du das Interesse und nicht die Lage als Ausgangspunkt behauptest.
    Du musst natürlich weiter an dieser Verwechslung festhalten, wenn du von der Behauptung eines feindseligen Interesses als Ausgangspunkt nicht loslassen willst.

  14. libelle
    12. Mai 2012, 17:12 | #14

    Nein. Das „Interesse“, so wie es dasteht, beinhaltet (!) das falsche. Wenn der Mensch es zulässt, dass seine ökonomische Lage (ein objektiver Umstand) auch schon gleich sein „Interesse“ bestimmt, dann ist schon ein Fehlschluss impliziert.

    Das ist falsch. Frag‘ Dich mal, was ein Interesse ist! Das ist nämlich nichts weiter als das in die gesellschaftlichen Formen seiner Verwirklichung gekleidete Bedürfnis. Das „beinhaltet“ lediglich das Bewusstsein davon, wie man im Kapitalismus an die Gegenstände seines Bedürfnisses kommt, also weder ein richtiges, noch ein falsches Urteil z.B. über das Geld, sondern lediglich das Wissen darum, wie man an welches herankomt und wie man es verwendet (das ist dann das „Interesse“, um das auch Du mit Deinen richtigen oder falschen Schlüssen nicht herumkommst).(**)
    Die Stellung zur Welt, die ich in meinem Beitrag angesprochen habe, ist dann die, dass das eigene geistige Produkt auf den Dienst an diesen Interessen verpflichtet wird. Das ist die Stellung ideologisch denkender Menschen zur Welt (Kommunisten ausdrücklich eingeschlossen) und der kommst Du mit Argumenten nicht bei, weil Deine richtigen oder falschen Argumente sehr grundsätzlich von diesem Standpunkt mit seinem Nutzenkalkül vorsortiert werden d.h. die Leute hören Dir überhaupt nicht zu, weil Du ihrem Erkenntnisinteresse nichts zu bieten hast. Die Interessen selbst sind mit dieser Stellung zur Welt dem Denken nicht mehr Gegenstand, sondern aller geistigen Tätigkeit zweckgebend vorausgesetzt (Kommunisten – Revolution, niederringen der Interessengegner; Bürger – Geldreichtum anhäufen).
    Den Spruch „ohne Arbeit hat man nichts zu essen“ missverstehst Du dementsprechend auch sehr grundätzlich. Die Leute stellen sich darin praktisch zu den Verhältnissen und haben die Arbeit als Mittel erkannt, auf einer gegebenen gesellschaftlichen Grundlage an Futter zu kommen. Du tust in Deiner Kritik so, als hätten sie eine theoretische Bestimmung der Arbeit von sich geben wollen, die Du kritisieren kannst. Die befinden sich aber nicht in einer theoretischen Auseinandersetzung mit Dir und würden (mangels Interesse) diese auch nicht mit Dir führen, weil dieses Wissen ihrem Erkenntnisinteresse eben nicht dienlich ist (s.o.).

    …trotzdem bleibt es ein Fehlschluss, der NUR durch Gegenargumente, NICHT durch Erfahrungen aufgelöst werden kann.

    Zum „Fehlschluss“ ist oben alles Nötige gesagt. Der Fehler daran ist sich vorzumachen, man befände sich in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit den Proleten und hätte deren „Fehlschlüsse“ zu korrigieren.
    Ihre Stellung zur Welt verhindert, dass sie sich überhaupt auf so eine Auseinandersetzung einlassen. Und die versuchen manche linke Vereine eben durch Zuspitzung der Kämpfe zu korrigieren. Die Niederlage – oder die Aktionen des Gegners – sollen den Klärungsbedarf, die Reflexion auf das eigene Interesse überhaupt erst erzeugen, indem die Proleten den Gegensatz zugespitzt erfahren. Ich teile das nicht, aber diese Vereine haben eine richtigere Vorstellung als Du oder der GSP. Es ind keine bloßen falschen Urtele, die vernünftige gesellschaftliche Verhältnise verhindern, sondern es ist die Stellung zur Welt, die ein falsches Bewusstsein produziert und die damit verhindert, dass die Leute über ihre Interessen reflektieren.

    Und deshalb ist auch deine Behauptung, grundlegende Kapitalismuskritik rühre aus dem Willen zur Gegnerschaft und nicht aus der Kritik der Umstände, ein bemühter Idealismus. Als wollte ein negativer Weltgeist partout Gegnerschaft – grundlos – und sucht sich dann eine geeignete Bühne, sich zu manifestieren. Bist du Hegelianer oder Esoteriker?

    Wenn Hegel sich im Klaren darüber war, wie Interessen und falsches Bewusstsein zusamenhängen, dann lasse ich mich gern Hegelianer nennen. Wie es sich damit verhält habe ich oben nochmals erklärt. Nicht so, dass die Leute sich bloß über die Welt irren und Du ihnen nur ihre Fehler austreiben müsstest. Das ist völlig verkehrt. Sie irren sich mit Methode: ohne Arbeit hat man nichts zu essen.
    (**)- Dass die ökonomische Lage das Interesse bestimmt ist übrigens kein falsches Bewusstsein, kein Urteil, über das Du mit den Leuten streiten könntest, sondern sie bestimmt die Interessen praktisch, bringt sie hervor und dann fangen sie an über die Welt unter dem Diktum nachzudenken zu ihren Interessen zu kommen. Sie haben also nicht in einer Sachfrage eine andere Einschätzung als Du (lasse ich meine Interessen von der ökonomischen Lage bestimmen oder nicht).

  15. 12. Mai 2012, 17:23 | #15

    Daß sich die Gegenseite, daß sich Staat und Kapital in einer vergleichsweise komfortablen Lage befinden, was die „Agitation“ anbelangt, sollte nicht unerwähnt bleiben: Sie verstehen es doch der Arbeiterklasse ihre Abhängigkeit, den Ast, auf dem sie selber sitzt, immerzu vor Augen zu halten. Es ist ja so, daß der Arbeiterklasse als Erfolg angerechnet wird, wenn sie sich auf diesem Ast ihrer Abhängigkeit zu halten versteht: Bescheidene Lohnforderungen sind IHR Erfolg. (Diese agitatorische Rechnung geht natürlich zumindest solange auf, wie der staatliche, nationalökonomische Erfolg nicht zu wünschen übrig läßt.)
    Es ist also keineswegs so – sollte das jemand behauptet haben -, daß der Arbeiterklasse ihr „permanentes Scheitern“ vorgerechnet wird. Es wird vielmehr allein all denen vorgerechnet, die dem Versuch, sich auf dem Ast zu halten, nichts abgewinnen können, all jenen, die eine ehrliche, materialistische Bilanz von eben der Arbeiterklasse (und von sich als Teil dieser) einfordern, von der die andere Seite sie mit den guten Gründen ihres Verwertungszwecks abhalten will.
    Apropos Michael Heinrich: Angst hat doch wohl nur der, der sich nicht zu wehren weiß, der der Argumente entbehrt, die er braucht, den Protagonisten des Systems entgegenzutreten? Ein Aspekt steckt allerdings drin bei M.H., der durchaus eine wertvolle, wenn auch rein methodische, banal erscheinende Einsicht ist:
    Die „Aufklärung“ geht nicht bei anderen los, die geht im eigenen Kopf los. Sich das nötige Wissen zu verschaffen (und das gilt es permanent zu erweitern, versteht sich), ist die Voraussetzung, andere mit richtigen Argumenten zu überzeugen.
    Daß es daran, an dem eigenen Wissen über die gesellschaftlichen Verhältnisse, in der Geschichte der wie auch immer systemkritischen Leute und ihrer Parteien seit über 100 Jahren mangelt, ist nicht zu übersehen. Ein ganzer Staatenblock hatte bekanntlich Marxsche Einsichten mit seiner an deren Statt proklamierten Moral totgeschlagen. Und im Westen hatten sich viele solcher Leute mit einer Art ökologischen Nische zufrieden gegeben, zumindest in den Staaten, in denen sie stark genug waren (in den anderen hatten sie ihr Ziel dahingehend reduziert). Zu einer verschärften argumentativen Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb der Organisationen ist es jedenfalls selten genug gekommen: Und wenn doch, dann wurden sie dogmatisch totgeschlagen, also ohne einen Sachverhalt zu klären.
    Wenn schon mal methodische Bemerkungen wie diese fällig sind, dann sei mal darauf hingewiesen, wie wenig präsent eine solch fundamentale Unterscheidung wie die von Gebrauchs- und Tauschwert in den Köpfen „sozialistisch“, „kommunistisch“, „sozialrevolutionär“, ja „marxistisch“ sich bezeichnenden Köpfen ist. Oder: Die Zusammensetzung eines (vorgeschossenen) Kapitals aus c und v und dem, was aus diesen Bestandteilen abzuleiten ist, ist völlig unklar: Wer kennt nicht einen, der früher mal in einer der K-Parteien war, und der heute die Meinung vertritt, daß der Mehrwert aus c kommt? Weil: Die Höhe der Profite ließe nur diesen Schluß zu, ansonsten würde ein Kapital ja auch nicht in c investieren und Arbeitskräfte überflüssig machen! So kann man natürlich nicht nur nichts begreifen, sondern alles auf den Kopf stellen. Ein solcher korrigiert die eigene Irrationalität einstiger Kritik mit einer (ideologischen) Rationalität der Gegenseite aufgrund deren Erfolgs, ganz ohne seine früheren Fehler eingesehen zu haben. Der Gegensatz, der in und mit der einstigen Kritik am Kapital vorlag, war offenkundig ein nicht ansatzweise begriffener. DESHALB wird er leicht aufgegeben.
    Seinen Frieden mit der feinen Gesellschaft des demokratischen Kapitalismus zu machen geht sowieso allenthalben leichter, als SICH in Kritik zu ÜBEN.

  16. Mattis
    12. Mai 2012, 22:30 | #16

    @libelle
    Du schreibst:

    „Frag‘ Dich mal, was ein Interesse ist! Das ist nämlich nichts weiter als das in die gesellschaftlichen Formen seiner Verwirklichung gekleidete Bedürfnis. Das „beinhaltet“ lediglich das Bewusstsein davon, wie man im Kapitalismus an die Gegenstände seines Bedürfnisses kommt, also weder ein richtiges, noch ein falsches Urteil z.B. über das Geld, sondern lediglich das Wissen darum, wie man an welches herankomt und wie man es verwendet“

    Ich bestreite, dass das einfach Wissen ist. Das Bewusstsein lautet nämlich nicht: ‚ich muss beim Kapitalisten arbeiten gehen‘ – und das könnte der Arbeiter ja zugleich ziemlich mies und unbedingt änderungsbedürftig finden! – sondern: ‚man muss eben arbeiten gehen‘. So, wie man es schon als Kind gesagt bekommt. Der Kapitalist ist als „Arbeitgeber“ selbstverständlich unterstellt, wie eine sachliche Produktionsbedingung – und das ist falsch, das ist er nicht! So ist aber die Sicht – ohne tiefer darüber nachzudenken. Das nennt man Affirmation, das ist kein objektives Wissen.
    Der Arbeiter setzt sich also gerade NICHT „wissenschaftlich“, d.h. objektiv mit seiner Lage auseinander – was du mir als Behauptung unterschiebst. Deswegen kann ich auch durchaus keine wissenschaftliche Debatte mit ihm führen – was du mir aber komischerweise als Absicht unterstellst.
    Wäre sein Interesse nicht deckungsgleich mit falschem Bewusstsein, dann wäre er supergut ansprechbar! Er würde dann sagen: ‚ich muss zwar momentan malochen gehen (soweit sein instrumentelles korrektes Wissen), aber ich will durchaus nicht, dass das so beibt‘.
    Arbeiter A und B haben dasselbe instrumentelle Wissen (ich muss lohnarbeiten), Arbeiter A sagt, so IST das eben nun mal, Arbeiter B sagt, wird Zeit, dass das geändert wird.
    Arbeiter A hat bleibendes Interesse (!) an der Lohnarbeit und erzählt jedermann, dass das nun mal alternativlos ist (=falsches Bewusstsein); Arbeiter B geht arbeiten (=erzwungene Praxis) – hat aber als Interesse die Änderung dieses Zustands.
    Wenn das Interesse an Lohnarbeit wirklich identisch wäre mit der objektiven Lage, arbeiten gehen zu müssen – und das ist dein Axiom -, dann könnte kein Arbeiter jemals zu einer Kritik der Lohnarbeit kommen, und niemals in der Geschichte könnte ein Arbeiter Sozialist geworden sein – und übrigens auch kein Mitglied einer anderen Klasse. Es wäre ein Wunder!
    Da dem Interesse an Lohnarbeit aber ein gedanklicher Fehler innewohnt – und bitte, man kann falsch denken auch ohne „wissenschaftliche Auseinandersetzung“! – ist hier die Möglichkeit gegeben, mit Argumenten anzusetzen. Falsche Gedanken können korrigiert werden, Einsicht kann gewonnen werden, dass man auf einem schädlichen Holzweg unterwegs ist.
    Mit diesem einzigen (!) verfügbaren Ansatzpunkt ist meinerseits NICHT, wie du unterstellst, die Behauptung verbunden, der Arbeiter sei offen, darüber unbefangen zu debattieren. Warum er in der Regel nicht offen ist, sondern die Lohnarbeit tatsächlich zu seinem Standpunkt macht, ist aber ein anderes Thema, zu welchem ich weiter ausholen müsste (und für das von GSP-Seite übrigens nach meinem Wissen keine schlüssige Erklärung vorliegt).
    Die mangelhafte Ansprechbarkeit des Arbeiters hat aber NICHT den Grund, dass er einfach, ohne dabei einen falschen Gedanken zu haben, eben Interesse an Lohnarbeit hat. So aber stellst du den Arbeiter hin. Gerade so, als wollte jemand ein schwarzes Auto. Dass es schwarz sein soll, darin liegt kein Fehlschluss, deshalb könnte (und sollte) man auch nicht dagegen argumentieren.
    Du qualifizierst das Interesse des Lohnarbeiters wie einen Willen, so ein schwarzes Auto zu haben. Und dementsprechend stellst du Systemkritiker dar als Leute, die stattdessen partout wollen, dass jeder rote Autos will und es keine schwarzen Autos mehr gibt. In dieser verdrehten Sicht der Dinge erscheinen logischerweise radikale Kritiker als pure und boshafte Unterdrücker.

  17. latte
    13. Mai 2012, 12:09 | #17

    „Es ind keine bloßen falschen Urteile, die vernünftige gesellschaftliche Verhältnise verhindern, sondern es ist die Stellung zur Welt, die ein falsches Bewusstsein produziert und die damit verhindert, dass die Leute über ihre Interessen reflektieren.“

    Der verkehrte Gegensatz: Das Urteilen und die „Stellung zur Welt“ gibt es nicht getrennt voneinander. Oder existiert irgendwo eine urteilslose „Stellung“? Es mag praktische Notwendigkeiten geben, die einem blöde Gedanken aufnötigen, aber wenn sich Leute mit ihrer Schicksalslitanei „zur Welt stellen“, ist das immer beides: Ein falsches Urteil über die Welt UND ein falsches Interesse, ganz bestimmte Entscheidungen als naturwüchsigen Weltenlauf hinzunehmen. Als Gerechtigkeitsfans z.B. lassen Bürger das Schicksal nicht als Argument gelten. Dem Interesse gehen also seinerseits IMMER Urteile voraus – so sehr libelle versucht, die zum Verschwinden zu bringen, ein besinnungsloses Interesse würde nicht erst im Supermarkt scheitern …

  18. Mattis
    13. Mai 2012, 12:58 | #18

    Mattis:
    @Wolfgang

    „Wer kennt nicht einen, der früher mal in einer der K-Parteien war, und der heute die Meinung vertritt, daß der Mehrwert aus c kommt?“

    Ich bezweifle, dass irgendwelche Argumente mit c und v irgendetwas mit dem Standpunkt dieser Leute zu tun hat. Dass der Kapitalist das Sagen hat, den Profit einstreicht, bleibend über den geschaffenen Reichtum verfügt und über die Konkurrenz alle und alles dem Markt ausliefert – kann man auch so als Zumutung empfinden …

  19. libelle
    13. Mai 2012, 13:03 | #19

    Wissen:
    libelle:

    „Frag‘ Dich mal, was ein Interesse ist! Das ist nämlich nichts weiter als das in die gesellschaftlichen Formen seiner Verwirklichung gekleidete Bedürfnis. Das „beinhaltet“ lediglich das Bewusstsein davon, wie man im Kapitalismus an die Gegenstände seines Bedürfnisses kommt, also weder ein richtiges, noch ein falsches Urteil z.B. über das Geld, sondern lediglich das Wissen darum, wie man an welches herankommt und wie man es verwendet“

    Mattis:

    Ich bestreite, dass das einfach Wissen ist. Das Bewusstsein lautet nämlich nicht: ‚ich muss beim Kapitalisten arbeiten gehen‘ – und das könnte der Arbeiter ja zugleich ziemlich mies und unbedingt änderungsbedürftig finden! – sondern: ‚man muss eben arbeiten gehen‘. So, wie man es schon als Kind gesagt bekommt. Der Kapitalist ist als „Arbeitgeber“ selbstverständlich unterstellt, wie eine sachliche Produktionsbedingung – und das ist falsch, das ist er nicht! So ist aber die Sicht – ohne tiefer darüber nachzudenken. Das nennt man Affirmation, das ist kein objektives Wissen.

    Natürlich müssen die Leute, um im Kapitalismus zurechtzukommen auch ein paar Sachen wissen. Dass das nicht einschließt wissen zu müssen, was Kapital, Geld etc… sind, ist kein Einwand dagegen. Sie müssen (und wollen) eben entsprechend ihrem Interesse wissen, wie sie an Geld kommen und bekommen das auch heraus. Sie „wissen“ also u.a. ihre Arbeitskraft als Revenuequelle und den Kapitalisten als Eigentümer, der ein Interesse an ihrer Arbeitskraft hat und dem sie sie gegen einen Lohn befristet überlassen.
    Was Du ihrem Wissen, wie auch ihrem Nichtwissen entnehmen kannst ist, dass ihr Interesse sich als Eigentümer (ihrer Arbeitskraft oder von Kapital, Gund) zu betätigen ihren Bedarf an Wissen definiert. Das merkst Du gerade daran, dass ihnen die Bestimmungen dieser Gesellschaft, soweit nicht für ihr Interesse brauchbar- nicht geläufig sind und dass sie sie ihrem Denken als nicht weiter zu hinterfragende Gegebenheiten voraussetzen. So denkt man eben, wenn man sich als Eigentümer betätigen will. Als Autofahrer fragst Du Dich auch nicht wie ein Motor funktioniert oder woraus Asphalt besteht, sondern suchst nach den Bedienelementen des Autos und fährst damit auf der Straße herum.
    Den Übergang zu Vorstellungen über Arbeit, Kapital im Allgemeinen, zur „Wirtschaft“ etc… machen die Leute mit dem zum Citoyen, dem die Gesellschaft als Grundlage seines Eigentümerinteresses Gegenstand wird. Mit dieser Fragestellung betrachtet er die Gesellschaft und die Einrichtung, die diesen Standpunkt praktisch gegen die Gesellschaft geltend macht (Staat) institutionalisiert diese Fragestellung als Wissenschaft (VWL, BWL, Soziologie usw..). Daher kommen die Vorstellungen, die z.B. Marx im Kapital an der politischen Ökonomie seiner Zeit kritisiert.
    Und selbstverständlich sind die so entwickelten Theorien auch ein Angebot an das Erklärungsinterese des Citoyens im Proletarier, den als Eigentümer eben auch die obige Fragestellung umtreibt, wie die Welt als Grundlage seines Interesses am besten zu organisieren sei.
    Und das dabei entstehende Ideologiegebäude ist nicht durchweg falsch oder entspringt einem bloßen Legitimationsinteresse, sondern seine Quelle ist die obige Fragestellung, es ist ein Kind des Citoyen.
    „Selbstverständlich“, unhinterfragt unterstellt das Eigentümerinteresse also seine eigenen Grundlagen. Darin ist es dem Bewusstsein vorausgesetzt und das falsche Bewusstsein ist sein Resultat. Als theoretische Gegenstände nimmt das Eigentümerinteresse seine Grundlagen wahr, wie sie sich für dieses Interesse als erklärungsbedürftig erweisen. „Arbeit“ heißt da immer Arbeit in Eigentumsverhältnissen, Arbeit für einen Arbeitgeber und umgekehrt werden die Produktionsverhältnisse als die Organisation der gesellschaftlichen Arbeit schlechthin wahrgenommen.
    wissenschaftlich:

    Der Arbeiter setzt sich also gerade NICHT „wissenschaftlich“, d.h. objektiv mit seiner Lage auseinander – was du mir als Behauptung unterschiebst. Deswegen kann ich auch durchaus keine wissenschaftliche Debatte mit ihm führen – was du mir aber komischerweise als Absicht unterstellst.

    Du hast überhaupt nicht begriffen, was ich geschrieben habe. Der macht sein Interesse nicht zum Gegenstand der Erklärung, sondern setzt das seiner geistigen Tätigkeit voraus (siehe oben bei „Wissen“). Du behandelst ihn aber als jemanden, dem man das bloß ein paar Fehler auszutreiben hätte. Das ist verkehrt. Der interessiert sich mit seinem Eigentümerinteresse nicht für Dein Zeug und nimmt die Welt mit seinem Interesse ganz anders wahr als Du.
    Sonst:
    Du bist mit Deinem Interesse nichtmal in der Lage zu begreifen, was ich schreibe. Über die Axiome, die Du mir da andichtest kann man sich nur wundern. Dem obigen kannst Du entnehmen, woher der Geist dieser Gesellschaft kommt, falls man sich als Kommunist überhaupt dafür interessiert.

  20. libelle
    13. Mai 2012, 13:17 | #20

    @latte:
    Dein Fehler ist zu glauben, dass es den Kapitalismus gäbe, weil die Leute sich alle irren. Das ist falsch. Sie nehmen die Verhältnisse als Gegebenheit und verfolgen in ihnen ihre Bedürfnisse. Sie haben also kein Urteil über Geld, Kapital usw… das ihnen begründet, warum die sich zur Bedürfnisbefriedigung eignen, sondern stellen sich einfach so dazu.

  21. latte
    13. Mai 2012, 17:01 | #21

    @libelle

    „Dein Fehler ist zu glauben, dass es den Kapitalismus gäbe, weil die Leute sich alle irren. Das ist falsch. Sie nehmen die Verhältnisse als Gegebenheit und verfolgen in ihnen ihre Bedürfnisse. Sie haben also kein Urteil über Geld, Kapital usw… das ihnen begründet, warum die sich zur Bedürfnisbefriedigung eignen, sondern stellen sich einfach so dazu.“

    1. Du irrst, ich halte Kapitalismus ganz und gar nicht für ein Produkt von Irrtümern. Aber die moderne Gesellschaft mit ihren tausend Vorschriften und Abhängigkeiten ist eben kein naturwüchsiges Schicksal – dieser Fehler des untertänigen Denkens mag noch so interessegeleitet sein, zuallererst ist die Naturalisierung gesellschaftlich produzierter Zustände ein Widerspruch!
    2. Auch das Interesse „sich einfach so dazu zu stellen“ will geistige Nahrung haben, dafür gibt es ja das Reich der Ideologien. Keine affirmative „Stellung“ kommt ohne theoretisches Beiwerk auf die Welt – das beste Beispiel bist du selbst, libelle: Der antikommunistische Schaum vor deinem Mund braucht immer wieder Material zum vollsabbern, „einfach so“ ist ohne ein Argument (und wenns der Schicksalsglaube ist) gar keine „Stellung“ zu irgendwas. Spätestens beim geistigen Nachvollzug des eigenen „einfach so“ stellen sich ja auch bei JEDEM noch so strammen Bürger mal Bedenken ein.

  22. Apple
    13. Mai 2012, 19:59 | #22

    @ latte

    Auch das Interesse „sich einfach so dazu zu stellen“ will geistige Nahrung haben

    Was ist das bitte für ein Interesse und bei wem willst du das entdeckt haben? – „sich einfach so dazu zu stellen“ bezeichnet kein Interesse, sondern, wie das Wort schon sagt, eine Stellung, einen besonderen Bezug des Individuums zu den gesellschaftlichen Verhältnissen. Dieser Bezug besteht beim bürgerlichen Individuum z.B. darin, dass es, wenn mit Bedürfnissen ausgestattet, sich in der Gesellschaft umschaut und nach Möglichkeiten sucht, ein Bedürfnis zu befriedigen. Also: ich will irgendwas haben und dieses irgendwas lässt sich mit Geld erwerben. Geld lässt sich wiederum auf bestimmte Art und Weise verdienen, wenn ich das, womit ich ausgestattet bin, als Revenuequelle benutze usw.
    Das sind alles keine falschen Urteile, sondern richtige: Mit Geld lässt sich tatsächlich was kaufen, und mit Lohnarbeit z.B. lässt sich tatsächlich Geld verdienen. Man könnte natürlich auch darüber reflektieren, was das gesamtgesellschaftlich und auch für mich für Folgen hat, wenn alle auf Geld aus sind. Dann käme man evtl. zu einem Begriff der kapitalistischen Ökonomie und zu einer Ablehnung dieser. Das wäre ein reflektierender Bezug. Der Bezug des Bürgers ist dagegen ein, ich sag mal, unmittelbarer, praktisch interessierter.
    Bis hierhin aus ist auch nichts naturalisiert worden. Die Naturalisierung kommt in der Ableitung der Ideologien erst viel später – wenn z.B. der Bürger Einwände gegen die Ordnung damit abwehrt, dass er sich keine andere vorstellen kann, in der sich seine Interessen umsetzen ließen.

  23. Mattis
    13. Mai 2012, 20:53 | #23

    @libelle

    „Sie nehmen die Verhältnisse als Gegebenheit und verfolgen in ihnen ihre Bedürfnisse.“

    Ok, kann man erstmal so sagen. Ich würde so fortfahren: im Affirmieren der Verhältnisse nimmt die Verfolgung ihrer Bedürfnisse die Gestalt des Lohnarbeiter-Interesses an. Dabei ist der Fehler impliziert – auch ohne ihn ausdrücklich zu denken! – dass es keine Alternative gäbe.
    Erst von diesem logischen Punkt an gilt das, wie du es ausdrückst, „dass ihr Interesse sich als Eigentümer (ihrer Arbeitskraft oder von Kapital, Gund) zu betätigen ihren Bedarf an Wissen definiert.“ Das macht ihre Befangenheit aus und erklärt freilich die Schwierigkeit, ihre Zustimmung zum Geschehen ins Wanken zu bringen. Aber es ist möglich, wohingegen du genau das kategorisch negierst.
    Der Fehler bei dir ist, dass bei dir die Denkfehler erst auf das gefasste Interesse hin erfolgen. Natürlich kommen dann weitere Fehler hinzu, dann wird die Ideologie ausgeformt. Aber der Hauptfehler passiert genau im Moment der Affirmation des Gegebenen, in welchem die Konstellation der Zwangslage zum Inhalt des Interesses wird. Wo der Betroffene nicht sagt: mal sehen, was ich davon halten werde. Sondern: das ist eben so.
    „Sie haben also kein Urteil über Geld, Kapital usw… das ihnen begründet, warum die sich zur Bedürfnisbefriedigung eignen, sondern stellen sich einfach so dazu.“ Ohne Urteil? Da musst du mal meine Kollegen fragen! ‚Wir ziehen immer den Kürzeren, aber wir haben keine Wahl‘. Das ist kein Citoyen-Spruch, sondern Arbeitersprech. Da ist die Behauptung drin, es ginge nicht anders. Oder etwa nicht? Geht so fehlerfreies Denken?
    Als ich beim Hertie angefangen habe, war ich ein Fan der „freien Marktwirtschaft“. Irgendwie war ich aber dann ansprechbar für Zweifel und Kritik. Ein Gen-Defekt?

  24. latte
    14. Mai 2012, 19:12 | #24

    „Die Naturalisierung kommt in der Ableitung der Ideologien erst viel später“
    Woher soll ich denn von deinen Ableitungsproblemen wissen?! Das Argument stand für etwas anderes: Die bürgerlichen Ideologien belegen sehr gut, dass eine (hypothetische) geistlose Stellung zu kapitalistischen Verhältnissen als Erklärung nicht ausreicht – weder beim Überleben noch beim Aushalten.

  25. Mattis
    14. Mai 2012, 21:06 | #25

    1) Das Lohnarbeiter-Interesse entsteht durch die Affirmation des einzig verfügbaren Mittels zur Bestreitung des Lebensunterhalts. Es soll einen Nutzen bringen, Lohnarbeiter zu sein – also kann auch die Tauglichkeit für diesen Nutzen in Frage gestellt werden. Das ist der Ansatzpunkt.
    2) Ein Kollege von mir war mal ein kleiner Kapitalist, aber das war ihm zu stressig, jetzt ist er Lohnarbeiter – andere Kollegen haben sich selbständig gemacht. Daran ist zu erkennen, dass das Interesse – ob nun Standpunkt des Lohnarbeiters oder des Selbständigen oder des Kapitalisten – nicht hermetisch beschlossen ist, sondern wandelbar. Man hat Argumente gehört und Tipps bekommen, man spekuliert auf eine Verbesserung, und das kann zu der Entscheidung führen, den Interessens-Standpunkt zu wechseln.
    3) Sozialisten allerdings haben mit ihren Argumenten deutlich schlechtere Karten, Veränderungen des Standpunkts anzuregen. Warum? Die menschliche Gattung hat eine stark verankerte Neigung zur Anpassung an die herrschenden Verhältnisse und Obrigkeiten. Das Kapitalverhältnis als solches in Frage zu stellen bedeutet jedoch, sich in einen Gegensatz zur gesamten Gesellschaftsordnung zu begeben, ein Verstoß gegen das Ganze, das will man nicht, da auszusteigen. Die Unterwerfung unter das existente Gesellschaftssystem hat eine immense Wucht.
    4) Leider gibt es auch keine existierende sozialistische Gesellschaft mit hohem Lebensstandard, die als heißes Angebot zum Wechseln offeriert werden könnte.
    5) Leider haben die Kapitalismuskritiker noch nicht einmal ein klares und übereinstimmendes Bild von der Architektur des Sozialismus. Mehr als ein paar Negativbestimmungen ist da nicht zu vernehmen. Und das nach über einem Jahrhundert.
    Fazit: Bei all dem braucht man sich nicht zu wundern, dass Lohnabhängige nicht so leicht mit Kapitalismuskritik ansprechbar sind.

  26. libelle
    14. Mai 2012, 21:55 | #26

    @Mattis:
    Ich:

    „Sie nehmen die Verhältnisse als Gegebenheit und verfolgen in ihnen ihre Bedürfnisse.”

    Du:

    Ok, kann man erstmal so sagen. Ich würde so fortfahren: im Affirmieren der Verhältnisse nimmt die Verfolgung ihrer Bedürfnisse die Gestalt des Lohnarbeiter-Interesses an. Dabei ist der Fehler impliziert – auch ohne ihn ausdrücklich zu denken! – dass es keine Alternative gäbe.

    Hmmm. Ich halte in dem Zusammenhang nicht viel von der Bezeichnung Affirmation.
    Was ohne Zweifel jeder macht ist, sich auf der gegebenen gesellschaftlichen Grundlage mit dem Zweck seine Bedürfnisse zu befriedigen zu betätigen. Und indem die Leute das machen, fassen sie in kapitalistischen Verhältnissen das Interesse Einkommen zu erzielen. In welcher Form sie das können, hängt von ihrer ökonomischen Stellung ab. Für die, die auf sich selbst als Einkommensquelle verwiesen sind ergibt sich daraus I.d.R. ein Lohnarbeiterinteresse d.h. Einkommen durch befristete Überlassung des Arbeitsvermögens zu erzielen. Das ist unabhängig davon, ob man die Verhältnisse bejaht oder verneint..
    Die Affirmation, die ich so nennen würde findet an der Stelle statt, dass man die eigenen Bedürfnisse zu den gesellschaftlichen Möglichkeiten, auf die man verwiesen ist ins Verhältnis setzt. Man schaut in die Welt und fragt sich, wie weit man es bringen kann und setzt sich das dann als Zweck. Dann ist nämlich die Realisierung z.B. des Lohnarbeiterinteresses gleichbedeutend damit zu dem zu kommen, worauf es einem im Leben ankommt (das man aus den Möglichkeiten der Einkommensquelle, über die man verfügt ermittelt oder herausgesucht hat). Dann stellt man sich auf den Standpunkt, dass die Welt positive Grundlage des Zwecks Einkommen zu erzielen zu sein hat und dann hat man auch die Form, in der das stattfindet (Lohn, Profit etc…) affirmiert.
    Ist das ein Fehler? Ich meine nein, weil das, worum es im Leben gehen soll ja den Verhältnissen entnommen wird, wie man sie vorfindet bzw. kommt es eben schwer darauf an, was man sich da als Lebensziel setzt. Z.B. ist das Ziel voranzukommen, Karriere zu machen, im Verhältnis zu anderen irgend einen sozialen Status zu haben nicht besser als durch diese Konkurrenzgesellschaft zu bedienen, auch wenn viele da nicht das erreichen, was ihnen so vorschwebt. Schließlich sind es die ureigenen Erfolgskriterien dieser Gesellschaft (so wie z.B. eine Provinz erobern zu wollen als Lebensinhalt nirgendwo besser aufgehoben war als als Senator (oder Konsul, was weiß ich) im Römischen Reich).
    Erst wenn man interessiert, selektiv (z.B. als Kommunist) auf die Bedürfnisse dieser Gesellschaft schaut und sagt eigentlich ginge es allen nur darum Futter zu haben, erscheint das Mitmachen in diesen Verhältnissen als “Fehler”, als unsachgemäße Realisierungsanstrengung für diese interessiert wahrgenommenen Bedürfnisse. Dieser “Fehler” ist also eine Projektion. Bürger wollen nämlich das Futter, das Haus, das Boot etc.. als Verwirklichung ihres gesellschaftlichen Erfolges, als Selbstverwirklichung etc… Tja und solche Bedürfnisse, sind nirgendwo besser zu befriedigen als in der bürgerlichen Gesellschaft, auch wenn jede Menge davon auf der Strecke bleiben.
    Was die Bürger also machen müssen, um überhaupt solche Bedürfnisse, wie die von Dir ihnen unterstellten zu bekommen, ist ihre eigenen Bedürfnisse kritisch hinterfragen (bloß Futter, Bildung etc..). Da müssen sie aber ersteinmal hinkommen, das ist nicht ihr Ausgangspunkt. Der ist im Gegensatz dazu der, dass sie lernen, was entsprechend ihren Einkommensmöglichkeiten in der Gesellschaft so geht. Also stellt sich für sie die Frage nach Alternativen auch nicht, da die Gesellschaft zu ihren Bedürfnissen passt wie Arsch auf Eimer (was nicht heißt, dass sie alle befriedigt werden).
    Zudem ist es ein merkwürdiger Standpunkt methodisch immer und überall nach Alternativen zu fragen. Muss mein Fahrrad Speichen haben, oder gibt es da eine Alternative? Muss es einen Rahmen haben – wo ist die Alternative? Etc.. Das fragt man sich nicht, wenn man ein Fahrrad vor sich hat und fahren will. Man fragt sich nach Alternativen erst, wenn irgend ein praktisches Problem auftritt (Rahmen zu schwer, deshalb zu langsam oder Speichen gehen bei bestimmten Anforderungen zu schnell kaputt etc..)
    Und wie beim Fahrrad, so halten es die Bürger auch mit dem Kapitalismus. Sie suchen in ihm (weil sie ja mit ihrer Bedürfnissammlung seine Produkte sind) nach alternativen Wegen für ihre Bedürfnisse, für ihre Einkommensmöglichkeiten und keineswegs nach welchen,für die für kommunistische Kritik tauglichen Reduktionen ihrer Bedürfnisse auf Wohnen, Schlafen, Essen usw…
    Zum Kritiker dieser Gesellschaft wird man anders. Man macht den notwendigen Gegensatz, in dem die Interessen hier zueinander stehen zum Einwand gegen sie.
    Entweder so, dass man die Gegner im Interessengegensatz vernichten oder abschaffen will und unkritisch gegen das eigene Interesse bleibt, oder so, dass man an der Beschaffenheit der Interessen erkennt, dass sie nicht aufgehen können und man sie deshalb mitsamt ihrem Gegensatz nicht will.
    Im letzten Fall muss man zum eigenen Interesse Abstand einnehmen, was man mit der Stellung in gegebenen Verhältnissen zu den Gegenständen seines Bedürfnisses kommen zu wollen nicht so ohne weiteres macht. Wie Du richtig bemerkst sind die Leute mit dieser Stellung zur Gesellschaft in ihr Befangen (was ganz das Gleiche wie eine Festlegung auf sie ist – siehe oben). Möglich ist es freilich aus dieser Befangenheit auszubrechen und es findet auch manchmal statt. Aber es ist eben nur so möglich, wie auch eine Menge anderer Sachen möglich sind: Das sind alles Möglichkeiten, deren Subjekt man nicht ist und an deren Eintreten man deshalb glauben muss. Das sind also keine Konsequenzen irgend einer Gesellschaftskritik, sondern quasireligiöse “Einsichten”, nach denen man sich dann richtet. Und das lehne ich ab, weil man so ein (religiöses, spekulativ begründetes) Interesse fasst, das den eigenen Geist lenkt. Da kommt also auch nur Ideologie heraus. Ich behaupte also nicht die Unmöglichkeit der Möglichkeit, dass die Leute ihre Befangenheit mal durchbrechen. Ich lasse mich nur in meinem Handeln, in der Auswahl meiner Gegenstände, in der Form wie ich sie darstelle, in dem, was ich treibe usw.. nicht von dieser Spekulation leiten. Sollte sich mal ein Zustand ergeben, dass man tatsächlich Subjekt einer Möglichkeit ist, wird man sie schon ergreifen. Ohne so eine reale Möglichkeit tut man halt das, was vernünftige Menschen tun – man erklärt sich und anderen die Welt.

    Erst von diesem logischen Punkt an gilt das, wie du es ausdrückst, „dass ihr Interesse sich als Eigentümer (ihrer Arbeitskraft oder von Kapital, Gund) zu betätigen ihren Bedarf an Wissen definiert.“ Das macht ihre Befangenheit aus und erklärt freilich die Schwierigkeit, ihre Zustimmung zum Geschehen ins Wanken zu bringen. Aber es ist möglich, wohingegen du genau das kategorisch negierst.

    Schwierigkeiten ist gut. Das ist genau die Art, sich dieser spekulativen Möglichkeit zu verschreiben und gegen den Bescheid, dass man in keiner Weise ihr Subjekt ist sich weiter davon bestimmen zu lassen. So werden klare Absagen zu “Schwierigkeiten”, so wendet man sich gerade nicht erklärend auf das, was da stattfindet, sondern analysiert bestenfalls den Bürger als Bedingung positiver Resonanz auf die eigene Ansprache und verstümmelt das, was man denkt und von sich gibt nach dieser Diagnose.

    Der Fehler bei dir ist, dass bei dir die Denkfehler erst auf das gefasste Interesse hin erfolgen. Natürlich kommen dann weitere Fehler hinzu, dann wird die Ideologie ausgeformt. Aber der Hauptfehler passiert genau im Moment der Affirmation des Gegebenen, in welchem die Konstellation der Zwangslage zum Inhalt des Interesses wird. Wo der Betroffene nicht sagt: mal sehen, was ich davon halten werde. Sondern: das ist eben so.

    Also meinst Du, die Leute wären Bürger, weil sie in eine Lage gezwungen werden d.h. die sie eigentlich nicht wollen, auf die sie von einer überlegenen Gewalt aber verpflichtet werden? Woraus bezieht diese Gewalt denn die Macht das zu tun?

    „Sie haben also kein Urteil über Geld, Kapital usw… das ihnen begründet, warum die sich zur Bedürfnisbefriedigung eignen, sondern stellen sich einfach so dazu.“ Ohne Urteil?

    Ja, völlig interessiert, ohne Urteil. Ist oben nochmal erklärt. Die Bürger sind eben keine verhinderten Kommunisten.

  27. libelle
    14. Mai 2012, 22:40 | #27

    ….dass eine (hypothetische) geistlose Stellung zu kapitalistischen Verhältnissen als Erklärung nicht ausreicht – weder beim Überleben noch beim Aushalten.

    Lerne erst einmal zu unterscheiden. Bei Dir ist geistlos das Gleiche wie kein Urteil darüber zu haben, ob Geld als gesellschaftliches Verhältnis ein Mittel der Bedürfnisbefriedigung ist. Also unterscheiden sich die Bürger Deiner Auffassung nach von Dir bloß in ihrer Theorie über das Geld. Ihr habt die gleichen Fragestellungen, könnt euch nur nicht auf die gleichen Bestimmungen der Verhältnisse einigen?

  28. latte
    15. Mai 2012, 14:59 | #28

    Von libelle Unterscheidungen lernen … also besteht der Mond aus grünem Käse! Erklär doch mal, welch seltsame „Stellung“ Leute haben sollen, wenn sie NICHT über das nachdenken, zu dem sie sich stellen. Eine geist- oder urteilslose (such dir was aus!) Stellung gibt es nicht. Mit „Stellung“ war ja gerade nicht die soziale Stellung eines Menschen gemeint.

  29. libelle
    15. Mai 2012, 16:01 | #29

    Frag dich doch mal, ob Du über die Dichte von Stahl, das Legierungsverhältnis seiner Bestandteile oder die Steifigkeit des Schiffsrumpfes nachdenken musst, wenn Du auf ein Schiff steigst, um damit über einen Fluss zu setzen. Offenbar kann man eben Dinge benutzen, ganz ohne, dass man etwas darüber weiß.

  30. punk rock
    15. Mai 2012, 17:13 | #30

    Die Analogie stimmt doch nicht. Als ob nicht auch der Schiffspassagier vor dem Einsteigen erst das Schiff als Fortbewegungsmittel erkennen und begreifen müsste. Er fällt über das Schiff das Urteil, dass es ein taugliches Mittel der Flussüberquerung ist. In eine Suppenschüssel wird er nicht einsteigen.
    Das was dagegen zB. in Apples letztem Beitrag als richtige Urteile aufgezählt werden, sind dagegen falsche. Das was aus dem „ich will irgendwas haben und dieses irgendwas lässt sich mit Geld erwerben“ folgt. Da fragt man sich eben ob Geld das Mittel für einen ist, auf Sachen die man haben möchte zuzugreifen. Und da kann man durchaus zum Schluss kommen, dass es das Geld ist, was einen von dem was man haben möchte trennt. Darüber kann man ein Gegner des Geldes und des Eigentums werden.
    Dafür muss man nicht die Reproduktionsschemata auswendig kennen, nicht mal die Geldform.
    Die meisten sehen das eben anders, aber dann muss man gegen ihre falschen Urteile argumentieren.
    Das einem durch die Verhältnisse bestimmte Schlüsse leichter fallen als andere, ist ein anderes Thema.

  31. lala
    15. Mai 2012, 17:35 | #31

    libelle, dein letzter Satz ist totaler Unsinn. Man muss mindestens so viel über eien Sache wissen oder zu wissen meinen: Das sie für das eigene Vorhaben tauglich ist.
    An deinem Schiffsbeispiel gesagt: Man muss über Stahl nichts wissen, darüber, dass das Ding schwimmt und einen über den Fluss bringt, das muss man wissen (oder zumindest als Eigenschaft des Dings vermuten). Sonst würde man eben nicht aufs Schiff gehen, wenn man über den Fluß will.

  32. libelle
    15. Mai 2012, 17:49 | #32

    Ja und weiß man dann, was Geld ist oder hat ein Urteil darüber? Antwort: Nein! Man weiß, wie man es benutzt und das ist kein Urteil über das Geld, sondern eines über sein Verhältnis zum eigenen Interesse. Übertragen auf das Schiff heißt das das Gleiche, nämlich, dass man es eben für das eigene Interesse zu benutzen weiß.
    Was müssen die Bürger also über das Geld für Urteile haben?

  33. libelle
    15. Mai 2012, 17:53 | #33

    Nochmal anders: Nicht einmal „Geld ist Tauschmittel“ oder „Schiff ist Transportmittel“ muss man denken. Diese Aussagen entsprechen einer ganz anderen Stellung zur Welt als der, das Geld als Tauschmittel oder das Schiff als Transportmittel zu benutzen.

  34. libelle
    15. Mai 2012, 19:28 | #34

    Die meisten sehen das eben anders, aber dann muss man gegen ihre falschen Urteile argumentieren.

    Das Problem ist, dass die sich nicht in einer wissenschaftlichen Auseinandersetzung um die richtigen Urteile mit Dir befinden! Ihr Standpunkt die Welt für ihre Bedürfnisse zu benutzen erzeugt ihren theoretischen Bedarf. Das ist etwas ganz anderes als sich die Welt zu erklären und sich dann zu fragen, ob sie für die eigenen Bedürfnisse taugt.
    Ich hoffe, das erklärt, dass da dem Wissen, den Urteilen etwas vorgeordnet ist. Und das ist die Stellung, die man zur Welt einnimmt.

  35. latte
    15. Mai 2012, 19:53 | #35

    „Nicht einmal „Geld ist Tauschmittel“ oder „Schiff ist Transportmittel“ muss man denken. Diese Aussagen entsprechen einer ganz anderen Stellung zur Welt als der, das Geld als Tauschmittel oder das Schiff als Transportmittel zu benutzen.“

    Die Unterscheidung des praktischen Tuns vom dafür nötigen Geistesaufwand soll nicht gemeint sein, sondern es wird eine „Stelllung“ NEBEN den praktischen Nöten und der zugehörigen Gedankenwelt behauptet – das ist soziologischer Unsinn.
    Entweder redet man von einer gesellschaftlichen „Stellung“, wie sie einem zugewiesen wird, also den materiellen Bedingungen einer bürgerlich bestimmten Person. Oder die geistige Auseinandersetzung MIT den Lebensbedingungen ist Thema, dann wäre „Stellung“ gar nichts anderes als die Zusammenfassung der Urteile über die Verhältnisse (Abt. Unterscheidungen).
    Wer will schon bestreiten, dass Geld auch Transportmittel und Schiffe Tauschmittel sind?! Und die Nützlichkeit eines Gegenstandes zum Kriterium seines Umgangs mit ihm zu machen, ist nicht mal grundsätzlich unvernünftig. „Mit Geld kann man gut tauschen (oder besser als ohne)“ ist allerdings ein Stück Ideologie, so wird Geld zirkulär als notwendiges Mittel eines unhinterfragbaren Tauschs vertreten. Die Angewiesenheit auf Geld im Kapitalismus ist eben noch keine “Stellung“, sondern die faktisch ungemütliche Grundlage – entweder für ein kritisches Urteil oder für die Suche nach ideologischem Flickzeug, was die Lücke zwischen den objektiv erfahrbaren Tauschergebnissen (die Kohle reicht für die wenigsten) und der Behauptung „Tausch=Lebensmittel“ schließen soll.

  36. libelle
    15. Mai 2012, 20:04 | #36

    Die Unterscheidung des praktischen Tuns vom dafür nötigen Geistesaufwand soll nicht gemeint sein, sondern es wird eine „Stelllung“ NEBEN den praktischen Nöten und der zugehörigen Gedankenwelt behauptet – das ist soziologischer Unsinn.

    Was sollen denn praktische Not und zugehörige Gedankenwelt sein? Welcher Gedanke „gehört“ denn zur Welt?!
    Mit Stellung ist wie schon mehrfach erklärt gemeint, die Verhältnisse als nicht weiter zu hinterfragende Grundlage der Verwirklichung eigener Bedürfnisse benutzen zu wollen. Anders ausgedrückt: Man bezieht sich auf die Welt als zu benutzende Gegebenheit. Die Urteile und Gedanken der Bürger sind Resultate dieser Stellung und ihre Ideologien sind nicht der Grund, warum sie sich so zur Welt stellen, wie sie es tun.
    Die Urteile „das Schiff ist ein Transportmittel“ und „das Geld ist ein Tauschmittel“ sind für die Benutzung beider Sachen nicht nötig. Dafür reicht die Erkenntnis, inwiefern sie dafür taugen sich ein Bedürfnis zu befriedigen.
    Wenn Du schon herumtönst, dass die Bürger Urteile über das Geld haben müssen, dann zähle doch mal die auf, die unbedingt nötig sind!

  37. lala
    15. Mai 2012, 23:07 | #37

    Na das möchte ich ja sehen, dass man eine Sache passend nutzen kann, ohne ein Urteil über sie und ihre nützlichkeit zu haben; wenn’s nur an der Stellung zu einer Sache, nicht am Urteil über sie liegt, das man sie auch nutzen kann – dann stell dich doch das nächste Mal beim Zähneputzen zu deinem Küchenmesser so, dass es auch zum Zähneputzen taugen soll und putzt dir mit deinem Küchenmesser die Zähne. Dann bin ich ja mal gespannt, ob das funktioniert.

  38. latte
    16. Mai 2012, 06:14 | #38

    „Was sollen denn praktische Not und zugehörige Gedankenwelt sein?“

    Praktische Not besteht z.B. in der prekären Lage, nur gegen Geld an Lebensmittel kommen zu können. Die zugehörigen Gedanken sind z.B. „Wer den Heller nicht ehrt …“ Bezahlen muss man im Kapitalismus – als moralische Herausforderung muss man die damit verbundenen Schweinereien nicht missverstehen.

  39. libelle
    16. Mai 2012, 08:46 | #39

    @lala: Dass man ein Urteil über das Verhältnis der Sache zum eigenen Interesse hat, habe ich nicht bestritten, sondern oben explizit geschrieben.
    Urteile wie „Das Schiff ist ein Transportmittel“ oder „Das Geld ist ein Tauschmittel“ sind aber Urteile, mit denen man zur Erklärung des Schiffes/Geldes ansetzt. Die muss man nicht haben. Es reicht für die Stellung die Verhältnisse benutzen zu wollen den praktischen Gebrauch des Geldes zur Kenntnis zu nehmen (wie eine Gebrauchsanleitung). Verstehst Du den Unterschied? Über diese Erkenntnis des Bürgers kann man mit ihm nicht streiten, weil er damit die Welt nicht erklären will, sondern nur die Gebrauchsanleitung z.B. des Geldes zur Kenntnis nimmt.
    Der Fehler von latte und anscheinend auch Dir ist nicht zur Kenntnis zu nehmen, dass das Bewusstsein (der Bürger) ein Produkt des Interesses ist, mit dem man in die Welt schaut. Ihr meint die Bürger würden mit eurem Interesse (eurer Stellung) in die Welt schauen, und nur zu anderen Gedanken kommen, über die man dann reden könnte. Dem ist nicht so. Themen haben die nur mit Leuten, die mit der gleichen Problemstellung wie sie in die Welt schauen.
    Beantwortet doch endlich mal die Frage danach, welches Urteil Bürger über das Geld haben müssen.
    Zusätzlich vielleicht die, welches Bewusstsein denn der instrumentellen Stellung der Bürger zur Welt vorausgesetzt sei. Viel mehr als die Wahrnehmung der Welt gehört da nicht dazu. Der ganze Rest ist ein Produkt dieser Stellung. Bei allem, auf das dieser Standpunkt stößt fragt er sich nach der Gebrauchsanleitung und setzt die zu den eigenen Bedürfnissen ins Verhältnis.

  40. libelle
    16. Mai 2012, 08:52 | #40

    Praktische Not besteht z.B. in der prekären Lage, nur gegen Geld an Lebensmittel kommen zu können. Die zugehörigen Gedanken sind z.B. „Wer den Heller nicht ehrt …“ Bezahlen muss man im Kapitalismus – als moralische Herausforderung muss man die damit verbundenen Schweinereien nicht missverstehen

    Diese Lage nimmt der Bürger aber nicht als „prekär“ wahr, sondern der sagt sich „Aha, über Geld komme ich also an Lebensmittel. Dann brauche ich welches! Was muss man denn dafür tun? Aha! Einen Beruf ergreifen.“ Fällt Dir daran auf, dass der ganz anders als Du in die Welt schaut und dass der mit diesem Blick in die Welt Sachen, die Du für „prekär“ hälst überhaupt nicht als das wahrnimmt? Und wenn Du dann hergehst und ihm sagst, dass Geld etwas „prekäres“ sei (was immer das bedeuten soll), dann kommt dem das so vor, als wolltest Du ihm nur seine Möglichkeiten schlecht machen.
    Der Rest sind Gedanken, die alle Resultat dieser Stellung des Bürgers sind.

  41. libelle
    16. Mai 2012, 09:01 | #41

    Nochmal logisch an euch beide: Welchen Grund sollte man denn haben sich mit seinem Verstand auf die Welt zu wenden? Ohne ein diesem Umstand vorausgesetztes Bedürfnis/Interesse käme diese Wendung überhaupt nicht zustande. Also ist jeder Verstandestätigkeit ein Interesse vorausgesetzt. Kommunisten und Bürger machen dabei nur den Fehler, dass ihnen nicht klar ist, dass im Fall der Gesellschaft ihr Interesse ein Produkt der Gesellschaft ist, also der Ausgangspunkt ihrer Theorie gleichzeitig einer ihrer Gegenstände zu sein hat.
    edit: Oben steht die Scheidelinie von ideologischem und nichtideologischem Denken.

  42. latte
    16. Mai 2012, 09:11 | #42

    „Urteile wie „Das Schiff ist ein Transportmittel“ oder „Das Geld ist ein Tauschmittel“ sind aber Urteile, mit denen man zur Erklärung des Geldes ansetzt. Die muss man nicht haben. Es reicht für die Stellung die Verhältnisse benutzen zu wollen den praktischen Gebrauch des Geldes zur Kenntnis zu nehmen (wie eine Gebrauchsanleitung).“
    „Geld ist gut für den Tausch“ soll gar kein „Ansatz“ zur Erklärung sein, sondern der Begriff von Geld, wie ihn Bürger verstehen. Es stimmt zwar, dass man sich nicht einmal begrifflich mit Geld auseinandersetzen müsste, um etwas bezahlen zu können, aber die Abhängigkeit vom Geld ist für Bürger sehr wohl ein Rätsel, wofür sie ideologische Betreuung benötigen – eine „Gebrauchsanleitung“ für den Kapitalismus gibt es nämlich nicht, dafür umso mehr Tipps, wie man sich die kapitalistischen Verhältnisse zurechtlügt. Besinnungslosigkeit mag da einigen Alkoholikern als Mittel erscheinen, i.d.R. wissen selbst Harz4ler über die Finazkrise Bescheid, obwohl sie von allen Berechnungen über den Mittelcharakter von Geld ausgeschlossen sind.
    „Welchen Grund sollte man denn haben sich mit seinem Verstand auf die Welt zu wenden?“
    Frag dich das doch selbst: Vielleicht einfach, weil du einen Verstand hast?!

  43. libelle
    16. Mai 2012, 09:24 | #43

    Ich:
    „Welchen Grund sollte man denn haben sich mit seinem Verstand auf die Welt zu wenden?“
    Du:
    Frag dich das doch selbst: Vielleicht einfach, weil du einen Verstand hast?!

    Das ist ja wohl ein schlechter Witz! Warum landen die Bürger denn dann zufällig alle bei Gedanken, die ihrem Interesse in den Verhältnissen zurechtzukommen dienlich sind und nicht bei der chemischen Zusammensetzung oder der Lebensdauer von Beteigeuze?
    edit: Dass die Leute jede Menge Gedanken über die Welt haben, ist auch nicht bestritten worden. Die Auseinandersetzung hier geht um die Quelle und das Konstruktionsprinzip dieser Gedanken (ihre Stellung zur Welt).
    edit 2: Vergesst bitte nicht meine beiden Fragen oben zu beantworten.

  44. latte
    16. Mai 2012, 09:56 | #44

    „Warum landen die Bürger denn dann zufällig alle bei Gedanken, die ihrem Interesse in den Verhältnissen zurechtzukommen dienlich sind und nicht bei …“
    Weil sie das plausibel finden.
    Du machst aus der Notwendigkeit falschen Bewusstseins eine Zwangsläufigkeit von Ideologie. So, als würde es neben dem Grund für die Systematik falscher Gedanken (man ist in der bürgerlichen Welt zu unvernünftigen Vorhaben gezwungen) eine weitere Grundlage („Quelle“) geben. Subjekt der Ideologieproduktion sind aber immer noch diejenigen, die ihre Urteile gemäß der jeweiligen Opportunität fällen. Und selbstverständlich muss man auch für jede noch so unangestrengte Affirmation den Verstand benutzen – die fehlerhafte Benutzung des Verstandes verweist gerade nicht auf geistige Ausfallserscheinungen, sondern auf den Willen, sich eine Welt als Mittel zurechtzudichten, die das in den seltensten Fällen hergibt.

  45. libelle
    16. Mai 2012, 10:18 | #45

    Weil sie das plausibel finden.

    Und was ist das Kriterium dieser Plausibilität?

    Du machst aus der Notwendigkeit falschen Bewusstseins eine Zwangsläufigkeit von Ideologie.

    Quark. Ich habe ja nicht geschrieben, dass man sich instrumentell auf die Welt beziehen muss, sondern es ging um die Kennzeichnung dieser Stellung und ihre Konsequenzen.

    Subjekt der Ideologieproduktion sind aber immer noch diejenigen, die ihre Urteile gemäß der jeweiligen Opportunität fällen.

    Und welcher Standpunkt steckt denn in dem der „Opportunität“?
    Dass die Bürger ihren Verstand nicht benutzen hat kein Mensch behauptet, sondern es ging darum, wie sie ihn benutzen. Die Antwort war, dass sie ihn auf ein ihm vorausgesetztes Interesse mit dem Inhalt verpflichten in einer nicht weiter zu hinterfragenden, gegebenen Welt zu ihren Bedürfnissen zu kommen.
    Das als „fehlerhafte Benutzung des Verstandes“ zu bezeichnen geht also völlig an der Sache vorbei, weil darin so getan wird, als hätten die Bürger die gleichen Fragestellungen wie Du und würden bei den Antworten nur ein paar „Fehler“ machen. Dass das verkehrt ist merkst Du daran, dass die nichtmal mit Dir reden und Deine Flugblätter in die Tonne drücken.

  46. latte
    16. Mai 2012, 11:14 | #46

    „als hätten die Bürger die gleichen Fragestellungen wie Du und würden bei den Antworten nur ein paar „Fehler“ machen“
    Nein, das ist nicht die Behauptung. Die meisten Bürger wollen tatsächlich nichts von Kapitalismuskritik wissen und deren theoretische Fehler verdanken sich auch nicht bloß auszuräumenden Irrtümern – trotzdem entnimmt man auch dem dümmsten Abnicken kapitalistischer Nöte eine kongnitive Auseinandersetzung, schon das übliche „es ist, wie es ist“ zeigt mindestens das Bedürfnis, angesichts der kapitalistischen Resultate für die eigene Unzufriedenheit eine „Erklärung“ zu haben.

  47. libelle
    16. Mai 2012, 11:30 | #47

    …trotzdem entnimmt man auch dem dümmsten Abnicken kapitalistischer Nöte eine kongnitive Auseinandersetzung, schon das übliche „es ist, wie es ist“ zeigt mindestens das Bedürfnis, angesichts der kapitalistischen Resultate für die eigene Unzufriedenheit eine „Erklärung“ zu haben.

    Und wer hat nochmal behauptet, dass die Bürger ihren Verstand nicht benutzen? Du argumentierst doch gegen Deine eigenen Unterstellungen.
    Sie benutzen ihn eben anders als Du. Die Gebundenheit ihrer theoretischen Anstrengungen an ihr Interesse zurechtzukommen, macht sie für Deine (wie auch für jede andere) Kritik ihrer Interessen nicht empfänglich. Mit „Argumenten“ ist dem nicht beizukommen. Damit die verfangen, muss so einer nämlich den Anspruch, der auch in seiner Ideologie steckt, dass es sich da um ein Stück Wahrheit über die Welt handeln würde, gegen sein Interesse (die Quelle seiner Ideologie) unbedingt setzen. Das ist ein Ausgang aus dem ideologischen Denken (den Kommunisten auch nicht nehmen).
    Ein anderer – um auf das Thema zurückzukommen – ist eben die Unmöglichkeit der Verwirklichung des eigenen Interesses zu erfahren und darüber Bedarf zu entwickeln auf das eigene Interesse zu reflektieren.
    Kampferfahrungen haben sowas. Sie setzen den Fokus auf die Gegensätze dieser Gesellschaft. Davon hat man noch keine Bestimmungen der Verhältnisse – und insofern nichts gelernt -, sondern entwickelt im besten Fall eben Klärungsbedarf, den die normalen Bürger nicht haben.

  48. lala
    16. Mai 2012, 11:34 | #48

    Libelle, alter Kommunistenhasser, was verstehst du eigentlich unter „ideologischem Denken“?

  49. libelle
    16. Mai 2012, 11:38 | #49

    Heinrich:

    Der Punkt, auf den es mir ankam, den hatte ich ja schon ge­sagt, ist nicht, zu sagen, Agi­ta­ti­on, Auf­klä­rung, Kri­tik sei un­wich­tig, son­dern zu gu­cken, das Lern­pro­zes­se, die nötig sind, damit Leute was um­stür­zen wol­len, nicht al­lein so ab­lau­fen, dass ich sie jetzt auf­klä­re, oder je­mand an­de­res, und sie dann ver­stan­den haben, hopp­la, das ist ja gar nicht zu­fäl­lig, das es mir immer dre­ckig geht, das hat ja ein be­stimm­tes Sys­tem. Son­dern, da ge­hört auch an­de­res dazu: In Kämp­fen z.B. ei­ge­ne Ängs­te zu über­win­den, die da sind. Und wenn du das nicht ge­lernt hast, ir­gend­wo, und sei es in einem be­schränk­ten Lohn­kampf, dann wirst du das in einer an­de­ren Si­tua­ti­on nie ma­chen!

    Das mit den Ängsten ist unglücklich. Und mir ist der Wille der Leute etwas umstürzen zu wollen auch Schnuppe. Was daran stimmt ist, dass es sowas wie eine Gewissheit (oder eben einen Zweifel) gibt, dass ( bzw. ob) das, was man sich gedacht hat auch geht. Solche Zweifel beseitigt man durch Praktizierung der jeweiligen Ideen d.h. durch ihre praktische Erfahrung. Da muss man nichtmal an die Gesellschaft denken.

  50. 16. Mai 2012, 14:21 | #50

    Wenn libelle Heinrich zustimmt:

    „Das mit den Ängsten ist unglücklich. Und mir ist der Wille der Leute etwas umstürzen zu wollen auch Schnuppe. Was daran stimmt ist, dass es sowas wie eine Gewissheit (oder eben einen Zweifel) gibt, dass ( bzw. ob) das, was man sich gedacht hat auch geht. Solche Zweifel beseitigt man durch Praktizierung der jeweiligen Ideen d.h. durch ihre praktische Erfahrung.“

    ist das immer noch falsch. Sowohl die „Gewissheit“ als auch der „Zweifel“ haben zumeist gar nichts mit den „praktischen Erfahrungen“ beim „Praktizierung der jeweiligen Ideen“ zu tun. Was man ja ganz leicht daran ablesesen kann, daß von zwei Gewerkschaftsaktivisten der eine mach all den Jahren weiterhin Gewissheit zeigt und der andere daraufhin zweifelt. Die „Feldstudie“ der Generation der „revolutionären“ Linken hat genau das gleiche auseinanderdriftende Bild ergeben.

  51. Wat.
    16. Mai 2012, 14:51 | #51

    @Neoprene: Weil es zwei Menschen sind und nicht ein Klon von einem. Menschen verarbeiten ihre Erfahrungen individuell. Ist mir auch logisch, wenn ich Fragen an die Welt habe, dann verarbeite ich vielleicht die Erfahrungen, die Du mir übermittelt hast mit, wenn ich meine, daß sie mir weiterhelfen können, aber zuallererst verarbeite ich meine.
    … und ob mir Deine weiterhelfen können, das entscheide ich eben subjektiv – da steht gar nicht erst die Frage nach richtig oder falsch.

  52. latte
    16. Mai 2012, 16:03 | #52

    @libelle

    Mit „Argumenten“ ist dem nicht beizukommen. Damit die verfangen, muss so einer nämlich den Anspruch, der auch in seiner Ideologie steckt, dass es sich da um ein Stück Wahrheit über die Welt handeln würde, gegen sein Interesse (die Quelle seiner Ideologie) unbedingt setzen.“

    Woher willst ausgerechnet du wissen, wann Leute von ihrem ideologischen Denken lassen? Mit Argumenten ist dir doch auch nicht immer beizukommen! Vielleicht will einer gar keine Wahrheitsfragen aufwerfen, sondern sich einfach bloß über seine beschissene Lage informieren. Mit dem Wahrheitsanspruch hat man erfahrungsgemäß immer NEGATIV zu tun, nämlich so, dass der einem als Vergewaltigungsabsicht unterstellt wird. Selbstverständlich denken die meisten Bürger über Kapitalismuskritik, die sei nicht befassungswürdig. Den Gedanken haben einige Kapitalismuskritiker aber bestimmt auch schon mal gehabt …

  53. Mattis
    16. Mai 2012, 19:09 | #53

    „Erklärungsbedarf“
    Wie man also sieht, ist der Lohnarbeiter kein Theoretisierer – was hier auch nie jemand behauptet hat – , aber er hat fortwährend Erklärungsbedarf. Seine Sprüche, die er offenbar ständig braucht, zeigen das ja. Allerdings übernimmt er vorwiegend die Erklärungen, die ihm die Gesellschaft anbietet, deren loyales Mitglied er ist.
    Aber er bleibt verunsicherbar – denn sein Lohnarbeiter-Interesse ist nicht mit seinen Bedürfnissen identisch (soll ja Mittel für diese sein!) und die schlechten Erfahrungen reißen ja nicht ab und stellen immer wieder seine Loyalität auf die Probe.
    Unter welchen Bedingungen er nun besser oder schlechter auf Grundsatzkritik ansprechbar ist, das ist pure Spekulation. Wer weiß schon, wann sein Erklärungsbedarf seine Befangenheit übersteigt. Auf Klärung dieser Frage im Theorie-Stübchen kann man lange warten. Die Praxis der Kritik zeigt, was geht und was nicht geht. Und ein bißchen Geduld braucht man halt auch.

  54. 16. Mai 2012, 19:34 | #54

    Natürlich ist jeder Lohnarbeiter genau so ein „Theoretisierer“ wie jeder andere Mensch auch. Alle machen sie sich einen mehr oder weniger einfachen, mehr oder (zumeist) weniger korrekten Reim auf Alles.
    Das Problem ist die ja unbestreitbare Erkenntnis, daß er „vorwiegend die Erklärungen, die ihm die Gesellschaft anbietet, deren loyales Mitglied er ist“ übernimmt. Wobei er ja ganz bewußt die Erklärungen, die ihm der zugegebenermaßen recht kleine Teil der Gesellschaft, der korrekte Erkenntnisse anzubieten hat, *nicht* übernimmt. Daß heißt nur gerade nicht, wie libelle ein bißchen betrübt, ein bißchen hämisch feststellt, „Mit „Argumenten“ ist dem nicht beizukommen“. Wie denn sonst? Und, ja, da braucht man extrem viel Geduld, da sind schon ganze Theoretiker-, Agitatoren- und Aktivistenleben ins Land gegangen und außer Stapeln von Papier ist nicht sonderlich viel geblieben.

  55. libelle
    16. Mai 2012, 19:50 | #55

    Libelle, alter Kommunistenhasser, was verstehst du eigentlich unter „ideologischem Denken“?

    Dazu muss man m.E. erstens wissen, was ein (gesellschaftliches) Interesse ist. Ich hatte das oben schon erwähnt, wiederhole das aber hier nochmal: Das ist ein in die Formen seiner gesellschaftlichen Betätigung gekleidetes Bedürfnis. Um nicht immer Lohnarbeit usw… zu bemühen, nehme ich als Beispiel mal eine politische Bewegung. Dabei haben Leute aus welchen Gründen auch immer ihre Interessen (als Lohnarbeiter, Kapitalisten usw…) in Regelungsvorstellungen der Gesellschaft verwandelt und fassen die Verwirklichung dieser Regelungsvorstellungen als eigenständiges Interesse. Die theoretischen Anstrengungen, die sie in Verfolgung dieses Interesses unternehmen, ihre erklärende Wendung auf die Gesellschaft sind soweit sie auf den Dienst an diesem Interesse verpflichtet sind, Ideologie. Die Besonderheit ideologischen Denkens besteht also darin, dass es gesellschaftlichen Interessen verpflichtet ist und nicht etwa, dass es richtig oder falsch sei. Im Gegenteil geht es diesem interessengebundenen Denken darum die Wahrheit der Gesellschaft zu ermitteln, soweit die Gesellschaft sich dem ihm vorausgesetzten Interesse als Gegenstand ergibt und die gefundenen Erklärungen sich als nützlich erweisen.
    Zugleich ist ein Moment der Gesellschaft dieser erklärenden Wendung auf sie im Dienst eines Interesses verschlossen: das Interesse selbst.. Das ist ihr nämlich vorausgesetzt.. An der Stelle kann man ideologisches Denken von nichtideologischem trennen. Bei Letzterem ist das Interesse nur der Auslöser anlässlich dessen man auf einen Gegenstand kommt und dann sucht man seinen Begriff zu ermitteln und dabei stößt man im Fall der Gesellschaft (wenigstens sehr oft) auf das eigene Interesse als Gegenstand der Untersuchung, weil der Grund, warum man sich für irgend ein Moment der Gesellschaft interessiert; warum man auf es als Gegenstand stößt, zumeist der ist, dass das eigene Interesse davon betroffen ist.. D.h. man ist selbst darin involviert und insofern Teil des Gegenstandes.
    Ideologisches Denken erkennt am Gegenstand aber nicht das eigene Interesse, sondern immer nur die anderen beteiligten Interessen als Problem des eigenen (z.B. den Staat als Gewalttäter und die Kommunisten als Streichelkolonne, die sich nur wehren muss usw..).
    Jemand, der ideologisch denkt, der sucht schon nach einer Wahrheit, die für sein Interesse spricht. Ob er die findet, oder ob er verkehrte Gedanken produziert, hängt davon ab, in welchem Verhältnis die Erklärung der Sache zu dem Interesse, das sich mit ihrer Wahrheit bestätigt sehen will, steht. Ideologisches Denken ist also wie oben schon festgehalten nicht per se falsch. Es verlangt von der erklärenden Wendung auf die Gesellschaft lediglich den Dienst an dem Interesse, das Anlass dieser Wendung war. Der Dienst dieses Denkens am ihm vorausgesetzten Interesse ist i.d.R. so beschaffen, dass dieses Interesse als notwendiges Resultat der so ermittelten “Wahrheit” erscheint.
    Deshalb können ideologisch denkende Menschen sich gegenseitig der Ideologie überführen und damit auch recht haben, wobei ein jeder von denen die Ideologie nur bei anderen erkennt und sich selbst nur als der Wahrheit entsprechend handelnd wähnt.
    Aus ihrer Perspektive erscheinen ideologisch denkenden Menschen “Ideologie” und “Unwahrheit” als die gleichen Sachen, gerade weil ihnen ihr Interesse als Konsequenz ihrer (ideologisch ermittelten) Wahrheit erscheint..
    Ein Denken, das unter Berufung auf die “Wahrheit” Interessen bestätigen will, ist immer auf andere Interessen (und nicht z.B. auf die Natur) bezogen. Unter Berufung auf den allen Ideologien gemeinsamen Anspruch “die Wahrheit” zu sein, soll das der Ideologie zugrunde liegende Interesse durchgesetzt werden bzw. Geltung erlangen. Deshalb sind Ideologien Begleiterscheinungen konkurrierender gesellschaftlicher Interessen, gehören also in gesellschaftliche Zustände, die von Antagonismen bestimmt werden. edit: Das ist die Art, wie in diesen Zuständen befangene Leute ihre Verhältnisse begreifen.
    Der immanente Widerspruch von Ideologien ist, dass die “Wahrheit”, der die Interessengegner sich fügen sollen an das jeweilige Einzelinteresse gebunden ist und darüber kann man sie angreifen, wenn der ideologisch denkende Mensch sein Interesse am Wahrheitsanspruch seiner Gedanken (bzw. dessen Kritik) relativiert..
    So, das waren 2 editierte Textbausteine aus 2 unterschiedlichen Überlegungen, die ich mal angestellt habe. Holpert vielleicht deshalb ein bisschen.
    @neo, latte, mattis – demnächst.

  56. Mattis
    16. Mai 2012, 22:36 | #56

    „Ideologisches Denken ist also wie oben schon festgehalten nicht per se falsch. Es verlangt von der erklärenden Wendung auf die Gesellschaft lediglich den Dienst an dem Interesse, das Anlass dieser Wendung war.“ (libelle)

    Die Kirchenoberen im Mittelalter fanden es nützlich, darauf zu beharren, dass die Erde der Mittelpunkt des Universums ist, und die dagegen sprechenden Wissenschaftler wurden vernichtet. Da diese Ideologie ihren Interessen nützte – kann man daran den Maßstab richtig oder falsch nicht anlegen? Für dich waren diese Wissenschaftler anscheinend auch Ideologen, weil sie ja Interesse an Wahrheit hatten (aha: ein Interesse!) und Argumente suchten, die ihr Wahrheits-Interesse stützten?
    Der Clou ist: du identifizierst dich bei dieser Sichtweise theoretisch mit den jeweiligen Interessen und spürst deren Selbstgefühl, mittels der passenden Ideologie „recht“ zu haben gegen die jeweils gegenteiligen Interessen, aber das ist kein wissenschaftliches Denken, was du dabei machst, sondern nichts als Anerkennung von Ideologie. Im Grunde sagst du damit, ein Gedanke kann gar nicht so falsch sein, wenn er doch einem Interesse nützt. Du hast ja oft genug geschrieben: der Lohnarbeiter kann mit seinen Gedanken gar nicht so falsch liegen, wenn diese doch seinem Lohnarbeiterinteresse entsprechen.
    Statt die Fehler in den ideologischen Gedanken zu demaskieren und damit zugleich über das Interesse aufzuklären, das solche Fehler benötigt, anerkennst du die Nützlichkeit der Ideologie für die Interessen und erklärst damit, dass das Kriterium richtig oder falsch angesichts dessen nicht angemessen sei.
    Das ist nicht die Logik eines wissenschaftlich denkenden Menschen, sondern Anerkennung für die Mentalität eines gefälligen Rechtsanwalts,. Für jeden Klienten sucht der rechtfertigende Argumente, und wenn das schwierig wird, erfindet er ein paar dicke Lügen dazu, die er (und du) aber gar nicht als Lügen empfindet, sondern schlicht als nützlich. Nicht dass er lügt, steht im Raum, sondern dass er dadurch ein Anwalt ist, der den Interessen seiner Klienten dient. Dass diese Interessen nicht besonders sauber sein können, wenn sie der Lüge bedürfen, ist dann nicht mehr dein Thema.

  57. Mattis
    17. Mai 2012, 12:04 | #57

    @libelle

    „Frag dich doch mal, ob Du über die Dichte von Stahl, das Legierungsverhältnis seiner Bestandteile oder die Steifigkeit des Schiffsrumpfes nachdenken musst, wenn Du auf ein Schiff steigst, um damit über einen Fluss zu setzen. Offenbar kann man eben Dinge benutzen, ganz ohne, dass man etwas darüber weiß.“

    Immerhin ist es wertvoll zu wissen, was es für einen selbst bedeutet! Wenn du auf ein Schiff steigst, lässt du dich darauf ein, dass es schwankt, vielleicht ohne darüber nachzudenken. Falls du schnell seekrank wirst, erweist es sich als Fehler, vom Schwanken nichts gewusst zu haben. Und wenn sich herausstellt, dass Lohnarbeit nicht so gut bekömmlich ist – fast jeder jammert da schließlich – wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, was man übersehen hat und worauf man sich da eigentlich eingelassen hat.

    „Bürger wollen nämlich das Futter, das Haus, das Boot etc.. als Verwirklichung ihres gesellschaftlichen Erfolges, als Selbstverwirklichung etc… Tja und solche Bedürfnisse, sind nirgendwo besser zu befriedigen als in der bürgerlichen Gesellschaft, auch wenn jede Menge davon auf der Strecke bleiben.“

    Gesellschaftlicher Erfolg, Statusziele, woher kommt sowas wohl, wird man damit geboren? Oben sein garantiert eben, nicht unten zu sein, denn unten sein heißt Armut und den Dreck für andere zu machen. „Bedürfnisse“ wie Statusgeilheit verdanken sich doch gerade der Tatsache, dass diese Gesellschaft eben nicht der Befriedigung von Bedürfnissen dient, so dass man als schlauer Mensch am besten danach strebt, zu denen da oben zu gehören als zu denen da unten.
    Hieran sieht man, dass die positive Anerkennung des Bestehenden und dessen ganzes soziales Wertesystem schon lange vor dem individuellen Eintritt in die Ökonomie stattfindet Die Leute treten bereits mit von der Gesellschaft vorgeformten Bedürfniss-Strukturen an den ökonomischen Start. Ist das nicht ein Grund mehr für Kritik?
    Statusjäger, Putzfrau, Konzernchef, Polizist – alles Bedürfnisse? Und was macht einer, der Sklavenhalter werden will? Nur gut, dass die, die Kapitalist werden wollen, auch wenigstens eine kapitalistische Gesellschaft vorfinden … Aber Leute, die gerne gemeinschaftlich mit anderen produzieren wollen und keine Steuern für Kapital und Krieg berappen möchten – solche Bedürfnisse gelten dir dann wahrscheinlich als künstlich, nur durch böse Systemkritiker erzeugt. Du erklärst also die bereits gesellschaftstypisch geformten Interessen zu „Bedürfnissen“ und zollst ihnen damit deine Anerkennung.

    „Zum Kritiker dieser Gesellschaft wird man anders. Man macht den notwendigen Gegensatz, in dem die Interessen hier zueinander stehen zum Einwand gegen sie.“

    Hoppla! Wenn man Lohnarbeit als ein anerkennenswertes Mittel betrachtet, braucht man auch nicht über den Gegensatz zum Kapital zu jammern. Allgemein gesagt: wenn für dich die genannten kapitalistisch geformten „Bedürfnisse“ allesamt nicht kritisierbar sind, dann ist es auch die ganze Gesellschaft nicht, deren Kultur sie schließlich darstellen – dann ist jeglicher „Einwand“ gegen den „notwendigen Gegensatz“ nur noch intellektueller Luxus.
    Wer schon aus seinen alltäglichen Schadenserfahrungen nicht klug werden und den Mittelcharakter der Lohnarbeit für seine Bedürfnisse nicht in Frage stellen will, der wird beim Thema „notwendige Gegensätze“ auch nicht gerade ansprechbarer!

  58. 17. Mai 2012, 12:19 | #58

    „Wenn du auf ein Schiff steigst, lässt du dich darauf ein, dass es schwankt, vielleicht ohne darüber nachzudenken. Falls du schnell seekrank wirst, erweist es sich als Fehler, vom Schwanken nichts gewusst zu haben. Und wenn sich herausstellt, dass Lohnarbeit nicht so gut bekömmlich ist – fast jeder jammert da schließlich – wäre es an der Zeit, darüber nachzudenken, was man übersehen hat und worauf man sich da eigentlich eingelassen hat.“

    Das zu erklärende Phänomen ist hier doch wieder mal, daß noch jeder, den es wegen rauer See erwischt hat, dir sagt, ja wenn ich von der Wettervorhersage gewußt hätte und vom deshalb zu erwartenden Schwanken, dann wär ich doch nie und nimmer aufs Boot gegangen.
    Bei normalen Fehlern in der Beurteilung von irgendwelchen Sachen für nebensächliche Ziele, da läßt sich noch jeder vernünftige Mensch das sagen und die meisten sind in dieser Hinsicht auch vernünftig. Ausgerechnet bei den buchstäblichen Existenzfragen, also insbesondere bei der jeweils eigenen Stellung zur Lohnarbeit, da gibt es sowas nicht. Da gibt es die Entscheidung, daß das zu taugen hat und Schluß. Ignoranz, Ausflüchte, sich was in die Tasche lügen, usw, nur kein ernsthaftes Eingehen auch nur auf die schüchternste Kritik.
    Daß man als Fotoignorant die Bilder der Konfirmation seiner Tochter in den Sand gesetzt hat, weil man den neuen Apparat doch noch nicht beherrscht, das läßt sich jemand zumeist gerade noch sagen. Aber daß die mühsam hinorganisierte Lebensperspektive es nicht wert seit soll, daß muß man sich nun wirklich nicht in Frage stellen lassen. Da kommt dann immer gleich das empörte Zusammenknüllen der Flugblätter, weil „man“ ja weiß, daß man die für die felsenfest feststehende Lebensperspektive nun wirklich nicht brauchen kann.

  59. Mattis
    17. Mai 2012, 14:35 | #59

    @neoprene

    Ausgerechnet bei den buchstäblichen Existenzfragen, also insbesondere bei der jeweils eigenen Stellung zur Lohnarbeit, da gibt es sowas nicht. Da gibt es die Entscheidung, daß das zu taugen hat und Schluß. Ignoranz, Ausflüchte, sich was in die Tasche lügen, usw, nur kein ernsthaftes Eingehen auch nur auf die schüchternste Kritik.

    So ist es (das von libelle vorgekramte „Beispiel“ war ohnehin jenseitig) – denn da weiß jeder, auch wenn er sonst nicht viel weiß, dass es sich dabei um eine gesellschaftliche Machtstruktur handelt, die man nicht antasten darf.

  60. Mattis
    17. Mai 2012, 14:37 | #60

    @libelle
    Zu deinen ziemlich verdrechselten Ausführungen über Interesse, Ideologie und Wahrheit muss ich nun doch noch was nachschieben.

    Die theoretischen Anstrengungen, die sie in Verfolgung dieses Interesses unternehmen, ihre erklärende Wendung auf die Gesellschaft sind soweit sie auf den Dienst an diesem Interesse verpflichtet sind, Ideologie. Die Besonderheit ideologischen Denkens besteht also darin, dass es gesellschaftlichen Interessen verpflichtet ist und nicht etwa, dass es richtig oder falsch sei.

    Woran erkennt man denn, dass es Ideologie ist und nicht korrektes Denken? Aus deiner Sicht anscheinend nicht am falschen Inhalt – also Unwahrheiten, passend zum Interesse -, sondern daran, dass es jemand äußert, der damit ein Interesse verfolgt.

    Jemand, der ideologisch denkt, der sucht schon nach einer Wahrheit, die für sein Interesse spricht. Ob er die findet, oder ob er verkehrte Gedanken produziert, hängt davon ab, in welchem Verhältnis die Erklärung der Sache zu dem Interesse, das sich mit ihrer Wahrheit bestätigt sehen will, steht. Ideologisches Denken ist also wie oben schon festgehalten nicht per se falsch.

    Da, wo das Denken korrekt ist, ist es doch nicht ideologisch! Du zielst aber darauf ab, dass man nicht von der Falschheit der Ideologie sprechen darf, wenn diese doch einem als Wahrheit dient.
    Deshalb ist für dich eine grundlegende Kapitalismuskritik schon deshalb verdächtig, weil sie von jemandem formuliert wird, der ein „Interesse“ hat. Nur übersiehst du, dass dieses Interesse gerade kein Interesse im hier diskutierten Sinne ist – also keine der Varianten bürgerlichen Interesses – sondern vielmehr das Anliegen darstellt, von solchen, durch einen gesellschaftlichen Gegensatz geprägte Interessen, gerade wegzukommen.
    Und dieses Anliegen ist auch nicht Ausgangspunkt der Kritik, sondern entsteht durch die in der kritischen Befassung gewonnenen Einsichten. Diese sind ja deshalb eine Kritik, weil vorhandene Ideologien durchschaut werden, und nicht weil jemand mal Kritik um ihrer selbst willen üben wollte, oder, wie du unterstellt hast, aus purer unerfindlicher Feindschaft.

  61. Apple
    17. Mai 2012, 15:36 | #61

    @ Mattis

    Da diese Ideologie ihren Interessen nützte – kann man daran den Maßstab richtig oder falsch nicht anlegen?

    Bitte keine verkürzte Antikommunismuskritik hier 🙂
    Er schreibt nicht, dass man den Wahrheitsmaßstab an Ideologien nicht anlegen kann, sondern dass die Bestimmung „Ideologie“ erstmal nur einen bestimmten Bezug des Bewusstseins zu Welt kennzeichnet (ich führ’s jetzt nicht aus, weil er es schon gemacht hat). Was an einer Ideologie wahr ist und was falsch, ist dann gesondert zu überprüfen. Ideologien enthalten nämlich auch Wahres (Hegel war auch ein Ideologe und dennoch hat er die damalige metaphysische Philosophie stellenweise richtig kritisiert). Ideologie ist nicht per se wahr oder falsch – genau den Satz hast du ja zitiert.

  62. 17. Mai 2012, 17:08 | #62

    Zu Mattis

    Es „weiß jeder, auch wenn er sonst nicht viel weiß, dass es sich dabei um eine gesellschaftliche Machtstruktur handelt, die man nicht antasten darf“

    Das verschiebt das Problem: Es geht gar nicht darum, was man darf und was nicht. Das weiß jeder Mensch eh, völlig unabhängig davon, was er sich konkret so denkt. Sondern es geht darum, warum keiner diese Machtstruktur und vor allem seine Lohnarbeit kritisch betrachten will. Denn das könnte man nun wirklich völlig unabhängig davon, was man dann mit den gewonnenen korrekten Einsichten anfängt und erst recht unabhängig davon, ob man sich solche Gedanken machen „darf“. Noch im tiefsten Faschismus konnte man seinen Kopf bewahren, solange man nicht an der Ostfront verheizt wurde oder in einen Güterzug gestopft wurde.

    „Und dieses Anliegen ist auch nicht Ausgangspunkt der Kritik, sondern entsteht durch die in der kritischen Befassung gewonnenen Einsichten.“

    Das ist ein bißchen das Henne-Ei-Problem. Ich meine, daß hier ein striktes Entweder-Oder nicht weiter führt, weil immer das eine das andere prinzipiell schon voraussetzt.

  63. Mattis
    17. Mai 2012, 20:20 | #63

    @Neoprene

    „… es geht darum, warum keiner diese Machtstruktur und vor allem seine Lohnarbeit kritisch betrachten will. Denn das könnte man nun wirklich völlig unabhängig davon, was man dann mit den gewonnenen korrekten Einsichten anfängt und erst recht unabhängig davon, ob man sich solche Gedanken machen ‚darf'“.

    Was heißt „könnte“? Wir hatten den Punkt doch schon, dass es eben nicht so ist. Und ich habe nicht gesagt, dass der Grund ist, weil jemand mit dem Knüppel hinter einem steht und die Gedanken lesen kann, sondern weil das Individuum von sich aus erstens hauptsächlich zum Opportunismus neigt und zweitens selbst bei löchrig gewordenem Opportunismus durchaus eine Ahnung davon hat, dass man bei grundlegender Kritik eben gegen die gesamte Gesellschaft Stellung bezieht. Und vielleicht täuscht man sich ja, wenn man die Dinge so radikal sieht … Man will von seiner Zugehörigkeit retten, was immer zu retten ist, auch gegen Anflüge von kritischer Einsicht. Deshalb gibt es da in der Regel keine Lockerheit der Diskussion.
    Das ist die Psychologie des Individuums in sozialen Systemen. Das geht ganz automatisch, ohne Bewusstsein über diesen Mechanismus – nicht weil gedacht wird, oje, dann bekomme ich Ärger oder die kommen mich abholen.
    Hast du eine andere Erklärung?
    Wären die Menschen un-bedingt objektiv denkende Wesen, gäbe es unser ganzes Thema nicht, weil es den Gegenstand nicht gäbe und nie gegeben hätte.

  64. 17. Mai 2012, 20:42 | #64

    Mein „könnte“ gegen dein, tun sie aber nicht, ist blöd. Daß sie nicht selbstkritisch sind, das bestreite ich doch gar nicht, genausowenig, wie du ernstlich bestreiten solltest, daß sie das nicht könnten, wenn sie es denn wollten.
    Und da finde ich deine Begründung fürs nicht kritisch Sein: „weil das Individuum von sich aus erstens hauptsächlich zum Opportunismus neigt“ für falsch. Was ist denn dein einziger „Beweis“ dafür? Natürlich der Ausgangsfakt, daß sie nicht kritisch sind. Na toll!
    Historisch stimmt das ja auch ab und zu mal gerade nicht: wo waren denn andersrum die Opportunisten des Realsozialismus, als der auf der Kippe stand? Und hat das all die Deutschland-einig-Vaterland-Freunde der einen DM daran gehindert, gegen die gegen die gesamte Gesellschaft der DDR Stellung zu beziehen?
    Deshalb taugt auch das allseits benutzte Argument mit der „Psychologie des Individuums in sozialen Systemen“ so wenig. Auf jeden Fall kommt man da mit allerlei „automatischem“ nicht weiter, befürchte ich.

  65. Mattis
    17. Mai 2012, 21:39 | #65

    @Neoprene
    Dein Henne/Ei-Problem verstehe ich nicht, ist vielleicht ein Missverständnis.
    Wieso sollte man gegen etwas angehen, an dem man nichts auszusetzen hat? Das Anliegen, etwas grundsätzlich zu ändern, wäre doch ziemlich verrückt – als Ausgangspunkt!
    Ausgangspunkt ist doch, dass man sich an etwas stört, wie auch immer. Dass die Kritik, die man dann ausformuliert und das Anliegen, das man daraus ableitet, stufenweise konkreter und präziser werden, ist eine andere Sache.

  66. Mattis
    17. Mai 2012, 21:44 | #66

    @Apple:

    Ideologien enthalten nämlich auch Wahres (Hegel war auch ein Ideologe und dennoch hat er die damalige metaphysische Philosophie stellenweise richtig kritisiert). Ideologie ist nicht per se wahr oder falsch …

    Kannst du mir ein Beispiel einer ideologischen Argumentation nennen, in der kein Fehler steckt?

  67. libelle
    17. Mai 2012, 21:57 | #67

    @Mattis:
    Ich werde aus dem Großteil Deiner Ausführungen nicht schlau. Ich antworte deshalb nur auf die Sachen, bei denen ich meine, dass sie etwas mit den Sachen, die ich geschrieben habe, zu tun haben. Mir geht es da in großen Teilen mit Deinen Einlassungen, wie mit denen von Latte: ich wundere mich, welche meiner Aussagen zu solchen Antworten führen können.

    Woran erkennt man denn, dass es Ideologie ist und nicht korrektes Denken? Aus deiner Sicht anscheinend nicht am falschen Inhalt – also Unwahrheiten, passend zum Interesse –, sondern daran, dass es jemand äußert, der damit ein Interesse verfolgt.

    Der “falsche Inhalt” ist falscher Inhalt und als solcher so wenig zwingend Teil einer Ideologie, wie der richtige Inhalt. Falscher Inhalt kann z.B. auch Resultat eines Irrtums sein, was Du an dem Gedanken selbst, seinem Wahrheitswert “falsch” nicht ablesen kannst.
    Dennoch bekommen, wenn man mal bei den falschen Inhalten bleibt, diese zusätzliche Bestimmungen, wenn sie z.B. als Irrtum oder Ideologie klassifiziert werden und zwar handelt es sich da um Schlüsse auf die Herangehensweise der Produzenten dieser Gedanken an den Gegenstand. Wer sich bloß irrt, dem ist im falschen Gedanken die Verwirklichung seiner sonst sachgerechten Herangehensweise misslungen, wem ein Ideologievorwurf gemacht wird, dem wird vorgeworfen, dass der falsche Inhalt Resultat der Methode wäre mit den Aussagen über den Gegenstand Argumente für ein der Befassung mit ihm vorausgesetztes Interesse hervorbringen zu wollen. Und daran und nicht an den richtigen oder falschen Aussagen erkennt man ideologisches Denken. Das Denken wird also auf den Dienst an einem ihm vorausgesetzten Interesse verpflichtet.
    Deine Frage ist eigentlich, ob man dieses interessengebundene Denken in jedem Fall an den Gedanken (oder Gedankengebäuden) ablesen kann, wenn man sie ohne sonst etwas darüber zu wissen in der Hand hält. Und da ist die Antwort, dass man das sehr oft kann und dass manchmal kein eindeutiger Schluss auf so ein Interesse von den Gedanken wie sie z.B. In einem Buch stehen, möglich ist. Ob ideologisch gedacht wird, kann man aber mit Sicherheit dem Einsatz der richtigen und falschen Gedanken entnehmen d.h. den Interessen, die sie hervorbringen und verwenden.

    Da, wo das Denken korrekt ist, ist es doch nicht ideologisch!

    Da, wo das Denken korrekt ist, ist es korrekt. Und es kann dennoch von einem Interesse motiviert sein, das sich durch korrektes Denken bestätigt wissen will. Sowas äußert sich dann z.B. in der Auswahl der Gegenstände, die jeder für sich durchaus richtig bestimmt sein können, aber zu dem entscheidenden Erscheinungsbild z.B. der Gesellschaft (oder einer Sache) gemacht werden sollen, indem man sich auf sie beschränkt etc…

    Du zielst aber darauf ab, dass man nicht von der Falschheit der Ideologie sprechen darf, wenn diese doch einem als Wahrheit dient.

    Nein, sondern darauf, dass “wahr” und “falsch” kein Kriterium sind Gedanken als Produkte ideologischen Denkens zu bestimmen. Ideologie ist eine Aussage über das Zustandekommen von Gedanken, über die Stellung zur Welt.

    Deshalb ist für dich eine grundlegende Kapitalismuskritik schon deshalb verdächtig, weil sie von jemandem formuliert wird, der ein „Interesse“ hat.

    Nein, ich habe ja selbst Kritik am Kapitalismus – nur eben keine ideologische.

    Nur übersiehst du, dass dieses Interesse gerade kein Interesse im hier diskutierten Sinne ist – also keine der Varianten bürgerlichen Interesses – sondern vielmehr das Anliegen darstellt, von solchen, durch einen gesellschaftlichen Gegensatz geprägte Interessen, gerade wegzukommen.

    Ich verstehe nicht, was das mit der Bestimmung von Ideologie zu tun haben soll. Man kann auch das eigene Denken auf das Interesse vom Kapitalismus wegzukommen verpflichten d.h. von jedem Gedanken über die Gesellschaft verlangen, dass er das bestätigt und ein einziger “kommt davon weg”-Gedanke ist. Dann denkt man auch ideologisch, weil dem Denken vorausgesetzt ist, was es zu leisten hat.

  68. libelle
    17. Mai 2012, 21:59 | #68

    …sondern weil das Individuum von sich aus erstens hauptsächlich zum Opportunismus neigt

    Dieses Naturgesetz gilt leider nur im Paralleluniversum des GSP.

  69. libelle
    17. Mai 2012, 22:09 | #69

    Kannst du mir ein Beispiel einer ideologischen Argumentation nennen, in der kein Fehler steckt?

    Wenn man eine umfassende Erklärung der Gesellschaft hat, dann kann die sehr wahrscheinlich nicht ideologisch motiviert sein, da sie ja die theoretische Wendung auf alle Interessen einschließt.
    sonst: es ist müßig darüber nachzudenken, ob Ideologien wenigstens einen Fehler enthalten müssen, weil das nichts zur Kritik dieses Denkens beiträgt. Die Kritik dieses Denkens ist nicht, dass es sich dabei um falsche Aussagen handelt, zumal Du den Satz, wer ideologisch denkt macht mindestens eine falsche Aussage, ja auch nicht bewiesen hast.

  70. latte
    18. Mai 2012, 12:43 | #70

    „Die Kritik dieses Denkens ist nicht, dass es sich dabei um falsche Aussagen handelt“
    Was daran stimmt: Ideologie geht über das Sich-Irren hinaus.
    Aber: Jede Ideologie bedient sich notwendigerweise der Unwahrheiten und Lügen, weil das Rechtfertigungsinteresse Täuschungen des Verstandes einschließt! Also erkennt man sehr wohl an den theoretischen Fehlern einer Ideologie, welche Absicht mit welcher Fehlinformation verbunden ist. Dass jemand ideologisch unterwegs ist und auch richtige Argumente kennt, ist deswegen also nicht ausgeschlossen.

  71. Mattis
    18. Mai 2012, 12:50 | #71

    @Libelle
    Ich hatte geschrieben „…sondern weil das Individuum von sich aus erstens hauptsächlich zum Opportunismus neigt“, und du sagst dazu:

    Dieses Naturgesetz gilt leider nur im Paralleluniversum des GSP.

    Keine Ahnung, und – um deine rein diffamierende Verwendung meiner Aussage zu unterlaufen: in meinem „Paralleluniversum“ ist das jedenfalls eine harte Realität. Dazu hast du anscheinend nichts weiter zu sagen.
    Deine eigene Welt scheint dagegen aus lauter objektiv denkenden Individuen zu bestehen? Dein Universum scheint mir da eher nicht parallel zu liegen, sondern wegzudriften, und zwar mit wachsender Geschwindigkeit …

  72. Mattis
    18. Mai 2012, 12:54 | #72

    @Libelle

    Der “falsche Inhalt” ist falscher Inhalt und als solcher so wenig zwingend Teil einer Ideologie, wie der richtige Inhalt. Falscher Inhalt kann z.B. auch Resultat eines Irrtums sein, was Du an dem Gedanken selbst, seinem Wahrheitswert “falsch” nicht ablesen kannst.

    Korrekt. Wo steht bei mir, dass alle falsche Aussagen Ideologien sind?
    Richtige Ausführungen sind indessen schwerlich der Ideologie zuzurechnen, auch wenn sie gut zum Interesse passen. Damit meine ich aber doch nicht isolierte Aussagen, die im direkten Kontext der Ideologie stehen. Ich finde es nur blöd, über jemand zu sagen, der sagt zwar auch mal was Richtiges, aber weil ich dessen Interesse kenne, ist es trotzdem Ideologie. Da macht man sich lächerlich – wem will man damit was klarmachen? Man kann natürlich zeigen, warum so jemand in diesem Falle auf die Wahrheit zurückgreift – weil sie ihm gerade mal zupass kommt. Oder dass er seinen übrigen Aussagen damit widerspricht. So herum macht das wieder Sinn.
    Mag sein, dass auch die „Auswahl der Gegenstände“ und das Weglassen ideologisch motiviert sein können. Ja und: dann kritisiert man aber diese Auswahl, das ist eben ein Grenzfall. Da sollte man aber höllisch aufpassen, sonst landet man bei „alles gut und schön, aber warum schweigst du über das Thema X?“ Das ist peinlich – gesteht man doch damit ein, dass man an dem, was gesagt wird, keinen Anhalt für Kritik sieht.
    Du weichst anscheinend gerne auf solche Grenzfälle aus, um auszuweichen. Das wird dann eine schwierige Debatte. Auch das ist übrigens eine „Auswahl“!

    zumal Du den Satz, wer ideologisch denkt macht mindestens eine falsche Aussage, ja auch nicht bewiesen hast.

    Weil die Falschheit eines der beiden Kriterien von Ideologie ist, hast du selber weiter oben geschrieben. Also wenn einer nur richtige Sachen sagt, hänge ich ihm doch nicht den Ideologen an.

    Man kann auch das eigene Denken auf das Interesse vom Kapitalismus wegzukommen verpflichten d.h. von jedem Gedanken über die Gesellschaft verlangen, dass er das bestätigt und ein einziger “kommt davon weg”-Gedanke ist.

    Fast alle antikapitalistischen Standpunkte sind Ideologie-lastig, aber nicht deshalb, weil sie „weg“-wollen. Im Gegenteil – sie bleiben mit einem Bein voll in der bürgerlichen Welt stehen. Und zwar in der Regel, weil die herrschende Ideologie nicht ausreichend durchschaut wurde und diese daher selbst noch die Kapitalismuskritik prägt. Deshalb ist auch dein Satz, du wärst doch auch Kapitalismuskritiker, aber eben ohne Ideologie, nicht unbedingt überzeugend. Das sind wir ja noch am diskutieren!
    Ob ein Kritiker sich eine Ideologie gebastelt hat oder korrekt argumentiert, kann man eben nur im Einzelfall analysieren. Aber solche Mühe habe ich bei dir z.B. in Richtung GSP nicht gesehen. Das war eher so tiradenmäßig. Mit dem GSP verfährst du also genau so, wie ich es beschrieben habe: unterstellend, nicht nachweisend.

  73. Mattis
    19. Mai 2012, 10:20 | #73

    @Apple

    Das sind alles keine falschen Urteile, sondern richtige: Mit Geld lässt sich tatsächlich was kaufen, und mit Lohnarbeit z.B. lässt sich tatsächlich Geld verdienen. Man könnte natürlich auch darüber reflektieren, was das gesamtgesellschaftlich und auch für mich für Folgen hat, wenn alle auf Geld aus sind. Dann käme man evtl. zu einem Begriff der kapitalistischen Ökonomie und zu einer Ablehnung dieser. Das wäre ein reflektierender Bezug. Der Bezug des Bürgers ist dagegen ein, ich sag mal, unmittelbarer, praktisch interessierter.
    Bis hierhin aus ist auch nichts naturalisiert worden. Die Naturalisierung kommt in der Ableitung der Ideologien erst viel später – wenn z.B. der Bürger Einwände gegen die Ordnung damit abwehrt, dass er sich keine andere vorstellen kann, in der sich seine Interessen umsetzen ließen.

    Wenn du mit „Naturalisierung“ meinst, gesellschaftliche Verhältnisse als natürlich, d.h. der Natur gemäß und daher nicht in Frage stellbar zu definieren, dann fällt mir zuerst ein, dass Ideologie durchaus nicht nur aus solcher „Naturalisierung“ besteht. Wie ich gleich zeigen werde.
    Für manchen scheint das Bewusstsein des Arbeiters ja hauptsächlich auf dem Niveau rein instrumenteller Kenntnisse zu liegen, so in der Art von Bedienungsanleitungen. Wir haben es hier aber mit gesellschaftlichen Verhältnissen zu tun, und da ist ein bißchen mehr notwendig, um in denen überhaupt zu überleben. Da kommt man ohne die Verbiegung der eigenen Gedankenwelt gar nicht aus – es sei denn, man durchschaut den Laden. Dass man diese Verbiegung meist gar nicht mitbekommt – und viele Theoretiker anscheinend ja auch nicht! – heißt halt nicht, dass sie nicht stattfindet.
    Beim Lohnarbeiten muss man nämlich tatsächlich mehr drauf haben als nur zu wissen, wo man antreten muss und dass es dafür ein Geld gibt. Man muss zum Beispiel „wissen“, dass man die Chefs nicht belehren darf und die Produkte der Firma nicht miesmachen darf, auch wenn sie mies sind. Man muss also akzeptieren, dass man es hier nicht mit Zusammenarbeit zu tun hat, sondern dass man Untergebener ist, also einem Herrschaftsverhältnis unterliegt.
    Und wenn doch einer den Mund mal zu weit aufmacht, was sagen dann die anderen? „Schön dumm“, sagen sie, und: „das geht natürlich nicht“. Die vermeintliche Schlauheit des Arbeiters besteht also darin, sich angemessen untertänig zu verhalten. So geschieht – sofern man nicht sehr bewusst eine innere Ablehnung dagegen aufrecht erhält – ganz praktisch die Affirmation der kapitalistischen Prinzipien.
    Neben diesem Pseudo-Wissen glänzt der Arbeiter mit viel ideologischer Besserwisserei über den Inhalt und die Folgen des Lohnarbeitsverhältnisses. Das Zauberwort heißt: „eigentlich“! „Eigentlich“, sagt er, wäre alles ok, wenn nicht alle unfähig wären: die Unternehmer, die Banken, die Politiker, … und wenn sie nicht im Übermaß profitgierig wären. Denn dann müsste es keine Entlassungen geben, nicht diesen Leistungsdruck, nicht diese Terminhetze und und und. So wird das Ideal eines für alle eigentlich sozialen und gerechten Kapitalismus beschworen. Geht so etwa richtiges Bewusstsein?
    Eine Unterscheidung zwischen dem Arbeiter-Bewusstsein als richtig, da nur instrumentelle Kenntnisse, und Bürger-Ideologie, die man bei „Einwänden gegen die Ordnung“ braucht, ist mir daher nicht plausibel.
    Ich denke, jetzt sind die wesentlichen Aspekte zum Thema Ideologie genannt worden, und jeder kann sich seinen Reim darauf machen.

  74. Apple
    19. Mai 2012, 17:44 | #74

    @ Mattis

    Kannst du mir ein Beispiel einer ideologischen Argumentation nennen, in der kein Fehler steckt?

    Kein einziger? – Kann ich so spontan nicht und vielleicht gibt es eine solche Argumentation auch nicht. Darum ging es mir aber nicht (sondern darum, dass Ideologien auch Wahres enthalten).
    Kannst du denn beweisen, dass in jeder Ideologie ein Fehler steckt? – Kannst du nicht und brauchst du auch nicht, weil es in deiner Definition von Ideologie schon steckt, dass sie fehlerhaft sein muss. D.h. interessiertes Denken, das auf seinen Ausgangspunkt nicht reflektiert und am Schluss zu richtigen Ergebnissen gelangt, würdest du einfach nicht als Ideologie bezeichnen.
    Dann unterscheiden sich aber die Definitionen von Ideologie und ich würde dich bitten, das zu beachten und nicht einfach deine Definition den Ausführungen von libelle oder mir entgegen zu stellen – das bringt nämlich nichts.
    Der Unterschied liegt, glaube ich, darin, dass für dich Ideologie etwas ist, was man den anderen „anhängt“. Deswegen macht es für dich keinen Sinn, Denken, das zu richtigen Ergebnissen kommt, „Ideologie“ zu nennen, denn in dem Fall gäbe es in deinen Augen ja nichts „anzuhängen“ oder zu bemängeln. Man kann Ideologie aber auch erstmal „wertfrei“ als Erklärung dessen bestimmen, wie sehr viele Urteile in die Welt kommen.
    Ich will jetzt nicht darauf hinaus, dass wir auseinander gehen sollen – du hast deine Meinung und ich meine und so – aber wenn du libelles Ideologiebegriff kritisieren willst, wäre es gut, wenn du ihn immanent nachvollziehst und Fehler benennst und nicht einfach deinen entgegen stellst.

    Beim Lohnarbeiten muss man nämlich tatsächlich mehr drauf haben als nur zu wissen, wo man antreten muss und dass es dafür ein Geld gibt. Man muss zum Beispiel „wissen“, dass man die Chefs nicht belehren darf und die Produkte der Firma nicht miesmachen darf, auch wenn sie mies sind.

    Das ist auch „nur“ instrumentelles Wissen.

    Neben diesem Pseudo-Wissen glänzt der Arbeiter mit viel ideologischer Besserwisserei über den Inhalt und die Folgen des Lohnarbeitsverhältnisses. […] Eine Unterscheidung zwischen dem Arbeiter-Bewusstsein als richtig, da nur instrumentelle Kenntnisse, und Bürger-Ideologie, die man bei „Einwänden gegen die Ordnung“ braucht, ist mir daher nicht plausibel.

    Ich habe nicht behauptet, dass das Arbeiterbewusstsein in seiner Gänze nicht ideologisch wäre, sondern dass der Ausgangspunkt seines Denkens, der auch zu Ideologisierungen führen kann, ein solcher in der Regel nicht ist. Das ist doch ein Unterschied. Ich wollte nicht sagen: Die Leute laufen alle mit/ohne Ideologien im Kopf rum, sondern erklären, wie die Ideologien, die sie haben, zustanden kommen. Will man einen Grund für die Ideologien angeben, muss man schon rein logisch von einem Zustand ausgehen, wo diese nicht vorliegen.

  75. latte
    20. Mai 2012, 08:55 | #75

    „Will man einen Grund für die Ideologien angeben, muss man schon rein (ideo-)logisch von einem Zustand ausgehen, wo diese nicht vorliegen.“
    Statt deinen Ideologiebegriff zu benennen und einer Prüfung auszusetzen, weichst du auf Ursachenforschung aus. Du sagst selbst, dass es hier unterschiedliche „Definitionen“ gibt, wie sollte man also für alle plausible Gründe ermitteln?
    Eine Analogie: Wenn Libelle glaubte, die Erde sei eine Scheibe, nützte es wenig, den Grund von kugelförmigen Himmelskörpern zu erklären. Man müsste sich VOR der Zuordnung von etwas Drittem den Beweis erbringen, dass AUCH die Erde rund ist.

  76. Apple
    20. Mai 2012, 12:51 | #76

    @ latte

    Statt deinen Ideologiebegriff zu benennen und einer Prüfung auszusetzen, weichst du auf Ursachenforschung aus.

    Verstehe nicht, was du vermisst. Die Ideologiebegriffe, die hier zur Dikussion stehen, wurden von libelle und Mattis recht weitläufig ausgeführt. Diese wären zu prüfen. Warum soll ich sie noch einmal hinschreiben?

    Du sagst selbst, dass es hier unterschiedliche „Definitionen“ gibt, wie sollte man also für alle plausible Gründe ermitteln?

    Verstehe den Satz nicht. „Plausible Gründe“ wofür? Für die Definitionen? – Darum ging es in meinem Beitrag nicht.

  77. latte
    20. Mai 2012, 13:06 | #77

    @apple
    „Warum soll ich sie noch einmal hinschreiben?“
    Diese „Definitionen“ sind strittig, insofern musst du schon mit eigenen Argumenten zum Thema aufwarten und das sind momentan die Bestimmungen „falsch“ und „interessiert“. Auf Letzteres will libelle Ideologien einschrumpfen, weil die Fehler Ideologien nicht kennzeichnen würden – dein Hinweis auf Ursachen ist also ein Themenwechsel. Woher Ideologien kommen, welchen GRUND es für sie gibt, kann man überhaupt erst erörtern, wenn Einigkeit darüber besteht, FÜR WAS ein Grund her soll.

  78. Mattis
    20. Mai 2012, 14:19 | #78

    Ein Verständnis von Ideologie, das nur beinhaltet, dass Aussagen durch ein Interesse motiviert zustandekamen, macht m.E. keinen Sinn, wenn das Interesse nicht zu falschen Aussagen geführt hat.
    Wenn jemand eine richtige Theorie hat, ich wiederhole es nochmal, sind mir seine Interessen, Ausgangsmotive etc. egal, wenn ich die Theorie selbst beurteilen will. Alles andere überlasse ich Biografen, Geschichtsschreibern und so fort.
    Wenn alles, was wir, motiviert aus unserer Interessenlage, an Aussagen über die Gesellschaft treffen, Ideologie sein soll, dann wird der Begriff sinnlos.
    Wenn jemand den Begriff so verstanden hat, ist er aber auch keine Debatte wert. Und auf ein Beispiel einer „richtigen“ Ideologie warte ich ja immer noch. Das wird ja wohl zu finden sein, wenn sich angeblich die ganze Debatte hier darum gedreht haben soll!

  79. Apple
    20. Mai 2012, 15:22 | #79

    @ latte
    Nochmal: Ich muss nicht mit Argumenten aufwarten, weil sie alle schon im Thread stehen. Falls es noch jemand nicht mitbekommen haben sollte, hier die Wiederholung:
    Das Arbeiterbewusstsein hat im Ausgangspunkt bestimmte, in diesem Fall klassenspezifische, Bedürfnisse und Interessen und befragt die Welt daraufhin, inwiefern diese deren Umsetzung dienlich sein kann. Daraufhin entwickelt es ein Wissen über die Welt, das eine Mische aus (nicht falschen) „instrumentellen“ Einsichten – wie kann man Geld benutzen, wo kann man sich Geld besorgen, was muss man dafür tun etc. – und falschem Zeug ist. Es nimmt die Welt gleich von einem bestimmten Standpunkt wahr und Erkenntnisse, die es als für seine Fragestellung nicht relevant einstuft, interessieren es im bestem Falle nicht, im schlimmsten Falle empfindet es sie sogar als Störung. D.h., es hat einen partikularen, beschränkten Blick auf die Welt, reflektiert aber nicht darüber, dass es partikular ist, sondern begreift seine Inhalte als Wahrheit.
    Diese Art und Weise zu denken, wurde als ideologisches Denken bestimmt.
    D.b., dass ideologisches Denken nicht per se falsch ist, sondern ob es falsch ist, hängt davon ab, mit welchem Interesse es die Welt anschaut und inwiefern die Welt diesem Interesse tatsächlich entspricht. Nicht dass Ideologie nichts mit Unwahrheit zu tun hätte – das hat sie – aber eben in diesem angegebenen Verhältnis. Soweit die Argumente.
    Mit denen kann man sich jetzt gerne auseinandersetzen. Mattis dagegen bezieht sich auf die vorgetragene Argumentation so, dass er sagt, in diesem Sinne unreflektiertes Denken möge er nicht als Ideologie bezeichnen, wenn es zu richtigen Ergebnissen kommt (sein Beispiel waren die mittelalterlichen Wissenschaftler, die gegen die Kirche argumentierten). Er hat also nichts immanent an der Argumentation auszusetzen, sondern sagt einfach, dass er den Begriff der Ideologie anders verwenden will. Und ich habe bloß darauf hingewiesen, dass das ein fruchtloser Modus der Auseinandersetzung ist, wenn man gegen die vorgebrachte Bestimmung einfach seine eigene Definition uvermittelt dagegen setzt (und diese Setzung dann auch gar nicht wissenschaftlich, sondern politisch begründet: Ideologien will er anderen Leuten „anhängen“ können, ansonsten hätte der Begriff keinen Wert – damit bestimmt sich der Begriff der Idologie nicht aus der Analyse der Gesellschaft, sondern aus seinem politischen Vorhaben, ist also beschränkt oder borniert im oben angegebenen Sinne).

  80. Mattis
    20. Mai 2012, 16:28 | #80

    Das mit dem „Anhängen“ ist mir jetzt negativ angehängt worden. Ich hatte geschrieben:

    Also wenn einer nur richtige Sachen sagt, hänge ich ihm doch nicht den Ideologen an.

    Gemeint war: also wenn Hegel im Wesentlichen richtig gelegen hätte mit seiner Position, dann würde ich diese nicht als Ideologie bezeichnen. Das wäre nicht korrekt, weil ich dann eben keine „Fehler aus Interesse“ festzustellen hätte.
    Wer dagegen jegliche Theorie über Gesellschaft als Ideologie bezeichnet, müsste konsequenterweise auch Libelles Position als Ideologie bezeichnen. Was diesem aber gar nicht gefallen dürfte, wo er sich doch mit Händen dagegen sträubt:

    Nein, ich habe ja selbst Kritik am Kapitalismus – nur eben keine ideologische. (Libelle)

    Na, wenigstens einer!
    *
    Dass Libelle übrigens mit dem Ideologie-Begriff der bürgerlichen Politologie hantiert, hätte ich anfangs nicht gedacht. Dieser wird ja z.B. von Wikipedia als „wertfreie Definition“ bezeichnet. Danach kann jede politische Theorie als Ideologie verstanden werden.
    Besonders nützlich ist dieser gemeinhin anerkannte „wertfreie“ Ideologiebegriff, wenn es um die Abwertung antikapitalistischer Positionen geht: das sind dann eben auch nur Ideologien. Da braucht man sich um den womöglichen Wahrheitsgehalt von Kritik erst gar keine Gedanken zu machen, weil das ja per Definition alles nur theoretisch formulierte Willensäußerungen sind und in diesem Fall einfach nur der Gegenwille zum gerade herrschenden Willen. Hat einen enormen ideologischen Nutzen, dieser Ideologiebegriff, nicht wahr?
    *
    Also ich weigere mich auch weiterhin ziemlich strikt, rein instrumentelles Wissen als Aussagen über Gesellschaft gelten zu lassen. Wir hatten hier das Thema „falsches Bewusstsein“, und da geht es eben um Aussagen über Gesellschaft, egal ob mit vielen oder mit wenigen Worten, egal ob im Arbeiterkopf oder in dicken Büchern.
    Was ich ausgeführt habe zum Denken des Lohnarbeiters, ist, inwiefern es notwendig falsches Bewusstsein ist, und ich habe das versucht zu begründen. Ich habe den rein instrumentellen Quatsch kritisiert, der so tut, als könne jemand Lohnarbeiter sein und bleiben, ohne über das Lohnarbeitsverhältnis eine affirmative Meinung zu haben. Meine Zeilen zu diesem Aspekt könnte ich auch formulieren, ohne jemals das Wort Ideologie selbst zu benutzen. Ich glaube nicht, dass damit die Differenzen weg wären – denn in Wirklichkeit ist das ist hier kein Streit um Begriffsdefinitionen.

  81. latte
    20. Mai 2012, 16:41 | #81

    D.h., es hat einen partikularen, beschränkten Blick auf die Welt, reflektiert aber nicht darüber, dass es partikular ist, sondern begreift seine Inhalte als Wahrheit.

    Ist am Ende jeder Ideologe, wer will schon auf Interessen verzichten? Du hast doch einen Denkfehler nachgewiesen, nämlich Gegenstände und deren Beurteilungen mit einer Nutzenkalkulation zu verwechseln. So. Wenn du jetzt hingehst und sagst dem „Arbeiterbewusstsein“, es verpasse entscheidende Einsichten in sein Tun oder fasse sie falsch auf – wegen Urteils-Beschränkung in Sachen Nützlichkeit -, geht es dir doch auch ums (richtige und falsche) Urteilen. Ideologie lässt sich gar nicht nachweisen, wenn man den ersten Schritt (die Bestimmung der theoretischen Fehler) weglässt. So wird aus dem Ansinnen „Ideologiekritik“ Rechthaberei (s. libelle).

  82. Apple
    21. Mai 2012, 18:45 | #82

    @ Mattis

    Gemeint war: also wenn Hegel im Wesentlichen richtig gelegen hätte mit seiner Position, dann würde ich diese nicht als Ideologie bezeichnen. Das wäre nicht korrekt, weil ich dann eben keine „Fehler aus Interesse“ festzustellen hätte.

    Ja. Und inwiefern habe ich dich da falsch wiedergegeben?

    Wer dagegen jegliche Theorie über Gesellschaft als Ideologie bezeichnet, müsste konsequenterweise auch Libelles Position als Ideologie bezeichnen.

    Das ist wohl wahr. Allerdings hat in diesem Thread bisher niemand behauptet, dass jede Theorie über die Gesellschaft Ideologie ist, deswegen verstehe ich auch nicht, worauf du mit dem Argument hinaus willst.

    Also ich weigere mich auch weiterhin ziemlich strikt, rein instrumentelles Wissen als Aussagen über Gesellschaft gelten zu lassen. Wir hatten hier das Thema „falsches Bewusstsein“, und da geht es eben um Aussagen über Gesellschaft

    Dann war das vielleicht ein Mißverständnis. Ich bin davon ausgegangen, dass das falsche Bewußtseyn Fehlurteile über solche Sachen wie Geld, Lohnarbeit, Staat etc. enthält – also nicht unbedingt über die ganze Gesellschaft.
    Und das Thema, dass wir haben, ist „Ideologie“ und nicht „falsches Bewusstsein“. Ob Ideologie mit falschem Bewusstsein gleichgesetzt werden kann, ist doch gerade die Streitfrage.

  83. Mattis
    21. Mai 2012, 22:20 | #83

    @Neoprene
    Der Opportunismus als ‚Haupttendenz‘ schließt ja nicht aus, dass es da auch entgegenwirkende Faktoren geben kann. Aber du wirst doch nicht so ein offenkundiges Phänomen leugnen können: in Fragen der herrschenden Ordnung nutzen die Leutchen ihren Verstand in erster Linie zur Rechtfertigung, von einer kritischen Begutachtung, mit der sie ansonsten jeden Gebrauchtwagenkauf begleiten würden, ist da keine Rede mehr. Obwohl sie also klar denken können, wenn es sein soll, und obwohl keiner mit dem Knüppel hinter ihnen steht.

    Historisch stimmt das ja auch ab und zu mal gerade nicht: wo waren denn andersrum die Opportunisten des Realsozialismus, als der auf der Kippe stand?

    Die DDR-Bürger fanden, dass sie ein Recht als Deutscher auf die „erfolgreichere“ Variante deutscher Herrschaft hätten. Das möchte ich nicht gerade Opposition nennen in dem Sinne, dass da was begriffen worden wäre.
    Es war ein fliegender Wechsel in einen alternativen Opportunismus – letztlich eingeleitet von oben. Ohne Signal von oben, dass die Mächtigen beginnen, sich umzuorientieren, wär da nichts gelaufen, und die DDR-Arbeiter würden immer noch fleißig für westdeutsche Kaufhäuser und Versandhandel Waren produzieren, von denen Ahnungslose behaupteten, so eine Qualität kriegt eine sozialistische Wirtschaft natürlich nie hin …

  84. Mattis
    21. Mai 2012, 22:22 | #84

    @Apple

    Ich bin davon ausgegangen, dass das falsche Bewußtseyn Fehlurteile über solche Sachen wie Geld, Lohnarbeit, Staat etc. enthält – also nicht unbedingt über die ganze Gesellschaft.

    Meinst du, es ginge nur um Sätze, die mit „Die ganze Gesellschaft ist …“ anfangen? Das ist dann in der Tat ein Missverständnis. Mit „Aussagen über Gesellschaft“ meinte ich genauer formuliert „Aussagen über Gesellschaftliches“, und da stehen die Themen Geld, Lohnarbeit etc. natürlich ganz oben auf der Liste.

    Und das Thema, dass wir haben, ist „Ideologie“ und nicht „falsches Bewusstsein“. Ob Ideologie mit falschem Bewusstsein gleichgesetzt werden kann, ist doch gerade die Streitfrage.

    Schauen wir doch einfach mal nach, wo der Begriff „Ideologie“ überhaupt in diesem Thread erstmalig aufgetaucht ist, und wir finden folgende Stelle, wo Libelle an „kapitalismuskritische oder sonstige Gruppen“ den Vorwurf richtet …

    … dass sie ihre theoretischen Gegenstände, ihren Erklärungsbedarf etc… aus einem Vorhaben ableiten, das nie und nimmer etwas damit zu tun hat, wie die Änderung der Gesellschaft abläuft. So erzeugt das Projekt die Ideologie und nicht das, was man über die Welt weiß, das, was man tut.

    Und dazu stellt Libelle weiterhin fest, dass

    das falsche Bewusstsein Resultat ihm vorausgesetzter Interessen ist, zu denen der Wille erst einmal Abstand einnehmen muss, um überhaupt über sie reflektieren zu können.

    Ist in dieser Ansage also Ideologie im Sinne von falschem Bewusstsein in die Diskussion eingeführt oder nicht?
    Und wird dort behauptet, dass „kapitalismuskritische oder sonstige Gruppen“ an der Realität vorbei Ideologie produzieren oder nicht?
    Und wird das im übrigen irgendwo bewiesen? – die Frage kann ich mir jetzt sparen. Ich hatte sie bereits gestellt, und darauf erfolgte keine Antwort. Libelle hat was gegen linke Projekte, und deshalb werden linke Theorien mit eindeutig negativer Zuschreibung als Ideologie bezeichnet, so schlicht ist doch das Schema hier. Auch BILD könnte dieses Niveau nicht unterbieten. Und das wars für mich jetzt.

  85. libelle
    25. Mai 2012, 10:17 | #85

    Ist in dieser Ansage also Ideologie im Sinne von falschem Bewusstsein in die Diskussion eingeführt oder nicht?

    Ganz eindeutig nicht, da das falsche Bewusstsein Resultat eines Denkens sein kann, das auf ihm vorausgesetzte Interessen verpflichtet ist, ganz ohne, dass dieses Denken mit falschem Bewusstsein zusammenfällt.
    Es ist ein Widerspruch, dass die geistige Befassung mit der Welt ihr vorausgesetzte Interessen bestätigen soll. Und der löst sich eben manchmal (und nicht immer, wie von Dir behauptet) in falschem Bewusstsein. Gleichzeitig verlangen ideologisch denkende Menschen aber auch, dass sie die Wahrheit denken. Ihr interessiertes Nachdenken über die Welt ist also auch Ringen um die Wahrheit.

    Und wird dort behauptet, dass „kapitalismuskritische oder sonstige Gruppen“ an der Realität vorbei Ideologie produzieren oder nicht?

    Nein, da unterstellst Du wieder Deinen Begriff von Ideologie (Ideologie=falsches Bewusstsein). Es ist eher so, dass diese Gruppen ihre Realität produzieren, weil sie interessiert in die Welt schauen und ihr Interesse nicht Teil des Gegenstandes ist, den sie betrachten. D.h. „Wirklichkeit“ ist für sie das, was sie im Dienst ihres Interesses an der Gesellschaft identifizieren. Und dann denken sie wieder mit ihrem Interesse (z.B. Leute für den Kampf gegen die Verhältnisse zu mobilisieren) darüber nach und diese Wirklichkeit wird ihnen ihre „erklärte Wirklichkeit“. Was davon stimmt und was nicht, ob die Abstraktionen, die sie vornehmen überhaupt dazu taugen die Gesellschaft begrifflich zu erfassen, ist eine Frage, die man unabhängig von der Kritik dieses Verfahrens beantworten muss.
    Ideologie ist also nicht richtig oder falsch, sondern mangelhaft (und auch beschränkt), weil sie das eigene Interesse als Gegenstand der Erklärung ausschließt. (Kommunisten: Interessenkampf, Machtfragen stellen). Als Kommunist überwindet man das eigene ideologische Denken, indem man a) die eben genannten Interessen und b) die eigene Theorie als Resultat dieser Interessen thematisiert. (und so auf ihre Unzulänglichkeiten kommt).
    Der Beweis, dass der GSP auch falsches Zeug in Verfolgung seines ideologischen Interesses produziert, ist bis zum Erbrechen erbracht (siehe z.B. die Diskussionen über die Nation, den Opportunismus, Eigentum, Geschichte etc…).

  86. Mattis
    1. Juni 2012, 16:35 | #86

    @Libelle

    Ideologie ist also nicht richtig oder falsch, sondern mangelhaft, weil sie das eigene Interesse als Gegenstand der Erklärung ausschließt. (Kommunisten: Interessenkampf, Machtfragen stellen). Als Kommunist überwindet man das eigene ideologische Denken, indem man a) die eben genannten Interessen und b) die eigene Theorie als Resultat dieser Interessen thematisiert. (und so auf ihre Unzulänglichkeiten kommt).

    Vielleicht haben manche Kapitalismus-Kritiker ja genau das gemacht: ihr vormalig wie bei jedermann zunächst vorhandenes Lohnarbeiter-Interesse („ich hoffe auf einen guten Job“) kritisch begutachtet und dessen gesellschaftliche Umstände reflektiert – und gerade aufgrund der dabei gewonnenen Einsichten lehnen sie eine Gesellschaft ab, in der tagtäglich der „Interessenkampf“ tobt. Sie haben ihr Interesse geändert.
    Anders z. B. beim Gewerkschaftler: da ändert sich der Lohnarbeiter-Standpunkt gerade nicht, sondern das gesellschaftlich geformte Interesse an Lohnarbeit bleibt bestehen – verbunden mit dem Dauergejammer über die unverständlichen „Ungerechtigkeiten“ und das Versagen der „Unfähigen“ – und das prägt die gewerkschaftliche Praxis und die Theoriebildung durchgängig.

  87. Jacko
    1. April 2016, 05:40 | #87

    Den ‚klassenkämpferischen Block innerhalb des DGB‘ will der RAB mit diesem Aufruf zur 1.Mai-Demo in Bremen stärken (oder erst noch konstituieren)…
    http://aufbaubremen.blogsport.de/2016/04/01/aufruf-zum-1-mai-in-bremen/
    Den Hinweis „Wir müssen beim Amt betteln, wenn wir keinen Unternehmer finden, dessen Lotterleben wir ermöglichen dürfen.“ finde ich übrigens deplaziert, weil er einen Vergleich zwischen den Mitteln des Privatlebens der Arbeiter (deren unzulänglich Mittel wurden vorher ausgepinselt) mit dem Lebensstandard des Privatmanns des Kapitalisten aufmachen will – anstatt den Vergleich mit den – selbst produzierten! – Mitteln des sachlichen (nicht persönlichen) Reichtums, die einem als Produktionsbedingubngen des Kapitals entgegentreten, darzustellen.
    Das ist eine moralische Reichtumskritik unter dem Titel „Lotterleben“, die dem Privatleben der Millionäre mangelnde Anständigkeit vorwirft. Solcherlei Beschönigungen der Klassengesellschaft sollte man der BLÖD überlassen. Den Neid auf das Lotterleben (sei es nun das ‚der Griechen‘, ‚der Beamten in ihrem Büroschlaf‘, der reichen Rentner auf Mallorca oder wie hier der Unternehmer) taugt nicht nur nichts, sondern das genau ist 365 Tage lang tagaus tagein in der BLÖD die Propaganda der Gegenseite…
    (Und Neid auf das Lotterleben ist kritikabel darin, dass der Neid auf einzelne, die mehr haben, die sehr gängige Tour des Sich-Abfindens ist, und also Antikritik ist.)

  88. Jacko
    1. April 2016, 06:30 | #88

    Wenn das ein „kritisches Anknüpfen“ an die Sichtweise von Arbeitern sein soll, so zeigt der Ausdruck „Lotterleben“, dass solches ‚Anknüpfen‘ so jedenfalls nicht korrekt ist. Solches Anknüpfen ist bloßes Anwanzen, das die Inhalte des Arbeiterbewusstseins nicht kritisiert, sondern revolutionär legitimieren will. Und sie so schlichtweg [auf autonom-links] befestigt.

  89. Jacko
    1. April 2016, 08:20 | #89

    Anstatt über das ‚Lotterleben des Unternehmers‘, sollte RAB lieber
    über die wahren Gründe der Verarmung reden
    http://ohnmacht.blogsport.de/2016/03/28/von-den-wahren-gruenden-der-verarmung/

  90. 1. April 2016, 13:32 | #90

    Dein Verweis auf den GSP-Artikel über den Armutsbericht hat mich angeregt, noch einen Abschnitt über die Niedriglohnarbeit reinzusetzen, um die Grenzen der Wertschöpfung auch auf diesem Sektor klarzustellen. Was eigentlich noch fehlt ist das „historische und moralische Element“ für die „Wertbestimmung der Arbeitskraft“ (KI, 186). Mal sehen…

  91. Krim
    12. April 2016, 07:27 | #91

    @Jacko: Deine Kritik finde ich richtig. Mir ist es auch einfach zuviel plakative Klassenkampfrhetorik. Man fragt sich warum das nötig ist. Die Bosse haben viel, sind gemein, schubsen uns durch die Gegend, sind Schmarotzer, wir schuften, sie genießen ihr Lotterleben usw. Das stachelt bloß den Sozialneid auf.

    „Sie (Gewerkschaften) sind Fans von der Ausbeutung der Arbeit durch eine Klasse von Schmarotzern und Sklaventreibern und Freunde des Eigentums, das nie denen gehört, die es schaffen.“

    Der Nebensatz ist verräterisch. Sollte das Eigentum, denn denen gehören, die es schaffen. Oder sollte man das Eigentum abschaffen. Die Kritik an der Gewerkschaften ist, dass sie den Reichtum in den falschen Händen lassen wollen. In Kapitalistenhänden statt Arbeiterhänden. Es wird die Enteignung des Eigentums gefordert, statt dessen Abschaffung. – Und warum ist das so. Weil sie das Proletariat nicht als welche kritisieren wollen, die für das Eigentum sind, denn das sind ja die Guten. Als Ersatzfeind hat man sich den Staat ausgesucht, der angeblich diese Verhältnisse diktiert.

    „Der Staat trennt uns durch das Eigentum vom Reichtum…Der Staat, der uns diese schäbigen Lebensbedingungen diktiert mit seinen Gesetzen. Der Staat, der uns mit seinen Bullen jagt. Der Staat, der uns mit seinen Richtern verurteilt. Der Staat, der uns mit seinen Sachbearbeitern und Gerichtsvollziehern schikaniert. Dieser Staat, der diese Ordnung garantiert, in der wir die nützlichen Idioten der Bonzen sind, überzieht die ganze Welt mit Krieg und Elend.“

    Als Eigentümer und als Arbeiter wollen die Leute aber den Staat. Er ist gar nicht derjenige, der ihnen etwas überstülpt, was sie nicht wollen, sondern er ist die Garantiemacht der Eigentümer und Eigentümer wollen sie sein.

    „Wir können unser Leid nur beenden, wenn wir ihnen weltweit den Krieg erklären und gemeinsam den Kommunismus erkämpfen!Indem sich unsere Klasse in allen Ländern gegen ihre nationalen Herren wendet! Indem wir gemeinsam ihre imperialistische Weltordnung zerschlagen!“

    „Unsere Klasse“ ist leider eine Klasse von Nationalisten, die Volksvertreter, aber keine nationalen Herren kennt. Die Herren Berufsnationalisten sind nicht ihre Herren und sie sind die Knechte, sondern das sind die Funktionäre ihres Willens den Erfolg der Nation voranzubringen. Mit anderen Worten: RAB unterstellt eine Arbeiterschaft, die es nicht gibt. Sie unterstellt, es wären lauter Kommunisten, die den Klassengegensatz genauso auf dem Schirm haben wie sie und sich deshalb als Ausgebeutete und Knechte vorkommen.

  92. Jacko
    12. April 2016, 07:51 | #92

    Die Kritik an der RAB lautet also, selbst wenn ihre Parolen richtig wären (auch das ist nicht immer der Fall!), wäre das bloße Aufsagen richtiger Aussagen noch gar kein Mittel, jemanden ganz anderen von seinen eigenen Standpunkten abzubringen.
    Dafür müsste zumindestens die Kritik an dem, was die Arbeiter machen, oder meinetwegen die Kritik an der Gewerkschaft, ja stimmen. Die Adressaten müssten in ihren eigenen Urteilen verunsichert worden sein bzw.sich kritisiert sehen.
    Stattdessen wird hier nur auf das Erwecken von Neidgefühlen gesetzt und darauf, dass die Arbeiter schon auch denken, dass es ungerecht zugeht und ihnen also mehr zukommen sollte.
    Wo der Skandal doch darin besteht, dass es gerecht zugeht.
    (Übrigens ist solches Setzen auf Gerechtigkeitsphrasen ziemlich billig und verkehrt, wie man gestern an der nationalistischen Hetze von Gabriel vor Stahlarbeitern wegen ungerechtfertigter Billigimporte von Stahl aus China sehen konnte.)

  93. Jacko
    12. April 2016, 10:36 | #93

    “ Mir ist es auch einfach zuviel plakative Klassenkampfrhetorik. Man fragt sich warum das nötig ist.“ (Krim)
    Dass das zum 1. Mai mal nötig sei, das denken die AutorInnen.
    Ein Demo-Aufruf ist ja keine gelehrte Erörterung, sondern eine andere Textsorte. Eine, die unmittelbar auf einen Adressaten zielt. (Der Bezug auf den Adressaten, den man sich anscheinend darüber herbeiholen will, dass man ihm Parolen zuflüstern will, der kann aber so gar nicht funktionieren.)
    Marx hat mal formuliert, man müsse den Leuten nicht irgendeine eigentliche [ ‚bessere‘ ] Parole ihrer Kämpfe zuflüstern. Sondern ihnen die Verhältnisse erklären.
    (In Zürich machen Yougsters anscheinend am 1. Mai Infozelte und Kurzveranstaltungen zu diversesen politischen Themen
    http://akzo.blogsport.de/2016/04/11/politprogramm-zum-1-mai/)

  94. Krim
    12. April 2016, 11:44 | #94

    Es wird einerseits zu sehr auf deren systemimmanentes Interesse gesetzt, denn wer will schon ausgebeutet werden, wer will denn nicht vom Kuchen der großen Bosse etwas ab haben. Mehr verdienen, nicht rumgeschubst werden, das will ja jeder. Darin wird den Arbeiter einfach Recht gegeben, um sie zu mobilisieren, aber eben dann für eine Sache, die sie gar nicht wollen. Die wollen doch gar nicht ihren Staat angreifen und mit dem Imperialismus Schluss machen. Man versucht sie also auf diesem Wege auf gut links in einen Kampf hineinzumanipulieren, statt sie zu kritisieren.
    Außerdem halte ich von so Feiertagsdemos nicht viel. Da dürfen Arbeiter traditionsgemäß ihrem dicken Hals Luft machen. Was soll da schon an Fortschritt und Erkenntnis bei rumkommen. Im schlimmsten Fall haben sie sich mal wieder ausgekotzt und dann geht’s mit frischem Elan wieder zur Arbeit.

  95. Krim
    12. April 2016, 13:44 | #95

    (28.2.15 – Auf die Strasse gegen Kapitalismus, Staat & Nation!)

    „Europa und die einzelnen Nationalstaaten sind Gebilde, die durch den alltäglichen Rassismus zusammengehalten werden. Diese klebrig-braune Masse breitet sich aus, verdeckt die Widersprüche der Gesellschaft und verhindert die Solidarität zwischen den Menschen.“

    Man denkt: Aha. Jetzt wird erklärt wie Rassismus Nationen schafft. Und was kommt? Nationen halten zusammen, weil Rassismus eine klebrig-braune Masse ist. Also wird einfach bebildert, dass Rassismus die Nation zusammenhält, statt einer Erklärung.

    „Rassismus ist eine Ideologie, die gesellschaftliche Krisen und Konflikte umdeutet. So wird Armut nicht als Folge des Kapitalismus gesehen, sondern mit der „Kultur“ eines Menschen erklärt.“

    Wenn Kultur als Grund angegeben wird, ist es wohl kein Rassismus.

    „Rassismus spaltet uns. In InländerInnen und AusländerInnen, nach „Kulturen“ und „Rassen“, in Illegale und Legale, in erwünschte und unerwünschte ArbeiterInnen.“

    Eigentlich macht das der Nationalismus.

    „Rassismus stiftet Identität und fügt Personengruppen neu zusammen. SchweizerInnen gegen AusländerInnen, ChristInnen gegen MuslimInnen, das Abendland gegen den Orient.“

    Rassismus schafft Gegensätze zwischen Menschen, die eigentlich zusammen gehören, soll wohl gesagt sein.

    „Rassismus legitimiert die Zumutungen des Kapitalismus. So werden AusländerInnen als Sündenböcke für tiefe Löhne und hohe Mieten hingestellt.“

    Statt einer Erklärung von Rassismus gibt es eine Aufzählung seiner Leistungen und das soll schon gegen ihn sprechen. Azko hat vielleicht das Herz am rechten Fleck, aber viel wissen tun sie nicht.

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