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[online] Schiffer-Nasserie ¦ 1.6.15 ¦ Düsseldorf ¦ „Nach Lampedusa ist vor Lampedusa“

11. November 2015 Kommentare ausgeschaltet

Auf YouTube ist ein Vortrag von Arian Schiffer-Nasserie „Nach Lampedusa ist vor Lampedusa“ im Netz gelandet, den er am 1. Juni 2015 auf Einladung von Pro Asyl und dem Flüchtlingsrat in Düsseldorf gehalten hat. Darin wird die Flüchtlingspolitik behandelt sowie die öffentliche Auseinandersetzung damit, so wie sie vor der offiziellen „Flüchtlingskrise“ der Bundesregierung bis Ende August verlief. Stichworte:
Fluchtursachen,
Imperialismus,
Steuerstaat und Staatsräson,
Abschottungspolitik,
„Bekämpfung der Schleuserkriminalität“,
Dublin II und Dublin III,
inneneuropäische Differenzen der Flüchtlingspolitik,
„Bekämpfung der Fluchtursachen vor Ort“,
Pro Asyl,
„Schande für Europa“,
radikale Flüchtlingsbewegung bzw. „Grenzen auf für alle“
„Verantwortung“ – Die staatsidealistische Deutung der Macht und ihre Kritik
Im Anschluss an den Vortrag eine Diskussion zu:
politisches Asyl und Art 16 GG bzw. der Schutz vor politischer Verfolgung in der BRD zwischen 1949 bis 1993,
die Frage nach der Alternative
Wirtschaftswachstum als Allgemeinwohl und Staatsräson
Das Video findet man unter:
https://www.youtube.com/watch?v=S5IH-lTnQVQ

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[online] Salzburg ¦ 9.6.2015 ¦ USA und China – Kampf um die Hegemonie in der Welt

11. November 2015 12 Kommentare

Renate Dillmann hatte am 9.6.2015 an der Uni Salzburg einen Vortrag gehalten zum Thema:

„Krisenschauplatz Ostasiatisches Meer:
USA und China – Kampf um die Hegemonie in der Welt“

Nun wurde bei YouTube der Mitschnitt hochgeladen.
Die Veranstaltung war mit diesem Text angekündigt worden.

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Das „Positionspapier von CDU und CSU“ vom 1.11.2015

2. November 2015 6 Kommentare

Das Positionspapier vom 1.11.2015 von CDU und CSU hat die Überschrift „Menschen in Not helfen, Zuwanderung ordnen und steuern, Integration sichern“
Also ganz bewußt nicht Zuwanderung vermindern sondern „nur“ ordnen.
Wenn sie dann „Transitzonen“ fordern, „… als vordringlichste Maßnahme zur besseren Kontrolle unserer Grenze“, dann ist „Kontrolle“ schon wieder ein Euphemismus, denn „In diesen Transitzonen wird für Asylbewerber aus sicheren Herkunftsländern, mit Wiedereinreisesperre, mit Folgeanträgen und ohne Mitwirkungsbereitschaft ein beschleunigtes Asylverfahren einschließlich Rechtsmittelverfahren und Rückführung durchgeführt.“ Es sollen also Flüchtende wieder zurückgewiesen werden. Da das die Flüchtlinge natürlich auch wissen, wird die Regierung sie in diese „Transitzonen“ genannten Internierungslager per polizeilicher Gewalt einweisen und dort mit Zwang festhalten müssen. Gemäß ihrem Zweck können diese Lager, egal wie sie dann heißen („Hot Spots“ war bisher der zynischste Verschleierungsbegriff) nur die „Haftanstalten“ sein, als die sie die SPD zurecht bezeichnet. Da muß man schon ein gewiefter Richter am BVG sein, um den Gefängnischarakter solcher Abschiebeknäste wegzudefinieren: „Die Ausgestaltung des Verfahrens erfolgt in enger Anlehnung an das Flughafenverfahren, das nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts keine Hafteinrichtung ist.“
Wenn CDU/CSU fordern, „Zur Vermeidung von Problemen soll schnellstmöglich zwischen Deutschland und Österreich ein besseres und faires Grenzmanagement
vereinbart werden.“ dann ist offensichtlich, daß es „besser“ nur dann wird, wenn die angestrebten „gemeinsamen Polizeistreifen entlang der Grünen Grenze“ möglichst viele Flüchtlinge erst gar nicht auf deutschen Boden kommen lassen oder sie höchstens direkt in die nächstgelegene „Transitzone“ abführen.
Selbst bei einem recht eindeutigen Ziel „Intensivierung von Rückführungen und Abschiebungen“ reden sie drum rum und vermeiden es zu schreiben, daß jetzt eben erheblich mehr Menschen wieder abgeschoben werden sollen als bisher.
Eine „besseren Bewältigung der aktuellen Situation“ sieht dann für die CDU aus glatt so aus, daß der Familiennachzug für zwei Jahre ausgeschlossen wird.
Und auf die bisherigen Weicheier unter den Ländern und Kommunen soll der Druck massiv erhöht werden:
„Bund und Bundesländer sind in der Pflicht, eine konsequente und bei Leistungsgewährungen und Rückführungen genauso wie bei der Beschleunigung von Asylverfahren zu gewährleisten.“
Die CDU weiß auch, daß der Flüchtlingsstrom nicht nur an der deutschen Grenze verringert werden kann: „Das Europäische Recht verlangt einen strikten Schutz der Außengrenzen der EU, der zurzeit nicht gewährleistet ist. Indem wir den Schutz der Außengrenzen wiederherstellen, illegale Schleusungen und Migration beenden, legale Strukturen des Flüchtlingsschutzes und der Lastenteilungen mit unseren Nachbarländern schaffen, werden wir die Zahl der Flüchtlinge reduzieren.“
Mit so neutralen Verben wie „schützen“, „beenden“, soll umschrieben werden, daß die „Reduktion der Flüchtlingszahlen“ ein recht gewalttätiges Geschäft ist und bleibt.
Auch für das zentrale Projekt einer Einbindung der Türkei in die Reduzierung der Flüchtlingszahlen, die nach Deutschland kommen, sind CDU/CSU ganz schön vage:
„Wir sprechen uns für die baldmöglichste Einberufung eines EU-Türkei-Gipfels zur Verabschiedung der gemeinsamen Migrationsagenda aus. Dabei soll Einvernehmen hergestellt werden über:
– die finanzielle Unterstützung der Türkei zur besseren Versorgung von
Flüchtlingen,
– die Eröffnung neuer Kapitel in den laufenden Verhandlungen,“
Also eine völlig unverbindliche Absichtserklärung sich (also am besten der EU insgesamt und nicht nur der BRD) die Begrenzung was kosten zu lassen und noch vager das Winken mit Entgegenkommen bei der EU-Annäherung für die Türkei.
Aber in Kernfragen wird knallhart vorgetragen:
„Beschleunigung des Inkrafttretens der Rückführung von Drittstaatsangehörigen aus der EU in die Türkei.“
Alle Flüchtlinge, die „wir“ nicht wollen, hat die Türkei gefälligst zurückzunehmen, denn sonst wüßten die EU-Staaten ja buchstäblich nicht, wohin mit ihnen.
„die Vereinbarung eines legalen Flüchtlingskontingents aus der Türkei für die
EU insgesamt“ lese ich auch als den Wunschtraumeiner Obergrenze der Flüchtlingszahlen, die es gemäß Merkel ja nicht geben soll.
Ein besonderer Hohn ist die Deklarierung von Afghanistan (nun ja, nur von handverlesenen „Schutzzonen“) als sicheres Heimatland, in das man ungerührt von dort Geflüchtete wieder zurückfliegen lassen kann. Oder als Drohung: „Vor diesem Hintergrund werden wir die Entscheidungsgrundlagen des BAMF für Afghanistan überarbeiten und anpassen.“
Wenn CDU/CSU ganz optimistisch/fordernd schreiben:
„Vom EU-Afrika-Gipfel am 14.11. in La Valetta erwarten wir ein klares Signal zur Bekämpfung von Fluchtursachen in Afrika sowie eine Neuausrichtung und Verstärkung der Entwicklungszusammenarbeit mit Blick auf die Reduzierung von Flüchtlingsbewegungen und den Abschluss von Rückübernahmeabkommen.“
dann ist die „Bekämpfung von Fluchtursachen“ sicher schon dann erreicht, wenn „die Reduzierung von Flüchtlingsbewegungen und den Abschluss von Rückübernahmeabkommen“ erfolgreich für die EU verlaufen.
Daß die berüchtigten „Hotspots“ oder „Aufnahme- und Verteilzentren“ weniger mit „Aufnahme“ sondern mit Abwehr zu tun haben, schreiben sie selbst, es geht nämlich um „Durchführung der Verfahren „vor Ort“ für nicht Schutzbedürftige und ihre
Rückführung in die Herkunftsländer.“
Und selbstverständlich ist dafür folgendes nötig:
„Die beschlossene Verstärkung von Frontex muss schnellstmöglich umgesetzt werden.“

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MSZ-Ausgaben 1974 – 1980 jetzt komplett im Netz

13. Oktober 2015 8 Kommentare

Nestormachno hat jetzt den Abschluß des Projektes der Digitalisierung der ersten MSZ-Ausgaben bekannt gegeben:

So Leute, die MSZ 1974-80 ist inzwischen mehr oder weniger vollständig am Netz. Bei einer Datei gibts Probleme, die ich mit dem Provider klären muß, 2 oder 3 hab ich unterschlagen, weil sie mir zu unbegreiflich erschienen sind, und bei der Nr. 7 fehlen 2 Artikel, die mir gern einmal wer schicken kann. Ich konnte die nirgends aufstellen.
http://msz1974-80.net

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Gegenreden 37 und 38 von F. Huisken zur deutschen Flüchtlingspolitik

3. Oktober 2015 260 Kommentare

Freerk Huisken hat zur deutschen Flüchtlingspolitik zwei weitere Gegenreden in „AUSWEGE – Perspektiven für den Erziehungsalltag – Online-Magazin für Bildung, Beratung, Erziehung und Unterricht“ veröffentlicht.
Gegenrede 37 vom 16.09.2015 hat die Überschrift „Überleben auf der Flucht als Qu alifikationsnachweis: „Gelobt sei, was hart macht!““
Gegenrede 38 vom 29.09.2015 „“Wir schaffen das!“, beteuert Kanzlerin Merkel. Was denn eigentlich?“

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Was hilft die „deutsche Flüchtlingshilfe“ den Flüchtlingen?

29. September 2015 23 Kommentare

Zwei Fragen zum „hellen Deutschland“ und seinem „riesengroßen Herz“
Die Politik in Deutschland sieht sich, zusammen mit vielen freiwilligen Helferinnen und Helfern, als Teil eines „hellen Deutschland, das hier sich leuchtend darstellt“ (Gauck) und spendet dieser humanistischen Gemeinschaft der guten Deutschen ein dickes Eigenlob: „Danke Deutschland, für dein riesengroßes Herz“ (die Grünen). Viele Linke sind da kritischer: „Zu gering“ falle die Deutsche Hilfe für die Flüchtlinge aus, „zu schlecht“ sei die Unterbringung.
I. Aus welchen Gründen brauchen die Flüchtlinge allerdings überhaupt „die Hilfe“ der Bürgerer und des Staates? Warum können Refugees nicht zum Subjekt ihres Lebens werden, sondern bleiben in der Rolle des Objekts von Flüchtlingshelfern? Warum können sie eigentlich nach ihrer Ankunft in Deutschland nicht für sich selber sorgen, indem sie bei der Produktion dessen, was sie brauchen, mitarbeiten?
Trostlose Antwort Nr. 1: Sie werden vom Staat gar nicht zugelassen zur Arbeit.
Trostlose Antwort Nr. 2: Selbst wenn sie ausnahmsweise alle Hürden der Zulassung überwunden haben sollten: Es herrscht bei uns Kapitalismus. Und da gibt es nicht Arbeit, wenn man sie zum Leben braucht, sondern nur, wenn man Unternehmer findet, die einem einen Lohn zahlen. Das tun die allerdings nur, wenn sich die Einstellung der Neuankömmlinge für sie lohnt. Die hiesigen Unternehmer haben allerdings auf die Neuankömmlinge nicht gewartet; ganz im Gegenteil: Für ihre gewinnbringende Produktionen und Dienstleistungen brauchen sie ja noch nicht einmal alle, die schon in Deutschland wohnen. Für die Gewinnrechnungen deutscher Unternehmen sind also schon ohne Einwanderer jede Menge Leute überflüssig – kein Wunder, dass auch die Neuen erst mal überflüssig sind, es sei denn sie lassen sich zu Löhnen einstellen, die weit unter den hierzulande üblichen liegen, also als unfreiwillige Lohndrücker.
II. Worin besteht der sachliche Gehalt der „Hilfe“, welche den Flüchtlingen zu Teil wird?
Was für eine „Hilfe“ erfährt eigentlich jemand, dem nicht als Individuum mit konkreten Interessen und Willen geholfen wird, sondern „als Mensch, der ein Recht auf Leben hat“? Wie verhält sich dieses Recht auf Leben – der Stolz des Rechtsstaates – und die Hilfe, die der Staat aus diesem ableitet, eigentlich zu dem, was Leben von Überleben unterscheidet, zu den konkreten Zielen, die ein Mensch verfolgt, zu seinen Wünschen und Bedürfnissen?
Auch hier ist die Antwort trostlos und zugleich kennzeichnend für die gesellschaftlichen Verhältnisse im kapitalistischen Deutschland: „Humanitäre Hilfe“ heißt nichts weiter, als Nothilfe, weil die Leute sonst vor die Hunde gehen; im Mittelmeer absaufen, von Schleppern und Gangstern ausgeplündert werden, in der Wüste verhungern … – mehr nicht!
Geholfen wird ihnen dabei nach eigener Auskunft des Staates, weil sie „Menschen“ sind. Mehr wird ihnen auch nicht garantiert, als dass sie Menschen bleiben, sprich: sie werden am Leben gehalten. Selbst die dafür notwendigen Güter: Decken, Essen, Wasser und mehr lässt sich dabei der deutsche Staat zu großen Teilen von seiner Zivilbevölkerung bringen.
Sind die Flüchtlinge allerdings dafür nach Deutschland gekommen? Dass sie mit Wasser versorgt werden und in den Nächten (möglichst) nicht frieren? Geht es um das reine „Über“leben? Nein, aber das ist beim humanitären Helfen nicht entscheidend. Aber alle geben an damit, dass „Deutschland hilft“.
Die Flüchtlinge wollen für sich selber sorgen, nicht der Gnade und dem Wohlwollen humanitärer HelferInnen ausgeliefert sein. Sie haben konkrete Interessen, Wünsche und Bedürfnisse, deren Erfüllung ihnen in den Balkanstaaten, Eritrea und in Syrien nicht möglich sind. Die gefährliche und lange Reise der Flüchtlinge hatte nie den Grund, schlicht zu überleben, sondern sich ihre Lebensmittel selber erwerben zu können, selbst Subjekte ihres Lebens zu werden. Statt dessen werden sie hier zu Objekten einer „Hilfe“ gemacht, die der Staat ihnen zuteilt, der ihnen das Mindeste, um im Kapitalismus leben zu können, verweigert: Sie dürfen noch nicht einmal ihre Arbeitskraft anbieten, um für Unternehmen Reichtum zu produzieren. – Selbst dafür sind sie nach den Gesetzen der freien Marktwirtschaft schlicht überflüssig.
[Dieser Artikel erschien zuerst bei KeinOrt.de „Kommentare aus dem Niemandsland“ dem Blog von Peter Schadt dem Verleger des Gegen_Kultur Verlags]

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„Willkommen“ im „deutschen Flüchtlingsmärchen“(ZDF) – Was ist und wozu gehört die neue Willkommenskultur?

18. September 2015 86 Kommentare

Der GegenStandpunkt hat schon die neueste Wende der deutschen Ausländerpolitik zum Thema gemacht. Seine vorher veröffentlichten Fragen zur Veranstaltung in Bremen am 17.09.2015 lauteten:
„1.Tausende Deutsche begrüßen die Flüchtlinge und wollen den Menschen helfen. Deutschland rühmt sich seither, dass „wir“ Flüchtlinge willkommen heißen. Was hat den Deutschen diese Gelegenheit verschafft? Warum gibt es solche Massen an armseligen Menschen? Ist Deutschland, in dessen Namen die Geflohenen jetzt begrüßt werden, nicht zuallererst mächtig an der Herstellung ihrer absoluten Mittellosigkeit beteiligt? In den Ländern, aus denen sie abhauen mussten; und auf ihrem Fluchtweg über das von Deutschland mit errichtete europäische Grenzwesen hinweg? Gibt es nicht überhaupt nur die zum Begrüßen, die es trotzdem bis Deutschland geschafft haben und dabei ihre letzten Mittel und Kräfte verausgabt haben?
2. Allen gilt es als Zeichen, dass „wir“ Flüchtlinge ankommen lassen. Als Zeichen gegen die, die Deutschland von Fremden freihalten wollen. Beginnt denn jenseits der ausländerfeindlichen Mordbrenner und ihrer Freunde ein einiges gutes Deutschland, zu dem Flüchtlinge freien Zutritt haben? Warum gilt dann das aktuelle Willkommen als etwas ganz Außergewöhnliches?
3. Eine einzige „Herausforderung“ sind die Flüchtlinge, sagen Deutschlands Politiker. Deren Bewältigung sei ein „Kraftakt“, mit „Deutschlands Reichtum“ sei diese Ausnahmelage aber zu stemmen. Da machen die wohltätigen Bürger mit. Aber was nehmen sie sich damit als Selbstverständlichkeit zu Herzen? Dass zur Versorgung Mittelloser der Reichtum in der hiesigen Ordnung nicht vorgesehen ist; dass hier jeder selbst für sein Auskommen kämpfen muss; dass selbst dazu Flüchtlinge normalerweise nicht zugelassen sind…?
4. Noch während die Bürger allen ihr Willkommen zurufen, machen Deutschlands Behörden die Flüchtlinge zu Objekten einer Sortierung: Wem von ihnen steht überhaupt welche Aufenthaltsberechtigung zu und wem nicht. Wessen Urteil gilt da wohl?
5. Die Hilfe gilt den Mittellosen, egal wo sie herkommen. Dabei ist den freiwilligen Helfern nicht unbekannt: Die Behörden sortieren danach, wovor und von woher die Leute flüchten. Sie kennen Flüchtlinge aus Armut ohne Bleiberecht und Länder, in die Deutschland solche gut abschieben kann; Flüchtlingen aus Syrien hingegen erteilen sie Asyl. Was macht eigentlich Massen zu „Wirtschaftsflüchtlingen“ und ihre Herkunftsländer zu „sicheren“? Was macht „Kriegsflüchtlinge“ aus Syrien zu anerkannten? Was ist das für ein Blick, den deutsche Politik auf das jeweilige Ausland wirft und mit dem ihre Behörden zur Tat schreiten?
6. Alle Deutschen haben sich an Abzuschiebende und berechtigte Asylanten in Deutschland zu gewöhnen. Auch erstere gehören sich nicht verachtet, sondern wie anfangs begrüßt so auch längerfristig geduldet und vielleicht sogar freiwillig begleitet auf dem Rechts- und Heimweg. Letztere darf man Willkommen heißen. Wozu? Wen deutsche Politik – „realistischerweise längerfristig“ – bleiben lässt, dessen Willen, selbst zurechtzukommen statt Last zu sein, fordert und fördert sie bei der „Integration“ und eröffnet ihm die „Zugänge in den deutschen Arbeitsmarkt“, die sie öffnen will. Das gilt vielen als gute Tat. Und was ist es?
7. Was ist diese neue deutsche „Willkommenskultur“ und was heißt sie eigentlich alles willkommen? Deutschlands Politiker jedenfalls definieren jetzt schon, was sie begrüßt sehen: sich. Sie berufen sich auf sie als Vorbild für die anderen EU-Staaten und verlangen deren „Solidarität“ – in der Flüchtlingspolitik. Was verlangt dieser Anspruch? Warum macht zugleich die Rede vom „Zerfallen Europas“ die Runde? Was schließlich meint Merkel, wenn sie das „Flüchtlingsproblem“ für gewaltiger hält als die „Griechenlandkrise“?“
Der Mitschnitt ist wie üblich bei argudiss nachzuhören.

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Schiffer-Nasserie: Integration – der neue Imperativ in Politik und Pädagogik (JfpB 4/2012)

12. September 2015 25 Kommentare

Der Artikel von Dr. Arian Schiffer-Nasserie „Integration – der neue Imperativ in Politik und Pädagogik“, der schon 2012 in der Zeitschrift „Journal für politische Bildung“ erschienen ist und bisher nicht online verfügbar war (Alfonsito hatte das ja auch schon festgestellt), liegt mittlerweile als PDF vor, das ich per OCR aus einem Scan der Seiten der Zeitschrift erstellt habe. Man kann diesen Artikel hier downloaden: Schiffer-Nasserie Integration
Vom Autor gibt es noch folgende Artikel online nachzulesen:
Flüchtlingspolitik ein Jahr nach Lampedusa
Misshandlungen in Flüchtlingsheimen – Ein Skandal und seine Bewältigung
Polizei und Rassismus – Über einen unschönen aber unvermeidlichen Zusammenhang
Polizei und Rassismus in den USA – Warum US-Polizisten schwarze Bürger erschießen
Interview in der Vice

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Butter bei die Fische! (Rüdiger Mats zur Debatte um einen neuen Sozialismus)

28. August 2015 366 Kommentare

Von Rüdiger Mats, er ist Mitglied der kommunistischen Gruppe The future is unwritten in Leipzig, erschien in der Zeitschrift konkret 9/15 folgender Artikel:
Eine nachrevolutionäre Gesellschaft soll den Kapitalismus ablösen, und der ist eine Produktionsweise. Deshalb gehört zu einer Debatte um einen neuen Sozialismus, wie sie in konkret l, 3,4 und 6/15 geführt wird, auch die Frage, wodurch der Kapitalismus denn eigentlich abzulösen ist.
Wenn ich Sozialismus höre, muss ich an Büroklammern denken. Sozialisten schlagen sich, wenn es darum geht, Kapitalismus abzulösen, üblicherweise auf die Seite des »Machbaren«, des scheinbaren Realismus, so dass bei ihnen viel zu verbuchen und abzuheften ist – aber vom Übergang in eine befreite Gesellschaft nichts übrigbleibt. Diese verengte Perspektive des »Machbaren«, der »Sachzwänge«, hat nie zu etwas Gutem geführt und wird es auch in Zukunft nicht.
Doch auch wenn man als Konsequenz daraus die nachrevolutionäre Gesellschaft vor allem als Negation des Kapitalismus denkt und den Bruch mit den derzeitigen Verhältnissen schärfer fasst, als Sozialisten das tun, muss man sich doch mit einigen ökonomischen (und daraus folgend politischen) Zwängen beschäftigen.
Zwischen befreiter Gesellschaft und »Übergangsgesellschaft« zu unterscheiden sollte man sich dabei sparen. Denn trotz aller Erblasten des Kapitalismus muss bereits die nachrevolutionäre Gesellschaft einen guten Grund für die Revolution abgeben. Sonst würden wieder »Opfer« gerechtfertigt mit dem Verweis auf die Glückseligkeit zukünftiger Generationen – und dann sollte man es mit der Revolution besser seinlassen.
Eine nachrevolutionäre Gesellschaft soll den Kapitalismus ablösen, und der ist eine Produktionsweise. Deshalb gehört zu einer Sozialismusdebatte auch die Frage, wie das gehen soll, wodurch der Kapitalismus denn eigentlich abzulösen ist. In den bisherigen Beiträgen standen Themen wie Geschichtsbezug, Ideologie oder Zweck-Mittel-Relation im Mittelpunkt, während drei zentrale Fragen eine Leerstelle blieben, die zu den Dauerbrennern linksradikaler Theoriebildung gehören:
• Was kann man heute bereits über die Grundlagen einer Ökonomie der befreiten Gesellschaft sagen?
• Was kann man heute bereits über die politische Organisation der befreiten Gesellschaft sagen?
• Und was folgt daraus für die politische Praxis?
Wenn die radikale Linke diesen Fragen nicht (weiter) nachgeht, kann sie nur hoffen, dass der Kapitalismus noch möglichst lange weiterwütet, denn sinnvoll zu beerben ist er dann nicht. Mehr…

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Johannes Schillo (Hrsg.): Zurück zum Original. Zur Aktualität der Marxschen Theorie

25. August 2015 77 Kommentare

Das Buch von Johannes Schillo (Hrsg.): Zurück zum Original. Zur Aktualität der Marxschen Theorie
ist jetzt erhältlich.
Dazu hat es sich schon besorgt und geschrieben:
Manche kürzere Kapitel scheinen zwar eher wissenschaftsinternen Debatten zu genügen (z.B. Widerlegungen gängiger wissenschaftlicher Fehlurteile über Marx); etliche umfangreiche Kapitel erläutern aber auch ’schlicht‘ große Teile des Marxschen Werkes.
S. 14 bis 29 fasst die Resultate des ersten Bandes des Kapitals übersichtmäßig zusammen; S. 29 bis 38 die vom Buch KII.
S. 39 – 82 erläutert [und kritisiert] die gängigen linken Positionen zum ‚Kapital‘. Was also ist genau ‚Der Wert‘, ‚Der Fetischismus‘, was ist ‚Theorie‘ bzw. ‚Erkenntnis‘, was ist ‚Praxis‘, was ist ‚Gebrauchswert‘ etc.
Drei weitere umfangreiche solche ‚positiven‘ Kapitel in dem Buch habe ich noch vor mir: a) zur marxschen Religionskritik, b) zu Staat und Demokratie, c) zu Armut und Sozialstaat.
(Obendrein sind noch Kapitel in dem Buch über Thomas Piketty, Armutsforschung, Managerverdienst(e); und über die Vorstellungen der Marxschen Theorie, die Rechte und Verfassungsschützer in ihren Publikationen unter das gelehrte wie das nichtakademische Volk bringen. Statt eines Nachwortes wird Thema, ob der Kapitalismus nun unübertrefflich sei, und ob wir ans Ende der Weltgeschichte angelangt seien…)
Scan der ersten Seiten incl. Inhaltsverzeichnis
(sowie Vorwort, Nachwort, Herausgeberverzeichnis):

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Zum Vortrag von Amelie Lanier über Kuba in Salzburg

18. August 2015 32 Kommentare

Am 3.8.2015 hat Amelie Lanier in Salzburg einen Vortrag gehalten: „Die Annäherung zwischen Kuba und den USA“. Den kann man sich mittlerweile anhören oder runterladen https://termitinitus.org/die-annaherung-zwischen-kuba-und-den-usa/2419.
Es hatte schon jemand irgendwo – ich hab das jetzt nicht mehr gefunden – sich so ungefähr gefragt oder gewundert, weil in dem Vortrag die These vertreten worden sei, daß Kuba das Embargo (oder der Boykott) letztlich gut getan habe, weil er bei allen Schwierigkeiten, die das ja offensichtlich mit sich gebracht hat, das Land zusammengeschweißt habe.
Nach eigenem Anhören kann ich nur sagen, ja, in der Tat wunderte sich die Referentin mehrfach darüber, daß kapitalistische Staaten schon lange nicht mehr die Strategie der Schutzzollpolitik zur Stärkung und Entwicklung der nationalen Wirtschaft eingesetzt haben und offensichtlich auch Kuba, jetzt wohl eher wieder auf dem Weg der Integration in den Weltmarkt (natürlich auf 100% „gleichberechtigter“ Grundlage zum beiderseitigen Nutzen usw.) sei. Von daher hat sie auch der früher noch „realsozialistischen“ Sowjetunion vorgeworfen, nicht auf den Sozialismus in einem Lanmd gesetzt zu haben, wo dieser Staat doch den Handel auf den Weltmärkten gar nicht nötig gehabt habe.

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Die Grexit-Frage(n) stellen ??

25. Juli 2015 80 Kommentare

Am 23.07.2015 haben zwei ex-Linksruck-Linke (Janine Wissler und Nicole Gohlke) im Neuen Deutschland einen Artikel geschrieben „Die Grexit-Frage(n) stellen„. Sie haben damit angefangen:

„Die Linksfraktion hat das neue Austeritätsprogramm für Griechenland am 17. Juli im Bundestag mit 53 Nein-Stimmen und zwei Enthaltungen abgelehnt und damit deutlich »OXI« gesagt zur Erpressung der griechischen Regierung durch Merkel, Schäuble und Gabriel. Dies mag nicht ungewöhnlich klingen, bedeutet aber – wenn wir ehrlich sind – eine Neubestimmung unserer Position, da noch im Februar der überwiegende Teil unserer Fraktion mit »Ja« und nur wenige mit Enthaltung oder mit »Nein« gestimmt haben.“

Detlef Georgia Schulze, der hier unter dem Namen Theorie Als Praxis postet, hat darauf, auch im ND am 25.07.15, eine Antwort geschrieben unter dem Titel:
»Ehe man an die nötige Tat herangeht«
SYRIZA-Debatte: Kein Strategiewechsel ohne Truppen-Reorganisation. Zum Verhältnis von Handeln und Denken nicht nur in Griechenland“
Ein paar zentrale Argumente der Kritik von TaP:

“leider ist die SYRIZA-Linke nicht (viel) realistischer als der Regierungsflügel; viel¬leicht ist sie sogar noch unrealistischer: Während der Regierungsflügel der machtpoliti¬schen Realität sich unterwerfend Rechnung trägt, ignoriert der linke Flügel sie einfach und schreibt und publiziert irgendwelche Wunschzettel:
»1. radikale Reorganisation des Bankenwesens, seine Nationalisierung unter gesellschaft¬licher Kontrolle sowie eine Neuausrichtung auf Wachstumsziele;
2. völlige Zurückweisung von Einsparungshaushalten […], um gesellschaftliche Bedürfnisse zu stillen, den Sozialstaat wiederaufzubauen und zu versuchen, die Wirtschaft aus dem unsäglichen Kreislauf der Rezession herauszuholen«.
Und im Anschluß daran wird mit dem Gestus der Gewissheit postuliert: »Es gibt absolut machbare Alternativen (engl. Fassung: absolutely manageable choices), die in die Richtung eines neuen ökonomischen Modells weisen, das sich an Produktion, Wachstum und einer Veränderung der gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse zugunsten der arbeitenden Menschen und der Armen orientiert.«“

TaP dazu:

„Die ganze Politik von SYRIZA der letzten Jahre war auf eine einvernehmliche Lösung innerhalb der Eurozone – d.h.: letztlich einen Kompro¬miss mit dem Neoliberalismus – ausgerichtet; von dieser Linie nun auf einmal auf den Versuch einer konfrontativen Durchsetzung eines linkskeynesianistischen Kurs außerhalb des Euroraumes umzuschalten, kann nicht mitten in der Schlacht passieren.“

„Das Problem an SYRIZA ist nicht, daß sie bisher nicht radikal genug gehandelt hat, sondern daß sie schon für ihre bisherigen – in der Tat nicht sonderlich radikalen – Handlungen, zuvor nicht radikal genug gedacht hat; nicht bedacht hat, daß ihr (noch) die nötigen konzeptionellen und Machtressourcen fehlen, um ihre Wunschzettel erfüllt zu bekommen bzw. vielmehr, sie sich selber erfüllen zu können.“

Ich hatte zum Ausgangsartikel folgendes geschrieben:

„Es betrübt mich immer wieder, auch wenn es natürlich nicht sonderlich verwunderlich ist, was solche „Linke“ wie Wissler und Gohlke so als „Plan B“ präsentieren. Ich kenne deren Vorläuferorganisation (die SAG) noch aus den 80ern. Die Cliff-Leute waren historisch immer nicht sonderlich linke Sozialdemokraten mit einem strammen antisowjetischen Touch. Da paßt das gut, daß die jetzt erstens in der Linkspartei gelandet sind und sich mal gerade noch darüber Gedanken machen, wie man vielleicht doch aus dem Projekt EU was Tolles machen könnte.“

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IKL zum Deal von SYRIZA mit der EU

21. Juli 2015 23 Kommentare

Die IKL hat ein ultraknappes Flugblatt für Griechenland herausgebracht (17.07.2015):
„Repudiate Syriza’s Sellout to the EU! ENOUGH!“
Schon bei der Hauptlosung bin ich ins Grübeln gekommen: Warum eigentlich „Repudiate“? Diese Losung hat die IKL früher nie benutzt, erst in diesem Jahr kam das auf bei Propaganda zu Griechenland. Dann frage ich mich natürlich, an wen sich das richten soll, offensichtlich nicht an die Arbeiterklasse, die, wenn sie den Kapitalismus in Griechenland niedergerungen haben sollte, natürlich auch alle Deals, Gesetze, Schulden usw. der EU wegräumen bzw. nicht mehr anerkennen würde. Aber so fangen die Spartakisten eben gerade nicht an, also ist das wohl eine Forderung, die eine weiter kapitalistische aber linkere Regierung umsetzen soll. Hm.
Daß die IKL auch zu denen gehört, die im Deal von SYRIZA einen Ausverkauf sehen, wundert nicht. Ich halte das für grundlegend falsch, denn SYRIZA hat immer klar gemacht, daß sie eine „Lösung“ in der EU und mit der EU suchen. Aber was ist denn „jetzt“ „genug“? Die Politik von SYRIZA, die Politik der EU, die kapitalistische Krise, gar der Kapitalismus? Es hat immer etwas recht Affirmatives, wenn Gewerkschaftsaktivisten oder Linke als Parole aufstellen, „Jetzt ist es aber genug mit …“. Als wenn die vorhergehende Situation qualitativ besser gewesen wäre, als wenn man auch nicht schon „damals“ hätte sagen können, daß „es“ „genug“ war.
Es wird dann wiederholt bzw. ausgeweitet: „The EU and euro must be repudiated“. Also immer noch von einem kapitalistischen griechischen Staat. Denn das Arbeiter an der Macht natürlich nicht mehr mit und für EU-Euro-Geld arbeiten würden, ist ja wohl selbstverständlich.
Was dann kommt, ist Dutzendware linker Propaganda: „Committees composed of workers from different tendencies and their allies—youth, unemployed, immigrants, pensioners—must be set up throughout the country to struggle for this and toward a government which will act in the interests of the working people and be subordinated to them. This battle cannot be won within a parliamentary framework.“
Wenn die Arbeiter in Griechenland antikapitalistisch orientiert sein werden, dann werden sie sich sicher auch dementsprechend organisieren müssen. Jetzt gibt es aber überhaupt kein solches Massenbewußtsein, daß „nur“ noch der organisatorischen Zusammenfassung harren würde.
Gegen die anschließenden Appelle an die Arbeiter in den anderen europäischen Staaten ist natürlich nichts einzuwenden, es ist naheliegend daß antikapitalistische Bewegungen in kleinen Teilgebieten der EU, hier ungefähr so viele Menschen betreffend wie in Bayern, ohne massivste Unterstützung einer europaweiten Arbeiterbewegung es nicht sonderlich weit bringen können.
Nur was soll dann die komische Parole „Break with the Capitalists and their Banks!“ Wie bricht man denn damit, ohne das kapitalistische System durch eine Arbeiterrevolution aus den Angeln zu heben? Und dann „bricht“ man auch damit nicht und nicht nur damit, sondern dann wird das abgeschafft, das ist was fundamental anderes.
Nun zu den konkreten „Tagesforderungen“:
„Cancel the debt! Down with the euro and the EU! Rip up the Third Memorandum!“
Das kann ja nur wieder eine Forderung an eine weiterhin kapitalistische Regierung sein, denn wenn damit „nur“ gemeint sein sollte, daß ein Rotes Griechenland sowas als Allererstes tun würde, dann hätten die das ja auch sagen müssen. So klingt das wie bei allen andren Linken, die jetzt einen Grexit, also eine autarkistische, kapitalistische, dann eben ganz hausgemachte Austeritätspolitik fordern.
„For common class struggle of Greek, German and other European workers against Schäuble, Merkel, Hollande and all the EU criminals!“
Wer hätte schon was gegen gemeinsamen Klassenkampf, der tut in der Tat not. Aber warum werden die führenden Politiker (und all die anderen EU-Politiker und Bürokraten wahrscheinlich bis in die EZB) als „Kriminelle“ bezeichnet. Warum nicht gleich Parolen gegen das „Schweinesystem“ wie vor 40 Jahren von der RAF?
„Abolish the VAT and all regressive taxes! Decent housing for all, no evictions! For workers control of food distribution and prices!“
Das ist eine komische Melange von linkskeynesianscher Nachfragepolitik, die unter der Vorherrschaft der EU-Diktate offensichtlich völlig systemwidrig ist und ohne deren Sturz auch nicht mal in einem linkskeynesiansischen Griechenland zu haben wäre. Ordentliche Wohnverhältnisse für alle bei weiterhin geltendem Privateigentum an Grund und Boden, was eben zu Rausschmissen aus den Wohnungen von Menschen führt, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, ist eine völlige Illusion. Ordentliche Wohnungen kann es gerade in einem Land wie Griechenland erst geben, wenn einige Jahre beherzter kommunistischer Planwirtschaft die gröbsten Probleme gelöst haben. Jetzt, wo es null antikapitalistische Massenbewegungen gibt, das, was es noch vor Jahren in diese Richtung gab, scheint erheblich zusammengeschrumpft und demoralisiert zu sein, Forderungen aufzustellen, die mal gerade in einer Situation von Doppelmacht Sinn machen würden, wo die Stärke der Arbeiterklasse schon beinahe dazu ausreicht, dem Staat und seinen Preisen insgesamt den Gar aus zu machen, wird völlig verpuffen.
„Expropriate the banks, utilities, transportation, ports and shipping industry! Industrialize Greece!“
Wenn hier von Enteignungen gesprochen wird, dann soll die doch ein immer noch kapitalistischer Staat durchführen, denn die Arbeiter an der Macht würden natürlich alle kapitalistischen Unternehmen enteignen und nicht nur die paar Banken. Die Banken in Griechenland sind zudem ja praktisch schon in Staatshand bzw. unter Staats- respektive EU-Kontrolle. Für die Arbeiterklasse bisher wahrlich bisher kein Gewinn. Irre ist dann die bombastische Aufforderung an die Tsipras-Regierung (oder deren Nachfolger), Griechenland bitte schön zu industrialisieren. Da wird einem noch jeder exkommunistische SYRIZA-Top-Staats-Bürokrat (z.B. von Blaumachen bis an die Spitze des Telekommunikationsministeriums gekommen) sagen, ja das versuchen sie doch die ganze Zeit. Nur kriegen sie dafür eben von der EU leider kein Geld (nun gut, ein paar Milliarden aus dem Staatsenteignungsfonds sind symbolisch dafür natürlich schon vorgesehen, die EUler sind ja keine Unmenschen). Daß die Arbeiter an der Macht selbstverständlich alle Resourcen, die im Lande vorhanden sind, auch für eine planmäßige Ausweitung der industriellen Güterproduktion einsetzen würden, halte ich für selbstverständlich.
„For decent pensions for all retirees pegged to the cost of living, now! Quality health care for all!“ Da sollte man meinen, ja, natürlich sowas Selbstverständliches, das gehört her. Nur im Kapitalismus ist sowas eine Schimäre, da sehen „Mindestlöhne“ und „Garantierenten“ und das Gesundheitswesen eben so aus, wie sie in allen Staaten aussehen. In Griechenland natürlich noch schlimmer und schlimmer geworden und noch schlimmer werdend, „dank“ EU-Politik.
„Fight unemployment—Jobs for all through a shorter workweek with no loss in pay!“
Das ist eine typische in sich widersprüchliche „Übergangsforderung“: Im Kapitalismus werden aber Jobs nur angeboten, wenn der Arbeitgeber damit Gewinn machen kann. Wenn also die Arbeitszeiten gekürzt werden sollen, dann geht das für Kapitalisten schon, aber eben nur mit Lohnkürzungen. Daß alle Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind, was Vernünftiges tun können, das erfordert die Abschaffung der Lohnarbeit. Dann wird die dann notwendige Arbeit in vielen Bereichen sicher auch kürzer sein können als bisher, schon weil alle Hand anlegen dürfen, aber genau das muß man den Arbeitern auch klar machen. Lohnarbeit für alle ist keine besonders gute Forderung. Jedenfalls, wenn sie von Komunisten kommt.

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Podcast mit Theo Wentzke zu Griechenland

16. Juli 2015 339 Kommentare

Theo Wentzke vom GegenStandpunkt hat sich für einen Podcast interviewen lassen:
Im Gespräch: Griechenlandkrise – GEGEN_KULTUR Podcast #5
Ich habe das so auf Facebook so kommentiert:

„Für eine vorbereitete Interviewsituation war die oben zitierte Antwort von Theo Wentzke am Schluß auf die ewigliche Frage, was „wir“ denn „hier“ „tun“ könnten, erstaunlich vage und in seinem Kern nicht sonderlich viel linker, als das jeder halbwegs gestandener Gewerkschaftlinker auch hätte vorbringen können. Eine kommunistische Perspektive ist (neben all dem, was man dabei den Menschen zu erläutern und wovon man sie ja erst noch überzeugen muß) doch wahrlich schon ein ganzes Stück mehr als „nur“, den Herrschenden hier und vor allem in den Betrieben Sand ins kapitalistische Getreibe zu streuen.“

Auf die nicht unerwartet gekommen Frage, „was du dazu sagen würdest“, habe ich folgendes gepostet:

„Besonders Peter Decker, um einen der wenigen anderen Wortführer des GSP anzuführen, hat in diesem Zusammenhang eigentlich immer zentral darauf hingewiesen, daß Arbeiter von dem einfachen tradeuninonistischen Standpunkt, „Boss, ich brauch mehr Geld“ zur Seite treten müßten und damit aufhören müßten, sich in ihren Arbeitskämpfen (ich sage jetzt nur) als Arbeiter aufzuführen.
Erst wenn die Arbeiter es vom Bewußtsein her aufgegeben haben, als Arbeiter in diesem System zu etwas kommen zu wollen, werden sie die objektive Kraft, die sie, als diejenigen, die ja den ganzen Reichtum der kapitalistischen Gesellschaft erarbeiten, für Kämpfe, die wirklich dem Kapital (und seinem Staat) zusetzen, entfalten können.
Zum Nachlesen hierzu empfehle ich immer wieder die Ausführungen die Peter Decker im Streitgespräch mit (leider nur) Mag Wompel gemacht hat.
„Sechs Jahrzehnte DGB: Kooperation oder Klassenkampf“
Ich habe seine Ausführungen auch abgeschrieben:
http://neoprene.blogsport.de/images/PeterDeckerKooperationoderKlassenkampfBerlin7.5.2011.doc
Etwas grundlegender ging der Streit auch um die Frage „Was tun?“ bei dem Streitgespräch zwischen Michael Heinrich und wieder Peter Decker in Bielefeld
„Klassen – Kämpfe – Kommunismus“, die am 25.04.2012 stattgefunden hat
Amelie Lanier hat den Mitschnitt für ihre Radiosendung überarbeitet:
Teil 1
Teil 2
Ich habe daraus eine Teilabschrift gemacht unter dem Titel „Erfahrungen“ versus „unbrauchbare Unzufriedenheit“
Erst jüngst bin ich auf einen Veranstaltungsmitschnitt aus Stuttgart gestoßen (den sich immerhin mehr als 2000 Leute angeschaut haben):
„Eurokrise und Nationalismus“ Podiumsdiskussion im Rahmen der „Aber hier leben? Nein Danke.“-Konferenz vom 5.10.2013

Auch hier hat wieder Peter Decker als Startpunkt das „Beiseitetreten“ aus seiner systemimmanenten Rolle als erforderlich und erst mal hinzukriegen dargestellt.

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GSP-Artikel zum Staatsbankrott Griechenlands

16. Juli 2015 5 Kommentare

Eine Zusammenstellung von frei verfügbaren GS-Artikeln zu Griechenlands Staatsbankrott:
GS 2-15
Neues aus der europäischen Völkerfamilie
An Griechenland wird ein Exempel statuiert
GS 4-14
Europas Krise 20.14
GS 3-12
Jahr 6 der Weltfinanzkrise
Die Krisenkonkurrenz der Euro-Partner tritt in ihr finales Stadium ein

GS 1-12
Expertenregierungen für Europas Pleiteländer
Staatliche Souveränität mit Haushaltsschulden in Zeiten der Euro-Krise
GS 1-12
Zum Januar-Gipfel der EU.
Sparen – Wachsen – Konkurrenzfähigkeit
Der Fiskalpakt – Europas Wunderwaffe gegen die Krise
GS 2-11
ESM, Pakt für den Euro, Wirtschaftsregierung etc.
Die Rettung des Euro

GS 1-10
Anmerkungen zu Griechenlands Staatsbankrott
[war ursprünglich ein Kommentar, habe ich der Bedeutung wegen hochgesetzt]

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Der dritte Anlauf Deutschlands zur Einigung Europas

1. Juli 2015 34 Kommentare

Der letzte Absatz im aktuellen Artikel des GegenStandpunkt zu Griechenland (2-15) lautet:

„Der Fortschritt, auf den Deutschland dringt, ist unübersehbar: Deutschlands Aufstieg zum ökonomischen und politischen Subjekt des Euro, Schäuble ganz ohne formellen Beschluss in der Rolle des finanzpolitischen Supervisors über den Kredit der Gemeinschaft und über den Haushalt der ‚Krisenländer‘ – das ist ein imperialistischer Krisengewinn Deutschlands weit über seine ‚schwarze Null‘ und ‚Exportweltmeisterschaft‘ hinaus und ein neuer Schritt in Richtung Einheit Europas, ein Stück friedlicher Eroberung und Unterordnung bis an die Schmerzgrenze.“

Da habe ich mich wieder an einen berühmten, schon wieder etwas in die Jahre gekommenen Spruch eines frühereren Außenministers Deutschlands erinnert:

„nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht. Die Rückkehr zur Normalität im Inneren wie nach außen entspricht einem tiefen Wunsch unserer Bevölkerung seit Kriegsende. Sie ist jetzt auch notwendig, wenn wir in der Völkergemeinschaft respektiert bleiben wollen. […] Unsere Bürger haben begriffen, dass die Zeit unseres Ausnahmezustandes vorbei ist.“

– Klaus Kinkel: Verantwortung, Realismus, Zukunftssicherung. Deutsche Außenpolitik in einer sich neu ordnenden Welt. FAZ 19. März 1993

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Huiskens Gegenrede 35: 5 Fragen zur Parole des Kita-Streiks: “Wir sind mehrWert!”

12. Juni 2015 Kommentare ausgeschaltet

In seiner Gegenrede 35 (wieder erschienen im „Magazin Auswege – Perspektiven für den Erziehungsalltag„) setzt sich Freerk Huisken mit dem aktuellen Kita-Streik auseinander. Ich habe hier die reinen Fragen herausgezogen:

1. Worum geht es den streikenden Kita-Angestellten und Sozialarbeitern: um mehr Geld, weil der bisherige Verdienst nicht ausreicht, um ihr Leben ausreichend zu finanzieren, oder um Anerkennung des Werts ihrer Arbeit?
2. Warum wird dann die Geldforderung mit Begründungen versehen, die zu ihr nicht nur nicht passen, sondern sogar von ihr wegführen?
3. Wollen die Erzieherinnen und Erzieher einfach nur „gutes Geld für gute Arbeit“, wie das bei der Ver.di heißt?
4. Wollen Kita-Angestellte mit ihrer Geldforderung wirklich einer Hierarchie der Berechtigung nach der Qualität der Arbeit für die Zwecke der Nation das Wort reden?
5. Ist nicht mehr in Erinnerung, dass dieselben Einrichtungen in der DDR, mit denen dafür gesorgt wurde, dass beide Elternteile arbeiten konnten, als Zeichen der Familien- und Kinderfeindlichkeit des sozialistischen Systems gebrandmarkt wurde? Macht man sich denn keinen Kopf darüber, dass auch im Kapitalismus die Kitas eine Funktion des Arbeitsmarktes sind? Und ist den Kita-Mitarbeitern denn nicht klar, daß längst vor ihrer „frühkindlichen Erziehung“ in den Kitas für große Teile des Nachwuchses aus den „bildungsfernen Schichten“ bzw. aus der Migrationspopulation der Zug abgefahren ist? Haben sie denn vergessen, was mit der Klage über fehlende Chancengleichheit in den Bildungseinrichtungen gemeint ist, in der sie ihre „Erziehungsresultate“ schuladäquat abliefern?

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Spartengewerkschaften: „Erpressung“ für „Partikularinteressen“ künftig verboten

27. Mai 2015 62 Kommentare

„Nichts anders haben Spartengewerkschaften wie die GDL (für Lokführer), die Vereinigung Cockpit (für Piloten) oder der Marburger Bund (für Ärzte) in der Vergangenheit getan: Betriebe in die Knie gezwungen, – man könnte auch sagen, erpresst – um Partikularinteressen durchzusetzen.“

Das Schreckenswort ist ohne Zweifel das Partikularinteresse. Wenn kämpferische Spartengewerkschaften die Schlüsselstellung ihrer Mitglieder in den jeweiligen Betrieben so ausnutzen, dass deren Kalkulationen durcheinandergebracht werden, dann, so der Vorwurf, streiten und streiken sie bloss, um das eigene Interesse durchzusetzen. Darüber, dass es in dieser Klassengesellschaft nur möglich ist, erträgliche Arbeitsbedingungen und irgendwie auskömmliche Bezahlung zu erhalten, wenn die Beschäftigten sich kollektiv weigern, die verlangte Arbeit zu leisten und damit den Betrieb „in die Knie“ zwingen, wird grosszügig hinweggesehen.
Betont wird vielmehr, dass sie sich damit an etwas vergehen, das im Gegensatz zu ihrem Interesse am Lebensunterhalt nicht bloss „partikular“ sein soll – am Gewinninteresse ihrer Arbeitgeber. Dafür haben die Beschäftigten ihre Dienste zu leisten und davon hängt im Kapitalismus auch tatsächlich alles ab. In ihrer Gesamtheit repräsentieren die privaten Reichtumsbilanzen der Unternehmen das nationale Wachstum, auf das es der Politik ankommt, und insofern das kapitalistische Allgemeinwohl.
Man merke sich also: Es handelt sich bei den Tarifauseinandersetzungen mit den Spartengewerkschaften nicht um einen Interessenskonflikt zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, sondern um den Kampf zwischen Gut (Allgemeininteresse) und Böse (Partikularinteresse), der so nicht weitergehen kann, weil er nur zu Unheil führt:

„Wenn Konzerne wie die Deutsche Bahn oder die Lufthansa argumentierten, dass der Betriebsfrieden gestört werde, wenn es innerhalb eines Unternehmens zig Tarifverträge gibt, war das den Spartengewerkschaften herzlich egal.“

Das Fachblatt für Management weiss eben zu unterscheiden: Spartengewerkschaften, die jeweils eigene Tarifverträge erstreiten, pfeifen auf den Betriebsfrieden. Wenn hingegen die Chefs für unterschiedliche Arbeits- und Entlohnungsbedingungen sorgen, ist der Betriebsfrieden herzlich wurscht. Und das tun die Chefs ja dauernd: Mit „betriebsnahen Lösungen“ durch Öffnungsklauseln in den Flächentarifverträgen, mit Werksverträgen und Outsourcing, mit Leiharbeit und Zeitarbeit, für die eigene Tarifverträge gelten, mit der Wiedererweckung konkurrierender, „christlicher“ Kleingewerkschaften, die sich für unternehmerfreundliche Tarifvorstellungen offener zeigen, praktizieren deutsche Unternehmen inzwischen vielschichtige Tarifpluralität. Aber ein tarifpolitischer Verhau, den das Kapital selber anrichtet, ist eben kein Grund zum Meckern sondern allemal recht, weil er der Senkung des Lohns und der Organisation profitdienlicher Arbeitsbedingungen dient.
Spartengewerkschaften, so das Magazin weiter, verursachen mit dem Pochen auf die Interessen ihrer Mitglieder nichts als Chaos und machen die Führung eines Unternehmens schlechterdings unmöglich.

„Wenn die Konzerne anführten, dass Einsatzpläne kaum zu erstellen sind, wenn für ein- und dieselbe Berufsgruppe unterschiedliche Arbeitszeiten gelten, zuckten sie mit den Schultern und verwiesen auf ihr angebliches Grundrecht.“

Während heute die glasklare Struktur von vielfältigen Schichtplänen, Sonderschichten, Überstunden Teilzeitarbeit und Gleitzeit, Abrufarbeit, flexibler Arbeitszeit und lebenslanger Arbeitszeitverrechnung keine Probleme bereitet, verlören die Betriebe ja komplett die Orientierung, wenn diese übersichtliche Ordnung von Spartengewerkschaften dadurch gestört würde, dass sie für eine oder mehrere Berufsgruppen tatsächlich weniger Regelarbeitsstunden erkämpfen. Mit solchen Schrecklichkeiten soll mit dem Tarifeinheitgesetz Schluss sein.

„Das Gesetz lässt zwar auch künftig zu, dass mehrere Tarifverträge in einem Unternehmen gelten können. Doch dort, wo Tarifkonflikte zwischen Gewerkschaften innerhalb eines Betriebes herrschen, – wie bei der Bahn – soll nur noch jene Abschlüsse machen dürfen, die die meisten Mitglieder hat.“

Für die bedrohten Konzerne ist das ein Segen, denn auf die „Grossgewerkschaften“ können sie sich verlassen. So denkt die EVG keine Sekunde lang daran, die Stärke, die von ihren Mitgliedern ausgeht, der der GDL solidarisch hinzuzuaddieren, um dann zusammen umso stärker gegen die DB aufzutreten und für die Schwachen und die Starken mehr herauszuholen. Und der DGB, so hebt das Magazin lobend hervor, weiss, anders als die Störer von den Minderheitsgewerkschaften, was gelebte Solidarität wirklich bedeutet:

„Für die Grossgewerkschaften ist das Gesetz ein Segen. Jahrzehntelang war es für IG Metall und Autokonzerne gleichermassen ein Horrorszenario, es könnte sich eine Automobil-Gewerkschaft gründen. Der Flächentarifvertrag wäre passé gewesen, Beschäftigte der prosperierenden Automobil-Industrie hätten sich nicht mehr darum scheren müssen, wie es schwächeren Betrieben in ihrer Branche geht. Es ist nie passiert. Die Grossgewerkschaften des DGB, aber auch Millionen Beschäftigte haben damit etwas gelebt, worauf die Spartengewerkschaften offenbar pfeifen: Solidarität.“

Gedacht ist da nicht etwa an Solidarität von Arbeitern und Einzelgewerkschaften miteinander, sondern an Solidarität der Arbeiter mit den Konzernen. Dafür verdient die IG Metall, stellvertretend für die Grossgewerkschaften des DGB, ein dickes Lob. Sie hat Flächentarifverträge für die gesamte Metallbranche abgeschlossen, die sich am Wohlergehen der Betriebe ausrichteten, und sie hat dabei noch nicht einmal an den prosperierenden Automobilherstellern Mass genommen, sondern an den „schwächeren Betrieben“.
Mehr Lohn als deren Gewinn verträgt, muss kein Metallbetrieb bezahlen. So geht „Sozialpartnerschaft“ richtig verstanden: Die Solidarität der Arbeiter untereinander hat sich unbedingt innerhalb des Rahmens abzuspielen, den die Gewinnanforderungen aller Betriebe abstecken. Auf die Anerkennung ihrer sozialpartnerschaftlichen Verantwortung durch Kapital, Staat und die breite Öffentlichkeit legen die DGB-Gewerkschaften grössten Wert – eine Anerkennung, die sie sich mit dem äusserst zurückhaltenden Gebrauch ihrer Macht zu verdienen meinen und die ihnen auch das Manager-Magazin zollt.
Bei Geltung des Tarifautonomiegesetzes sind kleine Spartengewerkschaften, um etwas durchsetzen zu können, darauf angewiesen, dass die konkurrierende Mehrheitsgewerkschaft sich hinter ihre Forderungen stellt. Wenn die sich mit dem Betriebsinteresse und nicht mit der kleineren Gewerkschaft solidarisch zeigt, dann kann die keinen Tarifvertrag erzielen und hat damit auch keinen gesetzlich erlaubten Streikgrund. Wie das ausgeht, wird die Zukunft zeigen – bloss: Wenn die DGB-Gewerkschaften die Interessen aller Berufsgruppen zufriedenstellend vertreten hätten, hätten die ja keine Spartengewerkschaften zu gründen brauchen.
[Dieser Artikel von Peter Schadt erschien am 27.05.2015 hier: http://www.untergrund-blättle.ch/politik/europa/deutschland_tarifeinheit_keine_macht_den_spartengewerkschaften_1811.html]

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Die Gewalt der Konkurrenz – Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten

18. Mai 2015 59 Kommentare

Aus: „junge Welt” Ausgabe vom 18.05.2015:
Die Gewalt der Konkurrenz
Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten
Von Arian Schiffer-Nasserie

Seit einiger Zeit häufen sich Berichte über rassistische Polizeiübergriffe in den USA. Zeitungsleserinnen und Fernsehzuschauer in Deutschland erfahren, dass US-Polizisten beinahe wöchentlich meist junge, unbewaffnete, männliche Afroamerikaner erschießen (z. B. Michael Brown, 18, in Ferguson; Tamir Rice, 12, in Cleveland; Walter Scott, 50, in North Charleston usw.), erwürgen (z. B. Eric Garner, 43, in New York) oder ihnen in Polizeigewahrsam das Genick brechen (z. B. Freddie Gray, 27, in Baltimore). Jährlich tötet die Polizei mehr als 300 dunkelhäutige US-Bürger. Tödliche Polizeiübergriffe gegen Schwarze gehören also zum Alltag der US-Gesellschaft.
Deutsche Medien berichten davon meist nur, wenn es, wie zuletzt Ende April, zu Demonstrationen und »Unruhen« in großen Städten kommt. Die Sorge – gemischt mit etwas Häme – gilt dann weniger den schwarzen Opfern der Polizeigewalt als vielmehr der inneren Ordnung des NATO-Bündnispartners mit Weltmachtstatus: »Randale und Chaos in Baltimore – Die zunächst friedlichen Proteste wegen des Todes eines jungen Schwarzen in Polizeigewahrsam sind in der US-Metropole Baltimore in offene Gewalt umgeschlagen.« (FAZ vom 28.4.2015)
Was in anderen Staaten als Beleg für die Unterdrückung ethnischer Minderheiten und als Missachtung der Demonstrationsfreiheit gilt, ist aus Sicht der deutschen Qualitätspresse zur Herstellung der öffentlichen Ordnung im Land der Freiheit dringend geboten: »Die Ausgangssperre solle ab Dienstag für eine Woche von 22 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gelten, erklärte Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake. Um die Gewalt in den Griff zu bekommen, rief Gouverneur Larry Hogan am Montag abend (Ortszeit) auch den Notstand aus. Bis zu 5.000 Nationalgardisten sollten möglichst rasch einschreiten.« (ebenda)
Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt für die staatstragenden Medien folglich kaum eine Rolle. Doch auch Linke und kritische Stimmen begnügen sich meist mit der Anklage, dass der Weltpolizist und globale Richter im eigenen Land »immer noch« gegen jene menschenrechtlichen Prinzipien verstößt, in deren Namen er seine Interessen weltweit so brutal durchsetzt. Die Frage nach dem »Warum?« erscheint dagegen nebensächlich und wird – wenn überhaupt – meist mit »postkolonialen Diskursen« und »rassistischen Zuschreibungen« beantwortet, die aus den Zeiten der Sklaverei und Rassentrennung überdauert haben sollen. Einen Zusammenhang zwischen den geachteten Grundrechten der Weltmacht und dem geächteten Vorgehen der Polizei gegen Schwarze können auch die meisten Kritiker nicht erkennen. Der folgende Beitrag will den Zusammenhang von Polizei und Rassismus in den USA weniger voreingenommen untersuchen. Das vielleicht irritierende Ergebnis sei vorangestellt: Es sind die allseits geachteten und menschenrechtlich legitimierten Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Eigentum selbst, die den modernen US-Rassismus im Allgemeinen und das polizeiliche Handeln im Besonderen begründen.
Die schwarze Seite der Freiheit

Die rechtliche Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung ist im Land der Freiheit alles andere als eine historische Selbstverständlichkeit. Die Grund- und Freiheitsrechte, welche die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776 als erster Staat zum gottgegebenen und zugleich »dem Menschen« gemäßen Recht (v)erklärten, bezog sich auf das nach ökonomischer und politischer Emanzipation von der britischen Krone strebende weiße Bürgertum:
»We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.« (Präambel)
(»Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.«)
Weder afrikanische Arbeitssklaven noch die indigene Bevölkerung (deren Vertreibung und Vernichtung ja überhaupt erst den kontinentalen Raum zur Gründung einer staatlich abgesicherten Eigentümergesellschaft ermöglichte) konnten sich auf die Verfassung der weißen Siedler berufen. Auch nach dem Verbot der Sklaverei in der US-Verfassung von 1865 brauchte es noch hundert Jahre, bis den Schwarzen in einer Mischung aus Anerkennung für ihre überdurchschnittlich hohen Opfer im Zweiten Weltkrieg einerseits und Befriedung einer blutig unterdrückten Bürgerrechtsbewegung andererseits in den 1960er Jahren die vollen Bürgerrechte zugesprochen wurden.
Seit einem halben Jahrhundert dürfen auch die ehemaligen Sklaven als formal gleichwertige Rechtssubjekte in den USA ihr »pursuit of happiness« verfolgen, also an der bürgerlichen Konkurrenz um eine Lebensgrundlage, d. h. Geld, Lohnarbeit, Wohnraum etc., teilnehmen. Der Haken ihrer mühsam errungenen bürgerlichen Grundrechte zeigte sich schnell: Zwar sind sie vor dem Gesetz gleichgestellt und explizit dazu berechtigt, ihre Freiheit im Sinne ihrer eigenen Interessen zu nutzen – allein von den materiellen Mitteln der eigenen Interessenverwirklichung bleiben sie dank des Grundrechts auf Eigentum weitgehend ausgeschlossen. Denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Verwirklichung des privaten Glücks zwar erlaubt und sogar geboten. Auch stehen die Mittel zur individuellen Bedürfnisbefriedigung in Form gigantischer Warenberge prinzipiell allen zur Verfügung. Jedoch – nur gegen Geld. Und das will »am Markt« erst einmal verdient sein. Dabei entpuppt sich ihre Freiheit mit Marx als doppelte:
»Frei in dem Doppelsinn, dass er (der Arbeiter, A. S.-N.) als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen. (K. Marx, MEW Bd. 23, S. 183)
In Ermangelung von Grund und Boden, natürlichen Ressourcen, Produktionsmitteln etc., mit denen sie auf Immobilien-, Rohstoff- oder Warenmärkten Geld verdienen könnten, bleibt den Afroamerikanern als Chance auf ein Erwerbseinkommen – wie den meisten Weißen auch – nur der Verkauf ihrer Arbeitskraft an ein Unternehmen. Als freie Personen auf der Suche nach Arbeit dürfen die ehemaligen Sklaven also von nun an wollen, was sie früher mussten, nämlich durch ihre Arbeit fremden Reichtum mehren. Allein, der Wille zur Lohnarbeit reicht nicht aus, da es immerhin noch eines Käufers bedarf, der sie verwendet. Und das ist bekanntlich gar nicht selbstverständlich.
Im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz müssen die Schwarzen mit bereits etablierten Arbeitskräften, mit neuen Auswanderern aus dem zerstörten Europa und aus Südamerika in einem klassischen Einwanderungsland konkurrieren und sind dem freien und gleichen Wettbewerb aufgrund ihrer schlechten Ausgangsbedingungen denkbar miserabel gewachsen. Auch der Konkurrenz um Schulnoten und Abschlusszeugnisse als Mittel zum Aufstieg in die höheren Positionen der Lohnarbeit können sie meist kaum standhalten, fehlen den Kindern bzw. ihren Eltern doch meist die materiellen und sozialen Mittel, sich gegen die gleichaltrigen weißen Kontrahenten im Bildungssystem durchzusetzen.
Unterm Strich jedenfalls müssen die schwarzen US-Bürger zwar völlig gleichberechtigt um Geld und in der Folge um Arbeit konkurrieren – bekommen deshalb aber noch keine oder nur schlechte und vor allem schlecht bezahlte; nicht zuletzt, weil die Einwanderungspolitik der USA im Interesse ihrer Unternehmer für ein Überangebot an billigen, willigen und qualifizierten Arbeitskräften aus aller Welt sorgt. Afroamerikaner in den USA sind im Vergleich zu weißen Lohnabhängigen daher doppelt so häufig arbeitslos, sofern sie eine Beschäftigung haben, ist diese im Durchschnitt wesentlich schlechter bezahlt. Mehr als ein Viertel lebt deutlich unterhalb der amtlichen Armutsgrenze, die Kindersterblichkeitsrate ist höher, die durchschnittliche Lebenserwartung geringer als die der Weißen. Ihre mangelnde Zahlungsfähigkeit führt auch dazu, dass sie sich aus freien Stücken auf dem freien Wohnungsmarkt konzentriert in den Armutsquartieren der US-Städte wiederfinden, so dass es seit einem halben Jahrhundert ganz ohne staatlichen Zwang zur – vornehm formuliert – »ethnischen Segregation« kommt. Im Ghetto finden sie sich mit all jenen (Behinderten, Illegalen, Kranken, Alten usw.) vereint, die zwar kaum »Chancen« zum legalen Gelderwerb haben, aber dennoch auf Dollar angewiesen sind, wenn sie im Land der Freiheit (über)leben wollen.
»Lebensbewältigungsstrategien«

Und natürlich entwickeln sie in der Folge die Lebensbewältigungsstrategien, die für die Pauper, für die »Überflüssigen« im Kapitalismus, seit jeher kennzeichnend sind und die wegen der damit verbundenen Störungen der öffentlichen Ordnung zum Gegenstand sozialer und polizeilicher »Arbeit« werden: Entweder die schwarze Unterschicht versucht, sich mit ihrer trostlosen Lage abzufinden,
– indem sie ihren Willen zur Konkurrenz und damit sich selbst schlichtweg aufgibt (Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Schulverweigerung usw.),
– indem sie an ihrem freien Willen verrückt werden (Wahnsinn),
– indem sie Trost im Glauben und in der Gemeinde suchen (einerseits seit jeher erwünscht, andererseits gefährlich – Sekten, Fundamentalismus usw.),
– indem sie mit Gewalt eine familiäre Reproduktion zu erzwingen suchen, zu der ihnen angesichts miserabler Wohnverhältnisse, prekärer Arbeit, Geld- oder Zeitnot usw. die Mittel fehlen (häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung etc.),
– indem sie mit Drogen ihre Not betäuben, die Stimmung aufhellen und auch ohne materielle Grundlage ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf »Happiness« wahrzunehmen suchen (Alkoholmissbrauch, Drogenkriminalität etc.).
Oder sie versucht auf unerlaubtem Wege Dollar zu erwerben,
– indem sie fremdes Eigentum aneignen (Diebstahl, Raub, Erpressung usw.),
– indem sie mit Drogen und Waffen handeln,
– indem sie die zum illegalen Erwerb notwendige Organisierung vornehmen, um gegen Konkurrenten und die Ordnungsmacht zu bestehen (Gangs, organisierte Kriminalität),
– usw.
Während Vertreter der ersten Variante, weil noch weitgehend um Rechtschaffenheit bemüht, eher ein Fall für »Social work«, »Community organizing« und »Charity« ist, werden die unvermeidlichen Verstöße der schwarzen, meist männlichen Unterschicht gegen die US-Rechtsordnung von der Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten hart verfolgt. Bei der Ausübung ihres staatlichen Auftrags treffen die Polizisten – übrigens auch schwarze Cops – immer wieder auf dieselben Täter mit derselben Hautfarbe in denselben Stadtteilen, so dass sie – auch ohne rassistische Vorurteile – einen ethnisch definierten Tätertypus entdecken: junge, schwarze Männer in den Armutsvierteln! Darauf gründet sich dann die gängige Polizeipraxis des »Racial profiling«, die schnell auf einen Pauschalverdacht gegen Schwarze hinaus läuft.
In jedem Fall ist aber die permanente Kollision junger, schwarzer Männer mit der US-Polizei aus den oben genannten Gründen materiell unvermeidlich, ganz unabhängig vom Willen und Bewusstsein der Beteiligten. Und deshalb findet diese Sorte inneren Dauerkriegs der Ordnungsmacht gegen ihre schwarze Unterschicht unvermindert statt – nicht trotz, sondern wegen eines halben Jahrhunderts rechtlicher Gleichstellung und trotz eines schwarzen Präsidenten im Weißen Haus. (Die sozialistischen Kritiker der Black Panther hatten also recht, als sie der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King vorwarfen, dass mit der rechtlichen Gleichstellung für die eigentumslosen Massen nichts gewonnen sei – nicht einmal ein gewaltfreies Überleben in Armut.) In der Zwischenbilanz hält das Land der Freiheit weit über zwei Millionen Bürger gefangen und steht damit im Verhältnis zur Einwohnerzahl weltweit an der Spitze. Der Anteil der schwarzen Häftlinge ist überproportional hoch. Etwa jeder 20. schwarze Mann ist Insasse in einem US-Gefängnis. Aber trotz der unvermeidlichen Kollisionen verfügen alle Beteiligten über Wille und Bewusstsein und deuten die Situation entsprechend (falsch).
Die Deutung durch die Polizei …

Für US-Polizisten steht geradezu dogmatisch fest, dass die Rechtsordnung, die sie verteidigen, für alle Bürger gut ist, weil sie erstens auf demokratischem Wege zustande gekommen, zweitens für alle gleichermaßen gültig und drittens den Menschenrechten entsprechend, d. h. der verfassungsmäßig festgeschriebenen Menschennatur gemäß ist. Aus ihrer professionellen staats-bürgerlichen Sicht gibt es also keine (guten) Gründe für Rechtsverstöße, bzw. muss jeder gute Mensch das Recht wollen. Im Umkehrschluss ist für Verstöße gegen die Rechtsordnung verantwortlich: mangelhafter (betrunken, wahnsinnig, minderjährig, affektiv usw.) oder böser Wille. Diesen bösen Willen entdecken sie nun immer wieder im selben Tätertyp im selben Viertel, so dass sie ihr professionell unerlässliches Verdächtigungsdenken in ein rassistisches Feindbild vom bösen schwarzen Mann übersetzen. Dieses Denkmuster lässt sich als Rassismus des Anstands bezeichnen.
Hinzu kommt für Polizisten – wie für alle Mitglieder der freien Konkurrenzgesellschaft auch – die falsche, aber beinahe unerschütterliche Überzeugung, dass jeder für seinen (Miss-)Erfolg selbst verantwortlich ist, sofern es bei der Konkurrenz nur »fair« zugeht, d. h. jeder seine Chance hatte. (Dass die »Chance« das Scheitern schon impliziert, ist logisch zwar evident und bei Lottospielern und Krebspatienten leidlich bekannt, aber vom Standpunkt der praktischen Vernunft irrelevant.) Wenn also jeder und jede nur eine faire Chance zum Wettbewerb in Schule, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bekommen hat, dann ist der bedauerliche Misserfolg auf die Konkurrenzanstrengung des einzelnen, auf mangelnden Willen und oder mangelnde Eignung zurückzuführen. In jedem Fall sind die Wettbewerber selber Schuld. Dies begründet die allgemeine Deutung der Verlierer als Versager, die sich inzwischen ein neudeutsches Sprachdenkmal geschaffen hat: »Du Loser!«
Der falsche geistige Rückschluss vom (Miss-)Erfolg in der kapitalistischen Konkurrenz auf die Erfolgsfähigkeit des Individuums begründet die Verachtung der Überflüssigen sowie die Bewunderung der (Erfolg)Reichen. Gilt erst einmal die Logik, dass der Erfolg am Markt Auskunft über die Erfolgsfähigkeit und damit über den sittlichen Wert des Marktteilnehmers gibt, so lässt sich die Formel des demokratischen Erfolgsrassismus in beide Richtungen deuten: Jeder verdient, was er verdient!(Offenbar teilen das auch viele Arme, so dass sie sich – weit davon entfernt, aufzubegehren – ihrer Armut lieber schämen.) Vom Standpunkt der staatstragenden Sorge um das Gemeinwesen aus gedacht kann man die Reihe in sarrazynischer Logik noch verlängern: Die armen Verlierer der kapitalistischen Konkurrenz sind demnach nicht nur Versager, sondern geradezu Schädlinge, die der Gemeinschaft der Leistungserbringer auf der Tasche liegen, mit ihrer Lebensbewältigung die Ordnung stören und der Polizei das Leben schwer machen.
Der Rassismus des Anstandes als auch der Rassismus des Erfolges lassen sich miteinander verbinden und ethnisieren. Sofern das Heer der Habenichtse und Störenfriede doch unübersehbar zu großen Teilen aus Schwarzen besteht, lässt dies (nicht nur) aus polizeilicher Sicht den Rückschluss zu, dass es sich dabei um einen Menschenschlag handelt, der offenbar gar nicht zur öffentlichen Ordnung passen will.
Schließlich verhalten sich die unter Dauerverdacht Gestellten schon aus diesen Gründen – verständlicherweise – meist feindselig gegenüber der Ordnungsmacht, haben tatsächlich den Willen zur Teilhabe an der erlaubten bürgerlichen Konkurrenz weitgehend aufgegeben und verfolgen, z. T. sogar ohne schlechtes Gewissen, kriminelle Ziele. Insofern bestätigen sie die rassistischen Konstrukte der Polizei, jedoch aus ganz anderen Gründen.
… und durch ihre schwarzen Opfer

Schwarze US-Unterschichtler sind leider ebenfalls weitgehend davon überzeugt, dass die (diskriminierungs)freie Rechts- und Eigentumsordnung der USA ein Angebot zur Verwirklichung auch ihrer Interessen darstellen müsste. Da sie aber in Wirklichkeit überdurchschnittlich oft zu den sozioökonomischen Verlierern gehören und in der Folge überproportional häufig im Gefängnis sitzen, deuten sie ihre Lage fälschlich als Folge von ungerechtfertigter Diskriminierung (und werden in dieser Sicht von linken Soziologen bestärkt).
Vom US-Staat und der US-Gesellschaft sehen sie sich insofern rechtlich, institutionell und moralisch ungerecht behandelt und betrogen; sind entsprechend beleidigt und tragen diese Mischung in Form eines eigenen Stolzes und Rechtsbewusstseins vor, das die ohnehin kaum vermeidbaren Rechtsbrüche mit dem guten Gewissen der ausgleichenden Gerechtigkeit begeht. Der Mut der Jugend tut das übrige. In der permanenten Verdächtigung durch die Polizei und andere Teile der bürgerlichen Ordnung finden sie schließlich die Bestätigung für ihre (falsche) Vorstellung, dass es das System (grundlos) auf sie abgesehen hat.
Freiheit, Gleichheit und Eigentum!

Der – wie oben gezeigt – unvermeidliche Konflikt zwischen US-Polizei und schwarzer Unterschicht erscheint beiden Seiten als etwas anderes: Beide Seiten gehen fälschlich davon aus, dass mit der Verwirklichung der bürgerlichen Grundrechte der Erfolg aller Mitglieder der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gewährleistet sein müsste. Dieser unerschütterliche Glaube an die Glück bringende Wirkung der bürgerlichen Freiheit eint die Kontrahenten. Beide Seiten berufen sich auf Verfassung und Menschenrechte und wähnen sich als deren tatsächliche Verteidiger. Ihre Kollisionen nehmen beide Seiten daher als unnötige, was ihre Wut auf die jeweils andere Seite nur weiter steigert.
Allerdings sind Polizisten mit ganz anderen Mitteln ausgestattet, gegen schwarze US-Amerikaner auf der Grundlage ihres beruflich bedingten rassistischen Feindbilds vorzugehen. Im Zweifelsfall dürfen sie zudem auf den Schutz einer Justiz hoffen, die im Rechtsbewusstsein und der Gewaltbereitschaft der Polizei eine unverzichtbare Säule der Staats- und Eigentumsordnung erkennt, die nicht durch harte Verurteilungen wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung oder rassistischer Morde erschüttert werden soll.
Es ist insofern kein postkoloniales Relikt, welches das harmonische, menschenrechtlich fundierte Miteinander von Schwarz und Weiß stört. Es ist vielmehr die den Menschenrechten zu Grunde liegende, demokratische Rechtsordnung erwerbsbürgerlicher Freiheit, staatsbürgerlicher Gleichheit und der ausschließenden Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel als Eigentum selbst, die – neben den wenigen nutznießenden Eigentümern des gesellschaftlichen Reichtums – die große Masse der Lohnabhängigen und als deren unvermeidlichen Teil auch noch die »Überflüssigen« hervorbringt. Die Wirkmächtigkeit der Geschichte, des Kolonialismus, der Sklaverei und Apartheid besteht darin, die ethnische Zusammensetzung dieser Unterschicht zu beeinflussen, indem durch die vordemokratische Zurichtung die Schwarzen mit den schlechtesten Ausgangsbedingungen in die bürgerliche Konkurrenz eintreten mussten.
Sowohl für die materielle Lage der Afroamerikaner als auch für den US-Rassismus ist also die gegenwärtige Rechtsordnung und Wirtschaftsweise verantwortlich. Schwarze in den USA können sich im Kampf gegen ihre materielle Lage, gegen Polizeigewalt und Verachtung nicht auf die Verfassungswerte berufen. Soll sich ihre Lage ändern, so müssen sie (wieder) zum bewussten Kampf gegen die politische Verfassung und wirtschaftliche Ordnung ihrer Staatsmacht übergehen.
[Arian Schiffer-Nasserie ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum. Seine Schwerpunkte sind die Sozial- und Migrationspolitik sowie die Rassismusforschung]

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Sind tote Flüchtlinge unvermeidlich für unseren Wohlstand?

13. Mai 2015 11 Kommentare

Arian Schiffer-Nasserie hat der Jugendzeitung und Webseite Vice Deutschland ein Interview zur aktuellen Flüchtlingskatastrophe gegeben.
http://www.vice.com/de/read/massensterben-im-mittelmeer-sind-tote-fluechtlinge-unvermeidlich-fuer-unseren-wohlstand-242
Dort heißt es:

„Die Revolution steht aber grad nicht vor der Tür und es wird weiter gestorben. Siehst du gar keine realpolitischen Ansatzpunkte?
Nein, es wird tatsächlich einfach weiter gestorben.“

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