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Sind tote Flüchtlinge unvermeidlich für unseren Wohlstand?

13. Mai 2015

Arian Schiffer-Nasserie hat der Jugendzeitung und Webseite Vice Deutschland ein Interview zur aktuellen Flüchtlingskatastrophe gegeben.
http://www.vice.com/de/read/massensterben-im-mittelmeer-sind-tote-fluechtlinge-unvermeidlich-fuer-unseren-wohlstand-242
Dort heißt es:

„Die Revolution steht aber grad nicht vor der Tür und es wird weiter gestorben. Siehst du gar keine realpolitischen Ansatzpunkte?
Nein, es wird tatsächlich einfach weiter gestorben.“

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  1. Alfonsito
    13. Mai 2015, 22:27 | #1

    Danke für den Hinweis,
    die Lektüre des ganzen Interviews ist lohnend.
    Arian führt darin u.a. auch dies aus:
    „Ich will gar nicht sagen, wer schuld ist, sondern wo die Ursache liegt. Die Ursache liegt in einer Weltordnung, die darauf ausgelegt ist, dass die erfolgreichen kapitalistischen Staaten Westeuropas und Nordamerikas den Nutzen aus der Welt ziehen und die Armutsresultate, die sie dabei überall produzieren, und das Elend, das dabei notwendig zustande kommt, bei sich nicht haben wollen.
    Das ist was anderes als die Schuldfrage, die so beliebt ist. Man sagt entweder, das sind kriminelle Schleuserbanden, es ist die schlimme EU-Politik, es sind die Flüchtlinge selber oder die korrupten Regierungen vor Ort. Die Schuldfrage behauptet nämlich immer, dass das Elend eigentlich nicht sein müsste, hätten alle alles richtig gemacht.
    Ich will das Gegenteil behaupten: Für diese Weltordnung sind die Flüchtlinge unvermeidlich.“

  2. 14. Mai 2015, 19:45 | #2

    Auf Facebook hat jemand zum Artikel geschrieben:
    „Ich finde den Artikel bzw. die Ansicht von Schiffer-Nasserie vollkommen richtig, die vollständige Negation des Flüchtlingsrechts aber undialektisch. Immanente Kritik setzt eben auch an den Maßstäben der Gesellschaftsordnung an.“
    Meine Antwort darauf:
    „So klassische, hochaufgeladene Pseudo-Argumente wie der Einwurf…, daß Schiffer-Nasserie zwar „vollkommen richtig“ aber „undialektisch“ sei, ärgern mich immer. Denn das paßt ja nicht zusammen. Und scheint mir auch mehr auf „undialektisch“ also falsch, als auf völlig richtig herauszulaufen.
    Woher kommt eigentlich die fast unerschütterliche Position, daß Kritik partout „immanent“ sein müsse? Warum muß man denn partout „an den Maßstäben der Gesellschaftsordnung“, in der man politisch aktiv sein will, ansetzen. Dann hätte man früher auch das Für und Wider der Hexenverbrennungen diskutieren können, oder daß der Holocaust dem Endsieg über den Bolschewismus abträglich war, usw.
    Manchmal muß man den Menschen, die auf Teufel komm raus den Glauben an das Gute, Wahre, Schöne im Kapitalismus behalten wollen, vorhalten, daß einige zentrale Sauereien dieses Systems eben nur mit diesem System verschwinden werden oder gar nicht.“

  3. reader
    15. Mai 2015, 08:15 | #3

    „„Gescheiterte Flüchtlingspolitik“ stellt die Sache auf den Kopf. Nicht die Flüchtlingspolitik, sondern das Leben der Menschen ist gescheitert—und zwar an dieser Flüchtlingspolitik. Wenn Pro Asyl oder andere flüchtlingsbewegte Gruppen der Bundesregierung unterlassene Hilfeleistung vorwerfen, dann nehmen sie die Bundesrepublik stets nur als Helfer war. Sie wollen sie nur als Helfer wahrnehmen, und zwar als schlechten, als unterlassenden Helfer. Dabei ist eigentlich das Gegenteil wahr.“
    Warum ist das keine immanente Kritik? Im Sinne von: eine eigene Position zu beziehen ist dafür, das Appellieren an den unterstellten guten, menschenfreundlichen Kern der ständig menschenfeindlich agierenden Politik, zu kritisieren, noch gar nicht notwendig.
    Ich denke aber auch, dass am Beginn einer dialektischen Bewegung des Denkens schon immanente Kritik stehen muss. Nur den Vorwurf an Schiffer-Nasserie kann ich diesbezüglich eben nicht nachvollziehen.
    Aber ich bin nicht auf Facebook, vielleicht ging’s in der dortigen Diskussion um was anderes…?
    PS: So en passent auf bestimmte historische sozusagen Bezugspunkte zu verweisen finde ich eigentlich nicht ok (..) und in diesem Fall auch nicht sinnvoll.

  4. Paquito
    15. Mai 2015, 12:05 | #4

    Zu dem Anwurf, dass „wir alle“ irgendwie gleichzeitig
    „Nutznießer und Schuldige“ doch seien,
    gab es schon mal einen aufklärenden Beitrag
    von Peter Decker:
    http://Neoprene.blogsport.de/2013/11/21/peter-decker-zu-wir-und-lampedusa/

  5. Alfonsito
    23. Mai 2015, 15:22 | #5

    Das in der EU umstrittene europäische ‚Quotensystem‘ zur Flüchtlingsverteilung soll angeblich doch in der kommenden Woche erstmalig angewendet werden:
    „Die Kommission will in der kommenden Woche die Verteilung von 40.000 Flüchtlingen aus Griechenland und Italien in andere EU-Staaten vorschlagen
    (…) Nach den bisherigen Plänen der EU-Kommission sollen zudem 20.000 Menschen, die vornehmlich in Flüchtlingslagern außerhalb der Union leben, über die EU verteilt werden.“ (SPON, 22.05.)
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/eu-kommission-will-40-000-fluechtlinge-verteilen-a-1035247.html
    Da dies vermutlich ein erster Versuch sein wird, unter Hinweis auf die verschärfte Problemlage in Griechenland und Italien eine generelle Änderung in Gang zu setzen (und Dublin II abzulösen), bleibt abzuwarten, ob die Kommission damit dann auch wirklich durchkommt.

  6. Semantik
    25. Mai 2015, 07:54 | #6

    Der Zynismus im Flüchtling
    Asyl im Kontext der Globalisierung denken.

    „Es gibt eine zwingende Logik in der Flüchtlingsfrage unserer Zeit, von der auszugehen aufrichtig und die wegzudenken lügnerisch ist: Ein Mensch, dem es in seiner Heimat (existentiell) gut geht, verlässt nicht sein Heim. Demnach flüchtet der notleidende Mensch nicht aus seiner Heimat, sondern ist der aus seiner Heimat Vertriebene in der Flucht. Der Heimatvertriebene wird der Flüchtling. Die lose, aber sich etablierte Bezeichnung „Flüchtling“ verkehrt das wahre Verhältnis in ein falsches, nämlich, dass der Flüchtling frei disponieren würde, nach Gutdünken seine Heimat zu verlassen. Das ist eine Verleumdung. Der Flüchtling ist kein (Sozial-)Tourist.“

    Ein Freitag-Blog-Beitrag von Mesut Bayraktar
    https://www.freitag.de/autoren/mesut-bayraktar/der-zynismus-im-fluechtling

  7. Alfonsito
    31. Mai 2015, 16:43 | #7

    Neue Flüchtlingsregeln in der EU?
    „Die Kommission möchte Gebrauch von einer Notfallklausel in den EU-Verträgen machen, um konkret Griechenland und Italien angesichts der hohen Anzahl von Flüchtlingen zu unterstützen. Demnach sollen in den kommenden zwei Jahren 40.000 Flüchtlinge aus den beiden Ländern in Europa verteilt werden – das entspricht 40 Prozent aller Asylsuchenden, die vergangenes Jahr in die Länder einreisten und eindeutig Schutz benötigten.
    Die Kommission betont, dass es sich dabei um Menschen aus Syrien und Eritrea handeln soll, also schutzbedürftige Menschen und keine illegalen Immigranten. Für jeden aufgenommenen Flüchtling sollen die Aufnahmestaaten 6000 Euro als Gegenleistung erhalten.
    Neben der EU-internen Umsiedlung von 40.000 Menschen schlägt die EU-Kommission vor, 20.000 Flüchtlinge direkt aus Konfliktregionen zu holen. Auch hierbei soll eine Quotenregelung gelten. Deutschland soll aus diesem Kontingent 3086 Menschen aufnehmen. (…)
    Bis Jahresende möchte die Kommission einen weiter gehenden Gesetzvorschlag vorlegen, der einen automatischen und dauerhaften Mechanismus für die Umverteilung von Flüchtlingen vorsieht – nicht nur eine einmalige Initiative. (…)
    Großbritannien, Irland und Dänemark werden aufgrund von Sonderregelungen nicht mitmachen. Auch viele ost- und mitteleuropäische Staaten sowie Frankreich und Spanien meldeten Einwände an. In Estland wird die Debatte darüber geführt, ob bei der Festlegung von Quoten auch beachtet werden solle, dass man viele Menschen aus früheren Sowjetrepubliken im Land aufgenommen habe.“
    http://www.welt.de/politik/ausland/article141565848/EU-will-6000-Euro-fuer-jeden-Fluechtling-zahlen.html

  8. Paquito
    23. Juni 2015, 20:35 | #8

    „EU Navfor Med wird sich zunächst auf die sogenannte »erste Phase« des Operationsplans beschränken, deren Umsetzung in den nächsten Tagen beginnen soll. Dabei geht es um die Vervollständigung und Verfeinerung der Informationen über die »Strukturen des Menschenschmuggels« an der libyschen Küste. Genutzt werden dafür Satelliten, Drohnen, Beobachtungsflugzeuge, Abhörzentralen an Land, unter anderem in Sizilien, und Schiffe mit Spionagetechnologie.
    Das Hauptquartier der Operation befindet sich in Rom und untersteht dem italienischen Admiral Enrico Credendino. Mindestens ebenso bedeutend ist die Rolle von Admiral Andrea Gueglio: Er ist Oberbefehlshaber der eingesetzten internationalen Streitkräfte. Seine Kommandozentrale befindet sich auf dem italienischen Flugzeugträger »Cavour« im südlichen Mittelmeer. Die »Cavour« wurde erst vor sechs Jahren in Dienst gestellt, ist also ein sehr neues und modernes Schiff. Sie hat in der Regel acht Kampfflugzeuge vom Typ »Harrier II«, zwölf Hubschrauber vom Typ »Augusta Westland« und einige weitere Helikopter an Bord. Darüber hinaus befehligt Gueglio acht Schiffe und U-Boote sowie zwölf Flugzeuge und Hubschrauber. Deutschland ist mit der Fregatte »Schleswig-Holstein« und einem Versorgungsschiff beteiligt. Insgesamt haben bisher 14 Mitgliedstaaten der EU ihre Teilnahme zugesagt. Darunter sind Italien, Frankreich, Großbritannien, Griechenland und Spanien. Ausdrücklich sind auch Nicht-EU-Staaten eingeladen, sich der Militäroperation anzuschließen.
    In Libyen befinden sich gegenwärtig nach unterschiedlichen Schätzungen zwischen 200.000 und einer Million Flüchtlinge, die auf eine Möglichkeit zur Überfahrt warten. Was mit ihnen geschehen soll, falls es wirklich gelänge, alle Fluchtwege aus Libyen abzuschneiden, ist nicht Thema öffentlicher Politikerdebatten. Der Chef der italienischen Mitte-links-Koalition, Matteo Renzi, hat bereits die Errichtung von Flüchtlingslagern unter UN-Kontrolle auf libyschem Boden ins Gespräch gebracht. Roberto Maroni, der Führer der rassistischen Lega Nord, hat den gleichen Vorschlag in aggressivem Ton als Forderung an die EU gerichtet. Eine Konsequenz wäre vermutlich die Schaffung einer internationalen Truppe mit UN-Mandat zum Schutz dieser Lager.“
    http://www.jungewelt.de/2015/06-24/016.php

  9. Alfonsito
    26. Juni 2015, 07:09 | #9

    In (vor) dem Vortrag von Renate Dillmann in Salzburg zum Flüchtlingsproblem
    https://geskrit.wordpress.com/2015/06/23/audioaufnahme-des-vortrags-die-toten-im-mittelmeer-sind-unvermeidlich-wofur/
    empfiehlt Renate (ca. 2. Minute) vermutlich den Aufsatz von Arian Schiffer-Nasserie:
    „Integration – der neue Imperativ in Politik und Pädagogik“
    (aus: Journal für politische Bildung (2012), 4, S. 18-29)
    Gibt es den Aufsatz irgendwo online?
    P.S.
    Beim Googeln nach dem Aufsatz habe ich im Netz zum Thema übrigens diese Multimedia-Präsentation gefunden:
    https://prezi.com/noyfpfl0yhuk/integration-der-neue-imperativ-in-politik-und-padagogik/
    Zum Thema. ‚Islam und Integrationsdebatte‘:
    http://Neoprene.blogsport.de/2014/11/07/schiffer-nasserie-polizei-und-rassismus-jw-7-11-14/#comment-116861

  10. Max
    7. November 2015, 15:59 | #10

    Aufzeichnung eines Vortrags von Arian Schiffer-Nasserie am 01.06.2015 in Düsseldorf:
    „Die Toten im Mittelmeer sind unvermeidlich. Unvermeidlich – wofür ?“
    Literatur:
    Flüchtlingspolitik: Ein Jahr nach Lampedusa
    Die Toten an den EU-Außengrenzen sind unvermeidlich – wofür?

  11. Grete
    21. November 2015, 08:33 | #11

    Wie die Rolle Rückwärts zur Politik der Flüchtlingsabwehr (zumindestens gegenüber bestimmten Flüchtlingsgruppen) sich auf diese im Detail auswirkt. zeigt dieser Bericht
    http://www.nzz.ch/international/fluechtlingskrise/segregation-auf-der-balkanroute-1.18650100

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