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Die Gewalt der Konkurrenz – Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten

18. Mai 2015

Aus: „junge Welt” Ausgabe vom 18.05.2015:
Die Gewalt der Konkurrenz
Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten
Von Arian Schiffer-Nasserie

Seit einiger Zeit häufen sich Berichte über rassistische Polizeiübergriffe in den USA. Zeitungsleserinnen und Fernsehzuschauer in Deutschland erfahren, dass US-Polizisten beinahe wöchentlich meist junge, unbewaffnete, männliche Afroamerikaner erschießen (z. B. Michael Brown, 18, in Ferguson; Tamir Rice, 12, in Cleveland; Walter Scott, 50, in North Charleston usw.), erwürgen (z. B. Eric Garner, 43, in New York) oder ihnen in Polizeigewahrsam das Genick brechen (z. B. Freddie Gray, 27, in Baltimore). Jährlich tötet die Polizei mehr als 300 dunkelhäutige US-Bürger. Tödliche Polizeiübergriffe gegen Schwarze gehören also zum Alltag der US-Gesellschaft.
Deutsche Medien berichten davon meist nur, wenn es, wie zuletzt Ende April, zu Demonstrationen und »Unruhen« in großen Städten kommt. Die Sorge – gemischt mit etwas Häme – gilt dann weniger den schwarzen Opfern der Polizeigewalt als vielmehr der inneren Ordnung des NATO-Bündnispartners mit Weltmachtstatus: »Randale und Chaos in Baltimore – Die zunächst friedlichen Proteste wegen des Todes eines jungen Schwarzen in Polizeigewahrsam sind in der US-Metropole Baltimore in offene Gewalt umgeschlagen.« (FAZ vom 28.4.2015)
Was in anderen Staaten als Beleg für die Unterdrückung ethnischer Minderheiten und als Missachtung der Demonstrationsfreiheit gilt, ist aus Sicht der deutschen Qualitätspresse zur Herstellung der öffentlichen Ordnung im Land der Freiheit dringend geboten: »Die Ausgangssperre solle ab Dienstag für eine Woche von 22 Uhr abends bis 5 Uhr morgens gelten, erklärte Bürgermeisterin Stephanie Rawlings-Blake. Um die Gewalt in den Griff zu bekommen, rief Gouverneur Larry Hogan am Montag abend (Ortszeit) auch den Notstand aus. Bis zu 5.000 Nationalgardisten sollten möglichst rasch einschreiten.« (ebenda)
Die Frage, warum US-Polizisten regelmäßig afroamerikanische Bürger töten, spielt für die staatstragenden Medien folglich kaum eine Rolle. Doch auch Linke und kritische Stimmen begnügen sich meist mit der Anklage, dass der Weltpolizist und globale Richter im eigenen Land »immer noch« gegen jene menschenrechtlichen Prinzipien verstößt, in deren Namen er seine Interessen weltweit so brutal durchsetzt. Die Frage nach dem »Warum?« erscheint dagegen nebensächlich und wird – wenn überhaupt – meist mit »postkolonialen Diskursen« und »rassistischen Zuschreibungen« beantwortet, die aus den Zeiten der Sklaverei und Rassentrennung überdauert haben sollen. Einen Zusammenhang zwischen den geachteten Grundrechten der Weltmacht und dem geächteten Vorgehen der Polizei gegen Schwarze können auch die meisten Kritiker nicht erkennen. Der folgende Beitrag will den Zusammenhang von Polizei und Rassismus in den USA weniger voreingenommen untersuchen. Das vielleicht irritierende Ergebnis sei vorangestellt: Es sind die allseits geachteten und menschenrechtlich legitimierten Prinzipien von Freiheit, Gleichheit und Eigentum selbst, die den modernen US-Rassismus im Allgemeinen und das polizeiliche Handeln im Besonderen begründen.
Die schwarze Seite der Freiheit

Die rechtliche Gleichstellung der afroamerikanischen Bevölkerung ist im Land der Freiheit alles andere als eine historische Selbstverständlichkeit. Die Grund- und Freiheitsrechte, welche die Vereinigten Staaten von Amerika in ihrer Unabhängigkeitserklärung von 1776 als erster Staat zum gottgegebenen und zugleich »dem Menschen« gemäßen Recht (v)erklärten, bezog sich auf das nach ökonomischer und politischer Emanzipation von der britischen Krone strebende weiße Bürgertum:
»We hold these truths to be self-evident, that all men are created equal, that they are endowed by their Creator with certain unalienable Rights, that among these are Life, Liberty and the pursuit of Happiness.« (Präambel)
(»Wir halten diese Wahrheiten für ausgemacht, dass alle Menschen gleich erschaffen wurden, dass sie von ihrem Schöpfer mit gewissen unveräußerlichen Rechten begabt wurden, worunter sind Leben, Freiheit und das Streben nach Glückseligkeit.«)
Weder afrikanische Arbeitssklaven noch die indigene Bevölkerung (deren Vertreibung und Vernichtung ja überhaupt erst den kontinentalen Raum zur Gründung einer staatlich abgesicherten Eigentümergesellschaft ermöglichte) konnten sich auf die Verfassung der weißen Siedler berufen. Auch nach dem Verbot der Sklaverei in der US-Verfassung von 1865 brauchte es noch hundert Jahre, bis den Schwarzen in einer Mischung aus Anerkennung für ihre überdurchschnittlich hohen Opfer im Zweiten Weltkrieg einerseits und Befriedung einer blutig unterdrückten Bürgerrechtsbewegung andererseits in den 1960er Jahren die vollen Bürgerrechte zugesprochen wurden.
Seit einem halben Jahrhundert dürfen auch die ehemaligen Sklaven als formal gleichwertige Rechtssubjekte in den USA ihr »pursuit of happiness« verfolgen, also an der bürgerlichen Konkurrenz um eine Lebensgrundlage, d. h. Geld, Lohnarbeit, Wohnraum etc., teilnehmen. Der Haken ihrer mühsam errungenen bürgerlichen Grundrechte zeigte sich schnell: Zwar sind sie vor dem Gesetz gleichgestellt und explizit dazu berechtigt, ihre Freiheit im Sinne ihrer eigenen Interessen zu nutzen – allein von den materiellen Mitteln der eigenen Interessenverwirklichung bleiben sie dank des Grundrechts auf Eigentum weitgehend ausgeschlossen. Denn im Land der unbegrenzten Möglichkeiten ist die Verwirklichung des privaten Glücks zwar erlaubt und sogar geboten. Auch stehen die Mittel zur individuellen Bedürfnisbefriedigung in Form gigantischer Warenberge prinzipiell allen zur Verfügung. Jedoch – nur gegen Geld. Und das will »am Markt« erst einmal verdient sein. Dabei entpuppt sich ihre Freiheit mit Marx als doppelte:
»Frei in dem Doppelsinn, dass er (der Arbeiter, A. S.-N.) als freie Person über seine Arbeitskraft als seine Ware verfügt, dass er andrerseits andre Waren nicht zu verkaufen hat, los und ledig, frei ist von allen zur Verwirklichung seiner Arbeitskraft nötigen Sachen. (K. Marx, MEW Bd. 23, S. 183)
In Ermangelung von Grund und Boden, natürlichen Ressourcen, Produktionsmitteln etc., mit denen sie auf Immobilien-, Rohstoff- oder Warenmärkten Geld verdienen könnten, bleibt den Afroamerikanern als Chance auf ein Erwerbseinkommen – wie den meisten Weißen auch – nur der Verkauf ihrer Arbeitskraft an ein Unternehmen. Als freie Personen auf der Suche nach Arbeit dürfen die ehemaligen Sklaven also von nun an wollen, was sie früher mussten, nämlich durch ihre Arbeit fremden Reichtum mehren. Allein, der Wille zur Lohnarbeit reicht nicht aus, da es immerhin noch eines Käufers bedarf, der sie verwendet. Und das ist bekanntlich gar nicht selbstverständlich.
Im Wettbewerb um einen Arbeitsplatz müssen die Schwarzen mit bereits etablierten Arbeitskräften, mit neuen Auswanderern aus dem zerstörten Europa und aus Südamerika in einem klassischen Einwanderungsland konkurrieren und sind dem freien und gleichen Wettbewerb aufgrund ihrer schlechten Ausgangsbedingungen denkbar miserabel gewachsen. Auch der Konkurrenz um Schulnoten und Abschlusszeugnisse als Mittel zum Aufstieg in die höheren Positionen der Lohnarbeit können sie meist kaum standhalten, fehlen den Kindern bzw. ihren Eltern doch meist die materiellen und sozialen Mittel, sich gegen die gleichaltrigen weißen Kontrahenten im Bildungssystem durchzusetzen.
Unterm Strich jedenfalls müssen die schwarzen US-Bürger zwar völlig gleichberechtigt um Geld und in der Folge um Arbeit konkurrieren – bekommen deshalb aber noch keine oder nur schlechte und vor allem schlecht bezahlte; nicht zuletzt, weil die Einwanderungspolitik der USA im Interesse ihrer Unternehmer für ein Überangebot an billigen, willigen und qualifizierten Arbeitskräften aus aller Welt sorgt. Afroamerikaner in den USA sind im Vergleich zu weißen Lohnabhängigen daher doppelt so häufig arbeitslos, sofern sie eine Beschäftigung haben, ist diese im Durchschnitt wesentlich schlechter bezahlt. Mehr als ein Viertel lebt deutlich unterhalb der amtlichen Armutsgrenze, die Kindersterblichkeitsrate ist höher, die durchschnittliche Lebenserwartung geringer als die der Weißen. Ihre mangelnde Zahlungsfähigkeit führt auch dazu, dass sie sich aus freien Stücken auf dem freien Wohnungsmarkt konzentriert in den Armutsquartieren der US-Städte wiederfinden, so dass es seit einem halben Jahrhundert ganz ohne staatlichen Zwang zur – vornehm formuliert – »ethnischen Segregation« kommt. Im Ghetto finden sie sich mit all jenen (Behinderten, Illegalen, Kranken, Alten usw.) vereint, die zwar kaum »Chancen« zum legalen Gelderwerb haben, aber dennoch auf Dollar angewiesen sind, wenn sie im Land der Freiheit (über)leben wollen.
»Lebensbewältigungsstrategien«

Und natürlich entwickeln sie in der Folge die Lebensbewältigungsstrategien, die für die Pauper, für die »Überflüssigen« im Kapitalismus, seit jeher kennzeichnend sind und die wegen der damit verbundenen Störungen der öffentlichen Ordnung zum Gegenstand sozialer und polizeilicher »Arbeit« werden: Entweder die schwarze Unterschicht versucht, sich mit ihrer trostlosen Lage abzufinden,
– indem sie ihren Willen zur Konkurrenz und damit sich selbst schlichtweg aufgibt (Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Schulverweigerung usw.),
– indem sie an ihrem freien Willen verrückt werden (Wahnsinn),
– indem sie Trost im Glauben und in der Gemeinde suchen (einerseits seit jeher erwünscht, andererseits gefährlich – Sekten, Fundamentalismus usw.),
– indem sie mit Gewalt eine familiäre Reproduktion zu erzwingen suchen, zu der ihnen angesichts miserabler Wohnverhältnisse, prekärer Arbeit, Geld- oder Zeitnot usw. die Mittel fehlen (häusliche Gewalt, Kindeswohlgefährdung etc.),
– indem sie mit Drogen ihre Not betäuben, die Stimmung aufhellen und auch ohne materielle Grundlage ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf »Happiness« wahrzunehmen suchen (Alkoholmissbrauch, Drogenkriminalität etc.).
Oder sie versucht auf unerlaubtem Wege Dollar zu erwerben,
– indem sie fremdes Eigentum aneignen (Diebstahl, Raub, Erpressung usw.),
– indem sie mit Drogen und Waffen handeln,
– indem sie die zum illegalen Erwerb notwendige Organisierung vornehmen, um gegen Konkurrenten und die Ordnungsmacht zu bestehen (Gangs, organisierte Kriminalität),
– usw.
Während Vertreter der ersten Variante, weil noch weitgehend um Rechtschaffenheit bemüht, eher ein Fall für »Social work«, »Community organizing« und »Charity« ist, werden die unvermeidlichen Verstöße der schwarzen, meist männlichen Unterschicht gegen die US-Rechtsordnung von der Polizei im Rahmen ihrer Möglichkeiten hart verfolgt. Bei der Ausübung ihres staatlichen Auftrags treffen die Polizisten – übrigens auch schwarze Cops – immer wieder auf dieselben Täter mit derselben Hautfarbe in denselben Stadtteilen, so dass sie – auch ohne rassistische Vorurteile – einen ethnisch definierten Tätertypus entdecken: junge, schwarze Männer in den Armutsvierteln! Darauf gründet sich dann die gängige Polizeipraxis des »Racial profiling«, die schnell auf einen Pauschalverdacht gegen Schwarze hinaus läuft.
In jedem Fall ist aber die permanente Kollision junger, schwarzer Männer mit der US-Polizei aus den oben genannten Gründen materiell unvermeidlich, ganz unabhängig vom Willen und Bewusstsein der Beteiligten. Und deshalb findet diese Sorte inneren Dauerkriegs der Ordnungsmacht gegen ihre schwarze Unterschicht unvermindert statt – nicht trotz, sondern wegen eines halben Jahrhunderts rechtlicher Gleichstellung und trotz eines schwarzen Präsidenten im Weißen Haus. (Die sozialistischen Kritiker der Black Panther hatten also recht, als sie der Bürgerrechtsbewegung und Martin Luther King vorwarfen, dass mit der rechtlichen Gleichstellung für die eigentumslosen Massen nichts gewonnen sei – nicht einmal ein gewaltfreies Überleben in Armut.) In der Zwischenbilanz hält das Land der Freiheit weit über zwei Millionen Bürger gefangen und steht damit im Verhältnis zur Einwohnerzahl weltweit an der Spitze. Der Anteil der schwarzen Häftlinge ist überproportional hoch. Etwa jeder 20. schwarze Mann ist Insasse in einem US-Gefängnis. Aber trotz der unvermeidlichen Kollisionen verfügen alle Beteiligten über Wille und Bewusstsein und deuten die Situation entsprechend (falsch).
Die Deutung durch die Polizei …

Für US-Polizisten steht geradezu dogmatisch fest, dass die Rechtsordnung, die sie verteidigen, für alle Bürger gut ist, weil sie erstens auf demokratischem Wege zustande gekommen, zweitens für alle gleichermaßen gültig und drittens den Menschenrechten entsprechend, d. h. der verfassungsmäßig festgeschriebenen Menschennatur gemäß ist. Aus ihrer professionellen staats-bürgerlichen Sicht gibt es also keine (guten) Gründe für Rechtsverstöße, bzw. muss jeder gute Mensch das Recht wollen. Im Umkehrschluss ist für Verstöße gegen die Rechtsordnung verantwortlich: mangelhafter (betrunken, wahnsinnig, minderjährig, affektiv usw.) oder böser Wille. Diesen bösen Willen entdecken sie nun immer wieder im selben Tätertyp im selben Viertel, so dass sie ihr professionell unerlässliches Verdächtigungsdenken in ein rassistisches Feindbild vom bösen schwarzen Mann übersetzen. Dieses Denkmuster lässt sich als Rassismus des Anstands bezeichnen.
Hinzu kommt für Polizisten – wie für alle Mitglieder der freien Konkurrenzgesellschaft auch – die falsche, aber beinahe unerschütterliche Überzeugung, dass jeder für seinen (Miss-)Erfolg selbst verantwortlich ist, sofern es bei der Konkurrenz nur »fair« zugeht, d. h. jeder seine Chance hatte. (Dass die »Chance« das Scheitern schon impliziert, ist logisch zwar evident und bei Lottospielern und Krebspatienten leidlich bekannt, aber vom Standpunkt der praktischen Vernunft irrelevant.) Wenn also jeder und jede nur eine faire Chance zum Wettbewerb in Schule, auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt bekommen hat, dann ist der bedauerliche Misserfolg auf die Konkurrenzanstrengung des einzelnen, auf mangelnden Willen und oder mangelnde Eignung zurückzuführen. In jedem Fall sind die Wettbewerber selber Schuld. Dies begründet die allgemeine Deutung der Verlierer als Versager, die sich inzwischen ein neudeutsches Sprachdenkmal geschaffen hat: »Du Loser!«
Der falsche geistige Rückschluss vom (Miss-)Erfolg in der kapitalistischen Konkurrenz auf die Erfolgsfähigkeit des Individuums begründet die Verachtung der Überflüssigen sowie die Bewunderung der (Erfolg)Reichen. Gilt erst einmal die Logik, dass der Erfolg am Markt Auskunft über die Erfolgsfähigkeit und damit über den sittlichen Wert des Marktteilnehmers gibt, so lässt sich die Formel des demokratischen Erfolgsrassismus in beide Richtungen deuten: Jeder verdient, was er verdient!(Offenbar teilen das auch viele Arme, so dass sie sich – weit davon entfernt, aufzubegehren – ihrer Armut lieber schämen.) Vom Standpunkt der staatstragenden Sorge um das Gemeinwesen aus gedacht kann man die Reihe in sarrazynischer Logik noch verlängern: Die armen Verlierer der kapitalistischen Konkurrenz sind demnach nicht nur Versager, sondern geradezu Schädlinge, die der Gemeinschaft der Leistungserbringer auf der Tasche liegen, mit ihrer Lebensbewältigung die Ordnung stören und der Polizei das Leben schwer machen.
Der Rassismus des Anstandes als auch der Rassismus des Erfolges lassen sich miteinander verbinden und ethnisieren. Sofern das Heer der Habenichtse und Störenfriede doch unübersehbar zu großen Teilen aus Schwarzen besteht, lässt dies (nicht nur) aus polizeilicher Sicht den Rückschluss zu, dass es sich dabei um einen Menschenschlag handelt, der offenbar gar nicht zur öffentlichen Ordnung passen will.
Schließlich verhalten sich die unter Dauerverdacht Gestellten schon aus diesen Gründen – verständlicherweise – meist feindselig gegenüber der Ordnungsmacht, haben tatsächlich den Willen zur Teilhabe an der erlaubten bürgerlichen Konkurrenz weitgehend aufgegeben und verfolgen, z. T. sogar ohne schlechtes Gewissen, kriminelle Ziele. Insofern bestätigen sie die rassistischen Konstrukte der Polizei, jedoch aus ganz anderen Gründen.
… und durch ihre schwarzen Opfer

Schwarze US-Unterschichtler sind leider ebenfalls weitgehend davon überzeugt, dass die (diskriminierungs)freie Rechts- und Eigentumsordnung der USA ein Angebot zur Verwirklichung auch ihrer Interessen darstellen müsste. Da sie aber in Wirklichkeit überdurchschnittlich oft zu den sozioökonomischen Verlierern gehören und in der Folge überproportional häufig im Gefängnis sitzen, deuten sie ihre Lage fälschlich als Folge von ungerechtfertigter Diskriminierung (und werden in dieser Sicht von linken Soziologen bestärkt).
Vom US-Staat und der US-Gesellschaft sehen sie sich insofern rechtlich, institutionell und moralisch ungerecht behandelt und betrogen; sind entsprechend beleidigt und tragen diese Mischung in Form eines eigenen Stolzes und Rechtsbewusstseins vor, das die ohnehin kaum vermeidbaren Rechtsbrüche mit dem guten Gewissen der ausgleichenden Gerechtigkeit begeht. Der Mut der Jugend tut das übrige. In der permanenten Verdächtigung durch die Polizei und andere Teile der bürgerlichen Ordnung finden sie schließlich die Bestätigung für ihre (falsche) Vorstellung, dass es das System (grundlos) auf sie abgesehen hat.
Freiheit, Gleichheit und Eigentum!

Der – wie oben gezeigt – unvermeidliche Konflikt zwischen US-Polizei und schwarzer Unterschicht erscheint beiden Seiten als etwas anderes: Beide Seiten gehen fälschlich davon aus, dass mit der Verwirklichung der bürgerlichen Grundrechte der Erfolg aller Mitglieder der kapitalistischen Konkurrenzgesellschaft gewährleistet sein müsste. Dieser unerschütterliche Glaube an die Glück bringende Wirkung der bürgerlichen Freiheit eint die Kontrahenten. Beide Seiten berufen sich auf Verfassung und Menschenrechte und wähnen sich als deren tatsächliche Verteidiger. Ihre Kollisionen nehmen beide Seiten daher als unnötige, was ihre Wut auf die jeweils andere Seite nur weiter steigert.
Allerdings sind Polizisten mit ganz anderen Mitteln ausgestattet, gegen schwarze US-Amerikaner auf der Grundlage ihres beruflich bedingten rassistischen Feindbilds vorzugehen. Im Zweifelsfall dürfen sie zudem auf den Schutz einer Justiz hoffen, die im Rechtsbewusstsein und der Gewaltbereitschaft der Polizei eine unverzichtbare Säule der Staats- und Eigentumsordnung erkennt, die nicht durch harte Verurteilungen wegen unverhältnismäßiger Gewaltanwendung oder rassistischer Morde erschüttert werden soll.
Es ist insofern kein postkoloniales Relikt, welches das harmonische, menschenrechtlich fundierte Miteinander von Schwarz und Weiß stört. Es ist vielmehr die den Menschenrechten zu Grunde liegende, demokratische Rechtsordnung erwerbsbürgerlicher Freiheit, staatsbürgerlicher Gleichheit und der ausschließenden Verfügungsgewalt über die gesellschaftlichen Produktionsmittel als Eigentum selbst, die – neben den wenigen nutznießenden Eigentümern des gesellschaftlichen Reichtums – die große Masse der Lohnabhängigen und als deren unvermeidlichen Teil auch noch die »Überflüssigen« hervorbringt. Die Wirkmächtigkeit der Geschichte, des Kolonialismus, der Sklaverei und Apartheid besteht darin, die ethnische Zusammensetzung dieser Unterschicht zu beeinflussen, indem durch die vordemokratische Zurichtung die Schwarzen mit den schlechtesten Ausgangsbedingungen in die bürgerliche Konkurrenz eintreten mussten.
Sowohl für die materielle Lage der Afroamerikaner als auch für den US-Rassismus ist also die gegenwärtige Rechtsordnung und Wirtschaftsweise verantwortlich. Schwarze in den USA können sich im Kampf gegen ihre materielle Lage, gegen Polizeigewalt und Verachtung nicht auf die Verfassungswerte berufen. Soll sich ihre Lage ändern, so müssen sie (wieder) zum bewussten Kampf gegen die politische Verfassung und wirtschaftliche Ordnung ihrer Staatsmacht übergehen.
[Arian Schiffer-Nasserie ist Hochschullehrer für Politikwissenschaft an der Evangelischen Fachhochschule in Bochum. Seine Schwerpunkte sind die Sozial- und Migrationspolitik sowie die Rassismusforschung]

Kategorien(3) Fundstellen Tags:
  1. 18. Mai 2015, 19:16 | #1

    Was mich an dem Artikel stört, sind Bezeichnungen wie „ehemalige Sklaven“ oder „Afroamerikaner“. Wer heute in den USA lebt, war nie Sklave und in den seltensten Fällen (es gibt ja auch heutzutage ein paar Einwanderer aus Afrika) Afrikaner, sondern seine Vorfahren waren schon seit Generationen US-Bürger. Gerade, weil der Artikel die Situation der Schwarzen korrekt aus den heute geltenden Zwecken hergeleitet wird, ist es falsch, da in den Bezeichnungen 150-200 Jahre zurück zu verweisen.

  2. Armin Kirchmaus
    19. Mai 2015, 06:13 | #2

    Mich stört viel mehr der überflüssige, wie übliche Versuch einer Verlängerung der Benachteiligung über die ungleichen Startchancen.
    Ist rechtliche Gleichstellung gegeben, verläuft die Linie zwischen Sonnen- und Schattenseite an der Frage Eigentum oder kein Eigentum, gnadenlos aber eben nur daran. Es folgt daraus eben keine Benachteiligung von Schwarzen mehr, weil sie schwarz sind.
    Diese Verlängerung zu denken ist Unfug. Das muss man beiseite legen, weil sonst die neuen Gründe nicht sichtbar werden, die sich Menschen einfallen lassen, um ihren halluzinierten Ansprüchen gegen Konkurrentengruppen moralische Geltung zu verschaffen.

  3. Nachfrage
    19. Mai 2015, 06:59 | #3

    „… die neuen Gründe, die sich Menschen einfallen lassen, um ihren halluzinierten Ansprüchen gegen Konkurrentengruppen moralische Geltung zu verschaffen…“
    … sind welche?
    Und woran unterscheidest du „halluzinierte Ansprüche“ von sonstigen?
    (Bzw.: w e r unterscheidet das in der Wirklichkeit?
    Oder ist es eine nur semantische ‚Unterscheidung‘?)
    Ich verstehe nicht, was du meinst.

  4. Versuch
    19. Mai 2015, 07:15 | #4

    Soll das ‚früher‘ mal so gewesen sein, dass Leute sich ihre Gründe quasi als ‚objektiv wahre Widerspiegelung‘ ihrer wahren Klassenverhältnisse bewusst gewesen seien, quasi: ihre damalige Form von ‚Klassenbewusstsein‘?
    Heute aber seien das allesamt bloß ‚halluzinierte Ansprüche‘, also vermutlich irgendwas moralisch noch viel Böseres und noch viel Verkommeneres, als dass sie nur kein wahres Klassenbewusstsein als aufrechte proletarische Klassenkämpfer haben würden?

  5. Paquito
    19. Mai 2015, 09:20 | #5

    Der Rassismus in den USA war schon öfters Gegenstand:
    Rassenkampf in Florida ARMUT UND GEWALT IN DEN USA
    http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/80/80_4/usa.htm
    —–
    Der amerikanische Anti-Terror-Krieg an der Heimatfront
    http://www.gegenstandpunkt.com/gs/03/4/usain.htm
    —-
    „DAS PRINZIP DES RASSISMUS“
    widerlegt Freerk Huisken in aller gebotenen Ausführlichkeit hier
    anhand eines Zitates zur Rechtfertigung der ‚Negersklaverei‘ von 1858 (gefunden bei Karl Marx, MEW 25, 399)
    http://dearchiv.de/php/dok.php?archiv=arg&brett=ARG001&fn=ARGU6.ASC&menu=arg
    —-
    Und dazu im letzten Gegenstandpunkt 1/2015:
    Zum Beispiel Ferguson: Rassismus in den USA – woher er kommt und warum er nicht weggeht
    Die Auskünfte über die innere Verfassung der USA beantworten die Frage, warum die Diskriminierung der Amerikaner mit dem Afro- davor, die hierzulande vom Standpunkt moralischer Überlegenheit mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wird, zur US-Heimstatt von Freiheit und (Chancen-)Gleichheit einfach dazugehört.
    1. Massenproteste in den USA: Wogegen sie sich richten und was sie offenlegen
    2. Konkurrenz ums Geld als Lebensprinzip und moralische Richtschnur
    3. „Communities“: Das freie Individuum baut sich eine Heimat, und die Staatsgewalt unterstützt es dabei
    4. African Americans: die etwas andere Unterschicht
    5. Der politische „Kampf“ gegen „racial discrimination“
    http://www.versus-tuebingen.de/files/ankuendiger/ferguson.pdf
    ——
    Den Artikel von Arian Schiffer-Nasserie: „Polizei und Rassismus“ (jW 7.11.14) über die systematische Notwendigkeit des ‚racial profilings‘ durch die Polizeibehörden gibt es hier:
    http://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/grundrechte-all/polizeistaat/polizei-und-rassismus-uber-einen-unschonen-aber-unvermeidlichen-zusammenhang/

  6. TomGard
    19. Mai 2015, 09:23 | #6

    „Der Rassismus des Anstandes als auch der Rassismus des Erfolges lassen sich miteinander verbinden und ethnisieren.“
    Dies ist der „Umschlagspunkt“, an dem der Autor seine zuvor prachtvolle Darstellung verdirbt, indem er vor der Realität zurück weicht und, gleich jedem bürgerlichen Wissenschaftler, die reine Theorie vor ihr in Schutz nimmt. „… lassen sich verbinden“, ja, sehr wohl, aber warum geschieht das?! Und – um einer ersten Antwort näher zu kommen – in welchen Formen geschieht das?
    Die sofort zu habende Antwort zeigt schon den Weg: In überaus demonstrativ TÖDLICHEN Formen …

  7. 19. Mai 2015, 09:28 | #7

    Historischer Exkurs:
    Im GSP-Artikel heißt es

    „Im Gegensatz zu ihren Landsleuten verdanken die schwarzen Amerikaner – bzw. ihre Ahnherren – ihr Da-Sein im Land der Freiheit keiner freien Entscheidung, sondern einem System der Zwangsarbeit, für das sie per Gewalt als Arbeitsvieh importiert wurden. Nach dem amerikanischen Bürgerkrieg haben sie sich auch nicht selbst befreit, sondern sind aus der Zwangsarbeit für Plantagenbesitzer in den Südstaaten in die Welt der freien Lohnarbeit entlassen worden.“

    Das ist ein sonderlich verquerer Satz: In so gut wie keinem Staat der Welt „verdanken“ es die Staatsbürger und höchstens ein Teil der Bewohner (das sind schon mal zweierlei Status) einer „freien Entscheidung“, daß sie dort leben [In großen kapitalistischen Staaten sind häufig zwischen 10 % und 12 % der jetzt dort lebenden Menschen Einwanderer, in den USA ungefähr anteilig genausoviele wie in Deutschland]. Die allermeisten Menschen sind einfach die Kinder von Menschen, die schon da waren. In Einwanderungsstaaten wie den USA gibt es einen mehr oder weniger großen Teil der Wohnbevölkerung, der sich in der Tat früher mal entschieden hat, dorthin zu ziehen, sei es ganz offiziell als Einwanderer mit den berühmten „Papieren“, sei es als „sans papiers“ oder „undocumented immigrant“. Die meisten von den „Illegalen“ sahen einfach keine andere Wahl, mit der Freiwilligkeit ist es da auch nicht sonderlich weit her.
    Daß die Schwarzenfrage vor und vor allem im und direkt nach dem amerikanischen Bürgerkrieg eine zentrale Rolle im politischen Leben der USA gespielt hat, dürfte auch den Autoren des Artikels bekannt sein. Das Standardwerk von James M. McPherson „Für die Freiheit sterben. Die Geschichte des amerikanischen Bürgerkrieges“ dürften sie jedenfalls auch gelesen haben. Bekanntlich hat die Mobilisierung schwarzer Batallione (nicht gleich aber eben letztlich doch) nicht unwesentlich zum Sieg der Unionisten beigetragen. Auch wenn der Krieg ursprünglich nicht zentral um die Abschaffung der Sklaverei im Süden ging, führten die Entwicklungen im Krieg doch dazu, daß das auf die Agenda kam. Nach dem Ende des Krieges wurde erbittert politisch (und recht bald auch clandestin semimilitärisch) in der Recronstruction-Periode darum gekämpft, wie die Befreiung der Schwarzen konkret aussehen sollte. Erst mit dem Kompromiß von 1877 war das Schicksal der Schwarzen im Süden besiegelt und die offenen Rassisten hatten für Jahrzehnte ganz offiziell das Sagen.

  8. 19. Mai 2015, 09:40 | #8

    Nicht nur zu TomGard hier ein längeres Zitat aus Fundstücken aus dem GSP-Artikel:
    „Zwar hat das Leben der Schwarzen in den USA tatsächlich eine historische Besonderheit, doch deren heutige Bedeutung liegt ganz in den Regeln und Sitten der Konkurrenz, mit der es die Schwarzen wie alle anderen Communities auch heute zu tun haben.
    Die Konkurrenz spielt sich … als eine einzige Veranstaltung zur Herstellung, Ausnutzung und Absicherung von Unterschieden zwischen allen Beteiligten ab.
    Weil es um die Sicherung des Lebensunterhalts in einer Welt geht, in der einem dies ständig bestritten wird, war und ist die Absage an alte Familien-, Freundschafts-, Clanzusammenhänge, die jede Einwanderung in die USA der Sache nach darstellt, immer nur die halbe Wahrheit. In der neuen Heimat, im freien und gleichen Kampf ums Geld, kamen und kommen solche Gemeinschaften neu und wieder zum Tragen. Die ethnischen Gemeinschaften spielen darin – ursprünglich wegen der gemeinsamen Sprache – nach wie vor eine entscheidende Rolle: Die sind zuallererst Hilfsvereine dafür, sich in der Welt des Konkurrierens zurechtzufinden und voranzukommen; sie bieten den ihren Rückhalt und unterstützen sie beim Erwerb und im Falle des Verlusts von Geldquellen; und sie organisieren die Befriedigung von elementaren Lebensbedürfnissen, an die der Einzelne allein gar nicht herankäme. Sie sind zugleich Hebel der Konkurrenz, mit deren Hilfe dem eigenen Verein gegen andere ihrer Art Vorteile gesichert werden. Schließlich sind sie für viele der Platz, wo sich der Zweck der ganzen Chose realisiert: der erweiterte Familienverband und private Lebenszusammenhang, wo man hingehört und verankert ist.
    Von wegen also, der Kapitalismus wäre der große Gleichmacher! An den Techniken, die die Communities in den USA entwickeln, um sich Geldquellen und Vorrechte gegen andere zu sichern; an der Gnadenlosigkeit, mit der sie daran festhalten, dass solche Vorrechte ihnen auch wegen ihrer speziellen Qualitäten zustehen und anderen nicht – an alledem lässt sich vielmehr das Prinzip alles kapitalistischen Konkurrierens studieren: die Herstellung und Herausstreichung von Unterschieden an sich und anderen, die sich als Geldquellen gegen Konkurrenten ausnutzen lassen.
    An der marktwirtschaftlichen Konkurrenz um Geld und die damit verbundene ökonomische Macht sind auch die Afro-Amerikaner gleichberechtigt beteiligt – und befinden sich in ihrer großen Mehrheit notorisch weit unten in der Einkommenshierarchie. Am mangelnden Willen, sich in dieser Konkurrenz zu bewähren und nach Möglichkeit aufzusteigen, liegt das nicht. Bei allem Pathos über die „grenzenlosen Möglichkeiten“, die das Land der Freien seinen Insassen gleichermaßen bietet: Zum Erfolg in der egalitären Konkurrenz gehört eben doch mehr als der Entschluss, ihn zu wollen und sich entsprechend ins Zeug zu legen. Da macht sich der Inhalt der freien Konkurrenz in der sehr grundsätzlichen Unterscheidung geltend, ob man Mittel hat, um andere für den eigenen Nutzen konkurrieren zu lassen, oder ob man mangels eigener tauglicher Mittel darum konkurrieren muss, sich als ein Mittel für fremden Nutzen zu bewähren. Wer auf dem freien Markt außer seinen guten Absichten nichts ökonomisch Bedeutendes aufzubieten hat, bleibt auf der Schattenseite der großen Trennwand zwischen Gewinnern und Verlierern.
    Die Mischung aus ökonomischer Lage, Gemeinschaftsbildung, speziellen Sitten samt Unsitten und moralischem Selbstbewusstsein, dem Bild, das die Community bietet, und schließlich dem Bild, das sich die sonstige Gesellschaft von ihren schwarzen Mitbürgern macht, hat ihre Konsequenzen. Zuallererst die, die von den Inhabern und Vertretern der gesellschaftlichen Macht – der politischen wie vor allem der privaten des Geldes –, die im modernen Gemeinwesen über die Zuteilung von Lebenschancen im Allgemeinen, Jobs und Berufskarrieren im Besonderen entscheidet, gezogen werden. Wer seine eigene Konkurrenz damit bestreitet, dass er seine freien Mitbürger konkurrieren lässt, der begutachtet die Kandidaten, die seiner Sache nützen sollen, nach ihrem bekundeten Willen und ihrer mutmaßlichen Fähigkeit, den verlangten Nutzen auch zu erbringen; dafür orientiert er sich zuerst daran, was die Leute von „zu Hause“ mitbringen; und dazu gehört bei denen, die als Mitglieder der Gemeinschaft der notorisch wenig Erfolgreichen und sittlich eher Unzuverlässigen kenntlich sind, eine eher schlechte Prognose.
    Nach dieser Logik ist mit dem Erscheinungsbild, anhand dessen noch der Dümmste einen anderen einem solchen Kollektiv zuordnen kann und das bei den Afro-Amerikanern schon an Haut und Haaren sichtbar ist, auch schon entschieden, wie jemand einzuordnen ist; vor allem hinsichtlich der fiktiven bürgerlichen Tugend schlechthin, in der die Entscheidungsinstanzen ihre Einschätzung von Bewerbern zusammenfassen und auf die hin die Betroffenen sich wechselseitig kritisch zu prüfen pflegen: die Konkurrenztugend der Erfolgstüchtigkeit.“

  9. 19. Mai 2015, 09:57 | #9

    Zum berühmten Slogan „40 Acre Land und ein Maulesel für jeden!“:
    On the evening of 12 January 1865, an extraordinary meeting took place in Savannah, Georgia. At it were Lincoln’s War Secretary, Edwin Stanton, and Union general William Tecumseh Sherman, who was in the middle of his “Southern Tour.” Sherman’s “March to the Sea,” probably the first expression of “total war” in the world, cut a swath of devastation across the Georgia countryside, from Atlanta to Savannah. Sherman himself was a racist who cared little about the fate of black people. Nonetheless, by force of history, his army was one of liberation that dragged behind it thousands of former slaves escaping the plantations. It was partly to try to figure out what to do with this mass of humanity that Sherman and Stanton called this meeting.
    The meeting was held with 20 black ministers and other black leaders from Savannah and surrounding counties, many of them former slaves who had just won their freedom at the hands of the Union Army. For the first time, black people were asked what their definition of slavery and freedom was. One black leader, Garrison Frazier, replied: “Slavery is, receiving by irresistible power the work of another man, and not by his consent.” Freedom meant “taking us from under the yoke of bondage, and placing us where we could reap the fruit of our own labor.” Frazier continued: “The way we can best take care of ourselves is to have land…we want to be placed on land until we are able to buy it and make it our own.”
    Following this meeting, Sherman issued his famous Special Field Order No. 15, which set aside the Sea Islands and a portion of the South Carolina and Georgia coast extending 30 miles inland for black settlement. Sherman’s order confiscated these lands from Southern planters who had abandoned them in the face of his march. Each black family would receive 40 acres, and the Army would also provide them with one of its broken-down mules to nurse back to health and use as they saw fit. It was out of this proclamation that the phrase “40 acres and a mule” would echo through time. By June, 40,000 freedmen were settled on 400,000 acres of land.
    There were other experiments in land confiscation and distribution. Many plantations were being run by former slaves, as their white masters had fled. But the Northern bourgeoisie was not interested in land reforms. The prevailing concern of the ruling class was the discipline and control of Southern labor, which now meant getting former slaves back to work on the plantations harvesting cotton.
    Upon coming to power, Andrew Johnson reversed many of the land confiscations, including “Sherman’s land,” where Union troops now forced black residents to give the land back to its former owners. But the failure of land reform isn’t about Johnson per se. Even when they were briefly dominant, the Radical Republicans proved unable to deal with the question, though in the face of mass agitation for land by the freedmen, some tried.
    In 1867, Charles Sumner unsuccessfully introduced resolutions in the Senate that would have, among other things, established integrated public schools in the South and provided the freedmen with homesteads. However, even Radicals like Henry Wilson, who would go on to become Ulysses S. Grant’s second vice president, opposed these steps. One Republican declared, “That is more than we do for white men,” to which Sumner replied: “White men have never been in slavery.”
    Far more sweeping was a resolution introduced by Thaddeus Stevens in the House. Stevens proposed to confiscate the lands of about 70,000 “chief rebels” who owned some 394 million acres. As Stevens pointed out, confiscation would affect less than 5 percent of the South’s white families. Each black family would receive 40 acres of land, basic tools for cultivation and $50 to get started.
    For Stevens, land confiscation was crucial to altering the South. His plan included providing land to landless whites, which he rightly saw as key to cementing a political alliance between blacks and poor whites. In his speech to the House, he said: “The whole fabric of southern society must be changed, and never can it be done if this opportunity is lost. How can republican institutions, free schools, free churches, free social intercourse exist in a mingled community of nabobs and serfs?” Against those who declared it “inhuman” to confiscate the land of 70,000 white landowners, Stevens responded by referring to earlier plans to colonize blacks outside the country: “Far easier and more beneficial to exile 70,000 proud, bloated, and defiant rebels than to expatriate 4,000,000 laborers, native to the soil and loyal to the government.”
    Stevens’ bill and speech electrified blacks in the South, feeding an upsurge in agitation for land, with copies being read aloud at black mass meetings. However, by the beginning of 1868, with the passage of the last Reconstruction act, the issue was off Congress’s agenda. Mainstream Republicans, whatever their views on political rights for blacks, opposed land confiscation.
    They were joined by the bourgeois press. The New York Times worried that confiscation “would not be confined to the South,” that the Radicals sought to destroy “the inviolability of property rights” through “a war on property…to succeed the war on Slavery.” The Nation (the same one that exists today) declared: “We totally deny the assumption that the distribution of other people’s land to the negroes is necessary to complete the work of emancipation.” The fact that the slaves had more than earned the land through centuries of unrequited labor meant little to the bourgeoisie.
    In the French Revolution, the early bourgeoisie granted “land to the tiller” as part of breaking the centuries-old feudal system. In the U.S., the situation was very different. The industrial bourgeoisie was squeezed by land agitation in the South and by a growing working-class movement in the North. And the 1871 Paris Commune accelerated a process already under way: it helped to cohere the class-consciousness of the bourgeoisie. For the ruling class, the prewar ideology of “free labor,” premised on an identity of interest between labor and capital, quickly dissipated after the war. The bourgeoisie began to see that the fates of the freedmen in the South and the overwhelmingly white working class in the North were deeply intertwined.
    The refusal to distribute land to the freedmen was devastating to them. During Reconstruction, the South was starved of capital, with most investment going to the vast lands of the West. As a result, with very few exceptions—such as the New Orleans docks—there was little opportunity for blacks, or whites for that matter, to become part of a modern proletariat. Lack of capital meant that agricultural labor was often paid in kind rather than in cash. Increasing numbers of blacks were driven back onto the plantations as sharecroppers and tenant farmers, where they were allowed to keep a portion of their harvest in exchange for working a plot of land. They were tied to the land through contracts and loans from the landowners and forced into permanent debt peonage. Despite the unprecedented political rights that blacks enjoyed during Reconstruction, economically they were becoming firmly confined to the bottom rungs of the ladder.

  10. Nachfrage
    19. Mai 2015, 12:06 | #10

    Ich verstehe nur Bahnhof;
    auch der Englischkram hat mich nicht belehrt,
    was hier an welcher Aussage genau kritisiert wird.
    Falls einem der Diskutierenden daran liegt,
    dass man versteht, worum der Streit geht:
    – dann: bitte mal kurz zusammenfassen!

  11. Speedy
    19. Mai 2015, 14:01 | #11

    Wo bin ich denn hier gelandet?
    In der Bibelschule, wo man sich wechselseitig Bibelstellen um die Ohren haut.
    Merkwürdig…

  12. Krim
    19. Mai 2015, 14:14 | #12

    @neoprene: Meinst du der Inhalt des Artikels ändert sich, wenn man statt „ehemalige Sklaven“ „Nachkommen von Sklaven“ sagt. Und was ist denn an „Afroamerikaner“ denn bitte verkehrt. Es bedeutet: Amerikaner mit afrikanischer Abstammung als politisch korrekter Ausdruck für Leute mit schwarzer Hautfarbe.
    @Armin Kirchenmaus: „Mich stört viel mehr der überflüssige, wie übliche Versuch einer Verlängerung der Benachteiligung über die ungleichen Startchancen.“ Ob es dich stört oder nicht. Sachlich korrekt ist es. Die Gleichheit reproduziert eine historisch einmal hergestellte Ungleichheit. Warum überdurchschnittlich Schwarze in den USA zur Unterschicht gehören, dafür ist der Verweis auf die historischen Ausgangsbedingungen richtig. In Mitteleuropa gibt es nicht so eine Zuordnung über die Hautfarbe. Dort reproduziert sich die Unterschicht zwar genauso als Unterschicht. Aber eine äußerliche Zuordnung an einem Körpermerkmal ist nicht sofort und so eindeutig möglich. Obwohl es Ansätze dazu auch schon gibt.
    @TomGard: „ja, sehr wohl, aber warum geschieht das?!“ Wird doch erklärt. Schlicht weil ihre Erfahrungen, die Realität ihnen scheinbar Recht geben. Kriminelle sind tatsächlich oft schwarze junge Männer. Warum das so ist wurde auch erklärt. Weil diese Gruppe überdurchschnittlich zur Unterschicht gehört und diese sich reproduziert, wegen der Gleichheit. Sie verbinden also den normalen demokratischen Rassismus, den es auch hierzulande gibt (wer Mißerfolg hat, ist selbst schuld und wer gegen das Recht verstößt hat einen kriminellen Charakter, der ist einfach so – nämlich kriminell) mit ihren Erfahrungen als Cops und schließen dann falsch aus der Tatsache, dass sie ständig mit schwarzen Rechtsbrechern zu tun haben, dass im Schwarzsein auch schon tendenziell der kriminelle Charakter angelegt ist.
    @neoprene: „Das ist ein sonderlich verquerer Satz: In so gut wie keinem Staat der Welt „verdanken“ es die Staatsbürger und höchstens ein Teil der Bewohner (das sind schon mal zweierlei Status) einer „freien Entscheidung“, daß sie dort leben.“ Was ist denn daran verquer. Bloß, weil es allgemein zutrifft, dass das Dasein in einem Land keiner freien Entscheidung sich verdankt, wird es doch nicht verquer, wenn es um Afroameriakaner geht. Es ist bloß keine Besonderheit. Stimmen tut es aber allemal.

  13. 19. Mai 2015, 14:25 | #13

    Der kritisierte Satzteil lautet:

    „Im Gegensatz zu ihren Landsleuten verdanken die schwarzen Amerikaner – bzw. ihre Ahnherren – ihr Da-Sein im Land der Freiheit keiner freien Entscheidung“

    Dort wird also behauptet, daß die „Landsleute“ in den USA dort leben, weil sie sich „frei“ dazu entschlossen haben (im Gegensatz dazu die Schwarzen dazu gezwungen wurden). Daß davon keine Rede sein kann, jedenfalls bei den allermeisten, war meine Kritik.

  14. Armin Kirchmaus
    19. Mai 2015, 14:32 | #14

    @krim
    Es ist doch banal, diesen bloßen Tatbestand als irgendwie „korrekt“ zu verteidigen. Der Gedanke war ein anderer. Wen interessiert denn diese Zuordnung noch, wenn Eigentum entscheidet ? Da konstruiert man sich doch den positiven Rassismus erst. Damit begründet sich doch u.a. die moralische Kritik als bloße Werteumkehr, z.B. als Parteinahme für das Konstrukt der „Schwarzen“. Erst wenn man sich von so einer Parteinahme löst, wird klar, mit welchen beliebigen Zuschreibungen sich Leute zu ideellen Konkurrenzkollektiven zusammenrotten.

  15. 19. Mai 2015, 14:36 | #15

    @Krim

    „Meinst du der Inhalt des Artikels ändert sich, wenn man statt „ehemalige Sklaven“ „Nachkommen von Sklaven“ sagt. Und was ist denn an „Afroamerikaner“ denn bitte verkehrt. Es bedeutet: Amerikaner mit afrikanischer Abstammung als politisch korrekter Ausdruck für Leute mit schwarzer Hautfarbe.“

    Erst mal natürlich nicht. Verkehrt scheint es mir dadurch zu werden, daß die spezielle Vorgeschichte bei schwarzen US-Amerikanern eine Extrabetonung wert ist, während das bei allen anderen kein Thema ist. Bei den Nachkommen von deutschen Juden oder englischen Quäkern redet auch keiner von Europäo-Amerikanern. Daß „Afroamerikaner“ der aktuelle politisch korrekte Begriff ist, weiß ich auch. Und wir beide wissen, daß sowas den GegenStandpunkt regelmäßig nicht interessiert hat, was ihm auch wieder regelmäßig als Rassismus ausgelegt wurde. Lange, bis nach dem zweiten Weltkrieg, haben in den USA Kommunisten und Sozialisten von „Negroes“ geredet und geschrieben und das war bei ihnen nicht rassistisch gemeint.

  16. Nachfrage
    19. Mai 2015, 14:57 | #16

    Teil A)
    a) mit welchen beliebigen Zuschreibungen sich b) Leute c) zu ideellen Konkurrenzkollektiven d) zusammenrotten
    Der beliebige Abstraktionsheini bist einzig du.
    Bei solcherlei Beliebigkeit kommt was raus?
    (Vermutlich das Allerweltssubjekt ‚Rackets‘.
    Das soll ja furchtbar elaboriert sein.)
    Teil B)
    Es ging hier um Rassismus in den USA.
    Aber ich weiß wohl, wer auf US-freedom & democracy
    was kommen lässt, gehört zu irgendwelchen ‚rackets‘.
    (Und für solche Verurteilung passt es dann auch gar nicht,
    sich inhaltlich mit irgendwas näher zu befassen…)

  17. Strange_Fruit
    19. Mai 2015, 15:40 | #17

    ‚Racket‘ ist einer der zentralen antideutschen Pseudobegriffe,
    mit denen die Antideutschen sich ihr moralisches Weltbild zurechtzimmern.
    ‚Rackets‘ sind für sie PEGIDA-Demonstranten und Anti-Pegidistas,
    Schwarze Protestierer in den USA und Antiimpis alles gleichermaßen,
    und ziemlich unterschiedslos, wie einer das mal erläutert hat:
    Zur Kritik des Begriffs ‚racket‘
    „Die Problematik von Horkheimers Überlegungen liegt zunächst darin, alle Formen von Herrschaft gleichermaßen als eine solche Kombination von Selbsthilfegruppe, Erpresserbande und Wohltätigkeitsverein zu fassen – sei’s steinzeitliche Stammesgesellschaft oder feudaler Adelsclan, bürgerliche Klasse oder faschistische Partei; sei’s die einzelne Familie oder das kapitalistische Monopol. Die historische wie gesellschaftliche Spezifik der verschiedenen Formen geht verloren. ‚Racket‘ erscheint als Passepartout.“ (Gerhard Scheit)

  18. Krim
    19. Mai 2015, 15:44 | #18

    @Armin Kirchenmaus: „Es ist doch banal, diesen bloßen Tatbestand als irgendwie „korrekt“ zu verteidigen.“ Tatbestände muss man nicht „verteidigen“. Aber sagen darf man sie allemal und als Teil einer Erklärung vorbringen auch allemal. Du versuchst eine Erklärung als moralische Rechtfertigung misszuverstehen.
    “ Da konstruiert man sich doch den positiven Rassismus erst.“ Es ist wohl ein Unterschied, ob man was erklärt oder ein Benutzungsinteresse rassistisch rechtfertigt.
    „Damit begründet sich doch u.a. die moralische Kritik als bloße Werteumkehr, z.B. als Parteinahme für das Konstrukt der „Schwarzen“.“ Blödsinn. Wer sagt denn, man solle Schwarze, weil sie Schwarz sind gut behandeln. Das wäre Wertumkehr. Wenn man aber sagt, dass es einen historischen Grund gibt, warum die Unterschicht in den USA überproportional zur Bevölkerungszusammensetzung aus Schwarzen besteht, ist das keine Parteinahme, weder in die eine noch in die andere Richtung, sondern schlicht die richtige Erklärung, warum das in den USA im Unterschied zu anderen kapitalistischen Ländern so ist.
    @neoprene: „während das bei allen anderen kein Thema ist. Bei den Nachkommen von deutschen Juden oder englischen Quäkern redet auch keiner von Europäo-Amerikanern“ Die gehören auch nicht überproportional zur Unterschicht. Begreift das doch endlich mal – nicht die Sprache macht den Rassismus, sondern das Benutzungs- bzw. nicht Benutzungsinteresse. Daher der Verschleiß von solchen Begrifflichkeiten, früher war „Neger“ rassistisch, dann war „Schwarzer“ auch nicht mehr korrekt, jetzt ist schon „Afroamerikaner“ verschlissen. Aber egal welche Vokabel man sich einfallen lässt, wenn eine Gruppe als Unterschicht einsortiert und benutzt wird, bekommt mit der Zeit automatisch der Begriff, der diese Gruppe bezeichnet, einen schlechten Klang. Es gibt übrigens auch einen Namen für die weiße Unterschicht – „White Trash“ – „weißer Abfall“. Und dieser Name drückt die Verachtung schon im Namen aus. Da ist „Afroamerikaner“ noch vornehm.
    Dann kommen wieder die Sprachhygiene Moralwachteln und behaupten fälschlicherweise, nicht die kapitalistische (Nicht-)Benutzung als Unterschicht sei das Problem, sondern die Verwendung einer unangemessenen Vokabel.
    „im Gegensatz dazu“ o.k. Da hast du recht. Das habe ich überlesen. So frei war die Entscheidung der anderen Amerikaner auch nicht.

  19. Racket
    19. Mai 2015, 16:59 | #19

    Um Armin zu ärgern,
    komme ich ihm satirisch…
    http://www.der-postillon.com/2015/05/usa-schwarzer-ubersteht.html

  20. Armin Kirchmaus
    20. Mai 2015, 00:42 | #20

    @Nachfrage (@Racket)
    Es scheint ziemlich überflüssig zu sein mit Euch zu reden. Ich ziehe es vor, sich um Verständnis zu bemühen und nach Argumenten suchen ? Rackets aus dem Ärmel zu zaubern, ohne jeden Anlass, dient offenbar nur dem Zweck, damit rumzugeifern.
    @krim
    Eben diesen historischen Grund zu nennen, warum diese oder jene optisch wahrnehmbare Menschensorte jetzt im statistischen Mittelwert schlechter da steht, trägt nichts dazu bei, den logischen Grund der Schlechterstellung von Leuten klar zu kriegen. Und darum gehts, nicht darum, nachzuzählen, wie viele von der oder der Sorte denn nun unter den Loosern sind.
    Es ist bekloppt, Gleichtsllung von gleich welchem Label in der Konkurrenz zu fordern und dabei die Konkurrenz, die Gleichgültigleit der Geldvermehrung gegen die Lebensinteressen der Eigentumslosen dann irgendwie okayer zu finden.
    Kein Leut weniger wird in den Arsch getreten, wenn irgendeine formelle Gleichheit besteht.
    Wenn die in den Arsch getretenen endlich aufhören würden, mit der Suche nach formellen Gründen ihrer „Diskriminierung“ sich verbissen den Blick zu verstellen auf den Grund ihres Getretenseins, wären sie viel weiter. Aber nein, irgendwelche Ismen sind schuld oder noch simpler, die Weißen, die Männer, die Ossis/Wessis/Amis oder sonst eine Schuldprojektion.
    Die Rassismen gibt’s in der Konkurrenz kostenlos dazu. Und die gibts immer dazu, die gehören dazu. Da kann man herummoralisieren, so viel man will, das wächst immer nach. Einem Teil der Leute fällt immer ein Grund ein, warum diese oder jene Sorte Menschen den Job, die Wohnung, die Stütze nicht kriegen soll und bilden sich ein, wenn das so wäre, hätten sie was davon, weil ihrer Selbstidentifikation (und sei es nur die als guter Staatsbürger) das ja wohl zu stünde.

  21. Krim
    20. Mai 2015, 01:37 | #21

    „Eben diesen historischen Grund zu nennen, warum diese oder jene optisch wahrnehmbare Menschensorte jetzt im statistischen Mittelwert schlechter da steht, trägt nichts dazu bei, den logischen Grund der Schlechterstellung von Leuten klar zu kriegen.“ Das hat auch keiner behauptet. Auch nicht der Adrian von Schifferie-Nase. Er hat nur zusätzlich zum logischen Grund für eine Unterschicht in Amiland auch den historischen ihrer Zusammensetzung genannt. So ganz uninteressant ist das ja nicht, weil es ja schließlich darum geht warum gerade schwarze junge Männer immer wieder Opfer der Staatsgewalt werden. Drum ist es blöd, so zu tun als würde der Armin Schifferei für eine ethnische Gruppe Partei ergreifen wollen. Ebenso geht es nicht darum auszurechnen, dass die Looser gleichmäßig auf alle ethnischen oder sonstigen Gruppen verteilt sind. Das erfindest du.
    „Es ist bekloppt, Gleichtsllung von gleich welchem Label in der Konkurrenz zu fordern und dabei die Konkurrenz, die Gleichgültigleit der Geldvermehrung gegen die Lebensinteressen der Eigentumslosen dann irgendwie okayer zu finden.“ Stimmt. Das ist bekloppt. Bloß war so bekloppt hier keiner. Also kritisiert diese Blödheit bitte dort, wo sie auch wirklich vertreten wird und nicht dort, wo zur Abwechslung mal was richtiges verbreitet wird.

  22. Paquito
    20. Mai 2015, 05:47 | #22

    Dass das Kapital mit den Erfordernissen seiner Akkumulation dafür sorgt, welche Sorte Eigentum wann wie dafür benutzt wird (und ob überhaupt), ist natürlich gar kein Gegenargument dagegen, dass sich als Resultat z.B. eine sich immer weiter aufspreizende Einkommenshierarchie oder z.,B. der US-Rassismus gegen Schwarze notwendig einstellt:
    „Von wegen also, der Kapitalismus wäre der große Gleichmacher! An den Techniken, die die Communities in den USA entwickeln, um sich Geldquellen und Vorrechte gegen andere zu sichern; an der Gnadenlosigkeit, mit der sie daran festhalten, dass solche Vorrechte ihnen auch wegen ihrer speziellen Qualitäten zustehen und anderen nicht – an alledem lässt sich vielmehr das Prinzip alles kapitalistischen Konkurrierens studieren: die Herstellung und Herausstreichung von Unterschieden an sich und anderen, die sich als Geldquellen gegen Konkurrenten ausnutzen lassen. Diese Unterschiede dienen dann gerechterweise auch als Beweis dafür, warum es welche Community wie weit gebracht hat. Der Respekt, den der eigene Verein in Sachen erfolgreicher Durchsetzung in der Konkurrenz für sich verbuchen kann; die Lebensverhältnisse und Erfolgschancen, die er seinen Mitgliedern im Durchschnitt bieten kann – das alles schlägt nicht nur materiell als Plus oder Minus zu Buche. Es hängt ihnen zugleich als ihr spezieller Sozialcharakter an.“ (GSP 1/15)
    Der Grund der, wie Armin es nennt, ‚Diskriminierung‘, ist also kein bloß ‚formeller‘, sondern notwendige Folge der Akkumulation des US-Kapitals.

  23. Armin Kirchmaus
    20. Mai 2015, 05:57 | #23

    @krim
    „… weil es ja schließlich darum geht warum gerade schwarze junge Männer immer wieder Opfer der Staatsgewalt werden.“
    Eben. Und darum ist der Rückbezug auf eine Sklaven-/Afroherkunft ebenso überflüssig wie der auf die schlechteren Chancen zum Zeitpunkt des bürgerberechteten Einstiegs ins Große Dackelrennen um Managerposten oder Mülltonne.
    Der historische Grund der Korelation von Hautfarbe und Armut, gäbe nur dann einen Grund für den Polizeiknüppel ab, wenn dieser auf Arme losgeht, weil die vermehrt dazu neigen, sich alternative Einkommensquellen zu erschließen.
    Dann wäre der Grund aber nicht Rassismus, sondern das Interesse des Staates an steuerträchtiger Lohnarbeit und an der Durchsetzung seines Gewaltmonopols gegen mafiöse Konkurrenz.
    Das hat zwar regelhaft eine unmittelbare naive Zuschreibung von Kriminalität und Optik zur Folge. Die speist sich aber aus einer allgemeinen Bereitschaft, Menschen anhand beliebiger Identifikationskriterien zu deklassieren, von Ansprüchen auszuschließen, sie mit Projektionen von Schuld, Gegnerschaft oder Illoyalität zu überziehen.
    Diese allgemeine Rassismuslatenz muss man gesondert in den Fokus nehmen.
    Der Sklaven-, Afro- und schlechte-Chancen-Verweis verklärt statt zu erklären und legt die Schwarzen gedanklich als Kollektiv fest.
    Nur das waren die Kritiken am Artikel. Dort ist es aber neben aller richtigen Erklärung durchgehende Begleitmelodie.
    (Meine Einwürfe im zweiten Post bezogen sich weniger auf den Artikel, als auf andere Kommentare und die Erklärung, was ich meinte.)

  24. Paquito
    20. Mai 2015, 06:32 | #24

    Die Erklärung eines systematischen Zusammenhanges ist nur dies.
    Nicht aber werden durch eine Erklärung (!) Leute „gedanklich als Kollektiv festgelegt“. Eine Erklärung legt niemanden fest. Gedanklich kann man das nämlich gar nicht.
    Eine Erklärung ist falsch oder richtig.
    Moralische Qualifizierungen als Zutat sind falsch.
    (Die Vorstellung, Erklärungen in einer kleinen deutschen Zeitschrift würden die Schwarzen in den USA ‚festlegen‘, operiert damit, dass man dadurch den Schwarzen etwas Schlimmes antun würde. Das ist logischer Unfug.
    Erklärungen sind nur Erklärungen. Und keine Gewalt oder Nötigung.)
    Auffällig ist, dass hier einerseits die systematischen gesellschaftlichen Gründe für rassistische Polizeigewalt in den USA geleugnet werden. Andererseits wird derjenige, der diese Gründe benennt, zum wahren Schuldigen erklärt:
    der GSP nämlich sei es, der mittels seiner Kategorien Leute ‚festlege‘.
    ( – Ausgerechnet – der bloße Überbringer der Nachricht… -)
    Unfug. Und: Was für eine (un-) gelehrte Form von Antiaufklärung.

  25. TomGard
    20. Mai 2015, 09:04 | #25

    @ neoprene und andere.
    Ich beschränke mich ungern auf eine methodische Kritik der Debatte, weil ich keine Zeit habe, auf die Phänomene im Einzelnen zu kommen, was notwendig wäre, worauf ich mit der „Manöverkritik“ immerhin hinweisen möchte.
    Arian Schiffer-Nasserie stellt in der Einleitung sein Programm vor, zu zeigen, die Polizeimorde passten bestens zu der Konkurrenz- und Eigentumsordnung, gegen die sie nach dem Urteil zahlreicher Kritiker verstoßen sollen. Das ist richtig und notwendig, aber nur die halbe Miete, denn es wäre ebenso zu zeigen, wie sie zugleich nicht dazu passen, denn das liegt doch der Weise zugrunde, wie (und daß) sie skandalisiert werden. Das wird nicht von außen an die US-Gesellschaft heran getragen, es kommt von innen.
    Der GSP entledigt sich der offenen Aufgabe historisch-methodisch:
    „Zwar hat das Leben der Schwarzen in den USA tatsächlich eine historische Besonderheit, doch deren heutige Bedeutung liegt ganz in den Regeln und Sitten der Konkurrenz, mit der es die Schwarzen wie alle anderen Communities auch heute zu tun haben.
    Die Konkurrenz spielt sich … als eine einzige Veranstaltung zur Herstellung, Ausnutzung und Absicherung von Unterschieden zwischen allen Beteiligten ab.“
    Das Unpassende sei sehr wohl ein Relikt in der rezenten Eigentumsordnung, doch sei dessen Tradierung ihr notwendiger Bestandteil. Das ist so richtig, wie nichtssagend. Methodisch eben. Und folgt damit dem Bedürfnis, das ich angemeckert hatte, dem mönchischen Bestreben, eine Lehre gegen Irritationen von Seiten aktueller Veränderungen ihres Gegenstandes zu schützen.
    Um wenigstens an einem Punkt auf den Inhalt zu kommen:
    Ganz allgemein gesagt liegt das „Relikt“ und das „Unpassende“ offenkundig (anhand der Phänomene) in zweieinhalb komplementären Eigenarten der US-Eigentums- und Konkurrenzordnung:
    a) Es gibt die Todesstrafe (die Auflösung des Untertanenverhältnisses in ihm selbst)
    b) Ein letaler Selbstbehauptungskampf der Untertanen in ihr, bzw. um Absicherung des Zugangs zu ihr, ist Staatsraison (Waffengesetze).
    (c) Die Polizeien verfügen infolgedessen über eine neofeudale Schergen-Lizenz, d.h. einen Bereich, in dem sie lizensiert sind, Ankläger, Richter und Henker in einem zu sein.
    Diese Lizenz (c) ist tatsächlich keine eines bürgerlichen Staatswesens, sondern von den (Siedler-)Kommunen ausgestellt. Man muß sich schon mal mit einem Einzelfall wie dem von Michael Brown befassen, um das zu checken. „Neofeudal“ nenne ich die Lizenz, weil sie tatsächlich von einem „Racket“ von Besitzenden ausgestellt wird. Und verteidigt, wie im Falle der „Grand Jury“, eines Femegerichtes, das entschied, den mordlustigen Schergen, dem Michael Brown zum Opfer fiel, nicht anzuklagen.
    Mit alledem ist natürlich noch gar nichts darüber gesagt, warum die Angelegenheit die aktuelle Verlaufsform annimmt, aber, wie gesagt, das zu klären, habe ich keine Zeit, es erforderte einen langen Essay, der mich mindestens einen Monat Arbeit kostete, weil ich nur zum Teil qualifiziert bin, ihn zu erstellen.

  26. libelle
    20. Mai 2015, 09:04 | #26

    Der historische Grund der Korelation von Hautfarbe und Armut, gäbe nur dann einen Grund für den Polizeiknüppel ab, wenn dieser auf Arme losgeht, weil die vermehrt dazu neigen, sich alternative Einkommensquellen zu erschließen.
    Dann wäre der Grund aber nicht Rassismus, sondern das Interesse des Staates an steuerträchtiger Lohnarbeit und an der Durchsetzung seines Gewaltmonopols gegen mafiöse Konkurrenz.

    Das ist verkehrt. Die Polizei in den USA geht ja zunächsteinmal unabhängig von äußeren Merkmalen gegen Eigentumsverletzungen vor. Weiße, Latinos, Chinesen etc… sind davon nicht ausgenommen. Der Rassismus erklärt aber, warum die Polizei gegen Afroamerikaner besonders rigide vorgeht. Über die pflegen nämlich große Teile des Apparates das Urteil, dass sie vermindert gesellschaftsfähig wären und das wegen ihrer Hautfarbe. Die Hautfarbe wird also als phänotypisches Merkmal genommen, das geringere soziale Wertigkeit verbürgt.
    Und dieses Urteil hat historische Wurzeln und wird in jeder Generation weitergegeben. Die „Schwarzen“ sind in die USA auf der untersten sozialen Stufenleiter importiert worden – nämlich als Sklaven. Und an der Stelle sind die Unterschichten im Urteil der amerikanischen Gesellschaft mit einem äußeren Merkmal (nämlich brauner Hautfarbe) versehen worden. Diese Positionen der sozialen Underdogs sind in jeder Generation neu zu vergeben und die werden entlang dessen vergeben, was als sozial minderwertig klassifiziert wird (eben „schwarz“). Und dadurch reproduziert sich dann auch tatsächlich entlang der Hautfarbe ein kiminelles, verwahrlostes Milieu, das an der Hautfarbe „herausgekannt“ wird. Und dieses Urteil exekutieren die Polizisten z.B., wenn sie einen Afroamerikaner im Unterschied z.B. zu einem Latino o.ä. verhaften. Und dieses Urteil praktizieren Unternehmer, wenn sie keine „Schwarzen“ einstellen etc… Es ist eine besondere Leistung, wenn z.B. ein Unternehmer wirklich nach dem Bedarf entscheidet und nicht nach der Hautfarbe – und darum ging/geht es der Bürgerrechtsbewegung.
    Das mag man mangelhaft oder sonst irgend etwas finden – nur darf man deren Gegenstand nicht leugnen. Der Rassismus bestimmt immer noch in weiten Teilen den Umgang mit den „Schwarzen“ und nicht die Gleichheit vor dem Gesetz.

  27. Krim
    20. Mai 2015, 09:53 | #27

    Da Libelle den Rassismus der amerikanischen Polizei gegen Schwarze jetzt nochmal erklärt hat, sage ich dazu nichts mehr, sondern will mir mal deine Erklärung anschauen. Die taugt nämlich überhaupt nichts.
    „Die speist sich aber aus einer allgemeinen Bereitschaft, Menschen anhand beliebiger Identifikationskriterien zu deklassieren, von Ansprüchen auszuschließen, sie mit Projektionen von Schuld, Gegnerschaft oder Illoyalität zu überziehen. Diese allgemeine Rassismuslatenz muss man gesondert in den Fokus nehmen.“ So, so Rassisimus speist sich also aus einer Rassismuslatenz. Und Aggression dann wahrscheinlich aus einer Aggressionslatenz. usw. Egal was wir vor uns haben, wir verdoppeln es einfach und hängen Latenz hintendran und schon ist die Sache ihr eigener Grund. Tautologie nennt man das. Du erfindest einfach ein psychologisches Potential, das angeblich die Sache hervorbringt. D a s ist eine Ideologie und lenkt ab von den wirklichen Gründen von Rassismus.

  28. Krim
    20. Mai 2015, 10:13 | #28

    @TomGard: „Das ist richtig und notwendig, aber nur die halbe Miete, denn es wäre ebenso zu zeigen, wie sie zugleich nicht dazu passen, denn das liegt doch der Weise zugrunde, wie (und daß) sie skandalisiert werden.“ Es ist zwar richtig, dass die Skandalisierung zeigt, dass die Polizeigewalt auch nicht zur demokratischen Rechtsordnung passen. Das wurde denke ich aber auch erklärt. Es wird eben als Skandal empfunden, dass aus rassistischen Motiven gegen die Gleichheit vor dem Gesetz vorgegangen wird, gegen das Recht auf körperliche Unversehrtheit und weitere Grundrechte.
    „Diese Lizenz (c) ist tatsächlich keine eines bürgerlichen Staatswesens, sondern von den (Siedler-)Kommunen ausgestellt.“
    Welche Siedlerkommunen denn?
    „Man muß sich schon mal mit einem Einzelfall wie dem von Michael Brown befassen, um das zu checken. „Neofeudal“ nenne ich die Lizenz, weil sie tatsächlich von einem „Racket“ von Besitzenden ausgestellt wird.“ Na dann machst du dir ein (falsches) Ideal von einem bürgerlich Staatswesen, wenn du meinst es sei etwas völlig anderes als die Gesellschaft der kapitalistischen Eigentümer. So nennt sich nämlich dieses „Racket von Besitzenden“ normalerweise. Der Witz ist, dass man um Eigentümer zu sein, nichts außer seiner Arbeitskraft besitzen muss. Deshalb wollen auch arme Schlucker leider Teil dieses Rackets sein.

  29. TomGard
    20. Mai 2015, 10:15 | #29

    @ Krim
    Du bist ein fürchterlicher Rechthaber. Ein sittlicher Verdacht, von dem Libelle spricht („Projektionen von …“) hat selbstredend eine sehr allgemeine Seite (Ausschluß aus einem „Wir“, einer Ordnung) und spezielle Seiten, die Domäne der Bebilderungen, in denen die Maßstäbe der Konkurrenz zur Geltung gebracht werden. Das Verhältnis der beiden Seiten bestimmt die Dynamik der Angelegenheit und ihren Zusammenhang mit Feldern der Entfaltung der Konkurrenzgesellschaft außerhalb des engeren Bereiches der Vorkommnisse.
    Und zu Deinem Tautologie-Vorwurf:
    Du hast ziemlich weit oben geschrieben:
    „Sie verbinden also den normalen demokratischen Rassismus, den es auch hierzulande gibt (wer Mißerfolg hat, ist selbst schuld und wer gegen das Recht verstößt hat einen kriminellen Charakter, der ist einfach so – nämlich kriminell) mit ihren Erfahrungen als Cops und schließen dann falsch …“
    Versuche bitte nicht, zu erklären, wie die Kategorie „Erfahrung“ diese Diagnose von einer „Rassismuslatenz“ unterscheiden soll – es wäre Zeitverschwendung.

  30. libelle
    20. Mai 2015, 10:25 | #30

    Noch eine Ergänzung und dann bin ich hier schon wieder fertig:
    Wenn etwas an dem Artikel kritisch anzumerken ist, dann Nasseries unreflektierte Verwendung von Begriffen wie „ethnische Definition“ oder „ethnische Zusammensetzung“. Was mit den aus Afrika verschleppten Menschen, die allen möglichen Ethnien angehörten passiert ist, ist eine Ethnienbildung, nämlich der des Afroamerikaners. Vorher waren sie vielleicht Fulbe oder Ewe oder was weiß ich und sind dann entlang der rassistischen Ausgrenzung zur Ethnie Afroamerikaner geworden d.h. haben sich eine entsprechende Selbstauffassung zugelegt. TomGuard hat das auch in seiner letzten Antwort auf Krim anklingen lassen.

  31. TomGard
    20. Mai 2015, 11:56 | #31

    @ Krim
    „Na dann machst du dir ein (falsches) Ideal von einem bürgerlich Staatswesen, wenn du meinst es sei etwas völlig anderes als die Gesellschaft der kapitalistischen Eigentümer. So nennt sich nämlich dieses „Racket von Besitzenden“ normalerweise.“
    Du hast in der Debatte bewiesen, du kannst sehr wohl zwischen einer Realabstraktion (der bürgerliche Staat ist eine), d.h. einem institutionellen Idealismus, und einem idealistischen Urteil unterscheiden. Hier läßt du die Unterscheidung fallen, um eines billigen Titels auf einen angeblichen Verstoß gegen die guten Denksitten willen.
    Im GSP-Artikel sind immerhin in allgemeiner Form klare Hinweise auf die Rolle von Instituten enthalten, die in Europa keine, oder eine andere Rolle spielen, die Community, die Hood (und, wäre zu ergänzen, davon zum Teil abgeleitet, die Counties). Es sind „archaische“, nämlich die urtümlichsten patriarchalischen Konstrukte einer Gesellschaft von Privateigentümern. Es hätte dir gut angestanden, das wenigstens zur Kenntnis zu nehmen, ggf. kritisch.
    Doch für deine Rechthaberei ist dir anscheinend jedes Mittel gut genug. Auf der Ebene rede ich nicht mehr mit dir.

  32. Krim
    20. Mai 2015, 12:10 | #32

    @Tomgard: Beim ersten Absatz weiß ich nicht, worauf er sich bei mir bezieht.
    Der Tautologievorwurf ging eigentlich an Kirchmaus. Aber egal.
    Rassismuslatenz ist ein inneres psychologisches Potential, was gar nichts erklärt, weil sie den Gegenstand einfach in einen inneren Mechanismus verdoppelt, der den Gegenstand hervorbringt. Das ist ein bekannt falsches Erklärungsmuster in der Psychologie. z.B. Gewalt wird erklärt mit Aggression. Intelligenz sei eine Fähigkeit. Immer sind es innere (Seelen, Gefühls, Bedürfnis-) Zustände, die ein äußeres Tun erklären sollen. So spart man sich die wirklichen Gründe von Rassismus und Gewalt zu ermitteln, die den Verhältnissen kein gutes Zeugnis ausstellen würden.
    Unter Erfahrung verstehe ich das äußere Geschehen. In dem Fall die Tatsache, dass die Polizei oft mit Straftätern braunschwarzer Hautfarbe zu tun hat. Die Polizei schließt ein vollkommen äußerliches Merkmal mit ihrem demokratischen Rassismus zusammen (die beiden Formen werden im Artikel ja ausgeführt) und macht das eine zum Grund des anderen. Also w e i l irgendjemand eine dunkelbraune Hautfarbe hat, kann er nicht anders als einen kriminellen Charakter zu entwickeln und ist obendrein ein geborener Verlierer, den man zurecht verachten darf.

  33. Krim
    20. Mai 2015, 12:32 | #33

    @TomGard: Und dir stünde es gut an, dir zuerst zu überlegen, was gegen dich vorgebracht wird, bevor du es mit Charaktermängeln (Rechthaberei) deines Kritikers abtust.
    “ Es sind „archaische“, nämlich die urtümlichsten patriarchalischen Konstrukte einer Gesellschaft von Privateigentümern.“ Langsam musst du dich entscheiden, woran die rassistische Polizeigewalt nun liegt. Daran dass sie die Gesetze der Eigentumsordnung durchsetzt und sich dabei ein notwendig verkehrtes Bewusstsein zulegt oder daran, dass sie Schergen eines neofeudalen Rackets sind, das urtümlich patriarchalisch konstruiert ist. Im zweiten Fall müsste man die Polizei wohl bloß gendermäßig modern umkonstruieren und schon wäre das Problem behoben, obwohl weiterhin den Gesetzen des Eigentums Geltung verschafft wird.

  34. TomGard
    20. Mai 2015, 12:48 | #34

    „Langsam musst du dich entscheiden, woran die rassistische Polizeigewalt nun liegt …“
    Nein, Herr Oberschulrat. Meine Antwort von vor 40 Jahren.
    Schon deshalb nicht, weil ich an dem Punkt keinen zählbaren Dissens in der Debatte erkenne. Unklar bleiben die Übergänge, die an der genannten Front derzeit gemacht werden und darauf verweisen, da ist etwas im Gange, was mit den hier beschriebenen Zusammenhängen unterbestimmt bleibt.

  35. Krim
    20. Mai 2015, 13:49 | #35

    Na klar, wenn man wie du die Klärung seiner Widersprüche rundheraus ablehnt, dann entdeckt man natürlich keinen Dissens. Dann braucht man sich aber auch nicht zu wundern, was alles „unterbestimmt“ bleibt.

  36. TomGard
    20. Mai 2015, 14:04 | #36

    @ all
    Ich hab kurz in meinen Links gekramt, aber Obamas Erstreaktion auf die Unruhen nach der Hinrichtung von Michael Brown nicht mehr gefunden („Rede an die Nation“). Hat einer von euch die zufällig parat? Der Obama sagt da mit seinem Vokabular 100 pro dasselbe, wie Kim, wenn ich mich nicht ganz falsch erinnere, vielleicht gäbe ihm / ihr das ja zu denken.

  37. Grete
    20. Mai 2015, 14:22 | #37

    „… es wäre ebenso zu zeigen, wie sie zugleich nicht dazu passen, denn das liegt doch der Weise zugrunde, wie (und dass) sie skandalisiert werden. Das wird nicht von außen an die US-Gesellschaft heran getragen, es kommt von innen.“ (TomGaard)
    Die Black Community skandalisiert dies natürlich, und aus der Politik auch manche, die eher die Selbstdarstellung der US-Geselschaft von Gleichberechtigung gehegt und gepflegt sehen wollen. Insofern gibt es vermutlich seit der Bürgerrechtsbewegung offiziell als Doktrin nichts anderes mehr als diese Gleichberechtigung, und vermutlich gibt es auch in den Firmen entsprechende Vereinbarungen.
    (Das Kapital ist ja bekanntlich der größte Gleichmacher und eher vorurteilslos beim Geldverdienen.)

  38. 20. Mai 2015, 14:28 | #38

    TomGard, meinstest du diese Rede vom 14.08.2014?
    http://newsone.com/3044527/obama-michael-brown/

  39. TomGard
    20. Mai 2015, 14:40 | #39

    @ Neoprene
    Nein, sorry für Deine vergebliche Mühe. Es war eine Rede, in deren Hauptteil es um Russland, Ukraine, IS usw. ging. Die Bemerkungen Richtung Ferguson waren offenkundig improvisiert und thematisierten, soweit ich mich erinnere, just die Dynamik zwischen „krimineller Subkultur“ und der Subkultur der Repression, die Krim hier für den Begriff der Sache ausgibt. Natürlich mit dem Aufruf an beide Seiten – insbesondere die „elders“ – den „vicious circle“ zu durchbrechen.

  40. Krim
    20. Mai 2015, 14:52 | #40

    „Der Obama sagt da mit seinem Vokabular 100 pro dasselbe,“ Wahrscheinlich genauso 100%, wie du keinen Dissens entdecken kannst. Was soll das außerdem beweisen, wenn man behauptet, irgendjemand würde dasselbe sagen? Ein Gegenargument kann man sich dadurch nicht ersparen.

  41. TomGard
    20. Mai 2015, 16:00 | #41

    @ Grete
    Du beschreibst sicher korrekt einen Teil der Reaktionen und des Umgangs damit. Dann hat man für diese Abteilung fest zu halten:
    Dieser Teil der politischen Öffentlichkeit befaßt sich mit Polizeimorden und polizeilichen „Gewaltexzessen“ überwiegend unter dem Maßstab, ob den Vorkommnissen ein berechtigter, oder aber unberechtigter Verdacht, und folglich ein entschuldbarer oder unentschuldbarer Rassismus zugrunde liege.
    Soweit das reicht, kann (und muß) man spekulativ schließen, es wird eine Debatte über die polizeiliche Berechtigung, eine bestimmte Sorte „Mensch“ nicht nur als möglichen Schädling, sondern als Ungeziefer zu behandeln, „antirassistisch“ verhandelt, und das heißt umgekehrt: Es wird eine bereits weitgehend institutionalierte, auf der ideologischen Ebene aber noch ungefestigte rassistische Sortierung, die nichts mit der Hautfarbe zu tun hat und haben soll, „ausverhandelt“ und administrativ durchgesetzt.
    Hier war das Opfer weiß:
    http://www.liveleak.com/view?i=8aa_1395460451
    Ein anderer bekannter Fall, zu dem ich den Link auch nicht mehr finde, waren die beiden Latino-Cops, die einen weißen Penner mit Schizo-Diagnose vor laufender Kamera aus reiner Mordlust totprügelten und freigesprochen wurden.

  42. Paquito
    23. Mai 2015, 08:00 | #42

    „Das Kapital ist ja bekanntlich der größte Gleichmacher und eher vorurteilslos beim Geldverdienen.“ (Grete)

    Das stimmt in den USA offensichtlich so nicht.
    (Zumindestens ist das so dann zu knapp dahergesagt.)
    http://Neoprene.blogsport.de/2015/05/18/die-gewalt-der-konkurrenz-warum-us-polizisten-schwarze-buerger-toeten/#comment-116795

  43. Crime_think
    2. Juni 2015, 08:49 | #43

    Weiße Vormachtstellung und Kapitalismus waren von Anfang an strukturell miteinander verbunden. (Viele Leute in den Vereinigten Staaten sprechen lieber von „weißer Vormachtstellung“ als von „Rassismus“, um zu betonen, dass es ein strukturelles Problem ist und nicht nur eine Sache des individuellen Vorurteils.) Die Entwicklung des Kapitalismus ist nicht ohne die ursprüngliche Plünderung und Kolonialisierung der sogenannten „Neuen Welt“ (und dann Indiens und Afrikas) vorstellbar, der dann Sklaverei und später Rassentrennung folgten. Die Rassentrennung gibt es bis heute, wenn auch eher als ein wirtschaftliches Problem getarnt und nicht als eines der Rasse. Das Ergebnis ist allerdings gleich.
    Auf jeder Stufe dieses Prozesses ist die Spaltung der armen Arbeiter und Marginalisierten in „Weiße“ und „Nicht-Weiße“ wesentlich gewesen, um die herrschende Ordnung aufrecht zu erhalten und zu stabilisieren, indem sie Weiße, die sich ansonsten mit allen anderen gegen die Elite verbünden würden, besticht, sich mit ihren viel reicheren Herrschern zu identifizieren. Die gesellschaftlich konstruierte Identität „Rasse“ und der auf dem gesellschaftlichen Konstrukt des Eigentums basierende Kapitalismus entstanden gemeinsam und unterstützen sich einander wechselseitig.
    Zwar kann man die Geschichte der Erfindung der Rasse in einem wirtschaftlichen Rahmen erzählen, allerdings wäre es genauso möglich, zu argumentieren, dass Kapitalismus die wirtschaftliche Folge der Erfindung der Rasse ist.
    Darum wird keine kapitalistische Gesellschaft, weder die amerikanische noch sonst eine, die Rassendiskriminierung erfolgreich abschaffen.
    Es gibt immer noch einige Teile der Welt, die homogen genug sind, um sich vorstellen zu können, dass der Kapitalismus auch ohne den stabilisierenden Mechanismus der Rasse bestehen kann. Aber in einer globalisierten Wirtschaft können diese Orte nicht von dem Geschehen anderswo getrennt werden – sie sind darin verwickelt, auch wenn es dort nicht passiert. Stellt euch zum Beispiel ein vollständig weißes Dorf in der Schweiz vor: Es scheint so, als ob Rasse mit dem Funktionieren des Kapitalismus dort nichts zu tun hat, aber in Wahrheit bezieht Bevölkerung wahrscheinlich ihren Wohlstand aus Investitionen in Unternehmen, die in Afrika Minen oder in Ostasien ausbeuterische Betriebe betreiben, während die Grenzen die Menschen aus diesen Teilen der Erde davon abhalten, das soziale Sicherheitsnetz zu nutzen, das den Schweizern angeboten wird. Das ist ein Beispiel, wie die sich als humanistisch ausgebende Sozialdemokratie dazu dient, die Rassenhierarchie und -unterdrückung zu rationalisieren.
    aus: Crimethinc. Interview zu Baltimore,
    Dieses Interview wurde der griechischen anarchistischen Zeitschrift Apatris gegeben. 26.05.2015
    http://crimethinc.blogsport.de/2015/05/26/crimethinc-interview-zu-baltimore/

  44. Paquito
    2. Juni 2015, 09:43 | #44

    „… indem sie Weiße, die sich ansonsten mit allen anderen gegen die Elite verbünden würden, besticht, sich mit ihren viel reicheren Herrschern zu identifizieren.“
    „Bestochen“ würden weiße Arbeiter vermutlich mittels Lohnzahlung. Das stimmt nicht, so ist deren Lohnzahlung gar nicht berechnet, da geht es um Lohnstückkosten-Kalkulationen und um Profiterwirtschaftung.
    Und ob z.B. bei Detroit zur Jahrtausendwende Automobilarbeiter unterschiedlichen Lohn gekriegt hätten, strikt je nach Hautfarbe, glaube ich nicht. (Allerdings wird es schon so sein, dass in den Lohngruppen der Vorarbeiter oder z.B. des unteren Managements sich vermutlich z.B. sehr viel mehr weiße Männer befunden haben werden als schwarze Frauen.
    Ist ’strukturelle Benachteiligung‘ identisch mit ‚Rassismus‘?)

  45. Anna
    26. Juni 2015, 09:41 | #45

    Rassismus in den USA – woher er kommt und warum er nicht weggeht
    Die Auskünfte über die innere Verfassung der USA beantworten die Frage, warum die Diskriminierung der Amerikaner mit dem Afro- davor, die hierzulande vom Standpunkt moralischer Überlegenheit mit Kopfschütteln zur Kenntnis genommen wird, zur US-Heimstatt von Freiheit und (Chancen-)Gleichheit einfach dazugehört.
    1. Massenproteste in den USA: Wogegen sie sich richten und was sie offenlegen
    2. Konkurrenz ums Geld als Lebensprinzip und moralische Richtschnur
    3. „Communities“: Das freie Individuum baut sich eine Heimat, und die Staatsgewalt unterstützt es dabei
    4. African Americans: die etwas andere Unterschicht
    5. Der politische „Kampf“ gegen „racial discrimination“
    Diesen GSP-Artikel aus 1/15 gibts hier:
    http://www.versus-tuebingen.de/files/ankuendiger/ferguson.pdf
    ——
    Der Artikel von Arian Schiffer-Nasserie: „Polizei und Rassismus“ (jW 7.11.14) über die systematische Notwendigkeit des ‚racial profilings‘ durch die Polizeibehörden ist hier verlinkt:
    http://www.labournet.de/interventionen/grundrechte/grundrechte-all/polizeistaat/polizei-und-rassismus-uber-einen-unschonen-aber-unvermeidlichen-zusammenhang/

  46. Krim
    26. Juni 2015, 17:53 | #46

    TV-Tip:
    DROGEN: AMERIKAS LÄNGSTER KRIEG
    Dienstag, 02. Juli um 20:15 Uhr (104 Min.)
    Wdh. am Dienstag, 09.07. um 2:15 Uhr
    Leider in der Mediathek im Moment nicht verfügbar.
    „Amerika befindet sich in einem Krieg, auch im Inneren des Landes. Es geht um den jahrzehntelangen mehr oder weniger erfolgreichen Kampf gegen den Drogenmissbrauch. Hier werden Milliarden von Dollar investiert. Auffällig ist, dass im Zusammenhang mit der Drogenkriminalität überdurchschnittlich viele schwarze Amerikaner involviert sind.
    Filmemacher Eugene Jarecki analysiert den Zustand der amerikanischen Gesellschaft im Spiegel des Kampfes gegen Drogen und hat gleichzeitig einen Film über den Rassismus in den USA gemacht. Dabei geht es auch um die Frage, welchen Stellenwert die von Barack Obama geführte Regierung dem Kampf gegen Drogen beimisst und mit welchen Methoden sie dabei vorgeht.“
    Wenn ich es recht verstanden habe, wird behauptet der Drogenkrieg sei in Wirklichkeit ein Krieg gegen eine Klasse – nämlich gegen das überflüssige Subproletariat, das eine ordnungspolitische Behandlung durch den Staat erfährt. Eigentlich sind die Leute überflüssig und könnte genauso gut getötet werden. Hier wird auf Gemeinsamkeiten mit dem Holocaust verwiesen. Weil man das aber nicht will, werden die störenden Armen weggesperrt.

  47. Apple
    29. Juni 2015, 21:33 | #47

    Ist schon auf youtube:
    https://youtu.be/6g0PSbc9mBw

  48. Krim
    30. Juni 2015, 12:35 | #48

    Danke. Die obigen Wiederholtermine stimmen leider nicht, bzw. beziehen sich auf 2013, wie mir arte mitgeteilt hat.

  49. Neues_Protok
    1. Juli 2015, 14:21 | #49

    Neues Jour Fixe Protokoll vom 22.06.2015
    „Rassismus in den USA“
    Thema ist dieser Artikel:
    http://www.versus-tuebingen.de/files/ankuendiger/ferguson.pdf
    Und hier ist die jf-Debatte darüber:
    http://www.gegenstandpunkt.de/jourfixe/prt/2015/jf150622.html

  50. j.
    26. Dezember 2015, 21:56 | #50

    Edward Said The Last Interview 2003
    http://www.youtube.com/watch?v=6NNuczNFyZM
    Ich hatte das Gespräch mit
    „learn about the americans“ überschrieben,
    daher jetzt hierunter einsortiere, auch,
    wenn es „scheinbar“ nichts oder „zu wenig“ mit
    „Die Gewalt der Konkurrenz
    Warum US-Polizisten schwarze Bürger töten“
    zu tun hat.
    Vielleicht „paßte“ es auch eher unter die „Flüchtlingsdebatten“, zumindest dort, wo
    die USA als Fluchtort auftaucht.Mehr aber noch
    in „Integration“.
    Es war gelöscht (wie so vieles aus der tube verschwand „ganz plötzlich“), doch vor einem Jahr -grad eben erst gesehen- wieder neu hochgeladen von jemandem, der eine Sicherungskopie erstellt hatte. 🙂
    Wer Zeit hat, sich die Zeit nehmen will…:
    -US-Staatsbürger palästinensischer Herkunft
    -„Orientalism“ gibts auch „auf deutsch“ , sehr interessant/notwendig den aktuellen „Ereignissen“ beizulesen!!!
    (falls irgendwo „passender“ als Kommentar kanns dahin verschoben werden!)

  51. j.
    26. Dezember 2015, 21:58 | #51

    den link vergaß 😳 :
    Edward Said The Last Interview 2003
    http://www.youtube.com/watch?v=6NNuczNFyZM

  52. Grete
    27. Dezember 2015, 07:15 | #52

    Das P r i n z i p rassistischen Denkens hat Freerk Huisken einmal als Zwieschlächtigkeit erläutert:
    Das Prinzip der gängigen rassistischen Argumentation sei zunächst an einem Beispiel erläutert, das zwar der US-Geschichte zugerechnet werden muss, aber dennoch heute fast noch Aktualität besitzt. Das im folgenden zitierte Denkmuster eines ‚Verteidigers der Sklaverei‘ in den USA aus dem Jahre 1859 gehörte in der Republik Südafrika (RSA) des Jahres 1986 schließlich noch zur gültigen Staatsdoktrin:
    „Die Natur selbst hat den Neger zu dieser Knechtschaftslage bestimmt. Er hat die Stärke und ist kräftig zur Arbeit; aber die Natur, die ihm diese Stärke gab, verweigerte ihm sowohl den Verstand zum Regieren, wie den Willen zur Arbeit. Beide sind ihm verweigert! Und dieselbe Natur, die ihm den Willen zur Arbeit vorenthielt, gab ihm einen Herren, diesen Willen zu erzwingen.“
    (New York Daily Tribune vom 10.12.1858)
    Der Schwarze soll natürlicherweise eines Herren bedürfen, der ihm den Willen zur Arbeit aufzwingt, mit dem ihn die Natur so mangelhaft ausgestattet haben soll. Der zitierte Verteidiger der Sklaverei trägt diesen „Befund“ vor wie eine Erkenntnis der Biologie. Er will der schwarzen Hautfarbe allerdings Eigenarten des Schwarzen entnommen haben, die ihm die Pigmente sicher nicht verraten haben.
    Schließlich ist gar nicht von ’natürlichen Merkmalen‘ dieser angeblichen biologischen ‚Rasse‘ – die Hautfarbe – die Rede, sondern hier wird der Unfug eines ’n a t ü r l i c h e n W i l l e n s‘ dieses Menschenschlages in die Welt gesetzt:
    Behauptet ist nichts weniger als die widersprüchliche Behauptung, dass mit den physiologischen Voraussetzungen, deren es bedarf, um einen Willen auszubilden, zu äußern und sich um seine Verwirklichung zu kümmern,
    zugleich über den bestimmten W i l l e n s i n h a l t des Menschen bestimmter ‚Rasse‘ entschieden sei.
    Die groteske Logik des Rassismus, nach welchem der Schwarze wegen seiner angeblichen ‚Negernatur‘ zur Knechtschaft bestimmt sei, wird darin geständig, dass sie gleich negativ argumentiert: Ihm f e h l e von Natur aus jeder Wille zur Arbeit, heißt es.
    Nun kann es einen Menschen kaum p o s i t i v a u s z e i c h n e n, dass es ihm an etwas gebricht, was andere gern mit ihm anstellen wollen. Genau das soll er seiner Natur nach s e i n, was er n i c h t i s t, woran es ihm mangelt!
    Wie gut passt es da, dass diese arbeitsscheue angebliche ‚Negernatur‘ zugleich die entsprechende ‚Gegennatur‘ in sich birgt, nämlich das Bedürfnis nach Knechtschaft, nach einem Herrn also, der ihm den Willen zur Arbeit aufzwingt. Es müssen daher zwei einander widersprechende ‚Naturbausteine‘ in der Schwarzenhaut entdeckt werden, um diese Ableitung der Naturnotwendigkeit der Versklavung der Schwarzen „beweisen“ zu können: Ihrer Natur entspreche es, nicht arbeiten zu wollen, und zugleich zeichne es sie aus, zum Arbeiten gezwungen werden zu wollen.
    Anders formuliert: Das gewaltsame Vorgehen das Sklavenhalters g e g e n die angebliche ‚Negernatur‘ soll ausgerechnet seiner Natur e n t s p r e c h e n.
    Der Verteidiger der Sklaverei macht es sich nicht einfach mit seinem „Beweis“. Er behauptet nicht schlicht, dass er wisse, was der ‚Negernatur‘ entspreche, eben die Sklaverei, sondern er baut in seine rassistische Argumentation zugleich den „Beweis“ der N a t u r n o t w e n d i g k e i t des Arbeitsverweigerungs w i l l e n s ein.
    Der Schwarze muss eben, so lautet das Plädoyer, nicht nur zu seinem „Glück“, zu seiner Bestimmung gezwungen werden, obendrein ist praktischerweise die Notwendigkeit dieses Zwangs auch bereits Moment seiner schwarzen Natur.
    Da dieses Bedürfnis des Schwarzen nach Knechtschaft in die Natur verlegt wird, hat sich diese Betrachtungsweise gegen jede Willensäußerung des Sklaven immun gemacht. Was der einzelne Schwarze überhaupt und eigentlich will, steht schließlich mit seiner Hautfarbe fest, die zur Manifestation seines Naturdrangs erklärt wurde. Mit dieser Natur im Rücken ist der Herr berechtigt, die Unterordnung des Schwarzen zu verlangen, als sei diese jenem so natürlich zugewachsen – wie seine schwarze Haut.
    Und jede Gegenwehr des Opfers beweist nun nicht etwa, dass der angebliche Naturwille eine interessierte Erfindung des Sklavenhalters ist; vielmehr zeigt der Widerstand des Schwarzen gegen die „artgerechte“ Behandlung durch seinen Herrn die Abweichung des Schwarzen von seiner angeblichen eigenen Natur. Und der Herr kämpft dann im Namen der einen Seite dieser praktischen ‚Negernatur‘ gegen des Schwarzen naturnotwendige „Entartung“ – dies eben die andere Seite – an, wenn er jede Unbotmäßigkeit niederschlägt. Umgekehrt ließe sich natürlich auch im Namen der naturnotwendigen „Entartung“ ein Kampf gegen den Willen, sich zur Arbeit zwingen zu lassen, führen. (Aber das ist eben nicht im Sinne der Erfinder dieses Rassismus…)
    Der Nutzen dieser Konstruktion eines natürlichen Willensinhalts – und die ist j e d e m Rassismus eigen – liegt hier auf der Hand: Das am Schwarzen mit Gewalt durchgesetzte Ausbeutungsinteresse des Sklavenhalters erscheint so nicht mehr als der G e g e n s a t z zum Interesse des Schwarzen, der er ist, sondern als D i e n s t a n s e i n e r N a t u r. Und indem das Interesse des Herrn die Kraft eines Naturgesetzes zugesprochen bekommt, beansprucht es a b s o l u t e G ü l t i g k e i t. Der Betroffene hat seine Rolle zu spielen, als läge sie in seiner Natur. Selbst die gedankliche Infragestellung der Sklaverei durch den Sklaven ist widernatürlich und berechtigt, ja verpflichtet,
    den Sachwalter des ‚Naturrechts‘, dem davon ‚Entarteten‘ auch ‚die bitterste Medizin‘ zum Schlucken zu geben…
    Freerk Huisken: Ausländerfeinde und Ausländerfreunde. Eine Streitschrift gegen den geächteten wie den geachteten Rassismus. (Aus dem Kapitel: Kurze Argumente gegen den Zeitgeist, 1987)

  53. j.
    27. Dezember 2015, 11:11 | #53

    Orient-Express-eD
    Das Gewinnstreben einzudämmen bedeutet also, sich beim Umgang mit Indern und Ägyptern, Schilluk oder Zulu vor allem zu fragen, was diese Menschen, die sich ja alle,
    national gesprochen, mehr oder weniger in statu pupillari befinden, selbst als das für sie Beste ansehen, auch wenn man darüber noch ernsthaft nachdenken müßte. Wesentlich ist jedoch, jeden Einzelfall hauptsächlich im Hinblick darauf zu entscheiden, was uns im Licht der durch lokale Erwägungen beeinflußten westlichen Kenntnisse und Erfahrungen aufrichtig als das für das unterworfene Volk Beste erscheint. Dabei dürfen wir auf keine tatsächlichen oder vermeintlichen Vorteile achten, die der englischen Nation oder – wie es häufiger der Fall
    ist – den Sonderinteressen einflußreicher Gruppen winken. Wenn die britische Nation als Ganze diesen Grundsatz stets beherzigt und unnachgiebig darauf besteht, ihn anzuwenden, so gelingt es uns vielleicht, dort zwar keinen Patriotismus wie den, der auf gleicher Rasse und Sprache beruht, wohl aber eine Art kosmopolitischer Loyalität zu wecken, gestützt auf die
    natürliche Achtung vor hohen Geistesgaben und selbstlosem Verhalten sowie auf die Dankbarkeit für erhaltene und bevorstehende Wohltaten. So könnte man jedenfalls hoffen, daß diese Ägypter zumindest zögern würden, sich einem künftigen Arabi in die Armne zu
    werfen. (…) Selbst die Wilden in Zentralafrika könnten schließlich lernen, einen Lobgesang zu Ehren der Astraea Redux anzustimmen, repräsentiert durch den britischen Beamten, der ihm den Gin verweigert, aber Gerechtigkeit gibt. Davon wird auch der Handel profitieren.
    Sir Alfred Lyall erklärte mir einst, daß der orientalische Geist die Genauigkeit verabscheue und dies anglo-indische Beamte stets beherzigen sollten. Ungenauuigkeit, die leicht in Unaufrichtigkeit ausartet, ist in der Tat die Haupteigenschaft der orientalischen Geistes.
    Der Europäer ist ein Vernunftmensch, seine Tatsachenbehauptungen sind unzweideutig, er denkt von Natur aus logisch, auch, wenn er gar keine Logik studiert haben mag, er ist ein eingefleischter Skeptiker, verlangt also stets Beweise. bevor er Aussagen als wahr anerkennt, und seine geschulte Intelligenz arbeitet wie ein Uhrwerk. Der Geist des Orientalen dagegen ist wie seine malerischen Straßen extrem asymmetrisch. Er denkt schludrig und rein
    diskriptiv. Obwohl sich die Araber in der Antike etwas höhere Kenntnisse in der Wissenschaft der Dialektik angeeignet hatten, ist das Logische bei ihren Nachfahren geradezu verkümmert. Oft sind sie unfähig , aus klaren Prämissen, die sie sogar anerkennnen, auf der
    Hand liegende Schlüsse zu ziehen. Wenn man sich bemüht, von einem gewöhnlichen Ägypter eine einfache Auskunft zu erhalten, wird er in der Regel langatmige, wirre Erklärungen abgeben und sich wahrscheinlich bis zum Ende der Geschichte mindestens ein halbes Dutzend Mal selbst widersprechen. Meist hält er dem milden Kreuzverhör nicht stand.
    Cromer
    (s. 50/51 Said – Orientalistik)
    Dieses didaktische Programm ist leicht zu verstehen und zu erklären. Man sollte bedenken, daß alle kulturen die störrische Realität korrigieren, diffuse Objekte in Wissenseinheiten umzuwandeln. Das Problem liegt nicht in der Umwandlung selbst. Vielmehr ist es völlig
    normal, wenn sich der menschliche Geist dem Angriff des ungezähmten Fremden widersetzt.
    Deshalb neigen Kulturen immer dazu, sich andere Kulturen zu assimilieren, das heißt sie nicht so zu nehmen, wie sie sind, sondern wie sie zum eigenen Nutzen sein sollten. Dem Westler jedoch war der Orient von jeher wie ein Aspekt des Westens erschienen. So sahen zum Beispiel einige der deutschen Romantiker in der indischen Religion im Wesentlichen eine orientalische Spielart des germanisch-christlichen Pantheismus. Der Orientalist hingegen macht den Orient von Berufs wegen zu etwas anderem – sich selbst, seiner Kultur und manchmal auch dem Orient zuliebe. Freilich geschieht das in disziplinierter Form: in der Lehre, den Fördergesellschaften, in Zeitschriften, in Traditionen, in Fachtermininologien, in Redefiguren, und dies alles nach Grundregeln, die den vorherrschenden kulturellen und politischen Normen des Westens entsprechen. Dabei zeigt sich ein zunehmender
    Totalitätsanspruch , so daß die Orientalistik des 19. und 20. Jahrhunderts vor allem den Eindruck erweckt, eine pauschale Schematisierung des gesamten Orients zu betreiben.
    Die oeben angeführten Beispiele für Orientdarstellungen der griechischen Antike zeigen, wie früh diese Schematisierung begann. Daß sich dieses Muster fortsetzte und verstärkte, läßt sich anhand von Dantes „Hölle“ veranschaulichen. In der göttlichen Kommödie gelang es Dante, sein realistisches Bild der profanen Welt nahtlos mit einem universellen und zeitlosen System
    christlicher Werte zu verbinden.
    (…)
    „Mahomet“ – Mohammed- tritt im XXVIII. Gesang der „Hölle“ auf, angesiedelt im achten von neun Kreisen (Malebolge), die das Bollwerk des Satans bilden, und im neunten seiner zehn Gräben (Bolgia). So hat Dante, bevor er Mohammet erreicht, bereits Höllenkreise mit
    geringeren Sündern durchquert: Lüstlingen, Geizhälsen, Schlemmern, Häretikern, Tobsüchtigen, Selbstmördern und Gotteslästerern. Nach ihm kommen nur noch die Verräter
    und Betrüger (darunter Judas, Brutus und Cassius), doch im Zentrum der Hölle wohnt der Teufel selbst. So gehört Mohammet in der starren Hierarchie der Missetäter jener Kategorie an, die Dante seminator di scandalo e di scisma kennzeichnet („Anstifter von Zwietracht und
    Schisma“). Mohammets Strafe und damit sein ewiges Schicksal ist besonders abscheulich, denn er wird endlos „vom Kinn zerspalten bis hinab zum Furz“, und an diesem Punkt erspart Dante seinen Lesern in blumiger Schilderung keine der echatologischen Grausamkeiten:
    „Inzwischen Beinen schien der Därme Rot,/Und das Gekrös quoll mit dem schmutzigen Sacke,/Der alles, was er einschluckt, macht zu Kot.“ Und der verstümmelte Mohammet wendet sich sogar an Dante, um ihm seine Strafe zu erklären, verweist dabei auf seinen
    ebenfalls „im Gesicht vom Schopf zum Kinn gespaltenen“ Verwandten Ali und ersucht ihn, den abtrünnigen Priester Fra Dolcino, der bezichtigt wurde, eine Mätresse zu haben, und dessen Sekte die Weiber- und Gütergemeinschaft propagierte, vor den ihn dort erwartenden Höllenqualen zu warnen. Dabei dürfte dem Leser nicht entgangen sein, daß Dante eine
    Parallele sowohl zwischen Dolcinos und Mohammeds abscheulicher Sinnlichkeit als auch zwischen ihren theologischen Anmaßungen sah.
    Doch Dante hatte noch erheblich mehr über den Islam zu sagen.
    (…)
    Dantes poetische Darstellung des Islam zeugt davon, daß dieser und seine designierten Vertreter schematischer Imitationen, ja beinahe kausale Folgen der im Westen herrschenden geographischen, historischen und vor allem moralischen Auffassungen waren. Empirische Daten über den Orient und seine Teile fallen dabei kaum ins Gewicht; entscheidend ist allein die orientalistische Vision – keineswegs nur wissenschaftlicher Experten, sondern aller, die sich mit dem Orient befassen. Dantes dichterische Fähigkeiten prägen diese Orientperspektiven noch stärker aus und lassen sie als wahrhaft repräsentativ erscheinen. So nehmen Mohammed, Saladin, Averroes und Avicenna zugewiesene Plätze in einer visionären Kosmologie ein – werden fixiert, eingerahmt, eingesperrt, ausgestellt, ohne besondere
    Rücksicht auf etwas anderes als ihre „Aufgaben“ und Rollen in dem Drama, das man sie aufzuführen zwingt.
    (S. 84-87 Said, Orientalistik)
    Seines europäischen Publikums ebenso eingedenk wie der orientalischen Figuren, die er manipulierte, schreibt Fourier:
    „Man ernnert sich daran, welchen Eindruck die erstaunliche Nachricht, daß die Franzosen im Orient standen, auf ganz Europa macht. (…) Dieses große Projekt wurde im Stillen ersonnen, wurde so umsichtig und heimlich geplant, daß wir unsere besorgt wachsamen Feinde täuschen konnten. So erfuhren sie erst im Nachhinein, daß es erfolgreich vorbereitet,
    unternommen und ausgeführt worden war…“
    (…)
    „Napoleon wußte genau, welchen Einfluß dieser Vorgang auf das Verhältnis zwischen Europa, dem Orient und Afrika, auf die Mittelmehrschiffahrt und auf das Schicksal Asiens haben würde. (…) Er wollte dem Orient ein nützliches europäisches Beispiel anbieten und
    schließlich auch den Menschen dort das Leben angenehmer machen, indem er ihnen die Vorteile einer perfekten Zivilisation eröffnete.
    Doch nichts von alledem wäre möglich gewesen ohne die ständige Begleitung des Projekts durch die Künste und Wissenschaften.“
    Eine Region aus der jetzigen Barbarei wieder an ihre frühere Größe heranzuführen; den Orient (zu seinem eigenen Vorteil) in den Organisationsformen des modernen Westens zu unterweisen; militärische Macht in den Dienst zu stellen, um den ruhmvollen Wissenserwerb
    während der politischen Beherrschung des Orient zu verherrlichen; den Orient zu formen, ihn im vollen Bewußtsein seines Platzes in der Erinnerung, seiner Bedeutung für die imperialistische Strategie und seiner Rolle als ein „natürlicher“ Besitz Europas neu zu
    gestalten; das gesamte bei der kolonialen Expedition erlangte Wissen mit dem Titel „Beitrag zur modernen Wissenschaft“ zu würdigen, obgleich man die Einheimischen weder einbezogen noch anders behandelt hatte, als Prätexte für einen nicht ihnen selbst dienenden Text; sich als Herr über die Geschichte, Zeit und Geographie des Orients aufzuspielen; neue
    Fachgebiete und Disziplinen einzuführen; alles in Sicht (und außer Sicht) zu unterteilen, zu verwerten, zu schematisieren, einzuordnen, zu indizieren und aufzuzeichnen; alle beobachtbaren Einzelheiten zu verallgemeinern und aus jeder Abstraktion ein unumstößliches Gesetz über die Natur, das Temperament, die Mentalität, die Sitten und Bräuche des Orients
    abzuleiten; und vor allem die lebendige Wirklichkeit in Stoff für Texte umzuwandeln, die Wirklichkeit zu besitzen (oder dies zu glauben), nur weil nichts und niemand im Orient der eigenen Macht zu widerstehen scheint: Das sind die in der Discription de l`Egypte, einem Produkt von Napoleons vollends orientalistischer Vereinnahmung Ägyptens mit Hilfe der westlichen Wissenschaft und Macht, auf die Spitze getriebenen Merkmale seiner orientalistischen Projektion. Entsprechend beschließt Fourier sein Vorwort mit der
    Prophezeiung, die Geschichte werde nicht in Vergessenheit geraten lassen, daß „Ägypten die Bühne dieser außergewöhnlichen Darbietung und seines (Napoleons) Ruhmes war“
    (S.104/105)
    Das sind die groben Umrisse. Doch welche typischen Erfahrungen und Eindrücke gehen sowohl mit den wissenschaftlichen Fortschritten der Orientalistik als auch mit den von ihr unterstützten politischen Eroberungen einher? Zunächst kam die Enttäuschung darüber, daß der Orient nicht so war wie in den Büchern. Ende August 1843 schrieb Gerard de Naval an
    Theophile Gautier:
    „Ich habe bereits viele Reiche und Länder verloren, den schöneren Teil der Welt, und werde bald keine Zuflucht mehr für meine Träume finden. Doch am meisten bedaure ich, daß mir Ägypten aus der Phantasie abhanden kam und ich es jetzt traurig als bloße Erinnerung betrachten muß.“
    (S.121)
    Flaubert selbst hielt das alles für eine besondere Form des Grotesken. „Die ganze alte Komik“- worunter er altbekannte Topoi wie „den geprügelten Sklaven… den derben Zuhälter…und den diebischen Händler“ verstand- „ist hier sehr jung, sehr wahr und voller Reiz“. Sie lasse sich aber nicht nachahmen, man könne sie nur vor Ort genießen und nur sehr entfernt „wiedergeben“.
    (…)
    Auf diese Weise stellte sich der Orient als lebendiges Kuriositätenkabinett dar.
    (…)
    …; doch das ihm zugeschriebene Allgemeine, die nach der Begegnung empfundene Entzauberung, die unaufgelöste Exzentrik teilen sich allem mit, was man über ihn sagt und schreibt. Zum Beispiel galt der Islam bei den Orientalisten de späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts als etwas typisch Orientalisches, und Carl Becker argumentierte, obwohl der Islam (ganz generell) den Hellenismus beerbte, habe er mit der humanistischen Tradition Griechenlands nichts anfangen können; deshalb dürfe man ihn nicht als eine „eigenständige“ Religion auffassen, sondern als eine Art mißglückten Versuch des Orients, die griechische Philosophie zu assimilieren, ohne über die schöpferische Inspiration der europäischen
    Renaissance zu verfügen. Louis Massignon zufolge, dem vielleicht bekanntesten und einflußreichsten unter den modernen Orientalisten, beruhte der Islam auf der systematischen Zurückweisung der christlichen Inkarnationslehre, und sein größter Held sei nicht
    Mohammed oder Averroes gewesen, sondern Mansur al-Halladsch, der muslimische Heilige, den orthodoxe Muslime kreuzigten, weil er in Anspruch nahm, den Islam zu personifizieren.
    Weder Becker noch Massignon ging explizit auf die Exzentrik des Orients ein, doch beide erkannten sie ihn in dem Versuch, ihn im westlichen Sinne zu normalisieren, stillschweigend an. Mohammed sollte das Feld räumen, um Platz für eine Christusfigur wie al-Halladsch zu machen.
    (…)
    Mehrere Revolutionen, zwei Weltkriege und zahllose wirtschaftliche und soziopolitische Veränderungen hatten das Bild 1945 auf erschütternde Weise regelrecht
    durcheinandergewirbelt. Doch hinderte das Gibb nicht daran, seine Vorlesungen über „Modern Trends in Islam“ wie folgt zu eröffnen:
    „Wer sich mit der arabischen Zivilisation befaßt, stößt andauernd auf den augenfälligen Kontrast zwischen der Einbildungskraft zum Beidspiel bestimmter Sparten der arabischen Literatur und der phantasielosen, ja pedantischen Rezeption und Deutung der gleichen Werke.
    Zwar hat es unter den Muslimen große Philosophen gegeben und waren einige von ihnen Araber, jedoch nur als seltene Ausnahmen. Der arabische Geist vermag, ob gegenüber der Außenwelt oder den Denkprozessen, nicht die starke Neigung abzulegen, konkrete Ereignise als strikt getrennte und individuelle aufzufassen. Das verbirgt sich meiner Meinung nach als einer der Hauptfaktoren hinter dem „mangelnden Rechtsempfinden“, das Macdonald als den wesentlichsten Unterschied des Orientalen betrachtet.
    Das erklärt auch die -für (der Orientalistik unkundige) westliche Forscher so schwer begreifliche- Abneigung der Muslime gegen das rationale Denken…Dessen Zurückweisung und mit ihr die der zwangsläufig daraus resultierenden utilitaristischen Ethik haben ihre
    Wurzeln daher nicht im sogenannten „Obskurantismus“ der islamischen Theologie, sondern vielmehr in der atomistischen Zersplitterung der arabischen Phantasie selbst“
    (…)
    Achtzehn Jahre später sprach Gibb vor englischen Landsleuten, nun aber als Direktor des
    Center for Middle Eastern Studies der Harvard University. (…) Wie Gibb in „Modern Trends“ ganz dem traditionellen Ansatz verpflichtet blieb, so verkündete er nun den neuen, mit der guten Absicht, die westlichen Orient-Experten angemessen auf ihre Laufbahn „im öffentlichen Dienst und im Geschäftsleben“ vorzubereiten. Denn jetzt müßten traditionelle
    Orientalisten mit guten Sozialwissenschaftlern in „interdisziplinären“ Projekten zusammenarbeiten, doch nicht auf der Basis veralteter Annahmen: Nein, vielmehr sollte die Sachkunde jener dazu dienen, ihre in regionalwissenschaftlichen Studien unerfahrenen
    Kollegen daran zu erinnern, „daß es reines Walt Disney wäre, die psychologischen Mechanismen westlicher politischer Institutionen auf die asiatischen oder arabischen Verhältnisse anzuwenden“.
    In der Praxis hieß das auf den Kampf der Orientalen gegen die Kolonialherrschaft bezogen, daß man sich (um keinem Disneyismus aufzusitzen) fragen mußte, ob sie überhaupt in der Lage sind, den tieferen Sinn der Demokratie genauso zu verstehen wie „wir“. Wenn einige
    Orientalen gegen Rassendiskriminierung kämpfen, während andere sie praktizieren, sagt man trotzdem, unabhängig von Klasseninteressen, politischen Bedingungen und ökonomischen Faktoren: „Im Grunde sind sie alle Orientalen.“ Oder, mit Bernard Lewis, wenn
    palästinensische Araber gegen die israelische Besiedelung und Besetzung ihres Landes protestieren, das sei „lediglich die Rückkehr des Islam“, redspektive, wie ein bekannter zeitgenössischer Orientalist es kennzeichnet, islamische Opposition gegen nichtislamische Völker, ein im 7. Jahrhundert begründetes Prinzip des Islam. Geschichte, Politik und
    Ökonomie sdpielten dabei keine Rolle. Der Islam ist und bleibt der Islam, der Orient ist und bleibt der Orient, und bitte lassen Sie Ihre Phantasien über linke und rechte Gruppen, Revolutionen und Veränderungen da, wo sie hingehören, nämlich im Disneyland.“
    (S.125-129)
    (was bisher gesammelt war, heißt bis zum grippen ertipselt und jaja, der herr marx kommt auch noch, sobald dazu in der lage dann und ja, herr said hat viel verständnis für diesen jungen mann 😉 …ein „von“ zugunsten der marxschen kritik hätt der saidschen sammelei argen abbruch getan und ja, auch diese ist notwendig! und da grad so aktuell all das , schonmal erstes einkopier)
    @ 07.01.15

  54. 8. Juli 2016, 21:39 | #54

    Arian Schiffer-Nasserie hat mir jetzt geschrieben:

    „leider ist der Beitrag ja noch genau so aktuell wie im letzten Jahr. Vielleicht macht es ja Sinn, den Text noch mal in die Diskussion zu schmeißen?“

    In der Tat, es hat sich nicht ganz überraschend in den USA seitdem ja nichts Wesentliches geändert (hier übrigens auch nicht.)
    Hier eine PDF-Version des Artikels.

  55. Leser
    9. September 2020, 08:10 | #55

    Vorabdruck aus dem demnächst erscheinenden GS 3-20:
    Z.B. George Floyd: Vom Rassismus einer freiheitlichen, egalitären Staatsgewalt
    Die etablierte rassistische Sittlichkeit, die in polizeiliche und private Brutalität ausartet, hat ihren Ausgangspunkt und ihren Antrieb weder in einer biologischen Rassentheorie noch im moralischen Unvermögen, den Wert schwarzen Lebens zu erkennen, sondern in der politischen Moral, die Trump auf so ehrlich ergriffene Art zelebriert:
    in der Liebe zur amerikanischen Ordnung, zu der freien und gleichen Konkurrenzgesellschaft, die sie ordnet, und zum Volk, das diese Ordnung als seinen ‚way of life‘ lebt und liebt.
    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/vom-rassismus-einer-freiheitlichen-egalitaeren-staatsgewalt

  56. Krim
    10. September 2020, 00:17 | #56

    „Ihren Protest gegen diesen Umstand erheben die Demonstrierenden in der Gewissheit,“ Nicht Demonstranten? Unterwirft sich der GSP neuerdings der feministischen Sprachhygiene?

  57. Leser
    10. September 2020, 07:23 | #57

    Manche Beiträge sind ja m.E. eher merkwürdig, vor allem von solchen DemonstrantInnen. Aber Hauptsache: etwas Wichtiges gepostet zur Sprachhygiene. Qed!
    Übrigens hat ein gewisser Krim im Mai 2015 „daß“ mit zwei „ss“ geschrieben. So was geht schon mal gar nicht…

  58. Krim
    10. September 2020, 10:57 | #58

    Bist du Österreicher oder soll das ironisch sein. Ich halte es schon für wichtig, ob man der blöden feministischen Sprachkritik Recht gibt oder nicht. Und was willst du denn bewiesen haben mit welchem Argument? „merkwürdig“ ist jedenfalls keines.

  59. Leser
    19. Oktober 2020, 18:58 | #59

    a) PROTOKOLL zum Jour fixe vom 29.09.2020 –
    Z.B. George Floyd – Vom Rassismus einer freiheitlichen, egalitären Staatsgewalt (GS 3-20)
    https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf200929-rassismus_usa.pdf

    b) PROTOKOLL zum Jour fixe vom 12.10.2020 –
    1. Z.B. George Floyd – Vom Rassismus einer freiheitlichen, egalitären Staatsgewalt (Fortsetzung der Diskussion) und
    2. Macrons Ansage: Die Nato ist „hirntod“ (GS 3-20)
    https://de.gegenstandpunkt.com/sites/default/files/jf-protokolle/jf201012-rassismususa-fortsetzung-macron.pdf

    Dieses Jourfixe-Protokoll bezieht sich auf die folgenden Artikel:
    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/vom-rassismus-einer-freiheitlichen-egalitaeren-staatsgewalt
    https://de.gegenstandpunkt.com/artikel/macrons-ansage-nato-ist-hirntot
    – und davon eine frei verfügbare Version ist diese:
    https://www.jungewelt.de/artikel/386336.frankreich-hirntote-nato.html?sstr=Wentzke

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