Bei NestorMachno wird gerade der Artikel „Randale in Hamburg“ aus der Chronik des Heftes 4-2017 des GegenStandpunkt diskutiert. Beim Rumsurfen bin ich auf einen schon etwas älteren Artikel von Rüdiger Mats gestoßen, der 2013 seine Überlegungen zu den Blockupy-Protesten, bzw. übers den Stellenwert des Demonstrierens für Kommunisten im Allgemeinen veröffentlicht hatte. Seine grundsätzlichen ernüchternden Einwände halte ich auch jetzt noch für wichtig.
Aufruhr im Gemüsebeet
Mai 2013: 20000 Leute ziehen trötend und skandierend durch die Frankfurter Innenstadt und haben offensichtlich ihren Spaß. Am Flughafen findet eine Aktion gegen die herrschende Flüchtlingspolitik statt, eine Blockade der EZB klappt so halb. 1.000 Leute werden später unter fadenscheinigen Vorwänden für viele Stunden gekesselt und erkennungsdienstlich behandelt, in der linksbürgerlichen Öffentlichkeit gilt das anschließend für 48 Stunden als Skandal. Das …ums Ganze!-Bündnis hält ’nen Redebeitrag und organisiert ein paar kapitalismuskritische Begleitveranstaltungen, die man hinterher auf Youtube angucken kann. Und welche Bilanz ziehen die Veranstalter? „Blockupy 2013 war ein Erfolg!“ schreiben sie auf blockupy-frankfurt.org. Wirklich verwundern kann das nicht, denn wie hätte ein Misserfolg auch aussehen sollen? Aber hat uns das Event eigentlich dem Kommunismus näher gebracht?
So gestellt ist die Frage selbstverständlich unsinnig. Revolution, die Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft, ist nur als Folge einer Reihe sehr, sehr kleiner Schritte vorstellbar – und warum sollte eine Intervention von Ums Ganze in einen Protest gegen die herrschende Finanz- und Sozialpolitik nicht einer dieser Schritte sein?
Ein mögliches Argument gegen eine solche Intervention sei vorweg schon mal abgewiesen: Wenn sich irgendetwas gesellschaftlich bewegt, größere Proteste stattfinden, Streiks, was auch immer, dann muss man davon ausgehen, dass daran nicht nur kluge und nette Leute beteiligt sind – so viele gibt es davon nämlich nicht. Bei solchen Protesten werden deshalb bis auf weiteres immer auch krude Vorstellungen anzutreffen sein, nationalistische sowieso, antisemitische oft auch. Linksradikale, die allein wegen des Vorhandenseins solchen Mists von einer Intervention ihren Ruf beschmutzt oder ihr antideutsches Gewissen gepeinigt sehen, haben offensichtlich vor allem ihr Ego im Sinn, aber nicht die Herstellung menschenwürdiger Verhältnisse. Es gibt zwar Proteste, die wegen der in ihnen dominierenden Positionen gar kein sinnvolles Feld für eine emanzipative Intervention darstellen. Das sollte die radikale Linke aber strategisch diskutieren, nicht moralisch.
Wenn der genannte Vorbehalt gegen eine Beteiligung an dieser Art von Globalisierungs- oder Sozialprotest nicht überzeugt, wird daraus aber noch nicht zwingend ein Argument für eine Intervention. Dazu müsste die Frage beantwortet werden, was eine Intervention bezwecken soll, ob nun bei Blockupy oder woanders. Was bewirkt sie bei den anderen, was bei uns selbst? Also: Was genau wollen wir da? Dazu im Folgenden einige Überlegungen.
„Ich möchte Teil einer Alternativregierung sein!“
Demonstrationen (und mehr ist auch der Blockupy-Protest ja nicht wirklich) haben einen direkten Zweck, ein Motto, eine Botschaft. Sie wollen eine Position bekannt machen oder Druck auf die Regierenden ausüben. Sind sie Teil eines Krisenprotestes, dann wird in der Regel Verarmung skandalisiert und eine andere Wirtschaftspolitik gefordert. Eine solche Forderung hat immer Anteile eines Appells an den Staat, des Appells, Politik anders zu machen. Dabei ist unter Appell nicht nur zu verstehen, wenn die Regierung direkt aufgefordert wird etwas zu tun. Entscheidend ist die „praktische“ Perspektive unter Akzeptanz herrschender Bedingungen: Sobald sich der Protest in erster Linie gegen konkrete Maßnahmen des Staates richtet, gegen ein Gesetzespaket oder ein Spardiktat der Troika aus EU-Institutionen und IWF z.B., dann wird damit nahegelegt, diese Akteure hätten genauso gut menschenfreundlichere politische Entscheidungen treffen können. Das aber macht die Kritik zahmer als sie sein müsste.
Appellpolitik hat ja durchaus manchmal Erfolg. In der Regel dann, wenn man ein Interesse vertritt, das sich der Staat grundsätzlich zu eigen machen kann – bei Stuttgart 21 standen die Chancen dafür nicht schlecht, bei Umweltschutzfragen hat das gelegentlich schon geklappt. Am größten sind die Erfolgsaussichten, wenn gesellschaftlich ein Kräftegleichgewicht herrscht, bei dem Massenproteste das Gewicht der einen Seite vergrößern können und/oder sich die gesellschaftlichen Interessenkonstellationen wandeln und eine Demo hier beschleunigend wirkt. Ein Beispiel ist die Antiatomkraftbewegung, deren 100.000-Leute-Demos in Wackersdorf 1981 zwar noch niedergeknüppelt wurden, aber als Teil eines gesellschaftlichen Stimmungsumschwunges dazu beitrugen, dass nach 1982 kein Atomkraftwerk-Neubau mehr begonnen wurde. Andererseits: Die 300.000-Leute-Demo 1983 in Bonn gegen den NATO-Doppelbeschluss, die größte Demo in der BRD bis zur Vereinigung, konnte die Stationierung von Atomraketen in der BRD nicht verhindern: Alle wirklich mächtigen gesellschaftlichen Akteure waren sich in dem Interesse einig, den Realsozialismus militärisch nieder zu konkurrieren.
Appellpolitik ist aus kommunistischer Perspektive immer fragwürdig. Ein zentraler Bestandteil der herrschenden Ideologie ist die Identifikation mit erzwungenen Kollektiven wie Staat oder Nation, also dass „Wir“ gedacht wird, wenn man Deutschland oder die EU meint. Jeder Appell, und mag er noch so radikal scheinen, bestärkt diese Position: An wen appelliert wird, der wird immer ein wenig als ein Teil der eigenen Seite behandelt – und das ist das Gegenteil von dem, was Kommunisten wollen sollten. Wenn der Appell radikaler ausfällt – im Sinne der Strategie, erstmal etwas Wünschenswertes aber Unrealistisches zu fordern, um dann die Verhältnisse zu entlarven, die seine Umsetzung verhindern – kommt noch ein Glaubwürdigkeitsdilemma hinzu: Man mobilisiert Leute für eine Forderung, die man eigentlich gar nicht ernst meint.
Dass sich Momente von Appell in jedem linken Großevent finden, ist kein Zufall. Mit der Aufforderung etwas Bestimmtes NICHT zu tun, Sozialkürzungen nicht zu beschließen, Leute nicht zu entlassen, scheint der Protest „praktischer“ zu sein, sein Ziel erreichbarer, als es die Vorstellung einer anderen Gesellschaft ist – gerade das macht die Teilnahme für viele Leute attraktiv. Daraus ergibt sich die strategische Schwierigkeit, dass oft gerade die Proteste attraktiv sind, die aus kommunistischer Perspektive die Verhältnisse beschönigen.
„Aber wir schaffen Öffentlichkeit… tun wir doch, oder?“
Wenn schon die direkte Auswirkung z.B. einer Großdemo auf politische Entscheidungen minimal und das Ensemble der dort vertretenen Forderungen in guten Teilen reformistisch-peinlich ist, dann könne doch, so die Hoffnung von Interventions-Befürwortern, das Spektakel, auf das man Einfluss nehmen will, „Öffentlichkeit“ schaffen, den „Diskurs“ in Deutschland beeinflussen, oder doch wenigstens den irgendeiner Szene.
Doch dieser Diskurs ist eine Fiktion. Oder, genauer gesagt: Dieser Diskurs ist diskontinuierlich, zeitlich begrenzt und in seiner Tiefenwirkung bezogen auf Ideologievermittlung und Subjektherausbildung minimal. Wenn UG-Genossen mit Stolz verkünden, die meisten Pressemitteilungen zu Blockupy 2012 seien von ihnen geschrieben worden, sollte man deshalb misstrauisch werden.
Pressemitteilungen bedeuten, dass man kurz und knapp eine eigene Interpretation eines politischen Ereignisses formuliert, wovon im seltenen Glücksfall Bruchstücke den Weg in bürgerliche Medien finden. Diese Bruchstücke werden in diesen Medien dann vermischt mit Beschreibungen wie den folgenden :
„Es gibt feministische Gruppen, Dritte-Welt-Gruppen, Schwulenverbände, Anti-Genfood-Organisationen, „Gewerkschafter gegen Stuttgart 21“ und ein halbes Dutzend junger Frauen, die sich „feministische Banker gegen den Kapitalismus“ nennen. […] ‚Italien wird von einem Euro-Technokraten regiert, nicht von einem Politiker‘, sagt ein Student aus Genua. ‚Das sagt doch alles.’“ [Der Spiegel, 19.5. 2012]
„Bunt war die Szenerie gewesen, so bunt, dass sie politisch fast oftmals beliebig wirkte: Linkspartei- und DGB-Fahnen waren ebenso zu sehen wie die der Fluglärmgegner und die des syrischen Staates.“ [Fr, 02.06. 2013]
Welche Chance auf Aufmerksamkeit eines nicht schon linksradikalen Lesers haben in so einem Darstellungsumfeld die in die Medien gelangten Spuren unserer Pressemitteilungen? Keine. Und in gewissem Sinne auch zu Recht, denn oft geben die bunten Schilderungen politischer Skurrilitäten die Protestrealität ja ganz zutreffend wieder.
Im Unterschied zu 2012 waren die Meldungen der Mainstream-Medien in diesem Jahr so vom repressiven Polizeieinsatz geprägt, dass Inhalte ohnehin fast gar nicht vorkamen, weswegen einer Eingemeindung ins abstrakt Gute nichts entgegen stand. So Jakob Augstein in seiner Spiegel-Online-Kolumne: „Die Polizei knüppelt den bürgerlichen [!] Protest nieder.“ (03.06.2013)
Das wesentliche Problem im Konzept der Diskursbeeinflussung: Nicht ein irgendwie offener Diskurs beeinflusst die herrschende Ideologie, sondern was in den Diskurs gelangt, was also in den Medien wiedergegeben, öffentlich diskutiert und von einer größeren Zahl von Leuten wirklich wahrgenommen wird, ist notwendig beschränkt. Nicht nur von den ökonomischen Interessen z.B. der Medieneigner, sondern auch von den ideologischen Weltsichten der Mediennutzer: Leute lernen nicht dadurch ihre falschen Gewissheiten infrage zu stellen, dass man in zwanzig Zeilen mal kurz was aufschreibt und es ihnen dann, bearbeitet durch eine Redaktion, in der Zeitung zum Frühstücksbutterhörnchen serviert. Auf diesem Weg kann man für Alternativen innerhalb des bürgerlichen Politikverständnisses werben, nicht aber für eine grundsätzliche Alternative. Für das Ego von Linken, die „politische Player“ sein wollen, ist das marginale Wahrgenommenwerden in den bürgerlichen Medien deshalb vielleicht eine tolle Sache. Für die Agitation der radikalen Linken sind Spiegel und FAZ – zumindest derzeit – völlig bedeutungslos und keine durchtippte Nacht wert.
Die Leute da abholen…
„Aber“, werden überzeugte Interventionisten jetzt einwenden, „diese Art von Öffentlichkeit von der du da redest ist doch nicht das Entscheidende. Es geht um die Leute, die sich schon als Teil des Sozialprotestes sehen, deren Forderungen zu kurz greifen. Da müssen wir mit den richtigen Argumenten intervenieren, um die Leute zu radikalisieren!“
Dagegen kann, wenn es denn funktioniert, kaum jemand etwas haben. Nur müsste hier strategisch mal konkret gesagt werden, was man bei wem genau wie genau erreichen will und kann.
Justin Monday hat in der Phase 2[1] schon darauf hingewiesen, dass es in den Krisenprotesten einen regressiven Stream gibt, der unseren Positionen gar nicht näher ist als die staatliche Praxis. Eine ähnliche Beobachtung konnte man auch schon bei den Hartz-IV-Protesten mit ihren sozialchauvinistischen Untertönen machen. Was genau macht die Leute auf entsprechenden Protestdemos dann zu „Genossen, die sich irren?“ Sind sie tatsächlich ein „natürlicher Adressat“, der jeden Einsatz von Ressourcen überlasteter linksradikaler Kleingruppen verdient? Wer die D-Mark zurückhaben will, wird sich bis auf weiteres von uns nur schwer überzeugen lassen. Zwar ist auch eine solche Auffassung nicht angeboren und prinzipiell veränderbar – als Ort und Motor einer solchen Veränderung ist aber gerade ein Großevent, und sei es noch so brav flankiert von solidarisch-kritischen Vortragsveranstaltungen der radikalen Linken, wenig geeignet. Er ist viel zu weit weg vom bürgerlichen Alltag, der den Chauvinisten jeden Tag in seinen Auffassungen bestärkt.
Oder geht es beim „Leute Abholen“ eher um eine Art Idealadressaten, Leute die (noch) nicht organisiert sind, die vielleicht mit 14 ’ne Attac-Gruppe gegründet haben, aber jetzt drüber weg sind, die Kapitalismus scheiße finden (auch wenn sie vielleicht noch nicht genau wissen, was das ist), und die auch gegen Antisemitismus sind und gegen Staat (irgendwie) und gegen Rassismus und Sexismus… und die insgeheim auf etwas analytische Ordnung in diesem linken Grundgerüst hoffen – also auf uns?
Ihr Anteil dürfte bei Blockupy nicht viel größer sein als bei einer 1.Mai-Demo des DGB. Ein Großteil der Teilnehmer besteht hier allerdings nicht aus Gewerkschaftern in Popeline-Jacken, sondern aus Bewegungslinken, die ihr Selbstwertgefühl gerade daraus ziehen, dass sie etwas tun – anstatt nur zu reden, beispielsweise. Gerade deshalb sind sie auch bisher nicht bei uns gelandet: Es gehört zu ihrem Selbstbild, dass es sehr wohl ein „richtiges Leben im Falschen“ gibt, nämlich das des Aktivisten. Die Macht der Verhältnisse zu unterschätzen und sich selbst zu überschätzen gehört notwendig dazu:
„Machen wir deutlich, dass wir nicht weiter zulassen werden, dass die Krise auf den Rücken von abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Pensionierten, Prekären, Studierenden, Flüchtlingen und vielen anderen Betroffenen abgeladen wird, weder anderswo, noch hier.“ [Aufruf Blockupy Frankfurt, 2012]
„…Dass wir es nicht zulassen werden…“?? Schön wär`s gewesen, aber irgendwie haben wir’s ja, muss man rückblickend sagen, dann doch zugelassen, gelle?… Diese Mischung aus einfach mal draufloslabern und die eigenen Kräfte überschätzen gründet nicht nur auf Irrtümern über diese Gesellschaft, sondern auf dem Bedürfnis, sich immer als handelnd zu erleben. Bauchlinke, die so etwas gut finden, sind ungefähr genauso schwer vom langen Weg zur Revolution zu überzeugen wie die D-Mark-Liebhaber. Vor allem wer schon viel an Zeit und Kraft in dieser Richtung investiert hat empfindet die notwendige Kritik linksradikaler Prinzipienreiter an solcher Scheinpraxis als Beschädigung seiner selbst.
Warum eigentlich solche Leute ausgerechnet auf Großveranstaltungen gewinnen wollen, deren inhaltliche und äußere Struktur wir nicht selbst setzen? Mit einer Interventionspolitik, die die Szenegebundenheit der radikalen Linken verstärkt, weil die Aktionsformen auf das übliche junge, im weiteren Sinne alternative, akademisch geprägte Milieu konzentriert bleiben? Was aber angesichts des scheinbar „großen Dings“ das da gedreht wird, mit diesen irre vielen Leuten im öffentlichen Raum, gar nicht als Begrenztheit auffällt, deshalb auch nicht schmerzt –und deshalb auch nicht geändert wird?
„Willst du also lieber `nen Lesezirkel gründen?“
Nein, das dann doch nicht. Kommunist sein setzt ja mehr voraus als die begriffliche Kenntnis von den Verhältnissen: Zumindest einen Rest von Subjektsein nämlich – und das hat Erfahrungen zur Voraussetzung, die dieses Nicht-Kleingemachte am Leben erhalten.
Insofern ist „Praxis“ ein wichtiger Bestandteil kommunistischer Arbeit. Weniger, weil die radikale Linke in absehbarer Zeit gesamtgesellschaftlich „praktisch“ etwas zum Besseren verändern könnte – dafür sind wir zu sehr marginalisiert. Doch wir brauchen die Erfahrung, mit anderen nach unseren eigenen Grundsätzen kooperieren zu können, nicht vermittelt über direkten Zwang oder den Markt, sondern gegründet auf Überzeugung. Diese Erfahrung widerspricht der herrschenden Ideologie, dass der Mensch dem Menschen immer ein Wolf sei, und dass es des Geldes oder staatlicher Gewalt bedürfe, damit so etwas wie Kooperation und letztlich Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Zu wissen, dass diese Ideologie unwahr ist, ist das eine, es zu merken etwas anderes.
Deshalb hat das in der radikalen Linken verbreitete Bauchgefühl, dass „Praxis“ grundsätzlich etwas Gutes ist, und zwar nicht nur wegen ihrer Wirkung nach außen, ein Argument auf seiner Seite: Emanzipative Erfahrungen setzen ein gemeinsames Tun voraus, also etwas ganz anderes als das bloße Nach-Denken inhaltlicher Positionen in Lesezirkeln. Aber es kommt natürlich auf das „Wie“ der Praxis an – gerade wenn es um die Auswirkung der Praxis auf die radikale Linke selbst geht, auf die Leute, die die linksradikale Praxis tragen.
Was die großen Events selbst angeht, also Großdemos, Blockaden usw., so wird hier das Gefühl von Praxis vermittelt, weil das Ereignis selbst schlicht anders ist als der Alltag. Wenn unser Ziel aber (um mal ein ganz großes Fass auf zumachen) eine freie Assoziation ist, dann käme es auf eine Praxis an, die uns auf dieses Ziel vorbereitet: Zwecke festlegen und gemeinsam realisieren können, Einheit von theoretischer Arbeit und Reproduktion, aushandeln üben von Interessengegensätzen zwischen Menschen, deren Interessen erstmal alle gleich gelten. Mit Kumpels aus der Kleingruppe und dazu noch drei Dutzend Leuten, die man nicht kennt, im Bus durch die Republik fahren, dann drei Stunden auf einer Demo mitschlurfen und dann wieder in den Bus retour liefert in dieser Hinsicht keine Erfahrung, die einen wirklich weiterbringt.
Viel wichtiger als das Event selbst könnte im Sinne emanzipativer Erfahrungen die Vorbereitung der Aktion sein: Auch das ist politische Praxis – die immerhin das sichtbare Ergebnis hat, dass viele Tausend Leute irgendwo in Deutschland durch eine Stadt laufen. Ob sie das dann mit mäßigen Parolen tun (siehe oben) müsste ja gar nicht entscheidend sein. Allerdings sollte dafür wenigstens die Vorbereitungspraxis unseren politischen Zielen entsprechen.
Doch das tut auch sie nicht. Interventionismus findet unter Zeitdruck statt. Der begeisterte Interventionist geht in der Regel davon aus, dass die Proteste „diesmal aber wirlich“ alles ganz anders machen werden – jedenfalls dann, wenn er sofort aktiv wird. Eile scheint deshalb immer geboten zu sein. Das bekommt dann die konkrete Form, dass z.B. eine andere Gruppe, die im Bündnis aktiv ist, eine Textvorlage liefert, die innerhalb von drei Tagen diskutiert oder umgeschrieben werden muss, und die Frau von dieser Zeitung – oder war`s ein freier Mitarbeiter? – sich kurzfristig für ein Gespräch angesagt hat, das natürlich nur ein erfahrener Genosse führen kann. Wichtige Formen der Interventionspolitik sind deshalb: möglichst gewiefte Delegierte zu Presseterminen und in Bündnisplena schicken, wo sie dann Aufruftexte durchkauen, bis sie auch von politischen Gegnern nicht mehr schlimm gefunden werden. Was eh schon ein Problem unserer Arbeit ist, wird hier nochmal konzentriert: ein Politikstil, bei dem die Macker wichtiger werden.
„Und was ist jetzt mit Blockupy?“
Es spricht also eine ganze Menge gegen die Intervention in krisen- oder globalisierungskritische Proteste. Trotzdem muss man es nicht von vornherein schlimm finden, wenn Linksradikale z.B. bei Blockupy mit kapitalismus- und staatskritischen Positionen zu intervenieren versuchen. Es mag z.B. in Frankfurt strategische Gründe geben, sich in entsprechenden lokalen Bündnissen zu positionieren. Es mag sein, dass es Gruppen gelingt, eine flankierende Aktion so vorzubereiten, dass es die Gruppe selbst weiterbringt. Vielleicht will jemand seine Argumente mal an anderen Adressaten ausprobieren, vielleicht haben auch einfach Leute Bock auf den Trubel, vielleicht wollen sie’s als Gaudi wenigstens einmal im Jahr als Störenfriede ins „Heute Journal“ schaffen – das ist alles nicht verwerflich, nur halt viel profaner als das Gerede vom „gesellschaftliche Widersprüche offenlegen“ im „Herzen der Bestie“ und der ganze pseudostrategische Kram, den man bei solchen Events in der Regel lesen muss.
Wirklich falsch im Sinne von politisch schädlich wird es allerdings dann, wenn „Kosten“ und „Nutzen“ nicht ernsthaft gegeneinander abgewogen werden, also der (eng begrenzte) mögliche politische Erfolg auf der einen Seite und der dafür notwendige Aufwand sowie die strategischen Probleme auf der anderen.
Es geht beim Aufwand ja nicht nur um drei Stunden Demo und fünf Stunden Fahrt. Es geht um die Stunden Diskussion in den einzelnen Gruppen, um Bündnisplena, um Orgakram, um das Formulieren langer Texte, die acht Wochen später schon niemanden mehr interessieren.
Es geht auch immer um das, was man in dieser Zeit und mit dieser Kraft sonst politisch hätte unternehmen können – und was nicht stattfindet, weil das nächste Event scheinbar immer der dringendste ist. Es reicht z.B. als Zielvorstellung nicht aus, mit einem großen Aufwand zwei Dutzend heimatlose linke Seelen auf einem antikapitalistischen Barrio einfangen zu wollen, wenn dadurch Zeit und Kraft fehlen, sich um die mindestens 15% jährlichen „Schwund“ in der eigenen Organisation zu kümmern, um die Leute, die aus biografischen, Frustrations- oder sonstigen Gründen der radikalen Linken den Rücken kehren.
Mobilisierung ist nicht mal die halbe Miete
Die Bedingungen für eine sinnvolle Intervention z.B. in Blockupy sind aus den dargestellten Gründen nicht sonderlich gut, trotzdem mag eine konkrete Analyse (die man dafür allerdings anstellen müsste) ergeben, dass eine Intervention in einer bestimmten Situation politische Möglichkeiten bietet. Um die zu nutzen, müssten wir aber ein paar Anforderungen erfüllen – eigentlich selbstverständliche Anforderungen:
– Ums Ganze muss frühzeitig reflektieren, welcher inhaltliche Preis für die Intervention zu zahlen ist bzw. wo hier Grenzen des Akzeptablen sind. Das bezieht sich sowohl auf die ideologische Submessage des Gesamtevents (z.B. auf Appellanteile) als auch auf die Verwässerung eigener Positionen in der Bündnisarbeit. Dafür reicht es nicht aus, sich vorzunehmen, einem „antikapitalistischen Standpunkt“ Gehör zu verschaffen. Etwas mehr sollte es schon sein. Reflexion hieße hier z.B. schon im Vorfeld Differenzen mit unseren Bündnispartnern (die ja meist de facto längerfristig feststehen) herauszuarbeiten. Schon vor den hektischen Situationen in Bündnisplena müssen wir die Positionen der anderen Organisationen bezogen auf das Eventthema identifizieren, schauen, wo sie von unseren abweichen und eine mögliche Kompromisslinie finden, die wir politisch noch für sinnvoll halten.
– Über die Bündnispartner hinaus müssen wir zentrale in unseren Zielgruppen vorherrschende Vorstellungen herausarbeiten – solche, die wir bestärken und zuspitzen wollen und solche, die kritisiert gehören. In der Regel sind bei Großevents z.B. viele Leute dabei, mit denen wir uns eigentlich gerne organisieren würden, die aber vor Ort sind, weil sie z.B. den Staat zu einer anderen Krisenpolitik bewegen wollen. Sie teilen gerade die radikale, systemkritische Grundlage unserer Kritik gar nicht. Das strategische Problem, solche Leute zugleich mobilisieren und kritisieren zu wollen, müssen wir ernst nehmen. Dieser inhaltliche Teil der Intervention muss von vornherein Teil des strategischen Plans sein und nicht nachträgliche Kosmetik für Entscheidungen, die längst getroffen wurden nach Kriterien des Mobilisierungserfolgs. Bevor jetzt alle nicken: Das kostet Zeit, die es bei unseren bisherigen Kapazitäten unmöglich macht, die Vorbereitung einer Intervention in wenigen Monaten zu stemmen.
– Als Resultat müsste es wenigstens in Ansätzen ein strategisches Briefing unserer Referenten geben und ein strategisches Konzept für schriftliches Material. Und wenn es das vollkaskomäßig überzeugende Flugblatt nicht gibt, sondern eher der längerfristige Diskussionszusammenhang entscheidet, dann müssen Leute von uns vor Ort erkennbar und ansprechbar sein – und idealerweise eine Vorstellung davon haben, was sie z.B. mit jemandem aus der Oberpfalz machen, der zu keiner Gruppe gehört, aber Interesse an einer weiterführenden Diskussion hat. Die schlichteste Variante wäre, dass wir uns vor dem Event Gedanken über eine kleine Seminarreihe machen, zu der wir Interessierte einladen können.
– Und schließlich: Es muss sowohl in unseren Gruppen als auch im Bündnis reflektiert werden, was die Intervention und ihre Vorbereitung mit unserer eigenen Organisation, mit den Gruppen, mit unseren Leuten macht. Werden sie belastet und müssen hinterher auf Kur? Oder haben sie vor allem Spaß? Haben sie Erfahrungen gemacht, für die sich der Stress gelohnt hat? Ziel muss es sein, dass in der Vorbereitung Arbeits- und Kommunikationsformen ausprobiert werden, die sich von einem Schützenverein oder einem Kirchenvorstand wesentlich unterscheiden. Auch das steht der bisherigen Praxis entgegen, alles dem Ziel der maximalen Mobilisierung unterzuordnen.
Diese Kriterien bedeuten nicht viel mehr, als dass sich Ums Ganze auch in einer Event-Intervention selbst ernst nehmen muss. Stattdessen wurde in der Vergangenheit der Schluss, „Natürlich müssen wir da hin!“ oft so schnell gezogen wie Hundies Speichelfaden vorm Fressnapf – das jeweilige Megaevent war einfach so geil, dass sich scheinbar jede strategische Frage erübrigte. Auf diese Weise aber werden selbst die paar Ansatzpunkte, die sich in einer eventorientierten Politik hie und da bieten, vertan.