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Archiv für die Kategorie ‘(3) Fundstellen’

Disput mit Georg Klauda bei Facebook zu Butcha

23. April 2022 3 Kommentare

Georg Klauda:
„Ich halte von Scott Ritter nicht allzu viel. Er hat sich im Irakkrieg Verdienste erworben, als er als UN-Waffeninspekteur die Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen aufdeckte. Dafür wurde er sozial dermaßen abgestraft, dass er sich aktuell zu einem ziemlich unverhohlenen Mouthpiece der russischen Regierung entwickelt hat. Trotzdem wirft er hier und da ein paar Fragen auf, die ich auch gern beantwortet hätte. Wenn z.B. deutsche Medien, ohne sich historisch zu genieren, allen Ernstes von einem „russischen Vernichtungskrieg“ in der Ukraine schwadronieren, dann würde ich gern wissen: Hat es eigentlich jemals in einer der zahlreichen von den USA angeführten oder vom Westen unterstützten Invasionen, etwa dem Irakkrieg oder jüngst dem Jemenkrieg, den Versuch gegeben, die Zivilbevölkerung vorher aus der Kampfzone zu evakuieren? Oder war das Motto da nicht immer: „Fire away!“? Kann sich irgendjemand an „Flüchtlingskorridore“ in diesen Auseinandersetzungen erinnern? Leute, die mit Bussen und Zügen zu Millionen in Sicherheit gebracht wurden? Oder war‘s da nicht vielmehr so, dass wir Kriegsflüchtlinge möglichst zu verhindern versuchten oder Leute sogar in Kriegsgebiete abgeschoben haben, was den extrem hohen Blutzoll in diesen „prodemokratischen“ Kriegen erklärt? Das ist eine Frage, die ich mir ernsthaft stelle, und das ohne die Kriegsverbrechen der russischen Seite oder die russische Kriegsschuld insgesamt in irgendeiner Weise relativieren zu wollen. PS: Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense, der unzählige Male widerlegt wurde, und hier zeigt sich halt der spiegelverkehrt propagandistische Charakter seines Vortrags.“

Neoprene:
„“Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense, der unzählige Male widerlegt wurde.“
Was sind denn da die besten Seiten, um sich darüber zu informieren?“

Georg Klauda:
„Z.B. https://apnews.com/article/fact-checking-847134637960 – Aber ich hab da ehrlich gesagt wenig Lust auf eine Diskussion. Ich vertraue westlichen Medien deutlich mehr, was die reinen Fakten betrifft. Das hat einfach was mit ihrer Unabhängigkeit und ihrem journalistischen Ethos zu tun, das ich für einigermaßen intakt halte. Worin ich ihnen misstraue, ist die Art der ideologischen Präsentation und historischen Kontextualisierung.“

Neoprene:
„“Ich vertraue westlichen Medien deutlich mehr, was die reinen Fakten betrifft. Das hat einfach was mit ihrer Unabhängigkeit und ihrem journalistischen Ethos zu tun, das ich für einigermaßen intakt halte.“
Bei mir genau andersrum: Selbst bei den Fakten kann ich nicht mehr erkennen, was ermittelt, was nur nachgeplappert, was überprüft und was nur behauptet wird.
Und bei all den Kriegshetzern und WWIII-Fans noch irgendein „Ethos“ zu erkennen fällt mir genauso schwer wie bei Baerbock oder Hofreiter um nur die NATO-Speerspitzen des Unfaßbaren anzuführen.“

Georg Klauda:
„Da sind aber auch Menschenrechtsorganisationen sowie Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs am Werk. Das setzt einfach die Konstruktion einer derart riesigen Verschwörung voraus, in die unzählige voneinander unabhängige Institutionen verwickelt sein müssten, dass ich das einfach nicht für glaubhaft halte. Darüber hinaus lügen russische Staatsmedien wirklich so dreist, dass ich denen wirklich gar nichts abnehme.
PS: Ich wollte eigentlich das hier verlinken, weil es konkreter auf Scott Ritters Behauptungen zu Bucha eingeht, hatte es nur nicht gleich gefunden: https://faktencheck.afp.com/doc.afp.com.32878AY“

Neoprene:
„Jetzt zu deinem Paradebeispiel von AP für deren tolles Ethos:
Zum umstrittenen Video: Ist dir gar nicht aufgefallen, daß es verdammt wenig Videos oder Photos aus dieser schließlich nicht ganz kleinen Stadt gegeben hat, die man hier oder anderswo sehen durfte? Da sollen unbedarfte Zivilisten ahnungslos in ihren Tod geradelt sein (gibt es als Video einer Drohne) aber buchstäblich niemand hat in all den Wochen der Kämpfe um die Stadt bis zur Wiederinbesitznahme durch ukrainische Truppen, Geheimdienste und Polizei irgendwas von Belang aufgenommen und gepostet? Nach jedem Pokalspiel im Fußball kann man da bei den sozialen Medien mehr finden als hier zu einem ungeheuerlichen Verbrechen. Die Menschen sollen schließlich die ganze Zeit Strom und Smartphones und Internet-Zugang gehabt haben, das war doch nicht Mariupol.
Ja, das sind Tote auf den Straßen gelegen, keine Komparsen oder Puppen. Die Leichen, deren Photos ich gesehen habe, waren erst ganz kurz umgebracht worden (z.B. der ältere Mann, der als Leiche noch geschändet wurde und in einen Gully geworfen wurde und mit einem Gurtband als Verräter gekennzeichnet wurde). AP behauptet unter Verweis auf die berüchtigten Maxar-Bilder, daß die schon seit Wochen dort gelegen hätten, also per definitionem von Russen ermordet worden seien. Das paßt schon mal nicht zusammen. Dann wurden bei mehreren Ermordeten Symbole des Landesverrats gefunden, weiße Armbinden oder russische Versorgungspäckchen. Da klingt für mich Ritters Vermutung, daß diese Menschen einer Jagd durch die Geheimpolizisten und andere ukrainische Polizei oder Armeeeinheiten auf alle Saboteure, Verräter und Kollaborateure gewesen sind mehr Sinn. Warum sollten eigentlich die abziehenden Truppen die Leichen so theatralisch auf der einen Straße abgelegt haben, als wenn die einen Antikriegsfilm hätten drehen wollen?
Warum gibt es eigentlich keine ordentlichen forensischen Aufnahmen der Leichen? Warum wurden die nach der Wiederinbesitznahme der Stadt durch ukrainische Behörden und Streitkräfte so wie alle anderen Leichen umgehend in Massengräbern begraben? Viel feststellen bezüglich der Todesursachen, des Todeszeitpunkts und der vermutlichen Täter wird man jetzt jedenfalls nicht mehr. Die IGH-Leute wurden jedenfalls nicht sofort in den Ort geholt, anders als all die NATO-Politiker, denen Kiew immer wieder den Teppich ausrollt.
Wenn so viele Menschen zur Zeit der russischen Vorherrschaft auf den Straßen rumgelaufen oder gefahren sind (es gib ja zumindest einen toten Radfahrer) und dann von russischen Kräften ermordet wurden, gab es dann eigentlich nie irgendjemand aus den Vierteln, der die Leichen wenigstens mit einer Leichendecke abgedeckt hat, schließlich sollen die da ja wochenlang gelegen haben?
Auffällig an dem AP-Artikel ist zudem, daß er mit keiner Silbe auf die Verlautbarungen des russischen Kriegsministeriums eingeht, die ja den Vorwurf der Verantwortung nicht nur überhaupt sondern auch mit Argumenten, warum sie es nicht gewesen sein können, zurückzuweisen versucht haben.
Apropos Videos: Am Unpassendsten war sicherlich das Statement des Bürgermeisters, der nach seinem Wiedereinzug freudestrahlend über diesen Sieg zufrieden in sein Handy gegrinst hat. Paßt nicht zu einer Gräueltat, die zuvor in seiner Stadt passiert sein soll.“

Georg Klauda:
„Wie gesagt, ich hatte den falschen Fact-Checking-Artikel verlinkt, weil ich den von AFP nicht auf Anhieb gefunden habe. Den hatte ich seinerzeit recherchiert, um Scott Ritters Behauptungen zu überprüfen. Im Ganzen interessiert mich diese Auseinandersetzung um Fakes recht wenig. Ich halte sie auch für völlig fruchtlos. Man begibt sich damit auf völlig verlorenen Posten. Wie Erich Vad, der ehem. Sicherheitsberater der Regierung Merkel, kürzlich richtig gesagt hat, gibt es diese Gräuel in jedem modernen Krieg, egal ob Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen oder jetzt der Ukraine. Wer behauptet, dass es eine Krieg ohne Massaker oder Kriegsverbrechen gäbe, der lügt. Krieg ist organisiertes Morden.“

Neoprene:
„“Wer behauptet, dass es eine Krieg ohne Massaker oder Kriegsverbrechen gäbe, der lügt. Krieg ist organisiertes Morden.“
Das ist natürlich unbestreitbar. Aber in diesem Krieg führen die NATO-Staaten und deren Kriegsmedien eben auch einen Informationskrieg. Und auch wenn es in vielen Fällen nicht einfach ist , manchmal sogar unmöglich, sollte man doch die jeweiligen Verlautbarungen zumindest auf Plausibilität prüfen. Und wie so häufig auch die Frage nicht außer Acht lassen, Cui bono? Das russische Massaker in Butscha war *das* Verkaufsargument für die massive Verschärfung der de facto Kriegsteilnahme der NATO-Staaten durch den Übergang zur ganz offenen Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, damit die endlich die Krim zurückerobern können soll. Wenn die NATO überhaupt mit so einem bescheidenen Kriegserfolg zufrieden sein sollte.
Wieso kommst du angesichts dieser Gesichtspunkte dann selbst jetzt immer noch zu dem strikten völlig uneingeschränkten NATO-Standpunkt: „Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense“?

Georg Klauda:
„Schau mal, ich bin nicht so größenwahnsinnig, von meiner Couch aus mit den Fakten-Rechercheuren von AFP, Human Rights Watch oder dem ICC konkurrieren zu wollen. Ich halte das für eine Übung in Selbstmarginalisierung, bei der du in einer winzigen Gruppe von Gläubigen eine alternative Wahrheit zu etablieren versuchst. Das Verheerende daran ist, dass du den Leuten, die diesen Krieg eskalieren und bis zum letzten Ukrainer weiterführen wollen, im Prinzip recht gibst: Nur wenn man ein absolutes Paralleluniversum konstruiert, meinst du, deine Position noch irgendwie verteidigen zu können. Heißt zugeben, dass deine ganze Position an einem seidenen Faden hängt. Damit nimmst du dich im Prinzip selber aus der Debatte. Nee, meine Argumentation hängt nicht an diesem Faden. Und deswegen lass ich mich von dir auch nicht in dieses sich selbst marginalisierende Paralleluniversum einsperren, in dem ich nur recht habe, wenn alle anderen lügen. Frag dich doch lieber mal, ob die Gegenseite aus ihrer Annahme über die Verbrechen in Bucha überhaupt die richtigen Schlüsse zieht, nämlich erstens dass „unsere Jungs“ solche Verbrechen nie begehen würden (was selbst ein deutscher Ex-General wie Erich Vad für eine völlig absurde und kontrafaktische Annahme hält), und zweitens, dass die Konsequenz daraus wäre, diesen Krieg zu einem militärischen Sieg über die Russen zu führen, darüber das ganze Land zu zerstören, einen Nuklearkrieg zu riskieren und am Ende doch alles zu verlieren, weil so ein Sieg über die größte Atommacht der Erde selbst dann nicht möglich wäre, wenn diese gnädigerweise auf den Einsatz taktischer Nuklearwaffen verzichtet.“

Neoprene:
„Wieso meinst du, „dass deine ganze Position an einem seidenen Faden hängt“? Kennst du meine Position überhaupt. Wieso denkst du, daß die von Bucha abhängt?
Ich bin nicht so NATO-gläubig, daß ich einfach jeden Scheiß, den mir „unsere“ (also deren) Medien vorsetzen, für bare Münze nehme. Und von „Fakten-Rechercheuren erwarte ich zumindest erst mal die Fakten, die man überhaupt kriegen kann, einzusammeln, darzustellen und zu bewerten. Davon kann man in deinen angegebenen Quellen leider nicht allzuviel finden. Was zum Teil sicher an der objektiven Faktenlage liegt. Dann muß man das aber auch dazu sagen und nicht wie du „Right our wrong, my country!“ rufen.
„Das Verheerende daran ist, dass du den Leuten, die diesen Krieg eskalieren und bis zum letzten Ukrainer weiterführen wollen, im Prinzip recht gibst“.
Wieso denn oder wodurch denn? Es wird dich vielleicht verwundern, aber ich bin schon mal strikter Gegner dieser NATO-Strategie, die von Baerbock bis Hofreiter, von Melnyk bis zu Strack-Zimmermann versucht wird, durchzusetzen.
„Nur wenn man ein absolutes Paralleluniversum konstruiert, meinst du, deine Position noch irgendwie verteidigen zu können.“
Wer lebt denn in einem Paralleluniversum, ich oder Melnyk? Wer „konstruiert“ sich denn seine Welt und seine Wahrheiten, ich oder Selenskyj?
Daß ich mit meiner Position marginalisiert dastehe, wie wahrscheinlich noch nie in meinem politischen Leben, das wird schon stimmen. Aber das liegt nicht an mir, sondern an der aberwitzigen Geschwindigkeit, mit der die deutsche politische Öffentlichkeit auf einen Kriegskurs gegen Rußland eingeschworen werden soll und wird, der selbst einen „kleinen“ dritten atomaren Weltkrieg mit einrechnet.“

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Gastkommentar „Zum sogenannten „Konflikt“ an der belarussisch-polnischen Grenze“

22. Dezember 2021 1 Kommentar

Ich habe einen Text zugeschickt bekommen, zu dem der Autor, Manfred Henle, mit geschrieben hat:

„Der Text erörtert das Geschehen an der belarussisch-polnischen (und baltischen) Grenze einmal grundsätzlich, weshalb (nebst der Bild-Zeitung, die hier zerlegt wird) u.a. Lukaschenko selbst, aber auch der neue Bundeskanzler oder A. Bearbock zu Wort kommen. Ich denke, der Text sollte für die Walgesang-Leserschaft und ggf. Diskussion passend sein.“

Leider kann ich auf meinem Blog nichts mehr hochladen, es ist ja eh ein Wunder, daß Blogsport noch nicht zugemacht wurde. Also verweise ich hier nur auf das Untergrund-Blättle, wo dieser Text schon veröffentlich wurde:
Die Inkarnation des Bösen

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Klimawandel-Klimakatastrophe-Rettung der Umwelt usw.

8. November 2021 146 Kommentare

Nachdem in letzter Zeit doch einige Kommentare zur „Klimapolitik“ und „Energiewende“ gepostet wurden, mache ich daraus einen dedizierten Thread.

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Warum gibt es kein Geld für Corona-Medikamente?

1. Mai 2021 64 Kommentare

Warum eigentlich hat die Bundesregierung zwar enorme Beträge für die Entwicklung von Vakzinen gegen Corona ausgegeben (und noch viel mehr für die diversen Hilfspakete) aber praktisch nichts für die Entwicklung von Medikamenten gegen diese Krankheit?
„Berlin – Die Bundesregierung fördert acht Forschungsvorhaben zur Entwicklung von Medikamenten ge­gen das Coronavirus SARS-CoV-2. Auf Empfehlung des eingesetzten Expertengremiums hin würden in den nächsten Wochen die Förderentscheidungen fallen, sagte Bun­des­for­schungs­minis­terin Anja Karli­czek (CDU) heute in Berlin. In dem Förderprogramm stehen zunächst 50 Millionen Euro zur Verfügung – die Pharmaindustrie fordert eine kräftige Aufstockung.
Die Wissenschaftler in den acht unterstützten Projekten verfolgen laut Karliczek unter anderem Behand­lungsansätze mit verschiedenen Antikörpern sowie einem RNA-Wirkstoff. Die Arzneimittelkandidaten be­finden sich kurz vor der klinischen Entwicklung.
Die Ministerin dämpfte aber die Hoffnung auf schnelle Durchbrüche. „Aus den vielen Gesprächen, die ich mit Forscherinnen und Forschern führen durfte, ist immer wieder sehr deutlich geworden: Wir können keine Wunder erwarten“, sagte sie. Die Entwicklung von Arzneimitteln dauere in der Regel Jahre, manch­mal auch Jahrzehnte. …
Der Bundesverband der Pharmazeutischen Industrie (BPI) verlangte angesichts der aufwendigen Medika­mentenentwicklung eine kräftige Aufstockung der Fördergelder. „Wir brauchen mindestens das Zehnfa­che, um die Entwicklungsansätze von dringend benötigten Arzneimitteln zum Patienten zu bringen“, er­klärte Hauptgeschäftsführer Kai Joachimsen.
Die verschiedenen beschlossenen und angekündigten Förderprogramme seien zwar erfreulich. „Offenbar ist aber die Bundesregierung weiterhin nicht gewillt, den entschiedenen Willen aufzubringen, um die nationalen Therapieansätze gegen COVID-19 tatkräftiger zu unterstützen“, beklagte Joachimsen. Es sei unverständlich, dass das Forschungsministerium „viel zu wenige Mittel für die im Grunde genommen guten Förderprogramme erhält“.“
https://www.aerzteblatt.de/nachrichten/123019/Bundesregierung-foerdert-acht-Forschungsprojekte-fuer-Coronamedikamente

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Wie weiter im EU-Streit mit Ungarn und Polen?

17. November 2020 41 Kommentare

Im Konflikt der EU-Mehrheitsstaaten mit Ungarn und Polen tritt u. a. der Spiegel für Finanzstrafen gegen diese beiden Staaten ein:

„Lässt die EU sich das gefallen [den Wegfall der „Rechtsstaatlichkeits“auflagen], kann sie sich auch gleich selbst auflösen. Sie sollte deshalb ernsthaft prüfen, was Marek Prawda, Polens ehemaliger EU-Botschafter und heutiger Vertreter der EU-Kommission in Warschau, kürzlich vorgeschlagen hat: das 750 Milliarden Euro schwere Corona-Hilfspaket vom regulären Haushalt abzulösen und in Form multilateraler Absprachen neu aufzulegen.“

https://www.spiegel.de/politik/ausland/die-eu-muss-hart-gegen-ungarn-und-polen-vorgehen-a-9a7a2049-043e-4f39-ad47-d1f4df7ea010#ref=rss
Ich frage mich nun, ob das EU-rechtlich überhaupt geht. Denn der mehrjährige Finanzrahmens (MFR) gemäß Art. 312 AEU-Vertrag kann doch genausowenig ohne Polen und Ungarn beschlossen werden, denn zur Beschlußfassung schreibt Wikipedia: „Die Beratung im Europäischen Rat muss anschließend einstimmig abgeschlossen werden.“

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IvanDrago: Die Lage der arbeitenden Klasse in Deutschland

26. Juli 2020 61 Kommentare

IvanDrago hat mich gebeten, einen längeren Kommentar/Text separat einzustellen, damit der bisherige Thread nicht damit überfrachtet wird. Das halte ich auch für sinnvoll:
„Krim hat in unserer Diskussion zum Thema Ausbeutung einmal beiläufig angeschnitten, warum es mir denn nicht reichen würde, dass Arbeit im Gegensatz zum Kapital steht und wieso ich wert darauf lege auf die Lebensumstände der Menschen zu deuten. Meinen Fingerzeig auf Fachkräfte, die auch er zur Arbeiterklasse zählt – kontert er damit, dass es doch schlicht auf den Maßstab ankommen würde, den man an die Lebensumstände anlegt: „Im Vergleich zu einem verhungernden Afrikaner (…) geht es sogar einem deutschen Niedriglöhner noch Gold. “
Dieser Konter soll wohl ins Recht setzen, dass man es doch auch mit Fug und Recht andersrum machen kann und den Ingenieur in Deutschland als irgendwie armselige Kreatur bespricht, der in seinem Arbeitsverhältnis ausgequetscht wird und davon einen recht mickrigen Ertrag hat. Verglichen womit sein Ertrag mickrig ausfällt will Krim nirgends explizit bestimmen, aber er weiß allemal, dass das so ist, denn Lohnarbeit ist ja schließlich Ausbeuutung.
Ich möchte an dieser Stelle nicht erneut die Debatte um das Thema Ausbeutung eröffnen, sondern die Seite dieses Vergleichs ansprechen, da ich dieses „Argument“ auch von anderen kenne und völlig verkehrt finde – Das geht in etwa so:
„Warum denken deutsche Proleten, dass es ihnen gut geht – na, weil sie sich mit früher oder den Bewohnern armer Weltgegenden vergleichen. Vernünftigerweise sollten sie doch ihren Wohlstand in ein Verhältnis zu dem von ihnen geschaffenen Reichtum setzen, heißt es dann.“ Und das soll dann dafür stehen, dass die deutschen Arbeiter doch relativ und absolut arm sind.
Wie gut verdient nun ein durschnittlicher Arbeiter in der Bundesrepublik im Verhältnis zum von ihm geschaffenen Reichtum?! Nun hat diese Frage den Haken, dass der Reichtum an den gedacht wird gar nicht so einfach den hiesigen Lohnarbeiter zugeordnet werden kann, denn schließlich fließen in die Produktion Bestandteile aus aller Welt, von Rohstoffen über Bauteile, bis hin zur Software mit der die Roboter gesteuert werden und Öl als Schmiermittel der Produktion.
Außerdem ist es mehr oder weniger selbsterklärend, dass es mit den heutigen Mitteln ein Ding der Unmöglichkeit ist, jedem Menschen das Leben eines Multis zu garantieren und dementsprechend scheidet das als vernünftiger Maßstab völlig aus.
Noch eine Anmerkung zu der Natur der Lebenserhaltungskosten deutscher Arbeitskräfte:
Man kann es sich in Libelle/Krim-Tour wieder leicht machen und all das, was sich ein deutscher Arbeiterhaushalt so leisten kann zum „im Sinne der Reproduktion als Arbeitskraft notwendigen Bedarf definieren“, vom 4k-Fernseher, über die Fette Karre bis hin zum Karibikurlaub – einleuchten will mir das jedoch nicht. Arbeiter in Südostasien sind wohl kaum weniger belastenden Tätigkeiten ausgesetzt und verdienen einen Bruchteil dessen, was ein Arbeiter hierzulande verdient – bezogen auf die Güter, die sie sich damit leisten können.
Man soll mal nicht so tun, als gäbe es zwischen den unterschiedlichen Lebenslagen hier und in diesen weit entfernten Weltgegenden keinen Zusammenhang: Hierzulande werden den lieben langen Tag Konsumartikel aus aller Welt konsumiert und dabei profitiert man als deutscher Arbeiter durchaus von den Billiglöhnen anderswo, denn schließlich gehen deren Löhne in die Preisbestimmung der eigenen Lebenshaltungskosten mit ein. Sprich die Lebenslage eines deutschen Arbeiters beruht auf einer gewissen „klasseninternen“Ungleichheit, auch innerhalb der nationaler Grenzen.
Dementsprechend müssen wir uns fragen, wie ist das Verhältnis von individuellen Aufwand und Ertrag eines deutschen Proleten im Vergleich zu dem beschaffen, was der globalen Stand der Produktivität an Lebensstandard im Schnitt ermöglicht: Die bundesdeutschen Arbeiter verdienen als Teil der globalen Arbeitsteilung überdurchschnittlich gut, bei relativ niedriger Arbeitsdauer und Intensität.
Wenn sich die Menschheit beim heutigen Stand der Produktivität dazu entschließen würde eine weltweite Planwirtschaft einzurichten, dann kann man sich mit ein bisschen Grips im Kopf durchaus ausmalen, dass einige der heute in Westeuropa üblichen Annehmlichkeiten bis auf weiteres wegfallen, weil diese Ressourcen woanders dringender benötigt würden, zumindest solange anderswo noch Menschen an Hunger verrecken und in vielen Weltgegenden kaum medizinische Versorgung genießen.
Das klingt nur für diejenigen wie eine Absage an Kommunismus, die sich unter einer kommunistischen Revolution sowieso nichts anderes vorstellen können als ein Versprechen an ihren Privatmaterialismus: Weniger Arbeit – Mehr Ertrag!“

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„In der Krise zeigt sich die Macht des Euro – und sein Geburtsfehler“

1. Mai 2020 Kommentare ausgeschaltet
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Corona und die „Rückkehr zur Normalität“ bei TELEPOLIS

1. Mai 2020 44 Kommentare

“ Georg Schuster“ hat am 1. Mai 2020 einen weiteren lesenswerten Artikel bei TELEPOLIS veröffentlicht:
„Corona und die „Rückkehr zur Normalität““

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Mitten in der Pandemie wird die Rückkehr zur Arbeit gefordert. Warum? (Kaufmann]

28. März 2020 25 Kommentare

Geld oder Leben
Mitten in der Pandemie wird die Rückkehr zur Arbeit gefordert. Warum?
Artikel von Von Stephan Kaufmann in Der Zeitung Neues Deutschland

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Von Huawei bis zur „Nationalen Industriestrategie“: Die Weltmächte greifen zu den ökonomischen Waffen

1. Dezember 2019 1 Kommentar

„Ist das noch Frieden?“
fragt Stephan Kaufmann in einem lesenswerten Artikel in der Wochenzeitung „der Freitag“ zum Thema Handel als Gegenstand der immer weiter ausladenden internationalen Konkurrenz der Staaten, Deutschland natürlich eingeschlossen.

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Hundert Jahre politischer Mord an Rosa L. und vielen anderen

27. Januar 2019 1 Kommentar

Über den Einstand der Sozialdemokratie in deutscher „Regierungsverantwortung“

„Es gab radikalisierte Elemente in der Arbeiterschaft. Die waren nun mit Waffengewalt zu besiegen. Das bleibt ein schmerzlicher Vorgang, auch im Rückblick, aber man kann doch wissen, dass der Weg, der dann eingeschlagen wurde, der bessere war.“ (Ex-Bundestagspräsident Thierse, Leipziger Volkszeitung v. 14.1. 2019)

Das ist doch mal eine Ansage.

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Interview mit Karl Held, irgendwann nach 1991

7. Dezember 2018 Kommentare ausgeschaltet

Ein nigelnagelneuer Blog bei Blogsport (ja, sowas gibt es noch) hat als Startbeitrag ein altes Interview mit Karl Held gepostet:
„Das folgende Interview ist irgendwann nach der Auflösung der Marxistischen Gruppe 1991 geführt worden. Wo es ursprünglich veröffentlicht wurde, ist mir nicht bekannt. Es hat eventuell mit einer Website namens The Great Gate zu tun.“
Hier der Link zu diesem Interview.

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Rüdiger Mats: Wie soll die radikale Linke mit den Rechten und ihren Erfolgen umgehen?

10. November 2018 79 Kommentare

Rüdiger Mats hat auf seiner Webseite einen neuen Text zum Umgang mit Rechten veröffentlicht, den er so einleitet:

„Wie soll die radikale Linke mit den Rechten und ihren Erfolgen umgehen? Dazu erschienen in der konkret zwischen Ende 2017 und Anfang 2018 mehrere Artikel . Die verschiedenen Autoren waren zum weit überwiegenden Teil der Auffassung, dass es sich bei allen Rechten um Nazis handele, bei denen sich eine Frage des Umgehens gar nicht stelle. Da meine Kritik an dieser Ausrichtung in der konkret nur stark gekürzt und unter dem merkwürdigen Titel „Wir müssen reden“ veröffentlicht wurde, im Folgenden eine längere Fassung als im Heft.“

Da heißt es anfangs,

„Welchen strategischen Sinn es aber haben könnte, sich allein auf das Benennen von Nazis zu kaprizieren, war in den vielen Beiträgen nicht einmal Thema. Einzige Ausnahme: Michael Schilling, der eine Pflicht zum Nazis Benennen in konkret 1/2018 damit begründet, dass wenn die radikale Linke laut genug „Nazi!“ rufe, der bürgerliche Staat sich irgendwann erinnern werde, dass er Naziorganisationen verbieten müsse. Ob Schilling das ernst meint? Ich weiß es nicht.“

Ich schon: Sowas meinen Linke eigentlich durch die Bank ernst. Verbotsforderungen sind die kleine Münze noch so gut wie jeder Demo gegen Rechte.
Er fährt fort,

„Erstens sind nicht alle Rechten Nazis, … Zweitens wäre schon viel gewonnen, wenn nicht noch mehr Leute Nazis würden; um das zu erreichen darf man sich nicht auf diejenigen konzentrieren, die schon welche sind. … Drittens geht es auch um die Haltung derjenigen, die aus irgendwelchen ideologischen Gründen keine Nazis werden wollen – aber trotzdem rechts handeln. “
„In der konkret-Debatte wird immer wieder betont, dass es gar nicht die ganz Armen, nicht die prekär Beschäftigten, nicht die Arbeitslosen sind, die das Gros der AfD-Wähler und rechten Mitmarschierer stellen. … Trotzdem sind es Sorgen, die Bürger nach rechts treiben, nur andere als sie selbst denken. Dass Teile der radikalen Linken das leugen, liegt vermutlich daran, dass sie Nazis keine mildernden Umstände zubilligen wollen. … Existenzangst gehört notwendig zum Kapitalismus.“

Soweit so gut, aber dann schlägt das um in blankes ideologisches Abdanken:

„Wenn also die verqueren „Sorgen“ vieler Bürger eine ihnen unklare reale Grundlage haben: Könnte die Linke hier nicht argumentativ anknüpfen und die falsche Wut vom Weg nach rechts in eine begründete Kritik umlenken? Jeder, der mal versucht hat, einen Sozialdemokraten zur Kapitalismuskritik mitzuschnacken, weiß, dass das nicht nur bei Rechten nicht funktioniert. Der Schritt nach rechts ist mehr affektiv als argumentativ. Er hat eine objektive Grundlage, ist aber irrational. Sein Nutzen liegt auf der Triebebene. Deshalb hat es keinen Sinn, im verständnisvollen Gespräch logische Fehler in nicht vorhandenen Argumentationsketten aufzeigen zu wollen.“

Aber er kann/will natürlich doch was anbieten:

„Das einzige, was mehr Menschen dazu bringen könnte, sich auf die Linke einzulassen – und zwar im Vorfeld argumentativer Überzeugung -, sind politische Auseinandersetzungen, also das, was Linke manchmal martialisch „Kämpfe“ nennen. Diese Auseinandersetzungen müssten so wahrnehmbar und prägnant sein, dass sie dazu auffordern, sich zu entscheiden, und die Linke müsste in ihnen sichtbar sein als die richtige Seite. … Die linke Praxis hierzulande aber sieht anders aus. Es sind innerhalb der nichtreformistischen Linken nur kleine Minderheiten, die sich – zum Beispiel – mit der Verdichtung von Arbeitsprozessen, Hierarchien im Betrieb, politischer Herrschaft, dem Gesundheitssystem oder dem Gender-Gap bei Löhnen und Renten auseinandersetzen. Genauer: Minderheiten, die das praktisch tun, also nicht in Form von Abhandlungen für ein akademisches Publikum – sondern indem sie sich wehren.“

Sein Resümee:

„Ob das dazu führte, dass weniger Leute Nazis werden? Es wäre einen Versuch wert.“

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Über Geld und Kredit: Texte zur Finanzkrise und Eurorettung

8. Oktober 2018 78 Kommentare

Amelie Lanier hat bei Amazon im Selbstverlag folgendes Buch herausgebracht:
Über Geld und Kredit: Texte zur Finanzkrise und Eurorettung
Der Text dazu:

„Hier liegen Blogtexte aus 8 Jahren Finanzkrise und Eurorettung vor, in leicht modifizierter Form gegenüber der Internet-Ausgabe. Wer glaubt, die Krise sei vorbei, täuscht sich. Dieses Buch enthält Details zur Griechenland-„Rettung“ und der medialen Begleitung derselben, zur österreichischen Hypo Alpe Adria-Bank und dem Beinahe-Bankrott Kärntens, sowie ausführliche Besprechung der Staatsschuld und der Bankenkrise Italiens, Spaniens und Portugals. Einen Blog zu führen ist eine besondere Art der Publizistik. Man zieht Diskutanten unterschiedlicher Ernsthaftigkeit an, muß sich mit ihnen auseinandersetzen, sie gegebenenfalls sperren. Aber man erhält auch sofort Reaktionen, zum Unterschied von Büchern oder Artikeln in Zeitschriften. Die Blog-Diskussionen liefern ein vielleicht unerfreuliches, aber repräsentatives Bild vom geistigen Zustand der Menschheit. Die Artikel selbst entspringen zwar einer individuellen geistigen Leistung, wurden jedoch von einem anonymen Kollektiv rezipiert und teilweise auch angeregt.“

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Neuerscheinung: Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat

5. Oktober 2018 214 Kommentare

Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie haben zusammen das folgende Buch geschrieben, das eigentlich schon erschienen sein sollte, wohl aber noch etwas braucht, bis es in die Buchläden kommen kann:
Renate Dillmann und Arian Schiffer-Nasserie: Der soziale Staat – Über nützliche Armut und ihre Verwaltung. Ökonomische Grundlagen, Politische Maßnahmen, Historische Etappen.
VSA-Verlag, Hamburg 2018, 320 Seiten, 19,80 Euro, ISBN-13: 978-3899658859
Die Tageszeitung junge Welt hat in ihrer Ausgabe vom 05.10.2018 daraus „vorab und mit freundlicher Genehmigung der Autoren und des Verlags den ersten Teil des Fazits“ gebracht.

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Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung

25. September 2018 160 Kommentare

In letzter Zeit hat es einige Veröffentlichungen zum Thema Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung gegeben. Ich bin über Contradictio auf den Textbeitrag von Hermann Lueer bei i-v-a.net gestoßen, der hierzu ein Beitrag ist. Er geht hier unter anderem auf einen lesenswerten Text „Umrisse der Weltcommune“ der Freundinnen und Freunde der klassenlosen Gesellschaft ein. Er hat auf dem ams-Sommercamp einen Vortrag gehalten zu diesem Thema und gerade ein weiteres Büchlein zum Thema veröffentlicht, (ISBN 978-1-98327-123-6, 103 SEITEN, 8,00 €), „Das vorliegende Buch (erschienen als „Kapitalismuskritik und die Frage nach der Alternative“, Band 3) ist eine Hommage an die Kollektivarbeit der Gruppe Internationaler Kommunisten (Holland). Angesichts der sich abzeichnenden Erfahrungen mit dem Staatskommunismus in Russland waren ihre 1930 erschienenen »Grundprinzipien« der Versuch, die bereits von Marx und Engels skizzierte ökonomische Grundlage einer kommunistischen Gesellschaft wissenschaftlich auszuarbeiten. Mit der vorliegenden Publikation wird versucht, in freier Form die Kernaussagen der alten Schrift in die aktuelle Debatte um die Frage nach der Alternative zum Kapitalismus einzubringen.“
Das Folgende sind die einleitenden Bemerkungen von Hermann Lueer zu seinem Vortrag auf dem AMS-Camp am 17.08.2018, die er mir zur Verfügung gestellt hat:
Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung
Einleitende Vorbemerkungen
Es geht um die Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, d.h. es geht nicht darum irgendwelche Details auszumalen; es geht auch nicht um Übergangsfragen (wie kommt man von a nach b). Es geht um die Frage: Wie kann eine kommunistische Gesellschaft nach dem Motto „Jedem nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten” organisiert werden? Und zwar von den Gesellschaftsmitgliedern selbst, d.h. ohne eine ihnen übergeordnete Instanz.
Es geht also um die Bestimmung eines grundlegend veränderten Produktionsverhältnisses: Was, wie und für wen produziert wird, soll sich weder über persönliche Abhängigkeitsverhältnisse entscheiden noch über Sachzwänge einer Warengesellschaft, die sich hinter dem Rücken der gegeneinander konkurrierenden Gesellschaftsmitglieder entwickeln. Die Aufteilung der Arbeit auf die verschiedenen Produktionszweige und Tätigkeiten und damit die Entscheidung über die zu produzierten Konsumgüter soll statt- dessen den Gesellschaftsmitgliedern selbst zufallen: dem sogenannten »Verein freier Menschen, die mit gemeinschaftlichen Produktionsmitteln arbeiten und ihre vielen individuellen Arbeitskräfte selbstbewusst als eine gesellschaftliche Arbeitskraft verausgaben.«
Damit dieser Verein freier Menschen aber keine hohle Phrase bleibt, geht es im Folgenden darum, die ökonomische Grundlage zu bestimmen, die es den Menschen überhaupt erst ermöglicht, ihre individuellen Arbeiten in gesellschaftlicher Arbeitsteilung jenseits von Märkten selbstbewusst und ohne eine ihnen übergeordnete Instanz leiten und verwalten zu können.
Diese ökonomische Grundlage — so die vorweggenommene These — ist die Berechnung der Zeit, die nötig ist, um die verschiedenen Produkte und Dienstleistungen den Gesellschaftsmitgliedern zur Verfügung zu stellen. Die gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit, die in der Konkurrenz der Warenproduktion hinter dem Rücken der Menschen als Sachzwang herrscht, wird hier zum bewusst angewandten Maßstab im Rahmen der gemeinschaftlichen Planung der gesellschaftlichen Arbeitsteilung. »Die Nutzeffekte der verschiedenen Gebrauchsgegenstände, abgewogen untereinander und gegenüber den zu ihrer Herstellung nötigen Arbeitszeiten, bestimmen diese ökonomische Planung.« Die Arbeitszeit spielt dabei eine doppelte Rolle. »Ihre gesellschaftlich planmäßige Verteilung regelt die richtige Proportion der verschiedenen Arbeitsfunktionen zu den verschiedenen Bedürfnissen. Andererseits dient die Arbeitszeit zugleich als Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinschaftsarbeit und daher auch an dem individuellen verzehrbaren Teil des Gemeinschaftsproduktes. Die gesellschaftlichen Beziehungen der Menschen zu ihren Arbeiten und ihren Arbeitsprodukten bleiben hier durchsichtig einfach in der Produktion sowohl als in der Verteilung.«
Um aber gleich an dieser Stelle ein Missverständnis zurückzuweisen: Auch wenn es oberflächlich so aussehen mag. Dies hat nichts mit Tausch zu tun. Die Produktionsmittel sind vergesellschaftet. Es gibt also kein Privateigentum mehr und damit keinen Warenhandel und keinen Tauschwert. Die individuelle Arbeit der Gesellschaftsmitglieder ist hier nicht mehr Privatarbeit, die sich auf Waren- und Arbeitsmärkten erst dahingehend bewähren muss, inwieweit diese Privatarbeit wirklich als Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt wird, sondern ist bereits unmittelbar Bestandteil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit, da sie als individuelle Arbeit bereits im Rahmen der gemeinschaftlichen Planung geleistet wird. Planung des gesellschaftlichen Reproduktionszusammenhanges bedeutet schließlich nichts anderes, als die zur Bedürfnisbefriedigung erforderliche gesellschaftliche Arbeitszeit mit der Summe der zur Verfügung stehenden individuellen Arbeit zu verbinden. Das kann einer zentralen Planungsbehörde übertragen werden — soweit man dieser vertrauen will — oder den Individuen selbst überlassen werden. Letzteres ist aber nur möglich, wenn das Verhältnis von Arbeitsaufwand zu Ertrag für alle Gesellschaftsmitglieder systematisch aufgezeigt wird. Dann ist eine arbeitsteilige Produktionsplanung möglich, bei der die Menschen selbst entscheiden, was sie gemäß ihrer individuellen Abwägung von Aufwand und Ertrag haben möchten. Das heißt, es kann jeder selbst über seinen Beitrag zur gesellschaftlich erforderlichen Arbeitszeit und seinen Anteil am Produkt der gesellschaftlichen Arbeitsteilung bestimmen.
Auf der Grundlage der Arbeitszeitrechnung löst sich die Verteilungsfrage somit in Produktionsplanung auf. Die individuellen Bedürfnisse werden gegenüber ihrem gesellschaftlichen Aufwand abgewogen und entsprechend über den Konsumwunsch und die
Arbeitsbereitschaft in den gesellschaftlichen Planungsprozess eingebracht. Die Arbeitszertifikate sind inhaltlich nichts anderes, als der Abgleich der in der gemeinsamen Planung vorweggenommenen Arbeitseinteilung.
Die individuelle Arbeitszeit als Maßstab des individuellen Anteils am Produkt der gesellschaftlich erforderlichen Arbeitszeit ist somit kein Mangel einer Übergangsgesellschaft gegenüber dem vollkommenen Kommunismus, sondern vielmehr die ökonomische Form, über die die Vereinigung freier und gleicher Menschen und damit das kommunistische Prinzip — »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!« — von einer hohlen Phrase auf eine ökonomische Grundlage gestellt wird.
In welcher Form die Arbeitszeit als das direkte Maß für den individuell zu konsumierenden Teil des gesellschaftlichen Produkts zur Anwendung kommt, ist demgegenüber keine Frage der Grundprinzipien kommunistischer Produktion und Verteilung, sondern als bewusste Handlung der Gesellschaft eine konkrete Regelung in Bezug auf die Einsicht der Gesellschaftsmitglieder in die Notwendigkeiten ihres kooperativen Produktionszusammenhanges. Sie können es beispielsweise bei der Bereitstellung der Information über die Arbeitszeiten belassen und auf den vernünftigen Umgang hiermit setzen. Sie können eine individuelle Unterdeckung der Arbeitsbeteiligung im Verhältnis zum Konsum auch zum Anlass für Kritik nehmen oder den Zugang zu Konsumtionsmitteln in bestimmten Bereichen beschränken. Letzteres wird unvermeidbar sein in einer kommunistischen Gesellschaft, die sich nicht auf ihrer eigenen Grundlage entwickelt hat, sondern umgekehrt »aus der kapitalistischen Gesellschaft hervorgeht; also in jeder Beziehung, ökonomisch, sittlich, geistig noch behaftet ist mit den Muttermalen der alten Gesellschaft«. Hier erhält der einzelne Produzent nach Abzug seiner Arbeit für die gemeinschaftlichen Fonds zurück, was er ihr gegeben hat, den von ihm gelieferten Teil des gesellschaftlichen Arbeitstags, seinen Anteil daran.
An dieser Stelle will ich schon vor einem weiteren gängigen Missverständnis waren: Der Gegensatz zwischen Bedürfnis und notwendiger Arbeit kommt nicht die Arbeitszertifikate in die Welt, sondern über die Natur selbst. Das Reich der Freiheit beginnt erst da, wo die Notwendigkeit der Arbeit aufhört. Durch die systematische Offenlegung des Zusammenhanges zwischen Bedürfnis und notwendiger Arbeit erzeugt die Gesellschaft keinen Gegensatz. Im Gegenteil: Den Gesellschaftsmitgliedern den Zusammenhang von Aufwand zu Ertrag anhand der Arbeitszeitrechnung offenzulegen, ebenso wie ihren persönlichen Anteil an Arbeit und Konsum, darauf wird eine Gesellschaft nicht verzichten können, wenn ihre Gesellschaftsmitglieder selbst nach ihren Bedürfnissen über Arbeit und Konsum bestimmen wollen. Der »Verein freier Menschen« würde seinem Namen nicht gerecht, würde er die materielle Grundlage ignorieren, die ihn in die Lage versetzt, Produktion und Distribution selbst leiten und verwalten zu können. Verteilung ohne ökonomisches Maß bedeutet nicht »Nehmen nach Bedarf«, sondern Zuteilung durch eine übergeordnete Instanz.
Die soziale Revolution ist somit keine hohle Phrase, sondern zielt auf ein von Ausbeutung befreites Produktionsverhältnis, das sich durch das unmittelbare Verhältnis zwischen Produzent und gesellschaftlichem Produkt auszeichnet. Die Durchsetzung der individuellen Arbeitszeit als Maß für den Anteil am Produkt der gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit — so die These — ist die Aufhebung der Ausbeutung und zugleich die ökonomische Grundlage für die Verwirklichung der Vereinigung freier und gleicher Menschen nach dem Grundsatz des Kommunismus: »Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!«

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„Die revisionistische Ideologie der Gegenstandpunkt-Gruppe“

5. Februar 2018 69 Kommentare

Contradictio hat auf eine neue Kritik an den politischen Auffassungen des GegenStandpunkts hingewiesen. Unter dem Titel „Die revisionistische Ideologie der Gegenstandpunkt-Gruppe“ hat hier Thanasis Spanidis, wohl ein linker DKPler, soweit ich das auf die Schnelle richtig einordnen konnte, auf über 30 Seiten seine Sicht des GSP dargelegt (Warum eigentlich?). Ohne das Teil schon gelesen zu haben, scheinen seine Auffassungen aber aus den üblichen Anti-GSP-Quellen abgeleitet zu sein. Denn in seinem Quellenverzeichnis listet er (neben einer Reihe in der Tat zentraler Artikel des GSP) folgendes auf:
Bierwirth, Julian (2016): Der Grabbeltisch der Erkenntnis. Untersuchung zur Methode des Gegenstandpunkt, Krisis Beitrag 2/2016, wurde bei mir hier diskutiert
Ess, Konrad 2014: Kritik des GegenStandpunkts – Von Fehlern und Härten unreflektierter Rationalität, online: https://www.conne-island.de/nf/217/3.html, also wohl hardcore antideutsch(!)
Revolutionärer Aufbau 2017: Erste Anmerkungen zu einer Kritik des Revisionismus des Gegenstandpunkt-Verlages, wohl Neo-Maoisten, offensichtlich keine Anhänger von Online-Diskussionen
Auf der Webseite der linken DKPler bzw. mittlerweile auch schon Ex-DKPler gibt es erstaunlicherweise für diese politische Richtung sogar ein paar Kommentare.

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G-20-Randale versus Blockupy

30. Dezember 2017 7 Kommentare

Bei NestorMachno wird gerade der Artikel „Randale in Hamburg“ aus der Chronik des Heftes 4-2017 des GegenStandpunkt diskutiert. Beim Rumsurfen bin ich auf einen schon etwas älteren Artikel von Rüdiger Mats gestoßen, der 2013 seine Überlegungen zu den Blockupy-Protesten, bzw. übers den Stellenwert des Demonstrierens für Kommunisten im Allgemeinen veröffentlicht hatte. Seine grundsätzlichen ernüchternden Einwände halte ich auch jetzt noch für wichtig.
Aufruhr im Gemüsebeet
Mai 2013: 20000 Leute ziehen trötend und skandierend durch die Frankfurter Innenstadt und haben offensichtlich ihren Spaß. Am Flughafen findet eine Aktion gegen die herrschende Flüchtlingspolitik statt, eine Blockade der EZB klappt so halb. 1.000 Leute werden später unter fadenscheinigen Vorwänden für viele Stunden gekesselt und erkennungsdienstlich behandelt, in der linksbürgerlichen Öffentlichkeit gilt das anschließend für 48 Stunden als Skandal. Das …ums Ganze!-Bündnis hält ’nen Redebeitrag und organisiert ein paar kapitalismuskritische Begleitveranstaltungen, die man hinterher auf Youtube angucken kann. Und welche Bilanz ziehen die Veranstalter? „Blockupy 2013 war ein Erfolg!“ schreiben sie auf blockupy-frankfurt.org. Wirklich verwundern kann das nicht, denn wie hätte ein Misserfolg auch aussehen sollen? Aber hat uns das Event eigentlich dem Kommunismus näher gebracht?
So gestellt ist die Frage selbstverständlich unsinnig. Revolution, die Aufhebung der kapitalistischen Gesellschaft, ist nur als Folge einer Reihe sehr, sehr kleiner Schritte vorstellbar – und warum sollte eine Intervention von Ums Ganze in einen Protest gegen die herrschende Finanz- und Sozialpolitik nicht einer dieser Schritte sein?
Ein mögliches Argument gegen eine solche Intervention sei vorweg schon mal abgewiesen: Wenn sich irgendetwas gesellschaftlich bewegt, größere Proteste stattfinden, Streiks, was auch immer, dann muss man davon ausgehen, dass daran nicht nur kluge und nette Leute beteiligt sind – so viele gibt es davon nämlich nicht. Bei solchen Protesten werden deshalb bis auf weiteres immer auch krude Vorstellungen anzutreffen sein, nationalistische sowieso, antisemitische oft auch. Linksradikale, die allein wegen des Vorhandenseins solchen Mists von einer Intervention ihren Ruf beschmutzt oder ihr antideutsches Gewissen gepeinigt sehen, haben offensichtlich vor allem ihr Ego im Sinn, aber nicht die Herstellung menschenwürdiger Verhältnisse. Es gibt zwar Proteste, die wegen der in ihnen dominierenden Positionen gar kein sinnvolles Feld für eine emanzipative Intervention darstellen. Das sollte die radikale Linke aber strategisch diskutieren, nicht moralisch.
Wenn der genannte Vorbehalt gegen eine Beteiligung an dieser Art von Globalisierungs- oder Sozialprotest nicht überzeugt, wird daraus aber noch nicht zwingend ein Argument für eine Intervention. Dazu müsste die Frage beantwortet werden, was eine Intervention bezwecken soll, ob nun bei Blockupy oder woanders. Was bewirkt sie bei den anderen, was bei uns selbst? Also: Was genau wollen wir da? Dazu im Folgenden einige Überlegungen.

„Ich möchte Teil einer Alternativregierung sein!“

Demonstrationen (und mehr ist auch der Blockupy-Protest ja nicht wirklich) haben einen direkten Zweck, ein Motto, eine Botschaft. Sie wollen eine Position bekannt machen oder Druck auf die Regierenden ausüben. Sind sie Teil eines Krisenprotestes, dann wird in der Regel Verarmung skandalisiert und eine andere Wirtschaftspolitik gefordert. Eine solche Forderung hat immer Anteile eines Appells an den Staat, des Appells, Politik anders zu machen. Dabei ist unter Appell nicht nur zu verstehen, wenn die Regierung direkt aufgefordert wird etwas zu tun. Entscheidend ist die „praktische“ Perspektive unter Akzeptanz herrschender Bedingungen: Sobald sich der Protest in erster Linie gegen konkrete Maßnahmen des Staates richtet, gegen ein Gesetzespaket oder ein Spardiktat der Troika aus EU-Institutionen und IWF z.B., dann wird damit nahegelegt, diese Akteure hätten genauso gut menschenfreundlichere politische Entscheidungen treffen können. Das aber macht die Kritik zahmer als sie sein müsste.
Appellpolitik hat ja durchaus manchmal Erfolg. In der Regel dann, wenn man ein Interesse vertritt, das sich der Staat grundsätzlich zu eigen machen kann – bei Stuttgart 21 standen die Chancen dafür nicht schlecht, bei Umweltschutzfragen hat das gelegentlich schon geklappt. Am größten sind die Erfolgsaussichten, wenn gesellschaftlich ein Kräftegleichgewicht herrscht, bei dem Massenproteste das Gewicht der einen Seite vergrößern können und/oder sich die gesellschaftlichen Interessenkonstellationen wandeln und eine Demo hier beschleunigend wirkt. Ein Beispiel ist die Antiatomkraftbewegung, deren 100.000-Leute-Demos in Wackersdorf 1981 zwar noch niedergeknüppelt wurden, aber als Teil eines gesellschaftlichen Stimmungsumschwunges dazu beitrugen, dass nach 1982 kein Atomkraftwerk-Neubau mehr begonnen wurde. Andererseits: Die 300.000-Leute-Demo 1983 in Bonn gegen den NATO-Doppelbeschluss, die größte Demo in der BRD bis zur Vereinigung, konnte die Stationierung von Atomraketen in der BRD nicht verhindern: Alle wirklich mächtigen gesellschaftlichen Akteure waren sich in dem Interesse einig, den Realsozialismus militärisch nieder zu konkurrieren.
Appellpolitik ist aus kommunistischer Perspektive immer fragwürdig. Ein zentraler Bestandteil der herrschenden Ideologie ist die Identifikation mit erzwungenen Kollektiven wie Staat oder Nation, also dass „Wir“ gedacht wird, wenn man Deutschland oder die EU meint. Jeder Appell, und mag er noch so radikal scheinen, bestärkt diese Position: An wen appelliert wird, der wird immer ein wenig als ein Teil der eigenen Seite behandelt – und das ist das Gegenteil von dem, was Kommunisten wollen sollten. Wenn der Appell radikaler ausfällt – im Sinne der Strategie, erstmal etwas Wünschenswertes aber Unrealistisches zu fordern, um dann die Verhältnisse zu entlarven, die seine Umsetzung verhindern – kommt noch ein Glaubwürdigkeitsdilemma hinzu: Man mobilisiert Leute für eine Forderung, die man eigentlich gar nicht ernst meint.
Dass sich Momente von Appell in jedem linken Großevent finden, ist kein Zufall. Mit der Aufforderung etwas Bestimmtes NICHT zu tun, Sozialkürzungen nicht zu beschließen, Leute nicht zu entlassen, scheint der Protest „praktischer“ zu sein, sein Ziel erreichbarer, als es die Vorstellung einer anderen Gesellschaft ist – gerade das macht die Teilnahme für viele Leute attraktiv. Daraus ergibt sich die strategische Schwierigkeit, dass oft gerade die Proteste attraktiv sind, die aus kommunistischer Perspektive die Verhältnisse beschönigen.

„Aber wir schaffen Öffentlichkeit… tun wir doch, oder?“

Wenn schon die direkte Auswirkung z.B. einer Großdemo auf politische Entscheidungen minimal und das Ensemble der dort vertretenen Forderungen in guten Teilen reformistisch-peinlich ist, dann könne doch, so die Hoffnung von Interventions-Befürwortern, das Spektakel, auf das man Einfluss nehmen will, „Öffentlichkeit“ schaffen, den „Diskurs“ in Deutschland beeinflussen, oder doch wenigstens den irgendeiner Szene.
Doch dieser Diskurs ist eine Fiktion. Oder, genauer gesagt: Dieser Diskurs ist diskontinuierlich, zeitlich begrenzt und in seiner Tiefenwirkung bezogen auf Ideologievermittlung und Subjektherausbildung minimal. Wenn UG-Genossen mit Stolz verkünden, die meisten Pressemitteilungen zu Blockupy 2012 seien von ihnen geschrieben worden, sollte man deshalb misstrauisch werden.
Pressemitteilungen bedeuten, dass man kurz und knapp eine eigene Interpretation eines politischen Ereignisses formuliert, wovon im seltenen Glücksfall Bruchstücke den Weg in bürgerliche Medien finden. Diese Bruchstücke werden in diesen Medien dann vermischt mit Beschreibungen wie den folgenden :
„Es gibt feministische Gruppen, Dritte-Welt-Gruppen, Schwulenverbände, Anti-Genfood-Organisationen, „Gewerkschafter gegen Stuttgart 21“ und ein halbes Dutzend junger Frauen, die sich „feministische Banker gegen den Kapitalismus“ nennen. […] ‚Italien wird von einem Euro-Technokraten regiert, nicht von einem Politiker‘, sagt ein Student aus Genua. ‚Das sagt doch alles.’“ [Der Spiegel, 19.5. 2012]
„Bunt war die Szenerie gewesen, so bunt, dass sie politisch fast oftmals beliebig wirkte: Linkspartei- und DGB-Fahnen waren ebenso zu sehen wie die der Fluglärmgegner und die des syrischen Staates.“ [Fr, 02.06. 2013]
Welche Chance auf Aufmerksamkeit eines nicht schon linksradikalen Lesers haben in so einem Darstellungsumfeld die in die Medien gelangten Spuren unserer Pressemitteilungen? Keine. Und in gewissem Sinne auch zu Recht, denn oft geben die bunten Schilderungen politischer Skurrilitäten die Protestrealität ja ganz zutreffend wieder.
Im Unterschied zu 2012 waren die Meldungen der Mainstream-Medien in diesem Jahr so vom repressiven Polizeieinsatz geprägt, dass Inhalte ohnehin fast gar nicht vorkamen, weswegen einer Eingemeindung ins abstrakt Gute nichts entgegen stand. So Jakob Augstein in seiner Spiegel-Online-Kolumne: „Die Polizei knüppelt den bürgerlichen [!] Protest nieder.“ (03.06.2013)
Das wesentliche Problem im Konzept der Diskursbeeinflussung: Nicht ein irgendwie offener Diskurs beeinflusst die herrschende Ideologie, sondern was in den Diskurs gelangt, was also in den Medien wiedergegeben, öffentlich diskutiert und von einer größeren Zahl von Leuten wirklich wahrgenommen wird, ist notwendig beschränkt. Nicht nur von den ökonomischen Interessen z.B. der Medieneigner, sondern auch von den ideologischen Weltsichten der Mediennutzer: Leute lernen nicht dadurch ihre falschen Gewissheiten infrage zu stellen, dass man in zwanzig Zeilen mal kurz was aufschreibt und es ihnen dann, bearbeitet durch eine Redaktion, in der Zeitung zum Frühstücksbutterhörnchen serviert. Auf diesem Weg kann man für Alternativen innerhalb des bürgerlichen Politikverständnisses werben, nicht aber für eine grundsätzliche Alternative. Für das Ego von Linken, die „politische Player“ sein wollen, ist das marginale Wahrgenommenwerden in den bürgerlichen Medien deshalb vielleicht eine tolle Sache. Für die Agitation der radikalen Linken sind Spiegel und FAZ – zumindest derzeit – völlig bedeutungslos und keine durchtippte Nacht wert.

Die Leute da abholen…

„Aber“, werden überzeugte Interventionisten jetzt einwenden, „diese Art von Öffentlichkeit von der du da redest ist doch nicht das Entscheidende. Es geht um die Leute, die sich schon als Teil des Sozialprotestes sehen, deren Forderungen zu kurz greifen. Da müssen wir mit den richtigen Argumenten intervenieren, um die Leute zu radikalisieren!“
Dagegen kann, wenn es denn funktioniert, kaum jemand etwas haben. Nur müsste hier strategisch mal konkret gesagt werden, was man bei wem genau wie genau erreichen will und kann.
Justin Monday hat in der Phase 2[1] schon darauf hingewiesen, dass es in den Krisenprotesten einen regressiven Stream gibt, der unseren Positionen gar nicht näher ist als die staatliche Praxis. Eine ähnliche Beobachtung konnte man auch schon bei den Hartz-IV-Protesten mit ihren sozialchauvinistischen Untertönen machen. Was genau macht die Leute auf entsprechenden Protestdemos dann zu „Genossen, die sich irren?“ Sind sie tatsächlich ein „natürlicher Adressat“, der jeden Einsatz von Ressourcen überlasteter linksradikaler Kleingruppen verdient? Wer die D-Mark zurückhaben will, wird sich bis auf weiteres von uns nur schwer überzeugen lassen. Zwar ist auch eine solche Auffassung nicht angeboren und prinzipiell veränderbar – als Ort und Motor einer solchen Veränderung ist aber gerade ein Großevent, und sei es noch so brav flankiert von solidarisch-kritischen Vortragsveranstaltungen der radikalen Linken, wenig geeignet. Er ist viel zu weit weg vom bürgerlichen Alltag, der den Chauvinisten jeden Tag in seinen Auffassungen bestärkt.
Oder geht es beim „Leute Abholen“ eher um eine Art Idealadressaten, Leute die (noch) nicht organisiert sind, die vielleicht mit 14 ’ne Attac-Gruppe gegründet haben, aber jetzt drüber weg sind, die Kapitalismus scheiße finden (auch wenn sie vielleicht noch nicht genau wissen, was das ist), und die auch gegen Antisemitismus sind und gegen Staat (irgendwie) und gegen Rassismus und Sexismus… und die insgeheim auf etwas analytische Ordnung in diesem linken Grundgerüst hoffen – also auf uns?
Ihr Anteil dürfte bei Blockupy nicht viel größer sein als bei einer 1.Mai-Demo des DGB. Ein Großteil der Teilnehmer besteht hier allerdings nicht aus Gewerkschaftern in Popeline-Jacken, sondern aus Bewegungslinken, die ihr Selbstwertgefühl gerade daraus ziehen, dass sie etwas tun – anstatt nur zu reden, beispielsweise. Gerade deshalb sind sie auch bisher nicht bei uns gelandet: Es gehört zu ihrem Selbstbild, dass es sehr wohl ein „richtiges Leben im Falschen“ gibt, nämlich das des Aktivisten. Die Macht der Verhältnisse zu unterschätzen und sich selbst zu überschätzen gehört notwendig dazu:
„Machen wir deutlich, dass wir nicht weiter zulassen werden, dass die Krise auf den Rücken von abhängig Beschäftigten, Erwerbslosen, Pensionierten, Prekären, Studierenden, Flüchtlingen und vielen anderen Betroffenen abgeladen wird, weder anderswo, noch hier.“ [Aufruf Blockupy Frankfurt, 2012]
„…Dass wir es nicht zulassen werden…“?? Schön wär`s gewesen, aber irgendwie haben wir’s ja, muss man rückblickend sagen, dann doch zugelassen, gelle?… Diese Mischung aus einfach mal draufloslabern und die eigenen Kräfte überschätzen gründet nicht nur auf Irrtümern über diese Gesellschaft, sondern auf dem Bedürfnis, sich immer als handelnd zu erleben. Bauchlinke, die so etwas gut finden, sind ungefähr genauso schwer vom langen Weg zur Revolution zu überzeugen wie die D-Mark-Liebhaber. Vor allem wer schon viel an Zeit und Kraft in dieser Richtung investiert hat empfindet die notwendige Kritik linksradikaler Prinzipienreiter an solcher Scheinpraxis als Beschädigung seiner selbst.
Warum eigentlich solche Leute ausgerechnet auf Großveranstaltungen gewinnen wollen, deren inhaltliche und äußere Struktur wir nicht selbst setzen? Mit einer Interventionspolitik, die die Szenegebundenheit der radikalen Linken verstärkt, weil die Aktionsformen auf das übliche junge, im weiteren Sinne alternative, akademisch geprägte Milieu konzentriert bleiben? Was aber angesichts des scheinbar „großen Dings“ das da gedreht wird, mit diesen irre vielen Leuten im öffentlichen Raum, gar nicht als Begrenztheit auffällt, deshalb auch nicht schmerzt –und deshalb auch nicht geändert wird?

„Willst du also lieber `nen Lesezirkel gründen?“

Nein, das dann doch nicht. Kommunist sein setzt ja mehr voraus als die begriffliche Kenntnis von den Verhältnissen: Zumindest einen Rest von Subjektsein nämlich – und das hat Erfahrungen zur Voraussetzung, die dieses Nicht-Kleingemachte am Leben erhalten.
Insofern ist „Praxis“ ein wichtiger Bestandteil kommunistischer Arbeit. Weniger, weil die radikale Linke in absehbarer Zeit gesamtgesellschaftlich „praktisch“ etwas zum Besseren verändern könnte – dafür sind wir zu sehr marginalisiert. Doch wir brauchen die Erfahrung, mit anderen nach unseren eigenen Grundsätzen kooperieren zu können, nicht vermittelt über direkten Zwang oder den Markt, sondern gegründet auf Überzeugung. Diese Erfahrung widerspricht der herrschenden Ideologie, dass der Mensch dem Menschen immer ein Wolf sei, und dass es des Geldes oder staatlicher Gewalt bedürfe, damit so etwas wie Kooperation und letztlich Gesellschaft überhaupt funktionieren kann. Zu wissen, dass diese Ideologie unwahr ist, ist das eine, es zu merken etwas anderes.
Deshalb hat das in der radikalen Linken verbreitete Bauchgefühl, dass „Praxis“ grundsätzlich etwas Gutes ist, und zwar nicht nur wegen ihrer Wirkung nach außen, ein Argument auf seiner Seite: Emanzipative Erfahrungen setzen ein gemeinsames Tun voraus, also etwas ganz anderes als das bloße Nach-Denken inhaltlicher Positionen in Lesezirkeln. Aber es kommt natürlich auf das „Wie“ der Praxis an – gerade wenn es um die Auswirkung der Praxis auf die radikale Linke selbst geht, auf die Leute, die die linksradikale Praxis tragen.
Was die großen Events selbst angeht, also Großdemos, Blockaden usw., so wird hier das Gefühl von Praxis vermittelt, weil das Ereignis selbst schlicht anders ist als der Alltag. Wenn unser Ziel aber (um mal ein ganz großes Fass auf zumachen) eine freie Assoziation ist, dann käme es auf eine Praxis an, die uns auf dieses Ziel vorbereitet: Zwecke festlegen und gemeinsam realisieren können, Einheit von theoretischer Arbeit und Reproduktion, aushandeln üben von Interessengegensätzen zwischen Menschen, deren Interessen erstmal alle gleich gelten. Mit Kumpels aus der Kleingruppe und dazu noch drei Dutzend Leuten, die man nicht kennt, im Bus durch die Republik fahren, dann drei Stunden auf einer Demo mitschlurfen und dann wieder in den Bus retour liefert in dieser Hinsicht keine Erfahrung, die einen wirklich weiterbringt.
Viel wichtiger als das Event selbst könnte im Sinne emanzipativer Erfahrungen die Vorbereitung der Aktion sein: Auch das ist politische Praxis – die immerhin das sichtbare Ergebnis hat, dass viele Tausend Leute irgendwo in Deutschland durch eine Stadt laufen. Ob sie das dann mit mäßigen Parolen tun (siehe oben) müsste ja gar nicht entscheidend sein. Allerdings sollte dafür wenigstens die Vorbereitungspraxis unseren politischen Zielen entsprechen.
Doch das tut auch sie nicht. Interventionismus findet unter Zeitdruck statt. Der begeisterte Interventionist geht in der Regel davon aus, dass die Proteste „diesmal aber wirlich“ alles ganz anders machen werden – jedenfalls dann, wenn er sofort aktiv wird. Eile scheint deshalb immer geboten zu sein. Das bekommt dann die konkrete Form, dass z.B. eine andere Gruppe, die im Bündnis aktiv ist, eine Textvorlage liefert, die innerhalb von drei Tagen diskutiert oder umgeschrieben werden muss, und die Frau von dieser Zeitung – oder war`s ein freier Mitarbeiter? – sich kurzfristig für ein Gespräch angesagt hat, das natürlich nur ein erfahrener Genosse führen kann. Wichtige Formen der Interventionspolitik sind deshalb: möglichst gewiefte Delegierte zu Presseterminen und in Bündnisplena schicken, wo sie dann Aufruftexte durchkauen, bis sie auch von politischen Gegnern nicht mehr schlimm gefunden werden. Was eh schon ein Problem unserer Arbeit ist, wird hier nochmal konzentriert: ein Politikstil, bei dem die Macker wichtiger werden.

„Und was ist jetzt mit Blockupy?“

Es spricht also eine ganze Menge gegen die Intervention in krisen- oder globalisierungskritische Proteste. Trotzdem muss man es nicht von vornherein schlimm finden, wenn Linksradikale z.B. bei Blockupy mit kapitalismus- und staatskritischen Positionen zu intervenieren versuchen. Es mag z.B. in Frankfurt strategische Gründe geben, sich in entsprechenden lokalen Bündnissen zu positionieren. Es mag sein, dass es Gruppen gelingt, eine flankierende Aktion so vorzubereiten, dass es die Gruppe selbst weiterbringt. Vielleicht will jemand seine Argumente mal an anderen Adressaten ausprobieren, vielleicht haben auch einfach Leute Bock auf den Trubel, vielleicht wollen sie’s als Gaudi wenigstens einmal im Jahr als Störenfriede ins „Heute Journal“ schaffen – das ist alles nicht verwerflich, nur halt viel profaner als das Gerede vom „gesellschaftliche Widersprüche offenlegen“ im „Herzen der Bestie“ und der ganze pseudostrategische Kram, den man bei solchen Events in der Regel lesen muss.
Wirklich falsch im Sinne von politisch schädlich wird es allerdings dann, wenn „Kosten“ und „Nutzen“ nicht ernsthaft gegeneinander abgewogen werden, also der (eng begrenzte) mögliche politische Erfolg auf der einen Seite und der dafür notwendige Aufwand sowie die strategischen Probleme auf der anderen.
Es geht beim Aufwand ja nicht nur um drei Stunden Demo und fünf Stunden Fahrt. Es geht um die Stunden Diskussion in den einzelnen Gruppen, um Bündnisplena, um Orgakram, um das Formulieren langer Texte, die acht Wochen später schon niemanden mehr interessieren.
Es geht auch immer um das, was man in dieser Zeit und mit dieser Kraft sonst politisch hätte unternehmen können – und was nicht stattfindet, weil das nächste Event scheinbar immer der dringendste ist. Es reicht z.B. als Zielvorstellung nicht aus, mit einem großen Aufwand zwei Dutzend heimatlose linke Seelen auf einem antikapitalistischen Barrio einfangen zu wollen, wenn dadurch Zeit und Kraft fehlen, sich um die mindestens 15% jährlichen „Schwund“ in der eigenen Organisation zu kümmern, um die Leute, die aus biografischen, Frustrations- oder sonstigen Gründen der radikalen Linken den Rücken kehren.

Mobilisierung ist nicht mal die halbe Miete

Die Bedingungen für eine sinnvolle Intervention z.B. in Blockupy sind aus den dargestellten Gründen nicht sonderlich gut, trotzdem mag eine konkrete Analyse (die man dafür allerdings anstellen müsste) ergeben, dass eine Intervention in einer bestimmten Situation politische Möglichkeiten bietet. Um die zu nutzen, müssten wir aber ein paar Anforderungen erfüllen – eigentlich selbstverständliche Anforderungen:
– Ums Ganze muss frühzeitig reflektieren, welcher inhaltliche Preis für die Intervention zu zahlen ist bzw. wo hier Grenzen des Akzeptablen sind. Das bezieht sich sowohl auf die ideologische Submessage des Gesamtevents (z.B. auf Appellanteile) als auch auf die Verwässerung eigener Positionen in der Bündnisarbeit. Dafür reicht es nicht aus, sich vorzunehmen, einem „antikapitalistischen Standpunkt“ Gehör zu verschaffen. Etwas mehr sollte es schon sein. Reflexion hieße hier z.B. schon im Vorfeld Differenzen mit unseren Bündnispartnern (die ja meist de facto längerfristig feststehen) herauszuarbeiten. Schon vor den hektischen Situationen in Bündnisplena müssen wir die Positionen der anderen Organisationen bezogen auf das Eventthema identifizieren, schauen, wo sie von unseren abweichen und eine mögliche Kompromisslinie finden, die wir politisch noch für sinnvoll halten.
– Über die Bündnispartner hinaus müssen wir zentrale in unseren Zielgruppen vorherrschende Vorstellungen herausarbeiten – solche, die wir bestärken und zuspitzen wollen und solche, die kritisiert gehören. In der Regel sind bei Großevents z.B. viele Leute dabei, mit denen wir uns eigentlich gerne organisieren würden, die aber vor Ort sind, weil sie z.B. den Staat zu einer anderen Krisenpolitik bewegen wollen. Sie teilen gerade die radikale, systemkritische Grundlage unserer Kritik gar nicht. Das strategische Problem, solche Leute zugleich mobilisieren und kritisieren zu wollen, müssen wir ernst nehmen. Dieser inhaltliche Teil der Intervention muss von vornherein Teil des strategischen Plans sein und nicht nachträgliche Kosmetik für Entscheidungen, die längst getroffen wurden nach Kriterien des Mobilisierungserfolgs. Bevor jetzt alle nicken: Das kostet Zeit, die es bei unseren bisherigen Kapazitäten unmöglich macht, die Vorbereitung einer Intervention in wenigen Monaten zu stemmen.
– Als Resultat müsste es wenigstens in Ansätzen ein strategisches Briefing unserer Referenten geben und ein strategisches Konzept für schriftliches Material. Und wenn es das vollkaskomäßig überzeugende Flugblatt nicht gibt, sondern eher der längerfristige Diskussionszusammenhang entscheidet, dann müssen Leute von uns vor Ort erkennbar und ansprechbar sein – und idealerweise eine Vorstellung davon haben, was sie z.B. mit jemandem aus der Oberpfalz machen, der zu keiner Gruppe gehört, aber Interesse an einer weiterführenden Diskussion hat. Die schlichteste Variante wäre, dass wir uns vor dem Event Gedanken über eine kleine Seminarreihe machen, zu der wir Interessierte einladen können.
– Und schließlich: Es muss sowohl in unseren Gruppen als auch im Bündnis reflektiert werden, was die Intervention und ihre Vorbereitung mit unserer eigenen Organisation, mit den Gruppen, mit unseren Leuten macht. Werden sie belastet und müssen hinterher auf Kur? Oder haben sie vor allem Spaß? Haben sie Erfahrungen gemacht, für die sich der Stress gelohnt hat? Ziel muss es sein, dass in der Vorbereitung Arbeits- und Kommunikationsformen ausprobiert werden, die sich von einem Schützenverein oder einem Kirchenvorstand wesentlich unterscheiden. Auch das steht der bisherigen Praxis entgegen, alles dem Ziel der maximalen Mobilisierung unterzuordnen.
Diese Kriterien bedeuten nicht viel mehr, als dass sich Ums Ganze auch in einer Event-Intervention selbst ernst nehmen muss. Stattdessen wurde in der Vergangenheit der Schluss, „Natürlich müssen wir da hin!“ oft so schnell gezogen wie Hundies Speichelfaden vorm Fressnapf – das jeweilige Megaevent war einfach so geil, dass sich scheinbar jede strategische Frage erübrigte. Auf diese Weise aber werden selbst die paar Ansatzpunkte, die sich in einer eventorientierten Politik hie und da bieten, vertan.

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Mythologie der linken Debatten über die Russische Revolution 1917

8. August 2017 149 Kommentare

Ich bin auf folgenden Artikel in der Zeitschrift Prokla, Heft 187 Juni 2017, hingewiesen worden, der gut zu den Threads bei NestorMachno zur Kritik an den Positionen des GegenStandpunkts (und früher der Marxistischen Gruppe) zum Charakter und den Entwicklungen nach der Oktoberrevolution in der nachmaligen Sowjetunion paßt:
„Mythologie der linken Debatten über die Russische Revolution 1917“
Autor ist Ewgeniy Kasakow, Doktorand der Forschungsstelle Osteuropa Bremen

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Rüdiger Mats zur Kritik am Commonismus

26. Februar 2017 1 Kommentar

Der folgende Artikel von Rüdiger Mats erschien in konkret 1/2017 und knüpft an an einen Artikel „Butter bei die Fische“ an, den der Autor 2015 dort untergebracht hatte . Ich hatte damals einen gleichnamigen Artikel dazu gebracht, was eine umfangreiche Diskussion nach sich gezogen hat.

Termiten aller Länder, vereinigt euch!

Die Commons-Theorie feiert gemeinwirtschaftliche Konzepte als praktische Kapitalismuskritik. Was taugt sie?
Konzepte commonsbasierter Produktion, auch Peer-Ökonomie genannt, sind in. Auf linksradikalen Kongressen wird darüber gesprochen, linke Sozialdemokraten wie Katja Kipping reden davon, und die Heinrich-Böll-Stiftung bringt dicke Sammelbände dazu heraus. Aber das muss ja nicht gegen die Commons-Theorie sprechen.
Es gibt in der Kapitalismuskritik genügend Leerstellen, die es notwendig machen, nach neuen Wegen zu suchen: Wie lässt sich eine nachkapitalistische Gesellschaft grundsätzlich organisieren? Wie gelangen wir da hin? Solche Fragen wurden bisher – sieht man vom Realsozialismus ab – nur sehr vage beantwortet. Die Commons-Theorie beansprucht, eine genauere Antwort zu sein.
Was sind Commons?
Unter Commons werden Güter verstanden, die Menschen gemeinsam, in direkter Kooperation nutzen, ohne daran als einzelne ein Eigentumsrecht zu besitzen. Der Commons-Theorie ging es ursprünglich darum zu zeigen, dass die Nutzung von Ressourcen nachhaltiger funktioniert, wenn man sie gemeinwirtschaftlich bewirtschaftet, als wenn man das marktwirtschaftlich tut. Elinor Ostrom, Mitbegründerin der Theorieschule, hat dafür 2009 den Wirtschaftsnobelpreis bekommen.
Ein jüngerer, wenn man so will: linkerer Ableger der Commons-Theorie geht ein Stück weiter. Im Rahmen der Commons-Ökonomie sollen alle frei entscheiden, welche reproduktiven Aufgaben sie übernehmen (Peer-Produktion). Hier erscheinen Commons als »Keimform« einer völlig anderen gesellschaftlichen Produktions- und Organisationsweise.
Worauf der Fokus der Commons-Theorie liegt, lässt sich dem Band Die Welt der Commons entnehmen, den die Heinrich-Böll-Stiftung 2015 herausgebracht hat: Rund 25 präsentierte Commons-Modelle sollen zeigen, wie erfolgreich Commons schon hier und jetzt funktionieren. Allein zehn der Beispiele stammen dabei aus dem Bereich der Landwirtschaft. Traditionelle Waldbewirtschaftung in den Karpaten, kollektive Graslandnutzung in Äthiopien – wirklich »peer to peer« geht es da nicht immer zu. Sieben weitere Beispiele kommen aus dem Bereich Open Source/Open Science, wo Spezialisten anderen Menschen Wissen zur freien Nutzung zur Verfügung stellen – Programmquellcodes oder die Bauanleitung für ein Mikroskop. Kein Beispiel kommt jedoch aus dem Bereich industrieller Gebrauchsgüterfertigung.
Einfach mal die Liste abarbeiten?
Eine den Kapitalismus überwindende Potenz sucht die linkere Commons-Theorie – der traditionellere Flügel ist daran nur mäßig interessiert – vor allem in der Informationstechnologie: Erstens greife hier der Commons-Gedanke schon jetzt immer mehr um sich; zweitens stünden die Ergebnisse der IT-Technik (Baupläne, Quellcodes) immer mehr Menschen frei zur Verfügung, wodurch Privateigentum an Produktionsmitteln irgendwann verunmöglicht werde; drittens könne man erst mit IT-Technik so kommunizieren, wie es der Idee der Commons eigentlich entspreche.
Um mit dem letzten Punkt zu beginnen: Das Ideal der Commons-Kommunikation ist nicht etwa die Konsensfindung im Diskurs. Denn auch konsensorientierte Entscheidungsverfahren seien – so Christian Siefkes, einer der wichtigsten Autoren von »Keimform.de« – von Unterordnung gekennzeichnet, letztlich also hierarchisch geprägt: Man müsse Kompromisse machen, stimme vielleicht nur zu, um das Gesamtprojekt nicht zu gefährden oder weil der Diskussionsprozess zu aufwendig ist.
Besser als den auf Konsens (oder im Notfall auf Mehrheitsentscheid) zielenden Diskurs findet die Commons-Theorie die »Stigmergie«. Der Begriff wurde in den fünfziger Jahren bezeichnenderweise in der Biologie eingeführt: Termiten kommunizieren, indem sie Duftmarker hinterlassen, die andere Termiten dazu bringen, bestimmte Aktionen auszuführen. Die signalgebende Termite und die ausführende Termite müssen gar nicht direkt in Kontakt treten. Findet die eine ein Loch im Bau, setzt sie ihre Duftmarke und geht ihrer Wege; die vorbeikommende Bautermite wird durch die Duftmarke dazu angeregt, das Loch zu stopfen, das sie selbst vielleicht gar nicht entdeckt hätte. Genauso funktioniert nach der Commons-Theorie zum Beispiel Wikipedia: Fällt mir beim Lesen eines Artikels auf, dass ein Stichwort neu erarbeitet werden müsste, setze ich eine Marke in Form eines roten (leeren) Links; findet ein anderer diesen Link, wird er (hoffentlich) dazu angeregt, das Loch zu stopfen. Mehr noch: Genauso könne nach Siefkes und anderen »Keimformlern« die ganze gesellschaftliche Reproduktion funktionieren: ohne Markt, aber auch ohne gesellschaftliche Planung, ohne Hierarchien, ohne dass Entscheidungen und das Ausführen von Tätigkeiten auch nur getrennt wären. Dass Konsensfindung ganz schön nerven kann, weiß jeder, der linke Kleingruppen von innen kennt. Insofern wäre eine Alternative eine tolle Sache. Nur haut es leider nicht so hin, wie die Commons-Theorie sich das vorstellt. Selbst bei Wikipedia funktioniert Stigmergie nur unter besonderen Bedingungen: Die Produktionsmittel (Rechner) stehen potentiell bei jedem zu Hause und sind – anders als ein Hochofen – nicht von vornherein auf ein bestimmtes Produkt festgelegt. Sie sind nicht in einem längeren Produktionsprozess gebunden. Die einzelnen Teilprozesse sind von einzelnen zu bearbeiten, was den Abstimmungsaufwand minimiert. Wird ein Artikel eine längere Zeit nicht geschrieben, hat das keine ernsteren Auswirkungen (anders als bei Arbeiten etwa im Wasserwerk). Vor allem aber: Wikipedia-Autoren sichern mit dem Artikelschreiben weder ihren Lebensunterhalt noch den anderer Leute – was dazu führt, dass sie es von heute auf morgen sein lassen können, wenn es ihnen stinkt. Deswegen braucht man in diesem Bereich auch nur rudimentäre Institutionen zur Regelung von Interessenkonflikten.
Trotz dieser günstigen Bedingungen arbeitet Wikipedia nicht rein stigmergisch. Gibt es Streit um einen Artikel, ist man entweder wieder bei den Konsensverfahren, bei denen nach Siefkes die Unterordnung unter den Kompromiss droht, oder bei einem Machtwort des Apparats. Denn Wikipedia funktioniert nur mit über 80 Festangestellten allein in Deutschland, die den Nutzern gegenüber nicht als Peers auftreten, sondern Durchsetzungsbefugnisse haben.
Doch wenn Wikipedia als Modell für eine gesellschaftliche Produktionsweise gelten soll, liegt dem ein noch viel basaleres Missverständnis zu Grunde: das Missverständnis, dass Ökonomie wesentlich in der Übernahme offener Aufgaben bestünde. Nehmen wir als Beispiel die Entscheidung der kubanischen Revolutionsregierung 1959, das Gesundheitswesen auszubauen. (Nur vorsichtshalber: Es geht hier allein um das ökonomische Problem, das als repräsentativ angesehen werden kann für Probleme, die es gäbe, wollte man vom Kapitalismus verwüstete Landstriche nach einer Revolution menschen-gerechter gestalten.) Es gab damals lediglich etwa 6.000 Ärzten in Kuba, von denen noch viele auswanderten. Innerhalb zweier Jahrzehnte stieg ihre Zahl auf 70.000, das waren relativ zur Bevölkerungszahl mehr Ärzte als in Westeuropa. Die Entscheidung zum Ausbau des Medizinsektors hatte Voraussetzungen im Bildungsbereich, im Bausektor, in der medizinischen Forschung, in der Rohstoffgewinnung – und auch überall da, wo bestimmte Ressourcen aufgrund der Entscheidung nicht (mehr) einsetzbar waren.
Der Zusammenhang von Ziel und Voraussetzung ist in der Realität zu vermittelt, als dass die Bedürftigen (im kubanischen Beispiel: Kranke) und diejenigen, die Abhilfe schaffen können, über To-do-Listen miteinander kommunizieren könnten. Ein Baukollektiv kann selbst weder beurteilen, ob es genug Ärzte gibt, noch, ob es eher an Krankenhäusern oder eher an Arzneifabriken mangelt. Letzteres ist aber ein Problem, wenn beide Anforderungen gleichzeitig auf To-do-Listen im Netz stehen. Die Informationen liegen lokal nicht vor beziehungsweise müssen von Spezialisten interpretiert und priorisiert werden. Und das ist kein politisch neutraler »technischer« Prozess, sondern ein Vorgang, der Macht generiert, Macht, mit der in der befreiten Gesellschaft bewusst umgegangen werden müsste.
Den Commons die Zukunft?
Breitet sich der Commons-Gedanke immer weiter aus? So dass die Ökonomie sich ganz von alleine aufs »Commoning« um- und einstellen wird? Die Commons-Theorie sieht das so. Und tatsächlich beruht immer mehr Technologie auf Open-Source-Elementen. So ist zum Beispiel die Basis des Android-Betriebssystems ein Linux-Kernel. Doch das ist nicht gleichbedeutend mit einem quasi natürlichen Siegeszug des Commons-Gedankens. Die Linux-Foundation veröffentlicht regelmäßig, wer die »Contributors« zur Weiterentwicklung des Betriebssystems waren. Im vergangenen Jahr wurde der größte Beitrag geliefert von – Intel, einem Konzern mit etwas mehr als 100.000 Mitarbeitern. Das macht Linux nicht schlechter, als wenn es von Enthusiasten in einem alternativen Co-working-Space fortgeschrieben würde. Und es zeigt tatsächlich eine gesellschaftliche Veränderung an, allerdings eine andere, als die Commons-Theorie meint.
Schon immer konnte Kapitalismus nur funktionieren, wenn riesige Bereiche der Reproduktion außerhalb der Verwertungslogik organisiert wurden: Familie, Bildung, Verkehrswegebau und so weiter. War beim Verkehrswegebau der Auftraggeber der Staat, der zum Beispiel die Straßen bauen ließ, auf denen das deutsche Kapital seine Waren in die Welt schicken konnte, so ist für heutige »Verkehrswege« die Wirkungssphäre von Staaten zu klein. Das Kapital muss den Ausbau grundlegender Gemeingüter zunehmend selbst in die Hand nehmen. Welches Unternehmen welchen Anteil am Aufwand übernimmt, ist ökonomisch umkämpft, der Nutzen für das Kapital insgesamt aber größer, als wenn jedes Einzelkapital versuchen würde, seine eigene Plattform zu entwickeln. Grundlage ist jedenfalls das anderweitig stattfindende lohnende Geschäft. Mehr Open Source kennzeichnet eine Veränderung im Produktionsprozess des Kapitals – aber ist kein Zeichen für eine Commonisierung der Gesellschaft.
Historischer Materialismus durch die Hintertür
Einige der Commons-Theoretiker sind davon überzeugt, dass der technische Fortschritt den Kapitalismus auf lange Sicht schlicht abschaffen wird. So geht etwa Jeremy Rifkin davon aus, dass irgendwann jeder einen 3D-Drucker im Wohnzimmer stehen hat. Wäre das der Fall, würden die Leute nicht mehr ihre Arbeitskraft verkaufen müssen, sondern nur noch peer to peer Baupläne für alles Benötigte austauschen.
Zwar hat jede vernünftige Kritik des Bestehenden Momente von Utopismus. Doch von Rifkins Umwälzung der technischen Grundlage menschlichen Lebens sind wir noch arg weit entfernt. In den letzten Jahren ist die Anzahl von Menschen, die als Wanderarbeiter in China oder in pakistanischen Sweatshops schuften, größer geworden, nicht konkret 1/17 37 kleiner, und für die bietet der 3D-Drucker auf absehbare Zeit keine Perspektive. Auch längerfristig wird das »Internet der Dinge« ohne Vergesellschaftung der Verfügungsmacht über Rohstoffe, Wasser und Boden keine humanisierenden Wirkungen haben. Doch bei Rifkin hat sich die Produktion scheinbar völlig von ihren stofflichen Grundlagen emanzipiert.
Andere Commons-Theoretiker wie Stefan Meretz, neben Siefkes wichtigster Autor bei »Keimform.de«, sind zwar ebenfalls der Auffassung, dass der Kapitalismus von der Commons-Ökonomie abgelöst werden wird, aber nicht allein aufgrund technischer Entwicklungen. Vielmehr sorge die kapitalistische Krise dafür, dass die »Systemkohärenz« verlorengehe und notwendige Aufgaben, denen Staat und Kapital nicht (mehr) gewachsen sind, von Commons übernommen werden müssten – so werde die Gesellschaft Schritt für Schritt commonisiert.
Es ist ein merkwürdig harmonistisches Bild gesellschaftlicher Veränderungsprozesse, das hier gezeichnet wird. Die Systemkrise führt dazu, dass Menschen durch das Ausbleiben des Lohns massenhaft die Lebensgrundlage abhanden kommt. Das mit Urban Gardening und Tauschbörsen auffangen zu wollen, ist absurd. Statt dessen müsste die Eigentumsfrage gestellt werden. Doch vor gesellschaftlichen Kämpfen, ja, vor der politischen Ebene insgesamt schreckt die Commons-Theorie zurück.
Autoritäre Krisenlösungsversuche von Staat und Kapital und faschistoide »Bürgerbewegungen« spielen in der Commons-Theorie keine Rolle. Ein Common kann noch so ökospießermäßig oder patriarchal geprägt sein und doch kritikfrei Erwähnung in einer Commons-Publikation finden. Kämpfe gegen das EU-Grenzregime, gegen Nazis, gegen Rassismus tauchen höchstens als Nebengeräusche der Commons-Projekte auf. Politik außerhalb lokaler Commons ist anscheinend nie so emanzipativ wie die Altkleidertauschbörse nebenan.
Bezeichnenderweise wird diese Sicht selbst dann beibehalten, wenn tatsächlich einmal Kollektive darangehen, die Scherben kapitalistischen Wirtschaftens zu etwas Besserem zusammenzukitten. Auf »Keimform.de« kann man rund 500 Hinweise auf Wikipedia finden, aber nichts Substantielles zu den zahlreichen, von Arbeitern besetzten Fabriken in Südeuropa oder Lateinamerika. Diese realen »Commons«, die in vielfältigen gesellschaftlichen Kämpfen stehen, sind hier bewusster als die Commons-Theorie, die sie doch eigentlich reflektierend begleiten will. Aber angeeignete Großbetriebe oder auch besetzte Universitäten, Kollektive also, die sich nicht mit ihrer peermäßigen Ressourcennutzung bescheiden wollen, passen Keimform & Co. einfach nicht ins Konzept.

Commonismus statt Kommunismus?

Die »linke« Commons-Theorie teilt mit dem Ostrom-Flügel die Vorstellung, Commons bestünden aus Menschen, die »ihre« Ressourcen gemeinschaftlich nutzen. Das ist im IT-Bereich, so scheint’s, global möglich, führt in allen »stofflicheren« Bereichen der Produktion aber zu einer gedanklichen »Bindung an die Scholle« – vermutlich unbeabsichtigt. Dabei käme es in einer »freien Assoziation« darauf an, auch die Abhängigkeit von »eigenen« Produktionsmitteln und dem »heimischen« Kleinkollektiv aufzuheben. Doch das ginge nur auf gesellschaftlicher Ebene, die es in der Commons-Theorie nicht gibt.
Die hat im politischen Umgang mit Interessenkonflikten eine entscheidende Schwachstelle. Meretz fallen dazu nur »Open Space, Worldcafé, systemisches Konsensieren« ein, Methoden, die, wie Siefkes ihn zu Recht kritisiert, allenfalls im Bereich kleiner Gruppen einen Sinn haben. Stigmergie wiederum funktioniert am besten im körperlosen Cyberspace. Zwischen beschaulichem Commons-Projekt einerseits und den Weiten des Internets andererseits klafft eine theoretische und praktische Lücke, die die Commons-Theorie nicht zu schließen vermag.
Angesprochen auf politische Entscheidungsfindung erklärte Christian Siefkes kürzlich in Leipzig, er habe gar nichts gegen politische Verfahren wie Delegation in der Commons-Gesellschaft – vielleicht könne man die Delegierten dann einfach auslosen. Das hat höchstens dann einen Sinn, wenn man sich Gesellschaft als eine homogene Einheit von Commons-Bauern oder Internet-Termiten denkt. Gäbe es keine sozialen Gruppen mehr, entfiele auch das Problem der Repräsentanz.
Von Kommunismus hält die Commons-Theorie wenig. Nach Siefkes läuft jeder noch so demokratisch gefasste gesellschaftliche Wirtschaftsplan auf Wertrechnerei und damit praktisch auf Kapitalismus hinaus. Auf diese Idee kann man nur kommen, wenn man jede Auseinandersetzung mit anarcho-kommunistischen, syndikalistischen oder rätekommunistischen Konzepten vermeidet. Dabei gäbe es hier sogar Anknüpfungsmöglichkeiten an »stigmergische« Methoden, vielleicht nicht als Grundlage, aber doch als partielle Ergänzung politischer Verfahren. Eine solche Anknüpfung ist von der Commons-Theorie selbst nicht zu erwarten. Aber wer weiß? Vielleicht findet eine Integration einiger ihrer Ideen in der linksradikalen politischen Praxis statt. Erfahrungen damit kann man dann hinterher bei Wikipedia diskutieren.

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