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Disput mit Georg Klauda bei Facebook zu Butcha

23. April 2022

Georg Klauda:
„Ich halte von Scott Ritter nicht allzu viel. Er hat sich im Irakkrieg Verdienste erworben, als er als UN-Waffeninspekteur die Lüge von den irakischen Massenvernichtungswaffen aufdeckte. Dafür wurde er sozial dermaßen abgestraft, dass er sich aktuell zu einem ziemlich unverhohlenen Mouthpiece der russischen Regierung entwickelt hat. Trotzdem wirft er hier und da ein paar Fragen auf, die ich auch gern beantwortet hätte. Wenn z.B. deutsche Medien, ohne sich historisch zu genieren, allen Ernstes von einem „russischen Vernichtungskrieg“ in der Ukraine schwadronieren, dann würde ich gern wissen: Hat es eigentlich jemals in einer der zahlreichen von den USA angeführten oder vom Westen unterstützten Invasionen, etwa dem Irakkrieg oder jüngst dem Jemenkrieg, den Versuch gegeben, die Zivilbevölkerung vorher aus der Kampfzone zu evakuieren? Oder war das Motto da nicht immer: „Fire away!“? Kann sich irgendjemand an „Flüchtlingskorridore“ in diesen Auseinandersetzungen erinnern? Leute, die mit Bussen und Zügen zu Millionen in Sicherheit gebracht wurden? Oder war‘s da nicht vielmehr so, dass wir Kriegsflüchtlinge möglichst zu verhindern versuchten oder Leute sogar in Kriegsgebiete abgeschoben haben, was den extrem hohen Blutzoll in diesen „prodemokratischen“ Kriegen erklärt? Das ist eine Frage, die ich mir ernsthaft stelle, und das ohne die Kriegsverbrechen der russischen Seite oder die russische Kriegsschuld insgesamt in irgendeiner Weise relativieren zu wollen. PS: Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense, der unzählige Male widerlegt wurde, und hier zeigt sich halt der spiegelverkehrt propagandistische Charakter seines Vortrags.“

Neoprene:
„“Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense, der unzählige Male widerlegt wurde.“
Was sind denn da die besten Seiten, um sich darüber zu informieren?“

Georg Klauda:
„Z.B. https://apnews.com/article/fact-checking-847134637960 – Aber ich hab da ehrlich gesagt wenig Lust auf eine Diskussion. Ich vertraue westlichen Medien deutlich mehr, was die reinen Fakten betrifft. Das hat einfach was mit ihrer Unabhängigkeit und ihrem journalistischen Ethos zu tun, das ich für einigermaßen intakt halte. Worin ich ihnen misstraue, ist die Art der ideologischen Präsentation und historischen Kontextualisierung.“

Neoprene:
„“Ich vertraue westlichen Medien deutlich mehr, was die reinen Fakten betrifft. Das hat einfach was mit ihrer Unabhängigkeit und ihrem journalistischen Ethos zu tun, das ich für einigermaßen intakt halte.“
Bei mir genau andersrum: Selbst bei den Fakten kann ich nicht mehr erkennen, was ermittelt, was nur nachgeplappert, was überprüft und was nur behauptet wird.
Und bei all den Kriegshetzern und WWIII-Fans noch irgendein „Ethos“ zu erkennen fällt mir genauso schwer wie bei Baerbock oder Hofreiter um nur die NATO-Speerspitzen des Unfaßbaren anzuführen.“

Georg Klauda:
„Da sind aber auch Menschenrechtsorganisationen sowie Ermittler des Internationalen Strafgerichtshofs am Werk. Das setzt einfach die Konstruktion einer derart riesigen Verschwörung voraus, in die unzählige voneinander unabhängige Institutionen verwickelt sein müssten, dass ich das einfach nicht für glaubhaft halte. Darüber hinaus lügen russische Staatsmedien wirklich so dreist, dass ich denen wirklich gar nichts abnehme.
PS: Ich wollte eigentlich das hier verlinken, weil es konkreter auf Scott Ritters Behauptungen zu Bucha eingeht, hatte es nur nicht gleich gefunden: https://faktencheck.afp.com/doc.afp.com.32878AY“

Neoprene:
„Jetzt zu deinem Paradebeispiel von AP für deren tolles Ethos:
Zum umstrittenen Video: Ist dir gar nicht aufgefallen, daß es verdammt wenig Videos oder Photos aus dieser schließlich nicht ganz kleinen Stadt gegeben hat, die man hier oder anderswo sehen durfte? Da sollen unbedarfte Zivilisten ahnungslos in ihren Tod geradelt sein (gibt es als Video einer Drohne) aber buchstäblich niemand hat in all den Wochen der Kämpfe um die Stadt bis zur Wiederinbesitznahme durch ukrainische Truppen, Geheimdienste und Polizei irgendwas von Belang aufgenommen und gepostet? Nach jedem Pokalspiel im Fußball kann man da bei den sozialen Medien mehr finden als hier zu einem ungeheuerlichen Verbrechen. Die Menschen sollen schließlich die ganze Zeit Strom und Smartphones und Internet-Zugang gehabt haben, das war doch nicht Mariupol.
Ja, das sind Tote auf den Straßen gelegen, keine Komparsen oder Puppen. Die Leichen, deren Photos ich gesehen habe, waren erst ganz kurz umgebracht worden (z.B. der ältere Mann, der als Leiche noch geschändet wurde und in einen Gully geworfen wurde und mit einem Gurtband als Verräter gekennzeichnet wurde). AP behauptet unter Verweis auf die berüchtigten Maxar-Bilder, daß die schon seit Wochen dort gelegen hätten, also per definitionem von Russen ermordet worden seien. Das paßt schon mal nicht zusammen. Dann wurden bei mehreren Ermordeten Symbole des Landesverrats gefunden, weiße Armbinden oder russische Versorgungspäckchen. Da klingt für mich Ritters Vermutung, daß diese Menschen einer Jagd durch die Geheimpolizisten und andere ukrainische Polizei oder Armeeeinheiten auf alle Saboteure, Verräter und Kollaborateure gewesen sind mehr Sinn. Warum sollten eigentlich die abziehenden Truppen die Leichen so theatralisch auf der einen Straße abgelegt haben, als wenn die einen Antikriegsfilm hätten drehen wollen?
Warum gibt es eigentlich keine ordentlichen forensischen Aufnahmen der Leichen? Warum wurden die nach der Wiederinbesitznahme der Stadt durch ukrainische Behörden und Streitkräfte so wie alle anderen Leichen umgehend in Massengräbern begraben? Viel feststellen bezüglich der Todesursachen, des Todeszeitpunkts und der vermutlichen Täter wird man jetzt jedenfalls nicht mehr. Die IGH-Leute wurden jedenfalls nicht sofort in den Ort geholt, anders als all die NATO-Politiker, denen Kiew immer wieder den Teppich ausrollt.
Wenn so viele Menschen zur Zeit der russischen Vorherrschaft auf den Straßen rumgelaufen oder gefahren sind (es gib ja zumindest einen toten Radfahrer) und dann von russischen Kräften ermordet wurden, gab es dann eigentlich nie irgendjemand aus den Vierteln, der die Leichen wenigstens mit einer Leichendecke abgedeckt hat, schließlich sollen die da ja wochenlang gelegen haben?
Auffällig an dem AP-Artikel ist zudem, daß er mit keiner Silbe auf die Verlautbarungen des russischen Kriegsministeriums eingeht, die ja den Vorwurf der Verantwortung nicht nur überhaupt sondern auch mit Argumenten, warum sie es nicht gewesen sein können, zurückzuweisen versucht haben.
Apropos Videos: Am Unpassendsten war sicherlich das Statement des Bürgermeisters, der nach seinem Wiedereinzug freudestrahlend über diesen Sieg zufrieden in sein Handy gegrinst hat. Paßt nicht zu einer Gräueltat, die zuvor in seiner Stadt passiert sein soll.“

Georg Klauda:
„Wie gesagt, ich hatte den falschen Fact-Checking-Artikel verlinkt, weil ich den von AFP nicht auf Anhieb gefunden habe. Den hatte ich seinerzeit recherchiert, um Scott Ritters Behauptungen zu überprüfen. Im Ganzen interessiert mich diese Auseinandersetzung um Fakes recht wenig. Ich halte sie auch für völlig fruchtlos. Man begibt sich damit auf völlig verlorenen Posten. Wie Erich Vad, der ehem. Sicherheitsberater der Regierung Merkel, kürzlich richtig gesagt hat, gibt es diese Gräuel in jedem modernen Krieg, egal ob Syrien, Irak, Afghanistan, Libyen oder jetzt der Ukraine. Wer behauptet, dass es eine Krieg ohne Massaker oder Kriegsverbrechen gäbe, der lügt. Krieg ist organisiertes Morden.“

Neoprene:
„“Wer behauptet, dass es eine Krieg ohne Massaker oder Kriegsverbrechen gäbe, der lügt. Krieg ist organisiertes Morden.“
Das ist natürlich unbestreitbar. Aber in diesem Krieg führen die NATO-Staaten und deren Kriegsmedien eben auch einen Informationskrieg. Und auch wenn es in vielen Fällen nicht einfach ist , manchmal sogar unmöglich, sollte man doch die jeweiligen Verlautbarungen zumindest auf Plausibilität prüfen. Und wie so häufig auch die Frage nicht außer Acht lassen, Cui bono? Das russische Massaker in Butscha war *das* Verkaufsargument für die massive Verschärfung der de facto Kriegsteilnahme der NATO-Staaten durch den Übergang zur ganz offenen Lieferung von schweren Waffen an die Ukraine, damit die endlich die Krim zurückerobern können soll. Wenn die NATO überhaupt mit so einem bescheidenen Kriegserfolg zufrieden sein sollte.
Wieso kommst du angesichts dieser Gesichtspunkte dann selbst jetzt immer noch zu dem strikten völlig uneingeschränkten NATO-Standpunkt: „Was Scott Ritter zu Bucha erzählt, ist absoluter Nonsense“?

Georg Klauda:
„Schau mal, ich bin nicht so größenwahnsinnig, von meiner Couch aus mit den Fakten-Rechercheuren von AFP, Human Rights Watch oder dem ICC konkurrieren zu wollen. Ich halte das für eine Übung in Selbstmarginalisierung, bei der du in einer winzigen Gruppe von Gläubigen eine alternative Wahrheit zu etablieren versuchst. Das Verheerende daran ist, dass du den Leuten, die diesen Krieg eskalieren und bis zum letzten Ukrainer weiterführen wollen, im Prinzip recht gibst: Nur wenn man ein absolutes Paralleluniversum konstruiert, meinst du, deine Position noch irgendwie verteidigen zu können. Heißt zugeben, dass deine ganze Position an einem seidenen Faden hängt. Damit nimmst du dich im Prinzip selber aus der Debatte. Nee, meine Argumentation hängt nicht an diesem Faden. Und deswegen lass ich mich von dir auch nicht in dieses sich selbst marginalisierende Paralleluniversum einsperren, in dem ich nur recht habe, wenn alle anderen lügen. Frag dich doch lieber mal, ob die Gegenseite aus ihrer Annahme über die Verbrechen in Bucha überhaupt die richtigen Schlüsse zieht, nämlich erstens dass „unsere Jungs“ solche Verbrechen nie begehen würden (was selbst ein deutscher Ex-General wie Erich Vad für eine völlig absurde und kontrafaktische Annahme hält), und zweitens, dass die Konsequenz daraus wäre, diesen Krieg zu einem militärischen Sieg über die Russen zu führen, darüber das ganze Land zu zerstören, einen Nuklearkrieg zu riskieren und am Ende doch alles zu verlieren, weil so ein Sieg über die größte Atommacht der Erde selbst dann nicht möglich wäre, wenn diese gnädigerweise auf den Einsatz taktischer Nuklearwaffen verzichtet.“

Neoprene:
„Wieso meinst du, „dass deine ganze Position an einem seidenen Faden hängt“? Kennst du meine Position überhaupt. Wieso denkst du, daß die von Bucha abhängt?
Ich bin nicht so NATO-gläubig, daß ich einfach jeden Scheiß, den mir „unsere“ (also deren) Medien vorsetzen, für bare Münze nehme. Und von „Fakten-Rechercheuren erwarte ich zumindest erst mal die Fakten, die man überhaupt kriegen kann, einzusammeln, darzustellen und zu bewerten. Davon kann man in deinen angegebenen Quellen leider nicht allzuviel finden. Was zum Teil sicher an der objektiven Faktenlage liegt. Dann muß man das aber auch dazu sagen und nicht wie du „Right our wrong, my country!“ rufen.
„Das Verheerende daran ist, dass du den Leuten, die diesen Krieg eskalieren und bis zum letzten Ukrainer weiterführen wollen, im Prinzip recht gibst“.
Wieso denn oder wodurch denn? Es wird dich vielleicht verwundern, aber ich bin schon mal strikter Gegner dieser NATO-Strategie, die von Baerbock bis Hofreiter, von Melnyk bis zu Strack-Zimmermann versucht wird, durchzusetzen.
„Nur wenn man ein absolutes Paralleluniversum konstruiert, meinst du, deine Position noch irgendwie verteidigen zu können.“
Wer lebt denn in einem Paralleluniversum, ich oder Melnyk? Wer „konstruiert“ sich denn seine Welt und seine Wahrheiten, ich oder Selenskyj?
Daß ich mit meiner Position marginalisiert dastehe, wie wahrscheinlich noch nie in meinem politischen Leben, das wird schon stimmen. Aber das liegt nicht an mir, sondern an der aberwitzigen Geschwindigkeit, mit der die deutsche politische Öffentlichkeit auf einen Kriegskurs gegen Rußland eingeschworen werden soll und wird, der selbst einen „kleinen“ dritten atomaren Weltkrieg mit einrechnet.“

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  1. Krim
    24. April 2022, 15:24 | #1

    Die Vorwürfe gegen dich, 1. du würdest Leute, die den Krieg eskalieren, recht geben und 2. du würdest ein Paralleluniversum konstruieren sind verkehrt.
    Bloß weil man die Faktenlage für ungeklärt hält und die Diagnose des Westens ein Massaker und Kriegsverbrechen hätte stattgefunden für Propaganda hält, um die Lieferung schwerer Waffen zu rechtfertigen – gibt man den Kriegstreibern nicht recht und konstruiert auch kein Paralleluniversum.
    Wer Paralleluniversum sagt stimmt im Gegenteil der Massakertheorie zu, obwohl die Fakten dürftig sind und ernsthafte Untersuchungen nicht vorliegen oder erfolgen.
    Von den AFP Faktencheckern erfährt man ja auch eher nebulöses: Dass die Leichen Tage oder Wochen alt sind. Die Russen also als Verantwortliche in Frage kommen. Was denn nun Tage oder Wochen? Und was genau spricht für ein Massaker. – Dass 20 Tote auf der Straße liegen? Um die Situation für ungeklärt zu halten muss man kein Paralleluniversum konstruieren.
    Ein Argument von Klauda finde ich korrekt. Die Schlüsse, die der Westen aus Butcha zieht, sind gar nicht von den Fakten abhängig. Die Kritik an diesen Schlüssen hängt also gar nicht daran, was in Bucha nun genau passiert ist. Und so geht der Westen ja auch damit um, deshalb gibt es auch keine Bemühungen ernsthaft wissenschaftlich aufzuklären was wirklich passiert ist. Deshalb kann man zur Kenntnis nehmen, das letztlich außer den Täter niemand genau weiß was passiert ist, aber letztlich hängt davon nichts ab und man muss sich deshalb auch nicht weiter damit aufhalten. Es handelt sich nur um eine Rechtfertigung für die Vernichtung des bösen Feindes in Gestalt der Russen.

  2. 24. April 2022, 17:45 | #2

    Ich gebe dir natürlich recht, wenn du betonst, „Die Schlüsse, die der Westen aus Butcha zieht, sind gar nicht von den Fakten abhängig.“
    Es geht mir auch nicht um die Frage, wie die NATO zu ihrer Ukraine-Politik kommt, welche Interessen sie da bewegen, was sie mit ihrer Intervention in diesen Krieg erreichen will.
    Mir geht es um Kriegspropaganda, um deren Wirkungen bis weit in die Reihen derjenigen, die keine Hurra-Patrioten der einen oder anderen Seite sind. Dabei stimmt natürlich, daß the powers that be dafür gesorgt haben, „das letztlich außer den Täter niemand genau weiß was passiert ist“. Trotzdem sollte man, soweit es eben überhaupt möglich ist, jede der Kriegsnachrichten darauf abklopfen, was davon eigentlich plausibel ist oder gleich offensichtlich erlogen wurde, weil es die eigene Position im Krieg stützen bzw. bebildern soll.

  3. Krim
    24. April 2022, 21:55 | #3

    „Mir geht es um Kriegspropaganda,“ Genau. Das finde ich auch richtig, dass man die Kriegspropaganda sich vornimmt und sie für sich kritisiert. Das halte ich schon deshalb für wichtig, weil das außer ein paar Kommunisten sonst keiner mehr macht.
    Insofern gibt es da auch weniger Gegensatz zu Klauda, als Klauda vielleicht denkt.

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