Renate Dillmann hat mir ihren Briefwechsel mit Arnold Schölzel (dem Chefredakteur der „jungen Welt“, der die China-Veranstaltung von Renate Dillmann mit Peters und Berthold am 17.12.2009 in Berlin organisiert hatte) zur Verfügung gestellt und zur Veröffentlichung freigegeben.
Hier der Streit im Hin und Her:
„Sehr geehrter Herr Schölzel, sehr geehrter Herr Borat,
über den Verlauf der Diskussion am 17.12., mehr noch über den nachfolgenden Artikel von Helmut Peters bin ich einigermaßen verärgert. Stellen Sie sich bei der jw eigentlich so eine sachliche Auseinandersetzung vor? Zu einer solchen hatte mich Peter Borat auf der Buchmesse in Frankfurt eingeladen. Uns beiden war damals durchaus bewusst, dass Peters/Berthold und ich auf der Veranstaltung kontroverse Thesen und Urteile bezüglich der Volksrepublik und ihrer Wirtschafts- und Außenpolitik vertreten würden. Dazu hieß es, das sei ja durchaus wünschenswert und gerade reizvoll, interessanter jedenfalls, als wenn nur Peters und Berthold ihre im Tenor relativ gleich lautenden Bücher vorstellen würden. Nun ist es wirklich nicht so, dass ich es nicht gewohnt wäre, kontrovers zu diskutieren und auch hart zu streiten. Dabei kommt es mir aber in der Tat darauf an, über eine Sache, in diesem Fall eben die Volksrepublik und ihre heutige ökonomisch-politische Verfasstheit, zu argumentieren. Das war in der Diskussion leider nicht einmal ansatzweise der Fall. Die Frage, ob man der Ansicht sein darf, dass in der VR Kapitalismus herrscht und ihre Außenpolitik heute den unternehmerischen und staatlichen Interessen entspricht, wenn man nicht dem Klassenfeind in die Hände spielen will, verrät schon einiges über ein eher bedingtes Verhältnis zur Wahrheit…
Im Vorfeld wurde mir übrigens für die Vorstellung meines Buchs explizit das Thema China – Amerika vorgegeben; die Replik von Helmut Peters nimmt sich dagegen die Freiheit, auf das Buch / die Thematik als Ganzes zu antworten. Und dies in der Form, dass er sich zunächst einmal sehr lange nicht mit dessen Inhalt auseinandersetzt, sondern mit den angeblichen wissenschaftlichen Defiziten der Autorin. Die Veranstaltung und Peters’ Beitrag bemühen sich weniger um Kritik an den von mir vertretenen Gedanken als um die Diskreditierung ihrer Urheberin und Verurteilung ihrer Resultate als Häresie am wissenschaftlich-methodischen Herangehen – übrigens eine erzbürgerliche Manier, Aussagen an vorgeblich gültigen Maßstäben, Methoden und Begrifflichkeiten zu messen, hier nur mit dem Adjektiv „marxistisch“ oder „historisch-materialistisch“ versehen. Dreimal wird Peters dann inhaltlich: in der Frage „Kommunismus und Nation“, dem Grund für Dengs Übergang zur heutigen, von mir als kapitalistisch beurteilten Produktionsweise der VR und bei der modernen chinesischen Außenpolitik. In allen drei Fällen gibt er meine Argumentation aus dem Buch nicht richtig wieder – sei es, weil er sie nicht verstanden hat, sei es, weil er sie nicht teilt und sich die Argumente für seine Kritik so zurechtlegt, wie es ihm günstig erscheint. Auf alle Fälle möchte ich das so nicht stehen lassen. Deshalb hoffe ich – auch im Sinne einer weiteren konstruktiven Zusammenarbeit –, dass Sie mir die Gelegenheit zu einer entsprechenden Replik geben.
Mit freundlichen Grüßen,
Renate Dillmann“
Die Antwort von Arnold Schölzel::
„Sehr geehrte Frau Dillmann,
es tut mir leid, daß Sie über den Verlauf der Diskussion am 17. Dezember verärgert sind, verstehe aber nicht ganz den Grund Ihrer Verärgerung. Die Veranstaltung war – auch mir – als Vorstellung dreier Bücher angekündigt worden. Kontroversen waren zu erwarten. Unplanbar war der konkrete Verlauf der Diskussion, der zum großen Teil vom Publikum beeinflußt wurde. Da es eine Veranstaltung von ungewöhnlicher Länge war, hatte meines Erachtens jeder Teilnehmer auf dem Podium ausreichend Zeit, seine Position darzulegen. Daß über die drei Bücher gesprochen wurde, d. h. nicht über diese oder jene spezielle Frage, war wohl unvermeidlich. Im übrigen halte ich es für besser, Fragen, die einem nicht gefallen, an Ort und Stelle zu beantworten anstatt den Frager unter erkenntnistheoretischen, ideologischen oder sonstigen Verdacht der Bedingtheit zu stellen. Das macht aus einer Diskussion natürlich eine andere, die ich z. B. für völlig überflüssig halte. Ich übrigen bin ich auch nicht der Meinung, daß eine Veranstaltung derart Subjekt wird, daß es ihr weniger um Kritik als um Verurteilung von Häresie geht. Das können dann wohl doch nur konkrete Personen.
Ihre Reaktion auf den Artikel von Helmut Peters, der sicher sehr kritisch ist, erhöht aus diesem Grund nicht meine Neigung, die Kontroverse fortzuführen. Im Mittelpunkt der Kritik von Peters steht aus meiner Sicht nicht der Vorwurf einer Häresie, sondern sehr konkrete Details wie die Deng-Zitate, die Auffassungen der KP Chinas zu Kapitalismus im eigenen Land oder die nachweisbaren westlichen Konzepte gegen China. Sollte Helmut Peters sachlich Falsches geschrieben haben, läßt sich das korrigieren. Darüberhinaus sehe ich wenig Veranlassung, die Kontroverse fortzuführen.
Freundliche Grüße
Arnold Schölzel“
Darauf entgegnete Renate Dillmann:
„Sehr geehrter Herr Schölzel,
wie gesagt, ich habe kein Problem damit, wenn jemand ein anderes Urteil vertritt. Auf Streit in der Sache bin ich aus und stelle mich dem gerne. Lassen wir die Veranstaltung einmal außen vor. Folgendes hat mich geärgert an dem Beitrag von Peters:
1. Was ist bereits problematisch an einer „eigenen Begrifflichkeit“?
2. Was meint Peters mit „arroganter Art und Weise, in der die Autorin vermeint, die KP Chinas belehren zu müssen“? a) ist Kritik an der KP arrogant? b) ist die KP gleich dem Papst unfehlbar? Oder was soll ein solcher Unfug?
3. „Andererseits werden anscheinend bedenkenlos Berichte großbürgerlicher Medien bzw. wissenschaftliche Untersuchungen von Autoren mit einer distanzierten oder antisozialistischen Haltung gegenüber China bedenkenlos (!) wiedergegeben, um die chinesische Entwicklung einseitig in abschreckender Weise zu zeigen“. Dem Leser Primärmaterial zu unterbreiten, ist also gleich zweifach „bedenkenlos“. a) ist Peters der Auffassung, dass seine Leser nicht selbst in der Lage sind, sich über die vorgestellten Quellen Gedanken zu machen und Urteile zu bilden? b) will er vorschlagen, „antisozialistisches“ Material erst gar nicht zur Kenntnis zu nehmen?
4. Peters weiß sehr genau, dass sich mein Buch ein ganzes Kapitel lang (etwa 10 Seiten) mit Dengs Überlegungen 1978 auseinandersetzt. Er müsste auch wissen, dass ich die Gründe der damals beginnenden „Modernisierung“ im nationalen Standpunkt verorte, den Deng bei allen Unterschieden mit Mao teilt. Es ist sachlich mehr als inkorrekt, wenn er den Eindruck erzeugt, als sei die zu Beginn des Teils II zitierte Floskel „Bereichert euch!“ die einzige Stelle, an der sich mit Dengs Bestandsaufnahme und seiner Programmatik beschäftigt wird. Späteres Zitat: „Die Ursachen für diesen Strategiewechsel werden nicht einmal erwähnt.“ Was soll das? Hat er das Buch nicht gelesen – oder will er bewusst falsch informieren?
5. Ich habe nie den Eindruck erzeugt, dass ich diese Quellen im chinesischen Original gelesen habe. Ganz sicher ist das aus wissenschaftlicher Sicht ein Nachteil, den ich auch bedauere; ich bin allerdings nicht der Meinung, dass das in Deutsch und Englisch zur Verfügung stehende Material es verunmöglicht, sich ein fundiertes Urteil zu bilden – nicht mehr und nicht weniger habe ich angestrebt. Und in diesem Sinne zur Sache: Was soll denn der von Peters beschworene Unterschied von „Bereichert euch“ und „einem Teil der Regionen, der Unternehmen und der Arbeiter und Bauern zu erlauben, als erste durch Fleiß, Anstrengungen und große Leistungen ein etwas größeres Einkommen als andere zu haben“ sein? Wo liegt denn da die hinterhältige Fälschung? Selbst wenn man das „etwas größere Einkommen“ ganz auf die Sphäre der Warenzirkulation beschränkt und annimmt, dass hier tatsächlich der Fleiß der Produzenten (von Unternehmen ist übrigens schon die Rede!) die Waren hervorbringen soll, mit denen er dieses „etwas größere Einkommen“ erzielt – was soll denn das anderes beinhalten als eine Bereicherung an der zahlungsfähigen Nachfrage der anderen? Und will man wirklich behaupten, dass es dabei geblieben ist in der Deng-Phase? Oder hat es da nicht doch sehr schnell den Schritt gegeben, dass „etwas größere Einkommen“ durch unternehmerische/landwirtschaftliche Produktion (also die Anwendung und Ausbeutung von Arbeitskraft) zustande gekommen sind? Ist die Behauptung eines Unterschieds also nicht nur Ausfluss eines gar nicht sachlichen Interesses, das auf eine Ehrenrettung des Deng-Programms hinaus will?
6. „Zum einen sprach Marx von einer asiatischen Produktionsweise, zum anderen ist die von der Autorin in diesem Zusammenhang vorgenommene Einschätzung wissenschaftlich längst widerlegt.“ Was soll ein solcher Satz, außer diskreditieren? Weder erklärt Peters, was Marx mit asiatischer Produktionsweise meint, noch warum dieser Gedanke „wissenschaftlich längst widerlegt ist“. Worauf kommt es ihm an?
7. „Sie teilt nicht die marxistische Erkenntnis, dass es für den Sozialismus ,zivilisatorischer Voraussetzungen’ bedarf, dass es z.B. für den Übergang aus vorkapitalistischen Verhältnissen zum Sozialismus unumgänglich ist, sich zunächst einmal den materiellen und geistigen Fortschritt der Menschheit im Kapitalismus zusammen mit seinen Erfahrungen, die ,bürgerliche Kultur’, anzueignen.“ Ja und? Was ist das für eine Art der Feststellung? Ich teile etwas nicht. Und zwar eine angebliche „marxistische Erkenntnis“. Muss man das? Was soll das überhaupt für eine Erkenntnis sein? In der Tat sehe ich im Aufmachen dieses Verhältnisses – erst muss Kapitalismus mit seinen „zivilisatorischen Errungenschaften“ sein, dann Sozialismus – schon ein Lob für die kapitalistische Produktionsweise, das diese meiner Ansicht nach nicht verdient hat. Und wenn dieses falsche Lob für die Entwicklung der Produktivkräfte zum Anlass dafür wird, die angepeilte sozialistische Ökonomie mit einem Instrumentarium falsch verstandener Kategorien der Warenproduktion anzugehen, wird daraus ein praktisches Programm, das die Schädlichkeit des Kapitalismus für die Produzenten des Reichtums nicht wirklich überwindet und sich noch Widersprüche ganz eigener Art einbrockt. So sieht meine Kritik an der realsozialistischen Ökonomie grob gefasst aus – und ich bin der Meinung, dass es doch einiges für sich hat, über die inzwischen untergegangene Produktionsweise mal in dieser Art und Weise nachzudenken.
8. „Losgelöst von den objektiven (?) ökonomischen Bedingungen kann sich Dillmann zum Beispiel gar nicht genug über die angebliche, dem Kapitalismus vergleichbare ,Lohnsklaverei’ im Sozialismus auslassen. Dieses ideologisch geprägte Konstrukt ist das Kriterium, mit dem sie die ersten 30 Jahre Entwicklung in der Volksrepublik China misst.“ Das Wort Lohnsklaverei kommt in meinem Buch ein einziges Mal vor – ich habe die Stelle im Kontext zitiert, damit die wirklich bösartige Manier dieser Zusammenfassung deutlich wird:
„4 Prinzipien staatlich geplanter Wertproduktion und ihre praktische Umsetzung im ersten Fünf-Jahres-Plan: Ein Fehler und viele Widersprüche
Auf dem Land gerät die Bodenreform sehr bald in eine Krise. Die kleinbäuerlichen Eigentümer bleiben im Zustand bloßer Subsistenzwirtschaft, immer knapp an der Grenze zum Verhungern. Ein Grund dafür liegt gerade im relativen Erfolg der Anfangsjahre im Hinblick auf Ernährung, medizinischen Fortschritt und Sicherheit der Lebensumstände: Die Kindersterblichkeit geht drastisch zurück, die Lebenserwartung steigt, Seuchen und Kriege, die zuvor ganze Generationen dezimiert haben, bleiben aus. Das damit einhergehende Bevölkerungswachstum droht nun seinerseits, die Erfolge zunichte zu machen. Dabei macht sich zunehmend auch der Umstand bemerkbar, dass die bloße Neuaufteilung des Landes an die Bauernfamilien natürlich nicht wie von selbst einhergeht mit einer Steigerung der Produktivität. Die dafür notwendigen Mittel (Traktoren etc.) sind nicht vorhanden, ebenso wenig wie eine Industrie, die sie herstellen könnte. Mittel, die ihre Landwirtschaft wenigstens auf kleiner Stufenleiter ergiebiger machen (besseres Saatgut, Zugtiere, Düngemittel) können sich die wenigsten leisten – das private Eigentum wirkt dabei als Schranke, weil die kleinen Bauern auf eigene Rechnung und im Rahmen der in Kraft gebliebenen Geldwirtschaft produzieren. Von dem sowieso schon kümmerlichen Resultat der bäuerlichen Produktion verlangt der sozialistische Staat per Steuern und Naturalabgaben einen Teil, den er für Ernährung und Kleidung seines städtischen Proletariats braucht. Als Folge setzen bereits Anfang der 50er Jahre erste Wellen von Notverkäufen der in der Bodenreform zugeteilten Äcker ein; ansatzweise bilden sich erneut Großgrundbesitz und Lohnsklaverei auf dem Land.
Deshalb treibt die kommunistische Regierung nun genossenschaftliche Zusammenschlüsse voran. Angesichts der beschränkten materiellen Ausgangsbedingungen sollen so mit einfacher Kooperation der Arbeitskräfte und gemeinsamer Nutzung von Tieren und Arbeitsmitteln bessere Ergebnisse erzielt werden. Wegen ihrer Erfahrungen aus der Bürgerkriegsphase und auch mit Blick auf das Desaster der Zwangskollektivierung in der frühen Sowjetunion wird in dieser Phase noch viel Wert auf Einsicht und Freiwilligkeit gelegt. Die ersten Genossenschaften arbeiten auf Basis des eingebrachten Eigentums, das erhalten bleibt und dessen Nutzung den Bauern ebenso vergütet wird wie ihre individuelle Leistung. Die Genossenschaften erhalten zudem staatliche Kredite und Hilfe durch Unterweisung in Agrartechnik; so wird den nicht-genossenschaftlich weiter wirtschaftenden Bauern vor Augen geführt, wie nützlich und vorteilhaft sich ein Zusammenschluss auswirkt. Zudem tritt der Staat als größter Auf- und Verkäufer der wichtigsten Agrarprodukte auf, vor allem von Getreide. Damit will er der wieder aufflammenden Spekulation und Preissteigerung die Grundlage entziehen; andererseits sollen die Bauern über garantierte Aufkaufpreise zur Produktion angeregt und Bauern und Städter über die staatlichen Verkaufspreise mit lebensnotwendigen Getreiderationen versorgt werden.“ (S. 72 ff)
No comment!
9. „Für mich erstaunlich, dass eine promovierte Akademikerin, die sich zum Marxismus bekennt, nicht wissen will, dass sich mit der sozialistischen Revolution auch der bisherige bürgerliche Klassencharakter der Nation ändert und sich eine vom Sozialismus gepräfte Nation in ihrer historischen inneren und äußeren Funktion herausbildet. Natürlich (!?!) spielt der Begriff der Nation im heutigen China eine überragende Rolle. Das drückt sich in dem Ziel der KP Chinas aus, eine ,Renaissance der chinesischen Nation’ anzustreben. Hinter dieser Formulierung verbirgt sich auch der Wille, sich als Volk nie wieder unterdrücken, ausbeuten und diskriminieren zu lassen. Ein tragender Gedanke in China, dem die Autorin bisher nicht begegnet zu sein scheint (obwohl sie diesem bedauerlichen Umstand ganze Kapitel widmet, wie Peters kurz zuvor feststellt! R.D.) Ungeachtet dessen ist es für mich unredlich, nicht zu erwähnen, dass die KP China diese nationale Renaissance auf der Grundlage der Erkenntnis Mao Tse-tungs verfolgt, dass allein der Sozialismus China retten kann (eben dieser Gleichsetzung: der Sozialismus soll China retten – was heißt das für Maos Vorstellung vom Sozialismus und was heißt das für seine Vorstellung von Nation wird lange nachgegangen! R.D.) Ich sehe im Programm und in der Strategie der chinesischen Partei keinen Widerspruch, sondern vielmehr einen dialektischen Zusammenhang zwischen sozialistischem Weg und Entwicklung der chinesischen Nation. Entwicklung der Nation ist hier in gewisser Weise ein Synonym für die Stärkung des Gesamtpotential des Landes zur Sicherung der Existenz und der Abwehr von Versuchen vor allem des US-Imperialismus, China zu ,verwestlichen’. Unter diesen Umständen ist die Stärkung des Landes objektiv Voraussetzung und Bedingung für die Absicherung des sozialistischen Weges.“ Okay, es ist ja offensichtlich, dass Peters für die Volksrepublik und die Politik der KP ist und alles daransetzt, Programm und ideologische Selbstdarstellung des Landes zu verdolmetschen und mit den berühmten „objektiven Bedingungen“ und „dialektischen Zusammenhängen“ jede Entscheidung und jedes dabei rauskommende Fakt als historisch angemessen zu deuten. Weiter gehören Kategorien wie Volk und Nation offensichtlich wie selbstverständlich in sein marxistisches Weltbild. Sich darüber Gedanken zu machen, was da eigentlich alles dialektisch zusammenpassen soll: Sozialismus und ein gediegenes Ausbeutungswesen für Weltmarkterfolg heute bzw. Sozialismus und ein Programm das Volk hart in Anspruch nehmender Massenkampagnen in der Mao-Zeit und schließlich Sozialismus und das Programm einer auf Weltgeltung drängenden Nation damals wie heute! – das darf nicht sein, das ist eine Verfehlung vor allen angeblichen, von Peters’ höchstpersönlich bestimmten Leitlinien des Marxismus.
10. Ich komme zum Kern der ganzen Chose. Der liegt in der Behauptung von Peters, dass es sich in der Volksrepublik nach wie vor um zumindest „perspektivischen“ Sozialismus handelt, eine Behauptung, die sich gedanklich schlicht auf die Weiterexistenz der Herrschaft der KP stützt. „Nach der tiefgreifenden Veränderung des internationalen Kräfteverhältnisses durch den Untergang des frühen Sozialismus und der damit verbundenen Staatengemeinschaft hatte die Volksrepublik zwei Möglichkeiten: entweder sich nur sehr bedingt zu öffnen, dann wäre das Ende der Volksrepublik nur eine Frage der Zeit gewesen, oder sich zu entschließen, das Wagnis einzugehen, bei Wahrung der nationalen Selbständigkeit innerhalb der kapitalistischen Weltordnung zu agieren und alle sich dabei bietenden Möglichkeiten für die Stärkung des Landes mit langfristiger sozialistischer Perspektive zu nutzen. Die KP Chinas entschloss sich für die zweite Möglichkeit (…).“ Einmal abgesehen von der Unwahrhaftigkeit, die darin liegt, die Rolle der chinesischen KP beim Untergang des Ostblocks wegzulassen; einmal abgesehen von der Tatsache, dass die Öffnung Chinas zum Weltmarkt erheblich früher begann und keinesfalls als bloße Re-aktion aufzufassen ist – wofür soll das eigentlich sprechen? Ergibt sich die „sozialistische Perspektive“ wirklich daraus, dass die Volksrepublik im Unterschied zu den anderen sozialistischen Staaten überlebt hat und sich heute – ungeachtet ihres ökonomischen Programms – so nennt? Klar, wenn man bereit ist, alles heute in China stattfindende als Sozialismus durchgehen zu lassen, nur weil man auf diese charakterlose Art rückwärts behaupten kann und will, dass der eigene gelebte Sozialismus doch nicht ganz verfehlt war, bei etwas geschickterer Handhabung durch die eigene Partei vielleicht sogar in ähnlicher Art und Weise hätte überleben können – ja, dann muss man wohl so argumentieren.
11. Selbstbetrug und eine ziemlich systematische Schönfärberei von Programm und Praxis der KP Chinas – statt: eine Auseinandersetzung mit den Prinzipien und Fehlern des realen Sozialismus, die auf der einen Seite zu seinem Untergang und auf der anderen Seite zu der neuen Weltmacht China geführt haben!
Auf der Veranstaltung wurde aus dem Publikum unter großem Beifall behauptet, dass die junge Welt im Gegensatz zur bürgerlichen Presse die einzige wirklich freie Zeitung ist. Gerade haben Sie die Rosa-Luxemburg-Konferenz veranstaltet – mehr brauche ich vermutlich nicht zu sagen…
Ich bin gespannt, wie Sie verfahren werden.
Mit freundlichen Grüßen,
Renate Dillmann“