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Die SpAD und der kontrafaktische Präsens zu China

19. Januar 2010

Die SpaD, die deutsche Sektion der trotzkistischen International Communist League (Fourth Internationalist), hat in ihrer gerade herausgekommen neuen Ausgabe ihres Theorie-Organs „Spartacist“ einen großen Artikel „Arbeiterinnen und die Widersprüche im heutigen China“. Der fängt gleich so an, daß ich schon keine Lust mehr hatte, weiterzulesen:

Die Stellung der Frauen im heutigen China weist direkt auf die gewaltigen Widersprüche dieser Gesellschaft hin. China ist ein bürokratisch deformierter Arbeiterstaat, den wir Trotzkisten bedingungslos gegen Imperialismus und innere soziale Konterrevolution verteidigen. An der Lage der Frauen Chinas erkennt man die enormen Errungenschaften der Revolution von 1949 gegenüber dem rückständigen alten China, das der Tradition verpflichtet war und vom Imperialismus beherrscht wurde. Die Zerschlagung kapitalistischer Klassenherrschaft schuf die Grundlage für einen ungeheuren Anstieg der gesellschaftlichen Produktion, des Lebensstandards und der Frauenrechte und holte Hunderte Millionen chinesischer Frauen und Männer aus ländlicher Rückständigkeit in die Arbeiterschaft einer zunehmend industrialisierten Gesellschaft.
Der Fortschritt Chinas seit der Revolution 1949 und der anschließenden Kollektivierung der Wirtschaft durch die Enteignung der Bourgeoisie als Klasse zeigt die ungeheure Überlegenheit einer Wirtschaft, wo privater Profit nicht die Triebfeder der Produktion ist.

Wieso den „ist“? Genau das ist doch der Streitpunkt, was für eine klassenmäßige Qualität das hat, was da mittlerweile „ist“. Ja, es stimmt, daß „Hunderte Millionen chinesischer Frauen und Männer aus ländlicher Rückständigkeit in die Arbeiterschaft einer zunehmend industrialisierten Gesellschaft“ geholt worden sind. Aber von wem und wofür? Die VR China ist schließlich nicht mal in Asien das einzige Land, wo so etwas nach dem Zweiten Weltkrieg passiert ist. Südkorea ist mittlerweile auch recht industrialisiert mit einer großen Arbeiterklasse männlich und weiblich. Ist das auch ein Beleg für den fortschrittlichen sozialistischen Charakter dieser Gesellschaft? Oder wie steht es um Taiwan?

Kategorien(2) Trotzkismus Tags:
  1. Nestor
    20. Januar 2010, 13:08 | #1

    Na ja, diese sozialistischen China-Fans – das hat ja auch die Diskussion rund um das Dillmann-Buch gezeigt – haben offenbar einen Begriff von „Sozialismus“, wo Privateigentum und Ausbeutung locker hineinpassen.

  2. 20. Januar 2010, 13:11 | #2

    irgendwie scheint die SpAD in ihrer „Analyse“ die 1950er und nicht 2010 zu beschreiben

  3. 20. Januar 2010, 13:38 | #3

    Wie gesagt, ich hab den Artikel noch nicht gelesen, aber der Anfang klingt in der Tat nach den 50ern und nicht nach Gegenwart.

  4. 20. Januar 2010, 14:30 | #4

    Schon der nächste Passus zeigt eine eindrucksvolle Ignoranz gegenüber der Qualität des chinesischen „Sozialismus“:

    Bis zum globalen Wirtschaftsabschwung 2008 lag Chinas jährliche wirtschaftliche Wachstumsrate zwei Jahrzehnte lang bei durchschnittlich 10 Prozent. Etwa 40 Prozent der Bevölkerung wohnen inzwischen in Städten. Mehr als die Hälfte der arbeitenden Bevölkerung arbeitet in der Fertigung, im Transportwesen, auf dem Bau und im öffentlichen Dienst. Das sind fortschrittliche Entwicklungen von großer historischer Bedeutung, hinter denen das Wachstum in den kapitalistischen Neokolonien Asiens weit zurückblieb. Indien zum Beispiel erlangte seine nationale Unabhängigkeit kurz vor der Chinesischen Revolution, doch seine Wirtschaft blieb kapitalistisch. Indiens Bruttoinlandsprodukt pro Kopf beträgt jetzt nur die Hälfte von dem Chinas, während Chinas Armutsquote halb so hoch ist wie die Indiens. Die Unterernährungsquote bei Kindern in China beträgt nur ein Viertel von der in Indien.

    Ja, in der VR China gab es Wachstum, das wird von allen anderen Staaten neidvoll bewundert. Das aber zum Zeichen von Sozialismus zu machen, ist schon deshalb blöd, weil es ja selbst in Asien gar kein Unikum der VR Chinas ist. Taiwan hat auch satte Wachstumsraten vorzuweisen, Südkorea ebenfalls. Und auch in diesen eindeutig kapitalistischen Staaten war das Wachstum der kapitalistischen Wirtschaft von den bei der VR China so gelobten sozialen Entwicklungen begeleitet: Proletarisierung der wertätigen Massen, Verstädterung, Einbeziehung der Frauen in die Lohnarbeit, enormes Anwachsen der Industrieproduktion, gestiegene durchschnittliche Gesundheit der Bevölkerung.
    Das diese Trotzkisten sich nicht zu schade sind, auf die Armut in der VR China hinzuweisen, weil die Armutsquote (wie auch immer die von bürgerlichen Soziologen zurechtgeschustert werden mag, wahrscheinlich wieder irgendein beliebiges Relativmaß) „nur“ halb so hoch ist wie im schreiend ungleichen, von Massenarmut ganzer Landstriche gekennzeichneteten Indien, das ist schon traurig.
    Es spricht auch Bände über eine Gesellschaft, wenn es in ihr, wie in der VR China, massenhaft Unterernährung bei Kindern gibt, also systematisch und nicht zufällig, weil die Eltern krank sind und es keiner merkt, während zur gleichen Zeit dort soviele Rolls Royce wie nirgendwo sonst verkauft werden.
    Wenn die IKL dann mal Nachteile sieht, dann nicht für die Werktätigen, sondern für „die Wirtschaft“:

    „Jedoch ist China keineswegs völlig geschützt vor der destruktiven Irrationalität des kapitalistischen Weltmarktes. Der gegenwärtige globale finanzielle Zusammenbruch hat sich bereits nachteilig auf die chinesische Wirtschaft ausgewirkt“

    wie nachteilig hat sich eigentlich der vorherige Boom auf die Arbeiter und Arbeiterinnen ausgewirkt, die ihn dank der weisen Führung der KP erarbeiten durften?
    All das wird gar nicht dargelegt und erklärt sondern es wird einfach die eigene (semireligiöse) Weltanschauung postuliert:

    Es ist falsch zu behaupten, dass China ein einziger riesiger Ausbeuterbetrieb zur Herstellung von Leichtprodukten für den Export sei — die von einem Großteil der kapitalistischen Medien und auch der reformistischen Linken vertretene Ansicht. Ebenfalls falsch ist die Behauptung reformistischer linker Gruppen, China habe sich irgendwie in einen kapitalistischen Staat verwandelt. Trotz des bedeutenden Vorstoßes imperialistischen, offshore-chinesischen und einheimischen Kapitals sind die Schlüsselsektoren von Chinas Wirtschaft immer noch in Besitz und unter Kontrolle des Staates, ebenso wie das Bankensystem. Ein Drittel der nationalen Gesamtproduktion Chinas kommt von Staatsbetrieben unter direkter Kontrolle der zentralen Ministerien in Beijing. Und dieses Drittel ist das strategische Kernstück von Chinas industrieller Wirtschaft.

    Da hätte man doch wenigsten eine deskriptive Widerlegung erwarten dürfen, so nach dem Prinzip, die paar Fabriken in Shenzhen und im Perlflußdelta, die machen doch den Kohl nicht fett!

    Der massive Ausbau der Infrastruktur — Eisenbahnen, Straßen, Nahverkehr — war nur durch die kollektivierte Wirtschaft möglich.

    Nein, er war deshalb möglich, weil die straffe politische Herrschaft der KP eine Investitionsquote zu Lasten des privaten und öffentlichen Konsums ermöglichte, die es bisher in der Geschichte noch nie gegeben hat. Wenn Kinder verhungern, dann bleibt eben recht viel für Stahlmeiler übrig, möchte ich da bitter anmerken.

    Obwohl rasches Wirtschaftswachstum die Lebensumstände für Millionen von Chinesen verbessert hat, ist die Kluft zwischen Reich und Arm, Stadt und Land größer geworden. Mehr Ressourcen sind jetzt verfügbar, um die Grundbedürfnisse der Bevölkerung zu befriedigen, doch die herrschende Bürokratie hat der öffentlichen Gesundheitsversorgung und der Grundschulausbildung Mittel entzogen. Wachsende Ungleichheit und schwindende Sozialeinrichtungen haben weitverbreitete Proteste hervorgerufen

    Ja warum eigentlich, wenn diese Typen doch Sozialisten sind? Was sind denn die offensichtlich vorherrschenden Ziele und Zwecke? Wer sind – klassenmäßig – eigentlich die „Armen“ und die „Reichen“, von denen hier für Marxisten beschämend ignorant geredet wird?

  5. star wars
    20. Januar 2010, 17:10 | #5

    Na ja, diese sozialistischen China-Fans – das hat ja auch die Diskussion rund um das Dillmann-Buch gezeigt – haben offenbar einen Begriff von „Sozialismus“, wo Privateigentum und Ausbeutung locker hineinpassen.

    Warum das denn? Wenn der „Bäcker“ mit einem Arbeitszettel auf dem Markt trifft…

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