Peter Decker hat bei seiner letzten Veranstaltung zum Euro am 11.12.2012 in Berlin zum Schluß nach der praktisch immer aufkommenden Frage der Alternative, was „man“ denn überhaupt „tun“ könne, wieder eine Art Nachtrag vorgebracht, der in gewisser Weise anknüpft an das, was er neulich in Nürnberg bei der Veranstaltung zum Demonstrieren vorgetragen hatte:
„Zu deinem Satz, „Es gibt da keinen Übergang“, den du sagst, auch zum Satz, „Ja, was ist denn deine Antwort? Und dann ist die Antwort: Weltrevolution!“: Das hat wirklich etwas „Unpraktisches“. Das hat wirklich was von „Bis dorthin gar nichts und dann Alles? Wie soll man da hinkommen?“ Dieses Argument würde ich nicht empfehlen. Es muß schon irgendwie einen Weg „dahin“ auch geben. Es kann nicht sein, dass erst, wenn die allgemeine Stimmung (weißgott wodurch) und der allgemeine Wille (weißgott wie) soweit sind usw., dann löst sich Alles. So kann es nicht gehen. Daß waren jetzt aber nur Bemerkungen zu einer Art Antwort, die du da aus dem Saal gekriegt hast.
Anders rum: Der Stoff, mit den Wohnungen oder der Stoff mit Opel, an diesem Stoff zeigen: Dafür müsst ihr jetzt bluten, das sind die Zwecke, denen ihr geopfert werdet, das ist unser Gewerbe (mein Gewerbe jedenfalls). Das ist „Praxis“ an dieser Stelle. Das ist nicht dasselbe wie: „Leute, bleibt bei Opel drin und macht eine selbstverwaltete Fabrik“. Letzteres halte ich für keine Antwort, auch keinen Schritt in Richtung der Einsicht, dass der Kapitalismus weg muß. Fast wäre es ja eine „Einsicht“, „Es geht doch auch, ohne dass der weggeht!“ Aber die Hauptsache gegen die selbstverwaltete Fabrik ist doch, dass man selbstverwaltet ungefähr dasselbe machen muß wie bisher fremdverwaltet, weil man sich am Markt behaupten muß. Sonst hat man eben keine Chance als Gewerbetreibender.
Und da ist der Gedanke, betrachten wir Opel (die Bochumer Fabrik) doch mal als Gebrauchswert (das war vorhin in der Rede drin), den halte ich für ganz daneben: Den Gegensatz vom Gebrauchswert und dem Zweck, den es gibt, also den herrschenden ökonomischen Zweck (Wert vermehren, Geld machen), diesen Gegensatz darlegen, ist eine einfache Sache. Aber dann ein Element des Kapitals zu nehmen, (und man muß doch erst einmal sagen, dass diese Fabrik hinkonstruiert ist als Element in der Arbeitsteilung von Opel usw.), dieser Gebrauchswert ist überhaupt nichts außerhalb seiner kapitalistischen Nützlichkeit. Ja, dass wissen wir aus den anderen Städten ja auch: Da hört irgendeine Industrie auf und irgendwas (darum müssen wir uns als Linke nun wirklich nicht zu sorgen) findet die Stadt schon. Aber das macht dann die mit ihrer Überlegung und dann sind da halt Fitness-Center drin und alles Mögliche noch. Es findet eine neue Verwendung der Räume statt, aber die ist selbstverständlich wieder kapitalistisch kalkuliert usw. Das ist für Niemanden ein Ausweg. Und ich glaube noch nicht einmal, dass du im Ernst meinst, dass das ein Ausweg wäre.
Du denkst mehr an die Seite: Und da haben Leute mal gegen das Eigentum verstoßen. Dann sind sie mal in einer Wohnung sitzen geblieben, wo sie das eigentlich nicht mehr durften. Und das gibt es ja, dass Leute sagen: Meine Not ist jetzt so dringend, dass ich das Eigentum, dass ich ja sonst kenne und im Prinzip auch immer respektiert habe, an dieser Stelle nicht mehr respektieren kann. Das hat aber wirklich nichts mit Kritik der Eigentumsverhältnisse zu tun! Das ist der Standpunkt quasi des Mundraubs, den kennt sogar das bürgerliche Recht: Es gibt extreme Situationen, da wird anerkannt, dass das Recht des Eigentums nicht das einzige Recht ist, dass es im Land gibt. Jemand hat vorhin erzählt, dass die Spanier, die in ihren Wohnungen sitzen bleiben, und jetzt liest man, dass Gerichte sich sogar weigern, die Räumungsbefehle auszustellen. Dann hat man das Recht anerkannt, dass es in Situationen großer Not, dass aus dem Standpunkt, (der gar nicht menschenfreundlich ist), dass ein Staat ein Volk hat und dass das Volk die Grundlage der Staatsmacht ist, dass es da noch andere Gesichtspunkte gibt, als dem Eigentum immer recht zu geben, das gehört selber noch zur kapitalistischen Gesellschaft und ist in keinster Weise schon ein Schritt über sie hinaus!
Es ist wirklich etwas Anderes zu erläutern: Den Gegensatz (wenn ich so marxistisch rede) von Tauschwert und Gebrauchswert, den Gegensatz von Bedürfnis und Geldmachen. Und eine Organisation aufbauen, die diesen Gegensatz zu beseitigen zu ihrem Zweck macht. Das ist etwas ganz Anderes als in bestimmten extremen Situationen darauf zu bestehen, dass das Eigentum auch die Not, wenn sie ganz am Größten ist, anerkennen muß. Und den Unterschied, den würde ich auf alle Fälle hochhalten wollen. Der Übergang in Notbewältigung hat einfach nichts mit linkem Aufstand zu tun, es ist auch kein Schritt dorthin. Es gehört in die ganz normale Politik, in die Aufregungen, die der Kapitalismus in den Völker erzeugt – muß er ja –, wenn die Menschen verhungern, dann muß doch irgendwer mal sagen, „gibt es jetzt nicht mal was?“ Das ist völlig klar, aber das hat nichts tu tun mit Kritik an, Protest gegen und Angriff auf die Eigentumsordnung zu tun. Und diese Unterscheidung, die möchte ich auf jeden Fall hochhalten. Und da gebe ich noch immer jedem tausendmal recht, der sagt, „Die Weltrevolution fällt doch nicht vom Himmel“.
Nein, wir müßten dort, wo eine Macht (und das können übrigens nicht die Mieter sein), gegen das Kapital existieren kann, weil die Arbeitsleistungen der Lohnabhängigen gebraucht wird für die Gewinnemacherei, wo also welche eine Macht haben, dort das Bewusstsein schaffen, dass der Zweck, Geld zu machen, unverträglich ist mit dem Zweck, bequem zu leben. Und denen ausreden, dass sie als abhängige Variable des Geschäftsgangs ihre Chance haben. Das halte ich für eine Aufgabe, auch eine „praktische“. Und jeder Fortschritt an dieser Stelle ist ein Fortschritt. Aber das ist nicht zu verwechseln mit Notreaktionen in äußersten Notlagen.
[Einwand aus dem Publikum: Dann ist doch die Frage, wie man so was fortführt. Meine Begründung wäre, gesellschaftliche Produktion wird gesellschaftlich angeeignet, das würde ich dort so vertreten.]
Das hat doch den Charakter: Du interpretierst eine Notaktion von Mietern mit quasimarxistischem Hintergrund, du verschaffst einer Aktion, wo kein Schwein daran denkt, „Jetzt greife ich das Privateigentum an!“, (sie tun das übrigens objektiv), wo dieser Standpunkt uberhaupt nicht vorherrscht, eine Interpretation, und dann hält man sich nicht an die Sache sondern an die Interpretation, das wäre der Anfang vom nicht mehr Gelten lassen des Eigentums. Und da muß ich sagen: Das steckt in der Aktion nicht drin!
[Einwand aus dem Publikum: Das ist eine Frage davon, wie man das den Leuten nahe bringt. Dann begreifen sie, das sie in diesem Punkt die Eigentumsverhältnisse nicht mehr akzeptieren.]
Nimmst du nicht sogar dies zu hoch? Daß sie an diesem Punkt die Eigentumsverhältnisse nicht mehr akzeptieren, du nimmst sogar das noch zu hochwertig: Was akzeptieren sie denn? An diesem Punkt sagen sie, „Der Vermieter soll mal damit leben, dass ich die Miete nicht zahlen kann, die er fordert. Das gibt es im Geschäftsleben überhaupt: Es gibt ja den Standpunkt auch beim Schuldner-Gläubiger-Verhältnis, der Gläubiger soll mal einsehen, dass er einem nackten Mann nicht in die Tasche greifen kann, er soll zu einer „Restrukturierung“ der Schuldverhältnisse bereit sein. Das ist doch kein Angriff auf den Kredit! Das gehört zum Kreditwesen dazu, dass es solche Restukturierungen von Schuldverhältnissen gibt. Und es gehört eben auch zum Mietwesen dazu, dass es – mit verschiedenen staatlichen Gesetzen ja ohnehin schon vorbedacht – Ausnahmen von der Pflicht, Mietzins zu zahlen gibt, wenn es gar nicht mehr anders geht.
[Publikum: Zu Opel, ist es möglich, dort etwas zu machen? Leute macht euch doch mal Gedanken, was könnte man mit dieser Fabrik denn Nützliches produzieren? Und dann schaut man mal, was dabei rauskommt. Das werden dann wahrscheinlich keine Autos sein, (davon gibt es ja schon genug!), aber vielleicht baut man dann Busse oder Gondelbahnen. Das ist doch das wovon wir träumen, von einer neuen Gesellschaft! …]
Ich finde, der Gedanke, die Opelaner, die Bochumer sollten sich überlegen, was man mit der Fabrik an Nützlichem anstellen könnte, den finde ich jetzt wieder gegenüber der Eigentumsfrage usw. naiv. Da fällt doch jedem irgendwas ein. Das ist doch überhaupt keine Kunst. Oder, drehen wir es um: Es wird ganz schwer sein, dass den Leuten was einfällt, denn für alles Nützliche ist im Kapitalismus schon vorgesorgt. Bloß für das, was keiner bezahlen kann, ist nicht vorgesorgt. Sonst gibt es ja Alles. Du wirst schlecht sagen können, machen wir halt keine Autos, machen wir Handys, oder machen wir keine Handys, machen wir Waschmaschinen. Mit allem wirst du dabei landen, dass es das schon Alles gibt. Das war die eine Seite. Am Schluß kommt ein Kinderspielplatz, weil es zuwenig Kindergärten gibt, und die Beiträge für die Kindergärten zu teuer sind.
Ich bin prima im Niederreden von solchen Hoffnungsideen. Ursprünglich habe ich diese Beiträge zu Opel und den Wohnungen aufgefasst in dem Sinne einer Empfehlung, da könnte man doch reinstoßen, da würde man doch praktisch was zu tun haben. Im weiteren Verlauf hat es sich mehr in die andere Richtung verschoben, da tut sich doch schon was, Leute, das Gute ist schon unterwegs! Man bräuchte es nur zu sehen. Nach der Seite hin, da sehe ich sowieso nicht, wieso man sich über so was Gedanken machen sollte: Wenn es schon unterwegs ist, umso besser! Damit brauche ich mich doch nicht zu befassen, ich muß mich doch damit befassen, dass viel zu wenig unterwegs ist. Das lohnt ja kaum zu streiten, ja ja, da ist was Gutes unterwegs! Jaja, bitte, bitte. Was macht’s mir?“