Stefan Kelmring:
„Wenn die Übergewinnsteuer nicht geht, Artikel 15 Grundgesetz ermöglicht die Vergesellschaftung des kompletten Energiesektors.“
Ich:
„Träumt weiter:
Ja, rein technisch ist sowohl eine „Übergewinnsteuer“ möglich wie auch eine Verstaatlichung (im GG euphemistisch Vergesellschaftung genannt). Nur soll sowas nicht den Interessen der Lohnabhängigen dienen sondern der Aufrechterhaltung einer funktionierenden kapitalistischen Wirtschaft. Sowas hat es deshalb in vielen kapitalistischen Staaten für alle möglichen Branchen gegeben, die den jeweiligen Regierungen zu wichtig erschienen, um sie dem Wettbewerb von Konzernen zu überlassen, die ja auf übergeordnete Ziele der staatlichen Politik nur wenig Rücksicht nehmen müssen. Einem Sozialismus nähergekommen ist dadurch die Arbeiterklassen nie. Das waren zumeist Maßnahmen im Kalten Krieg gegen die Sowjetunion. Dafür waren die gut, für uns nicht.“
Stefan:
„Du stellst also fest, dass es sich um eine Maßnahme unterhalb der Weltrevolution handeln würde. Dann gibst du die Norm aus, dass man es nicht machen sollte, da es sich ja um eine Maßnahme unterhalb der Weltrevolution handeln würde. Das klingt für mich wenig Politikfähig, denn da geht es ja auch um die Verschiebung von Diskursen und um die Veränderung von Kräfteverhältnissen usw. Die von dir gewünschte Weltrevolution wird wahrscheinlich nicht vom Himmel fallen. Oder kommt die ganz automatisch?“
Ich:
„Ja, solch eine Maßnahme wäre eindeutig „unterhalb der Weltrevolution“.
Du führst als Grund für eine Befürwortung an, nur so würdet ihr „politikfähig“. Da müßte einiges „verschoben“ werden, nicht zuletzt das „Kräfteverhältnis“. Es wird dich sicherlich nicht überraschen, wenn ich dir zumindest entgegenhalte, daß ich sowas schon seit 50 Jahren von linkeren Sozialdemokraten und ein bißchen linkeren „Kommunisten“ gehört habe. Und, Überraschung, die sind alle auch nicht der „Weltrevolution“ nähergekommen. Das per se spricht natürlich nicht dagegen, Erfolg in diesem Staat hat eben all die vielen Jahre nur eine sozialimperialistische Politik gehabt. Aber sowas hat halt auch so gar nichts „Automatisches“ inne.“
Stefan:
“ Ne, einen Automatismus gibt es bei Klassenkämpfen nicht. Da muss man sich anstrengen. Es wird aber auf keinen Fall etwas, wenn man den Übergang von der Kritik nicht zum Protest und vom Protest zur Politik ich schafft. Und diese muss dann auch noch so angelegt sein, dass sie wirklich transformatorischem Charakter hat. Keine leichte Aufgabe so was….“
Ich:
„Ich kenne politisch z.B. Frau Wissler und Frau Kipping schon seit vielen vielen Jahren. Die sind für mich so ungefähr der Typ „Revolutionärin“, der dir offensichtlich vorschwebt. Nein Danke! „Politik“ will ich so nicht haben.“
Stefan:
„Woher weißt du denn was mir als Typ ‚Revolutionär:in‘ vorschwebt? Da musst du dich etwas mehr mit mir und meinen Positionen beschäftigen und weniger projizieren. Und du musst dir natürlich auch selbst Kritik gefallen lassen, wenn du selbst scharf kritisierst. Einfach nur praxisfern aus einer Lektüregruppe aus andere be- oder aburteilen, enteignet halt auch noch nicht eine einzige Kapitalist:in. Wie stellst du dir den vor, wie die große Transformation erreicht werden soll?“
Ich:
„ Ich habe nicht „praxisfern“, geschweige denn aus einer „Lektüregruppe“ Kritik vorgetragen (wie kommst du überhaupt zu solch einer Vermutung?), sondern in meinem ersten Kommentar einiges Inhaltliches zu deiner Verschiebeaktion geschrieben. Dazu hast du bisher ja noch nicht mal was geschrieben. Ob das nun „scharf“ war, nun ja, es ist halt für mich offensichtlich.
Nochmal, eine Enteignung (in unserem Staat übrigens streng geregelt einfach nur ein Abkaufen) einzelner Unternehmen oder manchmal auch Branchen ist nichts, was systemwidrig oder gar systemsprengend wäre. Sondern es dient einem kapitalistischen Staat dazu, seine jeweilige Staatsräson „besser“ (für ihn) umzusetzen. Das war so im Bismarck-Reich, das war so in den Staaten, die aus dem Ende der Kolonialzeit in Afrika entstanden sind und so wäre das heutzutage auch.
Ich stelle mir die „große Transformation“ übrigens gar nicht vor, ich habe da auch keinen Königsweg zur Revolution, ich kann nur im hier und heute versuchen dazu beizutragen, daß nicht wieder, wie schon seit mehr als hundert Jahren, Linke im kapitalistischen (und hierzulande sogar imperialistischen) Staat ein Mittel auf dem Weg zu ihrer Befreiung vom Joch des Kapitals sehen.
Schon das ist schwer genug, vor allem hier bei Facebook natürlich, aber anderswo offensichtlich auch.
Viel Glück mit deinem Typ Revolutionär:in, was auch immer du dir da vorstellst. Ich befürchte, meine Vorstellungen kommen da nur am Rande vor, um es nett zu formulieren.“
Stefan:
“ Schön, dass du es nett formulierst. Das meine ich ehrlich. Dass du dir die Transformation gar nicht vorstellen magst, bestätigt natürlich meine Annahme einer Praxisferne eher, als dass es sie widerlegt. Ja, du hast Recht, erst mal modifiziert eine Verstaatlichung nach Paragraph 15 GG den Kapitalismus nur und es ist keine Vergesellschaftung, da müßten die Produzent:innen die Organisation des Rnergiesektors schon selbst vornehmen, was gegenwärtig nicht absehbar ist. Ein solcher Schritt wäre aber eine massive diskusive Verschiebung, da es nach vorherrschend neoliberalen Glauben ein Unding ist, dass die Privatwirtschaft dysfunktional sein könnte und dann auch noch, wenn auch nur in einen Sektor, zum Wohle einer Mehrheit einzuschränken wäre. Das wäre eine Bresche, die politisch viel Neues möglich machen würde. Man muss in Schritten denken…“
Ich:
„Nun gut, was war denn für dich die letzte „Bresche“, die „viel Neues“ nicht nur möglich gemacht hat, sondern tatsächlich auch nach sich gezogen hat?“
Stefan:
„Die letzten ‚kritischen Ereignisse ‚, die die Geschichte wirklich kontingent gemacht haben, sind natürlich lange her, wie die ‚Nacht der Barrikaden‘ im Pariser Mai 1968 oder die Wahl von Allende in Chile. Wir leben halt in echt konservativen Zeit, wo es erst lange, wahrscheinlich Jahrzehnte dauernde Kämpfe um Gegenhegemonie braucht, um die Kräfteverhältnisse wieder umzukehren. Das oben wäre ein Mosailsteonchen dazu…“
Ich:
„Ja, so wie der Ramelow der deutsche Weg zu Lenin war, halt auch ein Mosaiksteinchen…“
Stefan:
„Hm, das ist jetzt aber ganz schön unsachlich…“
Ich:
„Nein, das war nicht unsachlich, sondern der Inbegriff von „linker“ Realpolitik. Man, was war das für eine „Bresche“!!“
Stefan:
„Ein Plädoyer für eine linke Realpolitik habe ich jedenfalls nicht gehalten…“
Ich:
„Was sind denn deine winzigen „Mosaiksteinchen“, deine Forderungen, deren Verwirklichung das „kräfteverhältnis“ „verschieben“ würden, anders als Realpolitik? (Und natürlich immer ganz auf dem Boden des GG, das hat ja auch schon 50 Jahre Tradition.)“
Stefan:
„Schau dir doch mal zb das Konzept der revolutionären oder radikalen Reformen von Andre Gorz aus den 1960er Jahren an und dann können wie sachlich diskutieren und dann musst du mich nicht immer in bestimmte Schubladen stecken oder polemisieren oder wie mit dem Bezug auf Ramelow das Thema wechseln…“
Ich:
„Den Gorz habe ich ein paar Jahre später sogar gelesen. Jetzt beim großen Bücherausmisten ging der dann auch raus. Von daher kommst du damit zu spät für mich.“
Stefan:
„Ja, dann wird es nicht das richtige für dich gewesen sein. Mir ist aber immer noch nicht klar, welche Veränderungsstrategie du so hast…“
Ich:
„Hättest du mich vor dreißig Jahren gefragt, da hätte ich dir wie aus der Pistole antworten können. Da habe ich als Trotzkist noch bei LL (wir sagten damals LLL) eine Zeitung an Gregor Gysi zu verkaufen versucht (sowas hat er aber schon damals nicht gemocht). Man fängt als kleine, streng leninistische Kadergruppe an. Mit revolutionären Umgruppierungen, sprich dem Gewinnen von Teilen anderer sich auch als revolutionär verstehender Gruppen wird man größer. Dann macht man exemplarische Gewerkschaftsarbeit in zentralen Bereichen und erarbeitet sich revolutionäre Gewerkschaftsfraktionen. Ganz wichtig war es dann, die Massen der typisch reformistischen Arbeiter, in der BRD also in erster Linie die SPDler (und in der DDR die SEDler) von ihrer klassenkollaborationistischen Führung wegzubrechen und damit den revolutionären Pol zu stärken. Garniert mit einigen Wahlkämpfen kommt man so schon irgendwie einem proletarischen aufstand näher. Und dann sieht man weiter.
Daraus wurde nichts und ich glaube mittlerweile auch, daß es so auch zukünftig nicht gehen wird. Aber damit habe ich jetzt auch keine Wundertüte aus der ich eine „revolutionäre Strategie“ ziehen könnte.“
Stefan:
„Ja, es ist eine Sysiphus Arbeit, sie ermüdend sein kann…“
Ich:
„Nein, das ist nicht die Hauptfrage. Sondern in welche Richtung man vorgeht, auf welche Gipfel man sich hocharbeiten will. In einem klugen Film meiner Jugend sagt Leni Peikert, »Mit großen Schritten macht man sich nur lächerlich. Aber mit lauter kleinen Schritten könnte ich Staatssekretärin im Auswärtigen Amt werden.«
Nun gut, das hat dann Joscha Schmierer geschafft.“
Stefan:
„Ich glaube, dass wir uns einig sind, dass Joscha Schmierer keine gute Richtung eingeschlagen hat…“
Ich:
„In der Tat, aber Frau Wissler oder Frau Kipping (von Gysi gar nicht zu reden) eben auch nicht.
Vor beinahe 10 Jahren habe ich dazu mal was Genaueres geschrieben:
„Kritik des Programms der Partei Die Linke für die Bundestagswahl 2013“
https://neoprene.noblogs.org/post/2013/09/27/925/ „
Stefan:
„Wo wir uns halt nicht einig sind, ist die scharfe Trennung von Reform und Revolution, die du zum einen machst – da ist es für mich nicht zufällig, dass du irgendwann an eine Grenze gekommen bist. Und zum anderen gibt es für mich einen hohen Wert von Arbeitsteilung und Rollenverteilung in einem Veränderungsprozess. Da haben, wenn er erfolgreich sein soll, Radikale ebenso ihren Platz, wie Reformer, Sympathisanten und andere. Es ist das Zusammenspiel, das den Erfolg möglich macht, da die einen etwas können, was die anderen nicht vermögen. Danke für Deinen Text! Den schaue ich mir gerne an. An dem eben genannten Thesen sitze ich gerade und hoffe, dass da demnächst auch mal ein kleines Textchen zustande kommt. Da freue ich mich natürlich dann über konstruktive Kritik…“
H.D. Lechte:
„Etwas differenzierter ist es schon, was er schrieb. Da ist ja was dran. Diese beiden Positionen kämpfen doch tagtäglich in allen radikal marxistischen Köpfen miteinander. Meines Erachtens gehört das zusammen. In dem sozialdemokratischen Umfeld, in dem wir uns bewegen besteht auch immer die Gefahr, sozialdemokratisch instrumentalisiert zu werden. Dagegen muss man sich gelegentlich auch öffentlich wehren.“
Stefan:
„Die Gefahr der Integration ist mir bewusst. Aber halt auch das Risiko der Selbstisolierung und politischen Bedeutungslosigkeit. Linke Politik bewegt sich halt auf des Messers Schneide, man darf nicht in die eine oder andere Richtung abrutschen.Und einfache Antworten gibt es nicht, sonst hätten wir längst einen Verein der Freien und Gleichen….“
Lechte:
„Das meinte ich gar nicht, obwohl in der Tat besteht die Gefahr, vom System quasi aufgesogen zu werden. Ich meinte mehr, dass man instrumentalisiert wird, Beifall von der falschen Seite bekommt, diese Dinge halt gegen die man sich nicht wehren kann, weswegen man, ich jedenfalls, zwischendurch immer mal wieder klar machen will, ich bin für Reformen, damit aber kein Freund eures Reformismus. Dies gerade wenn man sich nicht nur im radikalen linken Lager aufhält, sondern wie ich in DIE LINKE.“
Stefan:
„Wieso meines Reformismus? Ich bewege mich ebenfalls in beiden Milieus…“
Lechte:
„Ich sprach von meiner Partei, schrieb sozusagen in direkter Rede. Du warst NICHT gemeint! Nur den Papst würde ich in der 1.Person Plural ansprechen.“
Ich:
„ „In dem sozialdemokratischen Umfeld, in dem wir uns bewegen besteht auch immer die Gefahr, sozialdemokratisch instrumentalisiert zu werden. Dagegen muss man sich gelegentlich auch öffentlich wehren.“
Ja wenn es nur „gelegentlich“ sein muß, dann kann man es auch gleich lassen. Q.e.d. bei der Linkspartei.“
Ich:
„“ Aber halt auch das Risiko der Selbstisolierung und politischen Bedeutungslosigkeit.“
Wenn es nicht darum geht, was richtige Einsichten in „unser“ Gesellschaftssystem und „unseren“ Staat sind, sondern darin, politisch „bedeutend“ zu sein, also am Besten Koalitionspartner, um das „Kräfteverhältnis“ zu bewegen, dann besteht nicht nur die „Gefahr der Integration“, dann steht man eben voll und ganz auf dem Boden des GG dieser kapitalistischen Gesellschaft. Und posaunt das eben auch konsequent immer wieder raus (siehe jetzt die Linkspartei fast geschlossen zum Ukrainekrieg). Schreibt es ganz bewußt in seine Parteiprogramme, Grundsatzreden usw. Mit sowas steht man nun wirklich nicht „auf des Messers Schneide“.
Ich sage übrigens nicht, daß Kommunisten „einfache“ Antworten anzubieten haben. Sie sollten nur erst mal richtig sein. Zum Ausdruck bringen, daß man weiß, daß es im Kapitalismus eben keinen Frieden, kein vernünftiges Leben für alle geben kann und der deshalb nicht nur ein bißchen verschönert und verbessert gehört, mit einer UNO-Resolution oder einem BGE oder 14 Euro mehr für die Grundsicherung, sondern daß der abgeschafft werden muß.“
Lechte:
„Wie bist du denn drauf? Hätte ich es nicht so geschrieben, hätte man es lesen können als unterstellte ich Stefan, er verhielte sich nicht so.“
Ich:
„Was hast du „so“ geschrieben? Was wäre die „Unterstellung“ gewesen? Ich verstehe nur Bahnhof.“
Lechte:
„Du hast kritisiert den Begriff „gelegentlich“. Das empfand ich als rechthaberische Korinthenkackerei.“
Ich:
„Nein meine Kritik an der Politik der Linkspartei ist alles andere als Korinthenkackerei. Du nimmst sie ja nicht mal soweit zur Kenntnis, daß du auch nur eine einzige Behauptung von mir zu widerlegen versuchst.
Damit stehst du ja nun wahrlich nicht allein da in deiner Partei. Ich kann mich in den letzten Jahren nur an eine einzige Podiumsdiskussion erinnern, wo ein Vertreter der Linkspartei sich mit linkeren Linken an den Tisch gesetzt hat (das Streitgespräch mit Christian Spehr, Landessprecher der Linkspartei in Bremen, mit Jonas Köper vom GegenStandpunkt am 20.09.2013).
Neoprene » Warum Linkspartei wählen verkehrt ist (immer noch) (noblogs.org)