Nach einigen Vorträgen, Artikeln zum Thema und immerhin ein klitzekleines Maß an Diskussionen zum Thema, selbst hier, möchte ich jetzt eine recht grundlegende Kritik anbringen:
Rolf Röhrig hat in seinem letzten Vortrag in Regensburg wieder mal auf den Gegensatz von fiktives Kapital (in Form der Myriaden von „Wert“papieren in der Finanzwelt) versus wirklicher Reichtum in Form von Ferraris, Luxusjachten oder Bürotürmen geredet. Er hat auch auf den klassischen Gegensatz der bürgerlichen Medien und der Wirtschaftswissenschaften hingewiesen, die die „Realwirtschaft“ und das „Finanzwesen“ (englisches deutsch macht daraus interessiert gerne eine „Finanzindustrie“, als wenn die was echtes produzieren würde) kennt. Ich möchte nun behaupten, daß da überhaupt keine scharfe Scheidelinie zwischen den beiden Formen kapitalistischen Vermögens besteht, sondern daß die beide grundsätzlich gleichermaßen fiktiv wie real sind.
Denn soviel steht ja fest, als physischer Gebrauchswert interessieren die allermeisten Dinge in dieser Welt die Leute, die sie kommandieren, nur ganz am Rande. Es ist natürlich schön, wenn eine Hütte eine schöne Aussicht hat, aber wichtig ist für den Verkäufer wie den Käufer, daß damit ein Zeiger auf einen unabänderlichen „Wert“ des Dings gegeben sei, der den aktuellen Preis rechtfertig. Gerade die Immobilienwelt ist doch ein trauriges Paradebeispiel, wie das Wachstum von fiktivem Zettelreichtum zu einer irren Steigerung der Nachfrage nach Immobilien geführt hat, die dadurch auch im „Wert“ (na ja, eben nur im Preis) gestiegen sind. Und die mit dem Untergang der Finanzblase auch wieder weg sein werden. Warum sind Immobilien in London oder Manhattan so teuer? Weil dort die Macher der Finanzszene konzentriert sind, die einerseits die Büros, die sie brauchen, teuer mieten können und deren Mitarbeiter mit ihren Luftnummern genügend Geld verdienen, um noch die irrwitzigsten Wohnungs- oder Häuserpreise bezahlen (oder genauer beleihen lassen zu können). Auch hier besteht der Wert der Güter also im Vertrauen, daß sie Wert verkörpern.
Auch in der Realwirtschaft ist doch weithin das Vertrauen in die zukünftigen Rückflüsse/Einahmen/Erträge die Basis für die Geschäfte. Weil die Hypothekenbank auch glaubt, daß es mit der City von London immer so weiter geht, glaubt sie auch, daß man einem Junior Credit Analyst schon mal das sechsfache seines Jahreseinkommens als Wohnungskredit geben kann, weil erstens er schon genügend Kohle ranschaffen wird, und notfalls irgendein anderer Makler/Broker/Fondsmanager dessen Hütte wohlmöglich noch teurer kaufen würde, oder sie kreditiert den Ankauf von irgendeinem Büroturm mit einer Fabelssumme, weil die Mieten dort sicher noch weiter ins Irrwitzige ansteigen werden. Die ganzen Docklands sind doch der imposante Beleg dafür, wie eine Blase einerseits real in der Landschaft rumstehen kann und andererseits buchstäblich nichts über den Wert gesagt ist, wenn man hört, daß so ein Bürokasten 10.000 m² Fläche hat und 100 Mio € gekostet hat. Wert ist der eben nur dann was, wenn dort rund um die Uhr die Telefone klingeln. Sonst kann man da Ketten vor die Tür hängen, um die Obdachlosen abzuwehren.
Nicht mal ganz normale, „gesunde“ Warenproduktion kann sich doch ihrer Werthaltigkeit sicher sein: Der Ciabatta-Bäcker, der denkt, am Brötchenbacken kann doch wirklich nichts falsch sein, wird sich wundern, wenn eines Morgens aus der U-Bahn-Station, aus der bisher die ABS-Spezialisten der XYZ-Bank in Scharen auf dem Weg zur Arbeit seine belegten Snacks mitgenommen haben, ausbleiben, weil von heute auf Morgen die Bank 5000 Leute gefeuert hat. Der Hersteller von robustem Büroteppichboden schaut dann auch in die Röhre, weil es auf einmal gar keine neuen Büros mehr gibt, in die er sein Zeugs legen lassen könnte.
Die Verhaftung der gesamten Gesellschaft für die Einlösbarkeit all der aufeinandergehäuften Zettel bedeutet eben auch für die „reale“ Wirtschaft, daß deren Werte sich in nichts auflösen, wenn sich die Werte in den luftigen Höhen der Finanzwelt auflösen.
Nur die Ferraris bleiben nützliche Dinge, mit denen kann man immer noch so schnell, wie es eben mit einem Ferrari geht, versuchen, allem zu entfliehen. Weit kommen wird man damit aber nicht, auch wenn man ganz weit weg gefahren sein sollte.