Was bedeuten Waffen in „Privat“-Hand? zwei Artikel
23. Juli 2012
Die amerikanischen politischen Mitstreiter des Gegenstandpunkt von Ruthless Criticism haben nach dem jüngesten Massaker in den USA am 20.07.2012 in Colorado einen kleinen Grundsatzartikel zur Bedeutung des „privaten“ Besitzes von Feuerwaffen geschrieben: „Guns as a Bourgeois Freedom“ . Daneben/Dagegen möchte ich einen alten Artikel der trotzkistischen ICL stellen, die 1989 einen längeren Grundsatzartikel hierzu geschrieben hat unter dem Titel „The Revolution and the Right to Bear Arms“, nachzulesen online bei marxist.org. Er ist im Download-Bereich als Word-Version zu haben, und als PDF
Kategorien(1) MG + GSP, (2) Trotzkismus
Na das werden ja lustige Flügelkämpfe werden umd die Frage, ob denn nun die USA oder Deutschland DEM bürgerlichen Staat eher entsprechen. Unser Tip: Mal bei Michael Heinrich mit seinem idealen Durchschnitt nachschauen, der ist geübt darin, Unsinn mit neuem Unsinn zu verkleistern.
ich ignoriere mal den skeptizistischen Müll bzw. Anklang deines Postes und auch ob er nun ironisch ist oder nicht.
Das bürgerliche Staat Buch will doch nur darlegen was ein bürgerlicher Staat ist von seinem „wesen“ her und entweder die Erscheinung Waffenbesitz geht dadrin auf oder nicht. Weil in den USA Waffenbesitz erlaubt und in der BRD nur eingeschränkt erlaubt ist, sind die Bestimmungen die in dem Buch zu Steuern,Demokratie,Rechstaats abstrakt freier Wille gemacht werden, sicherlich hinreichend widerlegt.
Nein, sind sie selbstverständlich nicht. Aber was ist zum Beispiel mit: „Der Schutz vor gewaltsamen Übergriffen der Privatsubjekte gegeneinander ist als Maxime staatlicher Souveränität Akt seiner [gesperrt gedruckt, ppm] Gewährung.“ (S. 14)
Oder: „Im Kampf um die Durchsetzung des souveränen Staates ging es darum […] die gesamte [gesperrt] Gesellschaft seiner Gewalt zu unterwerfen.“
Sind die USA kein souveräner Staat?
Oder verhält es sich umgekehrt, und nicht die Unterwerfung unter das Gewaltmonopol macht die Identifikation mit dem Staat, sondern das Vorbehalt auf eigene Waffen? So wie hier: „Because in the USA it is not only as a “gun owner” that one feels united with the state power; every decent American citizen carries around with him the firmly established national self-confidence whose morality and righteousness he personally represents, so that one holds the appearance of the state power itself often to be somewhere between superfluous and harmful.“
Jeder Staatsbürger ein ideeller „gun owner“.
ppm:
Im zitierten Satz scheint mir mehr betont zu sein, daß die Vorgaben des Staates, insbesondere seine Gesetze, für seine gesamte Gesellschaft gelten. Da kommt das Gewaltmonopol doch gar nicht vor. Auch ein U.S.-Bürger im Besitz einer Smith & Wesson kriegt eben Ärger, wenn er in seiner Einkommenserklärung geschummelt hat.
@Neoprene
wie geschrieben, wir freuen uns auf Flügelstreits, insofern schlagen wir einfach mal vor, dass du diese Interpretation auf dem nächsten jour fixe vorträgst und dann berichtest, was du dir anschließend über den Zusammenhang von Souveränität und Gewalt hast einleuchten lassen.
ppm: Den blöden pluralis majestatis („wir“) mal außen vorgelassen, frage ich mich, was dieser „Vorschlag“ soll: Geht es dir/euch um Klärung des angerissenen Sachverhalts, dann ist eine Vorfreude über eventuelle „Flügelstreits“ fehl am Platze. Dann wäre es nur hilfreich, wenn du/ihr hinschreibt, was ihr zu solch einer Klärung beizutragen habt. Ob das dann überhaupt wenigstens einen „Streit“ ergibt, müßte man dann sehen. (Ich bezweifele selbst das schon mal, schließlich ist das kein neues Thema.)
Dieser Weiße, der neulich in den USA einen Schwarzen erschossen hat mit dem Argument, er fühlte sich bedroht – lässt man den nun einfach in Ruhe, weil der Staat ihm mit dem Recht auf Waffenbesitz zugleich eben auch seine Privatgewalt durchgehen lassen will?
Selbst beim Thema Waffeneinsatz entscheidet der Staat, ob dieser nur Hilfsmittel einer wie auch immer interpretierten Selbstverteidigung ist/war oder damit ein – Achtung: – ungesetzlicher Akt vollzogen wurde.
Und so weit ich weiß, stößt in den USA auch ein Kidnapper nicht auf Desinteresse des Staates, sondern bekommt es mit einer mehrere Stufen robuster ausgestatteten Einsatzgruppe zu tun.
Also nicht mal beim Thema Waffen scheint mir da das staatliche Gewaltmonopol relativiert zu sein, schon gar nicht bei all dem übrigen Kram. Was für eine spannende Debatte das werden sollte, verstehe ich jetzt auch nicht.
Oder leidet jemand am Sommerloch?
Mattis, deine Frage, „lässt man den nun einfach in Ruhe“ ist komisch. Denn wer ist denn dein „man“. Der U.S.-Justizapparat? Die Antirassisten in den USA? Wir hier bei Blogsport?
Dazu folgender Kommentar:
(aus Workers Vanguard 27. April 2012 „Trayvon Martin Case: Black Oppression and Gun Laws in America“
Der Artikel von ruthless criticism ist übrigens die Übersetzung eines Abschnitts aus GS 2-99, Chronik (23), Das Massaker von Littleton: Die Waffe ist des Bürgers Freiheit – gun control made in USA.
Ansonsten Mattis +1.
Die englischen Texte sind für mich nur schwer zu verstehen, insbesondere wenn es um genaue begriffliche Abgrenzungen geht. Daher nur ein kurzer Satz dazu. (Danke für den Hinweis auf den Originaltext, eben erst gesehen.)
Der Rassismus-Aspekt kommt bei dem Thema natürlich obendrauf; aber selbst dabei wird noch deutlich, dass der Staat (z.B. als Staatsanwaltschaft) derjenige ist, der beurteilt, wann die Haltung / Verwendung von Gewaltmitteln wie Schusswaffen zu dulden ist und wann nicht, und solches Dulden / Nichtdulden kann nur einer: der Träger des Gewaltmonopols.
Ich habe zum leichteren Lesen mal einige zentrale Thesen des trotzkistischen Artikels zusammengestellt und übersetzt:
Das Recht, Waffen tragen zu dürfen, ist aus der Revolution entstanden. Es bedeutet eine wichtige Verteidigung gegen Tyrannei. Dementsprechend ziehen es despotische Regime vor, über Untertanen zu regieren, die sich nicht verteidigen können: Eine bewaffnete Bevölkerung könnte schließlich zurückschlagen.
In einer nach Klassen geschiedenen Gesellschaft ist es mehr als nur ab und zu für “gesetztestreue” Bürger notwendig gewesen, sich mit Gewaltmitteln zu verteidigen, selbst gegen sogenannte legale Authoritäten.
Die ganze Frage um das Verbot von Schußwaffen in Privatbesitz dreht sich um die Frage: Soll man diesem Staat soweit trauen, daß man ihm ein Gewaltmonopol zubilligt? Die Antwort darauf bricht sich durch die sich immer mehr vertiefende Polarisation dieser Gesellschaft nach Klassen und ethnischer Zugehörigkeit. Der Kern des Staates ist letzten Endes eine “besondere Formationen bewaffneter Menschen“, wie Lenin unter Verweis auf Marx und Engels in seiner Broschüre „Staat und Revolution“ von 1917 geschrieben hat, und dies ist nicht unser Staat, sondern der der Kapitalisten, sie üben das staatliche Gewaltmonopol aus, um ihre Klassenherrschaft aufrecht zu erhalten.
Die ganze Geschichte der Verbote des privaten Waffenbesitzes ist die Geschichte der herrschenden Klasse, die Bevölkerung zu entwaffnen, besonders in Zeiten von sozialen Kämpfen.
In Europa und Amerika war es der Kampf gegen die absolutistischen reaktionären Tyranneien, die zum revolutionären Prinzip geführt haben, daß der Staatsbürger ein “Recht auf Besitz und Führen von Waffen” hat. Eine der ersten Aktionen der Französischen Revolution war es, die Waffen und Munition aus den Arsenalen sich anzueignen. Und jeder darauf folgende revolutionäre Aufschwung ist von ähnlichen Aktionen begleitet worden
Im 19ten Jahrhundert hat Karl Marx die Hoffnung vertreten, daß die USA einer der wenigen Staaten sein könnten, wo die werktätigen Massen die Macht mehr oder weniger friedlich erobern könnten, weil die herrschende Klasse praktisch kein stehendes Heer hatte sondern sich auf Milizen gestützt hat. Aber am Ende dieses Jahrhunderts waren auch die USA Mitglied des imperialistischen Klubs geworden und haben recht schnell ein stehendes Heer aufgebaut. Und im Laufe der Jahre sind die Rechte des Zweiten Zusatzes zur Verfassung, die doch angeblich unverletzlich waren, zunehmend eingeschränkt worden durch immer weitergehende Gesetze, die den Besitz von Feuerwaffen und die bewaffnete Selbstverteidigung immer mehr zu einem Klassenprivileg gemacht haben.
Hinter dem wiederauflebenden Ruf nach Verboten des privaten Waffenbesitzes steht Rassismus. Wie wir schon häufiger gesagt haben: Das Verbot tötet Schwarze. Mit dem Anstieg der Bürgerrechtsbewegung ist die Frage der Kontrolle des privaten Waffenbesitzes wieder eng verbunden gewesen mit der Furcht der herrschenden Klasse vor der Befreiung der Schwarzen.
Während die USA das Recht “Waffen zu besitzen und zu führen” geraden noch formell aufrecht erhalten, gibt es einige kapitalistische Staaten, wo diese Rechte mehr Realität haben, weil es dort außergewöhnliche Umstände gab und gibt (in erster Linie einen viel gedämpfteren Klassenkampf). In der Schweiz sind 600.000 “Strurmgewehre” in Privatbesitz, mit denen man vollautomatisch schießen kann und in Dänemark sind die “Sturmgewehre” und Maschinenpistolen der Heimatschutzmilizen auch in den Privathäusern der Mitglieder untergebracht (dort gibt es bittere Erinnerungen an die Besatzung durch die Nazis.)
Während die Forderung nach Volksmilizen von der proletarischen Bewegung aufgegriffen wurde, hat die Bourgeoisie ihre eigene Losung “Waffen für jedermann” fallen gelassen.
Mit dem Auftreten des Proletariats als ein eigenständiger Akteur auf der Szene wurde “das bewaffnete Volk” etwas Archaisches, denn die Bevölkerung polarisierte sich zunehmend entlang von Klassengrenzen. 1848 markiert den Beginn der modernen Welt, in der wir noch eute leben, und der Klassenkampf zwischen der Bourgeosie und der Arbeiterklasse ist bis heute historisch nicht entschieden worden.
Die amerikanische Bourgeosie des 18. Jahrhunderts konnte sich den Zweiten Verfassungszusatz leisten, weil es noch nicht so viel Lohnarbeiter gab, die Schwarzen waren noch nicht befreit und “das Volk” bestand zumeist aus kleinen Farmern. Aber heutzutage, in der Todesagonie des Kapitalismus, wo die Wirtschaft auseinanderfällt und Kämpfe der Arbeiterbewegung und der Schwarzen drohen, da wollen sie den Massen die Waffen wieder wegnehmen.
Waffen zu haben ist kein magischer Talisman, aber eine unbewaffnete Bevölkerung ist schutzlos den Massakern der brutalen herrschenden Klasse ausgesetzt, deren Staat bis an die Zähne bewaffnet ist. Marx hat es im Kapital so zusammengefaßt: „Die Gewalt ist der Geburtshelfer jeder alten Gesellschaft, die mit einer neuen schwanger geht.“
diese debatte ist doch blödsinnig. was gedenkst du denn mit deiner waffe gegen die ‚massaker einer brutal herrschenden klasse‘ – und vor allem, wenn hinter diesen die stärkste militärische kraft der welt steckt – auszurichten?
eher schießt dir ein findiger neffe versehentlich in die leisten.
yloyka:
Es gab mal einen eindrucksvollen Film, der auch eine Teilantwort auf deine Frage war:
„Harlan County, USA“ von Barbara Kopple.
Vgl. auch den folgenden Artikel in „Workers Vanguard“ Nr. 1015 vom 11. Januar 2013:
„After Newtown Massacre. Bourgeois Hypocrisy and Gun Control Schemes“
sowie ebda.
„From the Archives of Spartacist: Revolution and the Right to Bear Arms. The Second Amendment to the U.S. Constitution“ (Spartacist No. 43-44, Summer 1989 [Excerpts])