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Gruppe Arbeitermacht zum BGE (Jürgen Roth Februar 2010)

6. November 2010

Nicht nur Operaisten machen schon lange mit „Kritik am Bedingungslosen Grundeinkommen“ rum. Auch in der mehr oder weniger gewerkschaftsnahen sogenannten revolutionären Linken stößt die Propaganda hierzu zumeist auf Kritik. Gefunden habe ich folgende Zitate in einem ellenlangen Artikel „Mindestlohn, Mindesteinkommen oder bedingungsloses Grundeinkommen?“ bei der trotzkistischen Gruppe Arbeitermacht, zuerst erschien er in deren Zeitschrift Revolutionärer Marxismus 41, Februar 2010. Auch wenn der Artikel von einem Jürgen Roth gezeichnet wurde, scheint mir das Ding aus mehreren Stücken zusammenaddiert worden zu sein, kruder pseudomarxistischer Blödsinn steht z.B. neben doppelten Textpassagen, die wohl beim Zusammenstellen übersehen wurden. Wie dem auch sei, unter anderem sagen sie auch das folgende (wobei sie sich übrigens positiv auf wildcat beziehen „Die Perspektiven des Klassenkampfes liegen jenseits einer Reform des Sozialstaats“ (Wildcat-Zirkular Nr. 48/49 – März 1999 – S. 11-25) [Kein zusammenhängender Textteil, sondern von mir rausgesuchte Passagen.]

Im ganzen Land haben Arbeitslosenvereine, Organisationen oder Gliederungen der Gewerkschaften Forderungen nach dem Grundeinkommen übernommen – ob nun Existenzgeld, Bürgergeld oder BGE genannt. Dies ist Ausdruck der sozialen und finanziellen Verhältnisse der Arbeitslosen, die staatlich verordnete Armut durch die Hartz-Gesetze hat politische Spuren hinterlassen. Die Ausweglosigkeit von Ein-Euro-Arbeitszwang, Bedürftigkeitsprüfung und Zwangsumzügen nähren Illusionen und Hoffnungen in eine andere soziale Absicherung der Arbeitslosen. Alle Forderungen, die ein „Mehr“ an Mitteln und Rechten versprechen, werden daher von den Betroffenen dankend angenommen.
Besonders die Langzeitarbeitslosen haben die Hoffnung auf eine Lohnarbeit verloren, Jahre von „Qualifizierung“ und Bewerbungszwang mit gleichzeitigem sozialen Abstieg haben das politische Bewusstsein der Armen und Arbeitslosen geprägt. Rätz und Co. nutzen die Mischung aus Verzweiflung und Hoffnung auf jede nur irgend mögliche Verbesserung, so dass etliche Arbeitslose diesen Versprechungen auf den Leim gehen.
Mit Hilfe von Geld sollen Freiheit vom Arbeitszwang der Lohnarbeit, von Armut und Existenzangst, die Autonomie der Menschenwürde sowie Solidarität und Gerechtigkeit etc. erreicht werden. Geld aber setzt Warenproduktion, Lohnarbeit, Kapitalverwertung und Arbeitszwang voraus. Ein schöner archimedischer Hebel, um die Welt von Kapital und Lohnarbeit irgendwie „alternativ“ aus den Angeln zu heben!
Aber: es ist doch genug Geld zum Umverteilen nach unten da, sagen alle BefürworterInnen des BGE. Trotzdem ist die ganze Entwicklung seit Jahrzehnten mit zunehmender Tendenz in die andere Umverteilungsrichtung gegangen.
Wieder diese pfäffische „Kapitalkritik“! Geld steckt nicht im Sparstrumpf, sondern muss sich in der Hand der Reichen, der Banken, Versicherungen und Konzerne vermehren. Erst dann verwertet es sich als Kapital. Dies tut es um so schwerer, je reicher es schon ist (Tendenz zum Fall der Durchschnittsprofitrate). Akkumulation und Verelendung sind kein Widerspruch, sondern bedingen sich gegenseitig. Wer sich um Produktion nicht kümmert, muss natürlich die Verteilung(sgesetze) für das Bestimmende statt das Untergeordnete, Abgeleitete halten. Schon sprießen soziale Flickschuster„konzepte“ von Nehmen und Geben hervor, dass es einem warm ums Herz wird, weil der Kapitalismus als solcher ja friedlich verschont bleibt.
Ja, wenn nur seine Verwertungsgesetze nicht wären! Natürlich konzentriert sich immer mehr Reichtum in immer weniger Händen. Wie auch sonst? Im Gegensatz zu unseren Sozialromantikern, die kopfschüttelnd über die immer weiter klaffende Gerechtigkeitslücke jammern, erkennen MarxistInnen, dass das viele Geld eben nicht als Zahlungs- und Zirkulationsmittel fungiert, sondern als Anlage suchendes Kapital. Deshalb ist es kein Bruch in der ansonsten harmlosen kapitalistischen Logik, sondern seine Essenz, dass Kleinunternehmen zunehmend pleite gehen, dass das Monopolkapital immer dreistere Angriffe auf mühsam erkämpfte proletarische Errungenschaften startet, ja starten muss, um die sinkende Rendite (tendenzieller Fall der Profitrate) aufzufangen, insbesondere für das überschüssige Kapital in Finanzanlagen. Nicht trotzdem, sondern gerade wegen der zunehmende Zwang zur Umverteilung von unten nach oben!
Unsere sozialen „Visionäre“ meinen wirklich, mittels des BGE den Arbeitszwang aus dem Kapitalverhältnis heraus operieren zu können wie eine Geschwulst. Kreativität und Motivation würden gesteigert, das Kapital stünde profitabler als ohne Arbeitszwang da – und es brauche sich bei Rationalisierungen keine Sorgen mehr um entlassene Mitarbeiter zu machen, könne also richtig damit loslegen. Ein Bündnis mit den SachwalterInnen des Kapitals gegen Arbeitszwang ist genauso illusionär wie das für Arbeit. BGE-BefürworterInnen und Gewerkschaftsspitzen sind zwei Seiten der falschen Medaille. Der Abschaffung des Arbeitszwangs stehen nicht in erster Linie die auf Lohnarbeit fixierten Stumpfsinnigen im Weg, die keinen andern Sinn und Inhalt in ihrem Leben finden, wie der „aufgeklärte akademische Sozialtüftler“ meint, sondern das Kapitalverhältnis.
Das BGE-Modell setzt den „Entwurf“ eines sozialen Kapitals an die Stelle des wirklichen. Die Sphäre der Produktion, in der der Mehrwert erst entsteht, tritt ganz hinter die Verteilung zurück. Es reiht sich ein in die Riege von Bischöfen, Gewerkschaftsführern und Linkspartei-VorständlerInnen, die dem Kapital schon lange klarmachen möchten, dass es sich soziale Wohltaten zu seinem eigenen langfristigen Nutzen auch leisten möge – und könne. Es missbraucht die Sehnsucht nach einer Gesellschaft ohne Armut und Arbeitszwang, weil es sie auf dem Boden der Kapitalverwertung befriedigen will.
Kapitalismus? Gewiss, aber ohne seine Folgen!
Allen diesen „linken“ Illusionen liegt der Glaube an soziale Gerechtigkeit, an eine im Grunde vernünftige Produktionsweise zugrunde, deren Ursachen und Triebfedern man nicht in Frage stellen möchte, aber deren Konsequenzen einem doch zuweilen Angst und Schrecken einjagen.

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