Auszug aus dem Protokoll des jf zu GS 1-09 und 2-09
Fragen zum Gegenstandpunkt
— Im GS 1/09 wird in der Fußnote S. 56 Gretchen Binus wie folgt kritisiert: – „Die Politik der Verarmung breiter Schichten habe zwar die Renditen der Unternehmen gesteigert – und darum geht es ja wohl im Kapitalismus –, aber auf eine Weise, die die Produktion von Massengütern weniger rentabel gemacht und dadurch das Wachstum der Produktion beschädigt habe – als ob die Produktion Zweck der kapitalistischen Wirtschaft wäre.“ – Die Kritik des GS unterstellt also G. Binus die Behauptung, dass die Produktion Zweck der kapitalistischen Wirtschaft sei. Diese Kritik kann ich nicht nachvollziehen.
Binus Behauptung ist, das Kapital mit seiner Akkumulation stürze in eine Krise, weil es zu viel Kapital, das es durch Verelendung akkumuliert, nicht mehr in die – unrentabel gewordenen – produktiven Sektoren steckt, sondern in das unproduktive Finanzkapital. Darin steckt die Unterstellung, dass eigentlich die Produktion von Waren und deren wachsender Absatz die krisenfreie Akkumulationsbedingung für das Kapital sei.
— Das ist doch eine funktionalistische Gleichgewichtsvorstellung: das Ganze funktioniert nur, wenn die Kapitalisten nicht zu sehr den Lohn drücken. Es ist also im ureigensten Interesse des Kapitals, auf ein ausgeglichenes Verhältnis von Kapital und Arbeit in der Realwirtschaft zu achten.
Es soll in seinem Interesse sein, auf ein Gleichgewicht zwischen Akkumulation und Absatz der Waren an die arbeitende Masse zu achten. Auf die Idee, dass das die Funktionsbedingung kapitalistischer Akkumulation sei, kommt man nur von einem Versorgungsidealismus her – um diese müsste es dem Kapital bei seiner Akkumulation gehen. Wenn das Wachstum des Kapitals daran scheitert, dass es diese Funktionsbedingung verletzt, dann steckt darin ein Urteil darüber, worum es dem Kapital bei seiner Akkumulation eigentlich gehe, wovon es abhängt und was es leisten muss, damit es auf seine Kosten kommt.
— Im GS 2/09 S. 51, steht: „In den Bilanzen des Finanzgewerbes stellt sich die Gesamtertragskraft eines kapitalistischen Geschäftslebens als die ökonomische Leistung des Geldkapitals dar.“. Das ‚Gesamt-’ ist mir nicht klar – das eine ist der Ertrag eines kapitalistischen Geschäftslebens, das andere sind die Bilanzen des Finanzkapitals, da ist die ganze Spekulation darauf noch mit drin. Das sind doch zwei verschiedene Sachen.
Das sind auch zwei verschiedene Sachen, sie stehen aber in einem bestimmten Verhältnis zueinander, weshalb man sie nicht als Gegensatz formulieren sollte. Was geben die Ziffern der Zeitungen wieder, die den Geldbesitzern als Informationsgrundlage dienen und die in eng bedruckten Seiten mitteilen, wie es um Aktien- und Rentenfonds, den DAX und einzelnen Aktienkursen steht? Sie geben immer schon die Kombination wieder aus den Erträgen, die irgendwo erwirtschaftet werden und die Spekulation auf die Firmen, die diese Erträge zu erwirtschaften versprechen – und daran orientieren sich Geldbesitzer. Das fängt im Börsengeschehen selber an, wenn Figuren im Auftrag ihrer Bank – und die Bank hat wieder Aufträge ihrer Kundschaft – auftreten und sagen, dass bei einem bestimmten Wert eine Aktie ge- bzw., verkauft wird. Inzwischen lässt sich ja per Computertechnik im voraus festlegen, dass bei einem bestimmten Stand einer Spekulation die (Ver)Kaufsorders in Kraft treten – das ist nur die Technisierung dessen, woran sich die Welt der Investoren orientiert. Was spiegelt der Kurs einer Aktie wider? Die Kursbestimmung einer Aktie enthält zwei Momente: Das eine ist, was ein Unternehmen erwirtschaftet, wie es in der Konkurrenz in der Vergangenheit dastand und zukünftig (voraussichtlich) dastehen wird, welche Umsatzrendite es erwirtschaftet – das ist immer die Grundlage für das, was der Aktienkurs ausdrückt. Das andere, das in den Aktienkurs eingeht, ist die Spekulation auf die zukünftige Entwicklung des Unternehmens, in die alle möglichen Umstände eingehen. Erst im Band III des „Kapital“ ist die Rede davon, dass der Verwertungsprozess eines Kapitals, der in irgendeinem Unternehmen passieren soll, selber spekulativ bewertet wird. Wenn eine Aktie auf das Dreifache hoch spekuliert wird, dann wird offensichtlich drauf gesetzt, dass sich das lohnt, man sie also um den dreifachen Preis noch verkaufen kann.
An der Börse werden durch die dortige Investoren-Mannschaft Verwertungsprozesse – von denen sie keine sonderlichen Kenntnisse zu haben braucht – bewertet, und zwar im Hinblick auf die Chancen, die dieser Verwertungsprozess im Vergleich zu anderen für die Zukunft verspricht. Die Aussage dieses Artikels über das Finanzkapital im GS soll gerade sein, dass in der fertigen kapitalistischen Welt die Bewertung kapitalistischer Verwertungsprozesse kein nebensächlicher Zusatz ist, den man der Spekulanten-Mafia überlassen und von dem sich ein ehrlicher Kapitalist fernhalten könnte. Die Bewertung, die diese praktisch durch das Kaufen und Verkaufen von Wertpapieren mit den tatsächlichen Verwertungsprozessen des Kapitals einer Nation oder auch Region vornimmt, ist das Entscheidende. Im KI hat man gelernt, dass der Verwertungsprozess durch Einsaugung unbezahlter Arbeit die Verwertung des Kapitals zustande bringt, aus der sich dann eine Rendite ergibt, die in der Marx’schen Nomenklatur Profitrate heißt. Die Behauptung ist jetzt, dass das alles im fertigen Kapitalismus dadurch relativiert ist, dass es vom Standpunkt des Finanzkapitals diese eigentlich entscheidende Bewertung erfährt.
Die Ausgabe von Aktien ist eine besondere Art der Kreditaufnahme: Das ist kein rückzahlbarer Kredit, sondern es wird Geld eingenommen, das unwiderruflich in der Firma selbst bleibt. Dafür bekommt der Geldeinleger einen Schein, den er weiterverkaufen kann – er verfügt also weiterhin über sein Eigentum. Die Trennung zwischen dem Eigentum des Aktionärs und dem Eigentum der Firma ist in der Aktie institutionalisiert. Das Kapital, mit dem die Firma wirtschaftet, ist die Grundlage für die Verwertungsprozesse, die sie anstellt. Der Aktionär seinerseits freut sich an der Dividende und deren Anwachsen und über das Anwachsen des Vermögens der Firma, mit dem der Anteilsschein darauf mit wächst. Dazwischen steckt allerdings immer das Urteil der Spekulantenwelt – u. U. sieht sie irgendwelche furchtbaren Schwierigkeiten für die Firma heraufziehen und gibt ein negatives Urteil ab über deren Wachstum und das schlägt durch auf die Aktie. Sie repräsentiert also den spekulativ bewerteten Verwertungsprozess der Firma, und zwar von Anfang, also vom Gründungsakt, an: Beim Börsengang stellt sich die spannende Frage, wie hoch der Aktienkurs überhaupt angesetzt wird, denn selbst wenn „50 Euro“ auf der Aktie steht, heißt das noch lange nicht, dass der erste Kurs an der Börse genau 50 Euro ist. (In der Fußnote 9 wird kurz beschrieben, wie so etwas läuft: Firmen machen Testverkäufe oder fordern die Banken auf, Angebote zu machen, was testet, wie die Geldanleger das Geschäftsvorhaben bewerten.)
Die spekulative Bewertung eines Unternehmens hat für dieses einige Konsequenzen bezüglich dessen, wie es in der Konkurrenz dasteht, mit wie viel Kapital es wirtschaften kann, wie kreditwürdig es ist, ob es überhaupt in der Lage ist, neue Aktien herauszugeben, mit denen es neue Vorhaben finanzieren kann oder eben auch nicht.
Es ist falsch, eine Trennung zu machen zwischen dem Gewinn, den ein Unternehmen erwirtschaftet, und dem durch Spekulation erreichten Wertzuwachs. Denn es gibt die in der Wirtschaft tätigen Firmen ausschließlich als Objekt einer Spekulation, die entscheidet über ihr Wirtschaften, angefangen von der Ausstattung mit Kredit bis zum Handel an der Börse, an der sich der Erfolg oder Misserfolg des Wirtschaftens einer ganzen Nation zusammenfasst. Deswegen wird tagtäglich an der Börse zwar auch gefragt, wie es um dieses oder jenes Unternehmen steht, aber im Prinzip geht es darum, ob der DAX steigt oder fällt, wie es also um das Wachstum der Nation bestellt ist. Das hat dann Konsequenzen für das Wirtschaften der Unternehmen. Das obige Zitat ist ein resümierender Satz, eine Zusammenfassung, die die ganzen Ausführungen, die jetzt noch mal gemacht worden sind, unterstellt.
Diese Ausführungen im Artikel hätte man gut auch als die praktischen Lehren aus der Krise darstellen können. Was bedeutet die ständig vorgebrachte Sorge, dass die Wirtschaft in eine Kreditklemme geraten könne, weil die Banken bei der Vergabe von Krediten so heikel sind? Man bekommt da doch täglich den Umstand serviert, dass der Akkumulationsprozess des realen Kapitals mit der Zuwendung des Finanzkapitals steht und fällt. Die Formen der Kreditvergabe mögen verschieden sein, aber auf jeden Fall wird der Satz von Marx anschaulich vorgeführt, dass im fertigen Kapitalismus jedes vorgeschossene Kapital geborgtes Kapital ist (Fußnote 6). Und dann ist nicht nur der Rechtsakt des Borgens dazwischen, sondern in diesem Rechtsakt ist der gesamte spekulative Eifer, auch die spekulative Kritik des Geldkapitals an seinen Investitionsgelegenheiten enthalten. Erst über die Spekulation bekommt die kapitalistische Gewinnemacherei ihre Bedeutung – das ist eine der fortgeschrittenen – aber sehr logischen – Verrücktheiten des Kapitals, wenn es bei allem Produzieren sowieso nur auf das Geld ankommt. Es ist nicht so, dass das Finanzkapital eine völlig neue Qualität in das kapitalistische Gewese bringt, sondern es ist die Realisierung der Absurdität, die im schlichtesten Kapitalismus im Sinne von KI schon enthalten ist. Wenn es im ganzen Lebensprozess einer Gesellschaft ausschließlich darauf ankommt, wie sich womit Geld verdienen lässt, dann ist es logisch, dass die, die über das Geld verfügen und es leihweise in diesen Prozess hineinstecken, darüber entscheiden, was in diesem Prozess wie viel wert ist; und dann ist die Frage, was die gesellschaftliche Reproduktion in kapitalistischer Form für die Spekulanten taugt, das Entscheidende.
Alle bürgerliche und linksbürgerliche Kritik hat den Mangel, dass die Bedeutung des Finanzkapitals nicht begriffen worden ist. Sie haben offensichtlich nicht mitbekommen, dass im Kapitalismus der Überbau den Unterbau regiert. Sie trennen zwischen den dienstbaren Leistungen des Kredits für die Produktion und der Spekulation, so verpassen sie, dass das Kreditgeben selber ein Teil der Spekulation ist, wenn alles Anlageobjekt ist. Das kommt davon, wenn man von dem Ideal einer krisenfreien Geldwirtschaft nicht lassen mag, in der die Produktion der Zweck ist und das Geld das Mittel (sofern nicht ‚übertrieben’ damit spekuliert wird).
Die Unterscheidung, was ordentlich erwirtschaftet und was nur spekulativ ist, kommt überhaupt erst auf, wenn das Spekulative zusammenkracht – bis dahin ist alles ganz normaler Beitrag zum Wachstum und wird in der Gesamtbilanz einer Nation nicht getrennt. Insofern kann das Schiefgehen durchaus lehrreich sein: Solange alles seinen normalen Gang geht, gehört die Illusion, der ganze Kapitalismus sei doch dazu da, damit die Gesellschaft sich ordentlich reproduziert, zum verkehrten Alltagsbewusstsein und schlägt sich in Auslassungen der Art: „Der Kapitalismus bereichert die Menschheit und ernährt sie“ nieder, und das ist nicht nur eine Grundweisheit aller VWL-Professoren, sondern der Standpunkt jedes mündigen Mitglieds dieser Gesellschaft. Die Krise könnte insofern aufklärend wirken, als da deutlich wird, dass der Reproduktionsprozess der Gesellschaft völlig subsumiert ist unter das Wohlergehen des Gewinnemachens und dieses wieder subsumiert ist unter die Selbstvermehrungsmacht des Geldes, wie sie im Geldkapital als Norm für alles Wirtschaften existiert. Aber lieber jammert man über die Gier der Banker, als dass diese Einsicht mal um sich greift. Und auch alles, was sich heutzutage als links begreift, ist nicht bereit zu der Einsicht, was für eine abgeleitete, x-fach funktionalisierte Größe der gesellschaftliche Reproduktionsprozess einschließlich der Erhaltung der Massen im Kapitalismus nur ist – stattdessen wird an dem Idealismus festgehalten, dass es eigentlich hierzulande darum ginge und dieses ‚eigentlich’ wird gegen alles gehalten, was einem an Ungutem so auffällt.