Folgenden Abschrift eines Ausschnitts aus dem Vortrag von Dr. Peter Decker „Was von Marx zu lernen wäre. Alles Nötige über Arbeit und Reichtum im Kapitalismus) habe ich gefunden bei Normalzustand Rot. (In den Kommentaren wird auch auf die MP3-Mitschnitte der diversen Veranstaltungen zu diesem Thema hingewiesen.)
Peter Decker:
Man muss da bloß die Reihenfolge einhalten. Die Unternehmer entlassen die Menschen nicht, damit es hinterher Arbeitslose gibt. Die Unternehmer entlassen die Leute, weil sie ihre eigene Lohnsumme reduzieren wollen. Und wenn das hinterher für gar nichts gut ist, dann haben die immerhin noch ihre Lohnsumme reduziert. Also wenn einer, der heute 1000 Leute einstellt, 200 entlässt, dann hat er 20% seines Lohnes gespart. Und wenn er dieselben Produkte auf den Markt bringt mit 20% gesenkten Lohnkosten, ist das für ihn eine Steigerung des Gewinns. Da kann er ruhig weiterhin den Leuten denselben Lohn zahlen in der Fabrik, aber weil er 20% weniger Leute bezahlt, hat er seine Kosten gesenkt und das ist die Leistung für ihn – erst mal. Dann gibt’s die Arbeitslosen, die er nicht gemacht hat, damit es Arbeitslose gibt, dann gibt sie’s. Und dann kommt das Argument. Dann drücken die Nicht-Beschäftigten auf die Löhne der Beschäftigten. Erst mal, dann bieten sich die Nicht-Beschäftigten für „n’ Appel und n’ Ei“ an, weil sie ja ums Verrecken Arbeit brauchen. Und das drückt dann wieder auf die Löhne der Beschäftigten, weil jetzt die Beschäftigten Konkurrenz durch diese „Billiglöhner“ kriegen. Und das drückt den Lohn insgesamt im Land. Und so bleibt durch die Notwendigkeit des Systems der Lohn immer innerhalb der Grenzen dessen, dass er für den Unternehmer Gewinn abwirft. Das kann gar nicht passieren, dass die Leute, dass die Lohnarbeiter den Lohn so weit erhöhen, dass sie dem Unternehmer keinen Gewinn mehr abliefern. Würden sie es an irgendeiner Stelle tun, würde der Unternehmer das Geschäft einstellen und dann würden sie wieder am Arbeitsmarkt als Arbeitslose sich billig anbieten müssen. So ist die Arbeitslosigkeit, der Arbeitsmarkt, der Regulator, der den Lohn notwendigerweise immer innerhalb der Grenzen der Profitabilität hält.
Außer die Leute stürzen das Ganze. Außer sie kämpfen um Lohn und wissen darum, dass die Rücksicht auf die Zukunft des Betriebs ihre Unterordnung unter das feindliche Interesse ist. Und natürlich stürzen die den Kapitalismus auch nur durch Lohnkämpfe. Niemand wird sagen: „Ach, lassen wir das mit dem Lohn und stürzen wir ihn gleich.“ Ja so geht das nicht, so gibt’s das nicht. Aber das ist der entscheidende Unterschied, ob ein Lohnkampf das gegnerische Interesse als „das ist mir prinzipiell feindlich, wenn es meine Forderungen nicht verträgt, ist es mir gerade recht, wenn es untergeht“. Ob man so dazu steht oder ob man so dazu steht, wie die deutschen Gewerkschaften, die sagen „wir müssen unsere Lohnforderungen natürlich so einrichten, dass sie die Konkurrenzfähigkeit der deutschen Wirtschaft, die deutschen Konjunktur, die Gewinnsituation, die Investitionsfähigkeit deutscher Unternehmer nicht beschädigen. Die also in ihrem gegnerischen Interesse unters Unternehmen schon das Unternehmerinteresse als das wichtigere von den zweien schon vorwegnehmen und einkalkulieren. Das letztere muss nicht sein. Das ist keine Selbstverständlichkeit.
Frage:
Aber es sind ja Gesichtspunkte – ist das Unternehmerinteresse nicht schon mit drin in dem Kampf um Lohn?
Peter Decker:
Nein. Es ist so: Man kann so sagen, der Arbeiter steht in einem blöden Widerspruch mit seinem Interesse im Kapitalismus. Er muss um Lohn kämpfen und er will vom Unternehmer auch morgen Lohn gezahlt kriegen. Er kämpft eigentlich um die Fortsetzung des Verhältnisses. Und das ist ein Widerspruch: Denn indem wir dem Unternehmer – wir bekämpfen ihn, wir schädigen ihn – was abzwingen, ist das natürlich auch schon eine Schwäche der Gegenseite. Man erzeugt auch eine Schwäche der Gegenseite. Geld, das man ihm wegnimmt, hat er nun wirklich nicht mehr zum Investieren, so dass der Arbeiter, wenn er daran denkt, er will morgen und übermorgen auch noch vom Unternehmer beschäftigt werden, er nahe gelegt kriegt, dann ordne ich mein Interesse eben der Zukunft des Betriebs unter; dann muss ich aber darauf verzichten was durchzusetzen. In dem Widerspruch steht er. Wie er sich in dem Widerspruch entscheidet, ist nicht vorweg ausgemacht. Und verkehrt finde ich all die Linken, die sagen „Na wenn schon einer Lohn will, dann ist er schon beim DGB gelandet“. Wenn schon einer Lohn will, dann will er die Unterordnung unter die Kapitalrendite. Dann will er abhängige Variable des Gewinns sein. Nein, so ist es nicht. Erst mal, wenn einer sich überhaupt aufstellt und Lohn fordert, dann stellt er sich als Interessensgegner auf. Hält er an der Seite des Interessensgegners fest, dann darf er halt keine Rücksicht auf die Gesundheit der Gegenseite nehmen. Will er Rücksicht auf die Gesundheit der Gegenseite nehmen, muss er gegen sein eigenes Interesse sein. Also muss er sich entscheiden in diesem Widerspruch. Aber nicht richtig ist: Wer Lohn will, der ist doch eh schon „verratzt“. Oder der ist doch eh schon systemimmanent und damit ist doch alles für alle Ewigkeit entschieden. Das stimmt nicht. Es ist ein Widerspruch Lohn zu wollen, ja. Und in dem Widerspruch muss man sich so oder so entscheiden. Die deutschen Gewerkschaften haben sich sehr klar entschieden. Und man merkt, wenn dann mal eine Gewerkschaft mal was Unerwartetes tut, wie die GDL jetzt, – wirklich das muss ja gar nicht anders sein als das, was die anderen Gewerkschaften machen, bloß dass es einfach nicht gleich das ist, was die anderen machen – ist im Land der Teufel los nach dem Muster, „kann denn unsere Gesellschaft überhaupt überleben, wenn wir solche Gewerkschaften dulden“. Also dann merkt man, wie auf einmal dieser ganze Laden sich zum Klassenkampf von oben bekennt, bloß wenn mal irgendwer, irgendeine kleine Mannschaft, sagt, jetzt sieht sie mal nicht mehr alles ein. Also insofern, das ist eine Frage des Kampfes und es ist eine Frage, ob man ins eigene Fordern das gegnerische Interesse, das gegen einen steht – das gegen den Lohn, den man will steht –, ob man das gleich ins eigene Fordern aufnimmt. Wenn man das tut, dann will man abhängige Variable sein. Aber den Widerspruch wird man ja nicht los: Es ist ja kein Glück abhängige Variable zu sein. Es ist ja das Bekenntnis, dass man keinen eigenen Lohn fordern kann. Oder kaum einen.