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Eine neue „politische Ökonomie“ des Elends

15. Oktober 2006

Diesen vorweggenommenen Kommentar zur Verleihung des diesjährigen Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften an Muhammad Junus entnehme ich dem in Nummer 1-06 des „GegenStandpunkt“ erschienenen Artikels „10 Jahr Schuldenerlass – Die Fortentwicklung der „schwer verschuldeten armen“ Staaten zu „Failing States„, (Seite 77-78)

Mit der Vermehrung der Armenhäuser des Imperialismus nimmt auch das Geschäft mit der ,Armutsbekämpfung‘ einen kräftigen Aufschwung. Immer größere Menschenmassen mit ihren Slum-, Hunger- und Flüchtlingskarrieren leben und überleben als Objekte einer weltweiten Hilfsindustrie. Die Zeiten einer vorwiegend fallbezogenen Mildtätigkeit, die sich den besonders schlimmen, leider nie aussterbenden Flüchtlings- und Hunger-,Katastrophen‘ widmet, sind vorbei. Die regelmäßig fälligen weltöffentlichen Kampagnen sind einbezogen in das Dauer-Programm einer alltäglichen ,Armutsbekämpfung‘. Heute sind die einschlägigen Bemühungen der .Ersten‘ um das ständig wachsende Elend in der ,Dritten‘, ,Vierten‘ oder ,Fünften Welt‘ ein fester Unterposten im Haushalt der reichen Nationen und in ihren Wachstumsbilanzen. Seit die alte Entwicklungshilfe‘, die vornehmlich der Erschließung Afrikas als Rohstoffreservoir für die kapitalistischen Nationen und deren politischer Absicherung galt, weitgehend ausgedient hat, sind vor allem unsere ganz „den Menschen“ verpflichteten privaten und öffentlichen Hilfsorganisationen mit ihren Leistungen gefragt, und die haben sich darüber zu einem veritablen national und international organisierten Geschäftszweig im Getriebe der globalisierten Weltwirtschaft entwickelt: Sie konkurrieren mit Vorzeigeprojekten und Opferstatistiken um die Milliarden, die die Einhegung des wachsenden Elends den ,Geberstaaten‘ und der Spendenfreudigkeit ihrer Bürger wert sind, und kalkulieren dabei Chancen wie Risiken ihres Geschäftsartikels ,Armutsbekämpfung‘ nach eigenen Kriterien:
„Hilfsorganisationen geben ihr Geld am liebsten dort aus, wo sie die Projektziele mit großer Wahrscheinlichkeit erreichen können. Schließlich müssen sie sich gegenüber ihren Spendern und Zuschussgebern im Norden rechtfertigen – und nicht gegenüber der Bevölkerung im Süden…. Zwischen den Organisationen entsteht ein Konkurrenzkampf, …oft behindern sie sich gegenseitig.“ (Die Zeit: Wenn Helfer zu sehr helfen, 7.7.05)
Es will eben immer wohl durchdacht sein, was den Negern wirklich hilft, wenn man sich auf diesem Geschäftsfeld erfolgreich behaupten will. Nicht nur die Dienstleistungsbetriebe in Sachen ,Hungerhilfe‘, auch die Zahlungsfähigkeit und die Hilfsgüter, die deren Geschäftsgrundlage bilden, kommen ja von auswärts, sind kapitalistischer Provenienz und werden privat wie national ent-sprechend kalkuliert: sei es bei Lebensmitteln, Zelten, Wasseraufbereitungsanlagen, die EU-Haushalt und nationale Landwirtschaft sowie die Beschaffungsindustrie für Bundeswehr und Katastrophenschutz tangieren; sei es bei der ,Aids-Hilfe‘ – immerhin ein eindeutiges Wachstumssegment unserer Pharmaindustrie, bei dem Nutzen und Nachteil von Preisnachlässen, Nachahmerlizenzen usw. abgewogen sein wollen; sei es bei Investitionen in die Zukunft wie der Entwicklung eines Impfstoffs gegen Malaria, wo der absehbare Ertrag für die Pharma-Multis noch sehr zu wünschen übrig lässt.
Das Hilfsgewerbe in all seinen Erscheinungsformen bildet zugleich in den Regionen, die in den Genuss der Unterstützung kommen, die Grundlage eines florierenden Geschäftswesens der etwas anderen Art: in den Niederungen des informellen Sektors‘ blüht der Handel mit zweckentfremdeten Hilfsgütern. Der unterhält Warlords und ihre Milizen, bereichert ,Dorfälteste‘ und regionale Händler, vervielfältigt das Warenangebot auf afrikanischen Märkten, ruiniert andererseits aber auch die Reste der einheimischen Landwirtschaft und des lokalen Kleingewerbes. Freunde ,erfolgsorientierter Hilfe‘ entdecken daran nicht den Zynismus des ganzen ,humanitären‘ Treibens, sondern sehen sich in ihren Warnungen vor falscher Freigiebigkeit bestätigt.
Daneben entfalten die Mikrokredite ihre segensreiche Wirkung. Diese ausgesuchte Art der finanziellen Hilfe, dem Willen entsprungen, den Armen nichts zu ,schenken‘, sondern sie auf ,Effizienz‘ zu verpflichten, befördert eine Kleinwirtschaft‘, die noch die absolute Armut als eine Gelegenheit für geschäftsmäßige Aktivitäten nutzt. In jedem Sinn Mittellose erhalten Gelegenheit, sich als Vorreiter einer „angepassten Marktwirtschaft“ zu betätigen. Wo die Subsistenzgrundlagen zerstört sind, wo das Leben und Überleben nicht mehr ohne Geld zu haben ist, eröffnet dieser „Zugang zum Finanzsektor“ (Wieczorek-Zeul) ein paar Auserwählten eine Karriere als Kleingewerbetreibender oder Mitglied einer Kooperative im ortsüblichen Elend. Auf der anderen Seite kommt so eine neue Spezies von Klein- und Kleinstschuldnern mit neuen Verelendungsperspektiven in die Welt – manche Hilfsorganisation weiß schon wieder davor zu warnen, dass die Mikrokredite zwar statistisch die Gesamtzahl der Armen senken, aber um den Preis, dass ein Großteil der Kreditnehmer noch ärmer wird. Eines fördert diese ,Graswurze‘-Geld- und Kreditwirtschaft jedenfalls ganz sicher: Sie sorgt dafür, dass noch im hinterletzten Winkel wirklich nichts mehr geht, ohne dass eine Geschäftskalkulation damit bedient wird – und sei es auf noch so ärmlicher Basis.*)
*) Die Zentrale dieser finanzkapitalistischen Sumpfblüte, die Pro-Credit-Holding mit Sitz in Frankfurt am Main, tut mit weltweit 6 000 Beschäftigten Gutes. In irgendeiner Ecke Malis z.B. sind als Antwort auf „ die immer schlechter werdende Situation für die Landbevölkerung“ Dörfer nicht nur mit einer Motorpumpe, sondern dank der Kreditanstalt für Wiederaufbau auch mit einem „neuen Netzwerk von 150 Dorfsparkassen “ beglückt worden, wo die „ Landbevölkerung unkompliziert Kleinkredite beantragen kann, um den Kauf von Arbeitsgeräten oder Saatgut zu finanzieren. Mit weniger als 100 Euro lässt sich eine landwirtschaftliche Existenz gründen. Dass die Anschubfinanzierung auf Basis solcher Kredite geschieht – und nicht durch Spenden – stärkt Ihre Eigenverantwortung und lässt bei Ihnen nicht das Gefühl aufkommen, lediglich Almo-sen-Empfänger zu sein.“ (magazine-deutschland.de) In Sambia wiederum befördert US-Aid das „fighting poverty with profits“ durch die Gründung eines „Smallholder Market Creation (SMC)-Projekts zum Anbau von Paprika und Baumwolle: Mit einer Anfangsinvestition von 120 $ waren die Bauern in der Lage, genug Profit zu machen, um zu ökonomischer Selbstständigkeit zu gelangen. Die Bauern partizipieren als gleiche Partner am Markterlös. Dieser Anstoß der unternehmerischen Energie dieser Bauern revolutioniert den Kampf gegen die Armut.“ (usinfo.state.gov)

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