Peter Decker hat in seiner Veranstaltung zum Proletariats-Buch 2002 in Frankfurt (wie eigentlich bei fast jeder Veranstaltung des GegenStandpunkts) auch die Frage nach der Alternative vorgelegt bekommen. Er hat damals wie folgt geantwortet:
„Man kennt das Argument, immer wenn jemand was kritisiert, kommt das Gegenargument: Wo bleibt das Positive, bitte, ein Rezept! Ich möchte dabei ein bißchen die Frage zurückweisen und erklären warum (und da steckt auch schon eine Menge von der Antwort drin):
Es ist eine merkwürdige Geschichte. Man hört sich eine Kritik an, ich weiß nicht, ob die Kritik einleuchtet oder nicht einleuchtet. Wenn sie nicht einleuchtet, könnte man doch sagen: Moment, wie du von hier nach da kommst, das stimmt doch nicht, oder: Ich verstehe das nicht. Dann würde man die Kritik zurückweisen dort, wo die Kritik sich äußert. Wenn jemand aber sagt: Wo bleibt das Positive, wo ist die Alternative, dann läßt er die Kritik stehen, wie wenn sie ihm auch schmecken würde, wie, wenn er sie einsehen würde und billigt: Ja, die Kritik ist schon ok, aber was nützt die ganze Kritik, wenn die Alternativen fehlen? Und das hat was Verkehrtes, das kann mal unehrlich sein, oder es ist irrig, aber auf jeden Fall hat es was Verkehrtes.
Denn in der Kritik ist doch eine ganze Menge über das, wie man es haben will, wofür man eintritt, auch schon ausgesagt. Es ist doch nicht so, daß ich eine Kritik sage und jemand danach so vollkommen im Unklaren gelassen worden ist, was ich meine, das es richtig wäre. Jetzt sage ich nochmal, was in der Kritik alles schon ausgesprochen ist:
Wenn meine Kritik heißt: die Arbeiterschaft ist die negative Größe des Wirtschaftens, ihr Lebensunteralt ist im Rechnungsbuch der Unternehmer – und weil dann sogar der Staat von den Ergebnissen der Unternehmerschaft abhängt – im Rechnungsbuch der gesamten Nation die leidige Unkost von der man möglichst wenig bezahlen will, und wenn man sie schon bezahlt, möglichst ausgiebig nutzen will. Wenn ich das so hin sage, dann muß doch deutlich geworden sein, was mein Aufruf ist, was da an Appell drinsteckt:
Man muß eine Gesellschaft schaffen, man muß eine Wirtschaft schaffen, in der das Erwirtschaften des Lebensunterhalts aller Beteiligten der Zweck des Wirtschaftens ist und nicht die leidige Unkost, die klein gehalten werden muß. Das ist doch raus zu hören gewesen.
Aus dem Publikum:
Hat es schon Versuche gegeben in diese Richtung?
Peter Decker:
Die Frage weiß natürlich, es hat sie schon gegeben. Und sie weiß auch, der Ostblock ist untergegangen, er hat sich selbst aufgegeben. In die Frage, ob die es richtig angefangen haben, ob die was verkehrt gemacht haben, in die Frage, ob sie nicht mehr haltbar waren, oder ob ihre Führungen das wirtschaften, nicht für dich und mich, für den kleinen Iwan, sondern für den Staat für unergiebig befunden haben und zum Schluß gekommen sind, sie wollen es anders machen, über all das will ich nicht reden. Denn das wäre ein neues Thema, dann müßte man sagen: Der Reale Sozialismus und seine Irrtümer oder was auch immer.
Man soll mich dann auch nicht darauf ansprechen: Ist das nicht ein Gegenbeispiel gegen dich? Ich möchte dann lieber die andere Seite haben, nämlich: Wenn jetzt verstanden ist, was ich meine, das es Not tut, dann muß man sagen, ob man das billigt, das man meint, das das not tut, oder nicht. Und wenn man sagt, man billigt es, dann reden wir darüber, was man dafür tun kann, was dafür zu tun ist. Oder jemand will sagen: Das kann nicht gehen. Dann braucht es aber mehr Argumente als, da gibt es aber noch kein Beispiel. Die ersten Sozialisten hatten auch kein Vorbild. (Und die ersten Christen hatten ja auch kein Vorbild.) Irgendwann ist jeder immer mal der Erste.
Wenn es also noch keinen guten Versuch gegeben hat, dann ist es der Aufruf: Leute, meint ihr, der Versuch ist nötig, oder meint ihr, ihr fahrt doch ganz gut mit den Kapitalisten? Ja, wenn ihr das meint, dann ist doch alles in Ordnung! Dann ist die Diskussion vorbei. Das Merkwürdige ist bloß: Man kriegt nie ein gescheites Ja oder Nein. Wer tritt denn dafür ein, ja er hat das jetzt verstanden, wenn wir das Wirtschaftssystem, die Rechnungsweise nicht abschaffen,dann geht es uns und unsereinem immerzu so wie jetzt, höchstens noch schlechter, ja, er hat es verstanden. Aber dann sagt, aber mir ist es so eigentlich recht. Das hört man nicht. Aber die Bereitschaft, zu sagen, gut, es ist mir nicht recht, dann befasse ich mich mit der Frage, was zu tun ist, um das zu beseitigen. diese Konsequenz kriegt man auch nichtgescheit. Es läuft in ein Gemecker raus: Ewige Unzufriedenheit und keine Konsequenz.
Da plädiere ich für: bitte Konsequenz. Daß die Menschen sich untereinander einig werden, die nötige Arbeit zweckmäßig einzurichten und nicht immer gegeneinander zu arbeiten, daß sie nicht eine ungeheure Verschwendung von Menschenkraft organisieren, sondern ihre Kraft so einsetzen, daß alle gut fahren und dabei viel weniger arbeiten müssen als jetzt. Das soll nicht möglich sein? Wieso eigentlich nicht? Ja, wenn es keiner will, dann ist es nicht möglich, das stimmt. Aber sonst noch Hindernisse? Ja: Der andere Zweck! Die Eigentümer, klar, die Lohnarbeiter, die an ihrem Lohn festhalten wollen. Klar, das bleibt einem Kräftemessen überlassen, das ist eine Auseinandersetzung, selbstverständlich.
Aber die Einwände sind viel zu grundsätzlich, so vom Kaliber, geht das überhaupt, die Einwände sind so grundsätzlich angesiedelt, als dass sie sich in die Frage überhaupt einlassen würden, meinst du, du gewinnst den Kampf? Die meinen, der Mensch taugt nicht dafür. Die meinen, der Mensch taugt zum Dienen, zum braven Nachrechnen, wie viel er verdient hat, zum Sparen, zu all dem taugt er. Aber zu einer rationellen Organisation seiner Lebensbedingungen sollten nicht fähig sein? Und das sagen die Leute, die sagen, die Kritik an den Verhältnissen, wie sie jetzt sind, die würden sie eigentlich unterschreiben. Die also behaupten, sie hätten schon eingesehen das alles nicht in Ordnung ist. Da kommt man dann schnell an die Grenzen der Philosophie. Irgendwann verzweifelt man an seinem eigenen Verstand.
Also, die Frage ist wirklich so einfach, unabhängig davon ob es den Versuch schon gegeben hat, unabhängig davon, ob der gut oder schlecht abgewickelt worden ist, wenn es ihn gegeben hat, die Frage ist, meinen die Angesprochenen, dass es den Versuch braucht. Dann müssen sie darüber reden, was sie dafür machen wollen. Das war jetzt die Geschichte zu der Frage nach der Alternative. Die Alternative muss man herstellen.
Vielleicht noch einen letzten Punkt: Es gibt auch unter Linken die Sehnsucht nach der Alternative. Den Gedanken, man müsste, um für das eigene gute Anliegen zu werben, den Menschen an die man sich wendet, Kommunikation theoretisch gesprochen dem Adressaten ein leuchtendes Tableau der Zukunft entwerfen und sagen: So schön könnte es werden! Willst Du nicht für die gute Sache sein? Da muss ich sagen, sogar das ist noch eine große Täuschung: denn alles hängt an der Frage, ob die Menschen die Erwerbsquelle, die sie besitzen, einsichtsvoll ablehnen und sagen, das ist nichts. Solange sie das nicht tun, gilt jeder, der eine bessere Zukunft ausmalt, und sagt, dass ginge, als Träumer. Er wird aufgefordert Realitätsbeweise seiner Träume abzuliefern, und kann sich nur blamieren. Warum: weil man sich blamieren muss! Weil jeder, der einen Realitätsbeweis seines es ginge anders sagt, wird überprüft an der Realität, wie sie jetzt ist. Wer sagt, eine höhere Rente im Alter das ginge doch, kriegt gleich gesagt, sag uns einen Finanzierungsvorschlag! Wo hast du im Staatshaushalt die Lücke entdeckt, oder den überflüssigen Posten?
Ja bitte, wenn ich auch noch den Staatshaushalt eines kapitalistischen Staates verwalten muss, um es den Leuten besser zu machen, der dann kommen schrittweise All die Systemnotwendigkeiten, die hier herrschen rückwärts wieder herein ich wollte ja gerade sagen: ich will den kapitalistischen Staatshaushalt genauso beseitigen, wie die Rechnungen der Unternehmer. Und dann möchte ich aber auch nicht geprüft werden daran, ob meine Idee dem Staatshaushalt und den Tabellen des Finanzministers gerecht wird. Das wird sie nicht. Man muss also darauf achten, kein Mensch, der glaubt, er braucht den Lohn, er braucht die Lohnarbeit, und darin hat der immerhin eine verlässliche Quelle seines Einkommens, kein Mensch lässt sich durch Träumereien in der Zukunft davon abschätzen. Außer, wenn er meint, er hat keine gescheite Erwerbsquelle in seiner Bereitschaft zu arbeiten. Soviel zu der immer wieder schwierigen aber interessanten Frage, wo ist denn die Alternative?“