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Hermann Lueer: Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts

4. März 2011

Den folgenden Text habe ich aus einem PDF von Hermann Lueer via Word in HTML konvertiert.

Hermann Lueer
Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts

»Ich bin jeden Tag mehr der Überzeugung, und daran habe ich nicht den geringsten Zweifel, dass es notwendig ist, den Kapitalismus zu überwinden. Aber ich füge hinzu: Den Kapitalismus kann man nicht innerhalb des Kapitalismus überwinden. Nein, der Kapitalismus muss auf dem Weg des Sozialismus überwunden werden.«1) »Wir sind entschlossen, die Bolivarianische Revolution direkt in Richtung Sozialismus zu führen und einen Beitrag zu leisten auf dem Weg zum Sozialismus, einem Sozialismus des 21. Jahrhunderts, …«2) Hugo Chavez

Fünfzehn Jahre nach Ende des »Kalten Krieges«, nachdem mit der Auflösung des Ostblocks der »Reale Sozialismus« als Alternative zur Marktwirtschaft verschwunden ist, zeigt der Präsident Venezuelas dem »Freien Westen« und seiner globalisierten Marktwirtschaft die Stirn und verkündet auf dem fünften Weltsozialforum 2005 den Beginn des Kampfes für den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts«. Das gleichnamige Buch von Heinz Dieterich dient hierbei, mit der »auf dem Gebrauchswert und der Werttheorie basierenden nicht-marktwirtschaftlichen, demokratisch von den unmittelbar Wertschaffenden bestimmten Äquivalenzökonomie«3), als theoretische Grundlage für die diesem Kampf zugrundeliegende Kritik am Kapitalismus.
Entscheidend für den Erfolg einer dem Zweck der Bedürfnisbefriedigung statt dem Zweck der Geldvermehrung verpflichteten Gesellschaftsordnung wird – neben der Frage der ausreichenden Mobilisierung der Menschen in den Machtzentren des globalen Kapitalismus – die Frage sein, ob das marktwirtschaftliche Produktionsverhältnis richtig kritisiert (erklärt) wird, ob also als Folge der Kritik die tragenden Säulen der bestehenden Gesellschaftsordnung aufgehoben werden, so dass eine dem Zweck der Bedürfnisbefriedigung verpflichtete Gesellschaftsordnung etabliert werden kann. Die folgenden Anmerkungen zum Konzept der »Äquivalenzökonomie«, das gegenwärtig im Rahmen des Kampfes für den »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« vertreten wird, dienen daher der klärenden Auseinandersetzung.
In seinem Buch – »Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus« – formuliert Dieterich die Lehren aus dem Scheitern des »Realen Sozialismus« folgendermaßen: »Die kommunistischen Länder hätten aber nicht bei der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln stehen bleiben dürfen. Sie mussten den Warentausch zum echten Warenwert (=Summe aller darin enthaltenen Arbeitszeit) verwirklichen, und sie mussten die Entlohnung allein nach der Summe der individuell aufgewendeten Arbeitszeit vornehmen.«4) Die Unterscheidung in einen echten bzw. unechten Warenwert deutet bereits darauf hin, dass es bei der Äquivalenzökonomie nicht um die wissenschaftliche Klärung geht, was der (Tausch)Wert ist und welche ökonomischen Gesetzmäßigkeiten sich über den Begriff des Wertes ableiten lassen, sondern um die moralische Begutachtung einer für eine gerechte Wirtschaft tauglichen Wertkonzeption. Was würde man von einem Flugzeugingenieur denken, der, statt die physikalischen Gesetze der Schwerkraft und Thermodynamik zu studieren und auf Basis derselben bestimmte Aufgaben zu lösen, ein Flugzeug auf der Grundlage eines Ideals des »harmonischen Fliegens« konstruieren würde? Ob Warentausch auf Basis der in den Waren enthaltenen Arbeitszeit gerecht oder ungerecht wäre, ist eine ebenso falsche Fragestellung. Wie diese falsche Fragestellung sich in der Konstruktion der Äquivalenzökonomie und auf das ihr »zugrundeliegenden Prinzip allgemeiner Bedarfsdeckung« auswirkt, soll im Folgenden gezeigt werden.
Gemäß der Äquivalenzökonomie ist die »notwendige Ergänzung der Gütererzeugung der zur Ökonomie gehörende Gütertausch, bei dem Verschiedenartiges, aber Gleichwertiges, ohne Gewinn (=äquivalent) ausgetauscht wird. 5) Dieser Tausch ist weder gegen die Natur, noch ist er eine Art des Gelderwerbs, denn er dient nur zur Ergänzung der natürlichen Selbststän-digkeit.”(Erst) mit dem Aufkommen des Geldes (begann) die zweite Art der Erwerbskunst, der Handel, der nicht mehr der Bedarfsdeckung dient, sondern nur einen möglichst großen Gewinn erzielen will.«6)
Wieso soll Gütertausch quasi natürlich zur Ökonomie gehören bzw. eine notwendige »Ergänzung der Gütererzeugung« sein? Gütertausch ist Ausdruck eines bestimmten gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses. Getauscht werden muss, wenn privat und unabhängig voneinander produziert wird. Gütertausch setzt Eigentum voraus. Eigentum ist kein natürlicher Gegenstand. Eigentum ist ein Verhältnis zwischen Menschen. Eigentum unterstellt Gewalt. Eigentum ist ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis, in dem sich Menschen vom Zugang zu Produktionsmitteln und den damit erzeugten Gütern ausschließen. Ausschluss nicht im banalen Sinne des Benutzens: das Essen eines Apfels, das Tragen einer Jacke, der Gebrauch der eigenen Zahnbürste. Eigentum ist kein ausschließendes Benutzungsverhältnis. Im Eigentum schließen sich Menschen von Gütern aus, die sie aktuell gar nicht konsumieren wollen, die stattdessen aber andere brauchen. Für den Eigentümer ist sein Eigentum aber nicht Ausschlussmacht um seiner selbst willen, sondern Mittel zum Zweck, fremde Arbeit zu nutzen. Die Bedürfnisse der anderen Gesellschaftsmitglieder werden vom Eigentümer nur anerkannt, wenn für das Nutzungsinteresse am Gegenstand ein für den Eigentümer akzeptabler Tauschwert erbracht wird. In einer Güter tauschenden Gesellschaft werden die Güter zu Waren. Wenn Gebrauchsgegenstände als Waren produziert werden, ändert sich der Zweck der Produktion. Die konkrete Arbeit und ihr konkreter Nutzeffekt, den sie stiftet, wird degradiert zum Mittel, Wert zu schaffen. Das Maß wertschaffender Arbeit ist nicht mehr ihr konkreter Nutzen, sondern allein ihre Menge, also die Dauer des Einsatzes von Arbeitskraft, ihr schierer Verbrauch. Dabei verwertet aber eine Gesellschaft vereinzelter unabhängig voneinander produzierender Warenproduzenten nicht das zufällige Ungeschick des Einzelnen. Als wertschaffende Arbeit erkennt sie nur Arbeit von normalem Durchschnittsgeschick an. Nur insofern sie gesellschaftlich notwendig ist, bewährt sich Privatarbeit als wertschaffende Arbeit. In welchem Ausmaß und ob überhaupt Privatarbeit sich zur gesellschaftlichen wertschaffenden Arbeit verwandelt, entscheidet die Konkurrenz um den Preis, der für den Tausch produzierenden Privatproduzenten. Durch die Konkurrenz der Marktteilnehmer und infolgedessen über die Angleichung der Marktpreise an den Durchschnittspreis setzt sich hinter dem Rücken der Marktteilnehmer das Wertgesetz der Warenproduktion durch, das heißt, wird die Bestimmung des Warenwerts durch die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit eine Wirklichkeit. Über den Gegensatz zwischen den konkurrierenden Produzenten sowie zwischen Verkäufer und Käufer wird so im Gütertausch die gesellschaftliche Bedürfnisbefriedigung unter die Bedingung der Wertproduktion gestellt. Es wird nicht an den Bedürfnissen gemessen, was, wie viel und wie produziert wird, sondern die Verfügung über Tauschwert (Geld) ist das Maß dafür, wieweit die Bedürfnisse befriedigt werden können und die Möglichkeit, Tauschwert zu verdienen, ist das Maß dafür, ob bzw. was produziert wird. Reichtum wird in einer Waren produzierenden Gesellschaft daher auch nicht anhand der geschaffenen Gebrauchswerte, das heißt anhand des Umfangs der Versorgung und Bedürfnisbefriedigung der Gesellschaft gemessen, sondern an der abstrakten Verfügungsmacht über den gesellschaftlichen Reichtum: dem Tauschwert, dem Geld. Reichtum, der sein Maß im Geld hat, in dem abstrakten Quantum ökonomischer Verfügungsmacht, ist maßlos. Reichtum in einem auf (Tausch)Wertproduktion ausgerichteten gesellschaftlichen Produktionsverhältnis ist daher nicht die frei verfügbare Zeit ihrer Gesellschaftsmitglieder, sondern umgekehrt die Maximierung der wertschaffenden Verausgabung von Arbeitskraft. Gütertausch dient also keineswegs »nur zur Ergänzung der natürlichen Selbstständigkeit«, sondern ist das Resultat eines gesellschaftlichen Gewaltverhältnisses. »Arbeitskräfte, die mit ihrer Arbeit Wert schaffen, tun das deswegen, weil sie von sich aus nicht in der Lage sind, in gesellschaftlicher Arbeitsteilung für sich zu sorgen, sondern darauf angewiesen, durch und für die Macht des Eigentums in Dienst genommen zu werden. Diese Indienstnahme geschieht ihrerseits nach den Regeln der Marktwirtschaft: „Das Geld”, konkret also: die geldbesitzende Elite, die im einschlägigen Jargon passenderweise „die Wirtschaft” heißt, kauft den eigentumslosen Leuten Arbeitszeit und Lebenszeit ab. Es verwandelt auf die Art deren Arbeitsfähigkeit in seine eigene Potenz, durch die Verausgabung eines Quantums Arbeit Wert zu schaffen. Nur so, als Besitzstand der Käufer, als Teil der Macht des Eigentums, tut die gesellschaftliche Arbeitskraft überhaupt den Dienst, auf den es ökonomisch ankommt. Deswegen schafft diese Arbeit auch kein Eigentum für die wirklichen Subjekte, die sie leisten, sondern für die Rechtspersonen, die deren Arbeitskraft durch Kauf unter ihr Kommando gebracht hat und darüber als ihr Eigentum verfügt: Wertschaffende Arbeit produziert die Macht, die sie in Dienst nimmt.«7)
Die bekannten unangenehmen Folgen dieses gegensätzlichen Produktionsverhältnisses wollen die Vertreter der Äquivalenzökonomie nicht durch die Abschaffung des Produktionsverhältnisses, sondern über seine Modifikation – die Verwirklichung des Warentausches zum »echten« Warenwert – zur Selbstauflösung bringen: »Es hat den Anschein, dass für die Verwirklichung des Äquivalenzprinzips die Eigentumsform der Produktionsmittel keine große Bedeutung hat. Ist das richtig? … Das trifft zu. In dem Maße, wie die äquivalente Ökonomie die Marktwirtschaft überwindet, verliert mit dem Fortfall des Profits das Privateigentum an Produktionsmitteln seine Grundlage, es hebt sich selbst auf.« 8) Ob sich tatsächlich mit der Umsetzung der Äquivalenzökonomie das Privateigentum an Produktionsmitteln und die aus ihm entstehenden Gegensätze zwischen den Gesellschaftsmitgliedern selbst aufheben würden oder ob die Umsetzung der Äquivalenzökonomie nicht vielmehr zum Scheitern des »Sozialismus des 21. Jahrhunderts» beitragen würde, beantwortet sich darüber, ob der ökonomische Gehalt der Äquivalenztheorie richtig oder falsch ist.
Kern der Äquivalenzökonomie ist, wie bei den frühen utopischen Sozialisten des 19. Jahrhunderts, eine Arbeitswerttheorie. Um die Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital abzuschaffen, soll jeder Produzent den vollen Arbeitswert seines Produktes erhalten. »Für die Ökonomie bedeutet Äquivalenz die Gleichwertigkeit von Gütern und Leistungen, die in der arbeitsteiligen Wirtschaft ausgetauscht werden, also die vollkommene Entsprechung von Leistung und Gegenleistung, von Wert und Preis.«9) »Dann entspricht der Lohn der aufgewendeten Arbeitszeit, unabhängig vom Lebensalter, vom Geschlecht, vom Familienstand, von der Hautfarbe, von der Staatsangehörigkeit, vom Wesen der Arbeit, von der körperlichen Anstrengung, von der Vorbildung, von der Beanspruchung, von der Fertigkeit, von der Berufserfahrung, von der persönlichen Hingabe an die Arbeit, unabhängig auch von der Schwere der Arbeit und deren gesundheitsschädlichen Gefahren – kurz: Der Lohn entspricht der Arbeitszeit direkt und absolut. Die Preise entsprechen den Werten, und sie enthalten nichts anderes, als den vollen Gegenwert der in den Gütern verkörperten Arbeit. 10)
Der Gütertausch soll in der Äquivalenzökonomie also darüber geregelt werden, dass der »echte Wert« – die Arbeitszeit, die ein Mensch in ein zu tauschendes Produkt einbringt – die Preise bestimmt.
»Die Arbeitswertlehre sagt nichts anderes aus, als dass der Wert der Güter allein von der in ihnen enthaltenen Arbeitsmenge bestimmt ist. Das bedeutet nicht, dass sie auch zu ihrem Wert ausgetauscht werden. Erst in Verbindung mit einem Austausch der Güter zu ihren Werten (äquivalenter Tausch) wird die Arbeitswertlehre zum Hebel einer Umwandlung der Marktwirtschaft in die Bedarfsdeckungswirtschaft »11)In der äquivalenten Ökonomie gibt es keinen Markt mehr: weil der Preis sich nicht aus Angebot und Nachfrage ergibt, sondern dem Wert der erzeugten Güter wie des Lohnes entspricht.«12) Die der Äquivalenzökonomie zugrundeliegende Lehre von der Arbeitszeit als unmittelbarer Maßeinheit des Geldes bezieht sich auf John Gray, von dem sie zuerst systematisch entwickelt worden ist. Er lässt eine Zentralbank nach Vergewisserung über die aufgewandten Arbeitszeiten Zertifikate ausgeben, »die auf eine Arbeitsstunde, einen Arbeitstag oder eine Arbeitswoche lauten und die als Anweisung auf die Bezahlung eines Produktes mit gleichem Arbeitsaufwand gelten. Diese konsequente Gleichsetzung des Güterwertes mit der in jedem Gut enthaltenen Arbeitszeit leitet aus der Arbeitswertlehre das absolute Maß ab, wie Ricardo es suchte. Und sie steht auch im Einklang mit Smith, der in seinem Hauptwerk sagte: „Von gleichen Quantitäten Arbeit kann man sagen, dass sie zu allen Zeiten und an allen Orten für den Arbeitenden von gleichem Wert sind”.«13)
In der Äquivalenzökonomie sollen die Produkte weiterhin als Waren produziert, aber nicht als Waren ausgetauscht werden. Der Verkaufspreis soll nicht auf dem Markt bestimmt, sondern zentral anhand der für ihre Herstellung verausgabten Arbeitszeit festgelegt werden. Die Individuen sollen also einerseits auf der Grundlage des Privataustausches getrennt voneinander produzieren und andererseits von den Marktbedingungen des Privattausches unabhängig gemacht werden. Die alte Kritik an den utopischen Sozialisten, an ihrer Vorstellung, dass die in der Ware enthaltene Arbeit des Individuums unmittelbar gesellschaftliche Arbeit sei oder anders ausgedrückt, dass die Ware unmittelbar Wert (Geld) sei, ist den Vertretern der Äquivalenzökonomie natürlich nicht unbekannt.
»Aber 28 Jahre nach Gray wies Marx die Absolutsetzung als Wertmaßstab zurück, weil sie das Produkt der Arbeit nicht zur Ware im Sinne der Marktwirtschaft werden lässt. Marx stellte zunächst der individuell geleisteten Arbeitszeit die gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit entgegen, also die Zeit „um irgendeinen Gebrauchswert mit den vorhandenen gesellschaftlichen Produktionsbedingungen und dem gesellschaftlichen Durchschnittsgrad von Geschick und Intensität der Arbeit darzustellen”. Schon hier liegt eine Relativierung der tatsächlich aufgewendeten Arbeitszeit, die nun nicht mehr direktes objektives Wertmaß ist.«14)
Was heißt hier Relativierung? Sind die von Marx entwickelte Erklärung des Wertes und die aus seinem Begriff abgeleiteten Gesetzmäßigkeiten des Warentausches eine Relativierung des »objektiven Wertmaßes«? Richtig oder falsch wäre die spannende Frage, die wie beim Flugzeugingenieur darüber entscheidet, ob das Flugzeug fliegt oder abstürzt. Aber fixiert auf die moralische Vorstellung eines gerechten Tauschverhältnisses und zufrieden mit der für eine gerechte Wirtschaft tauglichen Wertkonzeption, interessieren sich die Vertreter der Äquivalenzökonomie nicht weiter für die mit der Kritik geleisteten Erklärung des Tauschverhältnisses, also z. B. für die Frage, wodurch denn entschieden wird, ob deine Arbeitsstunde soviel wert ist wie meine?
Ein ungeschickter bzw. mit schlechteren Produktionsmitteln ausgestatteter Schmied kann z. B. in drei Stunden zehn Hufeisen produzieren, die ein geschickter, besser ausgestatteter Schmied in einer Stunde produziert. Bekommt der erste im Austausch für seine zehn Hufeisen seine drei Arbeitsstunden als Gegenwert und der zweite für die gleiche Zahl Hufeisen nur eine Arbeitsstunde bezahlt? Wer hierin eine Frage der Gerechtigkeit sehen will, antwortet mit ja oder nein, ohne sich darum zu kümmern, was in einer auf Gütertausch gegründeten Gesellschaft tatsächlich geschieht. Beim Gütertausch produziert jeder Warenproduzent, was, wie und wie viel er will. »Der gesellschaftliche Bedarf aber bleibt ihm eine unbekannte Größe, sowohl was die Qualität, die Art der bedurften Gegenstände, wie deren Quantität angeht. Was heute nicht rasch genug geliefert werden kann, mag morgen weit über Bedarf ausgeboten werden. Trotzdem wird schließlich der Bedarf so oder so, schlecht oder recht, befriedigt, und die Produktion richtet sich im ganzen und großen schließlich auf die bedurften Gegenstände. Wie wird diese Ausgleichung des Widerspruchs bewirkt? Durch die Konkurrenz. Und wie bringt die Konkurrenz diese Lösung fertig? Einfach, indem sie die nach Art oder Menge für den augenblicklichen (zahlungsfähigen) gesellschaftlichen Bedarf unbrauchbaren Waren unter ihren Arbeitswert entwertet und es auf diesem Umwege den Produzenten fühlbar macht, dass sie entweder überhaupt unbrauchbare oder an sich brauchbare Artikel in unbrauchbarer, überflüssiger Menge hergestellt haben.«15) Der ungeschicktere bzw. mit schlechteren Produktionsmitteln ausgestattete Schmied muss sich also entscheiden: Entweder er verkauft zu einem Preis unterhalb seiner privat verausgabten Arbeitszeit oder er bleibt womöglich auf einem Teil seiner Hufeisen sitzen. »Jede neue Erfindung, welche es ermöglicht, in einer Stunde zu produzieren, was bisher in zwei Stunden produziert wurde, entwertet alle gleichartigen Produkte, die sich auf dem Markte befinden. Die Konkurrenz zwingt den Produzenten, das Produkt von zwei Stunden ebenso billig zu verkaufen wie das Produkt einer Stunde. Die Konkurrenz führt das Gesetz durch, nach welchem der Wert eines Produktes durch die zu seiner Herstellung notwendige Arbeitszeit bestimmt wird. Die Tatsache, dass die Arbeitszeit als Maß des Tauschwertes dient, wird auf diese Art zum Gesetz einer beständigen Entwertung der Arbeit. Noch mehr; die Entwertung erstreckt sich nicht nur auf die dem Markt zugeführten Waren, sondern auch auf die Produktionsinstrumente und auf ganze Werkstätten.«16) »Es ist wichtig, den Umstand im Auge zu behalten, dass, was den Wert bestimmt, nicht die Zeit ist, in welcher eine Sache produziert wurde, sondern das Minimum von Zeit, in welchem sie produziert werden kann, und dieses Minimum wird durch die Konkurrenz festgestellt.«17) Die Konkurrenz entscheidet so hinter dem Rücken der für den Tausch produzierenden Privatproduzenten, wie und ob sich Privatarbeit als gesellschaftliche Arbeit bewährt.
Der Versuch, den »echten« (Tausch)Wert gegen den über Angebot und Nachfrage in der Konkurrenz auf dem Markt herausgebildeten Preis zu verteidigen, zeugt daher von der Unkenntnis des für den Gütertausch notwendigen Zusammenhanges zwischen Wert und Preis. Wenn eine zentrale staatliche Stelle die Konkurrenz aufhebt, indem sie den weiterhin unabhängig voneinander agierenden Produzenten ihre Arbeitszeit bezahlt, übernimmt sie damit zunächst sämtliche Privatarbeiten als gesellschaftliche Arbeit, um im nächsten Moment als Verkäufer der ohne gesellschaftlichen Plan produzierten Güter erneut vor der Frage zu stehen, was sich als gesellschaftliche Arbeit bewährt und was nicht. Auch ohne Marktkonkurrenz bleibt das Maß der unabhängig voneinander für den Gütertausch produzierenden Produzenten (egal ob als Privatpersonen, Genossenschaften oder Staatsbetriebe) die Verausgabung abstrakter Arbeitszeit. Was produziert wird, wie viel und in welcher Qualität, ist für die Bezahlung in Arbeitsstunden nicht maßgebend. Überproduktion auf der einen Seite und Mangel auf der anderen sind so vorprogrammiert. Darin, dass der Arbeitswert das Maß der in den Privatprodukten enthaltenen gesellschaftlichen Arbeit sein soll, liegt schon die Möglichkeit der Differenz zwischen der gesellschaftlichen Arbeit und der im selben Produkt enthaltenen Privatarbeit. Produziert z. B. ein Privatproduzent mit veralteter Technik weiter, während die gesellschaftliche Produktionsweise fortschreitet, so wird nicht ihm, sondern der Gesellschaft diese Differenz empfindlich fühlbar. Dasselbe geschieht, sobald die Gesamtheit der Privatproduzenten einer bestimmten Warenart gemessen am zahlungsfähigen gesellschaftlichen Bedarf zu große oder zu geringe Mengen produziert. Darin, dass die Gebrauchswerte als Waren für den Austausch produziert werden, liegt schon die Möglichkeit, dass der Austausch überhaupt nicht zustande kommt. »Indem die Konkurrenz innerhalb einer Gesellschaft austauschender Warenproduzenten das Wertgesetz der Warenproduktion zur Geltung bringt, setzt sie eben dadurch die (in diesem gesellschaftlichen Produktionsverhältnis) einzig mögliche Organisation und Ordnung der gesellschaftlichen Produktion durch. Nur vermittelst der Entwertung oder Überwertung der Produkte werden die einzelnen Warenproduzenten mit der Nase darauf gestoßen, was und wie viel davon die Gesellschaft braucht oder nicht braucht. Gerade diesen einzigen Regulator aber will die von (der Äquivalenzökonomie) mitvertretene Utopie abschaffen. Und (damit die) Garantie, dass von jedem Produkt die nötige Quantität und nicht mehr produziert wird, dass wir nicht an Korn und Fleisch Hunger leiden, während wir im Rübenzucker ersticken und im Kartoffelschnaps ersaufen, dass wir nicht Hosen genug haben, um unsere Blöße zu bedecken, während die Hosenknöpfe millionenweise umherwimmeln … Verbietet man nun der Konkurrenz, den Einzelproduzenten durch Steigen oder Fallen der Preise mitzuteilen, wie der Weltmarkt steht, so verbindet man ihnen die Augen vollständig.«18)
Daraus folgt, solange die Verwandlung von privater Arbeit in gesellschaftliche Arbeit über den Gütertausch bestehen bleibt – individuelle Arbeiter also ihre konkreten Produktionsakte isoliert und ohne kollektive Koordination ausführen und das Maß ihrer Arbeit nicht der Gebrauchswert, sondern der Tauschwert, nicht ihre konkrete Arbeit, sondern deren abstrakte Verausgabung ist – dann gibt es zwei Alternativen, von denen die eine so unbefriedigend ist wie die andere: Lässt man über die Konkurrenz der Marktteilnehmer das Wertgesetz gelten, entscheidet sich hinter dem Rücken der Produzenten, ob ihre Arbeit überhaupt gesellschaftliche Anerkennung findet und damit ihren Bedürfnissen die erforderliche Zahlungsfähigkeit zugestanden wird. Versucht man, das Wertgesetz zu modifizieren, verliert die Gesellschaft die Kontrolle darüber, ob die erforderliche Anzahl verschiedener Güter und Dienstleistungen in angemessener Qualität produziert werden. Wenn weltweit alle Waren auf Grund der in ihnen enthaltenen Arbeitszeit ausgetauscht würden, »würde diese neue Preisrelation Naturprodukt/Industrieprodukt die notwendige wirtschaftliche Gleichberechtigung der Völker untereinander herbeiführen«19), aber parallel zur angestrebten »Gleichberechtigung« zur weltweiten »Mangelwirtschaft« beitragen. Bei der Umsetzung der Äquivalenzökonomie als Beitrag zum »Sozialismus des 21. Jahrhunderts« sind daher »Kompromisse« am Gleichheitsideal und dem aus ihm abgeleiteten Gütertausch zum »echten Wert« bereits absehbar. »Das von Arno Peters stipulierte Prinzip rigoroser Äquivalenz oder absoluter Gleichheit in der Entlohnung einfacher und komplizierter Arbeit kann in der gemischten Ökonomie des Übergangs realistischerweise nicht aufrechterhalten werden, da es der Konditionierung des menschlichen Charakters im Kapitalismus – möglicherweise auch seiner anthropologischen Natur – nicht genügend Rechnung trägt«.20) Übergänge von der strikten »Äquivalenz« zu einer bewussten Anwendung des Wertgesetzes anlog den Versuchen im »Realen Sozialismus« sind also vorprogrammiert und wenn von maßgeblichen Vertretern der Äquivalenztheorie sogar schon eine angebliche »anthropologischen Natur des menschlichen Charakters« ins Spiel gebracht wird, ist der Weg zurück zu den ganz normalen kapitalistischen Klassenverhältnissen nicht mehr weit.
Die moralische Vorstellung eines gerechten Tauschverhältnisses geht an der Erklärung des Tauschverhältnisses vorbei und damit an dem Grund, den es zu beseitigen gilt, wenn man die unschönen Folgen dieses Produktionsverhältnisses beseitigen will. Genauso wie in John Grays oder Pierre Proudhons Tauschbank-Utopie die Warenproduktion verewigt und zugleich mit der Abschaffung des aus der Warenproduktion entspringenden Geldes der »Gegensatz von Gebrauchswert und Tauschwert« beseitigt werden sollte, stellt die »Äquivalenzökonomie« den Versuch dar, die auf Gütertausch begründete (Tausch) Wertproduktion zu verewigen und zugleich mit der Einführung eines »echten« Wertes das mit Warenproduktion verbundene Wertgesetz und seine Folgen zu beseitigen. »Die kapitalistische Produktionsform abschaffen wollen durch Herstellung des „wahren Werts”, heißt daher den Katholizismus abschaffen wollen durch die Herstellung des „wahren” Papstes oder eine Gesellschaft, in der die Produzenten endlich einmal ihr Produkt beherrschen, herstellen durch konsequente Durchführung einer ökonomischen Kategorie, die der umfassendste Ausdruck der Knechtung der Produzenten durch ihr eigenes Produkt ist.«21) Die fehlende Klarheit über Gütertausch und Wert führt daher regelmäßig zu Versuchen, den Markt zu verbessern, ohne ihn zu überwinden. Die Marktsozialisten wählen »nicht einen ruhigeren, sicheren, langsameren Weg zum gleichen Ziel, sondern ein anderes Ziel, nämlich statt der Herbeiführung einer neuen Gesellschaftsordnung bloß unwesentliche Veränderungen in der alten.«22)
»Die kommunistischen Länder hätten also nicht bei der Abschaffung des Privateigentums an den Produktionsmitteln stehen bleiben dürfen«, wie Heinz Dieterich zu Recht betont. Sie hätten das Eigentumsverhältnis insgesamt (egal ob privat, genossenschaftlich oder staatlich) und damit den Gütertausch abschaffen und durch eine Organisation der Produktion von Gütern und Dienstleitungen gemäß einem bewussten Plan ersetzen müssen. Die Frage eines »echten« oder »unechten« Wertes hätte sich damit erledigt. »Die unmittelbar gesellschaftliche Produktion wie die direkte Verteilung schließen allen Warenaustausch aus, also auch die Verwandlung der Produkte in Waren … und damit auch ihre Verwandlung in Werte.«23) Gesellschaftliche Produktion würde dann bedeuten: die Selbstbestimmung der Produzenten über die Frage, wie ihre Arbeit zur Befriedigung welcher gesellschaftlichen Bedürfnisse beitragen soll. Dabei ließe sich vereinfachend in zwei Bereiche unterscheiden:
1. Die Befriedigung gehobener gesellschaftlicher Grundbedürfnisse

In einer sozialistischen Gesellschaft, die diesen Namen verdient, würden Nahrung, Kleidung, Unterkunft inklusive Mobiliar und gesellschaftliche Infrastrukturleistungen wie Wasser, Strom, Heizung, Telekommunikation, öffentliche Verkehrsmittel, Bildung, medizinische Versorgung, Kinder-, Alten- und Behindertenbetreuung sowie kulturelle Angebote planmäßig hergestellt und frei zur Verfügung gestellt. Einwände, dies sei aufgrund der Knappheit der Ressourcen, der Unmöglichkeit der Planung bzw. aufgrund des menschlichen Charakters nicht möglich, gehen aus folgenden Gründen an der Sache vorbei:
Für eine sozialistische Versorgung der gesellschaftlichen Grundbedürfnisse im oben genannten Sinne würden mit der Überwindung der Marktwirtschaft erhebliche zusätzliche Kapazitäten entstehen. Die freiwerdenden Ressourcen aus einer Umverteilung der Einkommen (2010 nutzen 8% der Weltbevölkerung 75% des weltweiten Vermögens) und der der Einkommensverteilung nachgelagerten exklusiven Luxusgüterproduktion wären dabei der kleinste Teil. Den weitaus größeren Beitrag würde der Entfall der umfangreichen und allein für die Wertproduktion erforderlichen Dienstleistungen von Banken, Börsen, Versicherungen, Wirtschaftsprüfgesellschaften, Anwaltskanzleien, Werbeagenturen sowie von staatlichen Funktionen wie Finanzämtern, Steuerbehörden, umfangreichen Gefängnisanlagen und dem Militär liefern. Der größte Teil der in der Marktwirtschaft im Hinblick auf eine sozialistische Versorgung der Grundbedürfnisse ungenutzten Ressourcen ließe sich aber darüber hinaus im Bereich der produzierenden Unternehmen selbst mobilisieren. Angefangen bei Forschungs- und Entwicklungsabteilungen über Produktmanagement und Marketing bis zu den umfangreichen Verkaufsorganisationen und ihren angeschlossenen Händlern beschäftigen sich schließlich auch in den produzierenden Unternehmen mindestens 50 % der Mitarbeiter in der Konkurrenz um die Marktanteile mehr mit Fragen der erfolgreichen Verwertung als mit Fragen der Gebrauchswertherstellung. Betrachtet man z. B. in einem Warenhaus für Haushaltsgeräte das umfangreiche Sortiment allein unter dem Gesichtspunkt des Gebrauchswertes, ließe sich die erforderliche Ausstellungsfläche leicht auf ein Drittel der Fläche, die für die Präsentation der konkurrierenden Markenvielfalt erforderlich ist, reduzieren. Dabei ist vom Standpunkt der Gebrauchswertversorgung nicht nur der unter Abschirmung von Betriebsgeheimnissen betriebene Aufwand überflüssig, den betriebliche Forschungs- und Entwicklungsabteilungen und Produktmanager für die Gestaltung und den Patentschutz der eigenen Marke betreiben. Innerhalb eines Unternehmens wird zudem ein erheblicher Aufwand für eine Produktdifferenzierung und Produktneuentwicklung betrieben, der sich mit unterschiedlichen bzw. zusätzlichen Verwendungsbedürfnissen der Konsumenten nicht erklären lässt. Die Vielzahl von Produktvarianten und neuen Modellen eines Herstellers, die vom Käufer von Digitalkameras, Computern oder Fernsehern ebenso wie bei Autos, Lebensmitteln oder Sanitärartikeln zunächst eine umfangreiche Studie der hinter der glänzenden Marketingsprache verborgenen Sachinformationen erfordert, erklärt sich vielmehr allein über das Bemühen, den Markt im Vergleich zur Konkurrenz erfolgreicher zu besetzen, um darüber die unterschiedlich zahlungsfähigen Kundensegmente entsprechend besser abzuschöpfen. Wenn daher in einer sozialistischen Gesellschaft der Teil der Arbeit, der in der Marktwirtschaft im Dienst der Geldvermehrung steht, stattdessen in Forschung und Entwicklung, Produktion und Distribution nützlicher Dinge investiert würde, könnte der gleiche physische Reichtum mit ungefähr der Hälfte der Arbeitszeit bzw. der doppelte Reichtum mit gleicher Arbeitszeit geschaffen werden. Von knappen Ressourcen, die einer unmittelbar gesellschaftlichen Produktion und der direkten Verteilung der Güter eines gehobenen Grundbedarfs im Wege stehen würden, kann also keine Rede sein. Selbst eine gewisse Überproduktion an Gütern und Diensten des gehobenen Grundbedarfs, die sicherstellt, dass sämtliche Gesellschaftsmitglieder frei nach ihren Bedürfnissen Zugriff haben und nicht über temporäre Engpässe ungewollte Schwarzmarktaktivitäten entstehen, ließe sich planmäßig organisieren. Die verbreitete volkswirtschaftliche Rechtfertigung von Eigentum, Geld und Preis als rationellen Verteilungsinstrumenten eines quasi-natür-lichen Gütermangels trifft daher den Sachverhalt nicht. »Das einschlägige „Knappheitstheorem” der Volkswirtschaft basiert auf der Behauptung eines prinzipiell unaufhebbaren Missverhältnisses zwischen den menschlichen Bedürfnissen und den zu ihrer Befriedigung zur Verfügung stehenden sachlichen Mitteln, also der Behauptung eines natürlichen Gegensatzes zwischen Produktion und Konsumption. Ideologisch ist diese Konstruktion darin, dass jenseits und unabhängig von Inhalt und Umfang konkreter menschlicher Bedürfnisse und der zu ihrer Erfüllung erforderlichen Mittel dem Bedürfnis die Unersättlichkeit als dessen Naturbestimmung unterschoben wird. Mit der Konstruktion des unersättlichen Bedürfnisses, das per Definition seine (vollständige) Befriedigung ausschließt, entheben sich die Knappheitstheoretiker der Beantwortung der Frage, welche Güter in welchem Umfange zur Befriedigung von Bedürfnissen nicht zur Verfügung stehen.«24) Das Bedürfnis nach Käse, Wurst, Fernsehern, Mobiltelefonen, Waschmaschinen, Druckerpatronen oder Toilettenpapier wäre auf jeden Fall nicht unersättlich.
Probleme, den Umfang und die gewünschte Qualität gemäß der gesellschaftlichen Bedürfnisse zu planen, sind ebenfalls nicht absehbar. Komplexe computergestützte Planungsinstrumente für eine weltweite just-in-time Produktion und Distribution sind im 21. Jahrhundert kein Geheimnis, sondern tägliche Praxis. Darüber hinaus verringert sich die Planungskomplexität, wenn neben der Anzahl der Gesellschaftsmitglieder und dem jeweiligen Produkt nicht auch noch unabschätzbare Faktoren, wie Marktanteil, Zahlungsfähigkeit oder die konjunkturelle Entwicklung als Variablen in der Planungsrechnung Berücksichtigung finden müssen. Dass man sich bei der zweckmäßigen Herstellung von diversen Gebrauchsgütern besser nicht auf die »Anarchie des Marktes«, sondern auf eine gut organisierte Planung verlässt, führen die weltweit erfolgreichen Konzerne zudem selbst vor. Unternehmen wie Siemens, Procter & Gamble, Volkswagen, Shell oder Toyota organisieren ihre weltweiten Mitarbeiter schließlich aus gutem Grund auch nicht wie kleine gegeneinander konkurrierende Privateigentümer, die sich mit ihren Leistungen auf internen Warenmärkten bewähren müssen. Es herrscht kein Abteilungseigentum, sondern »kollektives Firmeneigentum«. Die Personalabteilung, die Buchhaltung oder die Produktion müssen nicht zunächst intern, womöglich gegen gleichnamige Konkurrenzabteilungen, erfolgreich Leistungen verkaufen, um erst darüber berechtigt zu sein, erforderliche Leistungen z. B. vom Einkauf, der EDV oder dem Controlling zu erhalten. In der Marktwirtschaft verfahren die Unternehmen im Hinblick auf die für ihren Zweck der Geldvermehrung erforderliche Güterproduktion intern durchaus planwirtschaft-lich.25) Ebenso wie bei einer sozialistischen gesellschaftlichen Planung ergänzen sich hierbei strategische Grundsatzentscheidungen mit zentralen sowie dezentralen Jahres-, Monats- Wochen- oder Tagesplänen.
Mit der Selbstbestimmung der Produzenten über die Frage, wie ihre Arbeit zur Befriedigung welcher gesellschaftlichen Bedürfnisse beitragen soll, das heißt, mit der planmäßigen, unmittelbar gesellschaftlichen Produktion und damit der direkten Verteilung der gemeinschaftlich hergestellten Güter wäre der marktwirtschaftlichen Produktionsweise die Grundlage entzogen. Über die Sicherstellung des gehobenen Grundbedarfs wäre die Mittellosigkeit der Mehrheit der Gesellschaftsmitglieder beseitigt und damit der Grund, die eigene Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Beitragen statt Tauschen würde nun den gesellschaftlichen Zusammenhang einer Gesellschaft regeln, in der die Kontrolle über die Produktionsmittel in den Händen der Produzenten liegt.26) Dabei müsste eine sozialistische Gesellschaft natürlich erwarten, dass – abgesehen von den von der Produktion befreiten Gesellschaftsmitgliedern (Kinder, in der Ausbildung Befindliche, Kranke, Alte) – in etwa alle dasselbe, das heißt, die für die Bereitstellung der Güter und Dienste gesellschaftlich notwendigen Arbeitsstunden beitragen. Aber gäbe es dann überhaupt noch Anreize, sich an der erforderlichen Arbeit zu beteiligen? Gäbe es dann nicht lauter Trittbrettfahrer? Gegenfrage: Warum sollten sich Menschen, die in der Marktwirtschaft als woorking poor bis zu zehn und mehr Stunden arbeiten, nicht an einer Produktion beteiligen wollen, die zu ihrem Nutzen organisiert ist, statt zur Vermehrung des Reichtums ihrer Arbeitgeber? Der Hinweis auf die Faulheit der Menschennatur, den Verfechter der Marktwirtschaft an dieser Stelle gerne vorbringen, ist so falsch wie verräterisch: Verräterisch, weil der Inhalt der hochgelobten marktwirtschaftlichen Freiheit des Individuums plötzlich seine Mittellosigkeit ist und darüber der ökonomische Zwang zu arbeiten, um sich das nötige Geld für seine Bedürfnisse zu verdienen. Falsch, weil auch die Degradierung der Bedürfnisse zu zahlungsfähigen Bedürfnissen kein zwingender Grund dafür ist, sich um Arbeit zu bemühen, statt faul unter Brücken zu schlafen, sich nur um das Nötigste zu kümmern und von staatlicher Sozialhilfe zu leben. »Die Anthropologie der Faulheit und die … entsprechende Ableitung des Kapitalismus als Überwindungsform der faulen Menschennatur basiert auf einem widersprüchlichen Menschenbild. Es unterstellt einen Menschen, der einerseits zu träge sein soll, die Ökonomie planvoll gemäß seinen Bedürfnissen und Zwecken zu organisieren, der sich weigert, seinen Beitrag zu einem ihm nützlichen Gemeinschaftswerk zu erbringen, und der andererseits zugleich die Energie aufbringt, sich zu seinem eigenen Nutzen in den Dienst fremder ökonomischer Zwecke zu stellen und sich von der Bestimmung über die Produktionszwecke und -methoden ausschließen zu wollen. Bei Licht betrachtet beruht die Anthropologie der Faulheit auf einer Verwechselung von Grundlage und Folge: Die Einstellung der Gleichgültigkeit, welche die Gesellschaftsmitglieder auf der Grundlage ihrer (realsozialistisch oder kapitalistisch) aufgeherrschten Trennung von der Verfügung über den Produktionsprozess einnehmen, wird in die Ursache der privat- oder staatseigentumsmäßigen Organisation der Ökonomie verkehrt.«27)
Wenn es für die Abschaffung der Marktwirtschaft und die Einführung einer sozialistische Gesellschaft eine Mehrheit in der Bevölkerung gibt, dann gibt es auch genügend Menschen, die sich an der erforderlichen Arbeit für die Bereitstellung der gemeinschaftlich festgelegten Grundbedürfnisse beteiligen. Dass es in jeder Gesellschaft vielleicht 1% (und seien es 5% oder 10 %) der Gesellschaftsmitglieder gibt, die sich nicht an einen gesellschaftlichen Konsens halten, mag ein Grund zum Ärgernis und zur Diskussion sein, aber hindert eine sozialistische Gesellschaft keineswegs an der Verwirklichung ihres sozialistischen Programmes.
2. Die über die gehobenen Grundbedürfnisse hinausgehende Befriedigung von Freizeitbedürfnissen

Jenseits der Befriedigung der gehobenen gesellschaftlichen Grundbedürfnisse, die im 21. Jahrhundert aufgrund der vorhandenen Technologie und des wissenschaftlich-technologischen Wissens in einer Zwei- bis Dreitagewoche realisierbar wäre, beginnt das Reich der Freiheit. Damit steht es natürlich auch jedem Gesellschaftsmitglied frei, ob es sich überhaupt und wenn, in welchem Umfang es sich über die Sicherstellung der Grundbedürfnisse hinaus an der Produktion von Gütern und Diensten zur Befriedigung allgemeiner Freizeitbedürfnisse beteiligen will. Während es unproblematisch sein sollte, einen gesellschaftlichen Konsens bezüglich des Umfangs der Güter und Dienste zur Befriedigung eines gehobenen Grundbedarfs herzustellen und damit ebenso einen Konsens darüber, wie viel gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit dies von jedem erfordert, werden im Bereich der Freizeitbedürfnisse die individuellen Präferenzen nicht unmittelbar in einen gesellschaftlichen Konsens zu überführen sein. Die Frage, ob bzw. in welchem Umfang zusätzliche Arbeitszeit z. B. für den Ausbau des privaten Flugverkehrs, Hotelkapazitäten, Autos, Sporträder, Taucherausrüstungen, Segelboote, Klaviere, neuste Elektronikgeräte etc. erforderlich ist, wird je nach den individuellen Bedürfnissen unterschiedlich beantwortet werden. Da eine sozialistische Gesellschaft aber selbstverständlich auch im Bereich der Freizeitgüterproduktion nicht auf die Produktivkraft einer planmäßigen (weltweiten) gesellschaftlichen Arbeitsteilung verzichten will, bedarf es klarer Regeln, wie auch hier im Hinblick auf die gesellschaftlichen Produktionsergebnisse eine zufriedenstellende Kopplung zwischen Nehmen und Geben erreicht werden kann.
Soweit die Güter und Dienste zur Befriedigung diverser Freizeitbedürfnisse nicht aus Einzeloder Gruppeninitiative direkt zum Eigenbedarf erstellt werden können, sie also eines industriellen gesellschaftlichen Produktionsprozesses bedürfen, fließen sie in die allgemeine gesellschaftliche Produktionsplanung mit ein. Wie in der Marktwirtschaft wird die individuelle Nachfrage auftragsbezogen oder anhand von Erfahrungswerten (Bsp. Hotel, Flugverkehr) bei der Produktion berücksichtigt. Dabei wird eine sozialistische Gesellschaft erwarten, dass derjenige, der etwas über den pauschal zur Verfügung gestellten Grundbedarf hinaus bestellt bzw. konsumiert, einen entsprechenden Beitrag für die gesellschaftlich notwendige Arbeit leistet. Die Zeit als Maß des für die Produktion erforderlichen Aufwandes wird nicht nur aus diesem Grund in einer sozialistischen Gesellschaft weiterhin erforderlich sein. Auch eine sozialistische Gesellschaft muss natürlich wissen, wie viel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf. Sie muss den Produktionsplan zeitlich einrichten und entsprechend die Arbeitskräfte einteilen. Sie benötigt darüber hinaus im Hinblick auf die Bemühungen zur Steigerung der Produktivität, das heißt, zur Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand zu Ertrag einen detaillierten Überblick über den für die einzelnen Arbeitsabschnitte erforderlichen Zeitaufwand. Eine sozialistische Gesellschaft wird also wissen müssen, wie viel gesellschaftliche Arbeitszeit durchschnittlich für die unterschiedlichen Güter und Dienste aufzuwenden ist. Ebenso wird für die Gesellschaftsmitglieder die Information, welcher gesellschaftliche Aufwand mit bestimmten Gütern und Diensten verbunden ist, erforderlich sein, um selbst abschätzen zu können, ob für sie der Nutzen im Verhältnis zum erforderlichen Aufwand steht, um also eine vernünftige Kopplung zwischen Geben und Nehmen zu ermöglichen.
Wenn der Umfang der Freizeitgüter im Verhältnis zur Zahl der Gesellschaftsmitglieder aufgrund der zusätzlich notwendigen Arbeitszeit planmäßig begrenzt ist, gibt es theoretisch zwei Möglichkeiten der Vermittlung zwischen Angebot und Nachfrage. Freier Zugang nach dem Prinzip: Wer zuerst kommt, mahlt zuerst. Oder Rationierung durch geregelte Zuteilung. Die Gesellschaftsmitglieder, die sich an der zusätzlichen Arbeit beteiligen, erwarten natürlich, dass sie ungefähr entsprechend ihres Einsatzes Zugang zu Freizeitgütern erhalten. Gleichzeitig wird gegenüber den Konsumenten von Gütern und Diensten des Freizeitbedarfs erwartet, dass sie jeweils ihren Anteil am Produktionsaufwand übernehmen, indem sie ihrerseits in ungefähr gleichem Umfang zusätzliche Aufgaben für die Gesellschaft übernehmen. Ähnlich wie bei den utopischen Sozialisten ist die Arbeitszeit daher das Maß des individuellen Anteils des Produzenten an der Gemeinschaftsarbeit und daher auch an dem individuell verzehrbaren Teil der Güter und Dienste des Freizeitbedarfs. Die Leistungen, die zusätzlich zum pauschal zur Verfügung stehenden gehobenen Grundbedarf hergestellt werden, werden so je Produktart auf der Basis der in ihnen durchschnittlich enthaltenen Arbeitszeit mit entsprechenden Abzügen von den individuellen Arbeitszeitkonten zugeteilt. Aber was bedeutet dies im Hinblick auf die oben geführte Diskussion der Arbeitszertifikate? Ist das nicht ein Zugeständnis, dass der Tauschwert, also das Geld, auch im Sozialismus die gesellschaftlichen Zusammenhänge vermittelt? »Hier begegnen wir einem Bereich grundlegender Verwirrungen in weiten Teilen der neueren Debatte über den Marktsozialismus. Zertifikate, welche einfach die Anzahl der Arbeitsstunden repräsentieren, sind kein Geld im kapitalistischen Sinne.«28) Geld setzt ein gesellschaftliches Gewaltverhältnis voraus, in dem sich Privateigentümer vom Zugang zu den Produktionsmitteln und den damit erzeugten Gütern ausschließen. Wo sich erst auf dem Markt herausstellt, ob die von unabhängigen Produzenten verausgabte Privatarbeit als gesellschaftliche Arbeit anerkannt wird. Wo sich also der gesellschaftliche Zusammenhang der Menschen erst über den Tauschwert ihrer Arbeitsprodukte ergibt. »Wo Arbeit gesellschaftlich ist und ihre Zuteilung im Voraus festgelegt ist, ist ein Zertifikat oder Gutschein kein Geld; es ist nicht der Mechanismus, der den sozialen Charakter der individuellen Arbeit für gültig erklärt, noch den zweiten in den ersten verwandelt. Obwohl solche Zertifikate eine Art von Austausch repräsentieren, leisten sie nicht die Funktion, die Produzenten über den sozialen Wert ihrer privaten Arbeit zu informieren. Arbeitszertifikate würden lediglich eine Grundlage etablieren, auf der eine gegebene Verausgabung von Arbeit gegen einen Teil der Produkte der gesellschaftlichen Arbeit getauscht werden. Aber das ist nicht Warentausch, da der „Wert” der Arbeit, sein Anspruch am gesellschaftlichen Reichtum teilzuhaben, vor der Produktion festgelegt wurde. Infolgedessen macht der gesellschaftliche Charakter der Produktion von Anfang an das Produkt zum gesellschaftlichen Produkt. … Die Rolle der Arbeitszertifikate ist es, die Vermittlung von individueller und gesellschaftlicher Arbeit stattfinden zu lassen. Aber die ist keine Vermittlung, die den gesellschaftlichen Wert individueller Arbeit begründet, denn dies wurde bereits im Ausgangspunkt begründet; es ist lediglich eine Art der Vermittlung des Austausches von Arbeit für Arbeit.«29) In einer sozialistischen Gesellschaft, in der »alle Mitglieder der Gesellschaft selbstständige Arbeiter sind, ist ein Tausch gleicher Arbeitsstunden nur unter der Bedingung möglich, dass man von vornherein über die Stundenzahl übereinkommt, welche für die materielle Produktion notwendig ist. Aber eine solche Übereinkunft schließt den individuellen Tausch aus.«30) Eine sozialistische Gesellschafft mit unmittelbar vergesellschafteter Arbeit, bei der die Organisation der Produktion von Gütern und Dienstleitungen gemäß einem bewussten Plan der Gesellschaftsmitglieder erfolgt, ist eine dem Gütertausch diametral entgegengesetzte Produktionsform. »Markt und Plan bilden einen Antagonismus. Zum Markt gehören untrennbar privat und unabhängig voneinander produzierende Produzenten, deren Zusammenhang durch den Tausch gestiftet wird. Der Tausch ist verbunden mit einem Eigentümerwechsel, und in seiner Realisierung nehmen die Produkte die Form einer Ware an. Die gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeitquanten für die Produkte bestimmen sich im nachhinein, gewaltsam. Das besorgt das hinter dem Rücken der Agierenden wirkende Wertgesetz. Die komplementäre Aussage dazu: Zum Plan gehören untrennbar abhängig voneinander produzierende Produzenten, deren Zusammenhang durch Kooperation gestiftet wird. Die Kooperation ist nicht mit einem Eigentumswechsel verbunden, und in Kooperation erzeugte Produkte nehmen nicht die Form einer Ware an. Die gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeitquanten stehen von vornherein fest.«31) »Das Arbeitszertifikat konstatiert (hier) nur den individuellen Anteil des Produzenten an der Gemeinarbeit und seinen individuellen Anspruch auf den zur Konsumtion bestimmten Teil des Gemeinprodukts.«32)
Der einzige Grund, der also gegen die sozialistische Produktion von Gütern und Diensten zur Befriedigung gesellschaftlicher Bedürfnisse spricht, ist das Interesse der Privateigentümer, ihre Produktionsmittel und die für sie arbeitenden mittellosen Gesellschaftsmitglieder lieber für ihre eigenen Interessen arbeiten zu lassen.
Fußnoten:

1) Hugo Chavez, Rede beim Weltsozialforum in Porto Alegre, 30. Januar 2005
2) Hugo Chavez, Rede in der Mitte des Jahres 2006, http://de.wikipedia.org/wiki/Sozialismus_des_21._Jahrhunderts, 25,10.2010
3) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Wirtschaft, Gesellschaft und Demokratie nach dem globalen Kapitalismus, 2006, S. 16
4) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 117 (25) Dieterich bezieht sich in seinen Ausführungen zur Äquivalenzökonomie ausdrücklich auf Arno Peters und dessen Schrift »Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Global-Öko-nomie» (www.puk.de). Bei direkten Zitaten gibt im Folgenden die in Klammern angegebene Seitenzahlen den Bezug zum Originaltext an.
5) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 44 (Peters S. 12)
6) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 42 (Peters S. 11)
7) Der Wert, in: Gegenstandpunkt, politische Vierteljahrszeitschrift, 2-10, S.44
8) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 121
9) Arno Peters, Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Global-Ökonomie, S. 14
10) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S.114 (22)
11) Arno Peters, Das Äquivalenz-Prinzip als Grundlage der Global-Ökonomie, S. 16
12) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S.122
13) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 96 (21)
Die Vision einer sozialistischen Gesellschaft, in der unabhängige Privateigentümer auf der Basis der in ihren Produkten enthaltenen Arbeitszeit auf freien Märkten einen gerechten Tauschhandel betreiben, bekam ausgehend von Robert Owens »Report on the Country of Lanark« (1820) zu Beginn des 19. Jahrhunderts zunehmende Bedeutung in der englischen Arbeiterbewegung. Den größten Einfluss hatte zunächst Thomas Hodgskins, der in »Labour Defended Against the Claims of Capital« (1825) mit Bezug auf die arbeitswerttheoretischen Ausführungen von Adam Smith und David Ricardo argumentierte, dass nur Arbeit Wert schaffe und bei dem darüber die Ansprüche des Kapitals am Anteil des nationalen Reichtums eine schärfere Zurückweisung erhielten als noch zuvor bei Robert Owen. Während John Gray (»The Social System: A Trea-tise on the Principle of Exchange«, 1831) und Jahre später in Frankreich Pierre-Joseph Proudhon (»The System of Econo-mical Contradictions«, 1846) versuchten, den Gedanken des gerechten, auf Arbeitszeiten beruhenden Tauschhandels zu einem Systems regulierter Märkte auszubauen und darüber zu glühenden Verfechtern der »wahren und freien« Marktkonkurrenz wurden, kritisierten William Thompson, (Inquiry into the Principles of the Distribution of Wealth, 1824 und Labor Rewarded, 1827) sowie zehn Jahre später John Francis Bray (Labour’s Wrongs and Labour’s Remedies, 1839) die Marktkonkurrenz und propagierten in Anlehnung an Robert Owen die Notwendigkeit kooperativer Produktion und wirtschaftlicher Planung. Da beide aber ebenso wie Gray und Proudhon der falschen Vorstellung verhaftet waren, dass Arbeit Wert schafft – sie also in ihrer Kritik nicht soweit fortgeschritten waren, zu erklären, dass der (Tausch)Wert allein Resultat eines gesellschaftlichen Produktionsverhältnisses ist, in dem unabhängige Privatproduzenten für den Tausch abstrakte, gesellschaftlich durchschnittliche Arbeitszeit vergleichen – gelang es ihnen nicht, ihre Kritik gegenüber den kapitalistischen Verhältnissen zu einer Kritik des Produktionsverhältnisses zu entwickeln und damit die »Arbeitswertlehre« zu kritisieren, statt nach Formen ihrer gerechten Anwendung zu suchen. So sehr Thompsons wie Brays Schriften eine Kritik des Systems der Marktkonkurrenz beisteuerten, lieferten sie dennoch gleichzeitig, wie die übrigen utopischen Sozialisten, eine theoretische Begründung für die Bemühungen, das System zu reinigen, statt es zu ersetzen. Vgl. hierzu sowie im Hinblick auf eine umfassende kritische Analyse der Geschichte der politischen Ökonomie von Adam Smith über die utopischen Sozialisten bis zu aktuellen Vertretern eines Marktsozialismus: David McNally, Against the Market. Political Economy, Market Socialism and the Marxist Critique, Verso 1993
14) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 96 (21f)
15) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S. 565. (zahlungsfähigen) wurde dem Zitat hinzugefügt.
16) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S 94f
17) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S. 96
»Nicht die in den Produkten inkorporierte Arbeitszeit, sondern die gegenwärtig nötige Arbeitszeit ist das Wertbestimmende. Nehme das Pfund Gold selbst: es sei das Produkt von 20 Stunden Arbeitszeit. Gesetzt durch irgendwelche Umstände bedürfe es später 10 Stunden, um ein Pfund Gold zu produzieren. Das Pfund Gold, dessen Titel besagt, dass es = 20 Stunden Arbeitszeit, wäre nun nur noch = 10 Stunden Arbeitszeit, da 20 Stunden Arbeitszeit = 2 Pfund Gold. 10 Stunden Arbeit tauschen sich faktisch aus gegen 1 Pfund Gold; also kann sich 1 Pfund Gold nicht mehr gegen 20 Arbeitsstunden austauschen.« Karl Marx, Grundrisse, S. 54
18) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S 566f
19) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 116 (24)
20) Heinz Dieterich, Der Sozialismus des 21. Jahrhunderts. S. 167
21) Friedrich Engels, Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, MEW Bd. 20, S. 289
22) Rosa Luxemburg, Sozialreform oder Revolution? Zweiter Teil, 3. Die Eroberung der politischen Macht, 8. Abschnitt
23) Friedrich Engels: Herrn Eugen Dührings Umwälzung der Wissenschaft, MEW Bd. 20, S. 288
24) Albert Krölls, Das Grundgesetz. Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, VSA 2009, S. 41f
25) Die Versuche, über sogenannte »Profit Center« die marktwirtschaftliche Konkurrenz als Leistungsstachel zu nutzen, sind zwar weit verbreitet, werden aber aufgrund der negativen Folgen der darüber veränderten Zwecksetzung, auch schnell wieder begrenzt oder gänzlich eingestellt.
26) Ausführlichere Überlegungen dazu, wie sich beispielsweise in einer sozialistischen Gesellschaft jenseits von Privateigentum und Gütertausch der Entscheidungsprozess bezüglich der zu produzierenden Güter und Dienstleistungen organisieren ließe, wie sichergestellt werden könnte, dass in einer auf Gemeineigentum basierenden Gesellschaftsform die notwendigen Aufgaben erledigt werden und wie im Hinblick auf die Aufteilung der Produktionsergebnisse eine zufriedenstellende Kopplung zwischen Nehmen und Geben erreicht werden könnte, finden sich bei W. Cockshott/A. Cottrell, Towards a New Socialism, 1993 und Christian Siefkes, Beitragen statt Tauschen, 2007 sowie bei: Hermann Lueer, Eine bessere Welt ist möglich, www.whyhunger.com
27) Albert Krölls, Das Grundgesetz. Eine Streitschrift gegen den Verfassungspatriotismus, VSA 2009, S. 43
28) David McNally, Against the Market. Political Economy, Market Socialism and the Marxist Critique, Verso 1993, S. 195f
29) David McNally, Against the Market. Political Economy, Market Socialism and the Marxist Critique, Verso 1993, S. 195f
30) Karl Marx, Das Elend der Philosophie, MEW Bd. 4, S. 104
31) Helmut Dunkhase, Planwirtschaft – auf der Höhe der Zeit, Junge Welt vom 10.01.2006, Seite 10. Das Wort Besitz bzw. Besitzer wurde im Zitat zur Vermeidung von Missverständnissen durch Eigentum bzw. Eigentümer ersetzt.
32) Vgl. hierzu: Karl Marx: Das Kapital, Bd. 1, MEW Bd. 23, Fußnote 58 S. 109
Ausgehend davon, das die Produktion auf einer direkten gesellschaftlichen Basis organisiert ist, auf der die Produkte nie eine Warenform annehmen, formulieren Cckshott/Cottrell folgende Auswirkungen auf die Arbeitszertifikate: 1. Die Zertifikate zirkulieren nicht … 2. Gleich vielen Arten von Tickets sind sie nicht übertragbar … 3. Wenn Individuen Güter aus einem Laden beziehen, werden ihre Gutscheine vernichtet. Als kommunale Einrichtung braucht der Laden keine Güter einzukaufen; sie werden ihm zugewiesen, so dass die Arbeitsgutscheine nur statistischen Zwecken dienen 4. Sie dienen nicht als Wertspeicher. Sie können z.B. ein Verfallsdatum enthalten.

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  1. Krim
    5. März 2011, 16:29 | #1

    Die Ausführungen unter Punkt 2 mit den Arbeitszertifikaten lese ich zum ersten Mal und ich weiß nicht was ich davon halten soll.
    Es ist ja so, dass die die Fähigkeit zu Arbeiten und Qualität der Arbeit zwischen den Individuen stark schwankt. Einer kann mehr, ist produktiver. Einem fällt die Arbeit leicht, dem anderen nicht. Soll das so direkt darüber entscheiden, was man sich über die Grundbedürfnisse hinaus in der Freizeit leisten kann?

  2. n0b0dy
    5. März 2011, 20:42 | #2

    @Krim: Das ist der Gesellschaft überlassen. So Siefkes in seinem Prokla-Artikel: „ob die Kopplung zwischen Geben und Nehmen eher empfehlenden oder eher verpflichtenden Charakter hat, ist für das Grundverständnis der Modelle irrelevant“.

  3. 5. März 2011, 22:40 | #3

    Ich habe (auch) schon Einwände zu Hermanns „1. Die Befriedigung gehobener gesellschaftlicher Grundbedürfnisse“:
    Wie fast immer, wenn Genossen aus oder um den GegenStandpunkt-Umkreis zur aktuellen Luxusfrage nach der „sozialistischen Versorgung der gesellschaftlichen Grundbedürfnisse“ Stellung nehmen (was ja selten genug ist), dann wird da implizit durchgängig die Situation in imperialistischen Zentren als Basis genommen, was eine Planwirtschaft auf Kontinent oder gar Weltmaßstab eventuell anders machen müßte, wird nicht thematisiert. Dann kann man natürlich leicht zu These kommen wie Hermann

    „Die frei­wer­den­den Res­sour­cen aus einer Um­ver­tei­lung der Ein­kom­men (2010 nut­zen 8% der Welt­be­völ­ke­rung 75% des welt­wei­ten Ver­mö­gens) und der der Ein­kom­mens­ver­tei­lung nach­ge­la­ger­ten ex­klu­si­ven Lu­xus­gü­ter­pro­duk­ti­on wären dabei der kleins­te Teil.“

    Wenn damit der Apell gemeint sein sollte, daß der Massenkonsum in den imperialistischen Zentren massiv heruntergefahren werden soll, damit man dem Hunger in der Welt nach so vielem Grundlegendem erst mal nachkommen kann, dann wird das wohl nichts werden, soviel Entsagung wird den meisten Arbeitern „hier“ weder einleuchten noch zuzumuten sein, befürchte ich jedenfalls.
    Auch bei seinem nächsten Punkt, der Einsparung der FIRE-Wirtschaft (Finance, Insurance, Real Estate u.ä.) will ich einerseits grundsätzlich gar nicht widersprechen, ja, da wird man sehr viel sehr schnell einsparen können. Auch in der güterproduzierenden Wirtschaft ist sicherlich ne Menge Luft drin (auch wenn Freerk Huisken z.B. hier schon mal extrem übers Ziel hinausschießt, als er vor einer Weile in Wien behauptet hat, daß moderne kapitalistische Konzerne für einen PKW nur noch Minuten bräuchten, was nur deshalb stimmte, weil Ford z.B., im Unterschied zu VW, die Fertigungstiefe im eigentlichen Endmontagewerk massiv reduziert haben und die Produktion einfach auf die Zulieferer ausgelagert haben, weil die die Löhne besser drücken können), wo es aber umgekehrt massiv zusätzliche Bescghäftigung braucht, sind all die Dienstleistungen, die bisher noch so gut wie ohne Maschinen auskommen müssen, Gesundheitswesen, Kinder-, Jugendlichen- und Altenbetreuung. Ich halte deshalb Hermanns Schlußfolgerung,

    „Wenn daher in einer so­zia­lis­ti­schen Ge­sell­schaft der Teil der Ar­beit, der in der Markt­wirt­schaft im Dienst der Geld­ver­meh­rung steht, statt­des­sen in For­schung und Ent­wick­lung, Pro­duk­ti­on und Di­stri­bu­ti­on nütz­li­cher Dinge in­ves­tiert würde, könn­te der glei­che phy­si­sche Reich­tum mit un­ge­fähr der Hälf­te der Ar­beits­zeit bzw. der dop­pel­te Reich­tum mit glei­cher Ar­beits­zeit ge­schaf­fen wer­den.“

    für zu optimistisch, jedenfalls wenn das eine Prognose für ein Gebiet sein soll, zu dem auch weite Teile der nicht industrialisierten Welt gehören.
    Hermann führt als Beweis/Beleg für die Machbarkeit „den Um­fang und die ge­wünsch­te Qua­li­tät gemäß der ge­sell­schaft­li­chen Be­dürf­nis­se zu pla­nen“ die schon in großen kapitalistischen Konzernen durchgeführte Produktionsplanung an. Das ist zwar einerseits schon richtig, es ist z.B. schon eindrucksvoll, wie im Hauptwerk von VW in Wolfsburg ein individualisierter PKW nach dem anderen vom Band läuft, mit genau der Ausstattung, den irgendein bestimmter Kunde bestellt hat, es scheint mir aber falsch, wenn Hermann das dann überspitzt zu „Un­ter­neh­men wie Sie­mens, Proc­ter & Gam­ble, Volks­wa­gen, Shell oder To­yo­ta or­ga­ni­sie­ren ihre welt­wei­ten Mit­ar­bei­ter schließ­lich aus gutem Grund auch nicht wie klei­ne ge­gen­ein­an­der kon­kur­rie­ren­de Pri­vat­ei­gen­tü­mer, die sich mit ihren Leis­tun­gen auf in­ter­nen Wa­ren­märk­ten be­wäh­ren müs­sen.“ Das kenne ich aus „modernen“ Konzernen z.B. VW gerade anders. Das Gegeneinderausspielen der einzelnen Werke bei der „Vergabe“ der Produktion für ein neues Modell kann man ja überall nachlesen. Bis zur Planwirtschaft braucht es also schon noch etwa, da kann man nicht einfach den Zentralcomputer von Daimler übernehmen. Zudem das ja gerade Planungen im Wertbereich und nicht von Gebrauchswerten sind.
    Ich will seiner Parole „Bei­tra­gen statt Tau­schen“ gar nicht grundsätzlich widersprechen, was aber auch bei ihm als absolut selbstverständlich vorkommt, ist folgendes:

    „Dabei müss­te eine so­zia­lis­ti­sche Ge­sell­schaft na­tür­lich er­war­ten, dass – ab­ge­se­hen von den von der Pro­duk­ti­on be­frei­ten Ge­sell­schafts­mit­glie­dern (Kin­der, in der Aus­bil­dung Be­find­li­che, Kran­ke, Alte) – in etwa alle das­sel­be, das heißt, die für die Be­reit­stel­lung der Güter und Diens­te ge­sell­schaft­lich not­wen­di­gen Ar­beits­stun­den bei­tra­gen.“

    Ja wieso sollen dann alle „in etwa alle dasselbe“ an Arbeitsstunden beitragen. Selbst im Kapitalismus wird doch massiv damit geworben, daß jeder und jede soviel arbeiten können muß, wie der/diejenige will. Das soll im Sozialismus auf einmal nicht mehr gelten??
    Schließlich billigt Hermann ja auch den Menschen zu, bei den Sachen, die nicht zur Grundversorgung gehören, ganz individuell das eine zu wollen und was anderes dafür nicht. Aber auch hier vergräbt er das Problem, daß sich dadurch auftut recht lässig:

    „Dabei wird eine so­zia­lis­ti­sche Ge­sell­schaft er­war­ten, dass der­je­ni­ge, der etwas über den pau­schal zur Ver­fü­gung ge­stell­ten Grund­be­darf hin­aus be­stellt bzw. kon­su­miert, einen ent­spre­chen­den Bei­trag für die ge­sell­schaft­lich not­wen­di­ge Ar­beit leis­tet.“

    Denn was ist denn der „entsprechende Beitrag“? Wie wird die „Rationierung durch geregelte Zuteilung“ gelöst?

  4. Krim
    6. März 2011, 20:18 | #4

    In einem Punkt finde ich deine Sichtweise zu pessimistisch. Und zwar wen du sagst, dass die Lösung des Hungers weltweit den Reichtum in den imperialistischen Zentren reduzieren würde und zwar weil die Situation in der Peripherie eine vom Imperialismus herbeigeführte Situation ist. Es ist dort doch regelmäßig so, dass landwirtschaftliche Erzeugnisse, die für den innländischen Markt produziert werden und die der Ernährung der Bevölkerung dienen nicht weiter angebaut werden, weil sie auf dem Weltmarkt kein Geld bringen. Stattdessen werden die selben Flächen für Devisenbringenden Anbau benutzt, während die Bevölkerung die gestiegenen Lebensmittelpreise nicht mehr bezahlen kann. Andersrum werden subventionierte Lebensmittel der Eg nach Afrika geliefert, was dort dann die Preise kaputtmacht und zur Zerstörung der nicht mehr konkurrenzfähigen Landwirtschaft beträgt. Will sagen: Dass es sich bei der Peripherie des Weltmarkts um Entwicklungsländer handelt ist doch eine Ideologie. Diese Länder sind eben nicht noch unterentwickelt, sondern die werden klein gehalten, sie werden für den Profit zurückentwickelt, sind Anhängsel des Weltmarkts und haben sich als Anhängsel zu bewähren. Wenn die von der imperialistischen Abhängigkeit befreit wären, bräuchte es vermutlich weniger als man denkt, um dort die gröbste Not zu beheben.
    2. zur Teilung in Grundbedürfnisse und Freizeit: Erstmal ist es ein Sache des Beschlusses, was Grundbedürfnis ist und was Freizeit bzw. welches Niveau die Grundbedürfnisse haben sollen. Hohes Niveau heißt weniger Freizeit. Oder soll das bloß so eine Harz 4 Grundversorgung sein. Sind Ferien wirklich Freizeit oder sind sie Erholung? Das Bedenklichste ist aber, dass dann im Freizeitbereich ein gegenseitiges Aufrechnen stattfinden soll. Dabei ist die Leistung doch gar nicht individualisierbar. Die Produktivität des Einzelnen ist immer eine auf Grundlage der Produktivität der Gesellschaft. Außerdem läuft ohne Gesellschaft sowieso nichts. Wenn man irgendein Material für ein Projekt braucht, dann muss das die Gesellschaft zur Verfügung stellen.
    „Dabei wird eine sozialistische Gesellschaft erwarten, dass derjenige, der etwas über den pauschal zur Verfügung gestellten Grundbedarf hinaus bestellt bzw. konsumiert, einen entsprechenden Beitrag für die gesellschaftlich notwendige Arbeit leistet.“ Wie soll das denn gehen? Angenommen die Wirtschaft produziert die Grundbedürfnisse. Der Rest ist Freizeit. Jetzt gündet sich die Gesellschaft der Ultraleichtflieger und will sich solche Dinger bauen. Die brauchen dann Stoff, Gestänge, Motor usw. Sollen die Mitglieder dieser Gesellschaft dann „Überstunden“ schieben, damit das Zeug dann gebaut werden kann. Was soll das bringen? Dass Menschen mit billigen Hobbys mehr Freizeit haben als andere mit teuren Hobbys? Hm.

  5. 7. März 2011, 10:18 | #5

    Christian Siefkes hat seinen Vortrag gestern angefangen mit einem Chart über den „ökologischen Fußabdruck“, der im Durchschnitt auf jeden Menschen entfällt („Unter dem Ökologischen Fußabdruck wird die Fläche auf der Erde verstanden, die notwendig ist, um den Lebensstil und Lebensstandard eines Menschen (unter Fortführung heutiger Produktionsbedingungen) dauerhaft zu ermöglichen. Das schließt Flächen ein, die zur Produktion seiner Kleidung und Nahrung oder zur Bereitstellung von Energie, aber z. B. auch zum Abbau des von ihm erzeugten Mülls oder zum Binden des durch seine Aktivitäten freigesetzten Kohlendioxids benötigt werden.“ Wikipedia). Weltweit gibt es rund 12 Mrd. Hektar nutzbare Flächen, im Durchschnitt über den Globus kommt dann eine Wert von 2 pro Kopf zustande, die USA liegen bei 9, Europa bei 4 bis 5, viele Staaten unter 1. Also nichts Überraschendes.
    Da diese Situation buchstäblich von den jetzigen Verhältnissen „gemacht“ wurden, wird wohl dein Satz schon irgendwie stimmen

    „Wenn die von der imperialistischen Abhängigkeit befreit wären, bräuchte es vermutlich weniger als man denkt, um dort die gröbste Not zu beheben.“

    Nur ist „weniger als man denkt“, wahrscheinlich immer noch bannig viel und zumindest kann man doch wohl sagen, daß die Erreichung von guten Lebensverhältnissen für alle überall umso schneller gehen würde, je mehr Ressourcen dabei eingesetzt würden, die bisher in den imperialistischen Staaten verballert werden. Was heißt, daß hier ja enorm viel Luft drin ist im Ressourcenverbrauch, der umgewidmet werden könnte für die globale Entwicklung. Nur muß dann klar sein, daß dann die vom GegenStandpunkt so gern behauptete drastische Arbeitszeitverkürzung so drastisch nicht wird ausfallen können. Da werden die Hiesigen schon Solidarität mit dem Rest der Welt üben müssen/wollen.
    Zu den Grundbedürfnissen:

    „Erstmal ist es ein Sache des Beschlusses, was Grundbedürfnis ist und was Freizeit bzw. welches Niveau die Grundbedürfnisse haben sollen.“

    Warum muß denn bei solchen Fragen immer gleich ein Beschluß her, der dann für alle Menschen Gleiches bedeutet? Warum müssen denn alle Menschen gleich lang arbeiten, gleich große Wohnungen bekommen, die Ware X ins Grundbedürfnis reingerechnet bekommen usw?
    Deine Einwände zum „entsprechend“ unterstütze ich. Was auch immer an unterschiedlichen Güterkorbzusammensetzungen die Leute haben wollen werden, und daß nicht alle Leute im gleichen Ort Urlaub machen wollen oder die gleichen Möbel im Wohnzimmer stehen haben wollen wird auch im Sozialismus nicht grundlegend anders sein und warum auch, daß muß in den gemeinsam zu erstellenden Produktionsplan einfließen und von allen mitgetragen werden, den es betrifft indirekt ja auch alle. Ob daß dann über individuelle Arbeitszeitkonten abgerechnet/zugeteilt werden sollte, möchte ich noch nicht sagen, aber letztlich muß es ja irgendwie sowas sein, denn alle Produktionsentscheidungen sind ja letztlich im Wesentlichen Entscheidungen über die Zeitbudgets der Betroffenen Menschen.

  6. Krim
    7. März 2011, 13:27 | #6

    Eigentlich hätte ich gedacht, dass die Unterschiede beim ökologischen Fußabdruck drastischer ausfallen. Wenn man sich vorstellt welche Verschwendung im Kapitalismus herrscht, glaube ich nicht, daß es größerer Entbehrungen bedarf um im Kommunismus auf 1 oder 2 zu kommen. Das dauert natürlich seine Zeit. Wenn man bedentkt was die Konkurrenz verschlingt, was da an Arbeiten doppelt gemacht wird, welche Auswirkungen es hat, dass dort wo das Geschäft stattfindet die Bodenpreis in die Höhe gehen, das Proletariat dann in billigere Gegenden ausweicht und dann jeden morgen ein Blechlawine in die Städte rollt. Mit vernünftigem Einsatz von Resourcen hat das nichts zu tun.
    „Warum muß denn bei solchen Fragen immer gleich ein Beschluß her, der dann für alle Menschen Gleiches bedeutet?“ Wenn man Grundbedürfnis und Freizeit auseinanderdividieren will, dann muss man eben definieren was zum Grundbedürfnis gehört und was nicht. Deshalb halte ich diese Zweiteilung auch für fragwürdig.

  7. bigmouth
    7. März 2011, 14:06 | #7

    Wenn man sich vorstellt welche Verschwendung im Kapitalismus herrscht, glaube ich nicht, daß es größerer Entbehrungen bedarf um im Kommunismus auf 1 oder 2 zu kommen.

    dieser glauben ist ja schön, aber harte zahlen wären da schon netter darüber, wie viel verschwendet wird. und zb das blechlawinen-beispiel: wenn die leute partout nicht im hochhaus wohnen wollen, muss in die fläche gebaut werden, egal wie die bodenpreise aussehen. und wie viel ressourcen weniger ein dichtmaschoiges öpnv-netz gegenüber individualverkehr jetzt verbrauchen würde – das ist doch jetzt auch nur ein bauchgefühl von dir, dass das beträchtlich (80% und mehr weniger) sein muß.
    mal abgesehen davon, dass du einfach behauptest, dass die leute ja eigentlich in der stadt wohnen wollen, was ich auch für blödsinn halte. frag mal jemanden aus monatana oder norwegen, wie gern der in die stadt ziehen will. oder wie realistisch da ist, alles auf zug und bus umzustellen

  8. Krim
    7. März 2011, 17:38 | #8

    „Harte Zahlen“ sind genauso spekulativ, weil man von irgendwas ausgehen muss, was man gar nicht wissen kann. Da bleib ich lieber beim Bauchgefühl und zeige auf, wo im Kapitalismus tatsächlich Verschwendung stattfindet.
    Wer sagt denn, dass die Leute im Hochhaus wohnen sollen? Bei meiner Überlegung kommt das jedenfalls nicht raus. Bei meiner Überlegung kommt heraus, dass die Leute in der Nähe der Arbeit wohnen. D.h. man muss Wohnen und Arbeiten zusammenbringen. Das ist dann nämlich bloß noch ein räumliches Problem und keines der Bodenpreise mehr. Im Kapitalismus ist es ja so, dass freier Wohnungs- und Arbeitsmarkt nicht nur ignorant gegen die Notwendigkeit sind, dass man zwischen beidem hin- und herpendeln muss, es gibt ja sogar noch einen Grund, warum Wohnen und Arbeiten im Kapitalismus meistens weit auseinanderliegen müssen und der besteht darin, dass sich das Kapital hohe Bodenpreise leisten kann, während die Arbeiter das nicht können und deswegen in die Peripherie der Städte gedrängt werden.

    „mal abgesehen davon, dass du einfach behauptest, dass die leute ja eigentlich in der stadt wohnen wollen,“

    In solchen Fällen wären mir Belegzitate ganz lieb, denn ich kann mich nicht erinnern, sowas gesagt zu haben.

  9. 7. März 2011, 18:53 | #9

    bigmouth, ich wußte gar nicht, daß du irgendwie der Nachfahr der freie Fahrt für frei Bürger Typ bist. Daß ÖPNV, nachdem man erstmal mit z.T. riesigem Aufwand die Infrastruktur hingestellt hat (z.B. jahrelang die Cities umgraben, um Ubahntunnel zu legen), pro Menscht-Transportkilometer um Längen günstiger sind als Stadtautobahnen und PKWs, das wirst du doch auch schon ab und an gelesen haben.
    Wieviel verdichtetes Wohnen, das doch nicht unbedingt wie WBS-70-Mahrzahn oder Gropiusviertel in Berlin aussehen muß (und auch nicht so utopistisch diktatorisch wie bei Corbusier z.B.), die zukünftigen Stadt- und Landmenschen dann haben wollen, das werden die dann schon irgendwie festlegen. Kilometerhohe Hochhäuser werden da wohl genauswenig rauskommen wie Los-Angeles-Kopien.

  10. Krim
    7. März 2011, 22:24 | #10

    Das mit den Hochhäusern ist sowieso ein Schreckgespenst. Von der Flächenersparnis her sind die gar nicht so toll. 1. Müssen mit zunehmender Höhe auch die Abstandsflächen immer größer werden. 2. ist der Flächengewinn ab 5-6 Geschossen nicht mehr groß. bzw. mit jeder Verdopplung der Geschosszahl halbiert sich die gewonnene Fläche, während der Aufwand natürlich beträchtlich steigt. Also ist das auch vom ökonomischen her eigentlich unsinnig höher zu bauen. Und solche 5-6 geschossigen Strukturen sind eigentlich recht beliebt und gelten als städtisch.
    Außerdem wird man eh nicht alles gleich abreißen, sondern mit dem vorhanden Zeug erstmal irgendwie umgehen müssen.

  11. antikap
    8. März 2011, 12:15 | #11

    Wohnraum wird das geringste Problem sein, weil heute mehr Wohnungen leerstehen als gebraucht werden. Sie kostenlos Obdachlosen überlassen will halt auch keiner. Dann werden noch die Arbeitsstätten für die nutzlosen Branchen frei (Finanzen, Recht, Marketing, …), wodurch auch Wohnraum für Millionen entsteht.

  12. 8. März 2011, 12:35 | #12

    antikap, für jemand, der mal China-Fan war (und es blöderweiser wohl immer noch ist), argumentierst du hier äußerst engstirnig deutschlandzentriert. Ja, hier wird wohl im Groben stimmen, „Wohnraum wird das geringste Problem sein“, aber wo sonst noch auf der Welt? Meine Planwirtschaft hört jedenfalls nicht an den Grenzen der Festung Europa auf. Noch nicht mal gedanklich.

  13. n0b0dy
    9. März 2011, 13:06 | #13

    Kommunismus lässt sich aus rein egoistischen Motiven begründen, während hingegen ein Verzicht zugunsten der 3. Welt nur ethisch begründbar ist. Daher würde ich diese beiden Ebenen grundsätzlich trennen, da sie auch zumindest nicht zwingend zusammenhängen. Die Teilung in Grundbedürfnisse & Freizeitgüter halte ich durchaus für sinnvoll, jedoch seh ich keinen Sinn darin im Voraus zu diskutieren welche Güter dem Leistungsprinzip unterworfen werden sollen oder wie groß der Umfang der Grundbedürfnisse sein wird. Das kann nur die jeweilige Gesellschaft selbst entscheiden. Spannender find ich immer noch die Frage der genauen Regelung des „Gutschein“-Systems, wie das vom Warentausch abzugrenzen ist und was unter vernünftiger Planwirtschaft zu verstehen ist. Der Realsoz. hat imho gezeigt, dass ein Anreizsystem sich nicht auf Gebrauchsgüter richten kann, sondern nur darauf inwiefern die Ergebnisse der Arbeit von den Menschen anerkannt werden. Das wird jedoch schwierig, wenn der gesellschaftliche Charakter der Arbeit schon vor der Produktion feststehen soll. Oder man begreift gesellschaftlich hier nur als voraussichtlich gesellschaftlich bzw. was per Zugang zu Produktionsmitteln überhaupt die Chance auf Vergesellschaftung bekommt. Kommt von hier eigentlich wer im Mai aufs Seminar mit Lueer & Siefkes?

  14. 10. März 2011, 09:30 | #14

    Ich habe in Hermanns Artikel jetzt einige Fußnoten um links zu den zitierten Texten ergänzt:
    Peters, Cockshott/Cottrell, GSP 2-10, Siefkes und Lueer selber.

  15. Samson
    10. März 2011, 15:08 | #15

    Wenn damit der Apell gemeint sein sollte, daß der Massenkonsum in den imperialistischen Zentren massiv heruntergefahren werden soll, damit man dem Hunger in der Welt nach so vielem Grundlegendem erst mal nachkommen kann, dann wird das wohl nichts werden, soviel Entsagung wird den meisten Arbeitern „hier“ weder einleuchten noch zuzumuten sein, befürchte ich jedenfalls.

    Abgesehen von dem was Krim, m.E. zu Recht, zum Verhältnis von vermeitlicher Rückständigkeit schreibt, sehe ich darin einen der Gründe, weshalb der Anfang eigentlich nur eine tatsächlich proletarische Diktatur sein kann (schon deshalb, weil es vermutlich keinen Übergang ohne nennenswerten politischen Widerstand geben wird). Die Frage ist eher, wie die strukturiert sein muss, damit sich die fürs Kontingentieren von Produktionsmitteln wie Ressourcen vermutlich notwendige Bürokratie nicht wieder verselbständigt und zum ‚Apparat der Entscheidungsträger‘ o.s.ä. verkommt.
    Eine Variante bestünde ggf. darin, soviel wie möglich von dem, was unter kapitalistischen Verhältnissen überhaupt nur privat realisierbar ist, öffentlich zu veranstalten. Was spricht bspw. dagegen, dass die Leute statt in privaten Wohnungen in einer Art Hotels wohnen (das müssen ja keine abgeriegelten Bettenburgen sein), sich in Restaurants beköstigen und es nur noch individuell verfügbare, aber per se öffentliche Verkehrsmittel gibt. Die jetzige Blechlawine steht doch die meiste Zeit ungenutzt in der Gegend rum, statt von denen benutzt werden zu können, die grad von A nach B müssen. Und Kneipen sind doch auch nicht leer, weil niemand was essen oder trinken wollen täte.

  16. 10. März 2011, 15:38 | #16

    Samson, mit deinem Werben für Sozialisierung von im Kapitalismus privater Tätigkeiten, vom Individualhaushalt bis zum Individualverkehr rennst du wahrscheinlich hier und überhaupt bei vielen Befürwortern einer proletarischen Diktatur zur Errichtung einer an den Bedürfnissen der Massen orientierten Planwirtschaft offene Türen ein. Ich befürchte nur, daß gerade die Überführung solcher isolierter Geschichten in kollektive einen recht happigen Aufwand erfordern wird und schon von daher „erstmal“ auf die längere Bank des übernächsten Fünf-Jahres-Plans geschoben werden müßte. Mit Sicherheit wird die Mobilität der Menschen zunehmen, damit die Bedeutung des herkömmlichen privaten Heims abnehmen, die Essenseinnahme in Restaurants/Betiebsstättenkantinen wird sicher schnell zunehmen, denn die wenigsten kochen doch deshalb selber zu Hause, weil sie das als Hobby haben. Auch mit Freunden zusammensitzen kann man in einer Profi-Essens-Einrichtung genauso wie am heimischen Herd. Gerade im Transportwesen sehe ich auch schon „schnell“ erreichbare Einsparung von Ressourcen. Auch wenn gerade flächendeckendes kommunistisches Verkehrswesen auch ne riesige Stange Geld kosten wird.

  17. kostja
    10. März 2011, 15:46 | #17

    Auch wenn gerade flächendeckendes kommunistisches Verkehrswesen auch ne riesige Stange Geld kosten wird.

    Ganz unabhängig davon, dass man über ungelegte Eier trefflich spekulieren kann, ist die Stange Geld im Kommunismus doch noch mal ein richtiger Höhepunkt dieser unseeligen Diskussion.

  18. 10. März 2011, 15:53 | #18

    Ja, kostja, ertappt!! Was das Geld angeht, gebe ich dir glatt recht. Das manche Projekte aber nicht nur am Willen scheitern können, sondern auch an Ressourcen, das haben schon die Bolschewiki (und meinetwegen sogar die Maoisten in der VR China) oder Castro auf die Harte lernen müssen.
    Warum das aber eine „unseelige“ und nicht nur eine meinetwegen verfrühte und damit recht luxuriöse Diskussion ist (was ich ja immer wieder zugebe), das müßtest du noch sagen. Zudem gerade an den Vorstellungen, was denn denn „danach“ kommen soll, bei vielen Tendenzen meist recht klar erkennbar ist, was schon an deren Kritik am Kapitalismus nicht stimmt. Ich wende mich jedenfalls nicht angewidert ab, wenn ich, wie jetzt wieder an ein zwei Stellen den Beginn einer solchen Was-wäre-wenn-Diskussion entdecke.

  19. ohno
    10. März 2011, 16:51 | #19

    „an ein zwei Stellen den Beginn einer solchen Was-wäre-wenn-Diskussion“
    lol , welche „Stelle“ gehört denn nicht dazu?

  20. Samson
    10. März 2011, 17:44 | #20

    Das manche Projekte aber nicht nur am Willen scheitern können, sondern auch an Ressourcen, das haben schon die Bolschewiki (und meinetwegen sogar die Maoisten in der VR China) oder Castro auf die Harte lernen müssen.

    Woran sich gerade daran das meinetwegen historische Spezifikum zeigt, dass die gesellschaftlichen Produktivkräfte eine gewisse Rolle spielen. Denn zumindest was die natürlichen Ressourcen angeht, waren die Voraussetzungen wenigstens der Bolschewiki so schlecht nun nicht. Der Haken war die ausgebliebene oder gescheiterte Revolution in den Industrieländern. Und die damals tatsächliche agrikulturelle Rückständigkeit ließ sich mittels Kleinbauernwirtschaft auch nicht überwinden (dabei spielt überhaupt keine Rolle, dass die ‚Not-These‘ vom Sozialismus in einem Land keine Erfindung von Stalin sondern eine historische Schlussfolgerung von Lenin war).
    Was Mao oder Castro angeht, stellt sich m.E. eher die Frage, weshalb deren Nachfolger glauben, die Produktivität mittels kapitalistischer Methoden steigern zu müssen; kostjas Einwand verstehe ich deshalb so, dass die Eier solange ungelegt sind, wie in den Metropolen die Revolution ausbleibt und daher, quasi gemäß Leninscher historischer Bestimmung, die Kette stets nur am schwächsten Glied reißt, sprich an der Peripherie Revolten passieren resp. Politiker oder Militärs (Allende, Chavez) mittels Staatsgewalt bischen Sozialklimbim organisieren können, nur eben innerhalb der Grenzen des Weltmarkts. Das aber ist analytisch nichts anderes als Mehrwert quasi ‚zweckentfremdet‘ zu verwenden.
    Mit Produktion nach Bedarf hat das sowenig zu tun, wie die Planwirtschaft der Realsozialisten. Daran ändert sich auch nichts, wenn ich im Nachhinein einem Berufsschullehrer rechtgeben muss, der erfolglos versuchte, mir jugendlichem Naseweis zu vertickern, dass unter den gegebenen Bedingungen das Wohnungsbauprogramm von Honecker Wirtschafts- hingegen die zinslosen Ehekredite Sozialpolitik seien.

  21. 10. März 2011, 20:12 | #21

    ohno, du bist wohl wirklich eher ein lustiger Kerl als jemand, der die „Szene“ kennt: Der ganze „GegenStandpunkt-Umkreis“ z.B. steht doch mannhaft dafür gerade, solch „unseelige“ Diskussionen nie und nimmer, nicht mal unter vier bis acht Augen, zu führen.

  22. 11. März 2011, 10:16 | #22

    Zu Samsons

    „zumindest was die natürlichen Ressourcen angeht, waren die Voraussetzungen wenigstens der Bolschewiki so schlecht nun nicht. Der Haken war die ausgebliebene oder gescheiterte Revolution in den Industrieländern. Und die damals tatsächliche agrikulturelle Rückständigkeit ließ sich mittels Kleinbauernwirtschaft auch nicht überwinden“

    In der Tat, der „Haken“, die nicht zustande gekommen Revolution in den Industrieländern, vor allem die gescheiterte Revolution in Deutschland. Manche, so die Spartakisten, sehen noch im Okrober 1923 eine vertane Chance. Wenn es denn aber stimmt, daß die auf dem von der Oktoberrevolution und den Bolschewiki im Bürgerkrieg eroberten Gebiet vorhandene, geerbte, entstandene „agrikulturelle Rückständigkeit“ (die Kehrseite einer nicht oder nach dem Bürgerkrieg nicht mehr vorhandenen Industriekapazität) sich mit der nun mal entstandenen „Kleinbauernwirtschaft auch nicht überwinden“ ließ, wie hätten die Revolutionäre denn weiter voran gehen können/sollen? Haben den die MG/GSPler (wie z.B. Renate Dillmann in ihrem Chinabuch) so unrecht, wenn sie sagen, daß man auch mit wenig in der Hand wenigstens versuchen kann, das vernünftig zu planen und die Leute davon zu überzeugen, trotzdem klug in eine Ausweitung der Möglichkeiten zu investieren, auch wenn die Menschen sich das buchstäblich vom Munde absparen mußten?
    Die zynischen Antworten sind ja bekannt: sowohl der konterrevolutionären Menschewiki, daß unter diesen Bedingungen eben alles Umstürzlerische weltfremd sei und man eben gegen das Klassenjoch leider, leider noch nichts machen könne, als auch der konterrevolutionären Stalinisten, die dann eben die Massen zu ihrem Akkumulationsglück in ihrer despotischen Planwirtschaft gezwungen haben, den die Bauern fragen hätte nach den Stalinisten ja nur geheißen, vor dem kleinbürgerlichen Bewußtsein und den Kulaken zu kapitulieren und mit der Revolution wieder einzupacken.

  23. Samson
    11. März 2011, 23:49 | #23

    Haben den die MG/GSPler (wie z.B. Renate Dillmann in ihrem Chinabuch) so unrecht, wenn sie sagen, daß man auch mit wenig in der Hand wenigstens versuchen kann, das vernünftig zu planen und die Leute davon zu überzeugen, trotzdem klug in eine Ausweitung der Möglichkeiten zu investieren, auch wenn die Menschen sich das buchstäblich vom Munde absparen mußten?

    Auch wenn das vielleicht blöd klingt, würde ich die Frage generell nur im, verschwurbelt ausgedrückt, historisch-ökonomischen Kontext stellen wollen. Wieso sollten bspw. die Imperialisten die Gründe, welche zum I.WK führten, aufgegeben haben, nur weil in Russland die Bolschewiki die Ressourcen kontrollierten. Soviel war schon klar, die würden halt aufrüsten und bei nächst günstig erscheinender Gelegenheit versuchen, die Bolschewiki zu beseitigen. Das machen die doch andauernd, und seit dem Ende des Ostblocks resp. seit dem Verschwinden des Warschauer Pakts eben wieder ‚global‘. Anders gesagt, die Imperialisten haben doch nie wirklich damit aufgehört, sich außerhalb ihrer ‚Hoheitsgebiete‘ liegender Ressourcen ggf. mit Gewalt zu bemächtigen bzw. das wenigstens zu versuchen. Die ganze Kolonialpolitik dreht sich doch ausschließlich darum. Unter dem Gesichtspunkt würde ich schon mal die Gegenfrage stellen, welche Gelegenheit, vernünftig zu planen, die Bolschewiki oder die Realsozialisten eigentlich hatten. (Als ich bei der Armee war, hat mal irgendwer einen Staabsoffizier gefragt, weshalb wir angesichts der Politik der ‚friedlichen Koexistenz‘ permanent einen Zustand von ‚Gefechtsbereitschaft‘ erhalten müssten. Als der sagte, wir wüssten eben nicht, wann die Nato losschlägt, müssten aber jederzeit damit rechnen, hat ihm vermutlich niemand wirklich geglaubt. Wie recht der hatte, zeigt sich nicht erst seit ‚out of area‘ offizielle Doktrin ist.)
    Das ist aber nur eine Seite der Medaille. Die andere läuft m.E. auf die Frage raus, ob man, überspitzt formuliert, die Leute mit dem vom-Munde-absparen nicht von vornherein überfordert, wenn das was dann für den Mund übrig bleibt, formal nur privat zu haben ist, man also die selben Leute, die ‚kollektiv‘ sparen sollen, beim ‚Konsum‘ in Individuen auseinanderdividiert. Und zwar ausdrücklich nach ‚Leistung‘, wenn die doch ihrerseits explizit von der Qualität der Produktionsmittel abhängt und viel weniger von ‚individueller Anstrengung‘ o.s.ä. Zum andern fragt sich freilich, ob die Bolschewiki die Bauern ausgerechnet mit privatem Landbesitz ‚ködern‘ und m.E. erst dadurch eine Art Marktwirtschaft für ‚Überschuss‘ inszenieren mussten (die Despotie der Requirierung und die nachfolgende Kollektivierung kamen ja erst nachdem der ‚Überschuss‘ ausblieb resp. gerade die Kulaken die Felder lieber unbestellt ließen oder die Ernte verbrannten, weil sie mit den Konditionen der Bolschewiki nicht einverstanden waren). Immerhin hat selbst Marx die Möglichkeit in Betracht gezogen, aus der tradierten russischen Dorfgemeinschaft (Mir) ein tatsächlich kommunes Produktionsverhältnis zu entwickeln. Dann aber entfiele 1) die mit der Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln (und Ressourcen) einhergehende Indvidualisierung zum sog. ‚homo eoconomicus‘ und 2) der auf dieser Trennung basierende Zwang zum Produktentausch nach Kriterien, die mit den Gebrauchseigenschaften der Produkte selber nichts zu tun haben. Was nun nicht heißt, dass es keine anderen Möglichkeiten, vernünftiger, und das heißt m.E. immer kollektiver Planung gäbe. Die diesbezügl. entscheidende Frage ist m.E. die nach der Struktur des Kollektivs.
    Davon abgesehen, erscheint es mir bischen skurril, wenn ausgerechnet MG/GSPler (ich kenne das Dillmann-Buch zwar nicht, aber die GSP-Antwort auf den Leserbrief), die sich selber jede Diskussion bezügl. eventueller Perspektiven verkneifen, Überlegungen ausgerechnet darüber anstellen, warum andernorts nach wirklichen Revolten was schiefgelaufen sein könnte. Das ist dann doch noch was anderes, als wenn sich Stalinisten, Maoisten, Trotzkisten etc. wechselseitig des Revisionismus und der Konterrevolution bezichtigen. Das Gescheiteste, weil mit aktuellem Bezug, was ich dazu von GSP-Seite mal gehört habe, war ein Vortrag (ich weiß nicht mehr von wem) über Chavez. Darin wurde einerseits erklärt, weshalb Chavez‘ Sozailklimbim über x Ecken vom Weltmarkt abhängt, andererseits aber darauf hingewiesen, dass man bezügl. Kritik hier eigentlich solange die Klappe zu halten habe, wie man selber nix vergleichbares auf die Reihe bekommt.

  24. 12. März 2011, 17:25 | #24

    Samson, wenn du fragst

    „die Imperialisten haben doch nie wirklich damit aufgehört, sich außerhalb ihrer ‚Hoheitsgebiete‘ liegender Ressourcen ggf. mit Gewalt zu bemächtigen bzw. das wenigstens zu versuchen. … Unter dem Gesichtspunkt würde ich schon mal die Gegenfrage stellen, welche Gelegenheit, vernünftig zu planen, die Bolschewiki oder die Realsozialisten eigentlich hatten.“

    dann scheint mir das geradezu Überhistorische, man könne buchstäblich nie was gegen die Imperialisten hinkriegen, selbst dann nicht, wenn man denen rund ein Drittel der Welt entrissen hat, schon sehr defaitistisch zu sein bzw. sehr nahe daran, dem Imperialismus recht zu geben, weil er eben ist. Ich finde schon, daß es da massive Unterschiede gab und man die Situation, mit der sich die Bolschewiki Anfang der 20er Jahre in Rußland und in der Komintern rumschlagen mußten, nicht gleichsetzen sollte mit meinetwegen den 60er Jahren.
    Zweitens ist es nicht pe se unvernünftig, wenn erfolgreiche Revolutionäre bei ihrer Gesamtpolitik auch ein gerüttelt Maß an Revolutionsverteidigung einplanen. Natürlich sind die Ressourcen, die dafür eingesetzt werden, eigentlich verschwendet, ein sozialistisches Flughabwehrsystem ist immer noch Scheiße, ein kommunistischer Panzer nichts was man noch den Enkeln vererben wollte. Vernünftig ist eine revolutionäre Politik grundlegend jedenfalls immer nur dann, wenn diese Vernunft auch die Massen ergreift, wenn zumindest die große Masse der betroffenen Menschen das auch so sieht wie die „Avantgarde“ der Revolutionäre.
    Das hängt eng zusammen mit deiner anderes Seite der Medaille:

    „ob man, überspitzt formuliert, die Leute mit dem vom-Munde-absparen nicht von vornherein überfordert, wenn das was dann für den Mund übrig bleibt, formal nur privat zu haben ist, man also die selben Leute, die ‚kollektiv‘ sparen sollen, beim ‚Konsum‘ in Individuen auseinanderdividiert.“

    Wieso, erstmal, „muß“ man denn beim Konsum die Menschen in Individuen auseinanderdividieren? Das hängt schon zentral davon ab, wie der Güterberg aussieht, den man mit den geerbten Produktionsmitteln und den Fähigkeiten der Werktätigen hinstellen kann. Wenn da kollektiver Konsum in einem Bereich erst mal nicht zu wuppen ist, dann macht man das halt erstmal auch nicht. Nur sollte man die historischen Kompromisse jeglicher Art, die man dabei eingehen muß, nicht gleich als unvermeidliche vorgegebene Schritte ins Arbeiterparadies verkaufen.
    Dann muß man sich dem Problem stellen, daß manchesmal in der Geschichte des letzten Jahrhunderts die Macht in einer mehr oder weniger kleinen Weltecke zu haben war, aber erstens weder die „Kommunisten“, die sie erobert haben, wirklich Kommunisten waren und zweitens die Menschen, die sie zum Sieg getragen haben, überwiegend auch keine Kommunisten waren. Soll man wirklich einen kapitalistischen/imperialistischen Staat erst dann niederringen, wenn man eine Dreiviertelmehrheit für astreinen Kommunismus hinter sich weiß?
    Und schon sind wir wieder mal bei der Neuen Ökonomischen Politik gelandet, einem der zentralen Wendepunkte der Gesellschaftspolitik der Bolschewiki/der Sowjetunion. Da stellst auch du ja die immer noch interessante Frage,

    „ob die Bolschewiki die Bauern ausgerechnet mit privatem Landbesitz ‚ködern‘ und m.E. erst dadurch eine Art Marktwirtschaft für ‚Überschuss‘ inszenieren mussten“.

    (Ich war, muß ich zugeben recht überrascht, als in der Kneipendiskussion nach der Veranstaltung der jour fixe Initiative mit Christian Siefkes gerade der die Diskussion auf die historische Diskussion zwichen Marx und den russischen Volkstümlern (den Briefwechsel mit Wera Sassulitsch http://de.wikipedia.org/wiki/Sassulitsch-Brief) um die Bedeutung der “ tradierten russischen Dorfgemeinschaft (Mir)“ gebracht hat.) Es wird wohl stimmen, wenn du schreibst:

    „Dann aber entfiele 1) die mit der Trennung der unmittelbaren Produzenten von den Produktionsmitteln (und Ressourcen) einhergehende Indvidualisierung zum sog. ‚homo eoconomicus‘ und 2) der auf dieser Trennung basierende Zwang zum Produktentausch nach Kriterien, die mit den Gebrauchseigenschaften der Produkte selber nichts zu tun haben. Was nun nicht heißt, dass es keine anderen Möglichkeiten, vernünftiger, und das heißt m.E. immer kollektiver Planung gäbe.“

    Es ist schade, daß du Dillmanns Buch noch nicht gelesen hast. Denn darin wird, jedenfalls implizit, wenn man den Text auch nur etwas gegen den Strich bürstet, für mich recht eindeutig (und, das wird nicht überraschen, recht positiv) die alte Ablehnung der Ausmalung einkassiert. Auch wenn das in der Tat

    „doch noch was anderes [ist], als wenn sich Stalinisten, Maoisten, Trotzkisten etc. wechselseitig des Revisionismus und der Konterrevolution bezichtigen“.

    Und dieses konkrete Eingehen auf die jeweilige postrevolutionäre Entwicklung beißt sich eh nicht grundlegend mit dem, was du dem GegenStandpunkt positiv anrechnest:

    „dass man bezügl. Kritik hier eigentlich solange die Klappe zu halten habe, wie man selber nix vergleichbares auf die Reihe bekommt.“

    In den letzten Jahren war es zumeist Theo Wentzke, von dem man solches hören konnte, das scheint mir aber historisch der grundsätzliche Blickwinkel zu sein, mit dem GSPler das Problem angehen. So hat Theo z.B. auch schon 1997 argumentiert, als er die erste/letzte ins Netz gestellte Kuba-Veranstaltung gemacht hat, ich hatte den Mitschnitt mal per Torrent gefunden und sozusagen offiziell wieder ins Netz gestellt bei archive.org. Hier ein Abschriftauszug

  25. Samson
    13. März 2011, 16:43 | #25

    Für den Augenblick nur ganz kurz, neo, vielleicht später noch was ausführlicher zum ‚überhistorischen‘ Kram. Ein zentraler Punkt schein mir der zu sein:

    Wieso, erstmal, „muß“ man denn beim Konsum die Menschen in Individuen auseinanderdividieren? Das hängt schon zentral davon ab, wie der Güterberg aussieht, den man mit den geerbten Produktionsmitteln und den Fähigkeiten der Werktätigen hinstellen kann. Wenn da kollektiver Konsum in einem Bereich erst mal nicht zu wuppen ist, dann macht man das halt erstmal auch nicht.

    Man muss nicht, neo, aber indem man sagt Markt (gleichgültig ob ‚Überschuss‘ oder alles) resp. Tausch (was immer zugleich ‚Äquivalent‘ heißt) tut man genau das. Wenn man schon sagt, die Produktion ist per se kommun, dann stellt sich m.E. eher die Frage, ab wann individueller Konsum zu wuppen wäre (ob das ‚Sinn‘ machen täte, ist eine ganz andere Angelegenheit), wo doch innerhalb der Produktion die individuellen Fähigkeiten weitgehend eingeebnet sind. Keine meinetwegen berufsspezifische Fähigkeit ist eine, die aus dem Individuum heraus erklärbar wäre (wie das in früheren Epochen mit von-Gott-als-Gunst-erwiesen der Fall war und sich auf derlei Einbildung ganze Strukturen gründeten, die sich real immerzu in verschiedenen Rangstufen ausdrücklich bezügl. Konsum darstellten). Was das Individuum ist, ist es, verschwurbelt ausgedrückt, als Resultat gesellschaftlicher Prozesse, die es nicht selber und schon gar nicht deswegen angeleiert hätte. Oder, banaler gesagt, was das Individuum kann (i.d.S. von für Produktion relevante ‚Leistungsfähigkeit‘), ist ihm von anderen Individuen beigebracht worden.
    Vernünftig, i.d.S. von kommun, wäre nach obigem Szenario dann das, was man selbst Kindern ganz einfach erklären kann: man teilt den vorhandenen Güterberg so, dass jedes möglichst gleichviel bekommt, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob eins schneller laufen, ein anderes schöner malen kann. Und erst recht gleichgültig, ob hernach wirklich alle den Bauch so voll haben, dass sie keine Luft mehr bekommen. Die Kinder merken doch von ganz alleine, dass es bspw. zuwenig Äpfel waren und man beim nächsten Mal besser paar mehr aus dem Garten holt. Warum sollte aber das Kind, welches die meisten Äpfel gesammelt hat, weil es zufällig die meisten aufeinmal tragen kann, den größten, schönsten und schmackhaftesten abbekommen, quasi als Privileg für ‚besondere Fähigkeiten‘? Genau damit dividiert man die Kinder doch erst auseinander. Statt ihnen die Erkenntnis zu vermitteln, um, wiederum verschwurbelt gesagt, der gemeinsamen Sache willen voneinander zu lernen, werden sie angestachelt, ihre individuelle Fähigkeiten als etwas anzusehen, das sie aus der ‚grauen Masse‘ hervorhebt o.s.ä. und ihnen erlaubt, im Vergleich zu jener irgendwie bevorzugt behandelt zu werden.

  26. 14. März 2011, 10:05 | #26

    Samson, wieso kommt du bei kommunistischer Güterversorgung eigentlich gleich auf „Markt“? Bloß, weil die Realsozialisten das gemacht haben? Außer Prof. Nick will das heutzutage kaum jemand den Menschen nochmal auftischen.
    Die Kategorie des „Überschuß“ halte ich übrigens für hochgradig ideologisch und problematisch. So wie früher schon der Begriff des „Mehrprodukts“. Wenn eine kommunistische Gesellschaft gemeinsam berät und dann festlegt, was mit den zur Verfügung stehenden Ressourcen und vor allem mit den zur Verfügung gestellten Arbeitszeitmengen in der nächsten Planperiode produziert werden soll, dann ist da doch „Alles“ unterzubringen. Es sei denn, es reicht noch gar nicht für „Alles“, dann muß man in der Tat ein Rationierungssystem einführen. Ob das dann aber ausgerechnet heißen sollte, daß jeder quantiativ und qualitativ das Gleiche bekommen sollte, wo sicherlich auch bei den nur beschränkt möglichen Sachen die Menschen das ganz unterschiedlich haben wollen, das scheint mir dann doch etwas, was die dann ausdiskutieren müßten.
    Offene Türen rennst du bei mir ein, wenn du eine Zuteilung gemäß individueller Leistung kritisierst. Denn „individuell“ ist daran in einer arbeitsteiligen Arbeitswelt ja eh so gut wie nichts.

  27. cyn0x
    14. März 2011, 11:19 | #27

    So, hoffe der nick ist nun eindeutig. 😉
    Die kritisierte Individualisierung durch das Leistungsprinzip scheint mir angesichts eurer angestrebten Gleichmacherei fast schon emanzipatorisch. Was da nun irgendwie angemessener, gerechter oder sonstwas sein soll ist aber dennoch ziemlich irrelevant, weil niemand den Leuten vorschreiben kann was sie letztendlich daraus machen. Wirkliche Freiheit bedeutet die Verhältnisse so zu gestalten wie man will.

  28. 14. März 2011, 11:35 | #28

    Charles Bettelheim über das System der Arbeitsnormen, 1969
    „In diesem System wird die Anzahl der von jedem Bauern erzielten Arbeitspunkte auf der Grundlage von vorher festgesetzten Arbeitsnormen berechnet. Die Norm gibt genau an, in wie viel Zeit eine Arbeit gemacht werden muss, und wie viel Arbeitspunkte man damit verdienen kann. Wenn die Arbeit schnell gemacht wird, kommt dies dem jeweiligen Bauern zugute, der dann zu einer anderen Aufgabe übergehen oder seine private Parzelle bestellen kann. In manchen Fällen, wenn die gewonnene Zeit besonders wichtig ist, kann der Bauer sogar eine Prämie in Arbeitspunkten erhalten. Wenn es ihm dagegen nicht gelingt, seine Arbeit in der vorgesehenen Zeit fertigzustellen, wird die Anzahl der Arbeitspunkte nicht verringert. Dies bildet eine wichtige Garantie für die weniger qualifizierten oder benachteiligten Bauern, die sicher sein können, eine Entlohnung zu erhalten, die genau dem entspricht, was sie geleistet haben.
    Die Festsetzung der Normen
    Das System der Arbeitsnormen beruht insgesamt auf der Berechnung der Normen. ,Die Normen werden nach Quantität und Qualität der Arbeit festgelegt, die ein durchschnittlicher Arbeiter mit einer normalen Arbeitsintensität an einem Tag leisten kann. Je nach dem technischen Niveau und der Intensität, die die Arbeit erfordert, je nach dem Stellenwert, den die Arbeit in der Produktion einnimmt und je nach den natürlichen und jahreszeitlich bedingten Umständen, in denen sie durchgeführt werden muss, wird die vorgesehene Norm hoch oder niedrig sein und die Anzahl der entsprechenden Punkte mehr oder weniger groß sein.’ In der Landwirtschaft gibt es viele verschiedene Arbeiten. Um ein globales Gleichgewicht zwischen den für die landwirtschaftlichen Arbeiten festgesetzten Normen zu erreichen, ,muss zunächst ein Kriterium für den Arbeitstag festgesetzt werden, dann müssen die verschiedenen Feldarbeiten untereinander verglichen werden (z.B. muss verglichen werden, wie viel Arbeitspunkte man bei der Bestellung eines Mou Süßkartoffeln und wieviel man bei der Bestellung eines Mou Kohl erzielen kann), und dann müssen die Arbeiter untereinander verglichen werden (z.B.der Vergleich der von ein und demselben Arbeiter geleisteten Arbeit, wenn er verschiedene Tätigkeiten ausübt).’
    Es ist klar, dass die Bewertung dieser verschiedenen Faktoren keine einfache Sache ist, und dass die Aufstellung eines vollständigen Normensystems Zeit erfordert.“
    BETTELHEIM, CHARLES/ MARCHISIO, HÉLÈNE U.A., DER AUFBAU DES SOZIALISMUS IN CHINA. MÜNCHEN 1969, S. 76 F
    Mit der einmaligen Bestimmung der Arbeitsnormen ist es nicht getan
    „Weitere Faktoren, wie die Entfernung, die mit dem Weg zum Arbeitsplatz zurückgelegt werden muß,wie die Eigenschaft der zu bearbeitenden Erde – eben, steinig, trocken, feucht –, wie das Alter der Arbeitstiere werden gleichermaßen in Betracht gezogen.
    Diese Komplexität der Normen, der Wunsch, alle Umstände, die eine Arbeit erleichtern oder erschweren können, im voraus zu bedenken, haben zur Folge, daß die Entlohnung so genau wie nur möglich der tatsächlich geleisteten Arbeit entspricht. Unter solchen Bedingungen ist begreiflich, daß die Normen nicht von Technikern ausgearbeitet werden können, die von außerhalb kommen. Nur die Bauern selbst können die Normen aufgrund ihrer langen Erfahrung und der perfekten Kenntnis, die sie von den Ländereien ihrer Equipen haben, ausarbeiten. Sie sind es auch, die wissen, was ein durchschnittlicher Arbeiter leisten kann, und die bestimmen können, wieviel Arbeitstage für diese oder jene Aufgabe notwendig sind. Denn die Festsetzung der Normen spielt über die Entlohnung hinaus eine wichtige Rolle bei der Verteilung der Arbeitskraft auf die verschiedenen Arbeiten sowie bei der Vorbereitung des Arbeitsplans der Equipe. Das Problem ist hier, ein schwer herzustellendes Gleichgewicht zu erreichen.
    Aus all diesen Gründen können die Normen auch nicht ein für allemal festgesetzt werden. Die bestehenden Normen müssen immer wieder neu untersucht, berichtigt und unter Umständen vervollständigt werden. Man kann nicht alles von vornherein voraussehen. So hat die Equipe Nr. 1 der Brigade Yue Ge (Volkskommune von Lou Kuquiao) seit 1957, dem Zeitpunkt der Aufstellung der ersten Normen, 30 % der ursprünglichen Normen vervollständigt und 40 􀂛/0 revidiert. In dieser Equipe sind jetzt 95 % der landwirtschaftlichen Arbeiten durch Normen fixiert.
    Es ist ratsam, nicht leichthin an eine Revision der Normen zu gehen. Manche Kommunen haben die Fälle vorgesehen, in denen eine Revision der Normen vorgenommen werden kann: 1. Veränderung der Produktionswerkzeuge; 2. Modifikation der Qualitätsansprüche; 3. anhaltender Regen oder anhaltende Trockenheit; 4. offensichtlicher Irrtum bei der Festsetzung der Normen. Dagegen werden die Normen nicht verändert: 1. wenn sie zwar unvollkommen, aber realisierbar sind; 2. wenn es nur einer Minderheit von Bauern nicht gelingt, sie zu verwirklichen; 3. wenn eine schlechte Einstellung zur Arbeit der Grund für die Nichtverwirklichung ist; 4. wenn die Veränderungen in den oben genannten Fällen nicht wichtig sindll. Bei allzu häufigen Anderungen der Normen liefe man Gefahr, zahlreiche Gleichgewichtsstörungen hervorzurufen. Deshalb kann für die Kader auch nicht die Rede davon sein, solche Veränderungen leichthin vorzunehmen. ,Nur indem man die Bilanz aus der Erfahrung der Massen zieht, kann man das Normensystem fortschreitend verbessern und vervollkommnen.’“
    BETTELHEIM, CHARLES/ MARCHISIO, HÉLÈNE U.A., DER AUFBAU DES SOZIALISMUS IN CHINA. MÜNCHEN 1969, S. 80
    Danach steht die Anwendung der Arbeitsnormen an
    „Die Festsetzung der Normen ist nur der erste Arbeitsgang, in der Folge muß an jedem Arbeitstag oder nach jeder abgeschlossenen Aufgabe die Anzahl der tatsächlich erzielten Arbeitspunkte bestimmt werden, wobei die Quantität und die Qualität der wirklich geleisteten Arbeit in Rechnung gestellt werden, Um die Punktverteilung zu vereinfachen, wurden die verschiedenen landwirtschaftlichen Arbeiten in einige große Kategorien eingeteilt:
    1. Arbeiten, die einem Bauern, der allein arbeitet und einen Stücklohn dafür erhält, von der Equipe übertragen werden. In diese Kategorie fallen der Transport von Dünger, das Pflügen, die Anfertigung von Stricken usw. alle Arbeiten also, die keine Zusammenarbeit mehrerer Arbeiter erfordern, und bei denen es leicht ist, die Quantität der tatsächlich geleisteten Arbeit festzustellen,
    2. Arbeiten, die kooperativ von mehreren Arbeitern ausgeführt werden müssen, bei denen aber die von jedem einzelnen übernommene Aufgabe noch leicht veranschlagt werden kann, Diese Arbeiten werden von der Equipe auf eine Gruppe übertragen, und jeder Bauer erhält eine der Quantität der geleisteten Arbeit entsprechende Punktzahl. Beispiel: Korn mähen, Garben binden und transportieren.
    3. Arbeiten, die kooperativ ausgeführt werden müssen, ohne daß es möglich wäre, die Arbeit jedes Bauern mathematisch genau zu veranschlagen. Sie werden der Gruppe von der Equipe mit einer entsprechenden Anzahl von Punkten übertragen, die nach demokratischer Diskussion unter den Mitgliedern der Gruppe verteilt werden. Beispiel: Pumpen mit Hilfe von Wasserrädern.
    4. Im Stücklohn bezahlte Arbeiten, die die Equipe einer Familie mit einer pauschalen Punktzahl überträgt. Dies sind im allgemeinen kleine isolierte Arbeiten (Samen auslegen, Tiere hüten), die von einer Hilfskraft – besonders Frauen, die im Haushalt bleiben – erledigt werden können.
    Es handelt sich hier um eine Klassifikation unter vielen anderen. Im Laufe unserer Besuche in verschiedenen Volkskommunen haben wir die Existenz verschiedenster Systeme entdeckt, bei denen die regionalen Besonderheiten berücksichtigt wurden: sie alle aufzuzählen, wäre langwierig und würde diese Arbeit kaum bereichern.“
    BETTELHEIM, CHARLES/ MARCHISIO, HÉLÈNE U.A., DER AUFBAU DES SOZIALISMUS IN CHINA. MÜNCHEN 1969, S. 81
    Charles Bettelheim über den Umgang mit diesem System
    „Die Diskussionen nahmen kein Ende. Deshalb ging man bald zu einem Normensystem über (insgesamt 300 Normen). Bei der praktischen Anwendung des Normensystems zeigten sich jedoch Nachteile. Man fand, daß die Anwendung die Kader übermäßig viel Zeit kostete. Außerdem wurde die Qualität der Arbeit zu häufig zugunsten der Quantität vernachlässigt. Die Kader untersuchten die Frage. Sie kamen zu dem Schluß, daß der Schlüssel zu dem ganzen Problem in der Erziehung der Bauern lag. Man ging das gesamte Entlohnungssystem seit Gründung der Genossenschaften neu durch, Man behielt vom Normensystem all das bei, was als zufriedenstellend empfunden worden war, gab die von den Bauern kritisierten Normen auf und führte auf diese Weise ein neues, außerordentlich originelles System ein, Die Vier-Punkte-Formel, die dieses System auszeichnet (zibao gongyi), läuft auf folgendes hinaus:
    Jeder teilt sich die Anzahl von Arbeitspunkten zu, die er glaubt erzielt zu haben, dann wird diskutiert. Diese Form läuft auf einen Zeitlohn hinaus. Man beschließt für jede landwirtschaftliche Arbeit ein Qualitätskriterium, das zu erfüllen ist, und setzt die maximale Punktzahl fest, die an einem Tag erreicht werden kann: zum Beispiel 10 Punkte für den Terrassenbau, 9 Punkte für die Feldarbeit usw. Jeder Bauer vergleicht die Arbeit, die er geleistet hat, mit dem »Kriterium« und gibt sich eine bestimmte Punktzahl. Die praktische Anwendung dieses Systems ist besonders interessant. Anfangs gab es einige Bauern, die nicht des Egoismus beschuldigt werden wollten und sich eine Punktzahl gaben, die unter dem lag, was ihnen eigentlich zugestanden hätte. In der Diskussion wurde dies dann berichtigt. Andere Bauern, die weniger Skrupel hatten, gaben sich mehr Punkte als sie eigentlich verdient hatten. Auch dies wurde in der Diskussion berichtigt, jedoch nicht ohne Streitereien.
    Nun untersuchte die Parteizelle die Funktionsfähigkeit des neuen Systems, und zwar unter dem Gesichtspunkt des obersten Ziels, der Erziehung der Mitglieder. Die erste Gruppe, die ihre Arbeit unterbewertet hatte, war nicht realistisch gewesen, man mußte ihr beibringen, es zu werden, und deshalb nicht weiter die Punktzahl, die sie sich selbst zuteilen, erhöhen. Auf diese Weise gab es in der Folge keine Bauern mehr, die ihre Leistung unterschätzten. Bei der anderen Gruppe beschloß man entsprechend, ihre Punkte nicht mehr zu vermindern, und um sie zu erziehen, führte man die »Gespann«-Methode ein, Das heißt, man ließ einen Bauern, der sich 10 Punkte gegeben hatte, während er nur 8 verdiente, mit einem Bauern, der seine 10 Punkte tatsächlich verdient hatte, zusammenarbeiten, Es bedurfte keiner zwei Tage, bis der erste, wenn es ihm nicht gelang, dem Vergleich mit dem qualifizierten Bauern standzuhalten, von selbst seine Punkte herabsetzte. So ist die Art und Weise, wie die Bauern sich ihre Punkte »zuteilen« jetzt »relativ gerecht«.
    Neben seinem erzieherischen Wert besteht einer der großen Vorteile dieses Systems darin, daß es die Kader von einigen administrativen Aufgaben befreit und ihnen damit ermöglicht, länger auf den Feldern zu arbeiten. Eine Ende 1963 in dieser Brigade durchgeführte Untersuchung hat gezeigt, daß die im Laufe des Jahres tatsächlich erzielte Punktzahl gut die Qualifikationsunterschiede widerspiegelte: die hochqualifizierten Bauern hatten durchschnittlich 12 Punkte pro Tag erzielt, die »guten« Arbeiter 10,05 Punkte, die »mittleren« Arbeiter 9,5 Punkte, die »schwachen« Arbeiter 7 Punkte und die Hilfsarbeiterschaft 4 bis 5 Punkte. Die Entlohnung der Kommunenmitglieder, die mit Aktivitäten aus dem sekundären Sektor beschäftigt sind, liegt etwas höher: die Steinmetze liegen durchschnittlich um 20 Dfo höher als die Bauern der gleichen Kategorie, die Viehzüchter liegen 15 Dfo, die Zimmerleute und Schreiner 11 Dfo und die Schäfer 10 Dfo höher. Sollte dieses System auch anderswo eingeführt werden? Diese Frage ist schwer zu beantworten. Der erzieherische Wert, die Verminderung der administrativen Aufgaben, die es zur Folge hat, sprechen dafür. Sein Entstehen beweist, wie sehr die Volkskommunen eine lebendige und dynamische Organisation sind.“
    BETTELHEIM, CHARLES/ MARCHISIO, HÉLÈNE U.A., DER AUFBAU DES SOZIALISMUS IN CHINA. MÜNCHEN 1969, S. 84 F
    {Auf diese Stelle bei dem wohl berühmtesten „wissenschaftlichen“ Maoisten hat übrigens Renate Dillmann in ihrem China-Buch hingewiesen. In der Diskussion darüber hatte ich das Zitat schon mal gebracht.}

  29. Krim
    14. März 2011, 13:19 | #29

    „Wirkliche Freiheit bedeutet die Verhältnisse so zu gestalten wie man will.“ Zum Glück gibt’s diese Freiheit im Kommunismus nicht.

  30. 14. März 2011, 13:52 | #30

    Krim, einerseits liegt es nahe, die Freiheit so abzubügeln. andererseits möchte ich doch wieder mal darauf hinweisen, daß es doch darum geht, das diffuse „man“ mit irgendwelchen vernünftigen Umgangsformen untereinander und mit der Natur zu füllen. Wie die dann dereinst vom erstmal freien Wünschen zum bewußten, alle Möglichkeiten einbeziehenden Wollen kommen könnten.

  31. Krim
    14. März 2011, 18:51 | #31

    Hä? „das diffuse „man“ mit irgendwelchen vernünftigen Umgangsformen untereinander und mit der Natur zu füllen. Wie die dann dereinst vom erstmal freien Wünschen zum bewußten, alle Möglichkeiten einbeziehenden Wollen kommen könnten.“ Kannst du das so formulieren, dass es auch für andere Menschen außer dir einen Sinn macht. Umgangsformen? Natur? freies Wünschen vs. Wollen???

  32. 14. März 2011, 20:07 | #32

    Krim, nochmal:
    Dein „man“ als homogene einheitliche Menge von Menschen gibt es nicht und wird es auch in Zukunft nicht geben.
    „Umgangsformen“ habe ich bewußt vage formuliert, weil ich keine sozialistische Verfassung mir den berühmten Robert’s rule of Order entwerfen will. Daß aber irgendwie die Leute trotz unterschiedlicher Zielvorstellungen letztlich zu einem Konsens in der Produktions- und der Konsumverteilung kommen müssen, das ist ja wohl kaum zu leugnen.
    „Natur“ steht dafür, daß die Ziele, die sich kommunistische Gesellschaften vornehmen können, eben auch davon abhängen, wie weit sie schon in der Beherrschung der Natur sind und wieviel Naturveränderungen sie vornehmen wollen.
    „Freies Wünschen“ ist meine Kurzformel für „unrealistisches“ Phantasien entwerfen, vernünftiges Wollen steht für das, was überhaupt gehen könnte, wenn man sich dafür entscheiden würde. Man wird sicherlich nicht sofort in jedem Gebiet der Welt Transplantationszentren hinstellen können, wie in den paar imperialistischen Zentren, aber medizinische Grundversorgung innerhalv von x Kilometer, sowas wird man sicher schon in den ersten paar Jahren hinkriegen. Den Jungbrunnen werden auch künftige Kommunisten nicht, jedenfalls sicher nicht „gleich“ hinkriegen.

  33. Krim
    14. März 2011, 20:28 | #33

    Wieso denn nochmal? Es ist mir echt schleierhaft wie man aus deinen kryptischen Sätzen überhaupt was entnehmen soll.
    Wieso denn mein „man“? Das Wort steht im Zitat. Sag das cynox!
    „Daß aber irgendwie die Leute trotz unterschiedlicher Zielvorstellungen letztlich zu einem Konsens in der Produktions- und der Konsumverteilung kommen müssen, das ist ja wohl kaum zu leugnen.“ Und das sagst warum gegen die Feststellung, dass wirkliche Freiheit im Kommunismus nicht existieren wird?
    „„Natur“ steht dafür, daß die Ziele, die sich kommunistische Gesellschaften vornehmen können, eben auch davon abhängen, wie weit sie schon in der Beherrschung der Natur sind und wieviel Naturveränderungen sie vornehmen wollen.“ Und das sagst warum gegen die Feststellung, dass wirkliche Freiheit im Kommunismus nicht existieren wird?
    „„Freies Wünschen“ ist meine Kurzformel für „unrealistisches“ Phantasien entwerfen“ Mal davon abgesehen, dass „wirkliche Freiheit“ was anderes ist als freies Spinnen. Was haben Transplantationszentren oder medizinische Grundversorgung mit der Inexistenz von wirklicher Freiheit im Kommunismus zu tun?

  34. 14. März 2011, 20:52 | #34

    Ach, Krim, wenn du jetzt partout wieder zur „wirklichen Freiheit“ abbiegen willst, dann nur zu. Ich bin dann mal weg.

  35. bigmouth
    14. März 2011, 21:21 | #35

    “ Zum Glück gibt’s diese Freiheit im Kommunismus nicht.“ und warum ist das jetzt ein glück?

  36. Samson
    14. März 2011, 23:04 | #36

    Samson, wieso kommt du bei kommunistischer Güterversorgung eigentlich gleich auf „Markt“? Bloß, weil die Realsozialisten das gemacht haben?

    Nee, Neo, das war eher als Replik auf deine Einlassung gedacht …

    Wenn da kollektiver Konsum in einem Bereich erst mal nicht zu wuppen ist, dann macht man das halt erstmal auch nicht.

    Deswegen ja auch mein obiges Plädoyer für soviel wie möglich ‚öffentlichen‘ Konsum. Gerade dann, wenn aus offenkundigem Mangel an irgendwas andernfalls rationiert werden müsste, was praktisch auf Zuteilung rausläuft. Das Beispiel mit den Kindern taugt nur um zu zeigen, wie den Leuten was übers Wesen kommuner Produktion zu vertickern wäre. Dass in der Praxis keineswegs jeder gleichviel bekäme, ist mir schon klar, weil schon wer noch irgendwen mitversorgen täte, mehr bekäme als andere, die ‚bloß‘ für sich selbst wären. Es sei denn, dies Mitversorgen entfiele, weil es Obligenheit der Gesellschaft wäre. (Diesbezügl. widerspricht sich m.E. sogar der Rauschebart selber in der Kritik des Gothaer Programms, die den MLern bis heute als Grundlage fürs ‚Leistungs‘-Prinzip gilt)
    Dass die Realsozialisten Markt machten, haben die selber ganz unterschiedlich begründet (Ulbricht hielt bspw. den Sozilaismus incl. staatlich gelenkter ’sozialistischer Waren-, Mehrwertproduktion‘ als Übergangsphase für ’ne eigenständige Epoche). ‚Historisch notwendig‘ war denen in erster Linie die Steigerung der gesellschaftlichen Produktivität, und das Mißverständnis bestand m.E. darin, die Prdouktivitätssteigerung als Resultat der Kapitalbewegung zu betrachten statt darin die Bedingung für deren Fortbestand unter Konkurrenzbedingungen zu erkennen.
    Hört die Konkurrenz bspw. ‚wegen‘ Monopol auf, entfällt der ökonomische Grund zur Produktivitätssteigerung. Da Kapital (gesellschaftlich betrachtet) nur als konkurrierendes existieren kann (weswegen Marx auch vom Schein der Konkurrenz spricht), würde im meinetwegen genossenschaftlichen Monopol die Kapitalbewegung G->G‘ aufhören, weil das was an Abreitskraft resp. bezahlter Arbeitszeit zu ersparen wäre, sich bestenfalls als größere Produktmasse aber nicht in Mehrwert realisieren ließe. (Insofern wäre interessant, was mit den von Bettelheim beschriebenen Normen bezweckt wurde, Festsetzung von Löhnen oder Steigerung der Produktivität vermittels ‚materieller Ineressiertheit‘ o.s.ä.)
    Warum die Realsozialisten überhaupt auf Markt kamen, hat m.E. 1) eben jene ‚historischen‘ Ursachen, die du ja auch benennst, dass unabhängig davon, ob sie selber Kommunisten waren, sie eben kaum mit welchen zu tun hatten (insofern war/ist es schon Propaganda, die DDR sei Errungenschaft der Arbeiterklasse gewesen). Und 2) gabs halt die Imperialisten, die nicht bloß militärisch drohten sondern eben ökonomisch und politisch boykottierten, erpressten etc. ‚Fair trade‘ gabs nie, egal ob ‚friedliche Koexistenz‘ oder nicht. Dazu kommt 3), dass der Ostblock ’seinen‘ Teil der sog. ‚Entwicklungsländer‘ tatsächlich entwickelte, statt den wie der Westen auszuhungern (bei Marx figuriert das unter „Verwohlfeilerung der Lebensmittel durch auswärtigen Handel“ o.s.ä.). D.h., einen Gutteil ihres materiellen wie immateriellen ‚Güterbergs‘ haben bspw. die RGW-Länder an ‚befreundete‘ Länder buchstäblich verschenkt (und das keineswegs nur an Cuba).
    Btw, m.E. sind „Überschuss“ oder „Mehrprodukt“ nicht per se ideologische sondern zunächst analytische Kategorien. Deren Voraussetzung sind 1) alle Produktion ist per se gesellschaftliche, 2) es herrscht (sic!) Konkurrenz unter den Produzenten (ganz gleich auf welchem ‚Level‘ und egal ob um Produktionsbedingungen oder -resultate). Die Beute von bewaffneten Räubern oder Kolonialisten ist bspw. günstigstenfalls „Überschuss“ resp. „Mehrprodukt“ der wirklichen Produzenten, oft genug, war/ist es eben „alles“. Ideologisch werden die Kategorien erst, wenn sie mit moralisierenden Attributen wie ‚Leistung‘, ‚Gerechtigkeit‘ etc. assoziiert werden. Analytisch, d.h. unter obigen Voraussetzungen, war der Reichtum von Sklavenhaltern oder Feudalherren auch bloßes „Mehrprodukt“ ihrer Untertanen.
    Und, selbstverständlich hast du Recht, ist es tatsächlich kommune Produktion, dann werden die Produzenten sich schon auf eine praktikable Verfahrensweise einigen. Die für mich entscheidende Frage ist, ob diese kommune Produktion als Folge einer Hungerrevolte der sog. 3. Welt zustandekommt oder Resultat einer proletarischen Revolution (mit oder ohne ‚Avantgarde‘) in den Metropolen sein wird. Mein Kaffesatz sagt nun, im ersten Fall wird es wie in Russland laufen, incl. NÖP-Neuauflage, allerdings mit sofortiger Kollektivierung der Agrikultur. Im zweiten Fall müssten die siegreichen Revolutionäre sofort sämtliche Schrott/Luxus-Produktion einstellen und sich für die nächsten paar Planjahrfünfte mit den Armen dieser Welt solidarisieren.

  37. Krim
    15. März 2011, 00:55 | #37

    Ach Neo. Nimm mal zur Kenntnis das folgendes ein Zitat von cyn0x war. „Wirkliche Freiheit bedeutet die Verhältnisse so zu gestalten wie man will.“ Nicht ich hab „wirkliche Freiheit“ thematisiert, sondern cynox. Und ich hab in einem einzigen Satz (8 Worte) mein Missfallen zu dem Loblied der Freiheit zum Ausdruck gebracht, das ob der Freiheit gesungen wird und dem Kommunismus wieder angedichtet wird. Wenn du das nicht diskutieren willst ist das ja o.k. nur frage ich mich dann eben, was dann die Kommentare sollten.
    @bigmouth: Erstmal soll doch cynox erläutern, warum ihm Emanzipation und Freiheit als so erstrebenswert erscheinen und als ein Kennzeichen von Kommunismus. „Die kritisierte Individualisierung durch das Leistungsprinzip scheint mir angesichts eurer angestrebten Gleichmacherei fast schon emanzipatorisch.“ Nehmt doch endlich mal zur Kenntnis, dass Emanzipation und Freiheit kein Wert sind, sondern ein Widerspruch zu Kommunismus. Im Kommunismus geht es eben nicht um die unbedingte Gültigkeit des privaten Willens gegen alle anderen, sondern darum geimeinsam Gebrauchswerte zu produzieren und zu konsumieren. Freiheit ist ein bürgerlicher Wert und daran die „Gleichmacherei“ im Kommunismus zu messen, ist ein Hohn.

  38. bigmouth
    15. März 2011, 01:05 | #38

    bullshit
    „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion. Wie der Wilde mit der Natur ringen muss, um seine Bedürfnisse zu befriedigen, um sein Leben zu erhalten und zu reproduzieren, so muss es der Zivilisierte, und er muss es in allen Gesellschaftsformen und unter allen möglichen Produktionsweisen. Mit seiner Entwicklung erweitert sich dies Reich der Naturnotwendigkeit, weil die Bedürfnisse sich erweitern; aber zugleich erweitern sich die Produktivkräfte, die diese befriedigen. Die Freiheit in diesem Gebiet kann nur darin bestehen, dass der vergesellschaftete Mensch, die assoziierten Produzenten, diesen ihren Stoffwechsel mit der Natur rationell regeln, unter ihre gemeinschaftliche Kontrolle bringen, statt von ihm als von einer blinden Macht beherrscht zu werden; ihn mit dem geringsten Kraftaufwand und unter den ihrer menschlichen Natur würdigsten und adäquatesten Bedingungen vollziehen. Aber es bleibt dies immer in Reich der Notwendigkeit. Jenseits desselben beginnt die menschliche Kraftentwicklung, die sich als Selbstzweck gilt, das wahre Reich der Freiheit, das aber nur auf jenem Reich der Notwendigkeit als seiner Basis aufblühen kann.“
    marx ging es eben nicht bloß darum, „geimeinsam Gebrauchswerte zu produzieren und zu konsumieren“. wenn das deine absicht ist – schön. aber tu‘ doch bitte nicht so, als wäre das irgendwie objektiv der gehalt von „kommunismus“

  39. bigmouth
    15. März 2011, 01:07 | #39

    und nochmal: wieso erscheint dir die Abwesenheit von Freiheit ein Glück? also, was ist jetzt gut an zwang und notwendigkeit?

  40. Krim
    15. März 2011, 01:19 | #40

    „aber tu‘ doch bitte nicht so, als wäre das irgendwie objektiv der gehalt von „kommunismus““ Na klar tu ich so. Und Marx tut auch so. Wenn er nämlich sagt, „Das Reich der Freiheit beginnt in der Tat erst da, wo das Arbeiten, das durch Not und äußere Zweckmäßigkeit bestimmt ist, aufhört; es liegt also der Natur der Sache nach jenseits der Sphäre der eigentlichen materiellen Produktion.“, dann beginnt das Reich der Freiheit eben jenseits der kommunistischen Ökonomie. Vorher ist alles von Notwendigkeit geprägt. „Aber es bleibt dies immer ein Reich der Notwendigkeit.“
    Was du als Privatperson tust, nachdem den Notwendigkeit im Kommunismus nachgekommen wurde, das ist allein deine Sache und der kommt wohl kaum das Attribut kommunistisch zu.

  41. bigmouth
    15. März 2011, 01:41 | #41

    das heißt aber, dass marx das reich der freiheit als eigentlichen zweck der ganzen veranstaltung setzt!

  42. Krim
    15. März 2011, 11:20 | #42

    1. Nein. Marx sagt nicht der Kommunismus sei dafür da jedem soviel Freizeit zu ermöglichen, wie geht. Er stellt bloß sachlich fest, das in der Produktion Notwendigkeit herrscht und gerade keine Freiheit und Freiheit nur dort sein kann, wo nicht schon Zweckmäßigkeit das Tun bestimmt. Marx trennt nur. Er sagt nicht Freiheit ist der Zweck. Freiheit wäre auch ein ziemlich inhaltsloser Zweck.
    2. Es ist doch schwer zu übersehen, dass das „Reich der Freiheit“ einfach ein schwülstiger Ausdruck für Freizeit ist. Mit der „wirklichen Freiheit“ im Gegensatz zur falschen Freiheit, hat das nichts zu tun. Auch in der kommunistischen Freizeit, sprich im Reich der Freiheit, gilt der Willen des Einzelnen nicht unbedingt gegen den Anderen und das ist ja wohl gemeint. Es wird sich ein bürgerlicher Wertehimmel vorgestellt, der im Kommunismus erst so richtig verwirklicht werden soll. Und es ärgert mich halt, wenn Demokratieidealisten den Kommunismus mit einer idealen Demokratie verwechseln wollen.

  43. cyn0x
    18. März 2011, 00:20 | #43

    @Krim: Und was genau hat die Freiheit sich gesellschaftlich im Kommunismus auf das Leistungsprinzip zu einigen mit bürgerlicher privatautonomer Freiheit zu tun? Sowas wie Freiheit & Gleichheit sind völlig unbestimmte Begriffe, die nur Sinn machen wenn man sie auf konkreten Inhalt bezieht. Ansonsten lässt sich da auch garnix kritisieren.

  44. Krim
    18. März 2011, 12:46 | #44

    Dein Lob der „Individualisierung durch das Leistungsprinzip“ gegen kommunistische „Gleichmacherei“ als emanzipatorisch ist eben alles andere als eine unbestimmte Freiheit. Leistungsprinzip ist ein schönfärberischer ideologischer Ausdruck für Konkurrenz bzw. Lohnhierarchie und das Lob der Konkurrenz als Freiheit ist „bürgerliche privatautonome Freiheit“. Im Kommunimus gibt es nicht die Freiheit sich auf das Leistungsprinzip zu einigen, genausowenig wie es die Freiheit gibt sich auf Konkurrenz, Ausbeutung und was der bürgerlichen Schönheiten mehr sind zu einigen, weil das einer Kommunistischen Gesellschaft widerspricht und sie kaputtmacht. Im Kommunimus gibt es weder Freiheit noch Gleichheit des Individuums. Weder gilt der Wille des Einzelnen unbedingt gegen den anderen (Freiheit) noch bekommt jeder gleich viel, noch werden ihm die Lebensmittel in Abhängigkeit von der Leistung zuerkannt. Jeder bekommt was er braucht und leistet was er kann.

  45. bigmouth
    18. März 2011, 14:25 | #45

    „Weder gilt der Wille des Einzelnen unbedingt gegen den anderen (Freiheit) “
    das tut er im kapitalismus aber auch nicht, insofern ist diese bestimmung unsinn

  46. Krim
    18. März 2011, 18:08 | #46

    Im Eigentum tut er das.

  47. cyn0x
    18. März 2011, 19:38 | #47

    @Krim: Wenn das Leistungsprinzip im Kommunismus nicht möglich sein sollte, dann werd ich vll. doch wieder Anhänger der Marktwirtschaft. Hast du dir mal das Modell von Siefkes genauer angesehen? Wieso soll seine bewusste Aufwandsteilung mt potentieller Kopplung von Geben & Nehmen einer gemeinschaftlich koordinierten Produktion widersprechen? Lueer betont das gegen Ende seines Textes ja auch: „Zer­ti­fi­ka­te, wel­che ein­fach die An­zahl der Ar­beits­stun­den re­prä­sen­tie­ren, sind kein Geld im ka­pi­ta­lis­ti­schen Sinne.“

  48. 18. März 2011, 19:55 | #48

    Tja, cynox, bei mir ist das genau andersrum:
    Wenn das „Leistungsprinzip“ im „Kommunismus“ angewendet werden soll, dann bleibe ich lieber Kommunist.
    Wenn denn für die allgemeine Zufriedenheit mit der Verteilung von Arbeiten und Arbeitsquanten und mit der Verteilung von Gütern nach Art und Menge auf die Leute es erst mal erforderlich sein sollte, daß da eine „Kopplung von Geben & Nehmen“ erfolgt, dann würde ich das zähneknirschend hinnehmen, um möglichst bald Verhältnisse zu erreichen, sowohl objektiv von der Güterproduktion her und subjektiv, was das Konsumbewußtsein der Massen angeht, wo das immer weniger miteinander gekoppelt ist.

  49. 18. März 2011, 20:01 | #49

    Nachtrag zu cynox: Es ist natürlich hochgradiger Stuß von BWLern, Politikern und wer weiß wem noch, daß es ausgerechnet in einer Marktwirtschaft ums Leistungsprinzip ginge. Wieso müssen dann ausgerechnet die am meisten schuften, die am wenigsten von allem abkriegen? Deshalb wollen doch alle schon in der Schule dem trostlosen Schicksal eines Arbeiters entgehen und es wenigstens zu irgendeinem halbwegs subalternen Vorgesetztenjob zu schaffen. Dafür scheint dann den Kids die Plackerei fürs Abitur und weiter bis zum Diplom in irgendeinem Fach, dessen Inhalte sie nicht die Bohne interessieren müssen, wert.

  50. cyn0x
    18. März 2011, 20:05 | #50

    @Neoprene: Nochmal: Mir geht es nicht um ein Sollen, sondern um die Möglichkeit! Natürlich halte auch ich am Ziel „jedem nach seinen Bedürfnissen“ fest, nur hab ich keine Lust solange im Kapitalismus zu leben, bis das möglich wird. Zumal das imho an einige strukturelle wie psychologische Bedingungen gebunden ist, die seine Zeit brauchen.

  51. Krim
    18. März 2011, 23:18 | #51

    „Wenn das Leistungsprinzip im Kommunismus nicht möglich sein sollte, dann werd ich vll. doch wieder Anhänger der Marktwirtschaft.“ Das bist du doch schon, du weißt es bloß noch nicht.
    „Wieso soll seine bewusste Aufwandsteilung mt potentieller Kopplung von Geben & Nehmen einer gemeinschaftlich koordinierten Produktion widersprechen?“ Wozu soll das gut sein? Wer sowas will, will das was der Kapitalismus längst macht. Nämlich die Ergebnisse gesellschaftlicher Produktion privat aneignen. Die Arbeitskraft gibt es aber gar nicht als individuelle, weder im Kpaitalismus und erst recht nicht im Kommunismus. Ihre Produktivität hat sie nicht durch sich, sondern die hängt von der Entwicklung der Produktivität der Arbeit in der jeweiligen Gesellschaft ab. Deswegen ist es auch sachlich vollkommen unlogisch, die Privatisierung (Geben und Nehmen) der Produkte gesellschaftlicher Arbeit zu fordern.
    „„Zertifikate, welche einfach die Anzahl der Arbeitsstunden repräsentieren, sind kein Geld im kapitalistischen Sinne.““ Stimmt. Stundenzettel sind kein Geld. Luer versucht damit eine Kritik vorwegzunehmen. Diese Vorwegnahme funktioniert aber bloß wenn man ihm vorwerfen will, Zertifikate seien Geld. Das will ich ihm aber gar nicht vorwerfen. Trotzdem sind seine Zertifikate Blödsinn bzw. ist überhaupt seine Teilung in Grundbedürfnisse und Freizeit, die dann angeblich solche Zertifikate hervorbringen soll ein Quatsch. Zunächst einmal ist zu fragen, warum es im Freizeitbereich ein Geben und Nehmen (was übrigens mit einem Leistungsprinzip auch nichts zu tun hat) geben soll. Denn produziert werden und im Plan berücksichtigt werden müssen auch Produkte die in der Freizeit und als Freizeitbeschäftigung konsumiert werden. Der einzige Zweck, den sowas haben kann, ist ein Gerechtigkeitsbedürfnis bei ungleich aufwendigen Hobbys, sodass jeder eben nur Hobbys pflegen kann, die er selbst bzw. in Kooperation mit anderen auf die Beine stellen kann. Wer weniger aufwendige Hobbys pflegt, müsste dann weniger arbeiten. Meiner Ansicht nach ist das ein schwaches Argument, denn auch ohne einen solchen Mechanismus sollte eine Gesellschaft in der Lage sein, zu aufwendige Hobbys sich als Gesellschaft nicht aufhalsen zu lassen. Das taugt meiner Ansicht nach nicht als Begründung dafür, ein „Geben und Nehmen“, also eine Privatisierung gesellschaftlicher Produktionsergebnisse im Freizeitbereich zu rechtfertigen. Mittel zur Bestreitung der Freizeit, die ja auch im Kommunismus, wenn nicht ganz, so doch teilweise der Reproduktion dienen muss, braucht im übrigen sowieso jeder. Also würde es dort auch eine Grundfreizeitversorgung geben und dann würde erst, wenn man auf Gerechtigkeit abfährt, ein Geben und Nehmen stattfinden. Meiner Ansicht nach wäre sowas bloß für Spezialprojekte denkbar (z.B. eine Gruppe gleichgesinnter setzt sich zusammen und will sich ne Segeljacht bauen). Also wäre so ein Zertifikatsystem, wenn überhaupt, bloß für solche gesellschaftlichen Nischen denkbar.
    „Wenn denn…es erst mal erforderlich sein sollte, daß da eine „Kopplung von Geben & Nehmen“ erfolgt,…“ Das ist überhaupt nur dann erforderlich, wenn die Leute den Maßstab Gerechtigkeit auspacken, weil sie mehr vom Kuchen abhaben wollen als andere.
    „nur hab ich keine Lust solange im Kapitalismus zu leben, bis das möglich wird.“ Wieso soll es nicht möglich sein nach Bedürfniss zu verteilen. Eine Schranke der gesellschaftlichen Möglichkeiten bzw. der gesellschaftlichen Arbeitszeit gibt es immer. Es ist nur die Frage, wie man mit dieser Schranke umgeht. Die private Monopolisierung eines Stücks des gesellschaftlichen Kuchens ist jedenfalls nicht die Antwort, zumindest im Kommunimus nicht. Kommunismus heißt nämlich auch nicht, dass jedes private Bedürnis auf jeden Fall ins Recht gesetzt wird. Wie gesagt gilt der Einzelwille nicht unbedingt, sondern muss sich relativieren an der Gesellschaft und am gesellschaftlich machbaren und sinnvollen. Da kann schon sein, dass das Bedürfnis nach einem Sportwagen, dem Bau öffentlicher Verkehrsmittel geopfert wird.

  52. cyn0x
    19. März 2011, 12:32 | #52

    @Krim:

    „Das ist überhaupt nur dann erforderlich, wenn die Leute den Maßstab Gerechtigkeit auspacken, weil sie mehr vom Kuchen abhaben wollen als andere.“

    Fazit: Auch du hältst eine Kopplung im Kommunismus jenseits Warentausch & Geld für möglich, meinst aber es sei nur in Nischenbereichen notwendig bzw. sinnvoll. Wie groß nun der jeweilige Bereich ist, ist doch aber bloß eine quantitative Frage, die ALLEIN die betroffenen Leute selbst zu bestimmen haben. Du kannst viel erzählen, was du für sinnvoll hältst und dass du nicht willst, dass die Leute „den Maßstab Gerechtigkeit“ auspracken. Wenn sie sich nicht überzeugen lassen, tun sies einfach. Ansonsten müsste die Gleichmacherei per autoritärer Herrschaft erzwungen werden.

  53. Krim
    19. März 2011, 13:52 | #53

    „Wenn sie sich nicht überzeugen lassen, tun sies einfach.“

    Ja und wenn sie sich nicht überzeugen lassen machen sie eben weiter Kapitalismus. Weiß ich – man sieht ja, dass die Leute keine Anstalten für eine Revolution machen. Aber warum entwirfst du eine Utopie, in der vorkommt, dass sich die Leute von dem was eigentlich vernünftig ist nicht überzeugen lassen. Es geht doch hier darum rauszufinden, was vernünftig ist und das dann zu verbreiten. Wenn das nicht klappt hat man eben Pech gehabt, aber immer noch besser als in vorauseilendem Mißerfolg gleich von der Uneinsichtigkeit der Leute auszugehen.

    „Wie groß nun der jeweilige Bereich ist, ist doch aber bloß eine quantitative Frage,“

    Nein ist es nicht. Das ist eine Frage, ob es sich um Kommunismus handelt oder nicht. Denn wenn du die Ergebnisse der gesellschaftlichen Produktion nach Arbeitsleistung verteilst und nicht nach Bedarf, hast du ein konkurrierendes Kriterium der Verteilung, das der gesamten gesamten gesellschaftlichen Produktion einen anderen Zweck verpaßt. Dann wird eben nicht mehr für den Bedarf produziert, sondern für eine anteilige Privatisierung der gesellschaftlichen Produktenmasse am Kriterium der Leistung bzw. Stundenzahl oder ähnliches.

  54. bigmouth
    19. März 2011, 14:50 | #54

    krim, die frage, ob es vernünftiger ist, gesamtgesellschaftlich 6 statt 5 stunden pro tage zu arbeiten, weil man dann drachen fliegen kann, ist doch sinnfrei. das sind geschmacksfragen. man kann keine einigkeit erzielen über bloße vorlieben
    wenn es überhaupt gar keine koppelung gibt zwischen individueller produktion und individuellem verbrauch, setzt das eine quasi unendlich lange diskussion in gange zwischen völlig diametral sich gegenüber stehenden positionen. es gibt halt dermaßen krass heterogenen lebensentwürfe, dass eine einigung in form eines allgemeingültigen kompromiss über arbeitszeit eine wäre, bei der die mehrzahl der beteiligten entgegen ihrer absichten weg käme
    es wird halt leute geben, die gerne 30 h pro woche arbeiten, wenn es dafür mehr technsiche spielereien gibt. und andere, die möglichst wenig arbeiten wollen, und mit dem buch in der hängematte rumliegen. es erscheint mir idiotisch und kontraproduktiv, so was auf einen nenner bringen zu wollen

  55. Krim
    19. März 2011, 15:13 | #55

    Mal folgende Überlegung: Je aufwendige dein Hobby, desto mehr musst du dafür arbeiten je weniger Zeit hast du für dein Hobby. Deshalb glaube ich nicht, dass das dermaßen krass auseinanderliegen wird. 5 oder 6 Stunden arbeiten, sind keine krass auseinanderliegenden Lebensentwürfe. Was ist denn das für ein popliges rumgerechte, wegen 1 Stunde hin oder her. Und in die Ferien fahren, will jeder mal, selbst wenn man auf möglichst wenig Arbeit steht.
    „es wird halt leute geben, die gerne 30 h pro woche arbeiten, wenn es dafür mehr techniche spielereien gibt.“ Und du meinst 10 Bücher zu drucken ist billiger als etwas ipad-ähnliches zu bauen, auf das man sich dann 100 Bücher laden kann. Meinst du, du willst kein Tv-Gerät wenn du 10 Bücher hast, oder wie.

  56. cyn0x
    19. März 2011, 19:16 | #56

    @Krim: Dann haben wir offensichtlich andere Definitionen von Kommunismus. Von mir aus nennen wir eine gemeinschaftliche Produktion mit Leistungsprinzip dann eben Sozialismus. In jedem Fall ist es zu unterscheiden von Warenproduktion.
    Der Unterschied zwischen unseren Positionen ist nicht der, dass ich die Leute nicht überzeugen will, sondern dass ich sie primär(!) von der Abschaffung der Ausbeutung überzeugen will, während du zu gleich auch noch das Leistungsprinzip abschaffen willst. Allein agitatorisch ist meine Variante vorzuziehen, weil deine eine deutlich weitgehendere Änderung des Bewusstseins voraussetzt und somit viele abschreckt. Siehste ja selbst schon bei diversen Kommunisten. Ist erstmal die Ausbeutung weg und die Produktion in kollektiver Selbstverwaltung organisiert, kann man sehen inwiefern sich das Bewusstsein der Leute geändert hat und welche Möglichkeiten der Distribution in Frage kommen.

  57. Krim
    19. März 2011, 20:27 | #57

    Am besten man kritisiert gar nichts, dann schreckt man niemand ab d.h. die Chancen auf Veränderung stehen dann sehr gut. Leider hat das den Nachteil, dass man vor lauter Kompatibilität mit dem bestehenden Bewusstsein, gar nichts mehr verändert.
    „Siehste ja selbst schon bei diversen Kommunisten.“ Nee, bei Kommunisten seh ich das nicht, höchstens bei Leistungsprinzipsozialisten, was mit Kommunismus nicht viel zu tun hat. Gegen private Aneignung haben die bloß einzuwenden, dass sie im Kapitalismus nichts anzueignen haben, weil sie immer ausgebeutet werden. Also sind deine Sozialisten eigentlich bloß demokratische Gerechtigkeitsidealisten.
    „kann man sehen inwiefern sich das Bewusstsein der Leute geändert hat“ Zugucken und abwarten wie sich das Bewusstsein verändert hat, bringt nichts. Da kannst du nämlich lange warten. Das Bewusstsein musst du schon selbst herstellen, mit richtigen Argumenten. Wenn dann genug mit dem richtigen Bewusstsein rumlaufen, dann gibt’s vielleicht mal eine gesellschaftliche Veränderung. Umgekehrt funktioniert das aber sicher nicht. Erstmal Praxis machen, damit das Volk dann sein Bewusstsein der Praxis anpasst. Das ist eine alte linke Legende, die noch nie gestimmt hat.

  58. cyn0x
    19. März 2011, 23:11 | #58

    @Krim: Mit deinen Maximalforderungen veränderst du noch weniger, weil du damit genau die Vorurteile bestätigst, weshalb der Kommunismus nicht funktioniere – weil er nämlich einen „neuen Menschen“ erfordere.
    Auf Marx kannste deine Kommunismusdefinition übrigens nicht stützen, weil der in der Kritik des Gothaer Programms fest vom Leistungsprinzip in der ersten Phase des Kommunismus ausging.
    Es ist doch rein logisch offensichtlich, dass sich das Bewusstsein ändern wird, wenn die Leute selbstbestimmt und ohne Ausbeutung leben & produzieren. In welchem Maße weiß aber keiner! Du kannst sie ja obendrein gern mit deinen Argumenten bequatschen. Es wäre aber sinnvoller die Priorität(!!!) zunächst auf Abschaffung der Ausbeutung zu legen, weil das auch deine Vorstellung von der Abschaffung jeglicher Kopplung bedingt!

  59. Krim
    20. März 2011, 01:34 | #59

    Maximalforderung – Minimalforderung – Mittelmäßigforderung, das ist doch Gelaber. Ich will mit dir nicht in eine Konkurrenz um die erfolgreichste Forderung treten, denn, nochmal, was nützt dir Erfolg wenn der Erfolg inhaltlich ein Scheiß ist. Deshalb streite mit mir um den Inhalt dessen, was du willst und nicht um die Umsetzungschancen.
    Es ist mir auch völlig wurscht, welche Vorurteile jemand im Hirn hat. Der rationelle Umgang mit Vorurteilen ist nicht sich darauf einzustellen, sondern sie auszuräumen. Beim „neuen Menschen“ müsste mir der Vorurteilsbeladene erstmal sagen, was er darunter versteht. Zu einem gewissen Grad ist aber natürlich ein neuer Mensch, jedenfalls ein Mensch mit einem neuen Bewusstsein nötig. Denn mit dem alten Bewusstsein, macht er eben, was er macht und das ist im Moment eben Kapitalismus. Also ohne dass da ein gründliches Umdenken erfolgt, fürchte ich, wird sich in Richtung Kommunismus nicht allzuviel schieben.
    Von der Phasentheorie halte ich nichts.
    „Es ist doch rein logisch offensichtlich, dass sich das Bewusstsein ändern wird,“ Das Bewußtsein ändert sich auch, wenn die Leute DSDS schauen. Bloß wie ist halt die Frage. Kommunismus bedeutet aber nicht, dass man das Bewusstsein nach den Umständen ausrichtet, sondern dass man die gesellschaftlichen Umständen dem kommunistischen Vorhaben entsprechend einrichtet. „Selbstbestimmt“ ist übrigens der gleiche Scheiß wie Freiheit, ein leeres Ideal eines unbedingt geltenden Willens, egal was sich der Wille vorgenommen hat. Also ist Selbstbestimmung sicher kein Attribut, das einer kommunistischen Gesellschaft zukommt. Die will schon etwas konkretes und nicht einfach nur nicht ihren Willen nicht unterordnen müssen.
    “ Es wäre aber sinnvoller die Priorität(!!!) zunächst auf Abschaffung der Ausbeutung zu legen“ Woher kommt das Bedürfnis von Linken eigentlich jeden Dissenz unter einer großen Gemeinsamkeit zudecken zu wollen. Du hast es doch für nötig befunden für das Leistungsprinzip zu werben, statt deiner Priorität, der Abschaffung von Ausbeutung, nachzugehen. Offenbar hälst du es für wichtig, dann tu auch nicht so als müsste man alles dem Kampf gegen Ausbeutung unterordnen. Wahrscheinlich verstehst du darunter eh was anderes als ich.

  60. cyn0x
    20. März 2011, 12:36 | #60

    Wo siehst du denn zwischen Leistungsprinzip und Abschaffung der Ausbeutung einen Gegensatz? Wieso hältst du vom Phasenmodell nichts? In der Tendenz find ich das sehr sinnvoll, wobei der Übergang zwischen den „Phasen“ fließend sein wird und insofern die strikte Trennung etwas unglücklich ist.
    Was ich unter Erfolg verstehe (Kommunismus inkl. Leistungsprinzip) ist inhaltlich eben kein Scheiß, sondern erste Bedingung für das was du unter Erfolg verstehst und ich als Fernziel (Kommunismus ohne Leistungsprinzip). Wenn man am Kapitalismus kritisiert, dass er zur materiellen, wie psychischen Verelendung der Menschen führt, dann kannst du nicht erwarten, dass nach der Revolution genug für alle da ist und niemand mehr „bürgerliche“ Gerechtigkeitsvorstellungen pflegt. Das isn ziemlicher Widerspruch. Es wird Jahrzehnte der Umgestaltung dauern, bis die Gesellschaft von einer Ausrichtung auf Kapitalverwertung zu einer auf Bedürfnisbefriedigung gekommen ist. Für diesen Übergang ist es sinnvoll sich über die Möglichkeit des Leistungsprinzips Gedanken zu machen und dessen Nötigkeit anzunehmen.
    Natürlich will eine kommunistische Gesellschaft was konkretes, aber das kann sie sich dank Selbstbestimmung jenseits der Herrschaft von Staat & Kapital eben selbst aussuchen. Wieso ist das abzulehnen?

  61. 20. März 2011, 13:41 | #61

    Natürlich will eine kommunistische Gesellschaft was konkretes, aber das kann sie sich dank Selbstbestimmung jenseits der Herrschaft von Staat & Kapital eben selbst aussuchen. Wieso ist das abzulehnen?

    Diese Gesellschaft hier ist ja kein waldursprüngliches Kollektiv, das eines Tages von Staat & Kapital überfallen und seitdem beherrschat wird. Auch diese Gesellschaft hat sich selbstbestimmt für Staat & Kapital entschieden und tut es jeden Tag weiterhin. Also ist mit „Selbsbestimmung“ kein konkreter gesellschaftlicher Inhalt angegeben – es ist im besten Fall einer leere Phrase.

  62. Krim
    20. März 2011, 15:12 | #62

    „Wo siehst du denn zwischen Leistungsprinzip und Abschaffung der Ausbeutung einen Gegensatz?“ Das eine ist das was du nicht willst, das andere das was du willst. Klar kannst du Ausbeutung abschaffen wollen und dann ein „Leistungsprinzip“ wieder etablieren wollen. Aus den oben genannten Gründen Stichwort radikaler Gerechtigkeitsstandpunkt halte ich das nicht für erstrebenswert. Dich stört an der Ausbeutung doch bloß, dass für dich zu wenig dabei abfällt. Deshalb bist du nämlich fürs Leistungsprinzip. Ja wenn es gerecht zuginge auf der Welt, dann würde für dich genug dabei abfallen, dann willst du aber, weil du ja so fleißig bist und ein viel tollerer Hecht als die anderen Dödels auch mehr vom gesellschaftlichen Kuchen abhaben. Dich stört nicht, dass die gesellschaftliche Produktion private Aneignung zum Zweck hat, sondern dass bei der privaten Aneignung zu wenig für dich dabei abfällt. Es ist aber die private Aneignung selbst, die die Leute in einen Gegensatz zueinander treibt. Solche Gegensätze will ich mir eben möglichst nicht bewusst ins Boot holen.
    „Wieso hältst du vom Phasenmodell nichts?“ Weil alles was man sozialistisch machen kann auch kommunistisch geht und zwar nicht schlechter. Deshalb mache ich lieber gleich was ich wirklich will, statt dem, was ich eigentlich nicht will, nur um es in ferner Zukunft abzuschaffen und dann zu machen, was ich wirklich will. Natürlich ist das bei Leuten, die so einen Phasensozialismus wollen, eh eine Heuchelei. Die wollen schon ihren komischen revisiionistischen gerechten Sozialismuskram. Sie benutzen das Phasenmodell nur um Leute, die statt ihren Sozialismus, lieber Kommunimus wollen, zu vertrösten.
    „sondern erste Bedingung für das was du unter Erfolg verstehst und ich als Fernziel“ Quatsch. Reine Einseiferei ist das.
    „dann kannst du nicht erwarten, dass nach der Revolution genug für alle da ist und niemand mehr „bürgerliche“ Gerechtigkeitsvorstellungen pflegt.“ 1. Wieviel nach der Revolution da ist, muss man dann sehen. 2. Eigentlich erwarte ich von Revolutionären schon, dass sie keine Gerechtigkeitvorstellungen mehr pflegen, sonst lief vorher in der Agitation was falsch. Da hat dann wohl jemand mit Gerechtigkeit geworben, statt sie zu kritisieren. Wer nach der Revolution immer noch der Gerechtigkeit anhängt, bei dem wird nachgeholt, was eigentlich schon viel früher hätte passieren müssen, er wird nämlich kritisiert. Auf keinen Fall aber wird sich auf Gerechtigkeitsvorstellungen eingestellt.
    “ Für diesen Übergang ist es sinnvoll sich über die Möglichkeit des Leistungsprinzips Gedanken zu machen und dessen Nötigkeit anzunehmen.“ Wieso das denn?

  63. cyn0x
    20. März 2011, 15:44 | #63

    „Wieso das denn?“
    Weil die Menschen – ob es dir passt oder nicht – individuell unterschiedliche Präferenzen haben. Bei der Verteilung bestimmter gesellschaftlich erwünschter Aufgaben werden einige beliebter sein als andere. Wie willst du entscheiden wer eine beliebtere Aufgabe machen darf? Da bietet es sich an wie es Siefkes vorschlägt die Aufgaben nach Angebot & Nachfrage zu gewichten, damit auch den Anspruch auf die Konsumtion und so sicherzustellen, dass trotz unterschiedlicher Beliebtheit ein Gleichgewicht gefunden wird, bei dem alle Aufgaben übernommen werden. Wenn die Leute sowas gar nicht benötigen sollten, umso besser, aber hellsehen kannst auch du nicht.

  64. cyn0x
    20. März 2011, 15:52 | #64

    Wieso sollen Gegensätze eigentlich so unbedingt vermieden werden? Der Vorteil des Leistungsprinzips ist, dass es einen direkten materiellen Anreiz gibt, andere Bedürfnisse zu befriedigen.

  65. Krim
    20. März 2011, 16:35 | #65

    Wenn ein Job unbeliebt ist, wird das wohl seine Gründe in dem Job haben. Dann muss man aber am Job was verändern und nicht Angebot und Nachfrage einführen. Davon wird der Job nämlich auch nicht besser.
    „Wieso sollen Gegensätze eigentlich so unbedingt vermieden werden?“ Weil bei Gegensätzen, die nicht aufgelöst werden können, immer einer in die Röhre schaut d.h. ein Wille kommt nicht zum Zug. Merkwürdig, dass einer der sich Selbstbestimmung auf die Fahnen schreibt, an anderer Stelle anscheinend gar nichts gegen systematische Unterordnung einzuwenden hat.

  66. pion
    20. März 2011, 17:04 | #66

    „Der Vorteil des Leistungsprinzips ist, dass es einen direkten materiellen Anreiz gibt, andere Bedürfnisse zu befriedigen.“

    Warum soll der Zweck Bedürfnisbefriedigung mit „materiellen Anreizen“ versehen werden, die wieder nur Bedürfnisbefriedigung versprechen?
    Und umgekehrt: Wenn es Anreize geben muss für Bedürfnisbefriedigung, welche Bedürfnisse werden dann von der geplanten Versorgung gestrichen, damit es später überhaupt Anreize sind?
    Das Leistungsprinzip UNTERSTELLT also den Beschiss, eine Unterversorgung als Bedürfnisbefriedigung auszugeben, um dann „Anreize“ setzen zu können, die das Leistungsprinzip etablieren. Das ist gar keine Kapitalismuskritik, sondern ein Schönfärben des Zwangs zur Leistungerbringung, dafür ist sogar der Begriff Sozialismus schon reichlich irreführend.

  67. Hermann
    5. April 2011, 13:31 | #67

    Zur bisherigen Diskussion möchte ich drei Aspekte beitragen:
    1. Zum verbreiteten Einwand: Kommunismus gut und schön, aber leider nicht machbar, weil es den Massen in den imperialistischen Zentren zu gut gehe, da sie von der Ausbeutung der restlichen Welt profitieren (

    „Wenn damit der Appell gemeint sein sollte, dass der Massenkonsum in den imperialistischen Zentren massiv heruntergefahren werden soll, …“)

    Ist es denn so, dass in den imperialistischen Zentren die Mehrheit der Bevölkerung vor lauter Massenkonsum gar keine materiellen Gründe hätte, gegen den vorherrschenden Zweck der Vermehrung des Privateigentums zu streiten? Laut Armuts- und Reichtumsbericht der BRD (bekanntlich sieht es in den anderen Zentren nicht anders aus) verfügen 50% der Bevölkerung in Deutschland über 4% des gesamten Nettovermögens (ohne Betriebsvermögen). 36% der Bevölkerung werden hier als »working poor« klassifiziert, und das Thema Altersarmut wird inzwischen angesichts erfolgter Reallohnsenkungen und der zunehmenden Flexibilisierung des Arbeitsmarktes zur realistischen Perspektive für die Mehrheit der Bevölkerung. Aber die Verteilungsfrage ist für die Frage, ob die kapitalistischen Verhältnisse der Mehrheit der Bevölkerung in den imperialistischen Zentren nützen oder schaden, der kleinste Teil. Arm ist die Mehrheit der Bevölkerung darüber hinaus, weil über den Zweck der Vermehrung des Privateigentum nicht nur entschieden wird für wen produziert wird (Zahlungsfähigkeit), sondern ebenso was (Qualität), wie (Arbeitsbedingungen) bzw. ob überhaupt produziert wird. Der »Massenkonsum in den imperialistischen Ländern« – Minderwertige und ungesunde Lebensmittel, Überstunden, Schichtarbeit, wenig Urlaub, Arbeitshetze inkl. Psychopharmaka, Frühverrentung in Altersarmut, Kinderarmut, Bildungsnotstand (in der BRD gelten inzwischen 15% der Bevölkerung als funktionale Analphabeten. Die USA als Vorreiter kapitalistischer Arbeitsbedingungen bringt es auf 30%), Krise im Gesundheitswesen ( zumindest für Kassenpatienten) etc. – muss nicht massiv heruntergefahren werden, sondern qualitativ massiv verbessert werden!
    Und das soll nicht machbar sein, wenn auch in der restlichen Welt die Produzenten zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung ihre Produktionsverhältnisse selbst organisieren? Krim hat in seinem Beitrag vom 6. März ja schon ein paar Argumente genannt. Dazu folgender ergänzender Hinweis: Warum gibt es den z. B. in Afrika eine sogenannte Überbevölkerung? Weil sie gemessen an dem was man zur Bedürfnisbefriedigung produzieren könnte zu viele sind? Unsinn! Arm sind die Menschen dort weder weil es am Arbeitswillen und Arbeitsvermögen fehlt, noch weil es nicht genug Reichtum gäbe, sondern weil in der globalisierten kapitalistischen Welt die Frage, was, wo und ob überhaupt produziert wird, marktwirtschaftlich entschieden wird. Wenn global alle Reichtümer in Warenform vorliegen, wenn nur zahlungsfähige Bedürfnisse zählen, wenn im Privateigentum befindliche Produktionsmittel nur angewandt werden, wenn es sich für die Besitzer lohnt, dann macht die marktwirtschaftliche Eigentumsordnung die Menschen unfähig, für ihr Leben selbst zu sorgen, und zwingt alle, ihre Chance darin zu suchen, dass sie sich dem Kapital dienstbar machen. Dann entscheidet der Maßstab der Geldvermehrung darüber, ob es zu viele unnütze Menschen gibt: nutzlos, weil niemand lohnende Verwendung für sie hat, weil sie nicht bezahlen können, weil ihnen gegenüber vielmehr das Eigentum der in Warenform vorliegenden Reichtümer gewaltsam geschützt werden muss. Nur dann gibt es Menschen, die in ökonomischer Hilflosigkeit verwahrlosen und die so lediglich zur chronischen Belastung und Gefahr für die lokale Ordnung werden.
    2.

    »Auch bei seinem nächsten Punkt, der Einsparung der FIRE-Wirtschaft (Finance, Insurance, Real Estate u.ä.) will ich einerseits grundsätzlich gar nicht widersprechen, ja, da wird man sehr viel sehr schnell einsparen können. Auch in der Güter produzierenden Wirtschaft ist sicherlich ne Menge Luft drin, wo es aber umgekehrt massiv zusätzliche Beschäftigung braucht, sind all die Dienstleistungen, die bisher noch so gut wie ohne Maschinen auskommen müssen, Gesundheitswesen, Kinder-, Jugendlichen- und Altenbetreuung. Ich halte deshalb Hermanns Schlussfolgerung,
    „Wenn daher in einer sozialistischen Gesellschaft der Teil der Arbeit, der in der Marktwirtschaft im Dienst der Geldvermehrung steht, stattdessen in Forschung und Entwicklung, Produktion und Distribution nützlicher Dinge investiert würde, könnte der gleiche physische Reichtum mit ungefähr der Hälfte der Arbeitszeit bzw. der doppelte Reichtum mit gleicher Arbeitszeit geschaffen werden.“
    für zu optimistisch, jedenfalls wenn das eine Prognose für ein Gebiet sein soll, zu dem auch weite Teile der nicht industrialisierten Welt gehören.«

    Aber das wäre doch schon einmal was, wenn statt Finance, Insurance, Real Estate u.ä. Bildung- und Gesundheitswesen, Kinder-, Jugendlichen- und Altenbetreuung üppig ausgebaut und zur Verfügung gestellt würden. Wenn daneben das Potenzial der Mitarbeiter, die in der Konkurrenz um die Marktanteile mehr mit Fragen der erfolgreichen Verwertung als mit Fragen der Gebrauchswertherstellung beschäftigt sind (Vertrieb, Markenvielfalt etc.), für die eine oder andere nützliche aber privatwirtschaftlich sinnlose Automatisierung eingesetzt würden, sollten sich die Arbeitsbedingungen verbessern und gleichzeitig die Arbeitszeit verkürzen lassen. Schon gäbe es mehr Reichtum mit weniger Arbeit. Die tatkräftige Unterstützung der marktwirtschaftlich überflüssigen Bevölkerungsteile, die auch in den imperialistischen Zentren inzwischen 10 bis 20 % der Bevölkerung ausmachen, noch gar nicht mitgerechnet. (Und ob es nun 3 oder 5 Stunden sind, mit denen der »gesellschaftliche Grundbedarf« auf hohem Niveau (!) zur freien Verfügung bereitgestellt wird, darüber soll der Streit ja nun sicherlich nicht gehen!)
    3.

    »Dabei wird eine sozialistische Gesellschaft erwarten, dass derjenige, der etwas über den pauschal zur Verfügung gestellten Grundbedarf hinaus bestellt bzw. konsumiert, einen entsprechenden Beitrag für die gesellschaftlich notwendige Arbeit leistet.“ Wie soll das denn gehen? Angenommen die Wirtschaft produziert die Grundbedürfnisse. Der Rest ist Freizeit. Jetzt gründet sich die Gesellschaft der Ultraleichtflieger und will sich solche Dinger bauen. Die brauchen dann Stoff, Gestänge, Motor usw. Sollen die Mitglieder dieser Gesellschaft dann „Überstunden“ schieben, damit das Zeug dann gebaut werden kann. Was soll das bringen? Dass Menschen mit billigen Hobbys mehr Freizeit haben als andere mit teuren Hobbys? Hm.«

    Wenn auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Produktion Nahrung, Kleidung, Unterkunft und gesellschaftliche Infrastrukturleistungen wie Wasser, Strom, Heizung, Telekommunikation, öffentliche Verkehrsmittel, Bildung, medizinische Versorgung, Kinder-, Alten- und Behinder-tenbetreuung auf qualitativ hohem Niveau für alle bereitgestellt wird und hierfür Arbeitsbedingungen verbessert und Arbeitszeit verkürzt werden können, hat die Mehrheit schon gewonnen. Darüber hinaus werden Dinge produziert und Dienstleistungen organisiert, wenn es Menschen gibt, die sie haben möchten und bereit sind, gemeinsam den dafür nötigen Arbeitsaufwand zu leisten. Die Frage, ob bzw. in welchem Umfang zusätzliche Arbeitszeit z. B. für den Ausbau des privaten Flugverkehrs, Hotelkapazitäten, Autos, Sporträdern, Taucherausrüstungen, Segelbooten, Klavieren, neuster Elektronikgeräte etc. erforderlich ist, wird je nach den individuellen Bedürfnissen unterschiedlich beantwortet werden. Da eine sozialistische Gesellschaft aber selbstverständlich auch im Bereich der »Freizeitgüterproduktion« nicht auf die Produktivkraft einer planmäßigen (weltweiten) gesellschaftlichen Arbeitsteilung verzichten will, wird die »Gesellschaft der Ultraleichtflieger« ihre Bestellung in den gesellschaftlichen Planungs- und Produktionsprozess für derartige Dinge einbringen müssen.

    »Sollen die Mitglieder dieser Gesellschaft dann „Überstunden“ schieben, damit das Zeug dann gebaut werden kann?«

    Nun ja, alle, die Interesse an zusätzlichen Dingen haben, werden auch bereit sein, hierfür »Überstunden« zu schieben. Wo das in einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung geschieht, ist nicht entscheidend.

    »Die Ausführungen unter Punkt 2 mit den Arbeitszertifikaten lese ich zum ersten Mal und ich weiß nicht was ich davon halten soll. Es ist ja so, dass die die Fähigkeit zu Arbeiten und Qualität der Arbeit zwischen den Individuen stark schwankt. Einer kann mehr, ist produktiver. Einem fällt die Arbeit leicht, dem anderen nicht. Soll das so direkt darüber entscheiden, was man sich über die Grundbedürfnisse hinaus in der Freizeit leisten kann?«

    Nein, eine Stunde ist eine Stunde ganz ohne Charles Bettelheims System der Arbeitsnormen.

    »„Zertifikate, welche einfach die Anzahl der Arbeitsstunden repräsentieren, sind kein Geld im kapitalistischen Sinne.“ Stimmt. Stundenzettel sind kein Geld. … Trotzdem sind seine Zertifikate Blödsinn bzw. ist überhaupt seine Teilung in Grundbedürfnisse und Freizeit, die dann angeblich solche Zertifikate hervorbringen soll ein Quatsch. … Der einzige Zweck, den so was haben kann, ist ein Gerechtigkeitsbedürfnis bei ungleich aufwendigen Hobbys, sodass jeder eben nur Hobbys pflegen kann, die er selbst bzw. in Kooperation mit anderen auf die Beine stellen kann. Wer weniger aufwendige Hobbys pflegt, müsste dann weniger arbeiten.«

    Wer soll denn die wöchentlich erforderliche Arbeitszeit festlegen? Eine schlaue zentrale Plankommission oder die Produzenten in Abhängigkeit von ihren Bedürfnissen? Auch eine sozialistsche Gesellschaft muss natürlich wissen, wie viel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung be¬darf. Sie muss den Produktionsplan zeitlich einrichten und entsprechend die Arbeitskräfte einteilen. Sie benötigt darüber hinaus im Hinblick auf die Bemühungen zur Steigerung der Produktivität, das heißt, zur Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand zu Ertrag einen detaillierten Überblick über den für die einzelnen Arbeitsabschnitte erforderlichen Zeitaufwad. Eine sozialistische Gesellschaft wird also wissen müssen, wie viel gesellschaftliche Arbeitszeit durchschnittlich für die unterschiedlichen Güter und Dienste aufzuwenden ist. Ebenso wird für die Gesellschaftsmitglieder die Information, welcher gesellschaftliche Aufwand mit bestimmten Gütern und Diensten verbunden ist, erforderlich sein, um selbst abschätzen zu können, ob für sie der Nutzen im Verhältnis zum erforderlichen Aufwand steht.
    Wenn Leute also zusätzliche Dinge – wie z.B. Ultraleichtflieger – in den gesellschaftlichen Produktionsplan einbringen, werden sie auch wissen wollen, wie viel Aufwand für ihre gesellschaftliche Produktion erforderlich ist. Und warum sollten die, die das Zeug wollen, nicht bereit sein, die erforderliche Arbeitsleistung zu erbringen? Oder warum sollten die Leute, die das Zeug gar nicht wollen, hierfür irgendwo länger arbeiten. Wer sich den Spruch »die Produzenten bestimmen selbst über ihre Produktion« inhaltslos als ungeregeltes Produktionsverhältnis vorstellt, sollte besser ins Schlaraffenland ziehen.

    »Die private Monopolisierung eines Stücks des gesellschaftlichen Kuchens ist jedenfalls nicht die Antwort, zumindest im Kommunismus nicht. Kommunismus heißt nämlich auch nicht, dass jedes private Bedürfnis auf jeden Fall ins Recht gesetzt wird. Wie gesagt gilt der Einzelwille nicht unbedingt, sondern muss sich relativieren an der Gesellschaft und am gesellschaftlich machbaren und sinnvollen. Da kann schon sein, dass das Bedürfnis nach einem Sportwagen, dem Bau öffentlicher Verkehrsmittel geopfert wird.«

    Da muss man sich entscheiden: entweder das Zentralkomitee legt fest, was die Leute im Kommunismus brauchen und wie viel dafür gearbeitet werden muss, oder die Leute regeln es selbst. Aber ums Regeln kommen sie auch im Kommunismus nicht herum!

    »„Wie groß nun der jeweilige Bereich ist, ist doch aber bloß eine quantitative Frage,“ Nein ist es nicht. Das ist eine Frage, ob es sich um Kommunismus handelt oder nicht. Denn wenn du die Ergebnisse der gesellschaftlichen Produktion nach Arbeitsleistung verteilst und nicht nach Bedarf, hast du ein konkurrierendes Kriterium der Verteilung, das der gesamten gesellschaftlichen Produktion einen anderen Zweck verpaßt. Dann wird eben nicht mehr für den Bedarf produziert, sondern für eine anteilige Privatisierung der gesellschaftlichen Produktenmasse am Kriterium der Leistung bzw. Stundenzahl oder ähnliches.«

    Wieso ändert sich hier der Zweck der Produktion? Die Produzenten bringen ihre Bedürfnisse in den Produktionsplan ein, erbringen die erforderliche Arbeitsleistung und entnehmen das, was sie haben wollen. Eine gewisse Transparenz über den Produktionsprozess muss man dafür aber schon herstellen. Wenn die Leute gar nicht wissen, welcher Aufwand mit welchen Dingen verbunden ist, kommt nach dem Motto, jeder nach seinen Bedürfnissen, jeder nach seinen Fähigkeiten, ganz bestimmt keine vernünftige Bedürfnisbefriedigung zustande.

  68. cyn0x
    6. April 2011, 07:41 | #68

    Völlige Zustimmung. Will nur diesen Punkt hier noch betonen:
    „Sie benötigt darüber hinaus im Hinblick auf die Bemühungen zur Steigerung der Produktivität, das heißt, zur Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand zu Ertrag einen detaillierten Überblick über den für die einzelnen Arbeitsabschnitte erforderlichen Zeitaufwad.“
    Das war nämlich auch die zentrale Kritik von Mises an der Möglichkeit einer rationalen Wirtschaftsrechnung im Kommunismus, die durchaus einen wunden Punkt traf, zumindest bei den bisherigen traditionellen Kommunismus-Vorstellungen. Investitionsalternativen lassen sich nicht alle politisch regeln, man müsste sonst theoretisch zu jeder Frage einen Volksentscheid durchführen.
    „Wenn man keine Möglichkeit hat, Arbeitsstunden verschieden qualifizierter Arbeit, Eisen Kohle, Baumaterial jeder Art, Maschinen und andere Dinge […] auf eine gemeinsamen Ausdruck zu bringen, dann kann man die Rechnung nicht durchführen.“(Mises)
    Woher willst du in einem Betrieb wissen, ob nun eine Maschine X einer Y vorzuziehen ist oder andersrum? Du hast keine Ahnung wie du die Zeitersparnis für verschiedene Arbeiten vergleichen könntest. Das löst Siefkes mit seiner Vorschlag der Aufwandsberechnung, resultierend aus der gewichteten Arbeitszeit.

  69. 6. April 2011, 09:53 | #69

    Wenn Hermann fragt,

    „Ist es denn so, dass in den imperialistischen Zentren die Mehrheit der Bevölkerung vor lauter Massenkonsum gar keine materiellen Gründe hätte, gegen den vorherrschenden Zweck der Vermehrung des Privateigentums zu streiten?“

    und dann auch gleich reihenweise Fakten für sein Nein nachliefert, dann ist dem rein faktisch sicher gar nicht zu widersprechen. Was aber anstünde, wäre dann eine Diskussion um den Armutsbegriff. Daß der Reichtum hier grundsätzlich genauso ungleich verteilt ist (wobei der natürlich im engeren Sinne gar nicht verteilt wird, ich meine das jetzt rein statistisch) wie im armen Rest der Welt, das kann man jedem Armutsbericht der Bundesregierung immer wieder aufs Neue entnehmen.
    Wenn aber schon die „Verteilungsfrage“ angesprochen wird, dann muß man schon eingehen auf die Ausgangsfrage, wie es den Werktätigen in den imperialistischen Zentren (egal ob die nun noch arbeiten oder Arbeitslose sind) geht im Vergleich zu den zumeist arbeitslos sich durchschlagenden Menschen z.B. in Afrika. Natürlich relativiert die konkrete lausige Qualität des Massenkonsums im Imperialismus den globalen Unterschied Reich-Arm, aber Lampedusa ist doch der tägliche Beweis dafür, daß viele aus der Peripherie selbst ein Leben als illegaler Straßenverkäufer in Norditalien für lebenswerter halten als ihr Weiterleben in ihrem Herkunftsland.
    Ja, in den imp. Zentren fehlt es noch vorn und hinten an wirklich vernünftiger Versorgung der Menschen. Aber verglichen mit der Ärtzedichte in Somalia ist es selbst in der BRD auf dem platten Land doch Gold! Und nach einer Revolution in einem Gebiet, daß vergleichweise besser ausgestatte Gebiete und eben noch schlechter versorgte Gebiete umfaßt, soll es keine vernünftige Verteilung/Umverteilung der erstmal geerebten Ressourcen geben? Kein Programm „Ärzte für Südafrika“?
    Wenn also Hermann rheorisch fragt,

    „Und das soll nicht machbar sein, wenn auch in der restlichen Welt die Produzenten zum Zweck der Bedürfnisbefriedigung ihre Produktionsverhältnisse selbst organisieren?“

    Dann ist dem grundsätzlichen „Ja doch“ eben doch noch die Frage hinzuzufügen, für wessen Bedürfnisse die jeweiligen Produzenten sich organisieren sollen. Nur für ihren Kiez als ein Extrem, für alle Menschen auf der Welt das andere?
    Ich meine gegen Hermanns

    „Warum gibt es den z. B. in Afrika eine sogenannte Überbevölkerung? Weil sie gemessen an dem was man zur Bedürfnisbefriedigung produzieren könnte zu viele sind? Unsinn! Arm sind die Menschen dort weder weil es am Arbeitswillen und Arbeitsvermögen fehlt, noch weil es nicht genug Reichtum gäbe, sondern weil in der globalisierten kapitalistischen Welt die Frage, was, wo und ob überhaupt produziert wird, marktwirtschaftlich entschieden wird.“

    eben doch, daß weite Strecken der Welt noch davon geprägt sind, daß es dort „nicht genügend Reichtum“ gibt, bei Infrastruktur, z.B. Krankenhäuser, Straßen, Strom angefangen über Bildung und Ausbildung bis hin zu profanen Konsumgütern.
    Zum 2. Punkt:

    „ob es nun 3 oder 5 Stunden sind, mit denen der »gesellschaftliche Grundbedarf« auf hohem Niveau (!) zur freien Verfügung bereitgestellt wird, darüber soll der Streit ja nun sicherlich nicht gehen!)“

    Natürlich, so abstrakt sicher nicht. Und ist sowieso nun wirklich eine Frage, die die Späteren untereinander ausmachen müssen/können, die ihre Revolution schon hinter sich haben.
    Aber auch hier wieder die Frage, was denn eigentlich der „gesellschaftliche Grundbedarf“ ist, für den gearbeitet werden soll/muß? Daß schon jetzt Heidelberger Druckmaschinen oder schwäbische Tunnelbohrer buchstäblich für den ganzen Weltmarkt hergestellt werden, wird eine proletarische Macht sicher nicht zurückdrehen wollen (auch wenn die Arbeiter der jeweiligen Fabriken das sicher für sich persönlich nicht schlecht finden würden, wenn sie weiter Egoisten bleiben). Wessen Grundbedarf soll dann also eingehen in den ersten Fünf-Jahresplan der ersten Kommune?
    zu 3.

    „Wenn auf der Grundlage einer gemeinschaftlichen Produktion Nahrung, Kleidung, Unterkunft und gesellschaftliche Infrastrukturleistungen wie Wasser, Strom, Heizung, Telekommunikation, öffentliche Verkehrsmittel, Bildung, medizinische Versorgung, Kinder-, Alten- und Behindertenbetreuung auf qualitativ hohem Niveau für alle bereitgestellt wird und hierfür Arbeitsbedingungen verbessert und Arbeitszeit verkürzt werden können, hat die Mehrheit schon gewonnen.“

    Wohl war, das wäre schon ein titanischer Schritt.

    „Darüber hinaus werden Dinge produziert und Dienstleistungen organisiert, wenn es Menschen gibt, die sie haben möchten und bereit sind, gemeinsam den dafür nötigen Arbeitsaufwand zu leisten.“

    Genau das ist in einer Planwirtschaft doch nur schwer zu haben: Die Ressourcen, die man hat, also wieviel Menschen mit passender Qualifikation und hinreichendem Willen X Stunden mitzumachen, all das konkrete Zeugs an Rohstoffen, Energie, Transportkapazitäten usw., all das ist doch schon verplant.

    Da eine sozialistische Gesellschaft … auch im Bereich der »Freizeitgüterproduktion« nicht auf die Produktivkraft einer planmäßigen (weltweiten) gesellschaftlichen Arbeitsteilung verzichten will, wird die »Gesellschaft der Ultraleichtflieger« ihre Bestellung in den gesellschaftlichen Planungs- und Produktionsprozess für derartige Dinge einbringen müssen.“

    Meine Rede: Alle angemeldeten Bedürfnisse müssen integral zusammenpassen mit den Produktionsmöglichkeiten, also den Kapazitäten und Arbeitszeitwünschen der Menschen. Wenn dann herauskommt, daß letztlich „zuviel“ gewollt wird, dann müssen die Pläne eben überarbeitet werden, entweder wird irgendwas gestrichen, damit es wieder paßt, oder die Leute arbeiten mehr (wenn das überhaupt der Engpaß ist, sonst hilft es ja gar nichts). Und da gilt rein sachlich sicher nicht immer „Wo das in einer gesellschaftlichen Arbeitsteilung geschieht, ist nicht entscheidend.“ Wenn die Menschen mehr gedruckte Zeitungen haben wollen, müssen in den ein oder zwei Fabriken, die die Maschinen dafür herstellen, eventuell zusätzliche Arbeitskräfte ran, damit man das auch umsetzen kann.

    „Eine Stunde ist eine Stunde ganz ohne Charles Bettelheims System der Arbeitsnormen.“

    Das gilt sicher erst dann, wenn Arbeit nicht mehr so lange und so anstrengend geleistet werden muß wie bei den chinesischen Reisbauern, die sich – das berichtet Bettelheim ja nur – jahrelang darüber gefetzt haben, wer nun „auf Kosten“ von wem über die Runden kommt.

    „Wer soll denn die wöchentlich erforderliche Arbeitszeit festlegen? Eine schlaue zentrale Plankommission oder die Produzenten in Abhängigkeit von ihren Bedürfnissen? Auch eine sozialistsche Gesellschaft muss natürlich wissen, wie viel Arbeit jeder Gebrauchsgegenstand zu seiner Herstellung bedarf. Sie muss den Produktionsplan zeitlich einrichten und entsprechend die Arbeitskräfte einteilen. Sie benötigt darüber hinaus im Hinblick auf die Bemühungen zur Steigerung der Produktivität, das heißt, zur Verbesserung des Verhältnisses von Aufwand zu Ertrag einen detaillierten Überblick über den für die einzelnen Arbeitsabschnitte erforderlichen Zeitaufwand. Eine sozialistische Gesellschaft wird also wissen müssen, wie viel gesellschaftliche Arbeitszeit durchschnittlich für die unterschiedlichen Güter und Dienste aufzuwenden ist. Ebenso wird für die Gesellschaftsmitglieder die Information, welcher gesellschaftliche Aufwand mit bestimmten Gütern und Diensten verbunden ist, erforderlich sein, um selbst abschätzen zu können, ob für sie der Nutzen im Verhältnis zum erforderlichen Aufwand steht.“

    Das sehe ich auch so. Ohne riesige Input-Output-Matrizen, die man heutzutage wenigstens nicht mehr mit der Hand auf Papier erstellen muß, geht da vernünftigerweise nichts. Noch zu DDR-Zeiten haben Mittag & Co kleinlaut zugeben müssen, daß sie das einfach noch nicht hingekriegt haben. Oder nur annäherungsweise für einige Tausende zentrale Dinger.

    „Wenn Leute also zusätzliche Dinge – wie z.B. Ultraleichtflieger – in den gesellschaftlichen Produktionsplan einbringen, werden sie auch wissen wollen, wie viel Aufwand für ihre gesellschaftliche Produktion erforderlich ist. Und warum sollten die, die das Zeug wollen, nicht bereit sein, die erforderliche Arbeitsleistung zu erbringen? Oder warum sollten die Leute, die das Zeug gar nicht wollen, hierfür irgendwo länger arbeiten.“

    Ganz einfach, weil die Kunstoff-Carbon-Teile oder die Titanstangen, die Spezialmotoren und Kunstfaserbespannungen mit Sicherheit nicht von den paar Tausend Fans in Alpennähe hergestellt werden, sondern von irgendeinem Kombinat in irgendeiner kommunistischen Region geliefert werden müßten. Es wäre doch lachhaft, die „Zulässigkeit“ von Hobbies und “Luxus“-Bedürnissen davon abhängig zu machen, daß ausgerechnet die Menschen, die was haben wollen diejenigen sein müßten, die das auch hinkriegen können müssen?

    „Da muss man sich entscheiden: entweder das Zentralkomitee legt fest, was die Leute im Kommunismus brauchen und wie viel dafür gearbeitet werden muss, oder die Leute regeln es selbst. Aber ums Regeln kommen sie auch im Kommunismus nicht herum!“

    Hermann tut hier so, als wenn zentrale Planfestlegung und Überwachung ein Widerspruch zur „Selbst“regelung der Menschen wäre. Ich meine nämlich, daß das zusammengehört. Wenn die Menschen nicht ein Haufen von nebeneinander her werkelnden Einheiten sein sollen, im Extremfall jeder Robinson sich seine Gerätschaften mit einem Rapid-Prototyper selber backt, sondern ein zusammenplanendes und zusammen integriert arbeitendes Kollektiv werden, dann muß man immer alle fragen, was sie alles wollen und was sie alle dafür machen wollen. Und nur wenn das recht weitgehend zusammenpaßt, geht das gut. Die Leute, die die Karbonmatten machen, müssen es also auch für richtig finden, daß x Prozent aller Matten für die Ultraleichtbrigade zur Verfügung gestellt wird.

    „wenn du die Ergebnisse der gesellschaftlichen Produktion nach Arbeitsleistung verteilst und nicht nach Bedarf, hast du ein konkurrierendes Kriterium der Verteilung, das der gesamten gesellschaftlichen Produktion einen anderen Zweck verpaßt.“

    Was wäre hier eigentlich das Kriterium „Arbeitsleistung“? Offensichtlich kann es doch nur die individuelle Arbeitszeit sein, denn die Menge der nützlichen Sachen, die jemand in einer Periode herstellt, hängt doch in erster Linie von der angewandten Technologie ab. Da kann der Einzelne doch überhaupt nichts für.

  70. Samson
    7. April 2011, 22:02 | #70

    … wenn im Privateigentum befindliche Produktionsmittel nur angewandt werden, wenn es sich für die Besitzer lohnt, dann macht die marktwirtschaftliche Eigentumsordnung die Menschen unfähig, für ihr Leben selbst zu sorgen …

    Der Schluss ist prätentiöser Humbug, immerhin, aber nicht mehr. Erklärt wird damit nix. Kapitalistische Produktionsweise ist per se gesellschaftliche, ganz gleich wem die Produktionmittel gehören, und zwar nicht wegen des Markts als Tauschort, sondern wegen der gesellschaftlichen Teilung der Arbeit, die innerhalb der Produktion nach wie vor stattfindet. Zu sagen, die Eigentumsordnung hindere die Menschen daran, „für ihr Leben selbst zu sorgen“, ist Käse.
    Würde nächste Woche die kommune Produktionsweise eingeführt, bestünde für niemanden mehr der Zwang, für sein „Leben selbst zu sorgen“. Denn das Leben der Leute (gleichgültig auf welchem Konsumlevel) wäre der ultimative Zweck gesellschaftlichen Produzierens. Der Verwirklichung dieses Zwecks steht die Eigentumsordnung und aller sie rechtfertigende ideologische Klimbim im Wege.

  71. Samson
    8. April 2011, 07:02 | #71

    Gemessen an Neos Überlegung …

    … daß weite Strecken der Welt noch davon geprägt sind, daß es dort „nicht genügend Reichtum“ gibt, bei Infrastruktur, z.B. Krankenhäuser, Straßen, Strom angefangen über Bildung und Ausbildung bis hin zu profanen Konsumgütern …

    … sind Diskussionen über Aufwand für Hobbies in der Tat überheblich. Vermutlich liegt darin auch der Grund, weshalb MLer aller Coleur auf proletarischem Internationalismus als ideologischer Begleitmusik einer wirklichen Revolution beharren. Weil sich offensichtlich nur so unmittelbar nach der Revolution die notwendigen Prioritäten als meinetwegen gesellschaftlicher Konsens setzen lassen.
    Andernfalls finden Umstürze eben stets nur an der Peripherie statt, und deren Protagonisten bleibt nichts übrig als die Staatsgewalt zu übernehmen, um einerseits an der Infrastruktur was zu ändern und andererseits die Imperialisten nebst deren Sympatisanten am Gegenputsch zu hindern.

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