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Corona-Burgfrieden und der liebe Vater Staat (Fabian Lehr)

27. März 2020

Das folgende Statement hat Fabian Lehr am 22.3.2020 bei Facebook gespostet:
„Es ist frappierend, was für eine mentale 180 Grad-Kehrtwende ein großer Teil der Linken innerhalb der letzten paar Wochen vollzogen hat. Noch Anfang März, als in der Lombardei die Situation bereits außer Kontrolle geriet und sich in Nordrhein-Westfalen ein deutscher Infektionsherd ausbildete, war es in der linken social media-Blase eine belächelte Außenseiterposition, die Fahrt aufnehmende Epidemie ernstzunehmen und irgendwelche durchgreifenden Maßnahmen zu ihrer Eindämmung zu fordern. Als ich Befremden und Unverständnis darüber äußerte, dass man nicht wenigstens einen Hotspot wie Heinsberg abriegelt und die damals noch sehr wenigen Infizierten alle in Krankenhausquarantaene nimmt, bevor halb Europa Wuhan wird, wurden solche Ideen als irrationale Hysterie verspottet und für außerdem völlig undurchführbar in einer Demokratie erklärt. In einer Diskussion wurde mir nahegelegt, mich in psychotherapeutische Behandlung wegen meiner sich in solchen Ideen zeigenden Angststoerung zu begeben. Plot twist: Das könnte ich jetzt gar nicht mehr, weil nun, wenige Wochen später, ganz Deutschland Hochrisiko-Seuchengebiet ist, in dem die gesamte Bevölkerung unter Ausgangssperre steht.
Und nun auf einmal der entgegengesetzte Exzess: Linke, die reihenweise den bürgerlichen Klassenstaat zur Verkörperung der Weltvernunft und Hüter des allgemeinen Wohls erklären und jeden, der Kritik an irgendeiner mit dem Virus begründeten staatlichen Kontroll- und Repressionsmassnahme äußert, als teuflischen Feind der Menschheit entlarven. Oder den Staat überholen und Menschen denunzieren und anklagen, die Dinge tun, die selbst in der Ausnahmegesetzgebung überhaupt nicht untersagt und auch kein ernstes medizinisches Risiko darstellen. Die Zahl derjenigen in meiner Bubble, die sich jetzt wutentbrannt darüber entrüsten, dass sie jemanden zum Sonnen auf der Wiese im Park liegen sahen statt sich präventiv in häusliche 24/7-Isolationshaft zu begeben, kann locker mit der Zahl derjenigen mithalten, die vor zwei bis drei Wochen noch jede Sorge über die Ausbreitung des Virus als Psychose betrachteten, die mit Hohn und Spott übergossen werden müsse. Und, schöne Pointe: Bisweilen sind das dieselben Leute.
Aber: Sind die Maßnahmen, die die europäischen Staaten jetzt endlich einmal ergreifen, denn nicht im Interesse der Allgemeinheit? Im Großen und Ganzen schon – momentan (Aber eben ungenügend – zur wirksamen Bekämpfung der Seuche müsste man mit höchster Priorität alle nicht unbedingt notwendigen Fabrikhallen, Büros und Verkehtsmittel leeren, viel dringender als die Straßen und Plätze). Aus Prinzip an Verhaltensweisen festzuhalten, die die Ausbreitung des Virus erleichtern, um damit seine Opposition gegen das Ausnahmeregiment der Staaten zu demonstrieren, wäre verantwortungslos und dumm. Die aktuellen Maßnahmen werden die Zahl der mittelfristigen Covid19-Toten um hunderttausende, vielleicht Millionen senken. Diese Maßnahmen hätten in Europa im Übrigen schon erheblich früher beginnen müssen, wenn man eine Chance hätte haben wollen, die Krankheit zu besiegen wie in China. Aber die bürgerlichen Staaten tun all das nicht, weil ihnen das Wohl der Menschen am Herzen läge. Die Kernaufgabe jedes bürgerlich-kapitalistischen Staates lautet nicht „Für ein schönes, sicheres und angenehmes Leben aller Menschen sorgen“, sondern „Die Kapitalakkumulation des nationalen Kapitals sichern, d.h. die Rahmenbedingungen gestalten und sichern, unter denen das System der Ausbeutung und Unterdrückung der arbeitenden Bevölkerung durch eine kleine Minderheit reicher Schmarotzer stabil bleiben und die Brieftaschen dieser Schicht herrschender Schmarotzer immer dicker gefüllt werden können“. Wenn bürgerliche Staaten Seuchen bekämpfen, dann nicht, weil es sie juckt, ob eure Großeltern im Pflegeheim sterben. Im Gegenteil – deren Tod wird, wie Johnson und Rutte erfrischend deutlich gemacht haben, tendenziell wohl eher als schöner Nebeneffekt verbucht, senkt deren Tod doch die Renten- und Sozialausgaben, sodass der Staat noch mehr Geld zur Verfügung hat für all die Aufgaben, die bürgerliche Staaten eben so als ihren Beitrag zur Verbesserung der Welt sehen: Banken und Millionäre beschenken, in Imperialkriegen in irgendwelchen exotischen Ländern Menschen im Dienst des nationalen Kapitals totbomben, mehr Frontex-Personal zum Ertränken oder Erschießen von Flüchtlingen anstellen, Knaeste bauen, um arme Leute einzusperren, die frech gegenüber den Besitzenden oder ihrem Staat werden.
Bürgerliche Staaten wenden an die Bekämpfung von Krankheiten nur aus zwei Motiven viele Mittel und Energie: Entweder, wenn eine Krankheit nicht eingedämmt werden konnte und die herrschende Klasse selbst bedroht. Oder, wenn die Krankheit zu einem so massiven und so langen Ausfall von Arbeitskräften zu führen droht, dass dieser Arbeitskräfteausfall unterm Strich das nationale Kapital wahrscheinlich mehr kosten wird als die Quarantänemassnahmen, die zur Eindämmung der Krankheit notwendig sind. Dass es so elend lange gedauert hat, bis die westlichen Regierungen endlich mal ernsthafte Maßnahmen gegen die Seuche ergriffen, obwohl seit Langem klar ist, dass deren unkontrollierte Ausbreitung hunderttausende Alte und chronisch Kranke töten würde, legt ja beredtes Zeugnis davon ab, wie lange man zögerte und herumrechnete, ob ein mehr oder weniger ungehindertes Durchlaufenlassen der Krankheit nicht doch volkswirtschaftlich günstiger wäre als massive lockdown-Maßnahmen nach chinesischem Muster. Dass man nun doch überall in Europa zu entschiedenen Maßnahmen greift, wird Resultat der Beobachtung sein, dass die Seuche in Europa solche Dimensionen anzunehmen droht, dass ihre weitere Ausbreitung das nationale Kapital noch mehr kosten wird als die Folgen selbst eines wochenlangen lockdown. Würde das Virus ausschließlich RentnerInnen, Arbeitsunfähige und Langzeitarbeitslose befallen, würden die Staaten kaum etwas Ernstliches gegen sie unternehmen.
Aber, wird man einwenden, ist es denn nicht egal, ob jemand aus edlen oder anruechigen Motiven das Richtige tut? Ist das nicht ein alberner Tugendethik-Fimmel? Nein. Die Feststellung, dass die bürgerlichen Staaten Seuchen nicht aus Liebe zu den Menschen bekämpfen, sondern aus Liebe zu den Konten der KapitalistInnen, bedeutet nämlich, dass die Phase, in der das Interesse des Staates zufälligerweise mal mit dem der Allgemeinheit zusammenfällt, bald auch wieder vorbei sein wird und es unverantwortlich wäre, wenn die Linke sich von nationalen Burgfriedensappellen einlullen ließe und zu Vertrauen und Dankbarkeit ggü. dem Staat aufriefe.
Ja, es gibt Situationen, in denen das Handeln des staatlichen Gewaltapparates mal mit den Interessen der Allgemeinheit uebereinstimmt. Wenn Polizisten zur Wahrung des staatlichen Gewaltmonopols einen Amokläufer aufhalten, der willkürlich PassantInnen erschießt, liegt das im Interesse der Allgemeinheit. Und ja, wenn der Staat lockdown-Maßnahmen zur Eindämmung einer ausufernden Seuche ergreift, liegt das im Interesse der Allgemeinheit. Aber so wie die Polizei in erster Linie bewaffnete Leibwache der Reichen zur Einschüchterung, Disziplinierung und Bestrafung der ArbeiterInnen und Armen ist und nur gelegentlich mal zufällig im allgemeinen Interesse handelt, so ist die staatliche Seuchenbekaempfungspolitik in erster Linie ein Programm für den ökonomischen Schutz des nationalen Kapitals, das nur begrenzt mit dem Interesse der Masse der Bevölkerung auf Leben und Gesundheit übereinstimmt.
Ich habe schon erwähnt, wie die Angst vor Unterbrechung der Kapitalakkumulation bereits dazu geführt hat, dass die medizinisch längst gebotenen Schutzmaßnahmen in der westlichen Welt erst derart verspätet in Gang gesetzt worden sind. Und bald wird der Punkt kommen, an dem die bürgerlichen Regierungen im Interesse ihres Kapitals die Seuchenschutzmassnahmen wieder zurückfahren werden, auch wenn das medizinisch eigentlich noch unverantwortlich sein sollte.
Viele Äußerungen von ÄrztInnen und VirologInnen in den letzten Tagen gehen in die Richtung, dass man den lockdown monate- oder sogar jahrelang aufrechterhalten müsste, um die Seuche ohne großes Sterben in die Knie zwingen zu können. Dazu wird es aber zweifellos nicht kommen. Ein bis vielleicht zwei Monate lockdown, auf die wir uns wohl einstellen können, sind wahrscheinlich schon ausreichend, die Weltwirtschaft in die schärfste Rezession seit 1929 ff. zu stürzen. Bei einem Jahr lockdown in allen kapitalistischen Zentren gleichzeitig wären die ökonomischen Wirkungen wohl mit denen eines globalen Atomkrieges vergleichbar. Am Ende dieses Jahres wären nahezu alle Unternehmen der Welt bankrott, wäre die riesige Mehrheit der Bevölkerung arbeitslos, ihre Kaufkraft gegen null gesunken, der Staatshaushalt jedes Landes kollabiert und jede Währung im Eimer, sei es durch Hyperinflation oder Hyperdeflation. Die kapitalistische Weltwirtschaft würde de facto nicht mehr existieren. Kein bürgerlicher Staat kann so etwas zulassen. Selbst wenn das Wiederhochfahren der Wirtschaft vor Abebben der Seuche hundert Millionen Tote bedeuten würde, wäre es nach wenigen Monaten für alle kapitalistischen Staaten alternativlos. Wenn sich in drei, in vier, in fünf Wochen zeigen sollte, dass der lockdown zur Eindämmung der Krankheit untauglich gewesen sein sollte – nun, dann werden die Staaten die Wirtschaft wohl oder übel trotzdem wieder hochfahren und die Krankheit durchlaufen lassen müssen, bis die berühmte „Herdenimmunitaet“ erreicht sein mag. Ein sozialistischer Weltstaat könnte den lockdown auch jahrelang durchhalten. Wo es keinen Zwang zur Profiterzeugung gibt, gibt es auch keinen Zwang, außer zur Lebensmittelerzeugung und für unbedingt notwendige Infrastruktur- und Pflegearbeiten die Arbeit bald wieder aufnehmen zu müssen. Ein kapitalistischer Staat kann das nicht. Entweder bleiben einige kapitalistische Staaten monatelang im konsequenten lockdown. Dann übernimmt das Kapital derjenigen Staaten, die ihre Wirtschaft wieder hochfahren, den gesamten Weltmarkt und das Kapital der im lockdown verbleibenden Staaten wird ausradiert. Oder alle Staaten bleiben vier, sechs, zwölf, achtzehn Monate im vollen lockdown. Dann gehen alle Unternehmen der Welt bankrott und die kapitalistische Weltwirtschaft hört auf zu existieren. Bevor das passiert, würde man faschistische Staatsstreiche der KapitalistInnen sehen, um das lockdown-Regiment zu beenden und ihr Wirtschaftssystem zu retten. Ergo: Sobald der lockdown volkswirtschaftlich viel teurer zu werden beginnt als ein Wiederausbrechen der Seuche, wird der Staat alle wieder an die Arbeit schicken, egal welche medizinischen Folgen das hat.
Und der dann wohl oder übel wieder anbrechende „Normalzustand“ wird ein verwandelter sein. Die bürgerlichen Regierungen werden erbittert darum kämpfen, möglichst große Teile der ihnen temporär diktatorische Vollmachten verleihenden Ausnahmegesetzgebung in die Zeit danach zu retten. Orban nutzt in Ungarn offenkundig gerade die Gunst der Stunde, das Land dauerhaft endgültig in eine faschistoide Diktatur zu verwandeln. Netanjahu zeigt ähnliche Neigungen in Israel. Und auch in Europa wird ein erheblicher Teil der Ausnahmegesetzgebung Teil einer neuen polizeistaatlichen Normalität werden, wenn es keinen massiven, kollektiven gesellschaftlichen Widerstand dagegen geben wird. Schließlich: Die Seuche kann ja wieder ausbrechen (Und wird es auch ziemlich sicher, wenn man im Interesse „der Wirtschaft“ die Schutzmaßnahmen verfrüht wieder abbricht) – also wird doch kein verantwortungsbewusster Bürger meckern, wenn der Staat sich weiterhin die notwendigen Sonderkompetenzen sichert, auch in einem, in zwei und in fünf Jahren noch alle schützen zu können, nicht wahr? Schon jetzt häufen sich die Berichte über willkürliche Schikanen und Repression durch PolizistInnen, die die Sondergesetzgebung als Freibrief betrachten, mit jedem Menschen, der sich noch im. öffentlichen Raum aufhält, zu machen was sie wollen und alle Grundrechte als aufgehoben zu betrachten. Der neue gesellschaftliche Normalzustand wird düster, wenn die Regierungen und ihre Bullen auch nur einen Bruchteil ihrer aktuell quasi unumschraenkten Befugnisse in die Zeit nach der Epidemie hinüberretten können.
Ja, die momentan geltenden Maßnahmen sind im Großen und Ganzen sinnvoll und entsprechen aktuell dem Interesse der Allgemeinheit. Der Staat und seine Organe sind dadurch aber nicht unsere Freunde geworden. Seine Motive haben nichts Menschenfreundliches an sich und der Charakter seiner Maßnahmen wird sich bald wandeln und in Gegensatz zu den Interessen der Allgemeinheit stehen. Die Linke muss sich bereit machen für die bevorstehenden heftigen Kämpfe um die Gestaltung der Zeit nach der Epidemie statt sich von der überall grassierenden abscheulichen nationalistischen Burgfriedensrhetorik sedieren zu lassen.“
https://www.facebook.com/fabian.lehr.3/posts/10219511908342584

Kategorien(2) Trotzkismus Tags:
  1. Peer
    27. März 2020, 18:40 | #1

    Ein aktueller Beitrag von Stephan Kaufmann im ND gipfelt in dem Satz: „Dass das herrschende Wirtschaftssystem Menschenleben fordert, ist im Prinzip nichts neues…“
    https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134813.geld-oder-leben.html?sstr=Stephan%20Kaufmann
    Der Artikel endet dort mit diesen Anmerkungen:
    “ In den vergangenen 20 Jahren lag die Rendite von produktivem Kapital relativ stabil bei sechs Prozent, die investierten Gelder vermehrten sich also jedes Jahr um sechs Prozent. Von diesem Wachstum ist die Versorgung der Menschen abhängig gemacht – bleibt es aus, folgen Not und Elend.
    Politik: Virus und Lock-down unterbrechen nun die Zahlungsketten und damit das Wachstum und rücken das System an den Rand des Zusammenbruchs. Das führt bei der Politik nicht zu einer Kritik am System von Produktion und Verteilung. Stattdessen nimmt sie es als gegeben hin und macht sich daran, es aufrechtzuerhalten. Mit Kredit. Die G20-Staaten haben staatliche Hilfen über 5000 Milliarden Dollar angekündigt, um die Zahlungsausfälle des privaten Sektors zu kompensieren. Einen großen Teil davon nehmen sie als Schulden auf. Ihre Zentralbanken sorgen mit mittlerweile unbegrenzten Anleihekaufprogrammen dafür, dass die Zinsen niedrig bleiben und die Regierungen nicht pleitegehen.
    Das geborgte Geld verteilen die Regierungen an Beschäftigte, Selbstständige, Unternehmen, Banken und halten so den kapitalistischen Kreislauf aufrecht – gegen die Logik des Systems, aus der eigentlich ein allgemeiner Zusammenbruch folgen würde. Diesen Zusammenbruch verhindern die Staaten mit Hilfe neuer Schulden und fingieren ein halbwegs funktionierendes Geschäftsleben: Die öffentliche Hand wird zum Kreditgeber, Investor und Kostenträger der letzten Instanz. Man kann es auch so ausdrücken: Die Staaten vergesellschaften nicht die Produktion und Verteilung, sie lassen sie in privater Hand und vergesellschaften stattdessen die Schulden, mit denen sie die Privatwirtschaft über Wasser halten.
    Mit ihren neuen Billionenschulden zahlen die Staaten den Preis dafür, dass sie das System der privaten Produktion für Profit aufrechterhalten, auch wenn es nicht mehr läuft. Ihre Schulden allerdings werden irgendwann fällig. Die Logik des Kapitals verlangt Abrechnung. Es ist insofern logisch, dass Politik, Ökonomen und Manager ein baldiges Ende des Produktionsstopps fordern, auch wenn dies Menschen gefährdet. Und es ist auch logisch, dass diese Forderung als erstes in den USA aufkommt, wo die Menschen auf Grund schwacher sozialer Absicherung stärker den Schwankungen der Marktkonjunktur ausgesetzt sind.
    Wann auch immer die Wirtschaft wieder laufen wird, sicher ist: Die Verschuldung der Welt wird gigantisch aufgebläht sein. Ein Teil der staatlichen Schulden wird in den Bilanzen der Zentralbanken liegen, der Staat hat sie damit quasi bei sich selbst. Der andere Teil wird als globales Finanzvermögen – in Form von Staatsanleihen – in den Händen privater Investoren existieren. Letztere sollte man nicht vergessen, wenn am Ende die Frage gestellt wird: Wer zahlt?“
    https://www.neues-deutschland.de/artikel/1134813.geld-oder-leben.html?sstr=Stephan%20Kaufmann

    Als Idealismus wird das Bild von guter Herrschaft übrigens trotzdem von Kaufmann festgehalten: „Das führt bei der Politik nicht zu einer Kritik am System von Produktion und Verteilung. Stattdessen nimmt sie es als gegeben hin und macht sich daran, es aufrechtzuerhalten.“ – Bürgerlichen Politikern vorzuhalten, dass sie ihr System als „gegeben“ nehmen, hat, angesichts der Selbstverständlichkeit, mit der allen Politikern sowieso nur dies als Möglichkeit vorschwebt (mit nahezu 100 % Zustimmung im Bundestag zu dem Maßnahmepaket) doch im Idealismus, dass bürgerliche Herrschaft eigentlich viel besser gehen könnte, etwas reichlich Ignorantes an sich.
    Ein Aufruf zum Sturz eines solchen Systems … läse sich anders. Vor allem müsste er die Adressaten eines solchen Aufrufes – und das sind vermutlich nicht zuerst die herrschenden Politiker – davon überzeugen. Dass ein politischer Generalstreik als kämpferische Perspektive nirgends in Sicht ist, – das liegt nämlich nicht am Social Distancing…

  2. Schneeflocke
    28. März 2020, 09:23 | #2

    Ein sozialistischer Weltstaat könnte den lockdown auch jahrelang durchhalten. – Fabian Lehr
    Wer nochmal eine Idee haben will, was alles geht, wenn es nicht nur um den Profit geht, das Unterkapitel „Infrastruktur“ u.a. zu empfehlen:

    Und das war nur realsozialistisch!

  3. Krim
    28. März 2020, 15:22 | #3

    „Als Idealismus wird das Bild von guter Herrschaft übrigens trotzdem von Kaufmann festgehalten: „Das führt bei der Politik nicht zu einer Kritik am System von Produktion und Verteilung. Stattdessen nimmt sie es als gegeben hin und macht sich daran, es aufrechtzuerhalten.“ „

    An solchen Formulierungen Idealismus zu kritisieren halte ich nicht für korrekt. 1. Weil man ja mittlerweile weiß, dass Kaufmann kein bürgerlicher Idealist ist. 2. Die Argumentation funktioniert ja so, dass Kaufmann eine fiktive Alternative aufstellt, aber nicht um zu sagen, das müsste so sein, sondern deutlich zu machen, dass es den Politikern, um etwas anderes geht. Er sagt: Vernünftigerweise müsste man jetzt zu einer Kritik von Produktion und Verteilung kommen, aber vernünftig geht es nicht zu. 3. rein formal: Das die Politik etwas nicht macht, bedeutet nicht das Kaufmann meint, dass die Regierung das machen müsste. Er hält fest, dass die Regierung das Gegenteil von dem macht was geboten wäre. Sie tut alles um das System aufrechtzuerhalten und das wiederum wird dazu führen, dass die Wirtschaft wieder gebootet wird, und die dann anfallenden Opfer werden in Kauf genommen.

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