Die IKL hat ein ultraknappes Flugblatt für Griechenland herausgebracht (17.07.2015):
„Repudiate Syriza’s Sellout to the EU! ENOUGH!“
Schon bei der Hauptlosung bin ich ins Grübeln gekommen: Warum eigentlich „Repudiate“? Diese Losung hat die IKL früher nie benutzt, erst in diesem Jahr kam das auf bei Propaganda zu Griechenland. Dann frage ich mich natürlich, an wen sich das richten soll, offensichtlich nicht an die Arbeiterklasse, die, wenn sie den Kapitalismus in Griechenland niedergerungen haben sollte, natürlich auch alle Deals, Gesetze, Schulden usw. der EU wegräumen bzw. nicht mehr anerkennen würde. Aber so fangen die Spartakisten eben gerade nicht an, also ist das wohl eine Forderung, die eine weiter kapitalistische aber linkere Regierung umsetzen soll. Hm.
Daß die IKL auch zu denen gehört, die im Deal von SYRIZA einen Ausverkauf sehen, wundert nicht. Ich halte das für grundlegend falsch, denn SYRIZA hat immer klar gemacht, daß sie eine „Lösung“ in der EU und mit der EU suchen. Aber was ist denn „jetzt“ „genug“? Die Politik von SYRIZA, die Politik der EU, die kapitalistische Krise, gar der Kapitalismus? Es hat immer etwas recht Affirmatives, wenn Gewerkschaftsaktivisten oder Linke als Parole aufstellen, „Jetzt ist es aber genug mit …“. Als wenn die vorhergehende Situation qualitativ besser gewesen wäre, als wenn man auch nicht schon „damals“ hätte sagen können, daß „es“ „genug“ war.
Es wird dann wiederholt bzw. ausgeweitet: „The EU and euro must be repudiated“. Also immer noch von einem kapitalistischen griechischen Staat. Denn das Arbeiter an der Macht natürlich nicht mehr mit und für EU-Euro-Geld arbeiten würden, ist ja wohl selbstverständlich.
Was dann kommt, ist Dutzendware linker Propaganda: „Committees composed of workers from different tendencies and their allies—youth, unemployed, immigrants, pensioners—must be set up throughout the country to struggle for this and toward a government which will act in the interests of the working people and be subordinated to them. This battle cannot be won within a parliamentary framework.“
Wenn die Arbeiter in Griechenland antikapitalistisch orientiert sein werden, dann werden sie sich sicher auch dementsprechend organisieren müssen. Jetzt gibt es aber überhaupt kein solches Massenbewußtsein, daß „nur“ noch der organisatorischen Zusammenfassung harren würde.
Gegen die anschließenden Appelle an die Arbeiter in den anderen europäischen Staaten ist natürlich nichts einzuwenden, es ist naheliegend daß antikapitalistische Bewegungen in kleinen Teilgebieten der EU, hier ungefähr so viele Menschen betreffend wie in Bayern, ohne massivste Unterstützung einer europaweiten Arbeiterbewegung es nicht sonderlich weit bringen können.
Nur was soll dann die komische Parole „Break with the Capitalists and their Banks!“ Wie bricht man denn damit, ohne das kapitalistische System durch eine Arbeiterrevolution aus den Angeln zu heben? Und dann „bricht“ man auch damit nicht und nicht nur damit, sondern dann wird das abgeschafft, das ist was fundamental anderes.
Nun zu den konkreten „Tagesforderungen“:
„Cancel the debt! Down with the euro and the EU! Rip up the Third Memorandum!“
Das kann ja nur wieder eine Forderung an eine weiterhin kapitalistische Regierung sein, denn wenn damit „nur“ gemeint sein sollte, daß ein Rotes Griechenland sowas als Allererstes tun würde, dann hätten die das ja auch sagen müssen. So klingt das wie bei allen andren Linken, die jetzt einen Grexit, also eine autarkistische, kapitalistische, dann eben ganz hausgemachte Austeritätspolitik fordern.
„For common class struggle of Greek, German and other European workers against Schäuble, Merkel, Hollande and all the EU criminals!“
Wer hätte schon was gegen gemeinsamen Klassenkampf, der tut in der Tat not. Aber warum werden die führenden Politiker (und all die anderen EU-Politiker und Bürokraten wahrscheinlich bis in die EZB) als „Kriminelle“ bezeichnet. Warum nicht gleich Parolen gegen das „Schweinesystem“ wie vor 40 Jahren von der RAF?
„Abolish the VAT and all regressive taxes! Decent housing for all, no evictions! For workers control of food distribution and prices!“
Das ist eine komische Melange von linkskeynesianscher Nachfragepolitik, die unter der Vorherrschaft der EU-Diktate offensichtlich völlig systemwidrig ist und ohne deren Sturz auch nicht mal in einem linkskeynesiansischen Griechenland zu haben wäre. Ordentliche Wohnverhältnisse für alle bei weiterhin geltendem Privateigentum an Grund und Boden, was eben zu Rausschmissen aus den Wohnungen von Menschen führt, die ihre Miete nicht mehr bezahlen können, ist eine völlige Illusion. Ordentliche Wohnungen kann es gerade in einem Land wie Griechenland erst geben, wenn einige Jahre beherzter kommunistischer Planwirtschaft die gröbsten Probleme gelöst haben. Jetzt, wo es null antikapitalistische Massenbewegungen gibt, das, was es noch vor Jahren in diese Richtung gab, scheint erheblich zusammengeschrumpft und demoralisiert zu sein, Forderungen aufzustellen, die mal gerade in einer Situation von Doppelmacht Sinn machen würden, wo die Stärke der Arbeiterklasse schon beinahe dazu ausreicht, dem Staat und seinen Preisen insgesamt den Gar aus zu machen, wird völlig verpuffen.
„Expropriate the banks, utilities, transportation, ports and shipping industry! Industrialize Greece!“
Wenn hier von Enteignungen gesprochen wird, dann soll die doch ein immer noch kapitalistischer Staat durchführen, denn die Arbeiter an der Macht würden natürlich alle kapitalistischen Unternehmen enteignen und nicht nur die paar Banken. Die Banken in Griechenland sind zudem ja praktisch schon in Staatshand bzw. unter Staats- respektive EU-Kontrolle. Für die Arbeiterklasse bisher wahrlich bisher kein Gewinn. Irre ist dann die bombastische Aufforderung an die Tsipras-Regierung (oder deren Nachfolger), Griechenland bitte schön zu industrialisieren. Da wird einem noch jeder exkommunistische SYRIZA-Top-Staats-Bürokrat (z.B. von Blaumachen bis an die Spitze des Telekommunikationsministeriums gekommen) sagen, ja das versuchen sie doch die ganze Zeit. Nur kriegen sie dafür eben von der EU leider kein Geld (nun gut, ein paar Milliarden aus dem Staatsenteignungsfonds sind symbolisch dafür natürlich schon vorgesehen, die EUler sind ja keine Unmenschen). Daß die Arbeiter an der Macht selbstverständlich alle Resourcen, die im Lande vorhanden sind, auch für eine planmäßige Ausweitung der industriellen Güterproduktion einsetzen würden, halte ich für selbstverständlich.
„For decent pensions for all retirees pegged to the cost of living, now! Quality health care for all!“ Da sollte man meinen, ja, natürlich sowas Selbstverständliches, das gehört her. Nur im Kapitalismus ist sowas eine Schimäre, da sehen „Mindestlöhne“ und „Garantierenten“ und das Gesundheitswesen eben so aus, wie sie in allen Staaten aussehen. In Griechenland natürlich noch schlimmer und schlimmer geworden und noch schlimmer werdend, „dank“ EU-Politik.
„Fight unemployment—Jobs for all through a shorter workweek with no loss in pay!“
Das ist eine typische in sich widersprüchliche „Übergangsforderung“: Im Kapitalismus werden aber Jobs nur angeboten, wenn der Arbeitgeber damit Gewinn machen kann. Wenn also die Arbeitszeiten gekürzt werden sollen, dann geht das für Kapitalisten schon, aber eben nur mit Lohnkürzungen. Daß alle Menschen, die arbeitsfähig und arbeitswillig sind, was Vernünftiges tun können, das erfordert die Abschaffung der Lohnarbeit. Dann wird die dann notwendige Arbeit in vielen Bereichen sicher auch kürzer sein können als bisher, schon weil alle Hand anlegen dürfen, aber genau das muß man den Arbeitern auch klar machen. Lohnarbeit für alle ist keine besonders gute Forderung. Jedenfalls, wenn sie von Komunisten kommt.