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Marxistische Gruppe, Juni 1983: Argumente zum 17. Juni

15. Juni 2013

WORUM GING ES BEI DEN PROTESTEN DES 17. JUNI 1953?
Was auch immer am 16. und 17. Juni 1953 in der DDR tatsächlich losgewesen sein mag, eins ist damals ganz gewiß nicht passiert. Daß da „unsere” von Moskau und Pankow geknechteten „Schwestern und Brüder” eine spontane Demonstration für ihre „Befreiung” durch NATO-Panzer und -Raketen von der „russischen Fremdherrschaft” angezettelt hätten, das ist ein Gerücht der westlich-freiheitlichen und deutsch-nationalen Feindbildpflege und sonst nichts.
Die Sache mit der Normenerhöhung
Die Lieblingskinder freiheitlich-westdeutscher Legendenbildung um den 17. Juni sind die Ostberliner Bauarbeiter, die mit ihren Streiks und Protestkundgebungen gegen die Heraufsetzung der für die Lohnabrechnung maßgeblichen Normalleistung den eintägigen Aufruhr ausgelöst haben. Genau dieselben Machthaber des Westens, denen die eigenen „Arbeitsplatzbesitzer” nie genug leisten, nie wenig genug verdienen, nie anspruchslos und dankbar genug sein können, geilen sich da an dem bißchen proletarischen Materialismus auf, mit dem einige -zigtausend Arbeiter dem „sozialistischen Aufbau”-Programm ihrer Staatspartei in die Quere gekommen sind. Und einzig und allein deswegen begeistern diese Herrschaften sich daran: weil damit die Schwierigkeiten, die sie ihrem Feindstaat im Osten bereitet haben, noch zusätzlich gewachsen sind. Eine hundsgemein berechnende Sympathie! Dabei haben die Machthaber in den kapitalistischen Demokratien des Westens ihren volksdemokratischen Kollegen im Osten ausgerechnet den einen „Vorteil” voraus: Im „realen Sozialismus” muß die Staatsführung ihre Leute immerzu moralisch anquatschen und agitieren, damit die bei angeordneten Normerhöhungen mitziehen, sich mehr Leistung für weniger Lohn abknöpfen lassen; und wo die Staatsgewalt diesen „Fortschritt” mit Zwangsmitteln durchsetzen will, ist für die Betroffenen gleich alles klar. Hierzulande brauchen die verantwortlichen Staatsmänner „bloß” ihrer wichtigeren gesellschaftlichen Klasse ihr Eigentum zu schützen und zu fördern – dann setzt die mit ihrer gesetzlich geschützten Freiheit alle Leistungssteigerungen und Lohnsenkungen per Preissteigerung und „Arbeitsplatz”-Gestaltung als „Sachgesetz” in die Welt; und die Arbeiter haben die heiße Wahl, sich dem Diktat ihrer Firma zu fügen oder ‚rauszufliegen. Deswegen haben die Ostberliner Bauarbeiter ihren regierenden „Sozialisten” auch im Nu die Zurücknahme der Normerhöhung abgetrotzt. Im freien Westen hat derweil die freie Marktwirtschaft Normerhöhungen und Preissteigerungen zum alltäglichen Normalfall gemacht und so ein „Wirtschaftswunder” zustandegebracht!
Die Sache mit der Freiheit
Nationalistisch genug waren sie schon, die streikenden Arbeiter und die Demonstranten in der DDR, um ihren Protest in nichts als eine Demonstration ihres ohnmächtigen Nationalismus einmünden zu lassen – der RIAS aus Westberlin lieferte dafür die Parolen. Den Grund ihrer wenig schönen Lage: den Widerspruch zwischen dem Programm, eine respektable Staatsgewalt aufzumachen, und der Wohlfahrt der Untertanen, ließen sie sich in die Vorstellung übersetzen, sie hätten die falsche Hälfte, das weniger ehrenwerte Staatsgewaltprogramm und die verkehrten Herren erwischt. (Schließlich mußten sie sich im Osten auf neue Verhältnisse und andere Macher einrichten als im „tausendjährigen Reich” – das blieb den Volksgenossen im befreiten Westen so ziemlich erspart …!) „Der Spitzbart (= Walter Ulbricht) muß weg!” war nie als Kritik der Herrschaft gemeint, sondern nur die Parole des patriotischen Wahns, eine bessere Herrschaft würde ihrem Menschenmaterial nützen – wo sie es doch bloß besser benützt! Und diesen untertänigen Wunsch nach besseren Herren ließen die unzufriedenen Ostdeutschen sich gleich auch noch in den Wunsch nach der Methode übersetzen, mit der die demokratische Herrschaft ihre Untertanen auf Gehorsam verpflichtet: „Freie Wahlen!” – Inbegriff eines Herrschaftssystems, wo die Ermächtigung durch die Untertanen jede Rücksichtnahme auf ihre Interessen ersetzt, ja verbietet! Und damit hatten die Agitatoren der westlichen Freiheit den kurzen Aufruhr von DDR-Bürgern dort, wo sie ihn haben wollten: in ihrer Sammlung von „Beweisen”, daß die Herrschaft über ganz Deutschland nur dem „System” zusteht, für dessen Wucht die NATO geradesteht – mit Panzern für die „Überzeugungsarbeit” und Atomraketen als bestem „Argument”!

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Bakunin
    16. Juni 2013, 23:35 | #1

    Da möchte man doch gleich wieder so in sich hineinschmunzeln, bei diesem inzwischen schon 30 Jahre alten Text der MG.
    So kennt man sie ja.
    Doch leider stimmt der Inhalt auch heute noch genauso wie damals, wie übrigens auch das „Manifest gegen den DGB“(es bräuchten da bloß ein paar belanglose Namen ausgetauscht werden) von 1982.
    Inzwischen bekamen die unzufriedenen DDRler ja im März 1990 die „freien Wahlen“ von den Bonner Parteien CDU/CSU/FDP/SPD/Grünen gratis, denn die parteipolitischen DDR-Wurmfortsätze dieser Bonner Alt-Parteienkartells wurden ja direkt aus Bonn finanziert, ausgehalten, und seither gingen etwa 2,6 Mio Ossis als Lohnknechte quer durch Europa stiften – zum frisch-fröhlichen kapitalistischen Lohnknechten.
    Unsere armen Ossis, dass alles hätten sie doch eigentlich schon 1953 haben können, trotz Stalin-Note.
    Bekommt jedes Proletariat doch die Herrschaft, die Ausbeuter, die es verdient, nach denen es seufzt?
    Die Ossis sollten jedenfalls nicht klagen, ihre Wünsche wurdem vom großen dicken Onkel aus Bonn/Rhein bestens bedient!

  2. Mattis
    17. Juni 2013, 18:00 | #2

    Dass in der DDR „Herrschaft“ gewesen sei, wird üblicherweise mit diktatorischer Bevormundung. Kritikverbot etc. belegt, nicht mit einem Inhalt der Herrschaft. Dieser ist ja im Falle des Realsozialismus gar nicht so einfach zu benennen. Dass da Reichtum „für den Staat“ produziert wird, ist eine zu simple Formel, denn erstens haben auch die Leute im Staat durchaus was zum Leben gehabt, und zweitens kann der Staat ja immer darauf verweisen, dass er selbstverständlich Mittel braucht für allgemeine Fonds wie Verkehrswesen, Krankenhäuser etc., die ja auch für die Leute da sind.
    Das Wörtchen „Staat“ also ist für sich genommen keine Kritik, auch nicht der Verweis darauf, dass Arbeit für allgemeine Ressourcen den Konsumtionsfonds schmälern. Was tatsächlich die „Herrschaft“ qualitativ ausmacht, ist also mit solchen Statements nicht benannt, sondern der Gegensatz Staat zu Volk ist dabei immer schon unterstellt. Die meisten Leser solcher Formeln findens trotzdem einleuchtend, dass da „Herrschaft“ der Fall war: sie denken an „keine Bananen“, an „Systemkritik verboten“ und an „Macht der Bürokratie“.

  3. Gabagaba
    18. Juni 2013, 11:16 | #3

    Wir haben eine kleine Broschüre zuum Thema herausgebracht…vielleicht interessierts ja…. http://www.syndikat-a.de/index.php?p=productsMore&iProduct=5767&sName=V-73-S.Lohoff–Der-17.-Juni-1953

  4. Wat.
    21. Juni 2013, 22:14 | #4

    @Mattis: Mir sei eine (rhetorische) Frage erlaubt: Geht es bei Ausbeutung um Mittelverwendung oder Mittelherkunft 😉

  5. franziska
    22. Juni 2013, 10:52 | #5

    Bei der Legitimation von Macht-Verhältnissen geht es manchmal ums eine (Mittelherkunft: ganz toll effizient organisiert, geht nicht besser) als auch ums andre (Mittelverwendung: Laptops billig wie nie, Bildung für alle), sogar um das Verhältnis zwischen beidem (dass deine Arbeit sich auszahlt, dafür sorgt dieses grossartige System).
    Um die Frage, ob es noch Herrschaft ist, wen solch eine Legitimation massenhaft akzeptiert wird, wird derzeit bei Nestor schon wieder bzw. immer noch gestritten.
    Herrschaft, Ausbeutung, Zwang sind kritische, wenn nicht Kampfbegriffe, mit denen gegen Legitimationsversuche „de-legitimatorisch“ angearbeitet wird (dazu gehören theoretisch-beschreibende Aussagen von der Art, dass da Leute sich massenhaft über ihr Interesse täuschen und dergleichen).
    Es ist aber auch ein wesentlicher Perspektiv-Unterschied, ob man ÜBER Leute redet, oder MIT ihnen, und auch da wieder als einer VON ihnen: „X ist nicht gut für uns (alle)“. Wenn sich da hinreichend viele sichtlich einig sind, und entsprechend nur noch hinreichend wenige (erfolgreich) versuchen, mit hinreichend viel Gewalt die vielen an der Umsetzung ihres Willens zu hindern, ist die Rede von Herrschaft/Zwang/Ausbeutung angebracht.
    Vordergründig ist also Mattis rechtzugeben: Die Frage der Schädlichkeit (die ihrerseits ein Stück weit im Auge der Betrachter liegt) ist doch die eigentlich wichtige.
    Es gibt aber noch andre Verhältnisse, und für die haben wir derzeit wenig Worte.
    Denn… es könnte ja sein, dass die Formel „die/wir sind ja nie gefragt worden, ob…“ ein Gegenstück hat in Gestalt von „darüber haben wir uns noch nie Gedanken gemacht, und es ist uns auch zuviel“. Oder auch „wie sollen WIR das denn beurteilen?“ Oder „Macht doch, was ihr wollt, dafür haben wir euch schliesslich gewählt“

  6. Mattis
    22. Juni 2013, 12:14 | #6

    @franziska:

    „Es ist aber auch ein wesentlicher Perspektiv-Unterschied, ob man ÜBER Leute redet, oder MIT ihnen, und auch da wieder als einer VON ihnen: „X ist nicht gut für uns (alle)“. Wenn sich da hinreichend viele sichtlich einig sind, und entsprechend nur noch hinreichend wenige (erfolgreich) versuchen, mit hinreichend viel Gewalt die vielen an der Umsetzung ihres Willens zu hindern, ist die Rede von Herrschaft/Zwang/Ausbeutung angebracht.“

    Das hört sich jetzt danach an, als ob das subjektive Empfinden das Hauptkriterium sei beim Begriff der Herrschaft. Wenn man sich anschaut, dass fast überall das jeweilige Volk für „seinen“ Staat Partei ergreift, könnte man oberflächlich gesehen annehmen, dass das alles freie, selbstbestimmte Assoziationen seien.
    Mehr als Vorwürfe der Unfähigkeit und Korruption kommt da in der Regel nicht, und wenn doch, passiert was ganz irres, was momentan auch in Brasilien wieder sehr plastisch zu sehen ist: dort verlangen die Protestierenden von den mitdemonstrierenden Radikalen, die systemkritischen Spruchbänder einzurollen. Außer öffentlicher Anerkennung – auch durch die Poltiker! – und vielen Versprechungen wird ihnen das nichts einbringen.

  7. Mattis
    22. Juni 2013, 12:17 | #7

    @Wat.:

    „@Mattis: Mir sei eine (rhetorische) Frage erlaubt: Geht es bei Ausbeutung um Mittelverwendung oder Mittelherkunft“

    Ich habe den Begriff Ausbeutung nicht verwendet, weil er zwar als moralische Anklage schnell zur Hand ist, aber gerade bezüglich der DDR besonders schwierig zu fassen ist.
    Was ich von ehemaligen DDR-Bürgern oft höre, ist: die Parteibonzen haben es sich gut gehen lassen auf Kosten des Volkes. Das ist aber m.E. gar nicht der Punkt: denkt man sich den Lebensstandard der Parteileute und Betriebsleiter mal umgerechnet je Kopf der Gesamtbevölkerung, reicht das allenfalls für ein neues Fahrrad, das wars dann schon.
    Die Ärmlichkeit des „Realsozialismus“ hat vielmehr zu tun mit der Übernahme von Methoden und Mitteln des Kapitalismus (also Sachen wie Gewinnrechnung, Lohn als Kostenfaktor etc.), diese aber ohne Kapitalisten und ohne freien Markt.
    So ein ausgebremster, staatlicher Kapitalismus bedeutet zwar nicht mehr: Ausbeutung zugunsten einer arbeitsfrei lebenden Klasse, bewirkt jedoch eine permanente Selbstblockade der Ökonomie. Aber statt dass man diesen Unfug kritisiert hätte – zugunsten einer direkt organisierten Produktion, schimpfte man lieber auf die Partei, von wegen Korruption etc. und landete am Ende sogar beim Wunsch nach Rückkehr zum kapitalistischen Original, denn man hatte ja Sozialismus pauschal gleichgesetzt mit Bürokratieherrschaft. Das kennt man ja auch von „Kritikern“ hierzulande: Unfähigkeit und Vetternwirtschaft sollen Schuld sein an allen Schlechtigkeiten, bloß um Himmels willen keine ökonomische Systemkritik.

  8. franziska
    22. Juni 2013, 12:29 | #8

    Wenn man bloss einen (oder „den“) Begriff hat, um Sachverhalte einzuordnen (zB hier: freie Assoziation – ja oder nein?), wirds in der Tat manchmal schwierig. Wenn einem die Worte fehlen, sollte man vielleicht mal ein paar neue bilden/definieren. Man nennt das auch „differenzieren“.
    (Um den Unterschied mal zuzuspitzen..)

  9. Bakunin
    22. Juni 2013, 13:10 | #9

    Mattis 22. Juni 2013 um 12:17 Uhr
    „So ein ausgebremster, staatlicher Kapitalismus bedeutet zwar nicht mehr: Ausbeutung zugunsten einer arbeitsfrei lebenden Klasse, bewirkt jedoch eine permanente Selbstblockade der Ökonomie.“
    Sehr gut auf den Punkt gebracht!
    Diese allmähliche Selbstblockade der Ökonomie begann in der UDSSR schon in den 60er Jahren, ergriff später alle übrigen soz. Staaten.
    Es ist schon traurig, wie viele der angeblichen Linken, Sozialisten oder gar Kommunisten sich lieber moralisch aufplustern wegen „Unterdrückung“, „Parteidiktatur“, ohne sich mal eingehender mit dieser ein wenig seltsamen Ökonomie des realen Sozialismus zu befassen.
    Den realen Sozialisten ist ja nicht vorzuwerfen, dass sie nicht sofort alle kapitalistischen Wirtschaftsweisen auf einen Schlag samt des Geldes abgeschafft haben, sondern, dass sie sich offenbar nur sehr wenig Gedanken über den besten Weg zu einer wirklichen kommunistischen Ökonomie machten, stattdessen glaubten, mit einer zunächst nur verstaatlichten Ökonomie bei Volkseigentum an den Produktionsmitteln eine Art „sozialen“ „Volkskapitalismus“ auf sehr lange Dauer aufziehen zu können, mit immer mehr „bewussten Anwendung des Wertgesetzes“.
    (Das tun ja auch die Kapitalisten ganz gut!)
    Stalin wollte ja noch das damals noch in Teilen der UDSSR-Wirtschaft waltende Wertgesetz Schritt für Schritt überwinden, seine Nachfolger wollten es immer wirksamer anwenden.
    Ich denke, der Kommunismus braucht schon eine brauchbare Politische Ökonomie, und ein paar Fingerzeige dazu finden sich im „Kapital“ und den „Grundrissen“.
    Aber immerhin: Die Ausbeutung war abgeschafft, alles was produziert, geschaffen wurde, wurde relativ gleichmäßig auf alle Menschen verteilt, und in den alten Hütten von „Wandlitz“ hätten sich wahrscheinlich noch nicht mal die Hunde eines typischen imperialistischen Hinterhof-Diktors aus Afrika wohlgefühlt.

  10. Wat.
    22. Juni 2013, 13:20 | #10

    @Mattis
    Setzt gesellschaftlich „Herrschaft“ auf etwas anderes als aufs „Ökonomische“? Nein, mE nicht…
    Ich hatte extra den Einwurf mit der Mittelverwendung und Mittelherkunft gebracht. Es geht eben nicht darum, ob es sich da irgendwelche Parteibonzen auf anderer Kosten haben gut gehen lassen. Allein der Blick auf Wandlitz wäre da der Lacher schlechthin für mich…, denn das könnte oder wollte ich so nicht sagen.
    Aber die Mittel kamen von den Arbeitenden, den Werktätigen, die an keiner Stelle darüber entschieden, ob und welche Mittel sie schaffen und wofür sie verwendet werden sollen.
    Daß da dann wieder in ihre ‚Richtung‘ umverteilt wurde, ist da nebensächlich, sie hatten keinen ‚regulären‘ Weg (keine ‚reguläre‘ Möglichkeit) gehabt, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
    … auf das „Wie wird umverteilt“ hatten sie keinen Einfluß, genauso wenig wie darauf, was überhaupt zum Umverteilen da war.

  11. Mattis
    22. Juni 2013, 14:48 | #11

    @Wat.:

    „Daß da dann wieder in ihre ‚Richtung‘ umverteilt wurde, ist da nebensächlich, sie hatten keinen ‚regulären‘ Weg (keine ‚reguläre‘ Möglichkeit) gehabt, wenn das nicht der Fall gewesen wäre.
    … auf das „Wie wird umverteilt“ hatten sie keinen Einfluß, genauso wenig wie darauf, was überhaupt zum Umverteilen da war.“

    Man mag ja wie du feststellen, dass die Arbeitenden nicht viel zu melden hatten, was die Produktionssteuerung anging, aber mir stellt sich dann die Frage: was hätten diese tatsächlich anders gemacht, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätten?
    Hätten sie die Prioritäten anders gesetzt? Hätten sie beschlossen: weniger Traktoren, mehr Trabbis? Oder: weniger Autos, dafür mehr Wohnungen? An den selbstgeschaffenen Schranken der Ökonomie hätte das alles nichts geändert, es hätten sich nur andere Varianten des Mangels ergeben.
    Sie hätten auf jeden Fall das System selbst, dessen bis dato bestehende ökonomische Regeln, kritisieren müssen, aber eine solche Systemkritik gab es doch sogar hinter vorgehaltener Hand nicht. Ist mir jedenfalls nicht bekannt, und auch nach dem Mauerfall hat sich ja keine relevante Systemkritik geoutet. Was hätte also in der DDR mehr Selbstbestimmung geändert, außer für den Realsozialismus noch mehr als ohnehin den eigenen Kopf hinzuhalten?
    Insofern bleibt die inhaltliche Frage, also: was hat diese Ökonomie für Prinzipien gehabt, für mich die vorrangige. Ich denke, wenn man geklärt hat, warum der Realsozialismus auf so merkwürdige Weise produziert hat, dann lässt sich auch die Frage eher beantworten, wieso die Massen da nicht viel mitentscheiden sollten.

  12. Wat.
    22. Juni 2013, 15:21 | #12

    @Mattis
    „Man mag ja wie du feststellen, dass die Arbeitenden nicht viel zu melden hatten, was die Produktionssteuerung anging, aber mir stellt sich dann die Frage: was hätten diese tatsächlich anders gemacht, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätten?“
    Für mich stellt sich die Frage so nicht, weil sie ja (bis heute, damals schon gar nicht) die Produktion nicht in die eigene Hand nehmen wollten.
    Sie hätten es auch vom Können her (unabhängig etwaiger Machtverhältnisse) noch nicht gekonnt.
    … möglicherweise ‚wollten‘ sie es schon darum nicht.
    „Sie hätten auf jeden Fall das System selbst, dessen bis dato bestehende ökonomische Regeln, kritisieren müssen, aber eine solche Systemkritik gab es doch sogar hinter vorgehaltener Hand nicht. Ist mir jedenfalls nicht bekannt, und auch nach dem Mauerfall hat sich ja keine relevante Systemkritik geoutet. Was hätte also in der DDR mehr Selbstbestimmung geändert, außer für den Realsozialismus noch mehr als ohnehin den eigenen Kopf hinzuhalten?“
    Das System wäre auseinander geflogen!
    Denn es kann nur planen eine (bestimmte) Gruppe oder alle gemeinsam.
    Wer plant, muß dafür über die Produktionsmittel verfügen!
    … und verfügt damit auch über die Menschen, die diese ‚bedienen‘ sollen.
    Insofern würde mE auch jedes ’neue‘ System, wo anfangs eine Gruppe oder nur eine dafür ‚abgestellte‘ Gruppe plant, auseinander fliegen, wenn sich auch nur in Teilbereichen Menschen auf den Weg machen, selbst und gemeinsam zu bestimmen/ zu planen.
    An dem Punkt, selbst und gemeinsam zu planen, waren die Werktätigen aber (noch) nicht.
    So etwas muß ‚erlernt‘ werden. So etwas zu lernen, ergibt sich aus einem Aneignungsprozeß, in dem Menschen in immer mehr Bereichen selbst gemeinsam füreinander tun wollen…, um es dann irgendwann im ganzen auch zu können.
    … um das wiederum zu ‚lernen‘, muß das von diesen Menschen gewollt sein.
    „Insofern bleibt die inhaltliche Frage, also: was hat diese Ökonomie für Prinzipien gehabt, für mich die vorrangige. Ich denke, wenn man geklärt hat, warum der Realsozialismus auf so merkwürdige Weise produziert hat, dann lässt sich auch die Frage eher beantworten, wieso die Massen da nicht viel mitentscheiden sollten.“
    Meine (sorry, etwas saloppe) Antwort, finde Du Deine:
    Den Menschen eine gute Welt bringen, ohne diese immer wieder zu fragen und entscheiden zu lassen, was diese denn für gute Welt halten. :~)
    (Ohne mit der Wertproduktion ‚fertig‘ zu sein, wird die Welt, die dabei herauskommt, immer nur wieder eine sein, die Herrschaft ‚erzeugt‘)

  13. Gabagaba
    23. Juni 2013, 13:18 | #13

    Ich denke die folgende rätekommunistische Position Paul Matticks bringt es ganz gut auf dem Punkt. Was fehlt ist eine weitergehende Untersuchung der Subjekte, die sich bisher schlicht weigern ihre „historische Mission“ endlich mal zu erfüllen.:-) Da können Leute wie Reich oder Fromm u.U. weiterhelfen, die mit dem Begriff des „autoritären Charakters des Massenmenschen“ arbeiteten. Ich denke, da ist einiges richtig dran. Gerade die arbeitende Klasse der ehemaligen DDR ist übergangslos vom Naziregime in die nächste extrem autoritäre Gesellschaft „gerutscht“. Das macht was mit dem Menschen…und da sollte mensch in Sachen Emanzipation“ den Korb nicht zu hoch hängen“.
    Zitat:
    „Nehmen wir uns von den verschiedenen staatskapitalistischen Systemen Rußland zum Beispiel, da es das erste und mächtigste staatskapitalistische Land ist. Es unterscheidet sich grundsätzlich nicht nur vom alten Konkurrenzkapitalismus, sondern auch von der heutigen gemischten kapitalistischen Wirtschaft. Von einem kapitalistischen Standpunkt aus gesehen, stellt der Staatskapitalismus eine neue Produktionsweise dar, da er das Privateigentum an den Produktionsmitteln aufgehoben hat. Für die Kapitalisten, die der Staat expropriiert hat, erscheint der Staatskapitalismus als Sozialismus; das eine wie das andere bedeutet für sie dasselbe. In beiden Fällen finden sie sich ihres kapitalistischen Besitzes enteignet. Vom Standpunkt der Arbeiter sieht es jedoch anders aus. An ihrer Lage ändert sich nichts. Sie unterstehen nach wie vor dem Lohnsystem und damit der Ausbeutung; sie haben keinerlei Bestimmung über ihre Arbeitsbedingungen, über ihre Produktion und deren Verteilung. Eine über sie verfügende privilegierte Schicht, die sich auf die Staatsbürokratie stützt und ein Teil dieser ist, tritt ihnen genauso gegenüber wie die früheren kapitalistischen Unternehmer. An ihrer sozialen Lage hat sich nichts verändert. Trotzdem ist der Unterschied zwischen Staats- und Privatkapital fundamental, da die Enteignung des Kapitals die kapitalistische Marktkonkurrenz aufhebt und die Planung der Wirtschaft, recht oder schlecht, erlaubt. Die geplante Produktion, wie früher die ungeplante, dient der Reproduktion der bestehenden sozialen Verhältnisse. Da sich aus der Ausschaltung der Arbeiter von der Bestimmung der Produktion notwendigerweise eine neue Klasse herausbildet, die eben die Bestimmung der Produktion hat, reproduzieren sich die neuen Klassenverhältnisse als Reproduktion der Produktionsverhältnisse. Die Planung dient damit an erster Stelle der Sicherung und Erhaltung der gesellschaftlichen Position der neuentstandenen Klasse. Den Bedürfnissen der Arbeiter dient sie nur insofern, als deren Befriedigung notwendig ist, um die gegebenen Produktionsverhältnisse nicht zu gefährden. Die zunehmende Produktivität der Arbeit drückt sich auch weiterhin als Kapitalakkumulation aus, wenigstens dem Gebrauchswerte nach, aber ihre Resultate kommen nicht den Arbeitern zugute, sondern dienen der Verstärkung der Macht der neuen Klasse, die sich, wie jede andere herrschende Klasse von innen und außen bedroht sieht.
    Es muß doch jedem klar sein, daß weder die Arbeiter noch die Bauern an dem ungeheuren militärischen Apparat interessiert sein können, der nur auf ihre Kosten erhalten werden kann. Oder an der kostspieligen Raumforschung, den Reisen zum Mond und den Vorbereitungen für einen Atomkrieg. Das sind nicht die Programme, die von den Arbeitern ausgehen, sondern von Leuten, die Prestigebedürfnisse und die Sicherheit des Systems, das ihnen ihre Privilegien sichert, mehr am Herzen liegt, als die Verbesserung des Lebensstandards der Produzenten. Da dieses System ein nationales ist, steht es notwendigerweise im imperialistischen Konkurrenzkampf mit den herrschenden Klassen anderer Länder, aber nicht um die Arbeiter vor fremder Ausbeutung zu schützen, sondern um sich das eigene Recht zur Ausbeutung der Arbeit zu erhalten. Um dies auch für alle Zukunft sicher zu stellen, muß die Planung auch die der Ausbeutung in sich einbeziehen, die stete Reproduktion der Arbeit als Lohnarbeit. So stellt den Arbeitern gegenüber der Staatskapitalismus nur eine historisch neu aufgetauchte Modifikation kapitalistischer Ausbeutung dar und unterscheidet sich in dieser Beziehung von keiner der bisherigen kapitalistischen Ausbeutungsformen, wie unterschiedlich diese auch sonst untereinander sein mögen.“
    Anmerkung: Der Staat als ideeller Gesamtkapitalist.

  14. Mattis
    23. Juni 2013, 18:03 | #14

    @Gabagaba:
    Was ist denn deiner Auffassung nach der Grund für die Herrschaft der sog. Bürokratie-Elite? In der Beschreibung von Paul Mattick sehe ich eine Aufreihung von Erscheinungsformen, aber keinen Erklärungsansatz. Genau den braucht es aber, will man verstehen und Ähnliches künftig verhindern.

  15. Gabagaba
    24. Juni 2013, 13:52 | #15

    @Mattis:
    Gute Frage…nächste Frage bitte, grins.
    Kein Grund, sondern Gründe..würde ich von vornherein sagen.
    In erster Linie war es ja eine Herrschaft der Partei oder besser des Zentralkomitees. In meinen früheren Diskussionen mit der MLPD (ich wohnte u.a. mit einer MLPD Genossin in einer WG) wurde mir sehr früh der „demokratische Zentralismus“ der Partei erklärt. Da sämtliche Diskussionen, neue Gedanken und Erkenntnisse in der Partei, den verschiedenen Gremien usw. letzendlich bei dem ZK bzw der „Zentralen Leitung“ (MLPD-Slang) zusammenfließen, ist es für die Parteimitglieder völlig in Ordnung, wenn sie der Leitung erstmal gehorchen. Da sie immer die geballte Ladung Wissen und Erfahrung besitzt, den Überblick sozusagen hat. Das konnte soweit gehen, dass Parteisoldaten vor dem Werkstor Flugis verteilten, die sie eigentlich inhaltlich ablehnten. Aber selbstverständlich Parteiräson zeigten.
    In einem Arbeitskampf (Krupp-Rheinhausen) ging ein MLPD Genosse hin und strich seine vorher geleistete Unterschrift unter einem Flugblatt-Text eines Arbeiterinnen-Bündnisses Blatt für Blatt (1000er Auflage) mit einem schwarzen Eding wieder durch, da die Zentrale Leitung inhaltlich diesen Text nicht ganz in Ordnung fand. Sehr peinlich diese Aktion.
    Will damit nur sagen wie der Bolschewismus praktisch aussieht. Sehr autoritär, hierarisch, elitär usw.
    Rätekommunisten sehen im Bolschewismus eigentlich nur eine…sagen wir mal militante Sozialdemokratie. Ansonsten besteht inhaltlich kaum ein Unterschied zwischen den verschiedenen Fraktionen. Der Bolschewismus hat sehr viel von den „effektiven“ bürgerlichen Einrichtungen, Parteien, Unternehmen kopiert und übernommen. Sie schwärmen auf einer bestimmten Ebene regelrecht von der Effizienz des Kapitalismus(siehe Lenin).
    Ein „Unternehmen“ wie die bolschewistische Partei, ist sie erstmal an die Macht gekommen, muss sich entsprechend verhalten, da sie die Weisheit mit Löffeln gefressen hat, Kritik nicht zu lassen kann/darf (es ist ihre Natur, Teil ihrer Ideologie, Idelogie verstanden als „notwendig falsches Bewußtsein“). Die Partei wird mit allen Mittel ihre Macht erhalten, da sie weiß was richtig und gut für die ArbeiterInnen ist. Wenn du deine Ideen an der Macht halten willst, sie umsetzen willst, musst du herrschen. Du benötigst entsprechende Einrichtungen wie Spitzeldienst, entsprechende Justiz usw.
    Das ist nur eine Seite, aber schwerwiegend.
    Ein anderer Aspekt ist z.B. die gesellschaftliche und technologische Entwicklung in dem revolutionären im Umbruch befindlichen Land. MarxistInnen reden oft davon, dass z.B. Rußland eigentlich garnicht in der Lage für eine proletarische Revolution gewesen wäre, da ja noch der Feudalismus die vorherrschende Gesellschaftsform gewesen sei. Und die Partei sozusagen in Rußland, das vollbracht hat, was eigentlich die Bourgeoise hätte machen müssen. Die kommunistische Partei hätte das Land erstmal durchkapitalisiert, da noch kein entwickelter Kapitalismus existierte. AnarchistenInnen stehen bei solch einer Argumentation die Haare zu Berge…für die ist eine Revolution zu jeder Zeit, in jedem Land möglich.Es kommt halt nur auf die Subjekte an…aber kann mensch drüber streiten.
    AnarchistInnen sind halt eher IdealistInnen, im philosophischen Sinne. Während MarxistInnen als MaterialistInnen eher ihren Schwerpunkt auf die Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnisse legen.
    Noch ein anderer Aspekt sind halt die zahlreichen äußeren wie inneren Konflikte in der jungen Sowjetunion. Durch den Druck wurden selbstverständlich die zentralistischen/ bolschewistischen Tendenzen verschärft.
    Das konnte mensch übrigens auch in Spanien 1936 beobachten, Zentralisierung, Militarisierung, eine mit dem Krieg argumentierende Entmachtung der arbeitenden Klasse von oben…
    Anderer Aspekt ist die Frage, ob überhaupt die Masse der Arbeitenden sich selbstverwalten bzw. sich emanzipieren wollten. Ich denke eher nicht. Denn dazu bedarf es auch „Schulen“, keine Parteien, die sind durch ihre Struktur allein schon Contra, sondern „Schulen“, wie basisdemokratische Gewerkschaften, kommunale Organsiationen, Stadtteilkomittes, von mir aus auch Bürgerinitiativen als Ansatz etc., wo Menschen erstmal lernen müssen ihre Dinge selbst in die Hand zu nehmen. Ein mühseliges Geschäft. Das gab es ansatzweise in der spanischen Revolution, die trotzdem – auch an den inneren Widersprüchen – zusammenbrach. Die hatten ihre Ateneos, ihre Syndikate usw…hatte offensichtlich nicht gereicht.
    So, genug gelabert, bin müde, hatte Nachtschicht und muss mal was schlafen. Interessant hier…

  16. Mattis
    24. Juni 2013, 15:53 | #16

    @Gabagaba:
    Zunächst Danke für deine ausführlichen Zeilen.

    „Die kommunistische Partei hätte das Land erstmal durchkapitalisiert, da noch kein entwickelter Kapitalismus existierte. AnarchistenInnen stehen bei solch einer Argumentation die Haare zu Berge…für die ist eine Revolution zu jeder Zeit, in jedem Land möglich.Es kommt halt nur auf die Subjekte an…aber kann mensch drüber streiten.
    AnarchistInnen sind halt eher IdealistInnen, im philosophischen Sinne. Während MarxistInnen als MaterialistInnen eher ihren Schwerpunkt auf die Strukturen und gesellschaftlichen Verhältnisse legen.“

    Wie kam es, dass die Marxisten-Leninisten zu Fanatikern der Produktivkräfte wurden, rücksichtslos gegen die Lebensumstände und Nöte der Arbeiter, obwohl diese doch gerade der Ausgangspunkt und Grund der revolutionären Bemühungen gewesen waren?
    Marx, vor allem aber Engels, hatten eine grundverkehrte Geschichtsphilosophie der Entwicklung der Produktivkräfte ersonnen. Neben der Ausbeutung der unmittelbaren Produzenten schien es auf einmal fast ebenso untragbar, dass im Kapitalismus die Produktivkräfte durch irgendwelche „Fesseln“ der Produktionsverhältnisse behindert würden, was pseudo-wissenschaftlich als „Widerspruch“ zwischen Produktivkräften und Produktionsverhältnissen dogmatisiert wurde.
    Der untaugliche Ansatz, die gesellschaftliche Entwicklung als einen von den Subjekten letztlich unabhängig verlaufenden Automatismus darzustellen, hatte fatale Folgen. Führer und Theoretiker der marxistisch orientierten Arbeiterbewegungen begannen, sich als kommende Retter der Produktivkräfte zu definieren, die man aus der „historisch überholten“ kapitalistischen Sackgasse befreien müsste. Arbeitslosigkeit und Krisen wurden jetzt mehr aus diesem Blickwinkel gesehen als aus der Sicht der darunter leidenden Arbeiterschaft. Es wurde zwar unterstellt, dass es auch für die Arbeiter letztlich das Beste sei, wenn ein sozialistischer Staat die Produktivkräfte endlich frei entwickelt – aber die Priorität war damit längst unselig gesetzt: die Arbeiter sollten ja das Mittel für die „Entfaltung“ der Produktivkräfte sein.
    Man hielt die vom Kapitalismus zunächst geschaffenen Produktivkräfte für etwas Gutes – und wollte sie durch Überführung in Staatseigentum so richtig zum Blühen bringen. Nicht die Mittel selbst wurden kritisiert, sondern die Tatsache, dass sie immer noch in privaten Händen waren, statt endlich vergesellschaftet zu werden. Und so kam es, dass in den Sowjetrepubliken und der DDR Gewinnrechnung, Lohn als Kostenfaktor etc. zu „sozialistischen“ Ehren kamen und die Arbeiter für diese staatlich regulierten kapitalistischen Rechnungsweisen und all ihre fatalen Konsequenzen geradestehen mussten.
    Zu diesem unwissenschaftlichen Konzept passte dann natürlich eine Partei, die nicht auf Argumente setzte, sondern auf Gehorsam und Gewalt. Ein schädliches Staatsprogramm, durchgesetzt von einer diktatorischen Partei: auf diese Weise war ein neuer Typus von Herrschaft entstanden, den man der ganzen Welt auch noch als „Sozialismus“ präsentierte.
    *
    Dass es nicht nur Anarchisten, sondern auch Marxisten gibt, die diese Entwicklung grausig finden, dafür ist die Kritik des GegenStandpunkt am Realsozialismus ein brauchbares Material. Neoprene hatte mal einen diesbezüglichen Vortrag von Peter Decker 1990 abgeschrieben, der immer noch in seinem downloadbereich verfügbar ist: Marxismus – Anpassungslehre oder Kritik? Das Paper enthält zwar m.E. auch kritikwürdige Passagen, aber das steht nicht im Vordergrund; dazu vielleicht später mehr.
    Paradoxerweise wird die Ideologie vom Nutzen des Kapitalismus für die Produktivkräfte-Entwicklung sogar von vielen Bolschewismus-Kritikern und sogar von manchem Genossenschafts-Fan im Grundsatz geteilt!

  17. Mattis
    24. Juni 2013, 20:33 | #17

    @Gabagaba:
    Noch ein Wort zu deiner Erwähnung des Anarchismus: das Ärgerliche am Realsozialismus war nach meiner Auffassung nicht der Staat als solcher, sondern das spezifische Staatsprogramm, zu dem dann eben diese arrogante Parteidiktatur leider gut passte.
    Dein Beispiel des MLPD-Kadergehorsams zeigt doch, dass man für autoritäre und diktatorische Strukturen noch nicht mal einen Staat braucht. Die Missachtung von Argumenten und Bedürfnissen kann man in jeder Art von gesellschaftlicher Organisation aufziehen, wenn man es drauf anlegt. Deshalb finde ich eine prinzipielle Staats-Ablehnung sehr blauäugig, sie hinterlässt nur ein Riesenpaket offener Fragen und wurde theoretisch nirgendwo überzeugend begründet.

  18. Gabagaba
    25. Juni 2013, 20:27 | #18

    Das sehe ich anders Mattis. Der Staat ist selbstverständlich Ausdruck von..Instrument für…er hat ja eine Funktion. Hier in dieser Gesellschaft, die auf einen Kapitalismus beruht, der einerseits privatwirtschaftlich organisiert ist und in dem andererseits der Staat dieser Wirtschaft immer wieder unter die Arme greifen muss (Keynesianismus), wenn das Kapital z.B. Probleme bekommt, ist gerade Ausdruck der Funktion des Staates einer „gemischten Wirtschaft“. Dieses spezifische „Staatsprogramm“ hat seine Entsprechung in der bürgerlichen Demokratie, mit zugehörigen Parlament, Parteien und einer dazu passenden kapitalitschen Wirtschaft. Das kann mensch auch andersherum formulieren. Diese Wirtschaft spiegelt sich im „Überbau“ wieder.
    Die Kaderpartei des sogenannten Realsozialismus hat ihre Entsprechung in einem extrem autoritären Staat und einer Spielart des Kapitalismus, dem Staatskapitalismus, in dem es keine Konkurrenz mehr gibt, aber einen Gesamtkapitalisten. Denn es wird weiter Kapital akkumuliert, Mehrwert abgeschöpft, Arbeitkraft gekauft und verkauft, also Lohnarbeit herrscht, die Menschen werden fremdbestimmt, haben keinen Einfluß etc…
    Sicherlich hat die bolschewistische Partei diese Staatsform ala UDSSR ihrer Ideologie entsprechend aufgebaut, wiederum wirkt diese Staatsform aber auch auf die Partei zurück…dadurch verändert sich die Partei weiter zum negativen, wird noch dogmatischer, bürokratischer, festigt noch konsequenter ihre Macht etc., ein Wechselspiel halt, gar Dialektik. Die Idee zum proletarischen Staat war aber selbstverständlich vorher schon geboren. Der proletarische Staat ist eine Original sozialdemokratische Idee.
    Du kannst ein Staatsprogramm nicht von dem Staat und der entsprechenden Wirtschaft, die dort vorherrschend ist trennen. Diese Dinge gehören zusammen. Deswegen ist es relativ gleich, ob mensch von einem Staat oder etwa einem Staatsprogramm spricht.Das „Programm“ ist nur eine etwas konkretere Ebene, dort spiegelt sich das „Wollen“ des Staates wieder. Beides gehört zusammen.
    Wenn Anarchisten „blauäugig“ den Staat pauschal ablehnen ist es der Erkenntnis geschuldet, das der Staat historisch gewachsen immer eine Klassengesellschaft in sich barg und birgt, der Staat immer ein Instrument der jeweiligen herrschenden Klasse war bzw. ist. Das ist ein Fakt. Es existierte und existiert kein „sozialistischer Staat“. Diese Wortschöpfung ist glatter Unsinn und ist bezogen auf den Staatskapitalismus platte Ideologie. Wenn ein Staat sozialistisch ist, dann ist der Papst ein Christ. So was nenne ich Etikettenschwindel.
    Was mensch den Anarchisten manchmal vorwerfen kann ist die mangelnde Differenzierung zwischen totalitären Staaten, bürgerlichen Staaten mit Meinungsfreiheit etc…nur abstrakt gegen den Staat zu sein ist etwas schlapp. Und über den Staat zu reden ohne dessen entsprechende Ökonomie als Basis zu berücksichtigen kann nur in theoretische Sackgassen führen.
    Und nur über Ökonomie zu reden ohne zumindest Elemente von Sozialpsychologie mit einzuarbeiten kann auch nur zu schrägen Ergebnissen führen. Und so weiter…
    „Dein Beispiel des MLPD-Kadergehorsams zeigt doch, dass man für autoritäre und diktatorische Strukturen noch nicht mal einen Staat braucht. Die Missachtung von Argumenten und Bedürfnissen kann man in jeder Art von gesellschaftlicher Organisation aufziehen, wenn man es drauf anlegt.“
    Dazu noch kurz:
    Nein, sehe ich anders. Es existieren gesellschaftliche Organisationen, die machen durch ihre Struktur es sehr einfach die „Basis“ zu entmündigen bzw. zu lenken. Schau dir eine Partei an…mit entsprechenden Hierarchien, bezahlten Vorständen, „Parteisoldaten!“ usw.
    Da sind AnarchistInnen sehr viel besser aufgestellt. Zumindest haben sie was geschnallt. Denn die haben im Gegensatz zu dem Bolschewismus auch ein anderes Gesellschaftssystem vor Augen, eine andere konkrete Utopie und das spiegelt sich in ihrer Organisationsform wieder.
    Ihre Orga geht in die Horizontale, es existiert zum Beispiel keine Leitung, sondern eine Koordination. Es werden keine bezahlten Funktionäre zugelassen, die Mitglieder einer libertären Orga müssen selber handeln..eine libertäre Orga ist eine „Schule“, die hilft uns zu emanzipieren. Aber wie ich schon mal sagte..schwieriges Geschäft.
    Bin wieder zu müde, kann sein, das ich das Thema verfehlt habe…:-) Gute Nacht.

  19. 25. Juni 2013, 22:08 | #19

    Das hohe Lied des Anarchismus kommt erstaunlicherweise ohne ein Jota Kritik, ja nur der Erwähnung daher, was Anarchisten, da wo sie historisch mal was bedeutet haben, nämlich in Spanien vor Franco, angestellt haben. Davon hat sich der organisierte Anarchismus bekanntlich nie wieder erholen können.

  20. Gabagaba
    26. Juni 2013, 06:04 | #20

    @Neoprene
    Nöö, Neoprene. Das stimmt nicht.
    Ich weiß ja nicht welches hohe Lied du meinst…
    Gerade habe ich die aktuelle „Barrikade Nr.8“ gelesen wo eine harsche Kritik vom Anarcho-Syndikalisten Schapiro an die CNT formuliert wurde. Also 1937 oder so..
    Eine weitere Broschüre zu den „Amigos de Durruti“, die die Anarchisten zur gleichen hart kritisiert haben und damals versuchten das Ruder herumzuwerfen…also alles „Nestbeschmutzer“ sozusagen.
    In der heutigen Zeit – also rückblickend – werden die Anarchisten aufgrund ihrer Regierungsbeteiligung, teilweise wg. ihrer Gewalttätigung usw. scharf kritisiert. Auch die Broschüre „Spanien 1936“ beschreibt die spanische Revolution kritisch/solidarisch…
    Ich weiß, das etliche Anarchos/Anarchas gern einen Mythos in Sachen Spanien stricken. Aber das kannst du so nicht der libertären Bewegung pauschal vorwerfen. Und bei aller Kritik…soweit wie in Spanien ist die emanzipatorische Sache nie wieder gekommen. Kein Vertun.

  21. franziska
    26. Juni 2013, 09:16 | #21

    Es ist nicht umsonst, dass hier plötzlich eine Engführung der „Produktivkräfte-Strategie“ mit Fragen der politischen Strategie erscheint. Die „Gesetzmässigkeit“ und das von alleine Vorwärtsdrängen des technischen Fortschritts wird kaum noch von jemand behauptet. Was heute (auch hier) strittig ist, ist die Frage der Steuerbarkeit einer industrialisierten Produktion auf gesellschaftlicher, womöglich (irgendwann mal) internationaler Stufenleiter. Dabei sind zwei Fragen involviert: Die der Steuerbarkeit überhaupt; dann die der herrschaftsfreien Steuerbarkeit. Mir fällt auf, dass Konzepte, die hier kein Problem sehen, meist mit Vorstellungen von kollektiv organisierter Produktion einhergehen, die auf hohem technologischem Niveau und Sich-Einrichten stagniert. Die von Neoprene drübenim Marx-Forum-thread zitierte Bemerkung Peter Deckers ebenso wie viele Andeutungen privat oder in teach ins zeigen, dass dieser Standpunkt unter GSP-Anhängern verbreitet sein könnte; ein weiteres Beispiel liefert Wal Buchenbergs Bestellpraxis einer „Kommune Bochum“.
    Die Kritik der Akkumulation, etwa auch im Realsozialismus, muss da präziser als bisher benennen, welche Art „Wachstum“ (soweit keine Einrichtung auf hohem Niveau gewünscht ist) qualitativer Art jetzt wie zukünftig abgelehnt wird – und um welchen Preis.
    Herrschaftsfreiheit, das hat Wat oben angedeutet, ist abstrakt; sie konkretisiert sich angesichts einer die ganze Gesellschaft einbeziehenden modern-arbeitsteilgen Produktionsweise auch in Dimensionen wie: Technologien kennen und beurteilen können; gesellschaftlich Konsens entwickelt haben über Grundfragen der Planung wie zB einzugehende Risiken, ökologische Rücksichten, Produktivitätssteigerungen und ihre Geschwindigkeit, Richtung und Ausmass von Forschung (deren Ermöglichung aus dem verfügbaren Reichtum).

  22. Mattis
    26. Juni 2013, 10:21 | #22

    @Gabagaba:

    „Da sind AnarchistInnen sehr viel besser aufgestellt. Zumindest haben sie was geschnallt. Denn die haben im Gegensatz zu dem Bolschewismus auch ein anderes Gesellschaftssystem vor Augen, eine andere konkrete Utopie und das spiegelt sich in ihrer Organisationsform wieder.
    Ihre Orga geht in die Horizontale, es existiert zum Beispiel keine Leitung, sondern eine Koordination. Es werden keine bezahlten Funktionäre zugelassen, die Mitglieder einer libertären Orga müssen selber handeln..“

    Ich habe nicht gemeint, dass politische Vereinigungen immer so aussehen müssen wie die ML-Szene, nein, überhaupt nicht, aber dass „die Missachtung von Argumenten und Bedürfnssen“, wie ich es ausgedrückt habe, auch ohne Staat geschehen kann, wenn die einen es drauf anlegen und die anderen es zulassen. Da mag auch Neoprenes Spanien-Hinweis als Negativ-Beispiel dazugehören, aber mit der Historie hab ich es nicht so.
    Auch „AnarchistInnen“ würden jedenfalls nicht um verbindliche Strukturen herumkommen, und sogar in einer Kommune wie Niederkaufungen haben sich die Ideale von Rotation etc. nur sehr bedingt realisieren lassen. Solche Dinge bedueten für mich nicht „Herrschaft“.
    Bezogen auf eine ganze Gesellschaft ist für mich der feste Rahmen von Gremien und Organen, in denen die gesellschaftsweit gültigen Entscheidungen fallen, das, was ich unter Staat verstehe. Ob das mit Marx vereinbar ist, keine Ahnung, der war immerhin kein Staatstheoretiker, hat nur ab und zu was vom Absterben der Gewaltmaschinerie – im Sozialismus – und Reduktion der Staatsfunktionen auf administrativ notwendige Sachen geschrieben.
    Dass Staaten bisher immer Herrschaftssysteme waren, ist mir kein überzeugender Einwand. Auch Arbeitsteilung hat es bisher im Grunde nie ohne Ausbeutung und Herrschaft gegeben, deshalb bin ich trotzdem nicht gegen Arbeitsteilung als solche. Die Programmatik ist für mich das Entscheidende.
    Kapitalismus und Demokratie sind auch nicht zwingend zusammengehörig. China zeigt, wie auch ohne viel Demokratie die Profite funktionieren. Man sollte vielleicht beim Thema Demokratie mehr die kapitalismus-spezifischen Aspekte (z.B. Freiheit als Wirtschaftssubjekt am Markt) unterscheiden von den Aspekten der Entscheidungsfindung, Wahlen, Abstimmungen etc.
    In den bürgerlichen Gesellschaften besitzen Staat, Demokratie, Arbeitsteilung und so weiter einen Doppelcharakter, bei der die organisatorischen Seite und die Herrschaftsqualität verknüpft sind. Trotzdem sollte man die beiden Seiten begrifflich unterscheiden.

  23. Gabagaba
    26. Juni 2013, 11:24 | #23

    „Auch „AnarchistInnen“ würden jedenfalls nicht um verbindliche Strukturen herumkommen, und sogar in einer Kommune wie Niederkaufungen haben sich die Ideale von Rotation etc. nur sehr bedingt realisieren lassen. Solche Dinge bedueten für mich nicht „Herrschaft“.“
    Simme ich völlig überein Mattis. Bin Anhänger von Organisation bzw. Verbindlichkeit.
    „Bezogen auf eine ganze Gesellschaft ist für mich der feste Rahmen von Gremien und Organen, in denen die gesellschaftsweit gültigen Entscheidungen fallen, das, was ich unter Staat verstehe.“
    Alles klar. Dann definieren wir den Begriff Staat verschieden. Ich würde da eher von einem Rätesystem (die berühmte Assoziation freier…) sprechen…Als radikaldemokratischer Gegenpart zum Staat.
    „Dass Staaten bisher immer Herrschaftssysteme waren, ist mir kein überzeugender Einwand.“
    Nun, das allein habe ich aber auch nicht behauptet, sondern dass der Staat eine Herrschaftsfunktion hatte und hat und dies hat eben seinen Grund. Grundlage ist Ausbeutung, damit einhergehend Unterdrückung gleich wie diese nun in den jeweiligen Staatssystemen aussieht (Zuckerbrot oder Peitsche bzw. Mischformen, grins).
    Das ist jetzt alles sehr allgemein gehalten, aber muss wohl hier nicht weiter vertieft werden…denke ich mir.
    „Kapitalismus und Demokratie sind auch nicht zwingend zusammengehörig. China zeigt, wie auch ohne viel Demokratie die Profite funktionieren.“
    Ja eben, aber das sagte ich doch auch. Ich unterscheide auf einer gewissen Abstraktionsebene nicht mehr zwischen den diversen Staatsformen bzw. staatskapitalistsichen Formen. Auf dieser Ebene lehne ich pauschal Staaten ab, da bin ich ganz Anarcho (Asche auf mein Haupt).
    Ich sagte eigentlich nur vereinfachend, dass der Staat keyenesianischen Prägung mit der bürgerlichen Demokratie verbandelt ist oder harmoniert. Mattick sprach in dem Zusammenhang von einer „gemischten Wirtschaft“.
    China war immer ein Kapitalismus, ein Kapitalismus in der Vergangenheit, in dem der Staat „ideeller Gesamtkapitalist“ war.
    Das ändert sich offensichtlich…China hat sich ja „geöffnet“, wie es so schön heißt. Schauen wir mal, wohin sich der alte staatskapitalische Apparat entwickelt, wenn er jetzt mehr Markt wagt…
    Die Profite funktionierten ja auch im Staatskapitalismus der sowjetischen Prägung. Das der Konkurrenzmechanismus im Staatskapitalismus so gut wie nicht vorhanden ist tat den Profiten garnicht gut…zumindest denke ich, ist das ein Aspekt, warum diese sogenannten realsozialistischen Staaten nicht wirklich den weitgehend privatwirtschaftlich organisierten Staaten das Wasser reichen konnten. Ist nur eine Annahme, bzw. ein Aspekt…
    „Auch Arbeitsteilung hat es bisher im Grunde nie ohne Ausbeutung und Herrschaft gegeben, deshalb bin ich trotzdem nicht gegen Arbeitsteilung als solche.“
    Korrekt, Arbeitsteilung ist ein Fortschritt. Kein Thema. Aber „Arbeitsteilung“ in der Form, dass die einen Arbeitskraft ankaufen und die anderen Arbeitskraft verkaufen müssen, ist der eigentliche Skandal kapitalistischen Wirtschaftens. Gleich wie der Kapitalismus konkret jetzt aussieht. Diese „Arbeitsteilung“ gehört abgeschafft.
    „Die Programmatik ist für mich das Entscheidende.“
    Programmatik? „Words, Words“…das interessiert doch nicht die Bohne, sondern es interessiert wie eine Gesellschaft funktioniert, wie sie aufgebaut ist. Was läuft? Existiert Lohnarbeit, gibt es eine Klassengesellschaft, wie schaut es mit Grundrechten aus usw.. das interessiert. Was wirklich in einer Gesellschaft abgeht… und kein „Papier“, keine Programmatik.
    Unsere Unterschiede liegen ziemlich klar auf der Hand. Für dich ist ein „guter“ Staat möglich, für dich existierte oder existiert auch ein „realer“ Sozialismus. Das alles streite ich ab…können wir aber mit Leben, oder? 🙂
    Machs gut

  24. 26. Juni 2013, 11:35 | #24

    „„Arbeitsteilung“ in der Form, dass die einen Arbeitskraft ankaufen und die anderen Arbeitskraft verkaufen müssen, ist der eigentliche Skandal kapitalistischen Wirtschaftens. Gleich wie der Kapitalismus konkret jetzt aussieht.“
    Da schmeißt du jetzt wieder unnötigerweise Arbeitsteilung und Ausbeutung zusammen. Das sind aber zwei paar Stiefel. Arbeitsteilung sollte nur das genannt werden, was genau das ist:Daß in jeder Gesellschaft nicht alle Arbeitenden Alles machen, sondern die einen etwas Spezielles und die anderen jeweils was anderes.

  25. Gabagaba
    26. Juni 2013, 12:20 | #25

    Nein…kannste bei Marx nachlesen. Er hatte zwischen zwei verschiedene „Arbeitsteilungen“ unterschieden, die eine auf die Wirtschaft bezogene (die du meinst) und eine auf die Gesellschaft bezogene (Klassengesellschaft, die findet aus bekannten Gründen kaum Erwähnung) …daher auch meine Anführungszeichen. Müsste jetzt blättern, habe aber gerade echt keine Zeit. Sorry dafür und für meine missverständliche Schreibe.
    Und warum schmeiße ich „wieder“ was zusammen? Manchmal sollten Dinge, Sachverhalte in einem Zusammenhang gesehen werden. Mensch kann die Dinge separat betrachten, sie sozusagen aus dem Zusammenhang nehmen, ist durchaus zulässig, aber nicht dabei stehen bleiben, sie dabei auch wiederum in einem Zusammenhang denken. Schmeiß mal mehr zusammen, grins. Sonst gibt es Schräglage.
    Ciao

  26. 26. Juni 2013, 12:36 | #26

    Ja, warum wohl versuche ich die Diskussion um eine sinnvolle Arbeitsteilung von der Gleichsetyung mit Ausbeutung zu trennen? Eben drum, weil auch bei den Diskussionen hier small is beautiful gesungen wird. Alles selber machen, alles im Kleinen überschauen können, groß gleich zentral gleich fremndbestimmt, usw.

  27. Gabagaba
    26. Juni 2013, 15:31 | #27

    „Eben drum, weil auch bei den Diskussionen hier small is beautiful gesungen wird. Alles selber machen, alles im Kleinen überschauen können, groß gleich zentral gleich fremndbestimmt, usw.“
    Ja, was weiß was denn ich,was du mit deiner inhaltlichen Stoßrichtung beabsichtigst Neoprene. Habe hier nicht den Überblick. Von deinem Satz oben fühle ich micht nicht angesprochen. Anders gesagt, ich bin kein Fan von Klein, klein, alles selber machen usw. wie so manche Libertäre. Kollektivbetriebe, Genossenschaften haben eine extreme Tendenz zur Selbstausbeutung, sind dem „Stummen Zwang der ökonomischen Verhältnisse“ ausgesetzt, müssen sich am Markt orientieren…
    Nicht mein Dingen.
    Noch kurz zur Arbeitsteilung, damit du nachvollziehen kannst worauf ich abzielte:
    „Mit der Teilung der Arbeit…, welche ihrerseits wieder auf der naturwüchsigen Teilung der Arbeit in der Familie und der Trennung der Gesellschaft in einzelne, einander entgegengesetzte Familien beruht, ist zu gleicher Zeit auch die Verteilung, und zwar die ungleiche, sowohl quantitative wie qualitative Verteilung der Arbeit und ihrer Produkte gegeben, also das Eigentum…
    Übrigens sind Teilung der Arbeit und Privateigentum identische Ausdrücke – in dem Einen wird die Beziehung auf die Tätigkeit dasselbe ausgesagt, was in dem Andren in bezug auf das Produkt der Tätigkeit ausgesagt wird“ (MEW 3,32)
    Die Herausbildung des Privateigentums ist die erste von Marx benannte Konsequenz eines bestimmten geschichtlichen Entwicklungstands der Arbeitsteilung. Damit geht einher bzw. das hat zur Folge die Entstehung weiterer grundlegender gesellschaftlicher Beziehungsformen und Institutionen, so von Herrschaftsverhältnissen, von Klassenteilung, von Rechtsordnungen und des Staates.
    Im Fortgang der Prozesse der gesellschaftlichen Arbeitsteilung tritt die Scheidung zwischen körperlicher und geistiger Arbeit ein. „Die Teilung der Arbeit wird erst wirklich Teilung von dem Augenblick an, wo eine Teilung der materiellen und geistigen Arbeit eintritt“ (MEW3,31)
    Diese Entwicklung hatte zur Folge, dass sich der gesellschaftliche Lern – und Erfahrungsprozeß im Zusammenhang der Naturumformung und -aneignung, der zuvor praktischer und erkenntnismäßiger zugleich war aufspaltete.
    Geistige Arbeit wurde zum Privileg und zugleich für Herrschaftsinteressen funktionalisiert. Die unter arbeitsteiligen Bedingungen zunehmende Undurchschaubarkeit der wirtschaftlichen, sozialen, politischen etc. Prozesse bildete eine wesentliche Voraussetzung für die Entstehung und Verfestigung realitätsenthobener und verzerrender Denkformen, Erklärungsweisen etc. (vgl. MEW 3,37ff.) /abgeschrieben von Conert.
    Ciao

  28. Mattis
    26. Juni 2013, 22:55 | #28

    @Gabagaba:

    „Die Herausbildung des Privateigentums ist die erste von Marx benannte Konsequenz eines bestimmten geschichtlichen Entwicklungstands der Arbeitsteilung.“

    Dein Marx-Zitat sieht aber nicht in der bloßen Arbeitsteilung als solcher die Ursache, sondern der gesellschaftliche Kontext der weitergeführten Arbeitsteilung unterstellt bereits Trennungen und Entgegensetzungen, lies mal den Zitatanfang genau.
    Sonst kommst du nämlich genau in die Ecke, wo den Produktivkräften die Schuld (und das historische Verdienst!) an den bürgerlichen Produktionsverhältnissen gegeben wird, also die typisch realsozialistische Ideologie, die ich weiter oben charakterisiert habe.
    Abgesehen davon ist Marx an dem Punkt oft unsauber und widersprüchlich, und er hat Engels vollends dessen falsche Produktivkräfte-Historie durchgehen lassen. Aber diesen Fehler müssen wir ja nicht wiederholen.

  29. franziska
    27. Juni 2013, 09:07 | #29

    (Neoprene – bitte lass das doch mit dem „small“. Es geht drum, Produktion ERST im kleinen sicher zu beherrschen und überschauen, um zu lernen, immer mehr zu überschauen. Das mag blöd sein und misslingen. Aber es ist NICHT das Lob des Glücks im Winkel. Zum Rest der betreffenden Statements oben bald mehr.)
    Gabagaba, nochmal zurück zu deinem „Schmeiss mal mehr zusammen“. – Nein, sollte man nicht machen, ist zu verwirrend, aber genauer unterscheiden kann man, muss man sogar: Denn da gibts Übergangsformen, die (womöglich lückenlos) von der einen Arbeitsteilung (beim Ausführen) zur andern (beim Planen und Bestimmen) führt. Es ist dieselbe Reihe, die Mattis und ich oben unter dem Titel „Ausbeutung – ja oder nein“ ansprachen; oder Neoprene mit seiner Wiedergabe der Vorstellung eines Übergangs: je grösser – desto zentraler – desto fremdbestimmter.
    Das, wozu ich Mattis (dem angesichts fanatischer Staatsbürger-Parteinahmen oben quasi („irre“) die Worte wegblieben) etwas ironisch aufforderte, war: zu differenzieren, an mehr Fälle zu denken (und mehr Worte/Begriffe dafür bereitzuhalten). Naämlicih an diese:
    Herrschaft, Zwang, das eine Extrem der Skala schliesst ein Verhältnis widersprechender Willen (oder Zwecke und ihrer Träger) ein, und überlegene Drohfähigkeit des einen Willens mit Sanktionen oder offener Gewalt.
    – Was ich dann an den dann gebrachten imaginären Beispielen zeigen wollte:
    „Denn… es könnte ja sein, dass die Formel „die/wir sind ja nie gefragt worden, ob…“ ein Gegenstück hat in Gestalt von „darüber haben wir uns noch nie Gedanken gemacht, und es ist uns auch zuviel“. Oder auch „wie sollen WIR das denn beurteilen?“ Oder „Macht doch, was ihr wollt, dafür haben wir euch schliesslich gewählt“
    war vor allem die Möglichkeit, dass der eine Wille sich garnicht erst bildet. Oder sich derart uninformiert bildet, dass bloss das hilflose Gemosere, Unzufriedenheit bleibt, wo man sich auf gebrochene Zusagen beruft. Das nennt man Entmündigtheit, Unzuständigkeit. Ob selbstverschuldet…(der bekannte Vorwurf Kants, der immerhin zum Dauer-Nachdenken lebenslang freigestellt war)… oder unvermeidlich (angesichts der „Arbeitsteilung“ zwischen Planern und Ausführern) – das bleibt erstmal offen.
    Erste (Rück)Fragen somit an die Befürworter der Zentralen Planung: Wann kann man sich rationellerweise auf die Entscheidungen der Planer verlassen? Welche Prinzipien müssen da klar formuliert und glaubwürdig geteilt werden? (Und ist da nicht schon wieder ein Wissens-Element eingeschlossen?)
    Nehmen wir an, diese Stufe ist glücklich überwunden; die Betroffenen wissen oder können jederzeit, nach vernünftigem Ermessen, wissen, wovon in der Planung die Rede ist.
    – Dann bekommen wir als nächstes im grossen, was in der Kleingruppe immer nur Gezänk und Mobbing heisst, in Gestalt höchst zerreissender Konflikte auf gesellschaftlicher Ebene: Unterschiedliche Präferenzen bei allem und jedem, sich „zuspitzend“ (einmal mehr dies Wort) und zusammenballend in mindestens je zwei oder mehr Konflikt-Parteien und ihren Kämpfen – Abstimmung, Sieg/Niederlage, Triumph und Groll (der sich in der Ausführung bemerkbar macht). Also kein Konsens. Demokratische Prozeduren verwalten das bloss. Man muss schon sehr idealistisch sein, um in einem Zusammenhang, wo alle auf alle angewiesen sind, zu hoffen, dass die Auseinandersetzung in wichtigen Fragen dann nicht in der Produktion weitergeht – bis hin zur stillen Sabotage bestimmter Projekte, die die Unterlegenen nicht mittragen.
    Also zweite (Rück)Frage: Was macht euch so sicher, dass diese Gesellschaft nicht von ihren Prioritäten-Konflikten zerrissen wird (das hiess oben: Das System fliegt auseinander), die sich in jeden Produktionsbetrieb, in jede Versammlung zu beliebigen Themen hineinfressen werden? Welche Analysen besagen, dass das nicht sein wird?
    (Vor allem, wenn dann auch noch ungenaue Problemkenntnis dazukommt, und alle Beteiligte sich wechselseitig ihre Voten als „mit guten Gründen im Interesse aller liegend“ oder „ihr macht unsern ganzen Produktionsmechanismus kaputt“ um die Ohren hauen, und das womöglich auch tatsächlich glauben?)
    Leute mögen „ihr System“ durchaus auch auf die andern in ihrer Umgebung beziehen – nützt es oder wird es als drückend empfunden? Vor allem aber beziehen sie es auf sich selbst. Und dann findet ihre eigene massive Unzufriedenheit mit allem und jedem ihren Widerhall in unzähligen solchen unzufriedenen Privat-Existenzen, die zwar in keinem positiven Zweck übereinstimmen, aber genau nicht diese Tatsache dafür verantwortlich machen, sondern allenfalls ihre einzige grosse Gemeinsamkeit: die Bedrückung durch dieses SYSTEM. (Denn als solches ist gemeinsame Reproduktion eingerichtet!)
    Nicht die andern sind schuld, und man müsste sich mit ihnen einigen – das ERWARTEN sie doch garnicht, denn die andern sind da genau wie sie: sie WOLLEN sich nicht einigen müssen. Das System verweigert also einem jeden von ihnen das, wonach er sich naturgemäss (mit dieser Einstellung) am meisten sehnt: Eine Sphäre der Freiheit, wo SEINE Prinzipien der Lebensführung und -einrichtung zählen – Privateigentum. Und ihr gesellschaftlich-arbeitsteiliger Zusammenhang, den sie doch nicht aufgeben wollen, weil sie davon abhängen – wie wollen sie ihn aufrechterhalten? Ganz einfach: als „System“ der Belohnung derer, die die nützlichsten Beiträge zum Wohlergehen aller geleistet haben. Was nützlich ist, soll jeder selber sagen – mit seinem subjektiven Nutzen-Mass, das er sich redlich durch die Bewertung seiner Leistung von seiten der unmittelbaren Nutzniesser dieser Leistung verdient hat: Einkommen in Gestalt eines Geldbetrags. Und so im Kreis herum. Das zugehörige System ist die KONKURRENZ.
    Dritte (und entscheidende) (Rück)Frage: Was soll denn die heutigen Freunde der Konkurrenz alias FREIHEIT (in beiden Klassen) daran hindern, euch vorauslaufend (wie es geschieht in allen antikommunistsichen Debatten, die über das reflexhafte „hat doch nicht funktioniert (und konnte auch nicht)“ hinausgehen) diese Alternativen, wie ich sie eben aufgezeigt habe, zu präsentieren:
    ENTWEDER Kommunismus ist Herrschaft, Diktatur pur (nämlich derer, die diesen Sparren gesamtgesellschaftlicher Planung im vermeintlichen Interesse aller im Kopf haben); ODER (wo ers nicht ist) Austrickserei und Manipulation der Gutgläubigen; ODER (wo demokratische Kontrolle herrscht) Anarchie; ODER… die (herrschenden) Kommunisten geben ihren Sparren auf, und erlauben die Rückkehr zum Privateigentum, zur FREIHEIT.
    Antikommunisten wollen Eigentum also Freiheit, und Konkurrenz und Geld als deren Voraussetzung, weil sie wissen, dass ihre Lebensführung und -gestaltung hinten und vorne nicht zu der von andern passt. Dass sie sich mit andern nicht einigen wollen. Und sie wissen noch mehr: Sie haben keinerlei intellektuelle Grundlagen in Gestalt von Prinzipien, entlang deren sie sich Übersicht und ein Urteil bilden könnten, wem und wessen Beurteilungen sie in einer freiwillig arbeitsteiligen Kooperation vertrauen könnten. Im Kern haben sie keine Prinzipien der (technisch-reproduktiven) Verarbeitung anwachsender (gesellschaftlicher) Erfahrung, derart, dass sie sich von andern vertreten lassen könnten. Sie kennen nicht und teilen nicht die Prinzipien für die moderne Produktion, die gesellschaftlich kulturell durchgesetzt ist. Darum ist mit ihnen kein Kommunismus zu machen.
    (Die vormoderne Stagnation, auf die fast alle in diesem Punkt bedenkenlosen Linksradikalen hinauswollen, lässt ebenfalls nichts gutes ahnen..)

  30. 27. Juni 2013, 11:42 | #30

    Zu Franziskas
    „Es geht drum, Produktion ERST im kleinen sicher zu beherrschen und überschauen, um zu lernen, immer mehr zu überschauen.“
    Erst mal glaube ich nicht, daß es allzuviel „Produktion“ gibt, die man heutzutage überhaupt sinnvoll, also in erster Linie effizient, überhaupt noch „im kleinen“ schaffen kann. Wichtiger ist mir aber, daß die semi-autarke, „selbstverwaltete“ Produktion der potentiell vielen kleinen Kommunen überhaupt nicht zu einem „immer mehr“ drängt. Denn die Organisation der gesellschaftsweiten Produktion wäre eben was anderes als die Ausweitung der Kommunen.
    „Wann kann man sich rationellerweise auf die Entscheidungen der Planer verlassen? Welche Prinzipien müssen da klar formuliert und glaubwürdig geteilt werden? (Und ist da nicht schon wieder ein Wissens-Element eingeschlossen?)“
    Ja, ohne Wissen wird es nicht gehen. Zumindest braucht es das Wissen, daß die Entscheidungen von kompeteneten Menschen getroffen werden, dazu muß man/kann man wohl auch nicht gar nicht mal immer selber einer von den Wissenden sein. Man setzt sich schließlich auch schon im Kapitalismus in einen Flieger, fährt über eine Brücke, schluckt Antibiotika, ohne jeweils wirklich genau zu wissen, warum ein Airbus fliegen kann, eine Seilzugbrücke hält oder was die Tabletten eigentlich mit einem machen.
    Nachdem du das Wissen als Problem probehalber abgehakt hast, kommst du dann zum Dauerbrenner der hitzigen Konflikte aufgrund unterschiedlicher Ziele. Ob die „zerreissend“ sein werden, hängt vom Inhalt ab. Wenn es wirklich um zentrale „Überlebens“fragen geht, dann kann in der Tat jede Seite daraus eine Alles-oder-Nichts-Frage machen. Dann kann das bis zum Zerreißen gehen, historisch eben bis hin zu einem Bürgerkrieg.
    Wenn es aber um weniger dramatische Sachen geht, wird man wohl einen Weg finden können, weil dann doch allen am gemeinsamen Weitermachen gelegen sein sollte.

  31. Mattis
    27. Juni 2013, 14:08 | #31

    Hallo franziska,
    inwiefern siehst du denn auf gesamtgesellschaftlicher Ebene mehr mögliche Konflikte als auf den Ebenen, die deinem Konzept entsprechen?
    „Konsens“ ist ja auch auf „unteren“ Ebenen fast schon eine Ideologie, denn auch da muss man manche „Kröte schlucken“ (Ausdruck stammt übrigens von Wat.), kann also auch da nicht immer wie man will und hat auch da manchmal keine Chance, eine mehrheitliche Meinung quasi mit einem Einzel-Veto zu canceln. Das ist nunmal der grundsätzliche Preis für ein Leben in Gesellschaft.
    Übrigens fliegt ja noch nicht mal der Kapitalismus auseinander, obwohl aus lauter Gegensätzen bestehend. Aber fast alle wollen eben an der kapitalistischen Form festhalten.
    Insofern sehe ich keinen Grund für extreme Skepsis in einer nicht-kapitalistischen Gesellschaft, vor allem da es keine systembedingten Gegensätze mehr gibt. Für unterschiedliche Auffassungen über die Priorisierungen der Produktion, der Arbeitszeiten und sonstige Konflikte braucht es natürlich ein oberstes Gremium von Abgeordneten, das über diese Dinge entscheidet, und mit klugen Kompromissen lässt sich mancher nachträgliche Unmut besänftigen. Außerdem braucht es freilich eine öffentliche Debattenkultur, in der vorher über Für und Wider, über Gründe und Konsequenzen diskutiert wird. Alles Sachen, die der Realsozialismus nicht bieten wollte, weil er der vielgelobten „Arbeiterklasse“ im Grunde nicht viel zugetraut hat.

  32. 27. Juni 2013, 17:22 | #32

    Hier ein paarzusammengewürfelte Zitate von Mattis (ich kann im Augenblick nur mit einem Android-Tablet auf den Blog zugreifen, das ist offensichtlich alles andere als ein Ersatz für ein „richtiges“ Notebook, gerade kopieren und einfügen ist eine Qual.):
    mir stellt sich dann die Frage: was hätten diese tatsächlich anders gemacht, wenn sie denn die Möglichkeit gehabt hätten?
    Hätten sie die Prioritäten anders gesetzt? Hätten sie beschlossen: weniger Traktoren, mehr Trabbis? Oder: weniger Autos, dafür mehr Wohnungen? An den selbstgeschaffenen Schranken der Ökonomie hätte das alles nichts geändert, es hätten sich nurandere Varianten des Mangels ergeben.
    Die Ärmlichkeit des „Realsozialismus“ hat vielmehr zu tun mit der Übernahme von Methoden und Mitteln des Kapitalismus (also Sachen wie Gewinnrechnung, Lohn als Kostenfaktor etc.), diese aber ohne Kapitalisten und ohne freien Markt.
    So ein ausgebremster, staatlicher Kapitalismus bedeutet zwar nicht mehr: Ausbeutung zugunsten einer arbeitsfrei lebenden Klasse, bewirkt jedoch eine permanente Selbstblockade der Ökonomie. Aber statt dass man diesen Unfug kritisiert hätte – zugunsten einer direkt organisierten Produktion, schimpfte man lieber auf die Partei
    Ich habe den Begriff Ausbeutung nicht verwendet, weil er zwar als moralische Anklage schnell zur Hand ist, aber gerade bezüglich der DDR besonders schwierig zu fassen ist.
    Was ich von ehemaligen DDR-Bürgern oft höre, ist: die Parteibonzen haben es sich gut gehen lassen auf Kosten des Volkes. Das ist aber m.E. gar nicht der Punkt: denkt man sich den Lebensstandard der Parteileute und Betriebsleiter mal umgerechnet je Kopf der Gesamtbevölkerung, reicht das allenfalls für ein neues Fahrrad, das wars dann schon.
    Dass in der DDR „Herrschaft“ gewesen sei, wird üblicherweise mit diktatorischer Bevormundung. Kritikverbot etc. belegt, nicht mit einem Inhalt der Herrschaft. Dieser ist ja im Falle des Realsozialismus gar nicht so einfach zu benennen. Dass da Reichtum „für den Staat“ produziert wird, ist eine zu simple Formel, denn erstens haben auch die Leute im Staat durchaus was zum Leben gehabt, und zweitens kann der Staat ja immer darauf verweisen, dass er selbstverständlich Mittel braucht für allgemeine Fonds wie Verkehrswesen, Krankenhäuser etc., die ja auch für die Leute da sind.

  33. franziska
    28. Juni 2013, 18:22 | #33

    Ich werde versuchen, die mir hier zuletzt gestellten Fragen von Mattis und Neoprene in meinen Beiträgen zum thread „Neugründung des Marxforums“ mit zu beantworten.
    Es ist schade, dass im Moment zu wenig Zeit ist, um die von Gabagaba zitierten Äusserungen von Marx aus einer relativ frühen Periode seines Denkens weiter zu verfolgen.
    Zur anarchistischen „Orga“, Gabagaba, will ich anmerken, dass in meiner Version einer „kommunalistischen“ Strategie zu einer eigentums- und zwangfreien Gesellschaft die Verarbeitung gesellschaftlich verfügbaren und relevanten Wissens im Zentrum steht. Davon müsste in der Auseinandersetzung mit Neoprenes Vertrauen in Experten (als Antwort auf die Frage: Übereinstimmung in welchen Prinzipien solches Vertrauen rechtfertigt) ausführlich die Rede sein.
    An der befriedigenden Lösung dieses Problems hängt die Möglichkeit einer absolut „horizontalen“ „Orga“.

  34. Bakunin
    4. Juli 2013, 11:00 | #34

    MG Text von 1983, Die Sache mit der Freiheit
    „Nationalistisch genug waren sie schon, die streikenden Arbeiter und die Demonstranten in der DDR, um ihren Protest in nichts als eine Demonstration ihres ohnmächtigen Nationalismus einmünden zu lassen “
    Tja, diese streikenden „nationalistischen Arbeiter“ 1953, nur ganze knappe 8 Jahre, nachdem ihr vormaliger geliebter Reichskanzler auf Grund außerordentlicher Umstände sein Amt niederlegen musste!
    Wie viele Streiks, Demos mögen diese deutschen „Arbeiterhelden“ wohl vor dem 8/9 Mai 1945 auf die Beine gestellt haben?
    Doch stop, da hatten ja glückerweise kein Ulbricht, kein Piek, kein Grotewohl, keine bösen Russen und Bolschewisten etwas in Deutschland zu sagen, wurde tapfer gegen die Bolschewisten im Osten gekämpft und verreckt, ganz brav und anständig, Normen, Arbeitszeiten, Löhne, hin oder her.
    Und nicht mal die vielen englischen Bomben auf deutsche Arbeiterbehausungen konnten die braven deutschen Arbeiter daran hindern für ihren Führer zu arbeiten und zu sterben.
    So eine Treue, so eine Hingabebereitschaft, so eine Opferbereitschaft für Ulbricht und Grotewohl, Piek & Co., deren sozialistisches friedliches(!) Aufbauprogramm lag einfach bei diesen deutschen Muster-Proleten nicht in der Tüte.
    Ist es so schwer zu begreifen, dass auch jene damaligen Arbeiter, ganz unabhängig davon, inwieweit ihre Proteste nun gerechtfertigt waren oder nicht, Produkte des deutschen Imperialismus und Faschismus waren?
    In bürgerlichen Gesellschaften wurde sie doch alle vor der DDR-Zeit sozialisiert, geprägt, beeinflusst – so wie auch heute wieder.
    Und heute, wo legen Millionen von Niedriglöhnern, prekären Lohnknechten die Arbeit nieder zwecks Erkämpfung anständiger Löhne und Arbeitsbedingungen?
    Darüber sollten alle Fans des „Arbeiteraufstandes“ von 1953 in der DDR in Ruhe mal nachdenken, ganz besonders unsere tollen DGB/Deutsche – „Gewerkschaftler“!

  35. 4. Juli 2013, 12:51 | #35

    Bei dieser antideutschen/stalinistischen Arbeiterbeschimpfung von Bakunin stößt mir mal wieder auf, wie schnell doch immer wieder allumschließende Kategorisierungen gehen: „Die“ Arbeiterklasse als einheitliches pokitisches Subjekt hat es doch weder in der Weimarer Republik gegeben, wo die meisten noch KPDler oder SPDler waren, noch unter Hitler, wo sicherlich den Nazis große Einbrüche in dieses mehr oder weniger linke Lager gelungen sind, noch in den ersten Jahren nach Kriegsende, wo die politischen Orientierungen allenthalben durcheinandergeschüttelt waren. Selbst die Tatsache, daß Ulbrichts SED 1953 offensichtlich nicht bei allen Zustimmung hatte, sagt noch nicht viel über die politische Lage aus. Deren Einstellungen mögen „Produkte“ von so manchem gewesen sein, das gilt schließlich immer, einmal Nazi, immer Nazi, so lese ich Bakunins Verärgerung über den 17. Juni 1953, scheint es mir jedenfalls nicht zu treffen.

  36. Bakunin
    4. Juli 2013, 15:35 | #36

    Hi neoprene,
    auch hier muss ich dich mir nochmals herzlichst-energisch zur Brust nehmen!
    Wie viele der damals streikenden Arbeiter 8 Jahre zuvor „Nazis“ oder bloße kleine Opportunisten mit einem mehr oder weniger bürgerlichen Bewusstsein waren, wird kein Mensch heute noch plausibel angeben können.
    Bei diesem Ereignis spielten viele Faktoren zusammen, materielle Unzufriedenheit, die „Russen“ im Lande, die immensen Reparationen, Antikommunismus, Nationalismus, alles verteilt auf die verschiedensten Gruppen und Schichten der damaligen Arbeiter, Streikenden.
    Es dürfte also weder ein reiner „Arbeiteraufstand“(BRD-Version) noch ein vom „RIAS“ angestifteter „faschistischer Putschversuch“(DDR-Version) gewesen sein.
    Hier sucht sich halt jeder für sein ganz spezielles ideologisches Süppchen seine passenden „Zutaten“ ganz unschuldig heraus.
    Ob in der damaligen DDR oder der BRD, sehr viele Menschen wollten sich noch lange nicht so einfach mit der Niederlage und besonders mit den teilweise sehr schmerzlichen Folgen abfinden, waren politisch zutiefst verwirrt, natürlich gefördert durch eine entsprechenden Rhetorik aus Bonn nach allen Registern.
    Und dies alles soll auch beim 17.Juni 1953 keine Rolle gespielt haben?
    Wir wollen doch keine Schelme sein!

  37. Gabagaba
    4. Juli 2013, 19:33 | #37

    Der politische Fehler der Partei (und die damit einhergehende Eskalation) war wohl das Nicht-Einlenken auf die ArbeiterInnenforderung zur Rücknahme der „Erhöhung der Arbeitsnormen“.
    Es wurden sozusagen „politische“ Zugeständnisse gemacht, aber die wirtschaftlichen Forderungen der arbeitenden Klasse nicht erfüllt. DAHER wurde es zunächst ein Streik (und kein Volksaufstand), ein Generalstreik…und wie es in der Natur eines Streiks angelegt ist, wurde der eben von den „Werktätigen“ geführt…wer auch sonst.
    Daher ist es nicht sooo abwegig von einer „Arbeiterrevolte“ zu reden. Zumindest könnte mensch es ja mal ganz vorsichtig andenken…und nicht immer dieses pauschale Abwatschen der ArbeiterInnenbewegung…sind ja eh alles nur Reaktionäre usw…ein bißchen Differenzierung ist eigentlich immer ganz hilfreich. Das die deutsche ArbeiterInnenbewegung 1933 übel die Kiste versemmelt hat ist klar, aber etliche klassenbewußte Knechte haben durchaus im Widerstand dafür bluten müssen. Damit will ich niente relativieren nur differenzieren.
    Das die ArbeiterInnen in der DDR sich nicht gerade den freiheitlichen Sozialismus auf ihre Fahnen geschrieben hatten…das kann mensch bedauern,logo. Aber hat wenig mit einer realistischen Einschätzung der Umstände und der Akteure zu tun. Da sind wir uns bestimmt einig, hmm?
    Grüße
    Zitat (Sara Lohoff):
    „Verschiedene Faktoren waren entscheidend für die Ereignisse des 17. Juni.
    Die Übertragung sowjetischer Methoden 1952 und Anfang 1953 führte zu einer ökonomischen Krise. Der absolute Vorrang der Schwerindustrie verschlimmerte die materielle Lebenslage der Menschen und durch die Kollektivierung der Landwirtschaft wurde die Mangelwirtschaft permanent und es kam zu Preissteigerungen bei gleichzeitigen Lohnkürzungen.
    Gleichzeitig mit den wirtschaftlichen Maßnahmen wurde die Straffung und Zentralisierung des Staates vorangetrieben. „Das Hauptinstrument bei der Schaffung der Grundlagen des Sozialismus ist die Staatsmacht.“ wurde auf der Zweiten Parteikonferenz der SED, die vom 9. bis 12. Juli 1952 stattfand, angeordnet.
    In der Folge wurden die fünf Länder in 14 Bezirke umstrukturiert und die Landtage und Landesregierungen wurden aufgelöst. Die Strukturen der Staatssicherheit und der Volkspolizei wurden dem neuen Staatsaufbau angeglichen. Ein neues Gerichtsverfassungsgesetz vom Oktober 1952 hob die formal noch bestehende richterliche Unabhängigkeit endgültig auf. Die Rechtssprechung der Gerichte diene „dem Aufbau des Sozialismus“.
    Es kam zu einem starken Anstieg von Verhaftungen und Verurteilungen.
    Laut Ihme-Tuchel gab es im Juli 1952 etwa 37 000 Untersuchungs- und Strafgefangene, Ende Mai 1953 sollen es fast 67 000 gewesen sein.
    Politische Unterdrückung, Zwangsmaßnahmen gegen Bauern, Selbständige und Intellektuelle verschlechterten die Stimmung zusätzlich.
    Auch Mitglieder kirchlicher Jugendgruppen, „Junge Gemeinden“ genannt, und Studentengemeinden waren seit 1952 verstärkt politischer Verfolgung ausgesetzt. Im April 1953 wurden die „Jungen Gemeinden“ zur illegalen Organisation erklärt und zahlreiche Schüler und Studenten wegen angeblicher „Boykotthetze“ verurteilt.
    Ein Umstand, der ebenfalls die Wirtschaft belastete, war die immer größer werdende Flucht- und Abwanderungsbewegung. Eine weitere Konsequenz waren immer schikanösere Kontrollen und zunehmende Erschwernisse auf den Verkehrswegen zwischen der DDR und Westberlin.
    1952 erfolgte die ‚Verordnung über Maßnahmen an der Demarkationslinie’. Entlang der deutsch-deutschen Grenze errichtete das DDR-Regime eine fünf Kilometer breite Sperrzone und erklärte im Sommer 1952 die Sperrzone zur Staatsgrenze. Mehr als 8000 Grenzbewohner wurden dafür zwangsweise aus dem Sperrgebiet ins Landesinnere umgesiedelt. Rückwirkungen auf die Stimmung der Bevölkerung konnten da nicht ausbleiben.
    Die entscheidende Zuspitzung der Krise war die Erhöhung der Arbeitsnormen um mindestens zehn Prozent, die der Ministerrat am 28. Mai 1953 für die volkseigene Industrie und Bauwirtschaft verfügt hatte. Im Arbeitsalltag lief die Erhöhung der Normen auf Lohneinbußen von 20 bis 40 Prozent hinaus.
    Die schlechte Lage der DDR war offensichtlich. Nach Stalins Tod kritisierte die KPdSU die Politik der SED und unter dem sowjetischen Druck fasste das Politbüro der SED am 9. Juni 1953 den Beschluss über einen „Neuen Kurs“.
    Darin wurden Fehler eingeräumt, unter anderem wurden die Repressalien gegen Teile der Bevölkerung, welche als „verschärfter Klassenkampf“ beim „Aufbau des Sozialismus“ definiert wurden, für falsch erklärt und die Preissteigerungen zurückgenommen.
    Die Lebenslage sollte durch Stärkung der Konsumgüterindustrie verbessert werden und es wurden Schritte zur Annäherung der beiden deutschen Staaten versprochen. Damit wurden vielen Schichten Zugeständnisse gemacht, aber gegenüber der Arbeiterschaft blieb die DDR-Führung hart und nahm die im Mai erhöhten Arbeitsnormen trotz Protests der Arbeiter nicht zurück.
    Der „Neue Kurs“ konnte den Konflikt nicht mehr abwenden. Fricke bewertet ihn sogar als kontraproduktiv, da die Partei, die sonst immer Recht haben wollte, erstmals öffentlich Fehler eingeräumt hatte, was einem Offenbarungseid gleich kam.Laut Mitter und Wolle habe sich in der Bevölkerung die Überzeugung verbreitet, dass „die Regierung und damit auch die herrschende Partei am Ende war.“ „

  38. Bakunin
    4. Juli 2013, 22:44 | #38

    Hallo Trotzki-Gabagaba,
    eine wirklich gelungene Aufklärung in einem „linken“ Gewande, selbst der Guido Knopp vom ZDF könnte da noch manchen antikomministischen, Anti-DDR Honig genüßlich saugen.
    Ein Leckerli von vielen:
    „In der Folge wurden die fünf Länder in 14 Bezirke umstrukturiert und die Landtage und Landesregierungen wurden aufgelöst.“
    Ja und? WER braucht in Deutschland wirklich WOZU „Länder“, Landtage?
    In Frankreich wurden die „Länder“ schon 1789 abgeschaft, Departements, = Bezirke(!), geschaffen.
    Und dort juckt das bis heute kaum jemanden, wer flennt dort deswegen?
    Ansonsten Regime, Regime…Staatsgrenze = „Demarkationslinie“ zwischen der BRD und der DDR NACH der vorsätzlichen Spaltung Deutschlands durch den „Westen“, Adenauer & Konsorten…., Perlen über Perlen…
    In welchen Paradies lebten doch da die „West“-Proleten“, wo alles so war und blieb wie schon immer seit Wilhelm zwo, Ebert, Noske, Scheidemann, Hitler….
    Wie wäre es eigentlich, sich mal ernsthaft mit der Geschichte der DDR anhand der wissenschaftlichen Methode des Historischen Materialismus zu beschäftigen?
    Ja, Historischer Materialismus, das ist nicht chinesisch oder „stalinistisch, das ist deutsch, mit Garantie! 🙂

  39. Mattis
    5. Juli 2013, 21:18 | #39

    „Wie wäre es eigentlich, sich mal ernsthaft mit der Geschichte der DDR anhand der wissenschaftlichen Methode des Historischen Materialismus zu beschäftigen?“ (Bakunin)

    Hatten wir dieses Thema nicht schon zu Beginn dieses Threads?
    Wenn man eine bestimmte Brille – hier die historisch-materialistische – aufsetzen muss, um „wissenschaftlich“ zu sehen, dann ist es keine Wissenschaft.
    Im Iran gab es vor Jahren eine große Konferenz der Gelehrten; da hieß es zum Schluss, man könne die Wirklichkeit nicht richtig erfassen, wenn man sie nicht vom Standpunkt des Korans aus „betrachte“ …

  40. Bakunin
    6. Juli 2013, 08:58 | #40

    Mattis meint(!): „Wenn man eine bestimmte Brille – hier die historisch-materialistische – aufsetzen muss, um „wissenschaftlich“ zu sehen, dann ist es keine Wissenschaft.
    Im Iran gab es vor Jahren eine große Konferenz der Gelehrten; da hieß es zum Schluss, man könne die Wirklichkeit nicht richtig erfassen, wenn man sie nicht vom Standpunkt des Korans aus „betrachte“ … “
    Du willst ernsthaft Marxens wissenschaftliche Weltanschauung, den wissenschaftlichen Sozialismus, deren Ursprünge zurückgehen auf die Zeit der bürgerlichen Aufklärung bis hin zum 16.Jahrhundert, mit den Koran-Interpretationen islamischer Geistlicher?
    Meinst du das wirklich so?
    Welche „Brillen“ trugen denn da ein Francis Bacon, G.Bruno, Gallilei, Kopernikus, Spinoza, Decartes, ein Newton, ein Leibniz, ein Hobbes, Locke, Montesquieu, Rousseau, ein Charles Darwin, ein Adam Smith, David Ricardo?
    Und die dickste alle dicken Brillen (eigentliche Brenngläser!?) dann Marx und Engels?
    Doch vielleicht definierst du zunächst mal Wissenschaft, deren nach deiner Meinung „zulässigen“ Anwendungsgebiete, damit wir nicht womöglich aneinander vorbeireden?

  41. Bakunin
    6. Juli 2013, 09:06 | #41

    pardon, ….mit den auf den Koran gestützten Interpretationen der Wirklichkeit islamischer Geistlicher VERGLEICHEN?…

  42. 6. Juli 2013, 11:00 | #42

    Bakunin, merkst du eigentlich gar nicht, daß du zwar vollmundige Behauptungen bezüglich deines Histmat aufstellst, aber jeglichen Nachweis schuldig geblieben bist, warum das vernünftig (gewesen) ist?
    Warum setzt du dich nicht mal konkret mit einer Generalkritik am MLertum, gott hab es selig, auseinander, das du z.B. hier bei mir nachlesen kannst?
    http://neoprene.blogsport.de/images/DeckerMarxismusAnpassungslehreoderKritik.doc

  43. Mattis
    6. Juli 2013, 13:00 | #43

    „Welche „Brillen“ trugen denn da ein Francis Bacon, G.Bruno, Gallilei, Kopernikus, Spinoza, Decartes, ein Newton, ein Leibniz, ein Hobbes, Locke, Montesquieu, Rousseau, ein Charles Darwin, ein Adam Smith, David Ricardo?“ (Bakunin)

    Die bürgerlichen Brillen (unterschiedlicher Dioptrien) der von dir genannten Philosophen und Ökonomen müssten dir doch tendenziell bekannt sein. – Für die Feststellung, dass die Erde sich um die Sonne dreht, brauchte man indes keine Brille, sondern ein Fernrohr und ganz viel logisches Schlussfolgern, und man musste sich mutig gegen die christlichen Brillenträger behaupten, die immer so ähnliche Gelehrtenkonferenzen veranstalten wie die von mir genannte islamische. Charles Darwin dito., allerdings mit Mikroskop statt Fernrohr.

    „Und die dickste alle dicken Brillen (eigentlich Brenngläser!?) dann Marx und Engels?“

    Die Marxschen Analysen waren überall dort wissenschaftlich, wo sie korrekt waren, insofern ohne verfälschende Voreingenommenheit durchgeführt – und nicht etwa, weil sie „marxistisch“ waren. Das macht den Unterschied. Wenn etwas wirklich Wissenschaft ist, braucht es kein qualifizierendes Attribut. Das ist der Punkt. Es gibt strenggenommen keine „marxistische“ Bestimmung von Ware und Wert. Entweder diese Bestimmungen in „Das Kapital Band 1“ sind korrekt, also richtige Schlussfolgerungen aus den Erscheinungen der kapitalistischen Gesellschaft, oder sie sind es nicht.
    Allerdings: bei Marx deuten sich bereits Schwachstellen hinsichtlich angeblicher Gesetzmäßigkeiten bei der Abfolge von Gesellschaftsformationen an, die von Engels leider zu einer regelrechten Methodik ausgeweitet wurden. Das führt dann weg von der wissenschaftlichen Analyse, hin zum „Anlegen“ eines vorgefassten Schemas, und dabei kann dann immer nur die Bestätigung dieses angelegten Maßstabs herauskommen. Die ML-Fraktionen schließlich haben dann mit dem Anlegen und Umsetzen des „Historischen Materialismus“ den ganzen Sozialismus für ein Jahrhundert lang ordentlich versaut.

  44. Bakunin
    6. Juli 2013, 16:13 | #44

    Hi neoprene (Danke für den Link!) und Mattis,
    dass mit dem DIAMAT und HISTOMAT von Sozialisten und Kommunisten verschiedenster Schattierungen und Bildungsstand eine Menge Unfug angestellt wurde, ist doch keine Frage.
    Es ist auch wahr, dass Marx und Engels selbst zu falschen Hoffnungen, Analysen gelangten, einige davon räumten sie später selbst auch ein.
    Oder schaut bei Stalin, sein Artikel „Zur auswärtigen Politik des Zarismus“, wo er Engels einige wichtige Vorwürfe macht.
    Jede Wissenschaft, welche allmählich zu einer Ideologie versteinert, wird unwissenschaftlich.
    Dies könnt ihr selbst an vielen heutigen Wissenschaften beobachten, ob Evolutionstheorie, Genetik, Biologie, selbst in einigen Teilen der Physik, Kosmologie, wie viele Dogmen, Verköcherungen tummeln sich auch dort.
    Wir wollen erst gar nicht von vielen unserer Schulbücher reden.
    Was ist denn nun überhaupt der HISTOMAT?
    Er ist die Übertragung und Anwendung des dialektisch-materialistischen Denkens (Denkmethode) auf die Geschichte, und natürlich auch auf die gegenwärtige Gesellschaft.
    Und was bedeutet das nun konkret, wie muss man da also untersuchen, forschen, auf was unbedingt achten?
    Man muss sich zuallerst mit der Ökonomie, der Produktionsweise einer bestimmten Zeit, einer bstimmten Gesellschaft beschäftigen, den unterschiedlichsten Stellungen, welche die Leute dort einnehmen, woraus sie bedingt durch diese, ihre Interessen ableiten, für diese sich einsetzen, kämpfen, oder auch nicht, herausfinden, welche Klassen über andere Klassen herrschen, wie diese herrschenden Klassen ihre Interessen definieren und anschließend mehr oder weniger erfolgreich durchsetzen, ob gegenüber der eigenen ausgeuteten oder gegnüber anderen Ausbeuterklassen, herrschenden Schichten.(Ursachen von Kriegen, etc..)
    Man muss also Licht und Aufklärung in den allgemeinen Wust unterschiedlichster Interessen und Verhältnisse bringen.
    Hat man dies einigermaßen, annähernd geschafft, bekommt auch allmählihc eine Einsicht, ein Verständnis für das „Wollen“, Denken, Ziele der jeweiligen Klassen und Schichten, warum sie dieses oder jenes taten, anderes aber trotz aller „Logik“(!) unterließen.
    Das „SEIN“ bringt immer ein „Bewusstsein“ hervor, selbst schon bei Amöben oder Geiseltierichen in Tümpeln, oder auch bei Fliegen, die immer wieder gegen helle Fenster andonnern, aber dieses Bewusstsein kann, ob bei Menschen, Amöben, Geiseltierchen oder eben Fliegen, immer auch ein falsches, inadäquates sein!
    Es gibt in der Geschichte in der Tat kein über allen Menschen und deren Leben stehendes „richtig“ oder „falsch“, diese beiden Kategorien (ebensowenig wie gut und böse) machen allein Sinn im Hinblick auf die Durchsetzung von Zielen und Interessen der jeweilgen Klassen und Schichten.
    Kein höheres Gesetz, keine übermenschlichen Notwendigkeiten brachten das Römische Reich oder den Kapitalismus hervor, sondern Menschen zu bestimmten Zeiten und bestimmten vorgefundenen Voraussetzung, welche ihnen als Basis und Mittel für alle ihre Ambitionen dienten.
    Und erst dadurch entstehen auch die großen, tatsächlich relevanten geschichtlichen Zusammenhänge und scheinbar sich über den Menschen tummelnden Gesetzmäßigkeiten der verschiedensten Epochen und Gesellschaften.
    Alle diese Gesetzmäßigkeiten sind also Folge und gleichzeitige Bedingungen ihres Lebens und handelns.
    Kann man sich die Gesetzmäßigkeiten eines menschlichen Körpers vorstellen ohne Menschen, menschliche Wesen?
    Oder gesellschaftliche Gesetzmäßigkeiten, wie etwa jene, welche die einfache oder die höhere kapitalistische Warenproduktion beherrschen ohne Waren produzierende Gesellschaften?
    Doch wohl kaum!
    Und noch etwas: Alle Wissenschaften, ob auf die Natur bezogen oder auf menschliche Gesellschaften, sind immer nur mehr oder weniger gute, erfolgreiche Annäherungen an die Wahrheit, an den Erkenntnisgegenstand, absolutes Wissen gib’s da nicht abzuholen, schon gar nicht mit großen Löffeln freimütig zu verteilen.
    Fehler und Irrtümer, Dogmatismus und Eitelkeiten, alles ist auch in allen Wissenschaften „drin“, Nobelpreise hin oder her, denn es bleiben immer Menschen aus Fleisch und Blut, keine „Spocks“, welche sich da auf diesem oder jenen Gebiet wissenschaftlich betätigen.
    Ich spreche selbstverständlich allein in meinem „Namen“, keiner Gruppe, Truppe oder Organisation, Partei!

  45. Mattis
    6. Juli 2013, 21:42 | #45

    „Das „SEIN“ bringt immer ein „Bewusstsein“ hervor, selbst schon bei Amöben oder Geiseltierichen in Tümpeln, oder auch bei Fliegen, die immer wieder gegen helle Fenster andonnern, aber dieses Bewusstsein kann, ob bei Menschen, Amöben, Geiseltierchen oder eben Fliegen, immer auch ein falsches, inadäquates sein!“

    Das Bewusstsein, bedingt durch das Sein, kann also zum Sein passen, aber kann auch „inadäquat“ sein.
    Na das bringt uns doch weiter.
    Entspringt das Bewusstsein der chinesischen Führung jetzt der dortigen Produktionsweise oder hat dort ein „inadäquates“ Bewusstsein der Führung die Produktionsweise verändert, womit es dann wieder passt und endlich wieder als durch die Produktionsweise bedingt erscheint oder sollte man die Schemata des Histomat und Diamat nicht doch auf den berühmten Müllhaufen der Geschichte werfen?

  46. 6. Juli 2013, 21:55 | #46

    Daß Bakunin den Begriff des „Bewußtseins“ so entwertet, daß da von den Amöben bis zu den Politbürogrößen der KPdSU alles mit einem „Begriff“ erschlagen wird, wirft in der Tat schon mal ein trübes Licht auf seinen Standpunkt.

  47. Gabagaba
    7. Juli 2013, 17:42 | #47

    Bakunin 04. Juli 2013 um 22:44 Uhr
    „Hallo Trotzki-Gabagaba,“
    Trotzki? Studiere mal weiter Mr. Bakunin.
    „eine wirklich gelungene Aufklärung in einem „linken“ Gewande, selbst der Guido Knopp vom ZDF könnte da noch manchen antikomministischen, Anti-DDR Honig genüßlich saugen.“
    Antikommunismus?
    Oh nein. Du verwechselst meinen Antibolschewismus mit Antikommunismus? Was habe ich da wieder verkehrt gemacht…
    „Ein Leckerli von vielen:
    „In der Folge wurden die fünf Länder in 14 Bezirke umstrukturiert und die Landtage und Landesregierungen wurden aufgelöst.“
    Ja und? WER braucht in Deutschland wirklich WOZU „Länder“, Landtage?“
    Aber, aber..es ist doch nur eine Beschreibung von den „Veränderungen“ dieser Zeit. Da wird nicht gejammert, gar gewertet, sondern festgestellt. That’s all.
    Du bist ein Schlawiner Bakunin, schon wie du es anpackst Tatsachen so darzustellen bzw. interpretierst, dass es dir in den Kram passt. Respekt. Solltest in die Politik gehen.
    Wie kannst du darauf schließen, dass es der Autorin oder gar mir um solch einen Killefitt geht.
    Wer braucht überhaupt Deutschland, manchmal gehst du nicht weit genug, grins.
    Nein, was damit gesagt werden sollte ist nichts anderes, dass die „Errungenschaften“ der bürgerlichen Demokratie wie Parlamente bzw. Landesparlamente dem Zentralismus der bolschewistischen Parteienherrschaft weichen musste. Konkret geht damit tendenziell auch der Verlust der üblichen bürgerlichen Rechte (soweit vorhanden) einher.
    „In Frankreich wurden die „Länder“ schon 1789 abgeschaft, Departements, = Bezirke(!), geschaffen.
    Und dort juckt das bis heute kaum jemanden, wer flennt dort deswegen?“
    Interessant, es gab in Frankreich immer Kritik an dem dortigen Zentralismus…(mir ist es im übrigen völlig gleich, nicht meine Baustelle, auch wenn du mich dort gern arbeiten sehen würdest).
    „Ansonsten Regime, Regime…Staatsgrenze = „Demarkationslinie“ zwischen der BRD und der DDR NACH der vorsätzlichen Spaltung Deutschlands durch den „Westen“, Adenauer & Konsorten…., Perlen über Perlen…
    In welchen Paradies lebten doch da die „West“-Proleten“, wo alles so war und blieb wie schon immer seit Wilhelm zwo, Ebert, Noske, Scheidemann, Hitler….“
    Dir ist aber auch nichts peinlich. Du beleidigst deinen Intellekt. Es hat keine/r dergleichen behauptet.
    „Wie wäre es eigentlich, sich mal ernsthaft mit der Geschichte der DDR anhand der wissenschaftlichen Methode des Historischen Materialismus zu beschäftigen?
    Ja, Historischer Materialismus, das ist nicht chinesisch oder „stalinistisch, das ist deutsch, mit Garantie! :-)“
    Shalom altes Haus.
    Lieben Gruß vom Trotzky Gabagaba (haha)

  48. Mattis
    8. Juli 2013, 18:44 | #48

    Falls es jemanden interessiert, hier noch ein Nachtrag zum “Wertgesetz”. Auch dieses wurde von “Marxisten” zu einer Brille verfabelt, durch die allein man jede Ökonomie verstehen könne. Beispielhaft folgende Zitatauswahl:

    “Das Wertgesetz kann allenfalls unter besonderen Bedingungen zeitweise ignoriert oder gar beiseite geschoben werden. Je entwickelter die Produktivkräfte und je komplexer die Erzeugnisse sind, desto zwanghafter setzt es sich durch. Es gilt für alle Produktionsverhältnisse, nicht nur für die Warenproduktion. Unterschiedlich ist nur die Form, in der sich das Gesetz durchsetzt. Im Kapitalismus geschieht das „hinter dem Rücken der Produzenten“, im Sozialismus durch seinen bewussten und planmäßigen Vollzug.”

    Das ist logisch: im Sozialismus ist “die Form, in der sich (!) das Gesetz durchsetzt”, dessen “planmäßiger Vollzug”.

    “Aus marxistischer Sicht zeichnet sich eine sozialistische Ökonomie dadurch aus, dass sich das Wertgesetz bewusst und planmäßig durchsetzt statt hinter dem Rücken der Produzenten.”

    Um so einen Standpunkt zu begründen, wird das Wertgesetz von vornherein verfabelt in eine überhistorische Binsenweisheit:

    “[Marx] hatte auf die banale Kleinigkeit hingewiesen, dass die „Arbeitszeit, welche die Produktion der Lebensmittel kostet, den Menschen… in allen Zuständen interessieren“ musste und dass die „gesellschaftlich notwendige Arbeitszeit“ die Produktion beherrscht. Und weil das Arbeitsvermögen einer jeden Gesellschaft begrenzt ist, stehen die Arbeitszeiten, die für die einzelnen Produktmengen benötigt werden, in einer gesetzmäßigen Beziehung zum gesellschaftlich verfügbaren Arbeitsvermögen. Diesen Zusammenhang hat Marx als Wertgesetz bezeichnet. Es bestimme, „wie viel die Gesellschaft von ihrer disponiblen Arbeitszeit auf die Produktion jeder besonderen Warenart verausgaben kann.“

    Das letzte Wörtchen – “kann” – wird interpretiert als Aspekt auch einer bewussten Handhabung der Ökonomie, wobei diese dann zugleich immer auch Ingangsetzung des Wertgesetzes ist. Weil man es so vordefiniert hat – Beweis gelungen! Arbeitsaufwand ist immer von Interesse – und mehr produzieren als Arbeitspotential da ist kann man nicht – also gilt immer das “Wertgesetz”.
    So macht sich das Wertgesetz auch jenseits von Privateigentum und Konkurrenz verdient um den gesamten Gang der Menschheit:

    “Es hat in der ersten Stufe des Sozialismus eine doppelte Funktion. Zum einen beherrscht es die Allokation des Arbeitsvermögens auf die verschiedenen notwendigen Produktarten, zum anderen dient es als Maß für die Distribution der Produkte nach Leistung. Falls die Verteilung in einer späteren Stufe der gesellschaftlichen Entwicklung nach dem Bedürfnis vor sich geht, bleibt das Wertgesetz für die planvolle Steuerung der Produktion weiterhin unabdingbar.”

    Zitatnachweis

  49. Bernhard T.
    11. Juli 2013, 00:23 | #49

    Von der Spartakist-Arbeiterpartei Deutschlands (SpAD) gibt es zum 17. Juni 1953 unter anderem im „Spartakist“ Nr. 88 vom Juli 1991 einen Artikel. Hier klicken http://archive.org/details/spartakistZeitungDerSpartakist-arbeiterparteiDeutschlandsNr.68Bis146 und dann noch einmal links auf die vierte PDF-Datei von unten (17,6 M). Dann runterscrollen. Eingestellt hat das seinerzeit übrigens neoprene…

  50. Armin Kirchmaus
    5. August 2013, 16:38 | #50

    Passt vielleicht nicht ganz zum 17. Juni, aber wenn Mattis das Wertgesetz ins Spiel bringt, vielleicht ne Anmerkung.
    Den Wert hat Marx als die durchschnittlich benötigte, in den Waren vergegenständlichte Arbeitszeit bezeichnet.
    Aus seiner Herleitung des Wertes kommt aber was ganz anderes raus, nämlich, wie er dann auch sinngemäß sagt, dass man keinen Krümel Wertsubstanz an den Waren finden wird, also eigentlich auch nicht die Arbeitszeit. Die bestimmt in reproduzierender Ökonomie dessen Höhe ist aber nicht der Wert, welcher von der Sache her Zugriffsmacht ist.
    Engels hat das mit der Arbeitszeit aber noch mal ausgebaut und die letzten Gedankenklärungen seines Freundes nicht recht verstanden.
    In der DDR hab ich das dann als Gesetz der Ökonomie der Zeit gelernt, also schlicht eine simple ökonomische Überlegung, dass man nur produzieren kann, was man in Zeit mal Produktivität eben schafft und dass, wenn man mehr haben will ohne mehr zu arbeiten, man eben die Produktivität steigern muss. So richtig so simpel und so fehlverstanden, was der brutale Clou am Wert ist.
    Das ist schlicht eine andere vormarxsche Wertauffassung, die die Wucht des auf Ausschluss beruhenden Wertverhältnisses zwar nicht erfasst, ihrerseits, als simple Produktivitätsrechnung aber auch nix Schlimmes ist. Man denkt halt über Ressourcenströme nach, zu denen auch die Arbeitskraft gehört. Da kommt keine Planung drumrum. Nur das Wort „Wert“ gehört da nicht hin.
    Ahoi

  51. Mattis
    5. August 2013, 17:33 | #51

    @Armin Kirchmaus
    „Nur das Wort „Wert“ gehört da nicht hin.“
    Die Frage ist, warum wurde es dann im Realsozialismus ständig strapaziert. Ich denke, der Hauptpunkt ist, dass die simple Tatsache, dass Arbeitszeitberechnungen immer eine wichtige Rolle spielen, von den DDR-Ökonomen als Plausibilisierung für die Gültigkeit des Wertgesetzes benutzt wurde, womit aber ganz andere Sachen, nämlich Preisbildung, betriebliche Bilanzrechnungsweise, Lohnhierarchie etc. legitimiert wurden, also Sachen, in denen die destruktive Abstraktion vom Gebrauchswert sinnfällig wird, auch wenn es nicht derjenige Begriff von Wert ist, der im Kapitalismus herrscht – dort vermittelt über die freie, universelle Konkurrenz. Das Wertgesetz kann ja gar nicht existieren ohne die Konkurrenz, weil mit „durchschnittlicher Arbeitszeit“ kein mathematischer Durchschnitt gemeint ist, sondern ein Konkurrenzergebnis. Deshalb „galt“ es auch nicht in der DDR, diente aber zur „wissenschaftlichen“ Rechtfertigung der diversen realsozialistischen Geld- und Preis-Instrumente, also der nur sehr bedingten Kapitalismus-Aufhebung.

  52. Armin Kirchmaus
    6. August 2013, 03:46 | #52

    Die Frage ist, warum wurde es dann im Realsozialismus ständig strapaziert. … diente aber zur „wissenschaftlichen“ Rechtfertigung der diversen realsozialistischen Geld- und Preis-Instrumente

    Hm ? Rechtfertigung ? Weiß nicht, hab ich keine Einblicke in die Debatten. Wem gegenüber rechtfertigen ? Den Leuten ? Da hieß es doch nur, ist für Frieden und Sozialismus, fertig.
    Was ich am Rande mitbekommen habe (Parteileute hatten das erzählt), dass man seit den 70gern ewig diskutiert hatte, wann denn endlich stoffliche Planung eingeführt wird und um 80 rum nach einigem ja, das geht noch nicht, aber eigentlich doch, dann ein winziger Schritt getan wurde, der unter dem Label „Kontrolle durch die Mark“ noch so eine Art Parallelrechnung in Geld als Übergang vorsah. Naja, und ab etwa 86 hieß es dann, die Betriebe sollten ihre Lohnmittel selbst erarbeiten – fünf Schritte zurück.
    Ich vermute eher eine Art Fluch des „Wertgesetzes“. Weil man das Wort nicht theoretisch getilgt hat, war es unterwegs und als Ultima Ratio eine offenstehende Hintertür zu „Mehr Markt“ zurück, sprich, in der praktischen Politik gab es deswegen nicht die nötige Distanz zum „echten“ Wert. Politökonomisches Verständnis lebte, soweit überhaupt, mehr zum Angucken im Zoo der Institute, aber nicht in den Kombinatsleitungen und Ministerien und überhaupt hatte man den Eindruck, dass ein organisierter Intellekt als wirkender gegen Ende nicht mehr bestand, quasi schwerer Theorieverlust.
    Hat das mal jemand unter diesem Blickwinkel beforscht ? Sind ja Kernfragen.

  53. Bakunin
    6. August 2013, 12:06 | #53

    Armin, was da du da zur Politischen Ökonomie, besser zur „Unökonomie“ des Realen Sozialismus anschneidest, lässt auch für meine Begriffe auf eine ziemliche theoretische Hilflosigkeit blicken in Hinblick darauf, eine ordentliche sozialistische Ökonomie, und zwar in Bezug auf alle damals noch sozialistischen Länder, länderübergreifend, auf die Beine zu kriegen.
    Die „Wirtschaftspolitik“ dieser Länder war ja eher ein meist sehr „nationales“ Durchwursteln mit „Hilfe“ von Krediten und sonstigen Abkommen mit den Imperialisten.
    Es wäre natürlich sehr interessant, dazu mehr Insider-Wissen zu erhalten.
    Doch viele dieser einstigen Herrschaften schweigen noch immer, oder rechtfertigen sich so oder so….

  54. Mattis
    6. August 2013, 12:18 | #54

    @Armin Kirchmaus:

    „Ich vermute eher eine Art Fluch des „Wertgesetzes“. Weil man das Wort nicht theoretisch getilgt hat, war es unterwegs und als Ultima Ratio eine offenstehende Hintertür zu „Mehr Markt“ zurück, sprich, in der praktischen Politik gab es deswegen nicht die nötige Distanz zum „echten“ Wert.“

    Also das Wort „Kommunismus“ wurde auch nicht getilgt, trotzdem war dieser nicht „unterwegs“ … nein im Ernst, ich bin überzeugt, es sind nicht die Worte, sondern wirklich die Partei-Ideologie, die sich hier leider wacker gehalten hat gegen alle Ansätze von stofflicher Planung.
    Auf einen guten Text dazu wurde schon hingewiesen:
    http://neoprene.blogsport.de/images/DeckerMarxismusAnpassungslehreoderKritik.doc
    Im einzelnen mag da auch eine Angst im Spiel gewesen sein, mit so einem größeren Rad der rein stofflichen Planung – was ja wirklich eine Revolution gewesen wäre! – die Verhältnisse erstmal instabiler zu machen, aber das naive Schielen auf den Kapitalismus und dessen vermeintlich „fortschrittliche“ Rolle bei der Produktivkraftentwicklung blieb dominierend, also wurden die stofflichen Konzepte nicht mal theoretisch voll ausgearbeitet.
    So ist es, wenn man ein historisches Schema im Kopf hat und der Kapitalismus darin eine überragend positive Rolle einnimmt. Von einem sozialistischen Selbstbewusstsein, die Ökonomie endlich mal komplett ohne Kredite und Ertragsrechnungen selbst zu organisieren, keine Spur. Das wird dann allenfalls auf eine ferne Zukunft verschoben und füllt die Sonntags- und Jubiläumsreden der Partei.
    Heute in Venezuela ganz ähnlich: statt die Lebensmittelversorgung staatlich zu organisieren, werden bestehende private Unternehmen in Preis- und Devisenkorsetts eingespannt. Dass damit der Markt „gelähmt“ wird, ist in den Augen der Regierung immer nur eine Ausrede der um den Profit fürchtenden Unternehmen. So macht man sich was vor und hat immer einen vorzeigbaren Gegner! Aber keinen Erfolg!
    Sozialismus wird wie fast überall als Reglementierung des Marktes verstanden, nicht als Organisierung der Produktion.

  55. Mattis
    6. August 2013, 16:47 | #55

    Immer wieder gern gebracht wird in diesem Zusammenhang auch die Theorie, dass die nachkapitalistische Gesellschaft eine Art Weiterentwicklung des Kapitalismus ist – weil dieser es nicht mehr packt – , welcher aber zunächst noch die technische Basis entwickeln muss(te), damit eine selbstbestimmte Ökonomie überhaupt möglich wird. Ein Beispiel für viele:

    „Wie dargelegt kann die Weiter- und Höherentwicklung der kapitalistischen Produktionsweise nur in ihrer Auflösung bestehen und in ihrer Ablösung durch ein System direkter, nicht sachlicher Gesellschaftsformen, deren technische Grundlage die digitale Netzwerktechnik ist.“
    (Heinrich Harbach, S. 32 in: http://www.masch-hamburg.de/texte/Harbach-SozialistischeMarktwirtschaft_10-02-13.pdf )

    Damit ist dann auch rückwirkend eigentlich klar, dass das mit dem Sozialismus gar nicht hätte klappen können, denn es gab ja noch kein Internet.
    Ganz früher hieß es, die Dampfmaschinen sind entscheidend, dann: die Elektrizität; vorgestern hieß es: die Kybernetik; gestern hieß es, das Internet ist es, und die neueste Variante ist, dass mit einem erschwinglichen 3D-Drucker die Marktwirtschaft schon so gut wie erledigt sei.
    Ich dagegen bin inzwischen felsenfest der Überzeugung, dass es wohl erst mit humaner Transmitter-Technologie möglich sein wird, den Kapitalismus endgültig zu verlassen … Beam me up, Scotty!

  56. Bakunin
    6. August 2013, 18:58 | #56

    Kriegt euch wieder ein, ihr weltfremden Theoretiker, das klassenkämperische Kampfblatt der IG Metall – Metaller oder so ähnlich nennt sich diese Postille – soll zwecks sofortiger Einführung des Proletarier-Glücks zur Wahl der SPD, des Spitzengenossen PEER STEINBRÜCK aufgerufen haben.
    D.h. spätestens am 22.09.2013 könnte nach 00 Uhr die SPD den Sozialismus einführen, und wenn sie gut gelaunt sind, mit Gysi, Brie, Riexinger und der roten Zora S. u.a. als geduldeten Kellnern.
    Also, Geduld, Freunde, die Zeit nahet, tuet Buße und harret der Dinge, die da kommen werden! 🙂 …(…..

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