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Peter Decker: … in eigener Sache

21. November 2012

Die Schlußbemerkungen von Peter Decker bei der Veranstaltung zum Thema „Wie die Demokratie Protest unschädlich macht – Die Praxis des Demonstrationsrecht am Beispiel der Blockupy-Aktionstage in Frankfurt“ am 15.11.2012 in Nürnberg:

„Ein Nachtrag, der ein bißchen an Aktivisten des Demonstrierens hinredet. Es gibt unter den linken Organisationen eine ziemlich feste Meinung, daß Vorträge halten und Flugblätter produzieren und verteilen, Schriften produzieren und verteilen, daß das „Theorie“ ist. Das kann schon respektabel sein, aber es ist bloß „Theorie“. Demonstrieren ist „Praxis“, und zwar die Praxis.
Denen möchte ich gerne sagen, die heutige Besprechung der Demonstration als Mittel, für ein Anliegen Aufmerksamkeit zu erwecken, sollte ein bißchen gezeigt haben, daß diese Praxis – ohne daß ich jemandem deshalb den Vorwurf machen will, wenn er demonstriert, das ist nicht verkehrt – bedeutet, sich den Organen der Öffentlichkeit ausliefern, damit die was aus der eigenen Sache machen. Und die machen dann daraus, was sie wollen. Das ist unvermeidlich, das ist kein Fehler.
Dann sollte man verstehen: Praxis im Sinne eines politischen Kampfes um „Macht“, um die Fähigkeit, den Lauf der Dinge zu bestimmen, ist etwas ganz anderes als Demonstrieren. Wer das will, der muß an die Grundlagen der Macht gehen, der muß dran gehen, worauf beruht denn dieses Gemeinwesen? Das ist ein ganz anderes Feld. Letzen Endes ist das das Feld, wo die Arbeiterschaft den Reichtum dieser Gesellschaft produziert. Wenn die sich verweigern, das ist ein wirklicher Hebel, das ist ein wirkliches Mittel der Macht. Demonstrieren ist dann selber bloß das Demonstrieren von praktischem Willen. Das hat was, ja, und das soll man auch nicht leugnen. Es ist wie auf dem Feld des Theaters das Dementi, daß es bloße Meinung sei. Das ist nicht unrespektabel. Aber es ist doch bloß auf dem Feld des Theaters das Dementi, daß es bloße Meinung sei. Die sagen, Demo ist doch die Praxis! Reden ist Theorie, Demo ist Praxis! Jetzt will ich sagen, aber Leute, vergeßt bitte dabei nicht: Praxis ist bloß Demo! Und das ist nicht dasselbe als wenn ich sagen wollte, man soll nicht demonstrieren. Daß soll man. Aber man soll wissen, auf was man sich einläßt. Daß man da bloß ein Mittel hat, dessen fragwürdige Seiten wir heute durchgenommen haben, ein Mittel der Verbreitung eine kritische Auffassung betätigen, daß sich durchaus vergleichen muß mit: Was ist besser, 10 000 Flugblätter mit ein paar Argumenten oder 10 000 Demonstranten mit einer Parole? Da kann man für beides was anführen, aber man soll nicht so tun, daß das eine „Politik“ wäre und das andere „Theoriewichserei“.
Das jetzt an die – sind wahrscheinlich nicht da, wie immer – Aktivisten des Demonstrierens: Einfach mal überlegen: Ist das, was sie für die Praxis halten, ist das wirklich was anderes als auch nur ein Mittel, einen Standpunkt bekanntzumachen? Wem das klar ist, der ist dann auch bereit, praktisch die Vergleichbarkeit der Mittel ins Auge zu fassen und auch den Riesenaufwand, den es kostet eine nationale Demo irgendwo zu organisieren, ins Verhältnis zu dem Nutzen zu setzen, der damit verbunden ist. Das war jetzt mal hinzugesetzt von mir, von uns, das Moment des Praktischen an diesen Überlegungen.“

Zur Erinnerung, was die eigene Sache mal war:
http://www.gegenstandpunkt.com/msz/html/81/81_6/demo.htm
So deutlich haben das die Genossen in Frankfurt übrigens nicht vorgetragen, da klang das stellenweise so, als wenn die Demokratie es so hinorganisiert habe, daß das Demonstrationsrecht einem Demonstranten den Schneid per se unvermeidlich abkaufen müßte.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Bakunin
    23. November 2012, 22:22 | #1

    Zunächst mal zu dem Text der MSZ von 1981. Beinahe wie biblische Propheten deuteten die wackeren MGler schon damals an, was ab 1885 zunächst in der UDSSR („Gorbi“), ab 1989 dann auch bei ihren Verbündeten und in deren Gefolge auch in der VR China eintrat, nämlich die friedlichen Konterrevolutionen, oder besser vielleicht Kapitulationen vor einem mächtigen Gegner, dem man sich auf Dauer wohl nicht mehr gewachsen sah.
    Die innernen Gründe dafür, warum es so weit überhaupt kommen konnte, lassen wir an dieser Stelle mal außen vor.
    Zum Thema Demonstrieren möchte ich anmerken, dass alles Demonstrieren, z.B. gegen die berüchtige NATO- „Nachrüstung“, diese nicht verhindert hat, garnicht verhindern konnte, weil eben bloß alleiniges Demonstrieren als von den Herrschende gnädig gewährtes legales „Mittelchen“ ohne weitere, ernsthaftere Aktionen gegen die tatsächliche Machtausübung in Firmen und Staatsapparat letztlich nie etwas verhindert oder bewirkt.
    Ebenso im Sande verliefen 2004 alle Demos gegen Hartz 4.
    „Getan“ hat man da eben im Grunde gar nichts, schon gleich garnichts ernsthaftes gegen die Herrschenden und deren Treiben.
    Demos als Auftakt für ernsthafte politische Arbeit, u.a. z.B. zum Verteilen von Flugblättern oder als Anlaufpunkte für öffentliche Diskussionen, zum Kennenlernen Gleichgesinnter sind ganz ok, nützlich, aber niemals „alles“.
    Ich denke, Peter Decker liegt ziemlich richtig.

  2. Mattis
    24. November 2012, 14:04 | #2

    „Praxis im Sinne eines politischen Kampfes um „Macht“, um die Fähigkeit, den Lauf der Dinge zu bestimmen, ist etwas ganz anderes als Demonstrieren. Wer das will, der muß an die Grundlagen der Macht gehen, der muß dran gehen, worauf beruht denn dieses Gemeinwesen? Das ist ein ganz anderes Feld. Letzen Endes ist das das Feld, wo die Arbeiterschaft den Reichtum dieser Gesellschaft produziert. Wenn die sich verweigern, das ist ein wirklicher Hebel, das ist ein wirkliches Mittel der Macht.“ (Peter Decker)

    Was aber macht denn nun ein Arbeiter, wenn ihm das einleuchtet, was Peter Decker sagt? Würde er anfangen, in seinem Betrieb eine entsprechende politische Initiative zu bilden, dann würde es ihm doch ergehen wie den MGlern, oder? Er hätte ja noch nicht mal irgendeine Form von Rückendeckung durch eine Partei. Entlassene Arbeiter jedoch können auch nicht mehr streiken. Also wenn man schon eine sozialistische Partei für nicht machbar hält, was wird denn da dem Arbeiter zugemutet?

  3. 24. November 2012, 14:24 | #3

    Ist ja per se keine blöde Frage, Mattis, „Was aber macht denn nun ein Arbeiter?“ Ohne die Bildung von mit deinem erst mal recht vagen Worten einer „politischen Initiative“ wird es in der Tat nicht gehen. Und ich stimme dir auch zu, parallel zu solchen Arbeitsplatzzusammenschlüssen braucht es auch „Rückendeckung durch eine Partei“. Das Problem ist deine „Machbarkeit“ dieser Partei. Die kann man offensichtlich weder aus dem Boden stampfen, noch durch Selbstdeklaration ins Leben rufen, noch immer aufrecht halten, wenn der Wind einem stärker ins Gesicht bläst.
    Letztlich geht es erst dann, wenn du „genügend“ Leute davon überzeugt hast, daß es das bräuchte und sie dazu bringen kannst, das dann auch umzusetzen und wahr zu machen. Vor allem von Ersterem ist doch weit und breit nichts zu sehen. Und die paar Ansätze, sowas irgendwie doch schon „jetzt“ aus dem Boden zu stampfen, sind dann eben so kläglich wie das NAO-Projekt oder so unbefriedigend wie das GSP-Projekt. Dem alten Spontispruch „Allein machen sie dich ein“ läßt sich leider kein Königsweg zum schnellen Massenerfolg revolutionärer Bemühungen entnehmen.

  4. 7. Dezember 2012, 22:27 | #4

    Du sagst, der GSP als Projekt sei unbefriedigend. Ich frage mich, ob er das nicht notwendigerweise ist und ob nicht jedes ähnliche argumentative Projekt notwendigerweise unbefriedigend bleiben muss, weil in dieser Gesellschaft eine Deutungs-Übermacht politischer und ökonomischer Sachverhalte existiert, die teils gezielt medial produziert wird, teils eine ideologische Folgeerscheinung aus den Produktionsverhältnissen ist. Konkret: wer mindestens 8 Stunden für einen geringen Lohn arbeiten geht, um seine Kredite unter Existenzangst für seine Familie abzustottern, und dann abends die Glotze anmacht oder morgens in der Bahn noch kurz ‚Bild‘ liest pp. – der ist für jedes Agitationsprojekt, das nicht verfälschend simpel sein will, womöglich einfach nicht erreichbar.
    Daher geht es doch nicht um einzelne Projekte – GSP, Demo oder welches Flugblatt – sondern sogar allgemein um die Frage, ob unter gegebenen gesellschaftlichen Bedingungen Agitation überhaupt denn noch möglich, also wirksam sein kann. Und wenn ja, wie? Und wenn nein, was dann?

  5. zerdings
    8. Dezember 2012, 02:04 | #5

    Kennst du die Kritik der „Initiative Arbeiterzeitung und –zentren“ (IAZZ) an der MG? Da gehts unter anderem genau um diese Frage und was die MG daraus macht.
    http://www.mao-projekt.de/BRD/HES/ORG/Frankfurt_IAZZ.shtml

  6. 8. Dezember 2012, 14:17 | #6

    DWR, wenn du dich schon so grundsätzlich fragst,

    „ob er [das GSP-Projekt] [unbefriedigens] nicht notwendigerweise ist und ob nicht jedes ähnliche argumentative Projekt notwendigerweise unbefriedigend bleiben muss“

    dann frage ich dich, auf was du denn dann deine Hoffnungen setzt, den „Sachverhalten“ doch irgendwie entkommen zu wollen und dann auch zu können?
    vorweg schon mal daß ich deinen vielleichtigen Ausweg,
    eines Agitationsprojekt, das verfälschend simpel sein müßte, für doppelt falsch halte:
    1. Kann man die Leute hier sowieso nur davon abbringen, hier mitmachen zu wollen, wenn man ihnen möglichst viele richtige Argumente für einen Ausstieg liefert.
    2. Halte ich es für ein tausendmal wiederlegtes Gerücht, daß die ganz offensichtliche Ablehnung eines solchen Antrags durch die meisten Menschen ausgerechnet an der Form der Darbietung hängen würde, und nicht am Inhalte, den Kommunisten eben so drauf haben. Was man schon daran ablesen kann, daß die Lohnabhängigen, die nicht ganz so hart rangenommen werden von ihren Arbeitgebern und sogar für mancherlei Überlegungen und Freizeitaktivitäten Luft haben, ja beileibe nicht ansprechbarer sind für kommunistische Kritik an den hiesigen Verhältnissen als der Inbegriff eines Schichtarbeiters mit Hauptschulabschluß.
    Daß müßtest du schon mal konkret anhand irgendeines konkreten Demoflugblattes oder Veranstaltungsankündigungstext zu belegen versuchen, daß ausgerechnet die GSP-Agitation nicht hinreichend „simpel“ gestrickt sei und schon deshalb erfolglos bleiben müßte.

  7. 8. Dezember 2012, 18:20 | #7

    Da unterstellst du mir leider wieder was, liebe(r) Neoprene. Die Simplifizierung ist doch gerade die Strategie derjenigen medialen ‚Projekte‘, für die die Mehrheit noch erreichbar ist – und daraus ergibt sich ja erst meine Frage, inwiefern ein nicht verfälschendes Projekt überhaupt noch wirksam sein kann. Daher kann und will ich auch nicht damit dienen, ein konkretes Beispiel für eine Behauptung zu liefern, die ich gar nicht gemacht habe.
    Ob es jetzt die Form oder der Inhalt ist, an dem die Vermittlung marxistischer Kritik scheitert, interessiert mich eigentlich gar nicht. Diese Unterscheidung habe ich auch nicht gemacht. Es geht mir wie gesagt – und ohne Hintergedanken oder „vielleichtigen Ausweg“ – nur um Ansätze zu einer Antwort auf die Frage, welche Möglichkeiten diese Kritik gegenüber einer dieser intellektuell so fernstehenden und gewaltigen Mehrheit hat. Du selbst, Neoprene, musst doch darauf auch den Ansatz einer Antwort zumindest für dich selbst haben – wie könntest du sonst einen solchen Blog betreiben? Und welche Antwortansätze sind das, das hätte mich interessiert.
    Zerdings Link ist interessant. Den Text kannte ich noch nicht und sehe ich mir einmal genauer an. Danke dafür.

  8. 9. Dezember 2012, 13:16 | #8

    DWR, nochmal mein zentrales Argument:
    Bei politischer Agitation geht es in erster Linie um Inhalte, Programme, Sichtweisen, Moral usw. Das kommt dann an bei den „Massen“, wenn die das eh schon drauf haben (u.a., weil sie ja auch schon früher so traktiert wurden). Auf die Form, deine „Simplifizierung“ kommt es hingegen meiner Meinung viel weniger an.
    Insofern bringt es nichts, das wie du jetzt wegzuwischen „interessiert mich eigentlich gar nicht“. Auf deine, ja nicht abwegige Suche nach einer „Antwort auf die Frage, welche Möglichkeiten diese Kritik gegenüber einer dieser intellektuell so fernstehenden und gewaltigen Mehrheit hat“, kann ich dir nur für mich antworten, daß es ohne den Versuch des Vorbringens von Kritik schon mal gar keine „Möglichkeit“ gibt. (Was zudem eine blöde Kategorie ist, denn das Kritik den Adressaten erreichen *kann*, wirst ja auch du wohl nicht bezweifeln wollen, du und ich sind doch lebende Beispiele dafür, daß die eine oder andere Kritik bei einer oder dem anderen was in Gang setzen *kann*). Also kurz, alles ist „möglich“; was „wirksam“ ist, wird man „dann“ sehen. Und genau deshalb hatte ich ja den Begriff des „Unbefriedigtsein“ benutzt. Gemessen daran, daß sowohl Peter Decker als auch ich, wir sind ja ungefähr noch eine Generation, unser ganzes Leben lang mit dem, was wir jeweils politisch so gemacht haben, beide nicht sonderlich Erfolg gehabt haben, also nur eine geringe „Wirksamkeit“ vorzuweisen haben, wäre ein anderes Urteil nicht angemessen, jedenfalls wenn man weiter seinen Anspruch aufrechterhält.

  9. 10. Dezember 2012, 19:55 | #9

    Den Begriff „Simplifizierung“ habe ich missverständlich gebraucht, da er sich sowohl auf Form wie Inhalt beziehen sollte: wenn man die grundlegenden Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft nicht in seine Überlegungen miteinbezieht, sondern etwa erst dort anfängt zu denken, wo es Geld und Lohnarbeit schon gibt, würde ich das als vereinfachend bezeichnen; und mit dieser sehr verbreiteten Denkweise lassen sich eben nur bestimmte und verfälschte Inhalte entwickeln.
    Deine Antwort fällt ähnlich aus wie die Antworten vieler GenossInnen und auch meine eigene ausfiele. Es wäre – das ist wohl die gemeinsame Annahme – absurd, eine gültige Kritik an der kapitalistischen Gesellschaft zu kennen und NICHT vorzubringen. Man bringt sie also auch ohne strategische Überlegungen vor.
    Dennoch interessieren mich auch strategische Überlegungen, wo es sie gibt, und darum habe ich auch überhaupt gefragt.
    Dass Kritik funktionieren kann (ohne das jetzt quantifizieren zu wollen), steht wohl außer Frage.

  10. 10. Dezember 2012, 20:18 | #10

    DWR, mit deiner Erklärung

    „wenn man die grundlegenden Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft nicht in seine Überlegungen miteinbezieht, sondern etwa erst dort anfängt zu denken, wo es Geld und Lohnarbeit schon gibt, würde ich das als vereinfachend bezeichnen“

    bin ich genauso schlau wie zuvor:
    Ganz offensichtlich (und unerbittlich für die meisten Menschen) „gibt“ und gilt doch Geld und der Zwang zur Lohnarbeit. Wenn das nicht hinreichend „grundlegende Bedingungen“ sind, welche sollten denn das noch sein? Wie „verfälschend“ soll eine linke Kritik sein, die das Geld, also das Kapitalverhältnis und die Warenform aller nützlichen Sachen genauso ins Visier nimmt wie den Auschluß von allem, was man so bräuchte, um sein Leben bestreiten zu können, also den doppelt „freien“ Lohnarbeiter?
    Von daher braucht es doch auch gar nicht zu verwundern, daß auf dieser ja noch sehr grundsätzlichen Ebene in der Tat viele Genossen (na ja, so viele sind es, bei Lichte besehen ja dann leider doch nicht) „ähnliche“ Antworten geben.
    Was jetzt – einen noch obendrauf – gar „strategische“ Überlegungen sein sollen, die dir fehlen, oder an denen du dich reibst, das ist mir erst Recht völlig schleierhaft.

  11. 11. Dezember 2012, 21:48 | #11

    Natürlich sind Geld und Lohnarbeit grundlegende Bedingungen der bürgerlichen Gesellschaft. Deshalb schreibe ich ja, dass es verfälschend ist, diese NICHT in sein Denken einzubeziehen, sondern sie als gegeben, unersetzbar und hinzunehmende Tatsachen vorauszusetzen. Wann hätte man sich in einem bürgerlichen Medium zuletzt gefragt, ob Geld nicht doch eher ein Hindernis bei der Güterversorgung als ein ach so „praktisches Zahlungsmittel“ ist?
    Das ist die Simplifizierung, die ich meine. Und wer an die gewöhnt ist, den kann man nicht leicht umgewöhnen.
    Strategische Überlegungen wären die, die zugleich mit der Kritik nach Mitteln und Wegen suchen, diese wirksam zu verbreiten. Wenn wir beide sagen: wir bringen die Kritik erst einmal vor – weil es absurd wäre, das nicht zu tun – und dann sehen wir immer noch, was daraus wird; dann fehlt eben eine Strategie. Ob es die geben kann und wie die aussehen soll, das weiß ich wie gesagt auch nicht.

  12. Gerd
    27. Dezember 2012, 19:45 | #12

    Zunächst mal zu dem Text der MSZ von 1981. Beinahe wie biblische Propheten deuteten die wackeren MGler schon damals an, was ab 1885 zunächst in der UDSSR („Gorbi“), ab 1989 dann auch bei ihren Verbündeten und in deren Gefolge auch in der VR China eintrat, nämlich die friedlichen Konterrevolutionen, oder besser vielleicht Kapitulationen vor einem mächtigen Gegner, dem man sich auf Dauer wohl nicht mehr gewachsen sah.
    Die innernen Gründe dafür, warum es so weit überhaupt kommen konnte, lassen wir an dieser Stelle mal außen vor.

    Ich wüsste sie trotzdem ganz gerne.

  13. Bakunin
    28. Dezember 2012, 21:27 | #13

    Gerd 27. Dezember 2012 um 19:45 Uhr
    „Ich wüsste sie trotzdem ganz gerne.“ (die inneren Gründe für den Sieg dieser Konterrevolutionen in den soz. Ländern ab spätestens 1989?)
    In vielen kommunistischen Gruppen, Parteien und „Initiativen“ (KI), ebenso wie schon bei der guten alten MG und den heutigen GSPlern: DER REVISIONISMUS!
    Und diese Erklärung bzw. Einsicht wäre, ja, ist ja nicht mal so falsch, würden sich alle diese reinen Ideologen oder Theoretiker sich auch mal die Mühe machen, den materiellen Ursachen und Beweggründen nachgehen, welche diese Parteien und deren Führer mehr und mehr auf den Weg des Revisionimus lockten – und schließlich führten.
    Wiederholte sich nicht das gleiche Schauspiel, welches schon einmal sich ereignete, nämlich in den langen relativ friedlichen Jahren vor 1914 in praktisch allen sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Europas mit Ausnahme der Bolschewiki in Russland?
    Was führt, was treibt denn nur immer wieder Arbeiter, Arbeiterparteien, vornehmlich aber zunächst Arbeiterführer einschließlich fast aller gewerkschaftlichen Führer zurück in die weit geöffneten Arme des Kapitals, seiner staatlichen und sonstigen Repräsentanten?
    Sind es nicht doch in den meisten Fällen Macht und Reichtum der herrschenden Klassen bzw. von diesen Klassen beherrschten Staaten, welche geradezu magnetisch immer wieder nach scheinbar „leichteren“ Wegen mit Vereinbarungen aller Art, Zusammenarbeit zum „gegenseitigen Nutzen“ einladen?
    Wie sich die meisten Arbeiterführer vor 1914 allmähliche deutliche materielle Verbesserungen für die Proletarier durch Abmachungen und Zusammenarbeit mit der Bourgeoisie und deren Staat erhofften, ebenso, spätestens und sehr massiv dann die Arbeiterstaaten und Arbeiterführer der sozialistischen Länder durch die geschickte, vom Imperialismus inszenierte „Entspannungspolitik“ ab 1970.
    Das mächtigste, das verlockenste Mittelchen dabei waren natürlich die wirtschaftlichen Anreize, erleichterte Zugänge zu den Märkten und nicht zuletzt auch Krediten aller Art in den kapitalistischen Ländern.
    Und natürlich erhofften sich alle diese Breshnews, Honeckers & Co. wohl auch eine Verringerung, Erleichterung, ein wenig Befreiung von von der von der NATO diesen Staaten aufgezwungegen Wettrüsten bei einem gewissen Wohlverhalten, nicht zuletzt in Fragen der „Menschenrechte“.
    Bei dieser Betrachtung darf man eben nicht vergessen, dass praktisch alle sozialistischen Länder bei der Entwicklung der Produktivkräfte rein historisch bedingt den hochentwickelten kapitalistischen Ländern beachtlich hinterherhinkten, sie daher ganz selbstverständlich auf die Idee kommen mussten, durch engere ökonomischen Zusammenarbeit mit diesen alten hochentwickelten kapitalistischen Ländern die Entwicklun der eigenen Produktivkräfte zu beschleunigen, diese Rückstände schneller als nur mit eigenen Mitteln zu beseitigen.
    Man sieht: Diese „Revis“ hatten eine Menge guter materieller Gründe, den Brandts, Bahrs & Konsorten auf deren duftenden süßlichen Leimruten zu folgen!
    Wir dürfen auch nicht vergessen, dass in puncto eines ernsthaften Klassenkampfes die sozialistischen Länder keinerlei wirksame Hilfe seitens der NATO-Proletarier erhielten, diese selbst in Zeiten der „Nachrüstung“ brav mit ihrer Lohnarbeit, ohne auch nur eine Sekunde an wirksame Streiks zu denken, das kapitalistische System, ihre eigenen Fesseln weiter munter reproduzierten, ganz nebenbei natürlich auch die materiellen Resourcen für eine neue Runde seitens der NATO aufgezwungenen Wettrüstens…
    Ist es denn wirklich so verwunderlich, dass man langsam aber sicher im „Osten“ bald zum Schluß kamm, den ganzen realsozialistischen Laden besser zu schließen, in die Arme des „freien“ Westen“ zurückzukehren?
    Man wahr wohl sicherlich müde geworden.

  14. Mattis
    29. Dezember 2012, 23:43 | #14

    „Das mächtigste, das verlockenste Mittelchen dabei waren natürlich die wirtschaftlichen Anreize, erleichterte Zugänge zu den Märkten und nicht zuletzt auch Krediten aller Art in den kapitalistischen Ländern.“ (bakunin)

    Wieso eigentlich Zugang zu den Märkten? War man im Ostblock nicht selbst ein gigantischer Markt? Alles Lebenswichtige war da: Rohstoffe, Energievorkommen, Technologie, Nahrungsmittel. Nein, offenbar wollte man partout in Konkurrenz zum Westen treten, statt zu sagen, ihr könnt uns mal, wir fahren eben Trabbi statt VW, und wems nicht passt, der soll halt gehen. Ganz schnell hätte da der Westen eine Mauer (mit oder ohne Beton, aber mit Schießbefehl!) hochgezogen, jedenfalls gleich nach dem ersten größeren Exodus aus sämtlichen Comecon-Staaten! (1)
    Dass sich die UdSSR von den „Wirtschaftskontakten“ mit dem Westen Vorteile versprach, zeigt doch schon mal, Bedürftigkeit hin oder her, dass man von der kapitalistischen Ökonomie offenkundig keine Ahnung hatte. Sonst hätte man gewusst, dass das außer einer Verschuldungs-Sackgasse nichts bringen kann. Mit marxistischen Einsichten kann man da drüben also kaum gesegnet gewesen sein!
    Und apropos Rüstungsausgaben: bevor man sich freiwillig dem Feind ausliefert, wird man, wenn der pure Hunger die Alternative wäre, doch eher die Rüstung sein lassen und das Volk ersatzweise auf äußerste Renitenz gegenüber einer potentiellen Übernahmemacht einstimmen. Der Westen hätte nicht viel Freude daran gehabt, Länder zu kassieren, in denen er als erstes und ausschließlich sofort eine Revolution zu erwarten hätte!
    Also da muss schon längst innerer theoretischer und praktischer Murks am Werk gewesen sein im „Realsozialismus“, um so was wie „Verlockungen des Westens“ überhaupt als Verlockung zu empfinden!
    1)
    “ Illegale Einwanderung in die USA und Waffenschmuggel nach Mexiko sind ständige Themen in den Grenzgebieten, weswegen die Grenze der Vereinigten Staaten zu Mexiko trotz ihrer geringeren Länge wesentlich stärker bewacht wird als die der USA zu Kanada. Der bestehende Grenzzaun wird aufgrund des Sicherheitszaungesetzes von 2006[4] des Kongresses der Vereinigten Staaten auf eine Länge von 1.125 Kilometer erweitert. Bis zum Ende der Bauarbeiten und der Verdopplung der Einsatzstärke der United States Border Patrol (Grenzschutz) übernimmt die Nationalgarde die Sicherung der Grenze mit ungefähr 6.000 Mann (→ Operation Jump Start). Der mexikanische Präsident Felipe Calderón verglich den Ausbau der Grenzanlagen mit der Berliner Mauer und auch Amnesty International kritisierte den Bau[5]. Die Zahl der Menschen, die beim Versuch die Grenze illegal zu überschreiten sterben, wird auf 250[6] bis 500[7] jährlich geschätzt. Im Jahr 2010 starben alleine 253 Menschen, die versuchten die Sonora-Wüste im südlichen Arizona zu durchqueren. Organisationen wie No more Deaths versuchen humanitäre Hilfe zu leisten.“
    Wikipedia

  15. Bakunin
    30. Dezember 2012, 18:26 | #15

    Geehrter Mattis, ich wollte mit meinen Hinweisen auf die materiellen Ursachen der Beförderung des Revisionismus in den einstigen sozialistischen Staaten nun keineswegs behaupten, dass diese Konterrevolutionen ab 1989 unausweichlich waren.
    Ich bin mir sehr wohl darüber bewussst, dass die Verlangsammung der weiteren raschen Entwicklung der Produktivkräfte eben auch wieder eine Folge revisionistischer Entartungen war, in der UDSSR bald nach Stalins Tode, in der DDR (Ablösung Walter Ulbrichts und seiner wirtschaftlichen Linie und neue „Einheit von Wirtschafts- und Sozialpolitik“) und den übrigen Staaten dann ganz massiv ab 1971, dem Anheben der „Entspannung“.
    Nehmen wir nur die Mikroelektronik, die Computerindustrie.
    In der UDSSR und und den meisten anderen sozialistischen Ländern gab es in jenen Jahren durchaus ein gewaltiges wissenschaftliches Potential, doch leider oft gegenseitig eifersüchtig voneinander getrennt.
    Weshalb also schufen sie sich GEMEINSAM kein eigenes „Silicon Valley“?
    Die Möglichkeiten waren schon vorhanden, doch sie alle wurstelten gerade auch in dieser wichtigen Schlüsseltechnologie auf eigene Faust, immer bedacht auf die eigene wirtschaftliche Souveränität, gleichzeitig aber den „Westen“ anzapfen wollend.
    Der RGW war nie – wie so oft und dumm von den bürgerlichen Medien behauptet – ein „Gegenstück“ der EWG/EU, ebenso wenig wie der Warschauer Vetrag ein „Gegenstück“ der Nato.
    Alle diese Staaten frönten einen ziemlichen kleinbürgerlichen „sozialistischen“ Nationalismus, bis hin zur gegenseitigen Erteilung von VISA für die Bürger dieser Staaten mal so und mal so.
    Die „Entspannungspolitik“ des Imperialismus fand eine Menge Ansatzpunkte zum endgültigen Zersetzen dieser Staaten und Systeme.
    Wir müssen uns daher nicht wundern, wenn am Ende eben auch die fetten Fressnäpfe des Imperialismus für immer mehr Partei- und Staatsfunktionäre, wirtschaftliche Entscheidungsträger, Kulturschaffende einen immer unwiderstehlicheren Drang auszuüben begannen.
    Am Ende vielleicht noch ein interessanter Gedanke von Stalin aus dem Jahre 1952, wo er sagte, dass die Produktionsverhältnisse, also all jene Beziehungen, welche die Menschen untereinander im Produktionsprozess eingehen, zu seiner Zeit die Produktivkräfte in der UDSSR noch beförderten, aber hier und da auch schon beeinträchtigten und folglich meinte, dass diese im auch im Sozialismus unbedingt weiterentwickelt werden müssten.
    Er schlug u.a. auch vor, wo schon damals möglich, vom „Wertgesetz“ abzugehen und zum direkteren Güteraustausch überzugehen.
    Fest steht auf jeden Fall, dass die sozialistischen Länder auf alle Fälle in den 60er Jahren schon zu neuen, effektiveren Produktionsverhälnissen hätten hinarbeiten müssen.
    Wahrscheinlich wären sie dann möglicherweise noch früher als die USA zu ihrem „Silicon Valley“ gekommen.

  16. Mattis
    30. Dezember 2012, 23:12 | #16

    „Er schlug u.a. auch vor, wo schon damals möglich, vom „Wertgesetz“ abzugehen und zum direkteren Güteraustausch überzugehen.“ (Bakunin)
    Hallo Bakunin, wer oder was hat denn deiner Ansicht nach verhindert, dass dieser Weg, vom „Wertgesetz“ abzugehen, weiterverfolgt wurde? Deine Andeutung hört sich ja irgendwie nach einem Richtungsstreit an.

  17. Bakunin
    1. Januar 2013, 21:49 | #17

    Hallo Mattis, zunähst ein Gutes Neues! Da ich zu jener Zeit noch nicht lebte, über die reale ökonomischen Verhälnisse in der damaligen UDSSR auch nicht gerade erschöpfend informiert bin, gehe ich davon aus, dass man sich dort mehrheitlich in der KP von der vorläufigen Beibehaltung des Wertgesetzes wohl noch einiges versprach.
    Denn bis zu diesem Zeitpunkt war ja eine Menge ökonomischer Fortschritt erzielt worden.
    Und die schweren Kriegsfolgen waren ja auch noch schnellstens zu überwinden.
    Stalin meinte, dass die Beibehaltung dieses Geasetzes die Betriebsleiter zur strengster Rechnungsführung zwingen, so etwaiger Verschwendung vorgebeugt würde.
    Wahrscheinlich lag er damals damit nicht falsch.
    Den wirklich großen Krampf begannen ohnehin erst so richtig seine Nachfolger, der übergedrehte Chruschtschow ließ auf dem Parteitag 1961 verkünden, in 20 Jahren wäre der Kommunismus in der UDSSR errichtet. Im Gegensatz zum nüchternen Stalin ein wahrer „kommunistischer“ Knallfrosch!

  18. franziska
    2. April 2013, 14:02 | #18

    Eine längere Einlassung, die technisch hängengeblieben war, von franziska:
    ich habe in den Beiträgen zum Post „Peter Decker in eigener Sache” den „Begriff des Unbefriedigtseins” entdeckt, den du verwendet hast, und würde das gerne zum Anlass nehmen, erst einmal dir persönlich ein paar offene Fragen oder auch Hinweise vorzulegen, die auf die theoretischen Erklärungen hinter der derzeit noch unbefriedigenden Praxis (”kein Königsweg”) zielen (diese Erklärungen werden ja, soweit ich weiss, von den Schreibern in deinem Blog bislang kaum bis garnicht angezweifelt, weder, was ihre Richtigkeit, noch was ihre VOLLSTÄNDIGKEIT angeht):
    1. Der „Übergang” der Mitmacher vom praktischen Gezwungen- und Genötigtsein (dem „Notwendigen” in ihrer Existenz) (das sie mit den Kritikern und Feinden der bestehenden Ordnung teilen) zum praktisch-theoretischen „sein- (einziges) Mittel (Chance, Möglichkeit) darin Sehen und sich damit Einrichten(wollen)”, schliesslich auch zu den „daraus sich (logisch) notwendig ergebenden Schlüssen” (als dem spätestens hier dann aus Sicht der Kommunisten falschen Bewusstsein, oder schlicht: den Fehlurteilen, die sie IN ihrer Existenz, und vielleicht auch AUFGRUND ihrer Existenz fällen, vertreten, gegen Kritiker geltend machen) – dieser Übergang, oder diese Verbindung (wenn denn ihre Richtung überhaupt feststeht) wird eigentlich nie einer weiteren, noch genaueren Untersuchung für wert gehalten.
    Obwohl doch die allseits beklagte Schranke der Agitation sich offenbar dort verankert.
    Eine Frage zumindest wird kaum je einmal gestellt geschweige denn beantwortet: Ob diese Art Umgang mit Praxis und (Un)Wissen sich bloss an diesem einen einzelnen (wenn auch sehr fundamentalen) Lebens- und Praxis-Bestandteil, der Einstellung zur eigenen Position in der (Klassen)Gesellschaft und dieser (Klassen)Gesellschaft als ganzer zeigt; oder ob sie nur spezielle Anwendung einer allgemeinen Art zu denken ist, die das ganze Leben der betreffenden Menschen durchzieht?

    Und… Anschlussfrage, wenn sich das am Ende tatsächlich so darstellen würde:
    1a) Ist diese Denkweise eigentlich bereits korrekt rekonstruiert bzw. „begriffen”, auf den Begriff gebracht und eingeordnet, in der Art, wie sie (angeblich) etwa den „Übergang” hervorbringt?
    Kurz meine Antwort (die natürlich hinter der Frage steckt, die ich da aufwerfe):
    Ja, dies IST eine schier unhintergehbar erscheinende und allgegenwärtige, ja DIE normale und fast überall anzutreffende Art des Umgangs mit persönlicher und gesellschaftlich verfügbarer Erfahrung – eine Art, sein Leben einzurichten, Vorschläge, Forderungen, Erwartungen an und auf andre zu richten, und Wissen (auch solches um noch nicht genau Gewusstes, Unbekanntes, Überraschend Neues) zu verarbeiten.
    Die alte MG hat dieses Thema, soweit ich weiss, einzig einmal in ihrer Kampagne bzw. Artikel zum Thema „Dummheit” gestreift.
    Zur Antwort auf die Anschlussfrage möchte ich folgenden Hinweis geben: Eine rein kognitive Einstellung, die in der Betrachtung des mehr oder weniger grundlosen (unbegründet, willkürlich, odet ohne guten Grund vollzogenen) „Übergangs” oben, soweit ich weiss, kaum je in Erwägung gezogen wurde, ist die unter dem Titel „PLAUSIBILITÄT” – ein Regelsystem, mit dem beurteilt wird, was Aufmerksamkeit und genauere Prüfung verdient und was nicht, was man also (obowhl man weiss, dass es einem nicht hinlängliich bekannt, gewiss, klar ist) nicht näher kennenlernen, sicherstellen, klären muss – weil es sich nicht lohnt; weil es „wahrscheinlich” nicht nötig ist; weil es „lohnenderes” zu tun und zu wissen (kennenzulernen, sicherzustellen, zu klären) gibt.
    Das Regelsystem, von dem da die Rede ist, wäre also eine sehr spezielle Art, wie der weitere Wissenserwerb bzw die Wissensverarbeitung von bereits vorhandenem Wissen und Gewusstem (zumindest Erfahrenem) abhängig gemacht wird. (Ganz allgemein kann man die Prinzipien, nach denen etwa Naturwissenschaft getrieben wird, auch als eine sehr spezielle Art und ein Regelsystem dafür bezeichnen, nach dem die Suche nach weiteren Wissen auf Basis von bereits vorhandenem gesteuert wird. Die hier angesprochenen massenhafte „Normalpraxis” des Umgangs mit Wissen ist sicher nicht wissenschaftlich… dennoch in dieser ganz fundamentalen Hinsicht, eben als Wissenserwerbspraxis, mit Wissenschaft vergleichbar.)
    Ich möchte noch eine Anmerkung machen. Nach meinen eigenen Überlegungen zeigt sich, dass religiöses und nachreligiös-modernes Denken zwei Entwicklungsstufen im Verhältnis zur Welt darstellen, die sich aus dem genannten, grundlegenden ergeben; sie ergeben sich wesentlich als Präzisierungen, deren Inhalt in die unpräziseren, scheinbar mehr Möglichkeiten zulassenden Vorstufen zurückfallen können. (Es geht immer um fundamentale praktisch-kognitive Einstellungen zur Welt.)
    Das erklärt zB warum Geschichte nicht einfach eine Abfolge von Standpunkten ist, sondern zunehmend alle historisch einmal kultur-bildenden (”hegemonialen”) Standpunkte heute (und so auch schon früher) gleichzeitig und nebeneinander vorkommen (die reiferen meist in zurückgefallener Form. und in Reinform nur bei kleinen Minderheiten in der Bevölkerung). Eine kulturell von entsprechend weit entwickelten Pionieren und ihren Nachfolgern (in welcher Klassen-Stellung auch immer) heute „modernisierte” Gesellschaft muss somit in der Masse ihrer Angehörigen nicht notwendig auf Augenhöhe mit den Inhalten ihrer gesellschaftlichen Praxis stehen.
    Anm.Was Religion und religiöses Denken ist, scheint mir unter Kommunisten nur höchst oberflächlich geklärt. Ebenso, worin die Fortgeschrittenheit von Modernität darüber hinaus eigentlich genau besteht.
    Das leitet zur nächsten Frage über:
    2. Wie gross ist der Anteil der durch den Übergang zum Kommunismus nicht zu erledigenden Leidensquellen unter denen in der gegenwärtigen Klassengesellschaft?
    Was ist der Preis für das spezifisch „Moderne” in kapitalistischer wie kommunistischer Produktionsweise, das speziell von Marxisten doch immer wieder auch als Quelle von „Produktivität” gelobt wird? Was wäre zu halten von einer These wie: „Das eigentlich Schlimme auf Dauer ist die Moderne, und die (kapitalistische) Klassengesellschaft verschärft das schrill, aber auch nur vorübergehend (bis zu ihrer Abschaffung)?”
    Anschlussfragen:
    a) Könnten sich in der „Assoziation freier Produzenten” am Umgang mit den Belastungen der Moderne Unterschiede (Prioritätensetzungen) entfalten, die sich nicht erledigen lassen, auch wenn sie (um des lieben Friedens willen) nicht in Kämpfe münden? Solche Unterschiede, die dann jedenfalls nicht mehr auf die unterschiedliche Verfügungsberechtigung über Produktionsmittel (und dadurch charakterisierte „Interessengegensätze”) zurückgeführt werden können?
    b) Wie ist eigentlich das Verhältnis zwischen den genuin kulturell-modernen (eventuell primitiver gedachten) Einstellungen zu Welt, (gesellschaftlichem und persönlicihem) Wissenserwerb und (arbeitsteiliger) (Re)Produktion, und dem Produktionsverhältnis „Kapitalismus”?
    Wieder kurze Antwort meinerseits:
    zu b) Das primitive oder reife Weltverhältnis Modernität (der Produktionsweise) ist nicht einfach Inhalt, sondern (vor allem in seinen primitiv verarbeiteten, „zurückgefallenen” Versionen) Quelle aller politischen Einstellungen. Die haben freilich ihre eigene Fortschrittsdimension. In der sich am Ende, je getrennt für die Fortgeschrittensten eines jeden Weltverhältnisses, nichts andres zeigt als der Mangel des jeweiligen Weltverhältnisses. Politische Einstellungen können nie fortgeschrittener sein als die betreffenden Weltverhältnisse; alle wirklichen Fortschritte werden im Weltverhältnis gemacht.
    Wichtig hier:
    Alle politischen Verhältnisse sind solche zwischen Trägern gleicher oder verschiedener Weltverhältnisse UND je zugehöriger, mehr oder weniger reifer politischer Einstellungen. Diese Verhältnisse sind fundamental ASYMMETRISCH und vor allem extrem unübersichtlich für die Beteiligten.
    Diese Asymmetrie und Unbeeinflussbarkeit der „Andern” auf Grundlage des eigenen Standpunkts macht sich besonders schmerzlich für die (wenigen) Träger fortgeschrittener Standpunkte (wie zum Beispiel modern denkende Kommunisten) fühlbar.
    Um so wichtiger ist die Frage: Was eigentlich die Antriebsquelle für historische Fortschritte darstellt, und wie man solche Fortschritte beschleunigen (oder Hindernisse dafür wegräumen) kann?
    Das leitet wiederum über zur nächsten Frage:
    3. Wie und warum sind eigentlich die wenigen aktuellen Kommunisten zu ihrem Standpunkt gekommen? Was lässt sich daraus für die Annäherung an diesen Standpunkt lernen?

    Wäre dies nicht einer genaueren Untersuchung wert? Nämlich vor allem, wenn darin bislang vernachlässigte Motive auftauchen würden, die auch (hoffentlich behebbare) Unterschiede zu den Adressaten der Agitation kenntlich werden lassen? Woher stammen diese Motive, kann man sie reproduzieren? (Diese Fragen immer unter dem Gesichtspunkt betrachtet, dass wir wohl alle (hoffentlich) keine Rassisten und Biologisten sind (oder sind wirs doch? wenn nein, warum nicht?)
    Ich könnte noch einige weitere (durchaus im engen Anschluss an diese) Fragen stellen, etwa nach der Rolle, die die bisherige Haupterkenntnis-Quelle für „antikapitalistische Kritik” nämlich die wie immer gedeutete Marxsche Ökonomie eigentlich (noch) spielt? Und… wie man sich die Umgangsformen unter solchen, die offenkundig auf weite Strecken in dieser Kritik übereinstimmen, Antikapitalisten, Kommunisten, auf diesem Hintergrund erklären kann, etwa die gerade unter Leuten aus dem gsp-Umfeld endemische Formel DU WILLST NICHT SEHEN DASS, oder die (ist das eigentlich einheitlich begründet?) Weigerung, sich über die „Alternative” Gedanken zu machen. Themen, über die nicht nur im Blog, aber auch dort, erbittert und zermürbend debattiert worden ist.
    Eine der irritierendsten Tendenzen in diesen Debatten will ich nur ganz zum Schluss noch erwähnen, nämlich die der Zuspitzung „des” Begriffs der Verhältnisse auf EINE einfache Formel. Wo das möglich ist, wäre es ja auch höchst angebracht, aber es hat oft den Anschein, als seien die Beteiligten der Debatten vonr vorneherein garnicht auf die Notwendigkeit eingestellt, dass sie bei ihrer Betrachtung der wirklichen Verhältnissen begrifflich auch einmal mit Pluralität, dem Zerfallen des Gegenstands in nebeneinander vorkommende und nicht auf eine Einheitsform reduzierbare Muster, Fälle, Phänomene, zu tun bekommen. Exemplarisch etwa die Debatte um DEN Fussballfan, die sofort entschieden gewesen wäre, hätte man sagen dürfen: Beide Formen, die hier um die Position DES Begriffs DES Fussballfans ringen, kommen vor. Und Vergleichbares gilt für die freilich viel grundlegendere Debatte um das Verhältnis von „Fehler” und „Interesse (daran)” (etwa im Blog von krim Tien mit libelle : http://fk.siteboard.de/fk-about9.html ), und noch etliche andere..

  19. franziska
    2. April 2013, 18:29 | #19

    Zur Klarstellung: das war Anfang Januar in, wenn ich mich recht entsinne, damals einer persönlichen Nachricht an Neoprene. Also eigentlich nicht zur Veröffentlichung hier als Kommentar gedacht. Neoprene hat das jetzt hier nachträglich reingestellt. Wenn er meint…

  20. 2. April 2013, 18:44 | #20

    Ich finde (das sollte ja hinlänglich bekannt sein), daß man in solch grundlegenden politischen Auseinandersetzungen/Erwägungen/Überlegungen sich nur recht abstrakt auf „Persönliches“ beziehen kann. Insbesondere als ich hier ja gar nicht als Person, sondern als Verwalter einer politischen Litfaßsäule auftrete. Und umgekehrt franziska ja auch eigentlich coram publico, also in aller Öffentlichkeit vor sich hingedacht hat bzw. immer noch denkt, die vorgebrachten Fragen waren ja nun wirklich keine persönlichen, sondern to whom it may concern (also die paar Leser hier). Ich meine also in der Tat, daß die obigen längeren Ausführungen hier „gut“ aufgehoben sind. Auf „persönlichen“ Wunsch nehme ich das aber meinetwegen auch wieder runter.

  21. Mattis
    2. April 2013, 19:28 | #21

    Hallo franziska,
    ich finde deine Themen-Sammlungen manchmal etwas überwältigend. Weil viele dieser Themen gerade in anderen Threads toben, möchte ich nur den folgenden Punkt kommentieren.

    „Könnten sich in der „Assoziation freier Produzenten” am Umgang mit den Belastungen der Moderne Unterschiede (Prioritätensetzungen) entfalten, die sich nicht erledigen lassen, auch wenn sie (um des lieben Friedens willen) nicht in Kämpfe münden? Solche Unterschiede, die dann jedenfalls nicht mehr auf die unterschiedliche Verfügungsberechtigung über Produktionsmittel (und dadurch charakterisierte „Interessengegensätze”) zurückgeführt werden können?“

    Ich meine ja, allerdings, deshalb braucht auch die „Assoziation“ eine politische Struktur, das heißt eine allgemein anerkannte Entscheidungsstruktur mit entsprechend legitimierten Organen. Davon wollen manche Kommunismus-Idealisten nichts wissen. Ich sage dazu jedoch: Einigkeit im Grundsatz heißt noch lange nicht Einigkeit in allen Fragen, die anstehen, und das sind eigentlich immer Ressourcenprobleme, die wiederum gerne geleugnet werden.
    Warum geleugnet? Weil man dann sowas wie „demokratische“ Entscheidungsformen vorsehen müsste, und da will keiner ran. Und man müsste auch konzidieren, dass Entscheidungen durchgesetzt werden, die nicht jedem passen. Daher diese gigantische Verdrängungsstrategie. Ich kritisiere jedoch die Gleichsetzung von „demokratisch“ genannten Entscheidungsformen und bürgerlicher Gesellschaft. Eine längere Debatte dazu gab es bei Nestormachno.

  22. franziska
    2. April 2013, 22:31 | #22

    Ich hatte ja nur sagen wollen, wie der Text hier reingeraten ist, und warum nach all meinen anderen Schreibereien der letzten Tage nun plötzlich nochmal sowas dasteht. Wenn du denkst, dass er herpasst, Neoprene, hab ich nichts dagegen.

  23. alkohol
    9. April 2013, 23:21 | #23

    Wobei sich ja demonstrieren, Flugblätter verteilen und Dinge erklären nicht ausschließen, nichtmal auf derselben Veranstaltung.

  24. franziska
    13. April 2013, 09:52 | #24

    Das Nachfolgende ist ein Kommentar, der in Fortsetzung einer Debatte bei Nestor Machno über den Staat (ausgelöst durch einen Blogeintrag zur neuen ungarischen Verfassung) entstand, und an dieser Stelle dort hätte eingefügt werden sollen: http://nestormachno.blogsport.de/2013/03/12/ungarns-neue-verfassung-2/#comment-10934
    Ich hatte aber den Eindruck, dass er dort den Rahmen der Debatte sprengt, setze ihn daher hierher, wo er eher zu passen scheint.
    Was ich versuche herauszuarbeiten, ist, dass alle von mir als gsp-ähnlich besprochenen Positionen, und das haben sie mit „bürgerlichen“ gemein, mit solchen Kategorien arbeiten, die eine gesellschaftliche „Struktur“ (DER Staat, DIE Gesellschaft, DAS Geld, DER Markt, DIE Macht; heute schon vergessen, es gab da auch mal (im 19.Jh. bei ua. gewissen Frühsozialisten) DEN Fortschrittsprozess) unterstellen mit person-haften Eigenschaften, die auch genau so besprochen werden: Sie hat Zwecke, sie handelt, sie will und sorgt für…, usw. Dabei ist das Verhältnis von wirklichen Personen zu dieser Struktur nicht klar; am ehesten lässt es sich so beschreiben: Die jeweilige Struktur eröffnet Einzelnen Chancen oder behindert ihre Absichten, soweit sie nicht geradezu bestimmte Vollzüge erzwingt. In ausnahmslos jeder der Theorien dieser Art wird die jeweilige Struktur ab einem bestimmten Punkt der Darstellung so besprochen, dass die Verbindung zu Einzelpersonen verlorengeht. Das Vorbild für all diese Theorien findet man natürlich in der bürgerlichen Ökonomie: Der Markt wird dort so gedacht; aber mit negativem Vorzeichen tauchen Kategorien dieser Art in allen irgendwie an Marx anknüpfenden Gesellschaftstheorien wieder auf. Dabei hat diese Denkweise am Markt/Kapital ihre plausibelste Anwendung: „Es“ funktioniert doch. Ob zum Nachteil der Lohnarbeiter oder zum Vorteil der Gesamtgesellschaft, das ist strittig. Darum habe ich nicht nur der „Bürgerlichkeit“ der Staatsgewalt wegen, von der hier ständig gesprochen wird, an die mit ihr wie auch immer verbundene Ökonomie erinnert, sondern weil ich glaube, dass die vermeintliche Denk-Möglichkeit einer „Abstraktion“ von Einzel-Einschätzungen, Einzel-Willen, von der wir die ganze Zeit sprechen, dort ihren Ausgang nimmt.
    Meine zentrale These stand oben schon da: “ Das einzig Reale am System ist der Glaube daran – in Gestalt der Versäumnisse, die dieser Glaube zur Folge hat.“
    Mit der für Krim unverständlichen Rede von den „Einzelstationen“ in einem Reproduktionskreislauf möchte ich auf den Versuch einer Andeutung (mehr kann es hier nicht sein) vorbereiten, wie sich die Zentralthese für GELD darstellt. (Bei Geld hat der Glaube ja sogar einen Namen: Kredit.)
    Krim hat eine Stelle missverstanden: zu 100% produzieren die Besitzer von irgendetwas physisch nicht die Mittel ihres Lebensunterhalts und Betriebs, sondern bekommen alles und jedes dafür Nötige von andern zugeliefert; sie ihrerseits liefern etwas ab. Schon allein diese Tatsache lässt fragen, was „eigen“ in hoch arbeitsteilig produzierenden modernen Gesellschaften eigentlich noch sagen soll, und was eigentlich die fragwürdigen „Rechte“ eines „Eigentümers“ an einem mehr oder weniger kleinen Fragment des aktuellen Reproduktionsapparats noch für ihn bedeuten. Das Fragment der GESELLSCHAFTLICHEN Reproduktion soll sich und ihn mit (fällt beim Lohnarbeiter, beim durch sein „Humankapital“ qualifizierten leicht modifiziert, zusammen) erhalten, das heisst: Was er regelmässig angeliefert bekommt, muss reichen, um regelmässig das herzustellen, was er abgibt. Was er abgibt, macht sofort eine Wandlung durch – geht ein in die Produktion verschiedener anderer Güter seiner Abnehmer; das gleiche gilt auch für sie – in so, nämlich in hunderttausend Zwischenschritten, verwandelter Form kehrt das Produkt zum Reproduzenten-Eigentümer zurück – in Gestalt seiner Vorprodukte. So zumindest ginge es im Fall der statischen, nirgendwo heute beobachtbaren fiktiv konstruierten „einfachen Reproduktion“. Normal ist heute vielmehr, dass an jeder Einzelstation ein Mehrprodukt bleibt, dessen Verwendung völlig offen ist; abgesehen von einem: Einfach weitermachen wie bisher, und die Produktion proportional ausweiten, stösst das sehr schnell an Grenzen:
    Einmal Grenzen der Nachfrage, denn die Wünsche und der Bedarf gehen nicht proportional mit dem Angebot in die Höhe (die sog. Skalenvorteile bedeuten da zB auch: mit vermehrtem Durchsatz müssen Investitionen nicht ausgeweitet werden), und Grenzen des Anbietbaren – denn da werden einige nicht dem Reproduktionsprozess selbst entstammende Produkte, die regelmässig in ihn eingespeist werden müssen, knapper (hier gibts dann wieder Skalennachteile, Sprungkosten: Erweiterung von Produktion verlangt eine komplett zweite Fabrikhalle usw.) – was bedeutet, dass alle „Stationen“, die Zuliefer-Kontakte zu Eigentümern nichtreproduktiver Güterhaufen oder -quellen haben, davon vorab weniger pro Einheit des von ihnen hergestellten Produkts haben als sonst, maW ihr Produktzuwachs fällt entsprechend geringer aus. Aber abgesehen von Nachfrage- und Bedarfsprofilen werden Mehrprodukte, oder gleich Produkte, benutzt, um ganz neue oder zumindest optimierte Produktzweige zu öffnen – was bedeuten KANN, dass sich der Charakter der Reproduktion gegenüber dem Zustand vorher ändert: dass alles (oder Vergleichbares, es gibt ja auch Produktinnovationen, die vergleichbare Leistungen mit uU ganz anderen technischen Mitteln erbringen), was vorher reproduziert wurde, nun nur noch ein Teil des Reproduzierten ist (also quasi im neuen Reproduktionskreislauf mitreproduziert wird); und: dass die qualitative und quantitative Zusammensetzung des Mehrprodukts sich ändert. Was man mit dem neuen Mehrprodukt dann anstellt, ist wieder völlig offen. Genauer: Was jeder Eigentümer einer „Station“ damit anstellt. Ob man Betrieb ist, oder irgendwie qualifizierte Arbeitskraft – Sicherheit, dass das, was sich bislang als reproduktiv und/oder sogar „wachsend“ gezeigt hat, auch weiter so verhalten wird, hat niemand.
    Die Widerlichkeit, dass es bei Ungleichverteilung von (produktiven) Produktionsmitteln Erpressungen und Mehrprodukt-Umverteilungskämpfe ohne Ende gibt, kommt dann noch dazu. Aber, diese moderne, also ständig technische Innovationen umsetzende Gesellschaft will zugleich die dazu gehörende ungeheure Arbeitsteilung haben, und leistet sich im Verhältnis dazu eine geradezu kindlich anmutende Organisationsform: Jeder Eigentümer an seinem Platz möge doch, da ja qua Drohung mit Verlust seiner einzigen Einkommensquelle hinlänglich motiviert, für gesellschaftlich angemessenen („notwendigen“) Fortschritt seiner „Station“ sorgen. Woher er wissen soll, was da zu tun ist – keine Antwort. Woher er Mittel kriegen soll, also die Leute mit den Mitteln, die seine (angeblichen) Einsichten über fortschrittsträchtige Massnahmen begreifen und ihm entsprechende Güteranteile abtreten (lassen, die sie kommandieren) – keine Antwort. Nicht einmal, was „reproduktiv“ und was investierbarer Überschuss, ist bekannt; wieviel man mit welchem Risiko für die mittel- und langfristige Erhaltung wenigstens der Basis-Reproduktion entnehmen kann, um es abzuliefern und die mit wachsendem Materialbedarf immer knapperen Nichtreproduktionsgüter geliefert zu bekommen; wieviel „Wachstum“ die durch produktive Investitionen erzielten Einsparungen wirklich bedeuten – niemand weiss es.
    Eins weiss man: In der Klassengesellschaft ist mancherlei Erpressung möglich; ist mancherlei gesellschaftsschädigender Unfug durch Einzeleigentümer und ihre Geschäftstätigkeit möglich, wenn nicht ständig aufgepasst wird. Andersherum wird nur auf die Effekte geschaut, wenn irgendetwas Erwünschtes passiert; mit wessen Schaden das erkauft wird, wird vergessen. Ist ja auch schwer zu bilanzieren, wenn Schäden durch die verallgemeinerte kurzatmige Produktivitäts-Steigerungshetze nicht ausnahmsweise (Skandal! Skandal!) einzelnen Produkten und ihren Produzenten (oder ihrer Branche) zugerechnet werden können. Das Umgekehrte gilt auch: Dass massenhaft Leute das ihnen abverlangte Anfangs-Qualifikations- und Dazu- und Umlerntempo nicht mitmachen können oder gar wollen, wird garantiert nicht einer mangelnden Flexibilität und Geplantheit dieser chaotischen Produktionsweise angelastet; als ob sie geplant, und auch noch an Fähigkeiten und Bedürfnissen orientiert WÄRE, wird es ihr zum Vorwurf gemacht, dass sie, von der das doch zu erwarten ist, für jedermann auch noch passende Arbeitsplätze schaffen kann und will: Wir können alles, und das sofort.
    Es wurde kritisiert, bestimmte Darstellungen unterstellten, die Leute wenigstens einige, seien bereits irgendwie Kommunisten, ohne es zu merken; tatsächlich ist aber was dran. Denn die echten Marktwirtschafts-Fans zumindest tun so, als könne man die Errungenschaften gesellschaftlicher Kontrolle der Produktion, in einer Form, der alle zustimmen können, haben, ohne einen Finger dafür krummlegen zu müssen: Der so überaus weise eingerichtete Mechanismus namens „keiner weiss bescheid, und grade darum geht es so gut“ alias Markt wirds schon richten. Es muss ja nur jeder an seinem Platz…
    Verständigung, kollektive Planung kann man sich sparen: das ist das Versäumnis (s.o.). Zumindest derer, die so denken („es“ geht auch so); und das sind die, deren Markt-Idee derzeit offiziell politisch umgesetzt wird. Mit kleineren Abstrichen da und dort… Die meisten freilich WOLLEN gar keine Verständigung oder Planung, denen ist’s wurscht, ob gesellschaftlich Chaos herrscht – irgendwie geht’s ja weiter, Modernität von Produktion kann man sich leisten, irgendwie funktionierts (das ist der Marktglaube in NOCH primitiverer Version); wer Eigentümer ist (oder in deren Auftrag handelt), ist doch König in seinem kleinen Eigenreich: Da von IHM und SEINEN Entscheidungen Wohl und Wehe seiner selbst wie „seiner“ Beschäftigten abhängen, ebenso auch die Gesellschafts- (nämlich Markt-)Tauglichkeit „seines“ Produkts, scheint er tatsächlich so was zu sein wie ein kleinerer oder grösserer Planer und Funktionär im Dienste des Gesamtinteresses: Würde es sonst von IHM abhängen, trüge er sonst denn soviel Verantwortung? (Als ob ers könnte…) – Wer SO unterwegs ist, ob als Eigentümer oder nicht, glaubt erst recht nichts zu versäumen…
    Und das Geld? Es fliesst bei JEDER Lieferung (drum war oben ausdrücklich immer nur von einer solchen die Rede!) in die Gegenrichtung. Wer glaubt, damit IRGENDEINE zuverlässige Information über den „Erfolg“ („Wert“) seiner Transaktion zu haben, der er in gewissem Mass Vertrauen („Kredit“) schenken kann, irrt sich: Er weiss nicht, was von der Nachfrage (pro Zeit), die da so „zahlungskräftig“ und zugleich bedürftig-interessiert auf ihn zukam, reproduktiv war (also auch für ihn zuverlässig weitergehen wird); er weiss nicht, was an dem nichtreproduktiven Anteil Abschöpfung durch Erpressung der Besitzer immer knapper werdender Ressourcen ist, und womöglich Reproduktionszirkel-Anteile demnächst zusammenbrechen lässt, die mit dieser Abschöpfung nicht fertigwerden; er weiss nicht, ob oder ob nicht der auch mit SEINEM Produkt eingeleitete innovative Schritt sich als haltbar erweist, also reproduktiv wird (was bedeuten kann, dass andere, zum Beispiel auch er selbst, durch andere solche Schritte, nicht mehr reproduktiv sind), ob der Schritt vergleichsweise so produktivitätserhöhend (ein weiter Begriff, das schliesst gern mal Schädigung von Ressourcen und Leuten ein) ist und in solchem Mass, dass er zurecht zu diesem Zeitpunkt stattfindet und nicht andere, weiterführende, er weiss auch nicht, welche Rückwirkungen der Schritt auf seine eigene Stellung hat. Wenn er also jetzt durch solche Geldzuflüsse eine Differenz zu seinen Kosten in Händen hat – was weiss er? Was hat das Geld ihm gesagt? Lernen wir von Marx: Dass Ausbeutung stattgefunden hat. Ja sicher: Die Arbeit hat irgendein Mehrprodukt, naja, es ist höchst variabel (umgekehrt der Begriff ihrer Reproduktion Gegenstand von Meinungsverschiedenheiten); ja sicher: die aktuellen Gesellschaften sind Klassengesellschaften, wo Produktionsmittel-, also Kapitaleigentümer oder Unternehmer und Manager in ihrem Namen mit abhängig Beschäftigten, umso mehr, je weniger „Humankapital“ die mitbringen, Erpressungen grossen Stils anstellen dürfen, die politisch von der Mehrheit geduldet bis gewünscht sind, weil das so „effizient“ ist. Aber das weiss man eigentlich auch ohne Marx, wie der oben bereits zitierte Haslbauer (zu seinem Verdruss, aber zurecht) seinem Zitat von P. Deckers Heinrich-Thesen entnahm. Man muss freilich schon ein gottseliges Vertrauen (auch ein „Kredit“) setzen in die allein-leidenmachende Kraft des Geldes oder Klassenstaates (oder auch von der Befreiung der Erpressten aus ihrer ausweglosen Lage, und sei es auch „durch sie selbst“) als einzigem Hindernis für die Lösung des Problems, wie moderne Gesellschaften ihre Reproduktion mit ständig wachsendem Wissen halbwegs im Konsens bestreiten sollen. Dass der Markt die in ihn gesetzten Hoffnungen diesbezüglich nicht erfüllt (und im Sinne von „Eigentümern“ garnicht unbedingt soll), ist klar. Alles andre ist – unklar.

  25. 7. Juni 2020, 17:21 | #25

    Ein Disput über den Charakter der „#BlackLivesMatter“-Demos dieser Tage auf Facebook:
    Als ich bei Lucas Lukas Dreyer als Kommentar zu einem Bild der Berliner Demo geschrieben habe:

    „Ich befürchte nur, daß diese Demo mehr zur Verbreitung des Corona-Virus beigetragen hat als zur Verbreitung von Antirassismus (geht eh schlecht durch eine Demo).“

    hat er geantwortet:

    „Ich kann natürlich nicht sagen wie hoch der Anteil derer ist, die Masken tragen. Das wird sich vermutlich frühestens in 2 Wochen zeigen. Dass es nicht zu mehr Antirassismus führt ist wahrscheinlich. Wo soll der auch herkommen?“

    Meine Reaktion darauf:

    „Das ist zwar ehrlich aber doch etwas verwunderlich: Was soll denn dann der sittliche Mehrwert dieser Demo sein, zudem in Deutschland und nicht in den USA sein? so eine Art wütendes Kerze ins Fenster stellen alle gemeinsam auf der Straße?“

    Ein Trotzkist hat mir dann entgegengehalten:

    „Versammlungsrecht und politische Demonstration gegen Rassismus und Repression sind gar nicht so geringe Güter“

    Ich habe ihm vorgehalten,

    „Sondern was? Wie unterscheiden die sich denn von einem Fürbitte-Gottesdienst der Religion deiner Wahl?“

    Und weiter

    „Ich habe … darauf bestanden, daß zumindest politische Aktivisten (viele Teilnehmer dieser Demos jetzt werden sich ja noch nicht mal so einstufen) sich Rechenschaft darüber ablegen sollten, was sie mit welchen politischen Aktivitäten eigentlich bewirken können. Bei den religiösen Fürbittern ist klar, daß die das tun, um sich als Mitfühlende sehen zu dürfen, also für sich selber. Daß das Gebet nichts ändert, wissen die ja wie jeder nichtreligiöse Mensch auch (Kannst du übrigens schon in der Hiob-Geschichte des Alten Testaments sehr gut nachlesen. Und das waren Schreiber, die die damaligen Menschen immerhin damit bei ihrer religiösen Stange halten wollten).
    Ich befürchte, daß es vielen dieser moralischen Demonstranten auch ungefähr so geht: „Man“ kann zwar mit solchen Demos herzlich wenig ändern, zudem am anderen Ende der Welt, aber immerhin zeigt man, daß man zu den Guten und Empörten gehört.
    Wenigstens diesmal. Schon bei der nächsten Flüchtlingskatastrophe im Mittelmeer, über die wir demnächst so sicher wie das Amen in der Kirche wieder informiert werden, wird sich die Empörung in den bekannten engen Grenzen halten, denn dann hätte „man“ es mit der EU, Merkel und Scholz zu tun.“

    „Was ist denen [den Opfern des hiesigen Rassismus] wirklich geholfen, um diese eben auch hier zu findenden rassistischen gesellschaftlichen Verhältnisse loszuwerden (und das sind nicht nur ein paar unschöne Flecken auf einer ansonsten demokratisch sauberen Weste), wenn man alle paar Wochen auf der Straße steht und sein „Rassismus führt zum Verlust Ihres Mitgefühls“ oder ähnliche Weisheiten hochhält?“

    Eine offensichtliche „Aktivistin“ hat mir dann vorgeworfen:

    „Mit dem Wort “ Solidarität“ können Neoliberalisten halt nix anfangen. Im Übrigen sind viele von uns das ganze Jahr über politisch (aktiv) unterwegs, um was gegen die Ursachen zu tun. Bewusstsein aufbauen. Erster Schritt halt.“

    Meine Entgegnung:

    „Ich kann nach all den Jahrzehnten von Soli-Demos, an denen ich teilgenommen oder wenigstens hingegangen bin, diese billigen Sprüche über „Solidarität“ nicht mehr hören. Was ist denn für dich „solidarisch“, mit solchem neoreligiösem Zeugs kann ich nämlich erst mal nichts anfangen, wenn man nicht erkennen kann, wie denn diese so genannten Aktionen denen helfen, für die sie gemacht werden. Was tut ihr dabei so fürchterlich anderes als diese Christen, die aus der gleichen Solidarität ihre Kerzen in die Fenster gestellt haben?“

    Lucas hat eingewandt:

    „Ich fand die Größe der Demo schon beeindruckend, unabhängig davon ob dahinter ein Ziel steckt. Demos führen in unrevolutionären Zeiten vermutlich selten zu einem Ziel, außer dem auf bestimmte Themen hinzuweisen. Ich glaube nicht das eine Demo Einfluss auf das Bewusstsein derer hat, die davon mitbekommen. Sie kann aber die Gelegenheit bieten Kontakte zu knüpfen. Selbst unter Kommunisten, behaupte ich mal, sind Kontakte zu PoC’s eher marginal.“

    Ich habe ihm geantwortet:

    „“Ich fand die Größe der Demo schon beeindruckend“. Ja, das wird den meisten so gehen. Ich war z.B. bei der Friedensdemonstration im Bonner Hofgarten 1981 dabei. Deren Motto war „Motto Gegen die atomare Bedrohung gemeinsam vorgehen“. War so ungefähr die größte Demo, die die BRD und Bonn sowieso je gesehen hatten. Also besonders „beeindruckend“. Und, wurde dadurch wenigstens der NATO-Doppelbeschluß von 79 zurückgenommen? Natürlich nicht.
    „Demos führen in unrevolutionären Zeiten vermutlich selten zu einem Ziel, außer dem auf bestimmte Themen hinzuweisen.“
    Wer ist denn der Adressat dieser „Hinweise“? Die Menschen, die sich dann in den TV-Nachrichten die Schwenks über den Hofgarten angesehen haben? Die Kollegen, denen man in der Woche drauf davon erzählen konnte (wenn man überhaupt in einem Betrieb gearbeitet hat, wo man sowas konnte)?
    Linker Protest schafft es regelmäßig nur in die bürgerlichen Medien, wenn die damit irgendwie *ihre* Agenda befördert sehen, nicht unsere. Die bürgerlichen Medien haben schließlich anderes vor, als unsere „Hinweise“ auf die Verhältnisse, die wir weghaben wollen, unters Volk zu bringen.
    „Sie kann aber die Gelegenheit bieten Kontakte zu knüpfen.“ Das stimmt natürlich. Deshalb bin ich auch jahrzehntelang auf Demos gegangen, deren politische Slogans ich zumeist nicht mal unterstützenswert gehalten habe.“

    Und dem Trotzkisten habe ich geantwortet:

    „Wenn es “ nach Monaten der Pandemie/Passivität wichtig [wäre/ist] das die Linke den Arsch hochkriegt“ dann habe ich zwei Fragen: Ist es völlig egal, was die diversen Linken tun, Hauptsache, sie kriegen wenigstens ihren Arsch (wieder) hoch?
    Und wofür wäre das wichtig? Oder genauer, wieso dient dieses „Arsch Hochkriegen“ den linken Zielen? Über das xbeliebige „Zeichen Setzen“, usw. hinaus. Haben die nicht unterschiedliche bis sich widersprechende Ziele?
    Ja, für die allermeisten Linken gehören „Demonstrationen zur politischen Praxis“. Für einen gerüttelten Teil war es das übrigens auch schon mit „Praxis“. Aber das wäre ja kein Argument, wenn es wenigstens den „ernsthaften“ Linken was einbringen würde. Aber was eben? … „Straßen Demos haben sehr wohl ihren Zweck z.B zur Bewusstseinsbildung“. Ja, das behaupten alle Demonstranten. Ich bezweifele nur, daß das wirklich merklich ins Gewicht fällt. Und das liegt schon am Charakter der Demonstration. Da wird eben nicht diskutiert, um andere für seine Sicht zu gewinnen durch überzeugende Argumente, sondern da werden Blocks gebildet, die Banner tragen und Slogans rufen. Wenn man politisches Bewußtsein bilden wollte, dann müßte man Podiumsdiskussionen, Workshops, Kongreße organiseren, Online-Foren usw. Auch da geht es zumeist nur konfrontativ zu aber auf Demos ist das sozusagen eingebaut.“

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