Geschichten von Herrn Keiner: Das iranische Atomprogramm
Die „Geschichten von Herrn Keiner“ von Ulrich Schulte gibt es ja schon eine Weile online (http://www.herrkeiner.com). Seit Kurzem auch als Buch, ich habe hier darauf hingewiesen. Das soll aber noch nicht alles gewesen sein, jedenfalls vom Autor, der weitere Geschichten nachgeschoben hat. Als erstes hier eine Geschichte über den Iran:
„In einer Gesprächsrunde über die politische Lage im Nahen Osten wurde Herr Keiner von einer Frau mit besorgter Miene gefragt, ob er nicht auch der Ansicht sei, dass von dem iranischen Atomprogramm eine besondere Gefahr ausgehe. Als Herr K. antwortete, dass er nicht wisse, welches iranische Atomprogramm gemeint sei, zeigte sich die Fragestellerin ersichtlich irritiert, und sie fragte zurück: „Ich verstehe nicht, was sie meinen. Gibt es denn verschiedene iranische Atomprogramme?” „Nein”, antwortete Herr K., „das nicht, aber es gab schon früher zu Zeiten des Schah ein solches Programm, und das ist nicht auf den Widerstand der Weltmacht USA gestoßen, im Gegenteil: Es wurde ausdrücklich von der US-Regierung begrüßt und unterstützt.”
Als Herr K. sah, dass die Frau nachdachte, was der angestellte Vergleich zwischen dem Atomprogramm heute und früher bedeuten sollte, sagte er weiter: „Mit dem Hinweis auf die früheren Atommacht-Bestrebungen des Irans wollte ich dazu auffordern, sich Gedanken über die wirklichen Motive der amerikanischen und europäischen Feindschaft gegenüber dem aktuellen iranischen Atomprogramm zu machen. Denn die verbreiteten Feindbilder über den derzeitigen iranischen Führer, „menschenverachtend und diktatorisch” das Land zu beherrschen, hätte man genau so gut gegenüber der früheren Führung in Gestalt des Schahs von Persien in Anschlag bringen können. Dessen Geheimdienst durfte sogar im fernen Deutschland auf protestierende Studenten einprügeln, was die ‚guten Beziehungen‘ zu diesem Land keineswegs getrübt hat.”
”Jetzt verstehe ich so langsam, was sie meinen”, sagte die Fragestellerin. „Die Behauptung, mit der Verhinderung des aktuellen iranischen Atomprogramms einem ‚gefährlichen Kriegstreiber‘ das Handwerk legen zu wollen, sagt nichts aus über die wirklichen Gründe der Feindschaft, die sich der Iran von Seiten der westlichen Staaten zugezogen hat.” “
”Genau das meinte ich”, antwortete Herr K. „Deshalb sollte man die moralischen Begründungen dieser Feindschaftserklärung erst gar nicht beim Wort nehmen. Der Grund dafür, den Iran als ‚böse‘ einzustufen und ihn entsprechend zu behandeln, ist einzig darin zu suchen, dass er mit seinen Machtambitionen denen der aufsichtführenden Mächte in die Quere kommt. Er fügt sich nicht in die Ordnung, die die USA und deren regionale Vormacht Israel im eigenen Interesse im Nahen Osten hergestellt haben. Eine Ordnung, die mit der atomaren Bewaffnung Israels die militärischen Kräfteverhältnisse in der Region weiter zu Ungunsten des Iran verändert hat.”
Da meldete sich wieder die Frau zu Wort und sagte: „Wenn ich Ihre Ausführungen richtig verstanden habe, wäre es im Interesse der Stabilität der Region vielleicht besser, wenn es dem Iran ebenfalls gestattet würde, sich Atomwaffen zuzulegen. Dann würde jede Seite über die militärischen Mittel der Abschreckung verfügen, welche die Gefahr eines weiteren Krieges in der Region vermindern könnte.”
”Nein”, sagte Herr K., „so waren meine Ausführungen nicht gemeint. Denn die von Ihnen gewünschte ‚Stabilität‘ ist nicht das, was die maßgeblichen Mächte in der Region durchsetzen wollen. Denen geht es nicht um einen Ausgleich von Interessen, deren Interesse an ‚Stabilität’ ist kein Kriegverhinderungsprogramm. Das ist an ihrer Drohung mit militärischer Gewalt zu sehen, nämlich für den Fall, dass der Iran den Forderungen nach Aufgabe seines Atomprogramms nicht nachkommt. Für diese Mächte stellt sich die Lage so dar: Erst wenn der Iran nachgibt, sich ihren Interessen widerspruchslos unterordnet, erst dann ist die Lage wieder ‚stabil‘, also im eigenen Herrschaftsinteresse zufriedenstellend geregelt.”