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Der Zweck der Euro-Rettung (Theo Wentzke in der jungen Welt)

4. Januar 2012

In der jungen welt vom 04.01.2012. ist ein Artikel von Theo Wentzke (GegenStandpunkt-Verlag) zum Zweck der Euro-Rettung erschienen:
„Finanzpolitisches Vabanquespiel – Der Zweck der Euro-Rettung: »Den Grundstein für die stärkste Währung der Welt legen«“
Auch ich kann ihn nur empfehlen. Weiteres auch hier:
Finanzpolitisches Vabanquespiel
Ökonomie. Der Zweck der Euro-Rettung: »Den Grundstein für die stärkste Währung der Welt legen«

Die fortlaufenden »Euro-Rettungsmaßnahmen« offenbaren: Längst ist die Finanzmacht nicht nur dieses oder jenes Euro-Landes, sondern selbst der ökonomisch potentesten unter ihnen fragwürdig. Die Abwendung der Pleite Griechenlands durch neue Kreditzusicherungen überfordert das, was die Euro-Staaten, die noch Kredit haben, zu finanzieren bereit sind; Banken sollen Staatsschulden abschreiben; und der »Rettungsfonds« soll mit institutionellen Kreditgebern »gehebelt« werden und reicht doch erklärtermaßen nicht, um den nächsten Problemfällen – Spanien, Italien – ihre Kreditwürdigkeit zu sichern. Deutschland und Frankreich droht die Abstufung durch die Rating­agenturen. Die Krise ist in mehreren Ländern zur politischen geworden, Regierungen werden abgewählt oder durch nationale Notregierungen abgelöst. Das alles, weil – nicht nur – Europas Staaten um die ökonomischen Grundlagen ihrer Macht ringen: um den Zuspruch des Finanzkapitals und ein kapitalistisches Wachstum, das dem staatlich gestifteten Geld die Qualität eines gefragten Geschäftsmittels sichert.
Die Macher Europas – Deutschland voran – begreifen diese Situation als Herausforderung und als Chance: Mit verbindlichen Regeln nationalen Haushaltens, Eingriffen in die Souveränität, die die Mitglieder der Euro-Zone auf effizientes kapitalistisches Wirtschaften nach von der BRD vorgegebenen Maßstäben verpflichten sollen, soll das Gemeinschaftsgeld die Rolle eines Weltgelds erobern, das dem Dollar Konkurrenz macht. Deutschland will damit zugleich die Stellung einer unbestrittenen europäischen wie globalen politischen und ökonomischen Führungsmacht festschreiben.
Krise als Chance
Die Krise als einmalige Chance in der Konkurrenz der Nationen um ihre nationalen Gelder zu nutzen – das ist das Ziel, zu dem sich Deutschlands Politiker bekennen und das sie mit aller Macht bei der »Rettung des Euro« verfolgen: Es geht darum, »jetzt den Grundstein für die stärkste Währung der Welt zu legen«, wie es der bayerische Finanzminister Markus Söder formuliert.
Für die Kreditwürdigkeit der Euro-Zone – für die Rettung der Zahlungsfähigkeit der »Problemfälle«, für die Erhaltung der Liquidität schwächerer Partner sowie für ein gutes Rating der anderen Garanten des Euro-Stabilisierungsfonds EFSF – ist die Finanzmacht Deutschlands entscheidend. Ihre darauf gründende Stellung nutzt die Berliner Regierung zum einen gegenüber Frankreich zur Einschwörung des Konkurrenten auf ihre finanzpolitischen Interessen und ihre Richtlinien­kompetenz in der Krisenpolitik. Sie schmetterte den französischen Antrag ab, den Garantiefonds EFSF durch die Europäische Zentralbank (EZB), also praktisch unbegrenzt, durch die diesem Institut übertragene Geldhoheit der Euro-Länder finanzieren zu lassen. Dieser – von den Partnerstaaten mit schwächerem Rating unterstützte – Vorstoß hat das Ziel und hätte das Ergebnis, die Garanten des »Rettungsfonds« von allen Sorgen um die Belastung ihres Haushalts durch allfällige Zinsen und ihrer nationalen Kreditwürdigkeit durch zunehmende Schulden zu befreien: Die EFSF-Manager könnten sich jede benötigte Summe zu einem mit der EZB ausgehandelten Zinssatz besorgen.
Übrig bliebe allein die gemeinsame Verantwortung aller Euro-Staaten für die – einstweilen noch gar nicht gefährdete – globale Anerkennung und die neben dem und in Konkurrenz zum Dollar weltweite Verwendung des gemeinsamen Geldes. Allerdings wäre Deutschlands gewaltiger materieller Vorteil in der Konkurrenz um Kredit egalisiert, die Abhängigkeit des Fonds, seiner Garanten und seiner Problemfälle von der deutschen Finanzmacht entscheidend vermindert.
So läuft es nun nicht; statt dessen findet Frankreich sich darauf verwiesen, eben diese Abhängigkeit mitzuorganisieren und dabei den engsten Schulterschluß mit Deutschland zu suchen, damit es den kritischen Vergleich seiner Kreditwürdigkeit mit dem deutschen »Triple A« besteht; denn nur so ist der französische Staat – wenigstens bis auf weiteres – in der Lage, die Garantie für den Kredit der Euro-Zone, die er nicht an die EZB abtreten kann, ohne Schaden für seinen Kredit durchzuhalten. Entsprechendes gilt für die kleineren Euro-Partner mit starker Finanzmacht – soweit die sich nicht sowieso von vornherein um ihres nationalen Zinsvorteils willen und im Interesse eines starken, d.h. nicht für die Finanzierung problematischer Schuldenhaushalte aufgeblähten Euro der deutschen Position angeschlossen haben.
Ihre derart gestärkte, nämlich von den Mitmachern unterstützte Kreditmacht nutzt die deutsche Regierung zum anderen –gegenüber den Staaten mit problematischem, von den Banken in Zweifel gezogenen und mit entsprechend hohen Zinsen belasteten Kredit – für die Anmaßung eines Kontrollrechts über deren Haushaltspolitik. Ohne für das Schicksal der dortigen Regierungen, geschweige denn für dasjenige, das die ihren Völkern bereiten, die geringste Verantwortung zu übernehmen, legen die Berliner Politiker ihre mit geringerer Kreditmacht gesegneten Kollegen, der jeweiligen Finanzlage entsprechend erpresserisch darauf fest, ihre Staatsangestellten, Rentner, Kranken, Sozialfälle usw. zu verbilligen und überhaupt die Kosten ihrer Herrschaft zu senken.
Überwachung und Maßregelung überläßt die deutsche Regierung den Experten der EU und des IWF. An den Fällen Griechenland und Italien macht sie gemeinsam mit dem obersten Franzosen klar, bei wem die Entscheidungsmacht über die Finanzmittel liegt, mit denen in den Euro-Ländern regiert wird: Den mittlerweile zurückgetretenen griechischen Regierungschef stellten Merkel und Sarkozy knallhart vor die Alternative, sich allen Verpflichtungen zur Umgestaltung seines Landes zu beugen oder die Union zu verlassen; den ebenfalls abgetretenen italienischen Ministerpräsidenten Berlusconi blamierten sie als unzuverlässigen Patron, dem ein überfälliges Reformprogramm durch eine von ihnen beauftragte Instanz aufgenötigt werden mußte.
Konkurrent USA
So setzt Europas deutsche Führungsmacht finanzpolitische Direktiven durch, die in der Sache ungefähr die alten Maastrichter Stabilitätskriterien zum Inhalt haben – und damit den Widerspruch verbindlich in Kraft setzen, der diese Kriterien auszeichnet. Sie sind abgeleitet aus Meßgrößen des finanzpolitischen Welterfolgs der D-Mark-Macht BRD; sie sind Indikatoren der Konkurrenz­erfolge, die der seinerzeitige Exportweltmeister sich mit verschiedenen Mitteln und Methoden und letztlich vor allem mit einer überlegenen Kapitalmasse erwirtschaftet hat, zusammengefaßt in einer nationalen Kreditbilanz. Und damit sind sie alles andere als Erfolgsrezepte, deren Befolgung das gewünschte Ergebnis hergeben müßte.
Genau so, als finanzpolitische Handlungsanweisungen, werden sie von deutscher Seite aber in Spardiktate für die überschuldeten Partner umgemünzt. Als ließe sich der Konkurrenzerfolg einer Nation, die ihren Kredit verliert, ausgerechnet durch eine radikale Verbilligung der Staatstätigkeit herbeiführen; als wäre die Sanierung der Finanzmacht eines Landes nicht das Ergebnis akkumulierter Konkurrenzerfolge, sondern eine Auftragsarbeit, die mit dem festen Willen zu äußerster Sparsamkeit zu erledigen ist: In diesem Sinn schreibt die maßgebliche Euro-Macht ihren Partnern eine Politik des Verzichts auf gewohnte Herrschaftsmittel vor.
Tatsächlich wäre eine derart restriktive Haushaltsführung schon unter den Bedingungen eines allgemeinen Aufschwungs alles andere als wachstumsfördernd. In der Krisensituation, die die Länder auf diese Art bewältigen sollen, wirkt sie bis auf weiteres ruinös. Sie mindert die Reproduktion des gesellschaftlichen Reichtums bis auf das Niveau massenhafter Verelendung. Die Krise wird weder abgewendet noch überwunden, sondern erst einmal weiter durchgesetzt. Das wirkt unweigerlich auf die Auftraggeber zurück; nicht nur durch die Minderung der nationalen Zahlungsfähigkeit der finanzschwachen Länder, die bislang nicht zuletzt von den exportstarken Partnern abgegriffen worden ist und deren Bilanzen aufgebessert hat.
Der Einbruch der Geschäftstätigkeit und die verschlechterten Wachstumsbedingungen im Euro-Raum strapazieren den »Rettungsfonds« immer weiter und untergraben zugleich die Kreditwürdigkeit seiner Garanten; mittlerweile wachsen die Zweifel, ob das Angebot an die Märkte, mit EFSF-Anleihen Geld zu verdienen, überhaupt verfängt. Damit stehen die Erfolgsaussichten der produktiven Krisenbewältigungspolitik auf dem Spiel, die die deutsche Regierung durchgesetzt hat und auf der sie umso unerbittlicher besteht, je mehr ihre Partner auf alternative Lösungen drängen. Deutschland leistet sich damit seinerseits den Widerspruch, alles auf einen Erfolg zu setzen, den es erstens gar nicht in der Hand hat, weil er vom Urteil der Finanzwelt über erhoffte Erfolge der Austeritätspolitik überschuldeter Partnerländer abhängt, und den es zweitens selber untergräbt, soweit seine Sparvorschriften den erhofften Erfolgen entgegenwirken.
Für dieses finanzpolitische Vabanquespiel hat die Berliner Regierung einen alles entscheidenden Grund, der in den offiziellen Begründungen – »Stabilitätskultur« usw. – allerdings mehr verschwiegen als offensiv geltend gemacht wird: Es geht um die Macht des europäischen Kredits und die Geltung der europäischen Währung in der Konkurrenz mit dem noch immer führenden Weltgeldschöpfer USA. Das Regime über Europas Finanzen, so wie die deutsche Seite es haben will, dient der Durchsetzung des Euro im globalen Kapitalismus als mindestens ebenbürtiger Alternative zum US-Dollar: Darin liegt seine eigentliche, nämlich weltpolitische Bedeutung.
Offene Erpressung
Politiker und Öffentlichkeitsarbeiter in etlichen EU-Staaten beschweren sich angesichts der von Berlin durchgesetzten Krisenpolitik über ein »deutsch-französisches Direktorium«, das die Mitentscheidungsrechte der anderen 25 überrollt. Tatsächlich ringt Deutschland in einem beiderseits nicht ganz freiwilligen Schulterschluß mit Frankreich um eine Richtlinienkompetenz in Fragen der Haushalts- und Finanzpolitik. Ohne Skrupel nutzt die Berliner Regierung die Auswirkungen der Krise, die Schwierigkeiten der schwächeren Mitglieder, speziell die Finanznot der Pleitekandidaten und setzt ihre eigene relative Stärke, als Machtinstrument ein. Um den Mitgliedern des Euro-Clubs die Unumgänglichkeit der verlangten Sparpolitik vor Augen zu führen, scheuen Deutschland und Frankreich vor einer Rausschmißdrohung gegen Griechenland nicht zurück: Mit ihrem Unvereinbarkeitsbeschluß gegen den Vorstoß der Athener Regierung, die die Übernahme des verhängten »Reform«-Diktats von einer Volksabstimmung abhängig machen wollte, stellten »Merkozy« klar, daß in der Euro-Zone die Souveränität der Einzelstaaten endet, wo die Union um ihre Währung kämpft. Da heißt die Alternative nur noch Unterwerfung oder Trennung.
Ziel dieses offen erpresserischen Vorgehens ist freilich nicht die deutsche Machtergreifung in Europa, die Unterwerfung der 16 bis 26 anderen Souveräne unter einen selbstzweckhaften Herrschaftsanspruch Berlins, wie es manche Klage über ein von Deutschland gewünschtes »Direktorium« unterstellt. Es geht schon um die gemeinsame Sache – auch wenn die meisten Partnerländer sich von selbst nie zu einer derartigen Zielsetzung verstiegen hätten: um den Konkurrenzkampf mit den USA; um die Durchsetzung des europäischen Kredits und des europäischen Kreditgelds als Stoff des kapitalistischen Reichtums der Welt. Ein derartiger Erfolg ist jedoch nur zu haben, wenn alle nationalen Haushalte strikt am Kriterium einer weltweiten Nachfrage des Finanzkapitals nach ihren Schulden und einer entsprechenden Wertschätzung des gemeinsamen Kreditgelds ausgerichtet werden; das ist die Lehre, die die Europäer unter deutscher Anleitung aus der Krise ziehen müssen. Und deswegen verlangt die gemeinsame Sache eine Selbstbindung der Staaten in ihrer Haushaltsführung, die dem Verzicht auf nationale Souveränität in dieser Kernfrage der Politik gleichkommt.
Einen solchen Verzicht hat in den gültigen EU-Verträgen kein Mitgliedsstaat geleistet. Vielmehr haben die Euro-Länder ihre Entscheidungsfreiheit über Haushalt und Schulden behalten und »nur« ihre Geldhoheit an die EZB abgegeben. Mit dieser Preisgabe der Währungssouveränität wurde nach deutschem Verständnis quasi eine Brandmauer eingezogen zwischen der Freiheit der Einzelstaaten, ihren Haushalt nach nationalem Bedürfnis und Ermessen zu führen, und der gemeinsamen ökonomischen Hauptsache, dem Euro mit seinem Auftrag zur Eroberung der Weltgeldmärkte. Diese Trennung ist durch die Eskalation der Finanz- zur Staatsschuldenkrise ad absurdum geführt worden: Griechenland ist ein haushaltspolitisch souveräner kapitalistischer Staat ohne eigenes Geld. Die Umkehrung dieses Verhältnisses wird dem Land jetzt aufgezwungen: Die Ausstattung mit einem Mindestquantum eigener Währung kostet es die Hoheit über den Staatshaushalt. Darin ist Griechenland gemäß der von Deutschland durchgesetzten Krisenrettungspolitik der Präzedenzfall für alle Euro-Länder, die mit ihren Schulden in Verlegenheit kommen. Und die alle sind Beispielfälle für das Prinzip, dem die Verfechter der Weltwährung Euro Geltung verschaffen und zu allgemeiner Anerkennung verhelfen wollen: In letzter Instanz hebelt die gemeinsame Sache die unbeschränkte Entscheidungsfreiheit des einzelnen Staates beim Gebrauch von Geld aus.
Deutsche Definitionshoheit
Den Widerspruch zwischen Wahrung und Preisgabe nationaler Haushaltsautonomie, dem die Euro-Länder (auch Deutschland) sich also stellen müssen, löst die deutsche Staatsgewalt für sich in der Weise auf, daß sie sich die Definitionshoheit über die gemeinsame Sache herausnimmt, sich selbst zum nationalen Subjekt der supranationalen Erfordernisse einer erfolgreichen Weltgeldkonkurrenz erklärt. In diesem Sinn beschließt der parlamentarische Souverän eine Schuldenbremse mit Verfassungsrang; die Regierung legt sich fast ebenso grundsätzlich und verbindlich darauf fest, bei der »Euro-Rettung« und darüber hinaus keine Alternative zu dem von Deutschland vorgegebenen Erfolgsweg der EU zuzulassen; das Bundesverfassungsgericht hat der Übertragung von Souveränitätsrechten und insbesondere der Hoheit des Parlaments über den Staatshaushalt ganz generell einen Riegel vorgeschoben.
Damit steht von deutscher Seite immerhin nichts Geringeres als die Drohung im Raum, eher das ganze Unternehmen platzen zu lassen als in Sachen Gemeinschaftswährung Kompromisse einzugehen; und das nicht bloß aus finanzpolitischen, sondern aus verfassungsrechtlichen Gründen – also der Sache nach deswegen, weil sonst die Unterordnung unter die Gemeinschaft nicht mehr deckungsgleich wäre mit der Oberhoheit über das ganze Unternehmen und seine Räson, die der deutsche Souverän seiner Souveränität schuldig ist. Bei ihrem Vabanquespiel, in Sachen »Euro-Rettung« alles auf einen Erfolg zu setzen, den sie gar nicht in der Hand hat, baut die Berliner Regierung mit der Souveränitätsfrage einen fundamentalistischen Vorbehalt in ihre Euro-Politik ein, der im Fall des Scheiterns als Sprengsatz wirkt.
Auf ihre Weise bemühen sich die anderen EU-Staaten, es Deutschland gleichzutun und den Widerspruch zwischen der Unterordnung unter das gesamteuropäische Geldregime und ihrer Haushaltsautonomie ebenfalls so zu bewältigen, daß sie die verlangte Disziplin und Beschränkung zum Gegenstand eigener, betont souveräner Entscheidungen machen. Manche verordnen sich nach deutschem Vorbild eine in der Verfassung verankerte Schuldenbremse und verpassen damit ihrer Unterwerfung unter die supranationale Räson der Weltgeldkonkurrenz den rechtlichen Charakter eines frei gewählten obersten Staatsziels. Über ihre gleichartigen Bemühungen stürzen in den Nationen, denen der Verlust ihrer Kreditwürdigkeit und die Notwendigkeit einer Rettung durch ihre solventen Führungsmächte droht, die amtierenden Regierungen – und werden durch neue ersetzt, die mit frischer Kraft dasselbe tun: In Irland sowie auf der iberischen Halbinsel nimmt das jeweilige Wahlvolk seiner Obrigkeit die Kürzungsprogramme übel, mit denen diese nichts anderes versucht, als die Vorgaben der europäischen Führungsmächte in ein ganz und gar nationales »Rettungsprogramm« zu überführen. Mit der Ermächtigung einer neuen Mannschaft, die gleich noch rigider ans Werk zu gehen verspricht, stellt es klar, daß ihm seine alten Herren und deren Verelendungspolitik vor allem unter dem Gesichtspunkt mißfallen haben, daß die Nation sich ohnmächtig gezeigt und fremden Diktaten gefügt hat. Mit seinem Wahlakt jedenfalls setzt es seine materiellen Hoffnungen und patriotischen Erwartungen auf Politiker, die das Versprechen verkörpern, mit ihrer Machtübernahme wäre die Nation wieder Herr ihres Schicksals – das deswegen noch elender als unter der alten Regierung ausfallen darf.
Im Fall Griechenlands und Italiens nimmt die massive Mißtrauenserklärung seitens der Finanzmärkte sowie der Euro-Politiker in Berlin und Paris dem Wahlvolk die Mühe eines Urnengangs vorerst ab. Neue Regierungen der überparteilichen Fachkompetenz kommen ins Amt, um erstens das Verordnete ohne falsche Rücksicht aufs Volk zu vollstrecken und zweitens diesem glaubhaft zu machen, daß mit dem neuen Personal die bessere Einsicht und der autonome Wille der Nation zum Zuge kommen.
So bringen Deutschlands Euro-Partner sich mehr oder weniger selbst auf die verlangte Linie – und ermutigen die Berliner Regierung auf der einen, die Brüsseler Europapolitiker auf der anderen Seite zu Initiativen, die darauf zielen, im Sinne der supranationalen Sache die dafür für nötig gehaltene Haushalts- und Schuldendisziplin rechtsverbindlich festzuschreiben.
Innereuropäische Fronten
Die deutsche Seite befürwortet Änderungen am geltenden Einigungsvertrag, um nach der Logik des »Rettungsfonds« EFSF eine Verpflichtung aller Mitglieder auf eine von den Weltfinanzmärkten und -mächten akzeptierte und honorierte Kredit- und Geldpolitik festzuschreiben und so ihre Sonderstellung als entscheidende Finanzmacht der Union zu verewigen. Zunächst schlägt sie in aller Bescheidenheit bloß ein paar Korrekturen im Kleingedruckten vor; daraus ist freilich sehr schnell die Forderung nach einer rechtlich verbindlichen »Fiskalunion« geworden.
Die Alternativvorschläge beinhalten mehr eine Art Tauschgeschäft: Aufsichtsbefugnisse der Brüsseler Behörden über die nationalen Haushalte gegen eine gemeinschaftliche Kreditaufnahme, die den Schuldendienst der schwächeren Partner entlasten würde – auf Kosten des Zinsvorteils der Deutschen und der Abhängigkeit der anderen von Deutschlands Kreditwürdigkeit. Damit ist auch schon eine der Fronten klar, an denen die aus der Krise erwachsende Nötigung der Euro-Länder zu mehr Einigkeit die Währungsgemeinschaft spaltet.
Eine andere tut sich im Verhältnis des vom »deutsch-französischen Direktorium« dirigierten Euro-Krisenclubs zu Großbritannien immer weiter auf: Der große Außenseiter bleibt nicht bloß von der Streiterei um die faktische und rechtliche Weiterentwicklung der Union ausgeschlossen; mit seiner eigenen Finanzindustrie, seinem eigenen Kreditgeld und vor allem mit der hartnäckigen Verweigerung der Abgabe von Hoheitsrechten an die Union rangiert das Land als Schranke und immerwährende Beeinträchtigung des Programms, das für die Führungsmächte auf dem Kontinent den letzten Zweck ihres Bündnisses ausmacht und dessen überragende Bedeutung von der deutschen Kanzlerin immer wieder beschworen wird, wenn sie mit dem Euro gleich die Einheit Europas scheitern sieht: das Projekt einer den USA ebenbürtigen Weltmacht des Geldes.
Und mehr noch: Es geht, so hört man, um den Frieden in Europa. Die Bündelung der europäischen Kräfte für den Euro als Weltgeld, von dem jede Nation sich einen ökonomischen und politischen Machtzuwachs verspricht, den sie auf sich allein gestellt nie zuwege brächte, hat die Gegensätze untereinander nicht zum Erliegen gebracht. Im Gegenteil, die aktuelle Staatsschuldenkrise scheidet die europäischen Staaten in Gewinner und Verlierer, bringt also neue Gegensätze hervor. Deswegen verkündet die Kanzlerin den europäischen Völkern: »Ohne Europa gibt es keinen Frieden!« – Entweder, ihr laßt euch für die »Rettung Europas« einspannen und verarmt dabei, oder es könnte mit dem Zerfall ein neuer Krieg drohen, in dem weit mehr von euch gefordert ist! Geld oder Leben. Das sind sie, die Signale, die Europas Völker auf dem vorläufigen Höhepunkt der Krise zu hören kriegen.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. 5. Januar 2012, 09:13 | #1

    Der GSP hat ja erstaunlicherweise wieder mal einen Artikel in der jungen Welt untergebracht, wo es zum Schluß heißt: „die aktuelle Staatsschuldenkrise scheidet die europäischen Staaten in Gewinner und Verlierer, bringt also neue Gegensätze hervor“. Das halte ich so für falsch: die Gegensätze gab es doch schon die ganze Zeit, die Scheidung war doch für viele Staaten gerade der Antrieb auf die EU zu setzen in der Hoffnung, endlich auch zu den Siegern gehören zu können. Es sind zwar auch „neue“ Gegensätze dabei zu Tage getreten, im Wesentlichen haben sich aber die Konkurrenzunterschiede, die es schon früher gab, letztlich doch nur wieder bestätigt. Und dies in einer Art und Weise, daß selbst die Siege der Sieger einen Knacks weggekriegt haben und eventuell doch nur fiktiv waren als Ergebnis der zusammengekommenen Überakkumulation.
    Darauf meinte jemand:
    „so meine ich weder, daß Deutschlands Vormachtstellungs-Getue was bringen wird für die “Rettung“ des Euro, noch stimme ich mit Theo überein darin, daß D den Griechen mit Hinauswurf gedroht habe. Ich meine, es war genau umgekehrt: Papandreu hat mit Austritt gedroht, und deswegen mußte er gehen. Also, ich bin der Ansicht, daß es ein Bewußtsein gibt, vor allem Schäuble repräsentiert das, daß der Austritt oder Hinauswurf auch nur eines Staates das Ende der Eurozone wäre, und des Euro, und daß gerade D alles tut, um dergleichen zu verhindern.“
    Ja, das hatte ich vergessen, auch ich finde die Stelle mit der Rauswurfdrohung für Griechenland falsch. Nicht nur blendet das die permanenten Auseinandersetzungen darüber, ob das für die BRD überhaupt gut wäre aus, und damit die Widersprüchlichkeit des ganzen EU-Konzeptes (bei allen die mitgemacht haben und mitmachen, nicht nur bei Deutschland), aus purem egoistischem Nationalismus Europäer geworden zu sein, noch wird man damit dem erreichten Zwischenstand gerecht, der ja gerade Griechenland in der EU-Zone halten soll.
    Die entgeistigte Empörung über Papandreu, der als Variante vorgeschlagen hatte, die Griechen abstimmen zu lassen, zeigt neben der „volksfeindlichen“ Hybris der Macher eben auch, daß es Merkel und Sarkozy gerade nicht egal war, ob die Griechen nun ausscheren oder nicht. Da lag der Schäuble in der Tat „richtiger“.
    Ich habe vor Jahren mal einen Leserbrief an die Redaktion zum Projekt Europa und dessen Widersprüchen geschrieben. Damals habe ich auch damit aufgehört, daß solche Fragen letztlich im bürgerlich kapitalistischen Rahmen immer mit Krieg entschieden wurden. Dieses Bewußtsein hatte Kinkel übrigens auch, der mal den berühmten Spruch gemacht hat, „… nach außen gilt es etwas zu vollbringen, woran wir zweimal zuvor gescheitert sind: Im Einklang mit unseren Nachbarn zu einer Rolle zu finden, die unseren Wünschen und unserem Potenzial entspricht.“ Dieses harmlose „zweimal“ waren schließlich WWI und WWII.
    In diesem Zusammenhang halte ich es auch für falsch, anzunehmen, „die Loser der Konkurrenz können keinen Krieg gegen die Gewinner anzetteln“. Japans Angriff auf die USA sind ein gutes Gegenbeispiel. Die Geschichte ist voll von Kriegen, bei denen Loser meinten, die letzte Scharte nun wieder auswetzen zu können. Ob sie das dann geschafft haben oder nicht, war dann immer eine andere Sache. Jedenfalls ist die Gleichsetzung Loser=Friedensfürst grottenfalsch.

  2. Name
    5. Januar 2012, 11:00 | #2

    Kommentare nach der Referendum-Idee:
    „Es war eine ernste Situation, es war nicht einfach“, resümierte Merkel. „Wir verteidigen den Euro. Wir wollen das mit Griechenland gemeinsam tun. Aber wir sagen auch, dass wir das große Einigungswerk nicht aufs Spiel setzen. Das sind unsere Prioritäten.“ Und mit einer klaren Warnung Richtung Athen mahnte die Kanzlerin: „Wir respektieren die Entscheidung des griechischen Volkes, aber wir werden den Euro nicht aufgeben.
    (…)
    Und Sarkozy stellte unmissverständlich klar: „Wir wünschen lebhaft, dass sie (die Griechen) in der Euro-Zone bleiben, aber die sechste Tranche der EU-Hilfe kann nur ausgezahlt, werden, wenn es keine Zweifel über den Ausgang des Referendums gibt.“
    http://www.spiegel.de/politik/ausland/0,1518,795577,00.html
    Dass auf dem diplomatischen Parkett nicht wortwörtlich vom „Rausschmiss“ geredet wird, hat andere Gründe als die Angst vor einem Domino-Effekt, dessentwegen Griechenland bedingungslos Mitglied bleiben solle.

  3. lala
    5. Januar 2012, 14:12 | #3

    Hey Neoprene
    Du schreibst:

    Es sind zwar auch „neue“ Gegensätze dabei zu Tage getreten, im Wesentlichen haben sich aber die Konkurrenzunterschiede, die es schon früher gab, letztlich doch nur wieder bestätigt.

    Das entspricht doch nicht der Wirklichkeit. Das Italien sich sein Kürzungsprogramm von Deutschland / Frankreich abholt, das GB total ausgemischt ist, dass es ein Kerneuropa der €-Zone gibt und ein ausgemischter Rest – das sind doch alles Neuerungen der Krisenkonkurrenz.

  4. 5. Januar 2012, 14:38 | #4

    Ja und nein: Natürlich verschieben sich jetzt in der Krisenbewältigung erneut und zusätzlich die Relationen zwischen den verschiedenen Nationalstaaten. Das ist sozusagen das „Neue“. Andererseits sind doch die Staaten nicht erst seit der aktuellen Finanzkrise so unterschiedlich im Konkurrenzkampf unterwegs. Griechenland z.B. war doch vor seinem EU-Beitritt auch schon ein Loser dieser Konkurrenz und hat sich gerade eine Verbesserung seiner absoluten aber eben auch seiner relativen Position erhofft. Um nun festzustellen, daß es grundsätzlich genauso rausgekommen ist aus der „Integration“, wie es reingegangen war.
    Auch Italien ist doch nicht erst in den letzten paar Monaten unter Druck gekommen, das ist doch ein relativ langer Prozeß in den letzten Jahrzehnten gewesen. FIAT ist z.B schon seit Jahren ein Konzern, der es sehr schwer hat gegen die deutschen und die französischen Konzerne anzukämpfen.

  5. Samson
    11. Januar 2012, 22:11 | #5

    Den Satz sollten sich alle hinter die Ohren schreiben oder an die Wand pinnen, die sich einbilden, „die ökonomischen Grundlagen“ der politischen Macht von Staaten ergäbe sich aus dem „Zuspruch des Finanzkapitals“:

    Wenn Marx den Ökonomen seiner Zeit vorwarf, sie würden die Kreditbewegung – darin eingeschlossen die Finanzmärkte – fälschlicherweise zur Ursache des »industriellen Zyklus« und damit auch der regelmäßig wiederkehrenden Krise machen, dann trifft jene Kritik uneingeschränkt auch die heutigen Krisendeuter.
    Quelle

  6. Krimsekt
    13. Januar 2012, 10:05 | #6

    Ein Argument ist aber nicht zu erkennen im Satz.

  7. 13. Januar 2012, 10:12 | #7

    In diesem Satz vielleicht nicht (jedem). Aber in dem verlinkten Artikel von Guenther Sandleben „Überproduktion und Krise
    Hintergrund. Haben die ökonomischen Verwerfungen der letzten Jahre ihren Grund in einer »Ansteckung« der »gesunden Realwirtschaft« durch die in die Bredouille geratenen Finanzmärkte? Oder geht es doch um den Kapitalismus im Ganzen?“ natürlich schon.

  8. lala
    14. Januar 2012, 02:15 | #8

    Samson, wie erklärst du dir eigentlich folgenden Artikel:
    http://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/0,1518,809056,00.html ?

  9. Samson
    15. Januar 2012, 17:36 | #9

    @ lala
    Warum sollte ich mir erklären wollen, wie die bürgerliche Journaille mit dem umgeht, was die Bourgeoisie unter Krise etc. versteht resp. was ihr politisches Personal zu tun gedenkt?
    Entscheidend ist doch, was dieses Personal (und zwar gleichgültig welcher Fraktion es gerade angehört) praktisch verzapft. Rein analytisch lässt sich das was das politische Personal verzapft, anleiert, als-Gesetz-beschließt etc. unter Entgegenwirkende Ursachen subsumieren. Dazu muss man freilich das Gesetz des tendenziellen Falls der Profitrate als meinetwegen ‚allgemeingültiges‘ bezügl. der Kapitalbewegung für gegeben annehmen. Sandleben tut das, ich tue das, paar andere auch, wieder andere nicht. Die haben dann auch andere Erklärungen, ggf. solche, die bspw. Wohl und Wehe von Staaten als abhängige Variable von deren Kreditfähigkeit o.s.ä. ansehen, und ggf. annehmen, das produzierende Gewerbe sei als Folge der Krise der Finanzmärkte ins Trudeln geraten. Sandleben erklärt ganz grob, warum derlei Annahmen dann falsch sind, wenn man Marxens Erklärung des Kapials als gesellschaftlichem Produktionsverhältnis für schlüssig hält. Wenn nicht, dann muss man sich halt was anderes ausdenken oder ggf. abwarten, was Ratingagenturen ausbaldowern.

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