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„Sozialismus“ als nationalistischer Kampfbegriff: Dieterichs „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“

13. Juni 2011

Ich hatte vor einiger Zeit schon mal auf einen Artikel des GegenStandpunkt zu Heinz Dieterich und sein durch und durch nationalistisch/prokapitalistisches Kampfprogramm „Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ hingewiesen (hier).
Nun hat der GegenStandpunkt nochmals nachgelegt und sich Dieterichs ach so „radikale Anweisungen“ „an die lateinamerikanischen Linksregierungen für einen staatlichen Aufstieg“ mit zukunftsweisender Perspektive“ vorgenommen. Der Artikel hat folgende Zwischenüberschriften:
– Dieterichs sozialistisches Etappenmodell: Nationalkapitalistische Entwicklung!
– Venezuela: Ein Modellfall auf Abwegen
– Kuba: Eine staatsschädliche Fehlentwicklung und ihre unerlässlichen Korrekturen
– Die Staaten Lateinamerikas: Zu machtvollem Aufbruch berufen
– China und das „chinesische Modell“: Ein leuchtendes Vorbild staatlichen Aufstiegs
– Die Hoffnung stiftende Perspektive: Das welthistorische Ringen um ein erfolgreiches Fortschrittsmodell
Ich habe den Artikel eingescannt und ihn im Downloadbereich unter „Diverses“ zur Verfügung gestellt (was ich mir in der Tat hätte sparen können, denn die Redaktion hat ihn selber auch online zur Verfügung gestellt,) denn er zeugt mustergültig, wie nah sich so unterschiedliche Konzepte wie das von Raul Castro, Deng Tsiao Ping oder eben Heinz Dieterich sind. Damit kann man eventuell weit kommen, nur zum Sozialismus kommt man damit garantiert nicht. Vielleicht auch, weil der bei denen von Anfang an auch nicht wirklich zum Programm dazugehört hat.

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  1. Krim
    14. Juni 2011, 15:48 | #1

    Gewundert hat mich, wie Dietrichs ohne das irgendwie widersprüchlich zu finden, den Verlierern der Staatenkonkurrenz, als Rezept gegen ihren Status einfach konsequent auf Sieg ausgerichtete Teilnahme an der Konkurrenz anempfiehlt. 1. Hat die Teilnahme an der Staatenkonkurrenz die meisten Staaten in die Lage gebracht, in der sie sich jetzt befinden. Die meisten wollen sowieso konkurrieren. Das muss man ihnen nicht sagen. Der Erfolg bleibt bloß meistens aus. 2. Kommen mir da immer die Frauen oder Bürgerrechtler in den Sinn, die Chancengleichheit in der Konkurrenz fordern. Was soll es denn bringen, wenn ein paar Staaten aufsteigen und, weil es sich um Konkurrenz handelt, ein paar andere Staaten dafür absteigen. Ob nun China oder die USA oder Europa imperialistische Weltmacht Nr. 1 sind, macht die Weltlage für die Mehrzahl ihrer Insassen nicht weniger zerstörerisch, unsicher, unerträglich. Aber um die geht es Dietrichs eben nicht. „Kurz: Seinen linken Opportunismus erfolgreicher Herrschaft macht Dieterichs zum Leitfaden der Weltgeschichte und liest ihn aus der [Weltgeschichte] dann als Hoffnung stiftendes Gesetz des Fortschritts wieder heraus.“ Dem Dietrichs geht es eben um das Wohl höherer Subjekte (Staaten, Nationen). Wie die menschlichen Subjekte bei diesen nationalen Aufstiegsprojekten abschneiden, ist zweitrangig bzw. allerhöchstens problematisch.

  2. bla
    14. Juni 2011, 16:27 | #2

    [E]r zeugt mus­ter­gül­tig, wie nah sich so un­ter­schied­li­che Kon­zep­te wie das von Raul Cas­tro, Deng Tsiao Ping oder eben Heinz Die­t­e­rich sind.

    Nein, das zeigt der Artikel nicht. Im Gegenteil verschwendet der Artikel einige Mühe darauf darzulegen, dass die Ähnlichkeit nur durch Dietrichs Abstraktionskunst und sein weltgeschichtliches Stufenmodell zustande kommt; er also gar nicht über die tatsächlichen Programme von Deng und Castro urteilt, sondern diese unter seiner Vorstellung von Fortschritt in Richtung Sozialismus des 21. Jahrhunderts subsumiert.
    Dass du meinst es würde im Artikel um die Gemeinsamkeiten Kubanischer und Chinesischer Politik gehen, zeugt allerdings davon, dass du einen Idealismus ganz ähnlicher Machart drauf hast: Auch du misst so unterschiedliche nationale Programme wie das von Venezuela, Kuba und China stur daran ob sie deinem Maßstab vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts gerecht werden und fühlst dich von diesen Nationen und ihren Führern schlecht bedient („na­tio­na­li­tisch/pro­ka­pi­ta­lis­ti­sches Kampfprogramm“).

  3. bla
    14. Juni 2011, 16:30 | #3

    Warum man einen Artikel einscannen muss den die Redaktion auf die Seite des GegenStandpunkt bereits vor Erscheinen des Hefts hochgeladen hat, ist mir auch schleierhaft, aber vielleicht taugts ja wem zwecks Ausdruck o.Ä..

  4. 14. Juni 2011, 16:49 | #4

    Ich grase recht unregelmäßig die Verlagsseite des GegenStandpunkts ab. Mein Feedreader hat da nichts ausgespuckt, contradictio als Lifaßsäule des GSP hat auch keine Silbe dazu fallen lassen. Also meinte ich, mir die Mühe machen zu müssen. Übrigens taugt gerade mein Scan nicht zum Ausdruck, weil ich hier auf Seitentreue wert gelegt habe und den Text gerade nicht auf DIN A4 umformatiert habe, was ich mir natürlich auch überlegt hatte.
    Nein, ich messe „so unterschiedliche nationale Programme wie das von Venezuela, Kuba und China“ gerade nicht „stur daran ob sie [m]einem Maßstab vom Sozialismus des 21. Jahrhunderts“ entsprechen, sondern meine, daß das Label „Sozialismus“, das sich mit Ach und Krach Venezuela umhängen läßt (es gibt ja auch solche Linke), und das ganz offensichtlich Kuba wie die VR China als Selbstzuschreibung benutzen, nicht sonderlich gut verdeckt, daß es da jeweils um recht nationale, staatliche Programme geht, einen besseren Platz an der Sonne der Staatenkonkurrenz zu ergattern. In diesem wesentlichen Punkt haben sie eben doch recht viel gemeinsam. Daß Dieterich, der sowas ja alles andere als verwerflich findet, im Fall von Kuba und Venezuela an deren konkreter Politik herumkritelt und dadurch noch zuwenig Erfolgs“sicherheit“ gewährleistet sieht, ändert nichts an seinem grundlegenden Konsens mit den jeweiligen Staatprogrammen. Nicht umsonst hat er sich ja immer als wohlmeinender Staatsberater geriert.

  5. 14. Juni 2011, 20:34 | #5

    Zu Krims Verwunderung, daß immer wieder, so auch hier von Dieterich, „den Verlierern der Staatenkonkurrenz, als Rezept gegen ihren Status einfach konsequent auf Sieg ausgerichtete Teilnahme an der Konkurrenz“ anempfohlen wird, wo doch „die Teilnahme an der Staatenkonkurrenz die meisten Staaten in die Lage gebracht [worden sind], in der sie sich jetzt befinden“:
    Das verwundert aber eben nur immer wieder Kommunisten, die weder im Lohn ein individuelles Mittel des persönlichen Erfolges wissen, noch die Staatenkonkurrenz als kollektives Erfolgsmittel. Der überwältigende Rest der Menschheit besteht ja erbittert darauf, daß das jeweils ganz tolle Mittel seien. Insbesondere, weil das Argument „Was soll es denn bringen, wenn ein paar Staaten aufsteigen und, weil es sich um Konkurrenz handelt, ein paar andere Staaten dafür absteigen?“ bei Leuten nicht zieht, denen die anderen wurscht sind. So ein „Erfolgsrezept“ ist nicht nur bei Dieterich ein letztlich recht zynisches Konzept für Möchtegerngewinner, beileibe keines für alle Menschen.

  6. cyn0x
    16. Juni 2011, 12:55 | #6

    zur Ambivalenz Venezuelas sei die Diss von Azzellini empfohlen:
    http://www.azzellini.net/buecher-von-dario-azzellini/partizipation-arbeiterkontrolle-und-die-commune
    Dieterich hat sich dort zum Glück schon völlig lächerlich und unglaubwürdig gemacht. Vll. is er jetzt beleidigt.
    In Venezuela ist Programm, die Arbeiterkontrolle auszubauen, den Staat unabhängiger(!) vom Weltmarkt zu machen und langfristig den bürgerlichen Staat zugunsten einer sozialistischen Rätedemokratie zu überwinden. Vom „Programm“ her seh ich ehrlich gesagt kaum was kritikables daran.

  7. 16. Juni 2011, 13:34 | #7

    Statt politische Gegner als „lächerlich“ und „unglaubwürdig“ abzuqualifizieren, sollte man selbst im Fall Dieterich besser ernst nehmen was der so inhaltlich sagt und will. Und das erst mal unabhängig vom blöden Label, was er seiner Politikberatung aufgedrückt hat. Als „lächerlich“ werden ja zumeist Sachen abgetan, die soweit weg sind vom Interessenhorizont oder den Möglichkeiten des Publikums, daß die darüber eben nur bitter oder manchmal auch amüsiert lachen können. Damit ist aber noch recht wenig gesagt über die Inhalte, genausowenig, wenn man sowas „unglaubwürdig“ schimpft. Denn das ist ja nicht der Nachweis, daß das falsch ist, noch nicht mal der Nachweis, daß es inkonsistent ist, sondern eben nur, daß die meisten Leute das dem Propagandisten nicht abnehmen.

  8. cyn0x
    17. Juni 2011, 16:42 | #8

    Ich mein damit z.B. solche Aktionen:
    http://www.redglobe.de/index.php?option=com_content&task=view&id=2397&Itemid=31
    Damit wollte ich nicht die Notwendigkeit vernünftiger Kritik an ihm bestreiten, sondern nur darauf hinweisen, dass kaum Gefahr besteht, dass Chavez die „Ratschläge“ von Dieterich befolgt.

  9. 18. Juni 2011, 16:33 | #9

    Ingo Stützle hat auf facebook bei mir (ja, ich bin mittlerweile auch bei Facebook zu finden: „Neoprene Walgesang“) darauf hingewiesen, daß er seine Schlacht mit Dieterichs Konzepten schon geschlagen hat und auf folgenden Artikel von ihm verwiesen: „Dem Wert auf der Spur: Von der Unmöglichkeit, den Wert zu messen, ohne sich einen abzubrechen
    Eine Kritik der Äquivalenzökonomie und ihrer Kritiker“

    Schon wegen dem schönen Titel werde ich mir den jetzt auch vornehmen.

  10. cyn0x
    18. Juni 2011, 23:56 | #10

    Inhaltlich ist der Artikel völlig korrekt. Aber ich habe das so in Erinnerung, dass Cockshott/Cottrell im Gegensatz zu Dieterich das Ganze explizit nicht für Privatproduktion geeignet sehen, sondern fest von Gemeineigentum an PM und gesamtgesellschaftlicher Planung ausgehen. Damit findet keine Warenproduktion mehr statt und es gibt auch keinen Wert mehr – ob CC das so nennen oder nicht ändert ja an der Realität nichts. Es greift vielmehr das Gutscheinmodell, was auch Lueer in seinem Artikel erwähnt. Das Seminar mit ihm zur Peer-Economy ist übrigens leider wegen Krankheit ausgefallen bzw. wird wohl verschoben. Zu problematisieren wäre hier IMHO also eher die (Un-)Möglichkeit einer effizienten zentralen Planung. Das hängt natürlich auch mit der Werttheorie zusammen. So jedenfalls Michael Heinrich: „Ausgehend von einer monetären Werttheorie kann man zwar die Möglichkeit einer vollständigen gesellschaftlichen Planung nicht ausschließen, es wird aber deutlich, wie ungeheuer die Koordinations- und Anpassungsleistungen sind, die dann in kürzester Zeit vollzogen werden müssen. Geht man dagegen von einer von einer nicht-monetären Werttheorie aus so werden aufgrund der simplifizierenden Vorstellungen über den Markt auch die Probleme dieser Koordination ausgeblendet.“

  11. Riddick
    14. September 2011, 12:14 | #11

    Hier nochmal ein Treppenwitz der Finanzkrise nebst Hinweisen in Richtung der Kontrahenten aus dem ML-Umfeld gg. Renate Dillmanns China Analyse.

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