Aus der Seele gesprochen
In den letzten Wochen konnte man bemerken, dass in der Welt so ungefähr alles an Widerwärtigkeiten zusammenkommt, was Kommunisten jemals den kapitalistischen Verhältnissen nachgesagt haben. Die Finanzmärkte drehen durch; es gibt eine Krise, die nicht zu Ende ist und mit Verelendung beantwortet wird; es wird ein Krieg angezettelt – die Imperialisten schreiten mal wieder zur Aktion, gleichzeitig feiern die USA die Hinrichtung von Osama bin Laden auf eine Weise, an der man endgültig merkt, dass Terrorismusbekämpfung nicht der Witz der Sache ist. In Arabien tobt ein Aufruhr, aus dem die Imperialisten versuchen, das Beste zu machen: prompt stehen europäische Soldaten mit Fliegern bereit, um jedenfalls eines nicht zu tun: Menschen zu schützen und Ordnung zu schaffen; es kommt zu einem Flüchtlingselend, das sich die Europäer mit brutalsten Mitteln vom Hals halten – darüber bekommt ein Nationalismus der widerlichsten Sorte, der sowieso in Europa wieder auflebt, noch mal einen richtigen Schub. Und mitten in diesem objektiven Desaster verschafft sich die Menschheit gute Laune durch eine Prinzenhochzeit und eine Seligsprechung. Das erweckt den fatalen Eindruck, als würden diese Ereignisse nicht bloß zufällig zusammenfallen, sondern als würden sie auch irgendwie zusammenpassen.
Dazu kommt noch der Atom-Unfall in Japan, der dermaßen heftige Folgen nach sich zieht, dass die US-Regierung sich herausgefordert sieht, zu beteuern, dass sie durchaus davon ausgehe, dass Japan auch in Zukunft eine Weltwirtschaftsmacht bleiben werde, woran man zumindest sehen kann, was da auf einmal alles auf dem Spiel steht. Also ziemlich gruselige Verhältnisse und um dem Ganzen im wahrsten Sinn des Wortes die Krone aufzusetzen, gibt es eine Prinzenhochzeit, die ganze Welt ist begeistert und das amtliche deutsche Fernsehen ist (zum Naserümpfen gewisser Kommentatoren) rund um die Uhr mit dabei.
so fängt der Jour fix des GegenStandpunkt in München am 2. Mai 2011 an. So sehen das leider bisher nicht sehr viele.
was soll denn dann „der witz der sache“ sein? dass terrorismusbekämpfung auch psychologische kriegsführung jedweder art mit einschliesst, also auch eine gut inszenierte hinrichtung, ist doch nun eine banale erkenntnis.
oder was meinen die da?
ist dieser „fatale eindruck“ der einstieg in die verschwörungstheorie? das sehen nun wirklich viele so, dass der royale zirkus nur inszeniert wurde, um von der krise (in gb) abzulenken. das ist doch mehrheitsmeinung.
Nein, das ist kein Einstieg in eine Verschwörungstheorie, das kannst du auch in der danach folgenden Debatte nicht wiederfinden. Allerdings: Wie die Idiotie einer Seligsprechung und das Abfeiern der ideellen Identität von Bevölkerung und Herrschaft in der Hochzeit eines Prinzen und einer Prinzessin zur aktuellen weltpolitishen Lage passt, wurde nicht mehr thematisiert. Siehe die letzten beiden Sätze des jf aus München: „Dieses affirmative Verhältnis zur Irrationalität wird an dieser Seligsprechungsaktion gerade an der Kritik daran so greifbar. Wie das zu Krise und Krieg passt, wurde jetzt nicht behandelt, aber wenigstens, was das für Veranstaltungen waren.“
So wie der GegenStandpunkt schon vor zehn Jahren zu den Anschlägen vom 11. September argumentiert hat (z.B. hier „Terror im Namen Allahs“ ) kann ich mir nicht vorstellen, daß die nun zu den VTlern gewechselt haben.
will auch sagen, dass dieses „zusammenpassen“ nicht mal verschwörungstheoretisch gemeint sein muss. dass es eine prima ablenkung von den problemen ist, das reflektiert die grosse masse auch ohne jour fix schon.
Aber die Frage von verständnisproblem ist doch berechtigt, wie man dem Bin-Laden-Wegräum-Hype entnehmen soll, daß es nicht um Terrorbekämpfung geht? Um was denn sonst? Wie soll sie denn sonst gehen, die Terrorbekämpfung? Wenn wieder einmal ein Drohne 15 Leute wegräumt, was ist denn dabei der „Witz der Sache“?
Der „war on terror“, den Bush verkündet hat und den Obama weiterführt, war doch eine Kriegserklärung an die ganze Welt.
Und der „fatale Eindruck“ – fatal für wen? Es wird doch gar kein Geheimnis davon gemacht, daß englische Arbeitslose sich auf der Straße nach Westminster postieren und „ihren“ Royals zujubeln können, und daß das England als Nation total guttut.
@Verständnisproblem:
1) Der Witz der Sache ist, dass es gar nicht um Terrorbekämpfung, sondern um Ausweitung und Festigung imperialistischer Ansprüche von Staaten gegen andere Staaten im stinknormalen Mit- und Gegeneinander dieser vielbeschworenen „Weltgemeinschaft“ geht. Das „Anti-Terror“-Label steht allenfalls dafür, dass diese Ansprüche auch moralisch gerechtfertigt sind. Durchgefochten und durchgesetzt werden diese Ansprüche so oder so … Wie du auf psychologische Kriegsführung kommst, versteh ich nicht.
Wie kommst du auf Verschwörungstheorie? Meinst du, dass die Autoren denken, der ganze Circus würde stattfinden, um „abzulenken“ d.h. die Untertanen, die das Ganze abfeiern, PASSIVE Opfer einer staatlich inszinierten Verblendung sind? Das ist mitnichten die Perspektive der Autoren. Im Gegenteil, es wird umgekehrt erklärt, warum die Leut so eine Prinzenhochzeit und Seligsprechung AKTIV wollen — und übrigens nicht deshalb, um von (eigenen) Problemen abgelenkt zu werden (die verschwinden dadurch ja nicht). Weil du das aber offenbar doch so denkst („fataler Eindruck“), dafür braucht es einen Jour Fix 🙂
@ Nestor: Eine Kriegserklärung an die ganze Welt ist der War On Terror nicht. Nicht jedem Staat wird doch der Krieg erklärt, allerdings hast du insofern Recht, dass es ein Mittel ist, um die ganze Welt für die eigenen Zwecke einzuspannen. Daran sortiert Amerika, die diesen Krieg gegen den Terrorismus ausgerufen haben, seine Verbündeten und seine Feinde neu.
„Der Witz der Sache ist, dass es gar nicht um Terrorbekämpfung, sondern um Ausweitung und Festigung imperialistischer Ansprüche von Staaten gegen andere Staaten im stinknormalen Mit- und Gegeneinander dieser vielbeschworenen „Weltgemeinschaft“ geht“
dafür wäre aber ein lebendiger bin laden irgendwo viel nützlicher. und welche tollen imperialistischen ambitionen sollen die USA denn im bezug auf afganistan haben? die these, terrorbekämpfung wäre nur ein vorwand, braucht eindeutige belege
Bei „nicht – sondern“ schwebt dir offenbar eine Art von Terrorbekämpfung vor, die ganz ohne Ausweitung imp. Ansprüche usw. abläuft. Wie soll denn das gehen?
Was für eine Art von Terrorbekämpfung schwebt denn dir vor?
@Nestor
„Terrorbekämpfung“, oder der von der Weltmacht Nr.1 erklärte „Krieg gegen den Terrorismus“ besser gesagt, ist an sich schon eine sich widersprechende Zielsetzung. Terrorismus an sich ist eine Methode der Gewaltanwendung. Da der Staat weiss wo der herkommt schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, indem der von ihm erklärte „Krieg gegen den Terrorismus“, zugleich dafür verwendet wird um gegen die USA aufbegehrende Feinde entgegentreten zu können.
Dass dabei terroristische Gewaltanwendung öffentlich als etwas unbegreifbar böses, und irrationales, interpretiert, greifbar werden soll, ist die ideologische Begleitmusik dafür, wie staatliche „Terrorbekämpfung“ in der medialen und moralisch motivierten Öffentlichkeit, inszeniert werden sollen. Deswegen auch der Hype um die Liquidierung Bin Ladens, dessen böswilliger, im Grunde irrationaler Hass, gegen den „Westen“, durch sein buchstäblich physisches Verschwinden, Gerechtigkeit widerfahren sein könnte. Dass deswegen gleich der Terrorismus am Ende sein könnte glaubt dagegen kaum jemand.
Eine Kriegserklärung an die „ganze Welt“ war es nicht sondern die Welt sollte an, von der Weltmacht USA vorausgesetzten, Beurteilungsmaßstäben entlang polarisiert werden. Vor allem nach dem Ende des Realen Sozialismus war die von den USA geschätzte, weil für sie gewinnbringende Weltordnung, aus den Fugen geraten (also kein Ende der Geschichte, Fukuyama). Ihr uneingeschränkter Sonderstatus als unangefochtene Supermacht war durch unsichere Kantonisten bereits etwas ins Schlingern geraten. Die USA hat nach den Terroranschlägen vom 11. September ihre, im ideellen Sinn, moralische Vormachtstellung dafür benutzt um im politischen, ökonomischen und weltpolitisch-polizeilichen Bereich wieder gegen ihre Feinde/Konkurrenten Boden gut machen zu können (teilweise mit roher Gewalt, Autoritarismus).
@bigmouth:
„dafür wäre aber ein lebendiger bin laden irgendwo viel nützlicher.“
ach quatsch, an seiner hinrichtung kann man doch super vormachen, welches schicksal einem blüht, wenn man sich mit den falschen anlegt.
„und welche tollen imperialistischen ambitionen sollen die USA denn im bezug auf afganistan haben?“
ja, denk mal selbst nach. ausgangspunkt war: da sitzt eine clique von nationalisten (taliban) in regierungsposition, die sagt: wir haben die schnauze voll, an unseren landesgrenzen hört die einflussnahme des westens zu unserem schaden endlich auf! (ob sie diesen widerstand mit islamischen höchstwerten verziehren oder nicht, ist dafür ja zunächst einmal egal.) schon allein das — auch wenn es dort nix zu holen gibt, außer dass man sich geostrategisch in zentralasien breit machen kann und dies schon vorteil genug sein mag — ist eine prinzipielle bestreitung imperialistischer (nicht nur us-amerikanischer) ansprüche. wenn das so einfach ginge und schule machte, dass man sich als popeliger drittweltstaat der anspruchshaltung einer großmacht einfach so wiedersetzen kann, ja wozu denn dann überhaupt großmacht sein und sein wollen? wenn man nicht mal seine interessen durchsetzen und anderen umgekehrt deren zugriffsinteressen auf land und leute bestreiten kann. wofür halten sich staaten denn überhaupt ihr teures militär, wenn nicht genau dafür? ein kriegszweck kann eben auch genau darin bestehen, der welt die eigene stärke zu demonstrieren und mal vorzuzeigen, mit wem man es eigentlich zu tun kriegt, wenn man aufmuckt. ist ja auch praktischer, man macht das an afghanistan, irak und libyen vor als an china, indien, pakistan, russland und nordkorea.
„die these, terrorbekämpfung wäre nur ein vorwand, braucht eindeutige belege.“
das ist aber dreist! ich würde mal glatt den spieß umdrehen: was bist du eigentlich so naiv, den sprüchen der politik glauben zu schenken, es ginge einzig allein um terrorbekämpfung?
letztendlich soll der kriegsstand nur ein außerordentlicher zustand sein, weil kriegszustand für eine nation, auch die gewinnende, faktisch nur minus bedeutet. aber man muss sich den zweck und inhalt des friedens, der da angestrebt wird, mal vor augen halten und der ist nicht schön: es soll ein zustand reibungsloser ausbeutungsverhältnisse hergestellt werden.
@nestor:
„Bei „nicht – sondern“ schwebt dir offenbar eine Art von Terrorbekämpfung vor, die ganz ohne Ausweitung imp. Ansprüche usw. abläuft. Wie soll denn das gehen?“
Das hab ich nicht behauptet, dass das eine ohne das andere zu haben oder auch nur anzustreben ist. ich bin kein idealist wahrhafter, erstgemeinter, überparteilicher also richtiger terrorbekämpfung, wohingegen die, wie die amis sie betreiben, nur verlogen, heuchlerisch und falsch sei. nach dem motto: die meinen das ja gar nicht erst mit ihrem anti-terror. natürlich meinen die das ernst.
@star wars:
„Terrorismus an sich ist eine Methode der Gewaltanwendung. Da der Staat weiss wo der herkommt schlägt er zwei Fliegen mit einer Klappe, indem der von ihm erklärte „Krieg gegen den Terrorismus“, zugleich dafür verwendet wird um gegen die USA aufbegehrende Feinde entgegentreten zu können“
genau so. punkt! da stimme ich dir völlig zu. es ist das moralische gütesiegel, der die eigene anspruchshaltung vor der welt legitimieren soll. und hat man so eins nicht zur hand, dann sucht man sich halt einen anderen, z.b., dass da menschenschinder regieren, die ihr volk wie dreck behandeln.
Ja, so sehen das leider nicht sehr viele Menschen… jedenfalls zu wenige. Der böse alte Kapitalismus, der kann ja nicht sein schuld sein, nicht wahr? Nein, nein, es wird so etwas „plausibles“ wie die „Wolfsnatur“ des Menschen, seine moralische Verkommenheit, seine Gier, seine „natürliche“ Dummheit, Uneinsichtigkeit oder wahlweise auch die „Komplexität der modernen Welt“ sein… Wozu erklären, wenn man so schöne Ressentiments gegen „den Menschen“ (schön maximal abstrakt „als solchen“) und die „moderne Zivilsation“ (genauso (schön maximal abstrakt „als solche“) pflegen kann? Wozu irgendwelchen Marxisten zuhören, die ja ohnehin „nichts zu sagen haben (im Sinne von entscheiden, bestimmen, was schmeißen).
Woran die Einflusslosigkeit dieser Marxisten liegt? Weil’s zu wenige sind, ganz einfach – und weil andere „Erklärungen“ schlimmer Zustände leider sehr viel beliebter sind, als eine korrekte Erklärung, wie sie vom GegenStandpunkt vertreten wird. Falsches Bewusstsein der Verhältnisse eben.