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Fukushima versus Bhopal: Pest versus Cholera?

24. März 2011

Auch dem Ankündiger für die Bremer Veranstaltung des GegenStandpunkt zum „Japan-Desaster“ ist die gleiche Verharmlosung aller nichtatomaren Technologien zu entnehmen, die sich durch die gesamte Propaganda der letzten Zeit zum Thema zieht. Nachdem (völlig korrekt) eine Reihe auf den ersten Blick rhetorisch klingende Fragen zum Gefährdungspotential der atomaren Stromerzeugung gestellt werden, die aber wirklich so Ernst genommen werden sollten, wie sie gestellt werden, kommt ein Übergang zum Rest der modernen Technologien: Was kann schon in einer Auto-Fabrik passieren oder in einem Chemiewerk? Und das ist für Freerk Huisken wohl wirklich nur eine rhetorische Frage, denn es heißt dann im Text weiter „Ihre technischen Anlagen jedoch funktionieren ohne selbstzerstörerische Tendenzen. Atomtechnologie im AKW ist dagegen unbeherrschbar.“
Das scheint mir angesichts der potentiellen Schäden, die moderne Großchemie wie in Bhopal, oder Gentechnik, um nur zwei krasse Beispiele zu nennen, auch hinkriegen (können), recht blauäugig zu sein. Und unnötig zudem. Das Verdikt über den Atomstrom wäre pur und allein darauf zu basieren, was damit passieren kann. Wenn des schlimm ist, und es ist schlimm, dazu hätte es nicht unbedingt die aktuellen Fernsehbilder gebraucht, dann gehörte das abgeschafft, jedenfalls wenn wir eine Wirtschaft hätten, bei der es um sowas überhaupt geht. Im Kapitalismus gibt es dazu nur ganz ernsthafte und hinreichend zurechtgeschönte Kosten- und Nutzenanalysen, bei der noch der schöne Kilowattstundenkostenvorteil gegen ein ganz kleines bißchen Leukemiebetreuung von den Kindern um die AKWs gegengerechnet wird.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Hs
    24. März 2011, 17:16 | #1

    Es hat doch keiner behauptet, nicht-atomare Industrie sei per se ungefährlich.
    Bei Atomkraft (und auch bei Gentechnik) liegt die Gefährlichkeit aber in der Natur der Sache. Bei Chemiefabriken im Zweck kapitalistischer Rentabilität. Das ist der Unterschied.

  2. irgendwer
    24. März 2011, 17:24 | #2

    Das Argument sollte, denke ich, folgendes sein: Atomkraft ist eine Vergiftung, die dann eingedämmt wird. Das ist bei Chemie nicht automatisch so. Das macht nichts kleiner oder größer, besser, oder schlimmer, sondern ist ein unterschied zu sonstiger technik.

  3. bigmouth
    24. März 2011, 18:11 | #3

    ziemlich viel chemie ist notwendig giftig, und muss auch durch sorgfalt eingedämmt werden
    die scheinen zu meinen, dass andere technologie grundsätzlich sicher gestalten werden könnte, nuklearenergie aber nicht, wegen der immer bestehenden drohung der unkontrollierten kettenreaktion.

  4. leser
    24. März 2011, 20:48 | #4

    @Neo
    Was ist denn daran eine Verharmlosung? Dein Irrtum (Abt. Vergleicherei) wird sogar explizit angesprochen:
    „Natürlich fällt auch im Normalbetrieb eines solchen kapitalistischen Betriebs [Autofabrik] genug an Schädigung an: Die Arbeitskraft von Leuten wird ruiniert und nicht gerade selten leiten z.B. Chemiewerke ihren Dreck in Luft und Wasser ein. Ihre technischen Anlagen jedoch funktionieren ohne selbstzerstörerische Tendenzen. Atomtechnologie im AKW ist dagegen unbeherrschbar. Es strahlt im Normalbetrieb radioaktiv ab, seine Kettenreaktion für Stromerzeugung soll so „kontrolliert“ werden, dass eine unkontrollierte Kettenreaktion, die nicht „abzuschalten“ ist, „möglichst“ nicht eintritt. Wenn doch, greift die Lüge vom „Restrisiko“. Aber das liegt ja angeblich vor allem in äußeren Gefahren.“

  5. 24. März 2011, 21:07 | #5

    Werter Leser, ist dir eigentlich aufgefallen, daß ich mich nicht nur auf die von dir zitierte Stelle des Statements bezogen habe, sondern den Kernsatz meiner Meinung nach buchstäblich genauso zitiert habe wie du jetzt?
    Wenn denn einer dem Irrtum der Vergleicherei unterlegen ist, dann doch eher die Schreiber der Behauptung, daß alle Industrieanlagen, ausgenommen werden nur die AKWs, „ohne selbstzerstörerische Tendenzen“ funktionieren. Ich sehe da eher ein Kontinuum als einen Bruch und Gegensatz.

  6. leser
    24. März 2011, 21:42 | #6

    Das Argument ist ein anderes: Zum Vergleich werden Auto- und Chemiefabriken herangezogen, weil deren Technologie nicht notwendig eine GAU-Option als Voraussetzung ihres Funktionierens mit sich bringen.

  7. Samson
    26. März 2011, 17:09 | #7

    Und dagegen sagt Neo zu Recht:

    Im Kapitalismus gibt es dazu nur ganz ernsthafte und hinreichend zurechtgeschönte Kosten- und Nutzenanalysen, bei der noch der schöne Kilowattstundenkostenvorteil gegen ein ganz kleines bißchen Leukemiebetreuung von den Kindern um die AKWs gegengerechnet wird.

    Der Witz ist doch, dass es unterm Kapital auf die technische Funktionalität überhaupt nur ankommt, insofern sie Mittel der Geldvermehrung darstellt. Gelänge es bspw. der Wissenschaft, gegen Leukämie ähnliche ‚Arznei‘ zu entwickeln wie etwa Insulin gegen Diabetes mellitus, würde einerseits die ‚Wirtschaft‘ diese keineswegs unter dem Gesichtspunkt produzieren, möglichst viele kranke Kinder daamit zu heilen, andererseits wären ‚taktische Atomwaffen‘ vermutlich Teil der stinknormalen Arsenale und niemand käme auf den Einfall, diese wegen etwa besonderer Gefährlichkeit unter besonderem Verschluss halten bzw. nur ‚im Ausnahmefall‘ o.s.ä. verwenden zu wollen.
    Eine Technik wegen funktionaler Gefährlichkeit nicht benutzen zu wollen, setzt einen Plan voraus, der auf bestimmtem Interesse beruht. Der ist indes unter Verhältnissen, worin sich stets nur Partikularinteressen gegen entgegengesetzte Partikularinteressen durchsetzen, nicht zu haben.

  8. 26. März 2011, 17:15 | #8

    Im Sicherheitsmanagement ist immer der Unfall eingeplant. Daher gibt es die beiden fundamentalen Ansätze der Unfallverhütung (technisch wie auch Bewußtseinsbildung) und der Unfallbeseitigung. Der erste Schritt ist dabei die Eindämmung. In Atomanlagen – nicht nur Kraftwerke, sondern auch Aufbereitungsanlagen, etc. – sind beherrschbare, also komplett eindämmbare Unfälle die sog. GAUs – im Verwaltungsjargon: Störfall. Tritt Radioaktivität aus, dann handelt es sich um einen Super-GAU. Super hat nichts mit toll oder groß zu tun, sondern, dass es über die Beherrschung des Unfalls/GAUs hinausgeht und nicht mehr beherrschbar ist.
    Wenn der erste Schritt nicht mehr greift, dann folgt der zweite: die Schadensbegrenzung (z.B. kontrolliertes Ablassen von mit Radionukleiden belasteter Druckluft im Venting) und schließlich als dritter Schritt die Schadensbeseitigung.
    Nach diesem Unfallmuster arbeitet man auch in der restlichen Industrie. Die angesprochene Chemieindustrie hat genauso Überlaufbecken, Druckventile, Regelungstechniken und Abschaltanlagen. Wie im Atomkraftwerk laufen auch hier die Reaktionen weiter und müssen gekühlt oder neutralisiert werden wie z.B. in der Verarbeitung von Salpetersäure (Nitrate).

  9. leser
    31. März 2011, 21:18 | #9

    @Samson
    Wieso sind die Leukämiekinder oder das zynische Rechnen mit dem Krankheitsrisiko ein Gegenargument?
    Ganz im Gegenteil, das Argument war: Atomtechnologie gibt es nur als diesen Anschlag auf Leib und Leben.
    @Samson + Daeva
    Und dann fallen euch noch andere Technologien ein, für die es auch Sicherheitspläne geben muss, weil kapitalistisch produziert wird usw. Ja, die Marktwirtschaft bringt noch mehr gefährliches Zeug hervor, aber womöglich ließe sich ein Chemiewerk ohne Restrisiko betreiben – bei der Atomkraft ist das ausgeschlossen.

  10. _nobody
    1. April 2011, 11:37 | #10

    ja, die Marktwirtschaft bringt noch mehr gefährliches Zeug hervor, aber womöglich ließe sich ein Chemiewerk ohne Restrisiko betreiben – bei der Atomkraft ist das ausgeschlossen.

    Das ist völlig daneben.
    1. Bring‘ doch mal Dein Argument dafür, dass der Grund, warum es bestimmte chemische Prozesse gibt, in deren Verlauf Giftstoffe anfallen, die aber ein nützliches Produkt hervorbringen (z.B. Gold, Palladium usw…) der Kapitalismus sei! Ist doch völliger Unsinn! Was am Kapitalismus kritikabel ist, ist der Umgang mit diesen Giftstoffen, die mangelnden Sicherheitsvorkehrungen, weil sie Kosten verursachen d.h. die gesellschaftliche Kalkulation mit diesen Prozessen ist kritikabel.
    2. Bei der Atomkraft ist überhaupt nichts ausgeschlossen. Wenn doch, dann sag‘ doch mal, was alles mit dem Zweck der Kernenergiegewinnung in Zukunft im besten Fall noch erfunden werden kann. Im 13. Jhd. hätten Idioten wie Du behauptet, dass mit dem Fliegen unvermeidlich der Absturz einhergeht. Was an der Atomkraft zur Energiegewinnung kritikabel ist, ist, dass sie auf einem technologischen Stand zur Energiegewinnung eingesetzt wird, in dem man Restrisiken nicht ausschließen kann. Sie ist aber (Kernfusion und Kernspaltung) nach wie vor die ultimative Art der Energiegewinnung. Bei keiner anderen Art der Energiegewinnung wird so viel Energie frei (wenn man sie nutzen kann), weshalb Forschung an dem Prozess auch für eine vernünftige Gesellschaft attraktiv ist.
    Es ist nicht ausgeschlossen, dass man irgendwann mal die Probleme (Kernschmelze, radioaktiver Müll, Materialverschleiß) lösen kann (ein Beispiel für so eine Lösung ist der Molten Salt Reactor, bei dem es keine Kernschmelze geben kann, da der Brennstoff im Salz schwimmt und das Salz sich bei Erhitzung ausdehnt). Dann gibt es in Belgien ein Forschungsprojekt zur Transmutation, die die Strahlung des radioaktiven Mülls auf 500 Jahre verkürzt etc… Ich will nicht beurteilen, wie erflogversprechend solche Projekte sein können, versteige mich aber auch nicht zu der Verrücktheit auszuschließen dass man irgendwann einmal den Prozess wie die Kohleverstromung beherrscht. Nochmal: Dass Atomkraft jetzt, auf dem aktuellen technologischen Stand in großem Maßstab zur Energiegewinnung eingesetzt wird lässt auf Rücksichslosigkeit gegen die Gesundheit der Leute schließen. Das ist Leser nicht ganz klar, wenn er sich wie die Kritiker des Schneiders von Ulm aufführt.

  11. Samson
    1. April 2011, 19:25 | #11

    Wieso sind die Leukämiekinder oder das zynische Rechnen mit dem Krankheitsrisiko ein Gegenargument?

    Es, ist ein Beispiel, Leser, welche Konsequenzen „Kosten- und Nutzenanalysen“ zeitigen, wenn gesellschaftliche Kalkulationen auf konkurrierenden Partikularinteressen basieren. Könntest du verstehend das tun, was dein Nick suggerieren soll, hättest du das wirkliche Argument mitbekommen, deshalb noch mal für dich zum Nachlesen:

    Eine Technik wegen funktionaler Gefährlichkeit nicht benutzen zu wollen, setzt einen Plan voraus, der auf bestimmtem Interesse beruht. Der ist indes unter Verhältnissen, worin sich stets nur Partikularinteressen gegen entgegengesetzte Partikularinteressen durchsetzen, nicht zu haben.

    Es gibt keine einzige Technologie, „für die es auch Sicherheitspläne geben muss, weil kapitalistisch produziert wird“, denn dann wäre der Grund der Sicherheitspläne die kaptalistische Produktionsweise und nicht die Gefährlichkeit der Substanzen. Was die Atomtechnologie selber angeht, siehe die Erwiderung von _nobody gegen dich.
    Btw, verglichen mit allen bisher durchgeführten Tests von Nukelarwaffen, über die es nirgends Zahlen von Todes- oder Strahlenopfern gibt, lässt sich ohne weiteres sagen dass, was jetzt über Fukushima verbreitet wird, mehr oder weniger medial verbreitete Hysterie ist, die politisch verwurstet wird.

  12. antikap
    2. April 2011, 19:01 | #12

    @_nobody:
    zu 1: Völlig richtig. Endlich sieht das mal jemand klar, dass es Naturgesetze gibt, die nicht vom bösen Kapital erfunden wurden und auch im Kommunismus gelten.
    zu 2: Das große Problem bei der Atomtechnik ist, dass es sich nicht um eine Wissenschaft handelt. Es ist wildes Herumexperimentieren während (!) der Anwendung der Technologie. (siehe Artikel dazu) Das liegt nicht an ihrem kapitalistischen Gebrauch, obgleich er das Risiko noch verstärkt. Dies ist in der Natur der physikalischen Vorgänge angelegt und daher in jedem ökonomischen System unvermeidlich. Hier hat der GSp also vermutlich tatsächlich mal Recht. (Genaueres lässt sich erst nach der Veranstaltung sagen.) Kerntechnische Prozesse sind nach über 70 Jahren Forschung trotz Erkenntnisgewinn durch Störfälle immer noch nicht so gut vorhersagbar, dass sie beherrschbar und fehlertolerant wären. Ein Lernen in dem Bereich ist nur durch gefährliche Experimente mit Millionen Menschen, also den ganz alltäglichen Betrieb unsicherer Atomanlagen, möglich.

    Sie ist aber (Kernfusion und Kernspaltung) nach wie vor die ultimative Art der Energiegewinnung.

    Kernfusion ist überhaupt keine Art der Energiegewinnung, weil sie derzeit nicht funktioniert. Die Kernspaltung ist sicher nicht die ultimative Art der Energiegewinnung. Bis man sie nach ein paar weiteren Super-GAUs so sicher gemacht haben wird, dass die Anzahl der Strahlenopfer ein vertretbarer Preis für die Versorgungssicherheit ist (das ist zynisch genug!), wird der Brennstoff Uran ausgegangen sein. Die ultimative Energiequelle dürfte eher die Sonne sein, da sie dauerhaft verfügbar ist (für die nächsten Milliarden Jahre), mehr Energie liefert als benötigt wird und direkt angezapft werden kann.

  13. Paquito
    17. August 2015, 05:44 | #13

    Literaturhinweis:
    „Nach zweijährigem Stillstand der Atomkraftwerke in Japan wird nun der Block 1 des Atomkraftwerks in Sendai wieder in Betrieb gehen. (…) Ein „heterogenes Bündnis“ hat sich gebildet, von der „Kommunistischen Partei, den Sozialdemokraten, den Gewerkschaften und Nichtregierungsorganisationen“, die alle zusammen „den Wiederbetrieb des Reaktors in Sendai kritisieren.“
    Wie die kommunistische Partei in diesem Bündnis argumentiert, das ist allemal einen zweiten Blick wert …“ aus:
    http://keinort.de/?p=919

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