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Grenzwerte sind eine Spitzenleistung des Rechtsstaats

18. März 2011

Was die Umstände erfordern

„Um weiterhin Arbeiten auf dem Gelände des AKW zu ermöglichen, wurde die zulässige Strahlenbelastung für die Belegschaft deutlich erhöht: Die Erhöhung des Grenzwerts von 100 auf 250 Millisievert pro Jahr sei `unter den Umständen unvermeidbar´, teilte das Ministerium für Arbeitsgesundheit mit.“ (tagesschau.de, 16.03)

Es zeigt sich hier überdeutlich, dass Grenzwerte kein Ergebnis wissenschaftlicher Einsicht, sondern politischer Entscheidung sind. Sie definieren den Grad an Schädigung, der aus der Warte gesamtpolitischer Verantwortung für Land und Leute als tolerierbar gilt. Grenzwerte sind eine Spitzenleistung des Rechtsstaats: Erstens findet nur immer so viel Gesundheits-schädigung statt, wie es das Gesetz erlaubt. Und wenn das einmal nicht reicht, dann werden die Grenzwerte erhöht, ansonsten handelte es sich ja um eine unrechtmäßige Belastung Die verbliebene Restmannschaft am havarierten AKW Fukushima kann nach der Hochsetzung der Grenzwerte, auch wenn die immer noch viel zu niedrig sind gemessen an der tatsächlichen Emission vor Ort, getrost ihrem Job nachgehen und für die Politik und das mitbangende Volk wenigstens den Schein aufrechterhalten, man könne die Lage wieder in den Griff bekommen.
Eine andere gerade heiß diskutierte Frage ist die, ob man in einer Demokratie Leute verpflichten kann, sich für die Gemeinschaft zu opfern. Herr Höglund von Vattenfall hat in der Sendung „Hart, aber fair“ (16.3.) anklingen lassen, dass es die Sowjetunion zum Glück leichter gehabt habe mit der Zwangsverpflichtung zum Heldentod. Bisher kann man nicht feststellen, dass die Nation Japan wegen ihrer verfassungsmäßigen Verpflichtung auf die Rechte jedes Einzelnen handlungsunfähig wäre in Sachen Havariebekämpfung. Letzteres liegt schon eher daran, dass beim Stand der Dinge nicht wirklich was zu machen ist, nicht am Personalmangel. Wenn demnächst auch in Fukushima die ganze strahlende Anlage zugeschüttet werden muss, erhalten sicher noch mehr japanische Bürger die Gelegenheit, sich für ihr Land auszuzeichnen. Und sei´s auf militärischen Befehl.
{übernommen von vonmarxlernen.de}

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. Moritz
    18. März 2011, 20:30 | #1

    „Passend dazu:
    „Der ARD-Korrespondent in Japan, Robert Hetkämper, ist hingegen der Überzeugung, dass hier Menschen verheizt werden. Für gefährliche Arbeiten würden von Tepco gerne Obdachlose, Gastarbeiter, Arbeitslose und sogar Minderjährige ausgebeutet werden. Sie würden als „Wegwerfarbeiter“ bezeichnet, weil sie, wenn sie zu stark radioaktiv belastet sind, entlassen würden. Hetkämper habe mit einem Arzt gesprochen, der dies bestätigt habe. Diese „grausame Geschichte“ passiere nicht nur jetzt, sondern schon seit Jahrzehnten.“

  2. 18. März 2011, 22:07 | #2

    Ja, diesen Artikel, den umwerfend bei telepolis gefunden hat, fand/finde ich auch bezeichnend.

  3. antikap
    19. März 2011, 17:21 | #3

    Hunderte verheizen oder Millionen verstrahlen? Für die MG ist es mal wieder klar: Lieber Millionen ganz ohne schädliche Grenzwerte verstrahlen als einige Hundert das Schlimmste verhindern lassen, bloß damit keiner durch die Atomkapitalisten für Lohn verheizt wird. Ist diese Menschenverachtung noch zu übertreffen? Und was sagt die MG-Ortsgruppe Tokyo dazu?
    Auch wenn es drunter steht, von Marx habt ihr diese widerliche Parteinahme für den geplanten Strahlentod von Hunderttausenden sicher nicht gelernt. Ich bin ja einiges von der MG gewöhnt, aber diese unverhohlene extreme Verachtung für Menschenleben erschüttert sogar mich und bestätigt und bestärkt mich im gewaltlosen (!) Kampf gegen diese Sekte potenzieller Massenmörder. Nein zu einem Steinzeitkommunismus, in dem Hilfe gegen Krankheit und Katastrophen von der „Avantgarde“ unterbunden wird!

  4. 19. März 2011, 17:57 | #4

    Es ist wieder mal buchstäblich irre, wie antikap angesichts einer Katastrophe mit Ansage wieder mal ausgerechnet die MG ins Visier nimmt:
    Daß die japanische Regierung mit ihrem Konzept der „biligen“ atomaren Stromversorgung und die Konzerne wie TEPCO, die das dann jahrzehntelang rücksichtslos umsetzen durften, schon immer schon grundsätzlich bereit waren hinzunehmen, daß eventuell Millionen verstrahlt werden, daß konkret TEPCO schon immer buchstäblich Menschen in ihren AKWs verheizt hat, das war ja nur der Anfang. (Von solchen Kleinigkeiten mal abgesehen, daß sie all die 40 Jahre lang jede Kritik am Konzept der BWR-1-Reaktoren von General Electric/Toshiba abgebürstet haben.)
    Daß aber nach dieser Erdbeben/Tsunami-Katastrophe die arrogante, zutiefst menschenfeindliche Regierung mit einer Bunkermentalität, die höchstens noch von Hitler in seinen letzten Tagen übertroffen wurde, noch nicht mal die naheliegendsten vernünftigen Rettungsversuche unternommen hat, daß setzt diesem Desaster leider nochmal eine Krone auf. Bezeichnend war ganz am Anfang die Beschwerde ausgerechnet des Ministerpräsidenten, daß man ihn nicht informieren würde! Danach gab es niemand, der ihn mit Schimpf und Schande aus dem Amt gejagt hätte und eine effektive Notfallbekämpfung aufgebaut hätte, statt dessen eine Orgie des Totschweigens, des Verharmlosens, Aussitzen des nationalen Abschottens und der verzeifelten Stümperei. Nur eine kleine typische Geschichte: Erst heute wird ein einziger Roboter vor Ort zum Einsatz gebracht! Wieviel Menschen wurden bisher verstrahlt beim Versuch irgendwelche Meßinstrumente wieder in Gang zu kriegen oder neu zu platzieren? Bis heute wurde konsequenterweise auch keinerlei Hilfe von z.B. deutschen Firmen und Einrichtungen herangezogen, die da sehr sehr viel hätten helfen können, zumindest bei der Erkundung des Desasters. Deren AKW-Roboter habe selbst ich in 10 Minuten im Internet gefunden.
    Kurzum, wenn es noch eines Beweises gebraucht hätte, daß du nun wirklich ein Widerling bist, dann hättest du ihn hiermit geliefert!

  5. garden variety
    19. März 2011, 18:14 | #5

    Im Wall Street Journal wird auf eine weitere – beim Betreiben solch mensch- und naturfreundlicher Unternehmungen allerdings keineswegs abwegige – Ekelhaftigkeit hingewiesen:
    „Tepco was reluctant to use seawater because it worried about hurting its long-term investment in the complex, say people involved with the efforts. Seawater, which can render a nuclear reactor permanently inoperable, now is at the center of efforts to keep the plant under control.“
    (Bid to ‚Protect Assets‘ Slowed Reactor Fight)

  6. 19. März 2011, 19:02 | #6

    Es war ja von Anfang an ein Unding, daß ausgerechnet TEPCO, dieser kriminelle Vertuschungsladen, der schließlich die direkte Verantwortung dafür hatte, daß das AKW so ein Desaster erleben konnte, anfangs wohl völlig uneingeschränkt die Rettung organisieren durfte. Da wurde ein zertifizierter Bock zum Gärtner gemacht. Aber natürlich von einer Regierung die solche Böcke im großen Stil gezüchtet hatte. Insofern paßt das dann natürlich auch wieder. Und ich bezweifele, ob eine Regierungsnotkommittee, das ja den gleichen Kriterien unterworfen gewesen wäre soviel (von den Profitmöglichkeiten für TEPCO) wie möglich zu retten, da energischer vorgegangen wäre.

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