Freerk Huisken hat seine GegenRede zum Fall Guttenberg nochmal überarbeitet („Habe … Text … noch mal überarbeitet: Sortiere jetzt genauer zwischen Geist und Materie und dem Eigentumscharakter von beidem.“
Er ist jetzt als PDF bei ihm abrufbar. Hier gespiegelt:
Der Fall Guttenberg: Geistiges Eigentum oder der Unfug der Privatisierung von Erkenntnis
Wer von den Kritikern und Spöttern, die sich über die Plagiate in der von K.F.von Guttenberg vorgelegten Dissertation hermachen, weiß eigentlich wie die Arbeit betitelt ist?(1) Wer kennt die Thematik, wer hat zwecks inhaltlicher Auseinandersetzung einen Blick in die leicht per Internet zugängliche Doktorarbeit geworfen? Und wer von denen hat sich die Mühe gemacht, die Thesen dieser Arbeit einmal getreu dem Motto des Verlags, bei dem die Dissertation neu publiziert worden ist, zu überprüfen: Vincit veritas – die Wahrheit siegt?
Natürlich sind das rhetorische Fragen. Wer auf Plagiatssuche ist, wer fehlenden An- und Ausführungszeichen, unterlassenen Fußnoten mit Quellenangaben auf der Spur ist, muss das nicht. Dem geht es um etwas anderes als um die Frage, inwieweit die vom Verteidigungsminister abgelieferte Arbeit neue und zutreffende Erkenntnisse geliefert hat. Der prüft vielmehr, ob sie auch den „strengen Standards wissenschaftlichen Arbeitens” entspricht, von denen Professoren in der SZ vom 22.2. berichten. Und zu denen gehört nun einmal der Unfug mit dem geistigen Eigentum. Doch was ändert es eigentlich an einem zu Papier gebrachten Urteil über einen verfassungsrechtlichen oder sonstigen Sachverhalt, wenn er aus einer Mischung von Selbsterdachtem und bereits publizierten Gedanken besteht – und zwar ohne dass der Erstdenker des übernommenen Gedankengebäudes genannt worden und die Quelle minutiös nachgewiesen worden ist? Am inhaltlichen Urteil ändert das nichts. Es kann wahr oder falsch sein. Mit der Angabe der Quelle oder ihrer Unterlassung wird ja der Gehalt der übernommenen Passage sachlich gar nicht verändert. Überdies kommt kein Schreiberling um die Beantwortung der Frage herum, ob eine Textstelle, auf die er sich berufen will, wenigstens so weit stimmig ist, dass sie zum eigenen Argumentationsgang passt. Davon kann keine Quellenangabe entbinden. Die Differenz zwischen denken und nachdenken, d.h. die Gedanken anderer zu überprüfen, hebt sich auf; der Fremdtext ist wie jeder eigene Gedanken zu prüfen. Es kommt nur darauf an, dass sie stimmen – sollte man wenigstens meinen.
Doch mit den im akademischen Wissenschaftsbetrieb brutal eingeforderten Zitataufweisen und Quellenangaben, ändert sich schon etwas.(2) In der Zuordnung von Gedanken zu seinem jeweiligen Erstschöpfer, der Wissenschaftlerperson äußert sich die Personalisierung und Privatisierung von Erkenntnis. Dies hat Konsequenzen: An die Stelle der Prüfung von wissenschaftlichen Urteilen tritt dann schon mal der Autoritätsbeweis. Da werden Kant und Habermas, Hegel und Popper, Keynes, M.Weber und andere sogenannte Giganten des Geisteslebens weniger deswegen zitiert, weil ihre Theorien jeder kritischen Überprüfung standhalten würden und sich deswegen auf ihnen aufbauen ließe. Sie als Quelle zu benennen soll den Schreiber vielmehr als jemanden ausweisen, der die gültigen Geistesgrößen studiert hat, und der bereits darüber den Bonus kassieren kann, im Fahrwasser dieser wissenschaftlichen Riesen, mithin auf richtigem Kurs zu segeln. Da ersetzt dann der gute Name so eines Wissenschaftlers die Prüfung seiner theoretischen Absonderungen.
Das bedeutet umgekehrt, dass sich derjenige, der als erster eine bestimmte These publiziert hat, als ihr Erfinder rühmen darf. An ihm hängt sie ein für alle mal dran, mit seinem Namen ist sie verbunden, von der Größe seiner Person zeugt sie – wenn sie etwas gilt.(3) Und wer sie nach ihm benutzt, hat das Copyright des Erstverfassers zu beachten, ihm als Urheber einer Theorie die entsprechende Referenz zu erweisen. Darauf hat er ein Recht. Und das kann er sogar einklagen. Erkenntnis wird auf diese Weise mit Hilfe der staatlichen Rechtsprechung wie ein Eigentum seines Autors behandelt. Die Erkenntnis darf zwar – wenigstens im Bereich der Geisteswissenschaften -benutzt, sozusagen ausgeliehen werden, sie „gehört” aber weiterhin dem Erstermittler. Deswegen können Plagiate, also nicht mit dem Hinweis auf die Quellperson gekennzeichnete Textpassagen auch Strafen nach sich ziehen: die Aberkennung des akademischen Titels oder für den Fall, dass ein Eid gebrochen worden ist(4), sogar Haftstrafen.
Verlangt ist in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften also etwas anderes als offenen Fragen aus dem Bereich von Politik und Ökonomie, Recht und Familie, Staatsformen und Rassismus etc. mit der Absicht nachzugehen, sie einer zutreffenden Klärung zuzuführen und damit das richtige Wissen über Gesellschaft zu erweitern. Da ist zum einen der Kotau vor den Großen der jeweiligen Disziplin verlangt. Ihnen hat man durch ausgewiesene Bezugnahme auf ihr Werk zu huldigen. Das darf durchaus auch schon einmal kritisch ausfallen, wobei die Grenzen des wissenschaftlichen Pluralismus und seine Logik – „Wasch mir den Pelz, aber mach mich nicht nass!” – zu beachten sind. Zum anderen kommt es gerade umgekehrt auf Originalität im Wissenschaftsbetrieb an. Verlangt werden gerade von Dissertationen neben allen Devotionalien mutige, von Kreativität zeugende neue Hypothesen, Ansätze und Modelle, die ohnehin niemand im akademischen Reich mit richtigen Gedanken verwechselt. Aber genau deswegen bedarf es der albernen Prüfung, inwieweit ein formulierter Gedanke nicht bereits einen Eigentümer hat, der unbedingt benannt werden muss.
Dass diese Prüfung mit einem nicht unerheblichen Aufwand verbunden ist – deswegen ist von „strengen Standards” die Rede – liegt daran, dass wissenschaftliche Erkenntnis, sei sie richtig oder falsch, ein geistiges und kein materielles Ding ist. Gegenständliche Güter – etwa ein Fahrrad, die Stereoanlage oder eine PC – lassen sich eben zu einer Zeit immer nur von einer Person benutzen. Dass der jeweilige Benutzer hierzulande der Eigentümer zu sein hat, liegt allerdings nicht an der materiellen Qualität von Gebrauchsgegenständen. Die rechtliche Absicherung einer Verfügung über Produkte, die andere solange von ihrem Gebrauch ausschließt, bis sie die (Geld-)Interessen des Eigentümers bedienen, ist die Absicherung eines ganzen Produktionsverhältnisses, in welchem Produkte überhaupt nur als Waren das Licht der Welt erblicken. Deswegen ist in der hübschen Marktwirtschaft die Benutzung jedes materiellen Guts an Eigentumsübertrag gebunden, mit dem den Interessenten, die nur als personifizierte Kaufkraft von Interesse sind – egal ob sie es nötige Geld haben und egal, wie schwer sein Verdienst auch fällt -, erst nach dem Austausch von Geld und Ware die freie Verfügung über das Produkt, das nun ihr Eigentum sind, gestattet wird. Bei Gedanken verhält es sich anders: Sie sind – einmal publiziert – allgemein zugänglich, und verwendbar. Da bedarf es nicht des Händewechsels, um sich seiner zu bedienen. Diese Zeilen etwa kann sich der Leser aneignen, ohne dass ihr theoretischer Gehalt dadurch aus meinem geistigen Arsenal verschwände; nicht einmal blechen muss er dafür! Geistiges Gut kann eben im Unterschied zu materiellen Gütern zur gleichen Zeit von vielen angeeignet und verarbeitet werden, weil es beliebig zu vervielfältigen ist. Mit der Etablierung von geistigem Eigentum(5) wird dieser immense Vorteil geistiger Güter glatt zu ihrem Nachteil erklärt. Und Erkenntnis, die einmal ersonnen überall und zu jeder Zeit und von jedermann an zueignen und zu benutzen ist, ohne dass sie damit dem ursprünglichen Entdecker verloren geht, wird rechtlich in den ökonomischen Kategorien des gegenständlichen Eigentums gefasst. So absurd und so skandalös das ist – ihrer Natur nach allgemeine Erkenntnis wird so seiner allgemeinen und damit allgemein nützlichen Natur beraubt -, so hat es doch seine kapitalistische Räson. Die wird besonders in den Naturwissenschaften deutlich, aber eben nicht nur dort.
Beim Dr.-Titel, dem Staatsexamen oder jedem anderen universitären Grad handelt es sich in erster Linie um Mittel in der und für die akademische(n) Konkurrenz.(6) Nur deswegen wird aus der nicht gekennzeichneten Abschrift einer Textpassage aus einem vorliegenden Werk, die dem „Plagiator” vielleicht nur schlicht eingeleuchtet hat, ein Vergehen, ein unzulässiger Konkurrenzvorteil, der mit Rückstufung in der Konkurrenz oder gar Ausschluss aus ihr geahndet gehört. Der Ruf des Abschreibers ist auf jeden Fall ruiniert. Was dem sachlichen Gehalt nach gar nicht vom Selbsterdachtem zu unterscheiden ist, wird dann per besonderer Fahndung(7) nach sprachlicher und stilistischer Übereinstimmung von Textpassagen als Diebstahl ermittelt – das geht nicht anders, denn dem ursprünglichen Verfasser ist ja durch die Abschrift nichts abhanden gekommen. Wenn sich jetzt Professoren in offenen Briefen und TV-Statements um das Niveau des akademischen Betriebs sorgen(8), dann gilt diese ihre Sorge allein der Sicherung dieser Standards ihres Konkurrenzbetriebs. In ihren Olymp darf nur dem Einlass gewährt werden, der ihre geistige Autorität achtet und in jenen Maßen Originalität aufzuweisen hat, wie sie von einer Dissertation erwartet wird, mit der die jeweilige Disziplin „um neue Gesichtspunkte”, um einen „Beitrag zum Fortschritt der wissenschaftlichen Erkenntnis” erweitert werden soll.(9) Ob der da Jahr für Jahr angelieferte Geistesmüll zutreffende neue Einsichten in gesellschaftliche Phänomene einhält, steht nicht zur Debatte. Wie auch!
Für die Naturwissenschaften gilt all dies einerseits ebenfalls, andererseits schlägt hier die kapitalistische Konkurrenz mit ihrer Eigentumslogik ungleich härter zu. In der Kategorie des Patents, das durch eine ganze Rechtsabteilung definiert und geschützt wird, fasst sich der Versuch von Unternehmen zusammen, sich die Benutzung neuer, Gewinne versprechender Entdeckungen und Erfindungen ausschließlich, d.h. gegen die Konkurrenz zu sichern. Auf diese Weise werden nützliche naturwissenschaftliche Erkenntnisse – die übrigens und ganz im Gegensatz den gesellschaftswissenschaftlichen Forschungsresultaten nur dann anwendbar sind, wenn sie stimmen – um ihre allgemeine Anwendbarkeit gebracht und ganz dem Kapitalinteresse an Vermehrung von Geld durch Entwicklung neuer Produkte und neuer Verfahren zur Steigerung der Produktivität des Unternehmens subsumiert. Der Betrieb, der als erster ein neues Antriebssystem, einen noch schnelleren Prozessor oder ähnliches auf den Markt bringt, kassiert im Verhältnis zur Konkurrenz Extraprofite, schafft damit Konkurrenzverlierer – nebst all dem, was an menschlichem Elend an der Schließung von Unternehmen hängt. Daraus ergibt sich umgekehrt, dass hierzulande keine neue naturwissenschaftliche Entdeckung praktisch nutzbar wird, wenn sich nicht ein Kapital findet, das in ihr eine neue Gewinnquelle sieht. Die Frage, ob so eine Entdeckung den Menschen nützen könnte, ihr Leben gesünder, die Arbeit leichter oder ihre Freizeit länger machen könnte, ist kein das Kapital umtreibender Gesichtspunkt. Und so ein Kapital findet sich nur, wenn die – wenigstens vorübergehend – exklusive Nutzung von Wissen als Patenteigentum gesichert ist. Naturwissenschaft im Kapitalismus wird nach Rechtskategorien per Staatsgewalt ganz dem Eigentum an Kapital nützlich gemacht. Und in der Fabrik werden die Produkte von Naturwissenschaft in ihrer vergegenständlichten Form als Maschinen und Automaten dafür hergenommen, immer mehr Arbeit für immer weniger Geld aus immer weniger Arbeitskräften herauszupressen. Deswegen stellen Naturerkenntnis und Technologie hierzulande keinen Segen, sondern umgekehrt in ihrer privatisierten Kapitalform einen Schaden für den einkommensabhängigen Teil der Menschheit dar.
Um all das geht es beim Plagiieren. Und nichts davon wird zum Thema, wenn sich die Menschheit einerseits um Glaubwürdigkeit ihres strahlenden Kriegsministers und andererseits um die Seriosität ihres akademischen Konkurrenzbetriebs sorgt.
1) ”Verfassung und Verfassungsvertrag. Konstitutionelle Entwicklungsstufen in den USA und der EU”, Berlin 2009
2) Studierende, die in ihren wissenschaftlichen Arbeiten Passagen nicht „belegt” haben, werden von ihren Professoren nicht selten mit der Frage konfrontiert, woher sie denn diese Gedanken hätten. Der Hinweis, sie hätten sich erlaubt, einmal selbst nachzudenken, wird als unwissenschaftlich zurückgewiesen. So etwas steht Studierenden nicht zu. Man denke diese geforderte geistige Entmündigung einmal zu ende: Wenn ein Gedanke nur gelten würde, wenn er sich über zuvor bereits Gedachtes absichert hat, dann würden schwerlich neue Gedanken auf die Welt kommen können.
3) Da gibt es dann den Kant’schen Imperativ, Habermas‘ Theorie des kommunikativen Handelns, Luhmanns Systemtheorie usw.
4) Bei der Vorlage von Prüfungsarbeiten aller Art muss in der Regel beeidet oder erklärt werden, dass alle fremden Quellen gekennzeichnet worden sind.
5) Ausgerechnet an der Uni Bayreuth, an der Guttenberg promoviert hat, gibt es einen Lehrstuhl, der sich mit geistigem Eigentum befasst; besetzt von einem Professor, der eine Zeitschrift gleichen Namens heraus gibt. (SZ, 23.2.)
6) Bei Guttenberg ist der Titel Mittel, um sein Renommee zu heben: Sein kometenhafter politischer Aufstieg, darf man denken, verdankt sich nicht allein dem Adelsprädikat, sondern auch seinem schlauen Kopf..
7) Siehe die gut dokumentierte Arbeit von „GuttenPlag.Wiki”, die diesen Wahnsinn zur Methode macht.
8) So mancher von ihnen wird sich allerdings mit Beklemmung fragen, wann man ihm auf seine Schliche kommen wird.
9) So in etwa lauten Qualitätskriterien für Dissertationen.
PS 1: Guttenberg wird hier natürlich nicht verteidigt. Seine Dissertation, für die er sich inzwischen „entschuldigt” hat und auf dessen Dr.-Zierrat er verzichtet, wollte nun wirklich nicht mit ausufernder Abpinselei die Maßstäbe des herrschenden Wissenschaftsbetriebs kritisch aufs Korn nehmen. Wie auch: Ist er doch oberster Chef jener nationalen Behörde, die mit Krieg am Hindukusch kapitalistisches Privateigentum und Konkurrenzwirtschaft verteidigt.
PS 2: Der vorstehende Text beansprucht wie alle anderen GegenReden kein Copyright. Wem er einleuchtet, der soll ihn benutzen wie er mag. Wem er nicht einleuchtet, der soll sich melden bei: info@fhuisken.de. Denn so unwichtig bis störend beim Vortrag von einem Argument der Verweis auf den Autor ist, so interessiert es diesen doch, wenn ihm jemand einen Fehler in seinen Gedanken aufzeigt.