Geht es Sarrazin um den Erfolg Deutschlands oder „nur“ um Deutschtum?
Freerk Huisken hat in seiner Diskussionsveranstaltung zu Sarrazin (am 28.10.2010 in Berlin an der Humboldt Uni) recht entschieden seine Sicht auf Sarrazin vorgetragen:
Im Mitschnitt hört man ab 57:17:
Aus dem Publikum: Punkt ist doch die Wirtschaftlichkeit.
Freerk Huisken: Die nationalistische Betrachtungsweise, derer von Oben oder derer von Unten, unterzieht jede nationale Tätigkeit einem internationalen Leistungsvergleich: Sind wir besser als die? Wenn wir schlechter als die sind, dann ist das eine Schande. Das stimmt schon. Aber man muß jetzt aufpassen: Ich bin bei Sarrazin. Und Sarrazin hat sich konzentriert auf die Frage „Deutschtum“, das ist seine Hauptthese. Und mir geht es darum, aufzuzeigen, was davon identisch ist mit demokratischer Politik und was nicht identisch ist. Übrigens hier und woanders.
Der macht keine Wirtschaftsanalyse, da ist er fern von. Der hat nicht das Problem Wachstum. Der hat nicht das Problem, wie muß das deutsche Volk zugerichtet werden, damit es als Ressource funktioniert. Das ist die Sache der demokratischen Politik. Sondern der hat nur die Sorge: Verdammt noch mal, die deutschen Tugenden gehen den Bach runter, dann geht Deutschland den Bach runter! Das ist seine Geschichte. Daß der Nationalismus sich sonst auf allen Feldern ausdrückt, auf dem politischen, auf dem ökonomosichen, Pisa auch. Warum war Pisa ein Skandal? Nicht, weil man festgestellt hat, daß ein Drittel des hernwachsenden Nachwuchses nicht Lesen und Schreiben kann nach neun bis zehn Jahren Schule. Sondern, daß wir im Vergleich mit anderen Ländern so schlecht abgeschnitten haben. Diese Verdrehung, das ist die nationalistische Brille.
Aus dem Publikum: „Leistungsvergleich“ scheint mir noch zu verharmlosend zu sein: Es geht ja um nationalistische Konkurrenz. Das wissen auch alle Nationalisten, das ist ja auch bei Sarrazin der Ausgangspunkt: Das „Deutsche“ ist deshalb so toll, weil es Deutschland zur Siegernation gemacht hat. Deshalb hebt er ja auch auf die Zeit ab 1945 ab, wo – ganz offensichtlich – Deutschland die erfolgreichste imperialistische Nation in Europa gewesen ist. Von daher ist doch Nationaltum und Sieger in der Konkurrenz sein für einen Nationalisten immer schon identisch. Bei den Demokraten ist es offensichtlich direkt abgerechnet: Was bringt es für die nationale Konkurrenz, wenn wir unser Bildungswesen ausbauen, bringen uns z.B. Elitecluster Konkurrenten im Patentwesen vom Hals. Bei Sarrazin ist es mehr diese abstrakte Reduktion auf „Deutschland pur“. Aber auch hier natürlich warum: Weil er eine erfolgreiche deutsche Nation haben will.
Freerk Huisken: Nein, das ist erstmal nicht der Witz bei ihm. Der Erfolg Deutschlands liegt für ihn in der Durchsetzung des „wahren Deutschtums“ und der Zurückweisung aller „Schädlinge“ am Deutschtum. Das ist sein brutale Theorie. Daß er im Hintergrund vielleicht auch noch daran denken mag, was dieses mit deutschem Erfolg zu tun hat, mag sein. Das ist aber *nicht* das Beherrschende seines ganzen Buches. Der denkt da wirklich entlang der völkischen Kategorie längs! Ich will nicht sagen, daß er ein Faschist ist, überhaupt nicht, aber sein Grundmuster ist: Das Deutschtum ist in Gefahr dadurch, daß undeutsche Elemente hierzulande überhand gewinnen und zwar gezüchtet durch deutsche Sozialpolitik und Einwanderungspolitik. Das ist seine Theorie.
Das sehen andere Genossen offensichtlich auch anders, so heißt es zumindest in der Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 11. Oktber 2010
gleich vom Start weg:
„Dieser Mann kennt nur eine Sorge: Die Nation, ihr Reichtum und ihre Macht, soll wachsen – was immer diese Macht daheim oder auswärts anrichtet.“
Sie führen weiter aus:
Das (Volk) schätzt er sachgerecht in der Rolle als Diener des Erfolgs: Entweder es wird als Humankapital nach Strich und Faden ausgenutzt – oder es taugt nichts. Durch diese staatsmännische Brille betrachtet Sarrazin seine Bevölkerung und ist entsetzt: Der Volkskörper besteht aus zunehmend weniger Dienern und immer mehr Schädlingen! Es gibt zu viele der Marke „Prekariat“, das als in- wie ausländische Unterschicht „ohne jede produktive Funktion“ herumlungern soll. Und es gibt zu wenige der Marke „Leistungsträger“, auf deren „Fleiß und Tüchtigkeit“ die Wirtschaft angeblich basiert.
Bundeskanzlerin Angela Merkel sprach Sarrazin das Sachinteresse für die Integrations-Debatte ab: „Angela Merkel hat nicht nur mein Buch kritisiert, sie hat auch die Bundesbank indirekt aufgefordert, mich aus dem Vorstand zu entfernen. Außerdem hat sie öffentlich erklärt, dass sie mein Buch nicht gelesen hat und auch nicht lesen wird. Daran mögen Sie das Interesse der Kanzlerin an der Sache, um die es hier geht, ablesen.“ Zitat Sarrazin. Wie auch immer, man kann dazu stehen wie mal will, Tatsache ist, dass das Thema wieder von der Tagesordnung verschwunden ist. So ist die Politik und dann wundern sich die Politiker, wenn immer weniger Menschen zur Wahl gehen, bzw. extreme Parteien gewählt werden.
Das glaub ich gern, daß Merkel und Ihresgleichen Sarrazin nicht lesen müßen um ihn verägert zu verdammen. In Anlehnung an die alte Gegenstandpunkt-Feststellung, daß Demokraten Faschisten zwar vielleicht verbieten, aber nie und nimmer kritisieren können, zeigt die Behandlung der Cause Sarrazin auch folgendes:
Dass auch unsere drei bis vier Volksparteien mit dem Bevölkerungszustand ziemlich unzufrieden sind, ist erneut ihrer Politik zu entnehmen. Die Wirkungen ihrer Volksverarmungspolitik fallen ihnen in Gestalt zerrütteter Familien, des nicht schulfähig gemachten Nachwuchses, der Rohheit und Kriminalität unter Jugendlichen, politischen Rechtsabweichlertums, der Einrichtung in Hartz-IV und auch einer sie wenig zufrieden stellenden Nachwuchsproduktion auf die Füße. Und sie tun etwas dagegen. Natürlich kommt ihnen nicht in den Sinn, etwas gegen die Ursache ihrer Unzufriedenheit, die materielle Verarmung zunehmender Schichten, zu unternehmen.
Die ist wegen der Sicherung der Konkurrenzfähigkeit des nationalen Lohngefüges standortpolitisch geboten – warum vermeldet Deutschland wohl in der Krise überraschende Wachstumsraten! Aber die Wirkungen lassen sich schon abmildern: Man sorgt durch Einfrieren von Hartz-IV für das nötige Abstandsgebot, sprich: dafür, dass die Erpressung, jede Arbeit anzunehmen, weiter greift – Sarrazin lässt grüßen! Man legt Jugendbetreuungsprogramme auf, mit denen die für gefährdet geltende Jugend von der Straße geholt wird – Sarrazin lässt grüßen! Man organisiert ein Elterngeld, das Akademikerinnen die Verbindung von Karriere und Kinderwunsch erlaubt – Sarrazin lässt grüßen! Man diskutiert die Bestrafung mit Leistungsabzug für jene Eltern die sich nicht darum kümmern, ob ihre Sprösslinge pünktlich in der Schule antreten – Sarrazin lässt grüßen! Usw. Den Gabriel oder die Merkel möchte ich sehen, die mit so einer Argumentation gegen Sarrazin zugleich die Grundlagen und aktuellen Abteilungen ihrer eigenen nationalen, um Deutschlands Wohl – Sarrazin lässt schon wieder grüßen – besorgten Politik kritisieren wollten!