Home > (2) Trotzkismus, (3) Fundstellen > Aus der Serie „Traurig aber wahr“: Sabine Nuss zum Eigentum

Aus der Serie „Traurig aber wahr“: Sabine Nuss zum Eigentum

14. Oktober 2010

Auf dem Blog von Straßen aus Zucker wird auf ein kleines YouTube-Videoschnipsel von leftvision hingewiesen:
Sabine Nuss zum Begriff des Eigentums [Diskurskombinat]
Natürlich kommt zum Schluß (also schon nach 4:17 Minuten, es ist wie gesagt nur ein Schnipsel) die obligatorische Frage nach der „Alternative zum Eigentum“. Sabine Nuß antwortet darauf:

„Ha, das ist eine große Frage. … Alles für alle oder Commons, Gemeineigentum, das klingt immer ganz schön. Aber ich fände es nach wie vor besser zu überlegen, …vor ein paar monaten ein paar Jahren hat da in der Region eine Fabrik zugemacht, die ist jetzt dicht, die Leute sind entlassen, da stehen aber immer noch die Maschinen, man könnte morgen aufmachen und was produzieren, laßt uns doch dahin gehen und die Fabrik aneignen und gucken, das wir da was herstellen zu den Bedingungen, wie wir uns das wünschen.

Das hat mich mich an einen Tiefpunkt meiner früheren trotzkistischen Propagandabemühungen erinnert, was ich schon mal irgendwo beschrieben habe:
Die Frage, was man in einer solchen typisch üblen Situation überhaupt anbieten kann, ist ja eine ganz alte und wichtige. Die klassische reformistische Antwort ist immer die Verstaatlichung gewesen. Auf deren Kritik will ich hier nicht eingehen. Aber was dann? Wenn man nicht sagen will, da geht eben nichts unterhalb eines Arbeiterstaates, der die Internationale des Kapitals wenigstens für einige Zeit vom Hals halten könnte, kommt man manchmal richtig auf Blödsinn: Die amerikanische Sektion der internationalen Spartacist Tendency hat während der Chryslerkrise vor 25 Jahren wie folgt argumentiert:

„Wenn Chrysler bankrott geht, dann sollten die Arbeiter die Fabriken besetzen und verteidigen. Nicht Piraterei sondern Meuterei.“
„Eine Arbeiterauktion?
Wenn Chrysler pleite ist, entweder weil sie schlecht investiert haben oder weil sie von ausländischer Konkurrenz geschlagen wurden, dann soll der Laden eben untergehen statt diesen riesigen Verlustmacher weiter zu subventionieren. Warum sollten die Steuerzahler die Zeche bezahlen? All das Gerede der Sozialdemokraten reden von einer Verstaatlichung von Firmen, die Verluste einfahren ist nur die Verschleierung der Forderung nach staatlichen Subventionen.
Der einzige Weg, bei dem Arbeiter auch nur eine Hoffnung auf eine Lösung der Situation einer untergegangenen Firma haben, ist die Betriebsbesetzung. Nicht Piraterei sondern Meuterei. Entweder Chrysler ist pleite oder es ist es nicht. Wenn Chrysler pleite ist sollten die Arbeiter demokratisch einen ausschuss wählen, der Chrysler liquidiert. Aber keinen Cent an die Wall Street Aktionäre von Chrysler! Sollen doch die Aktien, anleihen und Bankschulden den Bach runter gehen! Alles Geld, was bei den Versteigerungen der Vermögensgegenstände reibkommt, sollte an die Chryslerarbeiter gehen, einschliesslich der Immigranten. Wenn man den gegenwärtigen Marktwert nimmt, dann sind das rund $ 55.000 pro Beschäftigtem.
Nemmt es, es gehört euch!
Die reformistische Praxis der Nationalisierungen und zwar nur der am uneffektivsten kapitalistischen Unternehmen ist in gewisser Weise das exakte Gegenteil einer sozialistischen Enteignung. Sozialistische Wirtschaftsplanung basiert gerade auf der Enteignung der fortschrittlichsten Produktionsmittel.
Arbeitslosigkeit, infaltion und die Verwüstungen der Krise werden die Arbeiter plagen solange der Kapitalismus bestehen bleibt. Unsere Antwort heisst deshalb: eine Arbeiterregierung, die die grossen Ölkonzerne, General Motors, Ford und die den Rest der produktiven Resourcen an sich reisst und sie im Interesse der Arbeitenden organisiert, damit endlich alle einen Arbeitsplatz und einen anständigen Lebensstandard kriegen können“.

Das klingt doch ziemlich wüst, jedenfalls völlig irre in seiner pseudokonkreten Schimäre eines Arbeiterparadieses auf dem Betriebsgelände eines Schrottladens. Wurde übrigens auch nichts draus, weder aus der Chryslerbesetzung und Verscherbelei noch aus der iST. Daß eine Redakteurin der „Prokla“ (deren Chefredakteur Michael Heinrich ist), die schon lange nicht mehr „Probleme des Klassenkampfes“ mehr heißen mag (so habe ich sie vor vielen Jahren gekannt) so punktgenau auf die gleichen „Lösungen“ kommen wie Trotzkisten, die sich viel auf ihre revolutionäre Stringenz einbilden, das hat mich dann doch verwundert.
Hier ein Beitrag mit längeren Zitaten aus den damaligen Artikeln im Workers Vanguard

Kategorien(2) Trotzkismus, (3) Fundstellen Tags:
  1. 15. Oktober 2010, 18:52 | #1

    Nicht nur Sabine Nuss (oder eben auch die Trotzkisten von der IKL) kommen auf so einfache Lösungen, das können andere auch:

    Ein herausragendes Beispiel für die Absurdität des kapitalistischen Immobilienmarktes ist der Astraturm auf St. Pauli, der nach seiner Fertigstellung 2007 bei einer Gesamtfläche von rund 11.300 Quadratmetern heute zu über 70% leersteht.
    Aber wie wäre es denn, wenn dieser Raum einfach genutzt wird? Wenn leere Büros für Wohnungslose offen stehen? Wenn Menschen, die seit Monaten auf Wohnungssuche sind, einfach in eine der zahlreichen ungenutzten Büroetagen ziehen? Wenn Studierende sich zum Anfang des Semesters den fehlenden Wohnraum nehmen? Wenn soziale, kulturelle und politische Einrichtungen auch mal in Neubauten ziehen? Wenn der gute Ausblick nicht nur Hintergrund zum Arbeiten bleibt? Wenn Apfelbäume auf den Flachdächern über der Stadt wachsen? Wenn…
    Gegen den Irrsinn aus massiver Wohnungsnot und steigenden Mieten bei gleichzeitigem Leerstand setzen wir ein Recht auf Wohnraum. Der vorhandene Leerstand an Büroraum würde Platz für rund 40.000 Wohnungen bieten.

    Aus dem Aufruf zur Demo am 23.10.2010 in Hamburg unter dem Motto „Leerstand zu Wohnraum“ bzw. gleich noch schöner „Sofort die Wohnungsfrage lösen“. Warum die vielen Gruppen, das bisher nicht gemacht haben, bleibt mir da ein Rätsel, z.B.:
    Die Linke Landesverband Hamburg
    FAU Hamburg
    ver.di Fachbereich Besondere Dienstleistungen

  2. kritiker
    15. Oktober 2010, 20:26 | #2

    Bitter an diesem „Realismus“ ist seine Absurdität.
    Da wird so getan, als ob der Staat das Eigentum nur deswegen nicht schützen würde, weil es gerade kapitalistisch nichts taugt. Auch bei einer Fabrikbesetzung hat man sofort das staatliche Gewaltmonopol auf dem Hals.
    Mal angenommen, der staat würde die Übernahme eines Schrottladens wirklich tolerieren, weil selbst dessen Eigentümer/Gläubiger mangels verwertbarkeit kein Interesse an einer Räumung haben: Wie soll denn die beetzte Fabrik betrieben werden? Rohstoffe müssen gekauft werden und dafür die Produkte am Markt verkauft werden. Man kann nicht nur von den in der Fabrik hergestellten Produkten leben, sondern braucht noch andere Sachen, ist also weiterhin auf Geld angewiesen. Es bliebe also nur das Elend eines selbstverwalteten Betriebes, wo man fehlendes Kapital durch Bescheidenheit kompensieren muss (soweit das überhaupt geht).

  3. 15. Oktober 2010, 20:48 | #3

    Selbstverständlich wird im Kapitalismus alles verwertet, was noch irgendwie geht. Das ist ja im Insolvenzrecht haarklein verrechtlicht und institutionalisiert. Deshalb gibt es diese Fabriken, wo man nur mit einem Bolzenschneider das Haupttor aufkriegen muß um dann gleich das „Betreten verboten!“-Schild umzunieten, ja auch gar nicht. Wenn eine Firma „nur“ wegen temporärer Zahlungsunfähigkeit pleite geht und erst mal zugemacht wird, dann findet sich regelmäßig ein neuer Eigentümer, der alles billig aufkauft und dann selbst mit einer maschinellen Ausrüstung, die produktivitätsmäßig nicht mit dem neuesten Zeugs mithalten kann, noch Gewinne erwirtschaften kann, weil er für die Maschinen halt auch erheblich weniger zahlen mußte als die moderne Konkurrenz. Wenn aber die alte Ausrüstung selbst für umsonst nicht komnkurrenzfähig ist, weil die alten Maschinen einfach technologisch kein heute immer noch verkaufbares Produkt möglich machen, dann sind die wirklich gar nichts mehr wert. Dann kann man die vielleicht immer noch als Schrott verwerten oder wenigstens die Kabel rausreißen, weil man für die Kupferadern noch ein paar Euros kriegt. Der Normalfall einer Industrieruine ist deshalb auch nicht das Modell für ein Technikmuseum, wo es nur an Arbeitern fehlt, die die Maschinen wieder anwerfen, sondern eine leere Halle, aus der Alles, was nicht niet- und nagelfest war, schon lange abtransportiert und verhökert wurde. Nur Maschinerie, die wirklich niemand mehr haben will, die läßt man dann stehen.
    Und ausgerechnet mit solch einem für den Kapitalismus unbrauchbarem Zeugs wollen unsere Eigentumsgegner noch im Kapitalismus sich eine Insel der Aneignung schaffen??

  4. 15. Oktober 2010, 21:03 | #4

    Besonders bei Immobilien ist es absurd, aus einem mehr oder weniger langem Leerstand zu schließen, daß es den Eigentümern und dem bürgerlichen Staat egal wäre, ob sich irgendwelche Besetzer da einnisten. Anders als bei Fabriken, die nur Geld bringen, wenn es brummt, ist es bei Immobilien, seien es unbebaute Grundstücke in „interessanter“ Lage, seien es Häuser, Hallen, Läden oder Büros eine durchaus häufiger angewandte Geschäftspolitik, „erst mal“ abzuwarten, weil man mit einem späteren Verkauf oder auch nur mit einer späteren Vermietung oder Verpachtung hofft, mehr verdienen zu können als im Augenblick. In London stand ein Bürogebäude in der City mal rund 20 Jahre leer und hat wahrscheinlich ein dutzend Mal den Eigentümer gewechselt, bis es dem letzten Eigentümer dann doch rentabler erschien nicht noch länger zu warten, sondern das Haus zu vermieten. Und mit Sicherheit hatten all die Eigentümer da eine gute Alarmanlage eingebaut, damit ja keine Squatter auf falsche Gedanken kommen können.
    Der bürgerliche Staat schließt doch nicht mit seinem extra dafür geschaffenen Eigentumsrecht alle Interessenten von Grund und Boden aus, es sei denn, sie können ihn sich leisten und den verlangten Preis bezahlen, um dann seelenruhig zuzusehen, wenn Besetzerinitiativenleute fröhlich eine Regenbogenfahne vom besetzten Dach eines Hauses runterlassen. Man kann in der Krise schließlich auch nicht auf den Riesenparkplatz von einem Autohersteller gehen und sich einen der dort abgestellten bisher unverkäuflichen Autos mitnehmen, weil den ja offensichtlich keiner sonst benützt.
    Es wird den Illusionisten dann meist schnell und hart beigebracht, daß es bei uns nicht darum geht, wer was brauchen könnte oder sogar dringend nötig hat und was es da so an nützlichen Sachen gibt, die dieser Notlage abhelfen könnten. Das eherne Prinzip ist, daß man immer das Preisschild beachten muß, sonst kommt der Kaufhausdetektiv oder im Fall der Hausbesetzung der Einsatzwagen.

  5. 16. Oktober 2010, 17:39 | #5

    Ihr habt Sabine Nuss m.E. falsch verstanden: Die Frage war ja nach der Alternative zum Eigentum, nicht nach ihrem Tipp bei Massenentlassungen.
    Anders ausgedrückt: Sie wollte doch beantworten, wie man „statt übers Privateigentum“ die Gesellschaft denn organisieren solle; ihr daraus jetzt Aufruf zu Betriebsbesetzungen mitten in der Marktwirtschaft unterzuschieben ist etwas weit hergeholt und tut ihrem Gedanken Unrecht.
    Zugegeben ist ihr Einstieg etwas mißverständlich von wegen dem gerade geschlossenen Werk mit nutzlosen Maschinen, was natürlich in der Planwirtschaft nicht gegeben wäre.
    Aber: noch davor hat sie ja als alternatives Prinzip der Gesellschaft „Gemeineigentum, Alles für Alle“ vorgeschlagen.
    Ihr Gedanke war dann wohl, daß sie es nicht bei der bloßen Parole belassen wollte (eben nur das Prinzip als „anderes Ideal“ hochhalten), sondern noch ein Argument liefern was da ersetzt werden soll.
    Eben das: „Unter der Herrschaft des Privateigentums kommt es zu Fabriksschließungen bei denen dann die Leute auf der Straße stehen und die Maschinen unnütz rummodern. Wäre es nicht stattdessen besser, die Leute eignen sich die produktiven Anlagen an und stellen zu ihren eigenen Bedingungen das nützliche Zeug zum Leben her?“.
    Das Argument ist doch in Ordnung & ich finde es ziemlich eindeutig, daß sie das sagt. Mit den listigen Strategien und Forderungen der zitierten Gruppen hat das nix zu tun.

  6. 16. Oktober 2010, 21:41 | #6

    Also Paul, erst mal möchte ich dich einfach aufs nochmalige Ansehen des Schnipsels verweisen, meine Abschrift verfälscht das schon mal in keiner Weise.
    Zweitens ist ihr Einstieg dort für mich alles andere als mißverständlich, sondern ganz klar und dezidiert: Sie spricht erst in der Tat flächendeckende Alternativen zu einer Gesellschaft des Privateigentums an Produktionsmitteln an „Alles für alle oder Commons, Gemeineigentum“, schon das „Alles“ ist da nur sehr interessiert falsch zu interpretieren, um sich dann davon als Programm einer antikapitalistischen Bewegung lauthals zu distanzieren. Und sie weiß ja nun wirklich, wovon sie da redet, schließlich ist sie sozusagen eine *der* Expertinnen zu „Commons-basierter Peer-Produktion“ , schließlich hat Christian Siefkes, einer der Protagonisten der Szene einen Grundsatzartikel auch in ihrer Zeitschrift Prokla veröffentlicht.
    Wenn sie anfängt „vor ein paar Monaten ein paar Jahren hat da in der Region eine Fabrik zugemacht“, dann ist das sehr handfest konkret auf das leider allseits wiederzufindende „Hier“ und „Jetzt“ bezogen. Und wie du schon richtig festgestellt hast, für die Organisation einer postrevolutionären Gesellschaft vielleicht mal gerade für die ersten vierzehn Tage sinnvoll, wo die Leute sich noch keinen wirklichen Plan gemacht haben, was sie eigentlich insgesamt zukünftig anfangen wollen (da kann dann nämlich schon auch rauskommen, daß man die Ruine als Ruine stehen läßt, weil die Produktion mit der viel mühseliger wäre als mit den anderen moderneren Fabriken, die man nur ein „wenig“ umgestalten müßte.
    Dein Sabine Nuss untergeschobenes „Zitat“ („Unter…“) kommt zumindest in dem Schnipsel nicht vor, wenn das wirklich von ihr so gesagt sein sollte, wäre ich um eine dann in der Tat notwendige Richtigstellung dankbar, ich denke aber eher, daß du das wohlmeinend in sie reingelesen hast.
    Und wie immer bei solchen Vorschlägen doch lieber was „Besseres“ zu machen als kommunistische Agitation dafür, fehlt leider, daß man dafür erst mal diese Welt recht grundlegend und flächendeckend aus den Angeln heben muß. Gemeinhin weisen dann Kommunisten darauf hin, daß man dazu zumindest eine Revolution hinkriegen muß, die die Verteidiger und Verfechter des Privateigentums mitsamt dessen Staat und Rechtswesen wegräumen konnte, ehe man sich solche ansonsten Luxusfragen stellen kann, was man mit all den vorhandenen Produktionsmitteln und Kenntnissen der Arbeiterklasse eigentlich an Sinnvollem anstellen könnte.
    Insofern kann ich dir nur widersprechen, wenn du Sabine Nuss nicht zu Dutzendreformisten a la Linkspartei (oder deinem von mir vermuteten Namensgeber in der SED) subsummiert sehen willst. Jedenfalls mit einem Statement wie dem zitierten vom Diskurskombinat.

  7. 17. Oktober 2010, 17:06 | #7

    Aufgrund der doch recht unterschiedlichen Einschätzungen des Videos mit Sabine Nuss habe ich sie wie folgt angeschrieben:

    „Daß sowas doch einige Leute interessiert, konnte ich an steigenden Referern auf dem Blog ablesen, nachdem ich auf dieses Video hingewiesen habe. Und gleich hat es recht weitgehende Interpretationsunterschiede gegeben: Ich selber z.B. habe deine Fabrikbesetzerausführungen unter linken Reformismus verbucht, ein Genosse aus dem Umkreis des GegenStandpunkt hat dagegen gehalten. Ehe ich/man/wir zu einer politischen Bewertung dieser deiner zugegebenerweise recht kurzen Einlassung kommen kann, sollte aber zumindest darüber Klarheit hergestellt sein, was du nun „wirklich“ gesagt hast. Ich würde mich deshalb freuen, wenn du entweder auf deinem eigenen Blog noch Erläuterungen und oder Klarstellungen nachschieben könntest oder mir auf diese Mail so antworten würdest, daß ich das in die Diskussion auf meinem Blog unterbringen kann. Vielleicht reichen ja schon Verweise oder Zitate aus deinen bisherigen Veröffentlichungen zum Thema.“

    Erfreulicherweise hat Sabine mir umgehend geantwortet:

    „Ich finde, Paul Walter hat in seinem Kommentar eigentlich schon alles gesagt. Tatsächlich war meine Bemerkung kein Tipp zum Umgang mit Massenentlassungen. Überhaupt gar nicht hatte ich Verstaatlichungen im Sinne. Wie Du auf Deinem Blog meine mündliche Rede richtig zitierst, war ich mit einer leisen Kritik an den Commons und dem „Alles-für-Alle“ eingestiegen, das ist ja eine alte Forderung aus dem linken, undogmatischen Spektrum. Meines Erachtens ist das wirklich eine ganz sympathische Forderung, aber sie bezieht sich auf den ersten Blick ausschließlich auf die „Zirkulationsebene“, kümmert sich also nur um die bereits fertig produzierten Güter und deren Verteilung, ohne aber die Produktion in den Blick zu kriegen und damit Privateigentum an Produktionsmitteln und damit endlich den eigentlich Zweck von Produktion, nämlich die Verwertung, oder halt G-W-G‘. Die müsste aber adressiert werden.
    Bei meiner Antwort, die zugegebenermaßen formatbedingt sehr kurz war, kam es mir auf den Punkt an, dass die Produktion, wenn sie nicht Privateigentum ist (und damit automatisch G-W-G‘ untergeordnet), organisiert werden kann, „zu den Bedingungen, wie wir uns das wünschen.“ Damit ist erst mal nur gesagt, dass jenseits der hier herrschenden Bedingungen (nämlich die Verwertung des vorgeschossenen Kapitals) auch ganz andere Bedingungen denkbar und nötig wären (nämlich die Bedürfnisse der Menschen als Maßstab zu nehmen, jenseits von Verwertungszwang). Da ist weder von Verstaatlichung noch von „Fabriken in Arbeiterhand“ die Rede. Wenn das mal klar ist, dass es bei der gesellschaftlichen Produktion um die Bedürfnisse gehen sollte (im Kapitalismus sind die Gebrauchswerte ja nur als Träger von Tauschwert interessant, nicht als alleiniger Maßstab der Bedürfnisbefriedigung), dann könnten von da aus die Fragen gestellt werden:
    Was genau diese Bedürfnisse wären, wie sie ausgehandelt werden würden, wer dann wieviel arbeiten wollen würde, usw., das ist nicht vorhersagbar und in der jetzigen historischen Situation und Wirklichkeit ist man weit davon entfernt, überhaupt solche Debatten führen zu können oder zu wollen. Insofern bleibt erst mal nur Kritik und auch Praxis, aber halt eine Praxis, die eine solche Kritik transportieren kann, und das scheint mir mit der Aneignung einer leer stehenden Fabrik vielleicht möglich zu sein, auch, wenn diese Aneignung sofort einkassiert werden würde. Aber die Debatten um eine solche Aktion würden dann eher um die Produktionsverhältnisse kreisen, nicht so sehr um die Verteilung der Güter; die Kritik an der ungleichen Verteilung, die ist ja weiter verbreitet, als die Kritik am Sinn und Zweck der Produktionsweise.
    Insofern war meine Antwort doppelten Charakters: Was ist jetzt möglich, im symbolhaft-diskursiven oder/und aktionistischen politischen Raum, was wäre perspektivisch nötig in einer gesamtgesellschaftlichen Praxis.
    Das ist zwar nun auch alles sehr kurz beantwortet, aber vielleicht dennoch etwas klarer.
    Ausführlicher findest Du das alles hier:

  8. 17. Oktober 2010, 20:36 | #8

    Tut mir leid, aber ich kann auch das, was Sabinen Nuss jetzt nachgeschoben hat, nicht wiederfinden in dem von mir gebrachten Zitat von ihr:

    „Vor ein paar Monaten, ein paar Jahren hat da in der Region eine Fabrik zu gemacht, die ist jetzt dicht, die Leute sind entlassen, da stehen aber immer noch die Maschinen, man könnte morgen auf­machen und was produzieren, laßt uns doch dahin gehen und die Fabrik aneignen und gucken, das wir da was herstellen zu den Bedingungen, wie wir uns das wünschen.“

    Von einer Revolution als Basis und Rückendeckung der an sich ja vernünftigen Gedanken der Leute dann, ist doch in dem obigen Szenario Null Rede. Da muß doch jeder, der das hört, davon ausgehen, daß Sabine von einer „Region“ in einem x-beliebigen kapitalistischen Staat spricht. Denn nur dann sind Fabriken „dicht“ (obwohl man noch nützliche Sachen in ihnen herstellen könnte), nur dann sind die dortigen Ex-Arbeiter (wie viele andere) „entlassen“ also arbeitslos. Nur *im* Kapitalismus steht doch die Aneignung aller Produktionsmittel, also auch dieser stillgelegten Fabrik, noch vor uns. Nach einer Revolution müssen sich die Leute doch gar nichts mehr „aneignen“, dann müssen sie „nur“ (auf die Schwierigkeiten hat Sabine ja in der nötigen Abstraktheit und Allgemeinheit, mit der man das jetzt, vor der Revolution, nur machen kann, hingewiesen) eine Bestandsaufnahme machen, was auf dem Territorium ihrer Macht so alles da ist an Ressourcen aller Art und dann ermitteln, was damit angestellt werden soll. Da ist diese Fabrik genauso gut oder schlecht für den Plan wie jede andere, die „man“ hat. Vielleicht ist diese olle Bude ja dann eine, wo alle, die sie kennen, sagen, um die war es eh nicht schade, die brauchen wir nun wirklich nicht mehr.

  9. Geller
    19. Oktober 2010, 01:49 | #9

    Ich finde diese Debatte darüber, was die Sabine Nuss jetzt gemeint hat oder nicht, ziemlich albern. Ihr Buch jedenfalls ist sehr informativ und da findet sich auch nichts Reformistisches a la Fabrikbesetzungen oder Computer anders benutzen.
    Apropos Eigentum: Ingo Elbe hat was dazu geschrieben, ist aber sehr stark an Darstellung und (als) Kritik von Locke orientiert, dennoch gut: http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/Vom-Eigentumer-zum-Eigentum.html

  10. 19. Oktober 2010, 08:02 | #10

    Ich wiederum finde es sehr albern, wenn mit dem Argument, *woanders* habe jemand aber was Anderes gesagt, eine Kritik an dem *hier* Gesagten zurückgewiesen wird.
    Ja, Sabine Nuss ist damit bekannt geworden, daß sie sich in ihrer Dissertation gegen die Begeisterung für den „Copyriot“ gegen das Copyright (in erster Linie am geistigen Eigentum) ausgesprochen hat. Das weiß ich schon auch. Ich habe nur eine ganz eng textkritische Bemerkung zu ein paar Sätzen von Sabine in dem Interview gemacht. Nicht mehr, aber eben auch nicht weniger. Und albern war das schon deshalb nicht, weil es ja, ich habe deshalb extra Beispiele gebracht, eine lange reformistische Spur von Verharmlosung der Probleme der „Aneignung“ gibt.

  11. Geller
    19. Oktober 2010, 10:44 | #11

    Oh, da bin ich Dir aber auf den Schlips getreten. War gar nicht meine Absicht. Um es mal anders zu formulieren: Man kann ja diesen Punkt mit der Fabrik kritisieren (sollte man sogar), aber man kann es auch zu „eng textkritisch“ machen. Irgendwann kommt dann eine Verbissenheit heraus, die der Sache gar nicht mehr angemessen ist.
    Und es sollte auch nicht „mit dem Argument, *woanders* habe jemand aber was Anderes gesagt, eine Kritik an dem *hier* Gesagten zurückgewiesen“ werden. Sollte nur ein Hinweis auf den Text sein, der dem Themenbereich zugehört und brauchbar eine Rechtfertigung des Privateigentums kritisiert.

  12. 19. Oktober 2010, 11:03 | #12

    Was willst du denn nun sagen, entweder war meine Kritik an dem Schnipsel „albern“ oder „Man kann ja diesen Punkt mit der Fabrik kritisieren (sollte man sogar)“?
    Was war denn nun zu „eng textkritisch“, an dem, was ich konkret daran kritisiert habe?
    Was ist denn das „Verbissene“, wenn ich wie hier, einfach nur jemand Ernst nehme, in dem was Sie nun mal gesagt hat?
    Welcher Sache ist eine Kritik an so blöden Sprüchen, „Nehmt euch die Fabrik/Stadt!“ usw. denn unangemessen?
    Wenn du wenigstens so konkret wie Sabine argumentieren würdest, wäre für die Sache schon viel gewonnen.

  13. Samson
    19. Oktober 2010, 11:54 | #13

    Eine oder x-beliebig viele Pleite-Bude(n) übernehmen zu wollen bringt gar nix, so lange die Arbeiter hernach mit den Produkten auch bloß den Zweck verfolgen, auf dem Markt Erfolg zu haben. Plan, gesellschaftlich betrachtet, schließt die Verteilung der Sachen nämlich von vornherein schon ein. Und zwar ausdrücklich ohne Tausch.
    Das ist der einzige Grund, weshalb die Arbeiter als Klasse zunächst die politische Revolution machen müssen, eben damit ihnen beim Planen nicht die Staatsmacht dazwischenfunken kann.

  14. 19. Oktober 2010, 12:27 | #14

    Samson, einerseits gebe ich dir recht,

    „Eine oder x-beliebig viele Pleite-Bude(n) übernehmen zu wollen bringt gar nix, so lange die Arbeiter hernach mit den Produkten auch bloß den Zweck verfolgen, auf dem Markt Erfolg zu haben“.

    Andererseits will ich damit aber nicht sagen, daß Betriebsbesetzungen buchstäblich immer nur reformistisch sein können: Wenn die Herrschaft des Kapitals sowieso schon wackliger geworden ist, dann kann im Vorgriff auf die gesamtgesellschaftliche „Aneignung“ aller Produktionsmittel auch eine Besetzung (besser noch eine Besetzungswelle) klar machen, daß die Arbeiter der Bourgeosie und ihrer Profitmacherei die Machtmittel auch in den Fabriken aus der Hand nehmen wollen. Sowas wäre naturgemäß eine Kampfansage und Herausforderung, die entweder von den Kräften des Privateigentums niedergekämpft wird um die Arbeiter wieder zurück in die Lohnarbeit zu zwingen oder diese prekäre, eh nicht lange durchzuhaltende Situation wird zu einer flächendeckenden Revolution, in der bzw. nach der dann alle Produktionsmittel in die Hände der Arbeiter übergehen. Mit nur symbolischen Besetzungen wie bei GM/Opel-Bochum, die nur die etwas auffälligere Variante des Streiks für die Rückkehr in die alten Lohnarbeitsverhältnisse sind, bei denen man „nur“ etwas bessere Bedingungen herausholen will, wäre es aber nicht getan.

  15. Samson
    19. Oktober 2010, 13:09 | #15

    Ohne jetzt in ‚Philosophieren‘ abdriften zu wollen, ob, wann und bei welcher Gelegenheit was als ‚probates‘ Mittel gelten könnte, wäre quasi ‚taktische‘ Frage. Dann könnte man auch versuchen, Lenin zu wälzen o.s.ä.
    In Argentinien gabs m.W. vor paar Jahren Betriebsbesetzungen aus nämlichen Grund. Die Kapital-Seite hatte kein Interesse und wg. fehlender ‚Standortpolitik‘ gabs keine (potentiellen) Investoren. Also haben die Arbeiter die Betriebe übernommen. Soviel ich mitbekommen habe, hat aber das Kapital genau in dem Augenblick ‚Entschädigung‘ haben wollen (es gab wohl auch paar Prozesse). Und genau an dem Punkt brauchts halt die, prätentiös formuliert, politische Hegemonie o.s.ä. Dann könnte die Revolution auch die Verlaufsform eines Generalstreiks annehmen.
    Btw, sowas ähnliches wie bei den GM/Opel-Besetzungen gabs im Osten in den 90ern paar Mal, halt unter Ausschluß der ‚medialen Öffentlichkeit‘. Bei mir um die Ecke ging seinerzeit eine relativ große Textilmaschinenbude pleite. Die Arbeiter gründeten eine ‚Übergangsgesellschaft‘, steckten richtig eigenes Geld rein (Ersparnisse, Kredite) und fanden einen ‚Investor‘, der den Laden wenig später endgültig plattmachte.
    Der Witz an der Geschichte ist halt, dass die Arbeiter (nebst allen anderen, die mitmachen wollen) die Warenform abschaffen müssen. Dann stellt sich die Frage nach einer ‚Alternative‘ zum Privateigentum sowenig wie wenn Mama Essen kocht und unerwartet Besuch auftaucht. Entweder Produktivität und Ressourcen reichen hin oder die Produkte werden kontingentiert. Nur heißt Kontingent gerade nicht, dass man dafür etwas ‚hergeben‘ soll.
    Vielleicht ist die Suche nach ‚Alternativen‘ zum Privateigentum auch bloß eine Variante ‚bürgerlichen Denkens‘ i.d.S. der Marxschen „Muttermale“ …

  16. Geller
    19. Oktober 2010, 13:49 | #16

    Ja, Ernstnehmen ist gut, aber doch gerade bei solchen zusammengestümperten Interviewfetzen sollte man es nicht zu weit damit treiben, v.a. wenn man schon weiß, dass die Autorin keine Reformistin ist. Wir sind uns ja darüber einig, dass nur eine gesamtgesellschaftliche Perspektive auf die Eigentumsfrage aufgeht.
    Zu Samson: Warum soll die Suche nach Alternativen zum Privateigentum eine Variante bürgerlichen Denkens sein? Ich halte sie vielmehr für einen wichtigen Faktor bei der alltäglichen Überzeugungsarbeit. Wenn man den Leuten immer nur anbietet: „das sollen die Leute im Kommunismus eben selbst regeln“, dann wird man keinen Blumentopf gewinnen. Man muss sich Gedanken über die Organsiation einer weltweit vernetzten Produktion machen und man muss aufpassen, dass es keine Spezialistendiktatur der Technokraten gibt. Man muss also darüber nachdenken, wie man demokratische (ein anderer Name fürs Mehrheitsprinzip fällt mir nicht ein) Entscheidungsprozesse organisiert, die ein hohes Reflexions- und Kontrollpotential aufweisen. Man muss über legitime Bedürfnisse entscheiden und diskutieren – z.B. Fleisch Essen is nich mehr bei 12 Mrd. Menschen usw. http://www.vegetarismus.ch/info/oeko.htm
    Das ganze Problem des Weges zu dem hin, worüber man sich angeblich keinen Kopf machen soll, ist ja auch nicht von Pappe. Es geht eben nicht klein klein durch Reförmchen (obwohl ich die im Gegensatz zum GSP nicht ablehne, weil sie Raum und Zeit für Bildung und Überzeugungsarbeit und einfachen Hedonismus schaffen können) und wenn man Ernst macht (auch viele Leute), dann wird man die nackte Staatsgewalt zu spüren bekommen. Geht das ohne eine revolutionäre Moral? Ich glaube nicht, denn da wird viel Unlust zu überwinden sein, viel Selbstbeherrschung nötig sein.

  17. 19. Oktober 2010, 14:03 | #17

    In der Tat, Betriebsbesetzungen können sinnvoll nur als taktische Frage unter den Arbeitern diskutiert werden, die keine Lohnarbeiter mehr sein wollen. Oder andersrum, wenn die Besetzung doch nur eine besonders auffallende Form des Bittstellens ist, doch wieder als Arbeiter hergenommen zu werden, dann kommen eben so traurige Sachen bei raus wie Rheinhausen, Bischofferode oder Bochum, bei AEG-Nürnberg haben die Arbeiter es ja noch nicht mal so versucht.
    Denn du hast ja recht: wenn es wirklich was bringen soll, also wenn man eh drauf und dran ist, den Laden aus den Angeln zu heben, „genau an dem Punkt brauchts halt die, prätentiös formuliert, politische Hegemonie o.s.ä. Dann könnte die Revolution auch die Verlaufsform eines Generalstreiks annehmen.“
    Ich bin wirklich keiner, der die allseits so unbeliebte Suche/Frage „nach ‚Alternativen‘ zum Privateigentum“ so einfach abtut, jedenfalls nicht so barsch wie das der typische Referent vom GegenStandpunkt so macht. Und das hat auch nicht notwendigerweise was zu tun mit den berühmt/berüchtigten „Muttermalen der alten Gesellschaft“, mit denen in der Geschichte des Kommunismus schon viel zu viel Schindluder getrieben wurde. Und deshalb stören mich so semitaktisch verkleidete Argumente wie die von Sabine besonders. Als wenn da vorher nicht noch unheimlich viel strittiges Zeugs wegzuräumen wäre in den Köpfen der Leute.

  18. Samson
    19. Oktober 2010, 15:41 | #18

    @ Geller
    Überzeugungsarbeit ist wie Wahlkampf und nicht meine Angelegenheit. Erklären oder meinetwegen Erkenntnisse verbreiten geht dagegen nur mit richtig oder falsch, ob es damit was zu gewinnen gibt, ist dabei belanglos. Entweder das was du den Leuten übers Kapital erklärst ist richtig oder nicht. Die damit verbundene Alternative ist von vornherein klar, und zwar vollkommen unabhängig davon, ob die Leute, denen du was erklären willst, mehrheitlich dafür stimmen oder nicht: Entweder das Kapital wird abgeschafft, und zwar von denen, die darin bestefalls als ‚Humankapital‘ ihre ‚Existenzberechtigung‘ haben, oder es ändert sich nix.
    Über ‚weltweit vernetzte Produktion‘ brauchst du dir schon gar nicht die Birne zu zerbrechen, damit stolperst du nur durch Türen, die das Kapital längst aufgerissen hat. Die Gretchenfrage ist halt stets die nach dem Zweck der Produktion und die Antwort darauf ist auf dem Wochenmarkt dieselbe wie auf dem Weltmarkt. Solange die Leute gzwungen sind, d.h. eben ohne gefragt zu werden, die Mittel ihrer Bedürfnisbefriedigung einzutauschen ändert sich kein bischen was, Technokraten hin oder her. Um den Laden nach anderen als den bislang gültigen Prämissen zu ‚organisieren‘ brauchts offenbar Macht. Denn selbst das Recht der Mehrheit wäre gegenüber der Minderheit nur mit Gewalt durchzusetzen.
    Über ‚legitime Bedürfnisse‘ zu schwadronieren halte ich solange für borniert, wie auch nur ein einziger Mensch dem Verhungern preisgegeben wird, vollkommen gleichgültig, ob Lebensmittel, die sich als nicht profitabel erweisen vernichtet oder an irgendeine ‚Tafel‘ abgegeben werden.

  19. 19. Oktober 2010, 15:55 | #19

    Samson, du bist recht harsch:
    „Erklären oder meinetwegen Erkenntnisse verbreiten geht dagegen nur mit richtig oder falsch, ob es damit was zu gewinnen gibt, ist dabei belanglos.“ Natürlich ist die Ausgangsbasis des richtigen Erklärens die Überzeugung, daß das die Adressaten auch so sehen könnten wenn sie wollten. Sonst würde ich das zumindest lassen. Es stimmt nur leider, daß die Richtigkeit von Argumenten und Erkenntnissen nicht per se und notwendigerweise dazu führt, daß das die Angesprochenen auch so sehen und übernehmen und selber weitertragen. Insofern will ich das gute alte „Überzeugen“ nicht ganz raus lassen.
    Erst jüngst hat es bei Nestor einen erbitterten Streit darüber gegeben, was denn nun in einem zugegeben labormäßig ausgedachten aber nicht sonderlich abwegigen postrevolutionärem Fall die „damit verbundene Alternative“ wäre. Ich habe diesen Streit so wirklich nicht erwartet und es zeigt, daß man schon recht „weitgehend“ Einigkeit darüber herstellen muß, was denn im Prozeß der Alternative eigentlich passieren soll. Denn ganz offensichtlich ist mit deiner ja zurecht so genannten Gretchenfrage „die nach dem Zweck der Produktion“ noch nicht alles hinreichend klar. Und weil ich dir zustimme, wenn du sagst, „um den Laden nach anderen als den bislang gültigen Prämissen zu ‚organisieren‘ brauchts offenbar Macht.“ habe ich diesen Thread überhaupt angefangen. Denn davon, und das ist kein nebensächlicher Punkt, hat Sabine eben im Schnipsel keinen Piep gesagt.

  20. Geller
    19. Oktober 2010, 17:47 | #20

    Vielleicht ist der Begriff der Überzeugung nicht klar. Wenn man ein Argument einsieht, ist man doch von seiner Korrektheit überzeugt? Oder ist das kein sinnvoller Sprachgebrauch? Andererseits gebe ich neoprene recht, dass unwillige Leute auch schlecht Argumente einsehen (unwillig z.B. weil sie Sklaverei gut finden oder – wie eine Ulrike Ackermann in einem unerträglichen Buch – sie die Unvorhersehbarkeit von Marktverläufen als „Eros der Freiheit“ affirmieren).
    Aus Samson spricht der ganze ätzende Ton, den man von GSPlern so oft hört. Diese selbstherrliche Art, andere leichfertig abzubügeln, auch wenn sie mit echten Fragen oder Problemen kommen. Warum zum Beispiel das Kapital die Frage der weltweiten Vernetzung längst gelöst hat (oder wie soll ich die metaphernreiche Sprache vom Türenaufreißen verstehen?), ist mir nicht klar. Es geht doch im Kommunismus darum, dass ein Zweck der Produktion nicht von einem Herrn „Samson“ oder einem ZK festgelegt wird, sondern in einem herrschaftsfreien Diskurs und letztlich nach dem Mehrheitsprinzip entscheiden werden muss. Auch geht es nicht nur um den Zweck der Produktion, sondern auch um das „Wie“ der Produktion (oder bleibt in den Fabriken und auf den Feldern alles beim Alten inklusive Arbeitszeiten und Naturzerstörung, Genmanipulation und Despotie der Fabrik?). Es geht um die Abstimmung von Produktions- und Konsumtionsgüterproduktion, um die Abstimmung von Bedürfnissen und Produktionsprozessen usw. usf.
    Und dass es „borniert“ sein soll, über solche Fragen nachzudenken, weil heute Menschen verhungern – als hätte ich das gutgeheißen, den Kapitalismus verteidigt oder sonstwas – ist wirklich nix als eine moralistische und dabei noch den Adressaten verfehlende Abbügelei.

  21. Samson
    19. Oktober 2010, 22:45 | #21

    Ok, ich war harsch, war nicht so gemeint, jedenfalls nicht so wie’s offenbar angekommen ist, sorry.
    Ich dachte, Neoprene, meine Ansicht darüber, warum „die Richtigkeit von Argumenten und Erkenntnissen nicht per se und notwendigerweise dazu führt, daß das die Angesprochenen auch so sehen und übernehmen und selber weitertragen“ schon mal dargelegt zu haben. Allerdings laufen eben bspw. Überlegungen, ob nicht der Nationalismus (der m.E. den ‚proletarischen Internationalismus‘ erstickte) resp. alle daran sich orientierende oder daraus (analytisch) sich herleitende Borniertheit auf Argumente raus, die gerade keinen stringenten Zusammenhang ergeben. Dann aber ist das Kapital eine bloße Herrschaftsform wie alle anderen auch und dessen (perspektivische) Beseitigung bestenfalls Spekulation.
    Und wenn noch dazu Mehrheiten Rechte haben sollen, brauchts für Mehrheitsverhältnisse neben Agitprop vielleicht Kanonen aber keine Wissenschaft. (Folglich könnte selbst dann kein Trotzkist mehr etwas gegen Stalin sagen, wenn ihm der Nachweis gelänge, dass der nicht nur keinen Sozialismus gemacht hat sondern auch keinen machen wollte) Damit wären auch Überlegungen hinfällig, mit der Beseitigung der kapitalistischen Produktionsweise könnte den Leuten im Allgemeinen und den dann ehemals Lohnabhängigen im Besonderen ein irgendwie angenehmeres Leben beschieden sein. Wer bspw. jetzt über ‚legitime Bedürfnisse‘ räsonnieren zu müssen glaubt, hat die Ebene, wo die Verhältnisse um der Menschen Willen mal Gegenstand der Kritik waren, nämlich längst verlassen. Zumal es mindestens widersprüchlich ist, gleichzeitig gegen’s Fleischessen wg. ‚Überbevölkerung‘ aber für „einfachen Hedonismus“ o.s.ä. zu sein und aus letzerem auch noch ein Argument für’s Kapital als Herrschaftsform zu basteln. Denn wer bitteschön sollte die Reformen nach welchen Kriterien bewerkstelligen, wenn man dem GSP schon vorwirft, dagegen zu sein?? Lustig wird es freilich, wenn man selber schon als GSPler abgewatscht wird, weil man die auch von denen vorgetragene Ansicht vertritt, dass Reformen systemimmanent nicht zu haben sind.
    Vielleicht kann man sich wirklich Gedanken darüber machen, warum Leute, die ihren ganzen Stolz darauf gründen, Besitzer eines ‚Arbeitsplatzes‘ zu sein, unter Freiheit des Individuums primär die Freiheit des Kaufrauschs verstehen. Das ist sowenig notwendig wie es sich in pathologisierenden Begriffen wie etwa dem der ‚Konditionierung‘ nicht vernünftig beschreiben lässt. Ob es mit Fetisch wirklich hinreichend kritisiert ist, lässt sich ebenso gut bestreiten. Dann kann man genausogut Wetter, Gene oder sonstwas als Ursache definieren, scheißegal ob sich sowas ‚empirisch‘ nachweisen lässt oder nicht (vielleicht sollte man an der Stelle an libelles klugen Satz bezügl. ‚historischer Gesetze‘ erinnern). Womöglich hilft es ja, wenn man daran erinnert, dass (analytisch) betrachtet, der Kaufrausch eben auch dann eine bloße Kapitalfunktion ist, wenn die ‚Verbraucher‘ sich einbilden, am Wühltisch die freie Auswahl o.s.ä. zu haben. Ob sich daran, d.h. in den Köpfen der Leute was ändert, wenn man vermittels herrschaftsfreiem Diskurs Mehrheiten bezügl. ‚legitimer Bedürfnisse‘ oder ‚einfachen Hedonismus‘ zusammen zu bekommen versucht, vermag ich nicht zu sagen.
    Allerdings kann man dann statt auf Marx gleich auf den (von Fresin m.E. falsch kritisierten) Bellamy verweisen. Humaner als bspw. BGE wäre sowas allemal …

Kommentare sind geschlossen