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Der Staat als „Gesamtunternehmer seiner Wirtschaft“

3. Juli 2010

Peter Decker vom GegenStandpunkt hat in seinem letzten Vortrag in Nürnberg zur Finanzkrise am 24. Juni 2010 unter dem Titel „Finanzkrise Runde 2 – Wenn Staaten ihren Kredit verlieren …“ zu Beginn von Teil 2 einen Punkt wieder aufgenommen, den er schon in einem früheren Vortrag ähnlich vorgebracht hatte:

Es geht um die Symbiose und das Zerwürfnis zwischen politischer Macht und Fianzwirtschaft. Und da läßt sich zeigen, daß der kapitalistische Staat gar nicht bloß, so wie der Engels das damals gesagt hat, „ideeller Gesamtkapitalist“ in dem Sinn ist, daß die politische Obrigkeitfür die gesetzlichen Rahmenbedingungen der freien Konkurrenz sorgt. So hat man das damals aufgefaßt, da ist ja auch viel dran für sich. Aber damit ist man noch lange nicht fertig. Wenn man diese Staatswirtschaft betrachtet, dann kommt man dahinter, daß der kapitalistische Staat nicht bloß ideller Gesamtkapitalist ist. Obwohl er selber gar kein Kapitalist ist, nicht selber investiert und damit Profit macht, ist er sowas wie der Gesamtunternehmer seiner Wirtschaft oder seiner ganzen kapitalistischen Nation.

Das scheint mir eine recht wesentliche Erkenntnis/Weiterentwicklung zu sein, die z.B. bei Theo Wentzkes Vorträgen zum gleichen Thema nicht so betont wurde, darüber habe ich mich hier ja schon mit Nestor im Thread „Luftnummern und Betrüger“ auseinandergesetzt.

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  1. Nestor
    4. Juli 2010, 09:46 | #1

    Interessant wäre, wie das Zitat weitergeht. Also, worin ist er „nicht bloß ideell“, sondern „Gesamtunternehmer“?
    Eine interessante Debatte schon deshalb, weil die Neoliberalismus-Kritiker ja immer behaupten, der Staat nehme seine (wie immer gearteten) Aufgaben nicht wahr, und bis vor nicht allzulanger Zeit das offizielle Credo gelautet hat, der Staat solle sich möglichst aus der Wirtschaft zurückziehen.

  2. 4. Juli 2010, 13:45 | #2

    Ich habe jetzt die Stelle aus dem ersten Vortrag, wo Peter Decker das schon skizziert hatte, nicht gefunden. Ich meine aber, daß er ungefähr so argumentiert hat:
    Auch wenn der moderne kapitalistische Staat kein Unternehmen ist, wie all die vielen tatsächlichen Privatunternehmen, die er beaufsichtigt und von deren Erfolg er schmarotzt/partizipiert, so ist die notwenige Folge seiner immer bedeutsamer werdenden Politik, sich auf die Finanzmärkte zu stützen, um sein umfassendes Staatsprogramm zu fianzieren, daß er sich den gleichen kritischen Prüfungen unterwerfen muß, wie irgendein anderer Anleihemittent auch. Er wird also, selbst bei Sachen, die nur im weitesten Sinne ökonomisch „Sinn“ machen, letztlich daran gemessen, ob die Steigerung der Wirtschaftskraft, die für die Bedienung wenigstens der Zinsverpflichtungen nötig sein wird, auch tatsächlich eintritt. Da steht er dann in einer Reihe mit all den anderen Anlageformen und wird wie die nach allen Regeln der kapitalistischen Kunst auf das Risiko und die Höhe der Erträge abgeklopft.
    Also muß er auch zunehmend mehr bei all seinen Ausgaben darauf schauen, ob die wirklich wirtschaftsförderlich sind. Und nicht ganz überraschend fällt ihm dabei wie Schuppen von den Augen, daß da reihenweise „unnütze“ Ausgaben, z.B. Sozialausgaben drin sind, für die noch nicht gilt, daß sozial nur ist, was Arbeit schafft.
    Also wird gerade ein moderner Staat, der nicht einfach alles der Privatwirtschaft überlassen wollte, weil da Ergebnisse rauskamen, die ihm aus dem einen oder anderen Grund nicht paßten und der deshalb mit seiner Politik korrigierend eingegriffen hat, zunehmend dazu gebracht, letztlich doch das Verdikt des Marktes der Profitnützkichkeit zu akzepieren und Alles davon Abweichende zurückzuschrauben, schon weil es nicht mehr zu finanzieren ist, wie es immer so schön heißt.

  3. Nestor
    4. Juli 2010, 17:50 | #3

    Mhmm.
    Na ja, die eine Sache ist, daß sich die Politiker durch „die Märkte“ genötigt sehen, selber unternehmerische Vorschuß-Überschuß-Rechnungen anzustellen.
    Eine andere Frage ist, ob das überhaupt geht, also ob sich mit solchen Kalkulationen Staat machen läßt. Das Unterrichtswesen, das Gesundheitswesen läßt sich nicht flächendeckend profitabel gestalten. Wenn man jetzt da alles, was sich privatisieren läßt, privatisiert und den Rest zusperrt, so kommt eine Art Kongo heraus, und was heißt das für den Kapitalstandort?

  4. 4. Juli 2010, 18:22 | #4

    „Eine andere Frage ist, ob das überhaupt geht, also ob sich mit solchen Kalkulationen Staat machen läßt.“

    Das ist in der Tat eine gute Frage. Offensichtlich haben vor rund 120 Jahren alle Staaten, die sich anschickten imperialistisch zu werden, das Kalkül gehabt, daß es viele Bereiche gibt, die man nicht so einfach den Märkten überlassen kann, weil die nur an sich und nicht an die Nation denken. Zum Teil sind schon im Verlauf der flächendeckenden Entwicklung des jeweiligen Staats die ursprünglichen Ansprüche, es müsse doch hinzubekommen sein, das ganze Territorium und die gesamte Bevölkerung nutzbringend einzuspannen, ganz massiv zurückgenommen worden. Gerade die letzten Jahrzehnte zeigen aber, daß sich diese Einschätzung einerseits massiv radikalisiert hat, so sind ja von den großen mächtigen Staaten bis hin zu vom IWF kujonierten schwächeren Staaten Privatisierungen von so gut wie allem, was nicht niet- und nagelfest war durchgezogen worden. Selbst Kernbereiche des klassischen staatlichen Selbstverständnisses wie Militär, Polizei und Gefängnisse sind ja in manchen Staaten (wieder teil) privatisiert worden.
    Aber, das drückt ja deine Frage auch aus, es gibt reihenweise selbst im klassisch bürgerlichen Lager die Sorgesfalten, ob damit die jeweilige Grande Nation wirklich gut fährt. Ein weiteres Kongo will ja nun kein G-20-Staat gerne werden.

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