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Der Staat als Adressat von Forderungen

9. Juli 2009

Freerk Huisken hat am 30.06.09 in Leipzig einen Vortrag „Hochschulreform als Standortfaktor – Mit verschärfter Konkurrenz dem Denken Beine machen“ gehalten. Der steht mittlerweile zum download bereit steht, MPunkt hat darauf hingewiesen.

Einerseits hat er da der leider fast kompletten „Bildungsstreik“-Bewegung gehörig die Leviten gelesen. Aber auch wieder einen Punkt gebracht, der so, wie er und Seinesgleichen ihn regelmäßig formulieren, falsch ist: Wieso fordert ihr Studis eigentlich ausgerechnet von dem Staat, der euch all diese offensichtlichen Verschärfungen eingebrockt hat, und der das nicht aus Jux und Dollerei gemacht hat, sondern weil er damit was Bestimmtes bezweckt, der möge euch ein paar Gefallen tun? (Ist jetzt meine Version, nicht die von Freerk)

Da könnte man doch ganz einfach darauf kommen zu sagen, ja von wem denn sonst! Was Arbeiter fordern, richten die doch auch immer entweder direkt an „ihre“ Kapitalisten oder bei sozialen und politischen Forderungen an „ihren“ Staat, dessen Politik ihnen mißhagt. Auch wenn ich um einen Antagonismus weiß, z. B. in der Lohnfrage, sind doch Arbeiter, die ihre Position durch Kämpfe verbesserrn wollen, gezwungen, ihre Kampfziele an ihren Klassengegner zu richten. Wenn ihre Daumenschrauben hinreichend Druck ausüben können, kriegen sie vielleicht etwas, wenn nicht eben gar nicht.

(Freerk hat in diesem Zusammenhang auch auf den offensichtlichen Mißbrauch des Wortes Streik im Zusammenhang mit Schülern und Studenten hingewiesen: Deren ein paar Tage, oder eben auch ein paar Wochen oder Monate nicht Lernen stört regelmäßig die Schulverwaltung oder Univerwaltung herzlich wenig, denn damit schneiden sich die Streikenden ja regelmäßig eher ins eigene Fleisch, weil ihnen dann ihre credit points, ihre Scheine etc. flöten gehen, die sie als ja weiterhin als Studenten durch Leben gehen Wollende ja letztlich doch brauchen.

Wenn Arbeiter streiken kostet die das zwar auch immer was, solange fällt ja der Lohn aus, den man regelmäßig so bitter nötig hat, daß man ja gerade deshalb für bessere Entlohnung ins Feld zieht, aber immerhin fällt bei jedem Streik ja auch die Produktion aus, also das Geldmachen der Kapitalisten. Und nur, weil auch der Staat vom erfolgreichen Geldmachen seiner besitzenden Klasse abhängt, können Streiks auch den ab und an zu Konzessionen zwingen. Studenten können dies praktisch nie.)

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  1. 14. Juli 2009, 12:11 | #1

    Na klar: wenn man mehr Geld für die Unis will, ist der bürgerliche Staat schon der passende Adressat für dieses Anliegen – schließlich ist er es ja, welcher sich die Unis hinstellt, also auch finanziert (selbst wenn es mittlerweile auch Drittmittel und Studiengebühren als zusätzliche Einnahmequellen gibt). Der Fehler dieser protestierenden Studenten (neben den Fehlern, die sie überhaupt erst zu dem Willen bringen, dass die Unis besser funktionieren sollen, wozu sie mehr Geld bräuchten) dabei ist doch deren Idealismus, den sie über den bürgerlichen Staat aufmachen. Der wäre nämlich eigentlich dafür da, ihre Finanzierungswünsche zu erfüllen, was sie mit Aussagen von Berufsnationalisten, wie wichtig doch ne gut ausgebildete Elite im Standortwettbewerb wäre, bebildern. Vorgeworfen wird den aktuellen Berufsnationalisten dann also, dass die ihrer Aufgabe nicht gerecht werden würden, wenn sie die Unis „unterfinanzieren“. Und dagegen kann man doch schon mal festhalten, dass die sehr genau wissen, was sie da tun und völlig ihrer Aufgabe gemäß handeln, wenn die auch an die Unis herantragen, dass diese die von ihnen gewünschten Leistungen doch auf , also am Besten mit weniger Ausgaben bei mehr Output, erbringen sollen. Dass alle studieren können, dass man nicht mit anderen Studis auch um Plätze in den Veranstaltungen konkurrieren muss, dass an der Uni (wenigstens zwischendurch) keine Selektion stattfindet, dass man sich in Ruhe mit den Sachen beschäftigen können soll, die einen interessieren und was die da sich noch alles von einer besseren Finanzierung der Unis erhoffen, ist dabei nämlich schlicht nicht vorgesehen – was man Hochschulpakten, Bolognaprozess und was es da noch so alles gibt auch locker entnehmen kann. Wenn man also diese Interessen ernsthaft verfolgen will, steht daher auch was anderes an, als sich mit den Berufsnationalisten gemein zu machen und Politikberatung für die betreiben zu wollen, wie (mit mehr Geld für Unis!) die ihre, ‚also‘ die gemeinsamen, Zwecke besser umsetzen können.

  2. 14. Juli 2009, 12:55 | #2

    Gerade, weil das bei Agitatoren für den GegenStandpunkt alles andere als klar ist, habe ich doch diese Stelle von Freerk Huisken angeführt. (Wenn ich die Zeit finde, werde ich das auch noch abtippen, damit man die ganze Argumentation nachvollziehen kann.)

    Daß Freerk massiv den Idealismus der Studenten, sowohl der Nichtstreikenden aber vor allem der Wortführer des Bildungsstreiks angegriffen hat, daß war ja auch meiner Meinung nach völlig richtig. Ich habe doch auch hier und dort darauf hingewiesen, daß sich unzufriedene Studenten erst mal Gedanken machen sollten, welche staats- und bildungspolitischen Ziele dieser Staat ganz bewußt, öffentlich verkündet und Ernst gemeint durchsetzt, eben auch gegen die Interessen der Studenten.

    Mir ging es wie gesagt „nur“ um den Punkt, daß eine Argumentation, wer was vom Staat fodert, der kann das nur aus Staatsidealismus machen, einfach falsch ist.“Freiheit für Sacco und Vanzetti“ war eine der berühmtesten Kampagnen der revolutionären Linken vor dem Zweiten Weltkrieg. Ganz klar an den US-Staats- und Justizapparat gerichtet von zumeist recht entschiedenen Gegnern (zugegebenermaßen unterschiedlichster politischer Couleur) dieses Staates. Es ist eben nicht immer direkt ein „Ackermann“ der Gegner (Freerk hat den den Studenten praktisch vorgehalten) und deshalb der Adressat von Forderungen. Sogar recht häufig ist es eben der „ideelle Gesamtkapitalist“, der bürgerliche Staat. Die Gleichsetzung Forderung an den Staat = sich gemein machen mit und anbiedern bei den Berufsnationalisten. Das ging früher anders und das müßte auch heute wieder anders gehen. Wenn es überhaupt was werden soll.

  3. 14. Juli 2009, 14:25 | #3

    Zum Punkt, wer kann überhaupt dem Staat was abringen, was der freiwillig ja offenichtlich nie und nimmer herausrücken will. Wie und wer kann den „überzeugen“, wenn doch offensichtlich alle „guten“ Argumente, also Argumente, dem Staat nahezulegen, daß die Erfüllung der Forderungen, die man an ihn stellt, doch bei Lichte besehen auch und gerade in dessen Interesse liegen müßte, so jämmerlich an dem abprallen?

    Hier hat Freerk einer der Lebenslügen der Protestler demontiert: Daß da überhaupt ein „Streik“ organisiert worden sei. Nur im allgemeinsten Sinne, daß man irgendeine Tätigkeit, die man bisher gemacht hat, demonstativ für eine gewisse Zeit nicht mehr macht, sind Boykotte von Lehrveranstaltungen doch überhaupt Streiks. Im engeren Sinne sind Streiks aber nur Aktionen, mit denen man seinen Gegner, dem man was abringen will, auch einen Schaden zufügen kann. Das können Studenten regelmäßig nicht, denn sie wollen ja weiterhin als Studenten Karriere machen, zumindest ihren Abschluß machen. Und dafür brauchen sie unbedingt die Scheine, die credit points, die erfolgreich absolvierten Examen usw. Der Staat kann sich da regelmäßig ganz beruhigt zurücklehnen und abwarten, wann seine Studis wieder zur „Besinnung“ kommen.Wenn er nett ist, läßt er dann gnädig die ausgefallenen Klausuren nachholen, ansonsten haben die Ex-Streikenden eben ein oder zwei Semester verloren, wenn sie sich das überhaupt leisten können.

    Ganz anders ist die objektive Position der Arbeiterklasse. Wenn da welche streiken, dann tut das der Gegenseite fast immer proportional zur Zahl der Beteiligten und der Länge des Streiks richtig weh. Weil damit ja in mehr oder weniger großem Rahmen *der* Zweck dieser Gesellschaft, die Reichtumsvermehrung durch die Ausbeutung der Arbeiter unterbrochen wird. Natürlich hat das auch für die Arbeiter einen Haken und kommt nicht umsonst: Während des Streiks fehlt ihnen ja der Lohn, den sie eigentlich unbedingt zum Leben brauchen, schließlich sind sie ja sonst vermögenslos und deshalb auch ihre Arbeitsplätze und die Entlohnung angewiesen. Wenn aber überhaupt jemand dem Staat was abpressen kann, der ja von der Reichtumsproduktion lebt und schmarotzt, dann sind es die Arbeiter.

    Und das wissen ja auch alle reformistischen Studenten: Da wurde doch bei jeder zweiten Demo ein DGB-Vertreter auf Podium gebeten, damit der dann seine völlig unverbindliche Solidarität ablassen konnte. Da wird dann schon mal der Schulterschluß von Studentenbewegung und „organisierter Arbeiterklasse“ gefordert. Nur leider ist damit der politisch-inhaltliche Kotau vor der aktuellen Gewerkschaftsführung gemeint, die bekanntlich auch schon für genuine Arbeiterinteressen niemand zum Streik aufruft und nun wirklich nicht daran denkt, ausgerechnet den Studis diesen Gefallen zu tun.

    Zudem jeder ernsthafte Gewerkschaftler oder sonstige militante Arbeiter ja dann erst mal fragen würde, wofür er bitte den ins Feld ziehen soll. Etwa dafür, daß es den Studenten einfacher gemacht wird, ihren BWL- oder Jura-Abschluß hinzukriegen um schneller in die Posten als Organisatoren der kapitalistischen Ausbeutung oder deren staatlichen Beaufsichtigung zu gelangen? Mehr Geld für dieses Bildungssystem, daß doch in erster Linie den Zweck hat, die arbeitsmarktgerechte Sortierung aller jungen Menschen durchzuführen, soll im Interesse kämpferischer Arbeiter sein? Warum ist es im Interesse der Arbeiter, wenn durch Erkämpfung von mehr Chancengleichheit zukünftig ein paar Arbeiterkinder mehr es auch zum Personalchef oder Abteilungsleiter bringen könnten, während andersrum auch ein paar Kinder reicher Eltern nur eine Karriere als Schichtarbeiter oder an der Aldi-Kasse bleibt?

  4. 14. Juli 2009, 15:40 | #4

    Den Vortrag selbst muss ich mir mal noch anhören. Wenn man sich mit den protestierenden Studenten streitet, ist aber nicht der Punkt relevant, ob man, wenn man Forderungen an den bürgerlichen Staat stellt, Idealist seiner ist, sondern da hat man es mit Idealisten seiner zu tun und kritisiert deren Idealismus.

    Zu den Forderungen an den bgl. Staat: nein, man muss dem nicht unterstellen, dass der doch für deren Erfüllung da wäre, wenn man Forderungen an ihn stellt. Sondern prinzipiell geht das auch, wenn man Gegner seiner ist, ihm aber Zugeständnisse abpressen will, solange man ihn nicht beseitigen kann. Das trägt aber allemal den Widerspruch in sich, dass man, wenn man den bgl. Staat erpressen will, dem faktisch doch schon die Machtfrage aufmacht, da man dessen Souveränität praktisch bestreitet. Wenn man den aber eh abschaffen will und meint, stark genug dafür zu sein, dem die Machtfrage aufmachen zu können, warum sollte man dann überhaupt noch Forderungen gegen ihn durchpressen wollen? Was dann zur Seite der eigenen Stärke hinführt, nämlich wieviele Leute überhaupt den bgl. Staat abschaffen wollen, die man regelmäßig mit verdammt wenig beantworten muss. Dann ist es aber ein opportunistischer Übergang, aus diesem Misserfolg heraus mit den Idealisten (die dann die Masse stellen sollen, mit der man den bgl. Staat erpressen könne) gemeinsame Sache zu machen. Das Argument ist dann nämlich schlicht, dass mehr – „derzeit“ – eh nicht drin sei. Was aber schlicht eine Preisgabe der Bedingung dafür ist, dass es jemals anders wird als „derzeit“: den verkehrten Willen der Staatsidealisten zu kritisieren. Den will man dann ja gerade von diesem Feldherrenstandpunkt aus für sich .

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