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Rolf Röhrig (und Bert Brecht) zu vernünftiger Erziehung

19. Januar 2009

Gegen Ende der Nürnberger Veranstaltung des GegenStandpunkt zur Kritik der Erziehung im Kapitalismus am 15.01.2009 sagte der Referent Rolf Röhrig folgendes:

Ein solches Projekt [rationelle Erziehung] stößt sehr schnell an sehr harte Grenzen: ein Kind, mit einem wahren Urteil ausgerüstet über die Schule, wird in dieser schulischen Welt, in der es ja pflichtgemäß eingetopft ist, sofort Schiffbruch erleiden. Es wird ein unguter Dialog, wenn ein Zwerg seiner Lehrerin begegnet mit dem Argument, erstens stimmt es nicht, was Sie über die Demokratie behaupten, es ist kein Abstimmungsverfahren, für das der Marktplatz zu klein war, und zweitens wird es auch noch zum Zwecke der Selektion missbraucht, das falsche Argument. Das richtige Argument hat in dieser Welt keine Chance. Und das Wissen, auf das eine vernünftige Erziehung aus wäre, wäre auch in dieser Welt nicht nur nicht gebraucht, sondern unerwünscht. Was in dieser Welt gebraucht wird an Arbeitsplätzen, wo Leute verschlissen werden, weil ihre Leistung für das Wachstum zählt, das ist Anforderungen zu genügen, und sich nicht aus eigenem Urteilsvermögen heraus Zwecke zu setzen, sondern Zwecken dienstbar zu sein, denen sie unterworfen sind. Insofern ist meine Kritik an der Erzeihung im Kapitalismus nicht ein Pladoyer für eine rationelle Erziehung gewesen, sondern dafür, den kapitalistischen Sumpf, der so eine Erziehung notwendig macht, trocken zu legen.

Mich haben diese Ausführungen an eine berühmte Stelle aus Brechts Flüchtlingsgesprächen erinnert, wo der geschrieben hatte:

Eine halbwegs komplette Kenntnis des Marxismus kostet heut, wie mir ein Kollege versichert hat, zwanzigtausend bis fünfundzwanzigtausend Goldmark und das ist dann ohne die Schikanen. Darunter kriegen Sie nichts Richtiges, höchstens so einen minderwertigen Marxismus ohne Hegel oder einen, wo der Ricardo fehlt usw. Mein Kollege rechnet übrigens nur die Kosten für die Bücher, die Hochschulgebühren und die Arbeitsstunden und nicht was Ihnen entgeht durch Schwierigkeiten in Ihrer Karriere oder gelegentliche Inhaftierung, und er läßt weg, daß die Leistungen in bürgerlichen Berufen bedenklich sinken nach einer gründlichen Marxlektüre; in bestimmten Fächern wie Geschichte oder Philosophie werdens nie wieder wirklich gut sein, wenns den Marx durchgegangen sind.“ (Flüchtlingsgespräche, in: werkausgabe Bd. 14, Ffm. 1975, S. 1440)

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. nope
    19. Januar 2009, 21:33 | #1

    Dieses scheinbare Paradoxon kannst du gut und gern auf fast sämtliche Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft herunterbrechen. Mit Sicherheit ist jedes Mal eine schwierige Tatsache zu realisieren, dass das, von dem man bislang glaubte, es bringe einen „irgendwie“ vorwärts, vielmehr das Gegenteil herstellt. Röhrigs Aussage ist pessimistisch, durchaus, aber nur nüchtern genug, um den Irrsinn des Ladens zu durchdringen. Tatsächlich ist ja so, das einem tagtäglich unzählige Wortmeldungen begegnen, wonach der status quo „nur endlich“ nach den von einem höchstselbst gesetzten „guten Prinzipien“ zu verlaufen hat. Und fast jeder steht bedröppelt da, wenn sich sein Idealismus an der Realität blamiert und nur notwendigerweise blamieren muss. Übringens warum muss er sich blamieren? Eben weil der Maßstab – oft ja bloß als Meinung vorgetragen – ein verquerer ist. Und nie gehts gegen das Kapital. (Hierzu ist mir noch Deckers Einleitung zu dem Vortrag über die „EU in der Krise“ in den Ohren. Auch dort wird eingangs das falsche Bewusstsein vom Wesen der EU aufgedeckt. Herauskommt, dass das im wesentlichen eine politische Institution ist, die nichts im geringsten mit jenen Atributen gemein hat, die mancher Zeitgenosse ihr mal eben im vorbeigehen attestiert.) Dass die bürgerliche Öffentlichkeit gerade durch ihre scheinbare Nivellierung (es gäbe keinerlei ideologischen Auseinandersetzungen mehr) jeglicher Gegensätze (formelle Gleichheit der Rechtssubjekte) sehr viel von der Kohärenz erhält, die sie ausmacht, ist nicht zuletzt dieser ständigen Depolitisierung geschuldet.
    Das es für den Einzelnen natürlich fade ausgehen mag, wenn er sein gedanklich durchdrungenes Leben der Wirklichkeit adäquat anpassen will (hier Marx-Lektüre und Abscheu ggü. der bürgerlichen Gesellschaft) hat schon Hegel desavouiert: „Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.“ Zumindest solang, bis eine geeignete Plattform der Kritik installiert ist, die ihren Radius beständig erweitert.

  2. nope
    19. Januar 2009, 21:33 | #2

    Dieses scheinbare Paradoxon kannst du gut und gern auf fast sämtliche Phänomene der bürgerlichen Gesellschaft herunterbrechen. Mit Sicherheit ist jedes Mal eine schwierige Tatsache zu realisieren, dass das, von dem man bislang glaubte, es bringe einen „irgendwie“ vorwärts, vielmehr das Gegenteil herstellt. Röhrigs Aussage ist pessimistisch, durchaus, aber nur nüchtern genug, um den Irrsinn des Ladens zu durchdringen. Tatsächlich ist ja so, das einem tagtäglich unzählige Wortmeldungen begegnen, wonach der status quo „nur endlich“ nach den von einem höchstselbst gesetzten „guten Prinzipien“ zu verlaufen hat. Und fast jeder steht bedröppelt da, wenn sich sein Idealismus an der Realität blamiert und nur notwendigerweise blamieren muss. Übringens warum muss er sich blamieren? Eben weil der Maßstab – oft ja bloß als Meinung vorgetragen – ein verquerer ist. Und nie gehts gegen das Kapital. (Hierzu ist mir noch Deckers Einleitung zu dem Vortrag über die „EU in der Krise“ in den Ohren. Auch dort wird eingangs das falsche Bewusstsein vom Wesen der EU aufgedeckt. Herauskommt, dass das im wesentlichen eine politische Institution ist, die nichts im geringsten mit jenen Atributen gemein hat, die mancher Zeitgenosse ihr mal eben im vorbeigehen attestiert.) Dass die bürgerliche Öffentlichkeit gerade durch ihre scheinbare Nivellierung (es gäbe keinerlei ideologischen Auseinandersetzungen mehr) jeglicher Gegensätze (formelle Gleichheit der Rechtssubjekte) sehr viel von der Kohärenz erhält, die sie ausmacht, ist nicht zuletzt dieser ständigen Depolitisierung geschuldet.
    Das es für den Einzelnen natürlich fade ausgehen mag, wenn er sein gedanklich durchdrungenes Leben der Wirklichkeit adäquat anpassen will (hier Marx-Lektüre und Abscheu ggü. der bürgerlichen Gesellschaft) hat schon Hegel desavouiert: „Abstraktionen in der Wirklichkeit geltend machen, heißt Wirklichkeit zerstören.“ Zumindest solang, bis eine geeignete Plattform der Kritik installiert ist, die ihren Radius beständig erweitert.

  3. 20. Januar 2009, 10:40 | #3

    Zum Vortrag „EU in der Krise“ find ich nichts. Genau das würde mich interessieren, aber auf argudiss suche ich vergeblich nach eine EU-Vortrag. Kann mir wer helfen?

  4. 20. Januar 2009, 10:40 | #4

    Zum Vortrag „EU in der Krise“ find ich nichts. Genau das würde mich interessieren, aber auf argudiss suche ich vergeblich nach eine EU-Vortrag. Kann mir wer helfen?

  5. Blindes Huhn
  6. Blindes Huhn
  7. 20. Januar 2009, 14:34 | #7

    Hrmpf…Merci!

  8. 20. Januar 2009, 14:34 | #8

    Hrmpf…Merci!

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