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Von Brecht und Wendula Dahle lernen?

17. August 2007

Bei VSA ist ein neues Buch über Bert Brecht herausgekommen. Contradictio hatte wohl zuerst darauf hingewiesen. Es hat auch schon auf einem Blog hier erste Diskussionen unter den usual suspects gegeben.
Weil mich B.B. auch nicht so sehr als „Dichter „deutscher Spitzenklasse““ interessiert, sondern mehr als der „geschmähte Kommunist“ (so der Untertitel zum neuen Buch), habe ich es mir gleich gekauft und bin über zwei nicht ganz wahllos herausgesuchte Stellen gestolpert:
1. Brecht der Antinationalist
Es freut mich, dass hier auf Bert Brechts Antinationalismus eingegangen wird. Wendula Dahle und Wolfgang Leyerer, die beide Mitglieder des Bremer Autorenkollektivs sind, die das Buch geschrieben haben, haben seine bekannte Metapher vom Vaterland, das nur ein zufälliger Fensterstock ist, aus dem man gefallen ist, zum Titel ihres Beitrags gemacht. Dort heißt es dann zu einem meiner politischen Lieblingsstücke von Brecht:

In den »Flüchtlingsgesprächen« läßt Brecht ausgerechnet zwei aus Deutschland Vertriebene über die Vaterlandsliebe sich kritisch äußern, wo der unbefangene Leser doch meinen könnte, gerade Flüchtlinge hätten eine große Sehnsucht nach irgendeinem Vaterland, mit dem sie »identisch« sein könnten – so wie die zitierten Exilanten in den USA: »Ziffel: Es ist mir immer merkwürdig vorgekommen, daß man gerade das Land besonders lieben soll, wo man Steuern zahlt… Kalle: Die Vaterlandsliebe wird schon dadurch beeinträchtigt, daß man überhaupt keine richtige Auswahl hat. Das ist so, als wenn man die lieben soll, die man heiratet, und nicht die heiratet, die man liebt… Sagen wir, man zeigt mir ein Stückel Frankreich und einen Fetzen gutes England und ein, zwei Schweizer Berge und was Norwegisches am Meer und dann deut ich drauf und sag: das nehm ich als Vaterland, dann würd ichs auch schätzen. Aber jetzt ist’s, wie wenn einer nichts so sehr schätzt wie den Fensterstock, aus dem er einmal heruntergefallen ist.«4 Mit der Metapher des Fensterstocks, aus dem man falle und den man daraufhin lieben solle, verweist Brecht auf den Widersinn, daß die Zufälligkeit des Geburtsortes eine lebenslange, nie auflösbare Bindung an diesen einen Staat bewirke.
Die fehlende Auswahlmöglichkeit des Vaterlands und die Tatsache, daß man die Zugehörigkeit durch einen individuellen Entschluß auch nicht einfach kündigen kann, verweisen auf den Zwangscharakter des Staates.
»Liebe« wird von Brecht richtig mit der gefühlsmäßigen Entscheidung für einen Menschen oder mit dem Genuß an einer oder einer Vor»Liebe« für eine Landschaft bebildert. Der damit ausgesprochene Vergleich zur »Vaterlandsliebe« demonstriert den Widerspruch: Um »Liebe« kann es sich nicht handeln. Was aber ist es dann?
Jedes Sonderinteresse an der staatlichen Zugehörigkeit – wie das von den abfällig betitelten »Wirtschaftsflüchtlingen« heute – zieht sich den Verdacht zu, nicht zuverlässig oder ehrlich, also nicht selbstlos oder »staatstragend« zu sein; in der Vaterlandsliebe akzeptiert man also sein Land ohne Vorbehalt und der Bürger demonstriert mit seiner »nationalen Identität« nicht nur seine Bereitschaft, für das Land einzutreten, sondern auch eine selbstbewußte Unterwerfung unter dessen Politik.

Soweit so gut. Nun aber zu
2 . Brecht, der Kommunist (aka Stalinist)
Als Nachtrag zu einem interessanten wenn auch völlig schrägen Projekt von Brecht (seinem Versuch das Kommunistische Manifest von Marx und Engels in Hexameter umzugießen. Was neben diesem künsterlischen Problem zum Text zu sagen wäre, empfehlen die Autoren übrigens beim GegenStandpunkt nachzulesen) stellen die Kollektivautoren B.B. als Kommunisten vor. Unter anderem mit folgendem Statement:

Er bewertete Stalin positiv, weil dieser als Staatschef der SU erfolgreich den Kampf gegen Hitler geführt hatte und seine Roten Brigaden für die Durchsetzung des Kommunismus den Faschismus besiegten, wie er es in der Kriegsfibel ausdrückt, weshalb er dem »Gespenst« bereits in den ersten Zeilen des Manifests Realität zubilligt. Insofern war er gegen diejenigen Anti-Stalinisten, die die Fehler Stalins, die auch er sah, nicht diskutierten, sondern ihn als Unperson einfach aus den Geschichtsbüchern verbannten.

Über diese Sicht auf Spanien und den Kampf gegen Franco kann ich nur empört den Kopf schütteln. Denn weithin, selbst bis zu Ken Loach, um einen anderen ernsthaften linken (letztlich aber sozialdemokratischen) politischen Künstler heranzuziehen („Land of Freedom“), ist der Vorwurf gegen Mielke und seine Genossen damals, dass sie mit ihrer barbarischen Volksfrontpolitik gegen linke Militante gerade jegliche „Durchsetzung des Kommunismus“ nicht nur objektiv sondern auch vorsätzlich verhindert haben.

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. bilbo
    18. August 2007, 14:03 | #1

    „Mit der Metapher des Fensterstocks, aus dem man falle und den man daraufhin lieben solle, verweist Brecht auf den Widersinn, daß die Zufälligkeit des Geburtsortes eine lebenslange, nie auflösbare Bindung an diesen einen Staat bewirke.“
    Nicht auf die Zufälligkeit wird da verwiesen, sondern auf den Schaden, den das Heimatland beschert und das man, genau deswegen lieben soll.

  2. bilbo
    18. August 2007, 14:18 | #2

    Kannst du mal deinen Einwand deutlicher machen. Willst du sagen, der Brecht hätte den Stalin nicht für die Durchsetzung des Kommunimus loben dürfen, weil der Stalinkommunimus (siehe Mielke) gar kein Kommunimus war. Kannst du mal erklären, wie in dem Zitat Spanien vorkommt und gegen wen dein Kopfschütteln sich richtet.Gegen Brecht oder die Buchautoren.

  3. 18. August 2007, 17:41 | #3

    Spanien kommt da über die „Roten Brigaden“ vor.

  4. Neoprene
    18. August 2007, 19:52 | #4

    zu bilbos Frage „Kannst du mal deinen Einwand deutlicher machen. Willst du sagen, der Brecht hätte den Stalin nicht für die Durchsetzung des Kommunimus loben dürfen, weil der Stalinkommunimus (siehe Mielke) gar kein Kommunimus war.“
    Meine Empörung ist in der Tat eine doppelte: Erst einmal gegenüber dem Autorenteam, das ja kein purer Literatenhaufen ist, sondern sich positiv auf Kommunismus bezieht (und dazu, parallel ja auch einiges Richtiges schreibt, dazu eventuell später noch mehr) und sicherlich auch nicht unbeleckt ist, was gerade die Diskussion um den Spanischen Bürgerkrieg angeht. Nicht umsonst ist ihnen das eines der handverlesenen Argumente für Brechts kommunistische Grundhaltung.
    Zweitens empöre ich mich immer noch, nach all den Jahrzehnten, über Mielke und seine stalinistische Soldateska, die mit dem Mantel der Republik umgehängt, in Spanien „konterevolutionär durch und durch“ aufgetreten ist. Und Brecht war eben nicht einfach „Kommunist“ mit ein paar Fehlern, die jedem mal passieren können, sondern leider ein grundlegend unverbesserlicher Stalinist. Deshalb war er nicht gleich blöder Ulbricht-Fan, sein berühmtes Zitat zum 13. Juni 1953 kennt ja jeder. Aber so einfach mit Schwamm drüber will ich das selbst heute weder Mielke noch Brecht noch heutigen Kryptostalinisten durchgehen lassen. (Ich kann bei vielen Leuten, die auch MG/GSP-Anhängern sein könnten oder es sogar sind, eh nicht auf Anhieb sagen ob die nicht doch DKPler alter Schule sind oder waren.)

  5. Wolfgang
    4. Dezember 2008, 11:18 | #5

    Bei Brecht schwingen immer die Zweifel mit, die jedem Glauben, auch dem an eine bessere Welt, an den Sozialismus, anhaften. Ich weiß nicht, warum Brecht die Widersprüche zwischen Stalinscher Politik und der Kritik der politischen Ökonomie von Marx nicht auf die Reihe brachte.
    Vermutlich hatte das seinen Grund in den praktischen Notwendigkeiten, sich zwischen hie und dort entscheiden zu müssen, sich deshalb auch bereit zu erklären, sich zu arrangieren und seine theoretischen Ambitionen dem guten Glauben an die im Prinzip für richtig erachtete Seite unterzuordnen. Das ist an dem erwähnten Kalauer von Stalins Vermächtnis, dem Sieg über den Faschismus, zu sehen: Der müsse dem allenthalben zugute geschrieben, ganz jenseits dessen, welch katastrofale Fehleinschätzung des Faschismus seitens Stalins dem vorausging, und nicht nur praktische Fehleinschätzung: eine ziemlich falsche theoretische Analyse des Faschismus (Dimitroff).
    Im übrigen ist es ein alter leninistischer Trick, seine Gegner der Kollaboration mit dem Feind des Sozialismus zu zeihen, wenn man seine (Minimal-)Vorgaben, z.B. daß Stalin eben (vor allem oder auch) was Großes geleistet hätte, nicht anerkennt. Diese bescheuerte Art ist an einer Parteinahme, nicht an einer objektiven Betrachtung der politischen Dinge interessiert. Hier wird Moral abgefragt. Die Verwechslung von Moral mit Sozialismus hatte es auch Brecht angetan (warum wäre da weiter zu fragen). Ausgerechnet ein auf Moral setzendes System wie dem realen Sozialismus mit Moral kommen zu wollen, darauf verstand sich eben auch Brecht und das macht ihn für bürgerliche Gemüter heute so interessant.

  6. 4. Dezember 2008, 11:49 | #6

    zu Wolfgangs

    „Ich weiß nicht, warum Brecht die Widersprüche zwischen Stalinscher Politik und der Kritik der politischen Ökonomie von Marx nicht auf die Reihe brachte.
    Vermutlich hatte das seinen Grund in den praktischen Notwendigkeiten, sich zwischen hie und dort entscheiden zu müssen, sich deshalb auch bereit zu erklären, sich zu arrangieren und seine theoretischen Ambitionen dem guten Glauben an die im Prinzip für richtig erachtete Seite unterzuordnen.“

    Das spielt ja offensichtlich bei Medienleuten eine viel größere Rolle als bei x-beliebigen Chemikern oder Straßenbahnfahrern. Ein Dramatiker ist ja darauf angewiesen, daß seine Stücke auch gespielt werden vor „seinem“ Publikum. Dazu paßt es eben nicht, wenn man als Dramatiker in entweder für einen selbst oder für die Mächtigen wichtigen Fragen andere Auffassungen hat als diejenigen, die entscheiden, ob ein Stück aufgeführt wird oder nicht und welche Antworten auf manche Fragen zulässig sind und welche nicht. Gerade die Künstler haben darüber ja Kistenweise Bücher geschrieben und Filme gemacht. Im letzten Stasi/DDR-Film „Das Leben der Anderen“ von Florian Henckel von Donnersmarck ist das ja noch ein zentrales Thema gewesen, sozusagen eine späte Replik auf István Szabós „Mephisto“.

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