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Zur Debatte über Auswirkungen des Entgeltrahmen-Tarifvertrags (ERA) der IG Metall

7. August 2007

Detlef Fendt, Leiter des IG-Metall-Vertrauenskörpers bei DaimlerChrysler in Berlin-Marienfelde, hat am 07.08.07 in der jungen Welt zur Kritik an ERA Stellung genommen:

Seit einem Jahr schlagen die Wogen hoch, wenn es um den Entgeltrahmen-Tarifvertrag (ERA) geht, besonders in der »Gewerkschaftslinken«, am wenigsten bei der Mehrzahl der Betroffenen. Für junge Welt, Neues Deutschland bis hin zum Spiegel ist klar: Die IG Metall, wenigstens ihre Führung, hat mal wieder die Interessen der Beschäftigten verraten. Bei DaimlerChrysler in Berlin-Marienfelde protestierte ein kleiner Kreis von 30 bis 90 Kollegen bei einer Belegschaft von 3300 Beschäftigten mittwochs sieben Wochen lang gegen die Umsetzung und für die Abschaffung von ERA. Sie kritisieren insbesondere den Betriebsrat, dem sie vorwerfen, diesen Protest nicht zu unterstützen bzw. ihn zu behindern.
Die ERA-Tarifverträge sind in den Tarifbezirken und auch in den einzelnen Betrieben unterschiedlich ausgehandelt worden. In den Daimler-Chrysler-Werken gilt die Vereinbarung von Baden-Württemberg. Als die ersten ERA-Tarifverträge nach über zehnjährigen Verhandlungen 2003 abgeschlossen wurden, wollten die Unternehmer sie als Kostensenkungsprogramme mißbrauchen. Montagetätigkeit sollte zum Beispiel unter Facharbeiterqualifizierung bezahlt werden. Die Differenz zwischen den Forderungen des Arbeitgebers und der Beschäftigtenvertreter lag bei drei Entgeltgruppen.
Im Sommer 2004 sollte bei Daimler die C-Klassenproduktion aus Kostengründen von Sindelfingen nach Bremen verlagert werden. Damit standen über 10000 Arbeitsplätze in Sindelfingen zur Disposition. Auf diesen Erpressungsversuch des Managements reagierten die Daimler-Belegschaften in allen Werken solidarisch mit Streik­aktionen. Mit dieser Standortsolidarität setzten sie konzernweit eine »Zukunftssicherung« durch, in der ERA ein Bestandteil ist. Ihnen folgten Opel, Siemens, BSH, usw. In dieser »Zukunftssicherung« wurde festgelegt, daß es eine Kündigungsschutzgarantie für alle Beschäftigten bis 2012 im Konzern bei entsprechenden Investitionen gibt, und eine reale Entgeltabsicherung, die tarifdynamisch bis Ende 2012 gilt. Dann wirkt sie als Ergänzungstarifvertrag bis 2017 nach. Damit – und dies ist besonders wichtig – sind auch die übertariflichen Löhne und Gehälter, die bei Daimler gezahlt wurden, tariflich abgesichert. Diese übertariflichen Bestandteile (cirka 20 Prozent) wurden seit langer Zeit vom Managements heftig angegriffen.
In Berlin wurden über 30 Prozent der Belegschaft so eingruppiert, daß ihr Entgelt höher ist als ihr bisheriges Einkommen. Der Umkehrschluß, daß damit fast 70 Prozent weniger Entgelt bekommen, ist nicht zutreffend. Dem Unternehmen gelang es jedoch, Tendenzen der Belegschaftsspaltung mit in die Vereinbarung aufzunehmen. So werden Beschäftigte mit Eintritt nach 2004 mit sechs Prozent geringerem Entgelt eingestellt – aber immer noch weit über Tarifniveau. Der Grundsatz »gleiche Arbeit – gleiches Entgelt« wird hier erneut von der Unternehmensseite unterlaufen, eine Spaltung der Belegschaft vorangetrieben.
Natürlich versucht die Kapitalseite, den Tarifvertrag zu ihren Gunsten zu nutzen. Das aber ist kein ERA-Phänomen. ERA ist wie alle anderen Tarifverträge das Ergebnis von Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital. ERA wurde erkämpft und verhandelt und muß nun zum Leben erweckt und umgesetzt werden. Es gilt immer noch der Grundsatz: Tarifverträge, egal ob es um Urlaub, Arbeitszeit oder Löhne geht, müssen zweimal erkämpft werden. Das erste Mal in der Auseinandersetzung der Tarifvertragsparteien und das zweite Mal bei der Umsetzung auf betrieblicher Ebene zwischen Belegschaften und Unternehmensleitungen.
Man kann nicht von guten oder schlechten Tarifverträgen reden, denn sie sind Ausdruck des Kräfteverhältnisses. Krupp bleibt Krupp und Krause bleibt Krause, solange nicht die Besitzverhältnisse verändert werden. Damit ist klar, daß es nicht nur um Tarifverträge gehen kann und daß die Machtverhältnisse nicht in diesem System gelöst werden können. Es geht um Klassenkampf, um den Angriff des Kapitals auf unsere Lebensbedingungen. Es geht um mehr Leistung in immer kürzerer Zeit, um Steigerung des Wachstums der Produktivkräfte, das zu einer immer größeren Herrschaft des Kapitals führt. Gleichzeitig führt die Vereinfachung der auszuführenden Arbeit zur vermehrten Konkurrenz unter den Beschäftigten. Das wird genutzt, um den variablen Lohnanteil abzusenken mit dem Ziel, sich immer größere Anteile des Mehrwerts anzueignen. Dem setzen im Augenblick nur die Gewerkschaften Widerstand entgegen. Unter diesem Aspekt sollte auch ERA gesehen werden.
Das alte Lohn und Gehaltssystem war der Gnade der Arbeitgeber ausgeliefert. Besonders in Kleinbetrieben ohne Interessenvertretung und bei Produktionsveränderungen. Mit ERA wird ein 40 Jahre altes Bewertungs-, Lohn- und Gehaltssystem abgelöst und an die aktuellen Arbeitsbedingungen angepaßt. Während der betrieblichen Umsetzung ist mit Betriebsrat und gewerkschaftlichen Vertrauensleuten kritisch innergewerkschaftlich über »Erpreßwerk«, »Zukunftssicherung« und ERA diskutiert worden. Es gibt seither keine gewerkschaftliche Versammlung, auf der nicht über ERA berichtet und gestritten wurde und wird – dieser Streit ist notwendig und hat in einer die Gewerkschaft stärkenden Weise zu erfolgen. Nicht sinnvoll ist allerdings, ERA vor dem Arbeitgeber wider besseres Wissen als Lohnraub zu bezeichnen und die Aussetzung oder Abschaffung des ERA-Tarifvertrages zu fordern. Die Schlußfolgerung wäre, daß IG Metall und Unternehmer gemeinsam Lohnraub betreiben.
Die Belegschaften sind ein Spiegelbild der gesellschaftlichen Verhältnisse. Es ist Aufgabe, den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Belegschaft zu suchen und ihn als Grundlage eines Zieles gemeinsam voranzutreiben. Es geht darum, die Bedingungen zu verändern, stärker zu werden, Kollegen zu organisieren, Erfahrungen gemeinsam zu machen und Erfolge gemeinsam zu erreichen. Oder gibt es nur ein Ziel, ohne Zwischenstationen, an denen wir uns aufhalten, keine Kompromisse schließen, die den Sieg nur vertagen und die Abhängigkeit und Ausbeutung verlängern?

Es sind immer wieder die gleichen Versatzstücke aus dem „Argumente“-Koffer dieser Arbeitervertreter, die hier auch Kollege Fendt wieder mal vorträgt:
– Die „Linken“, die gar keine sind, sondern wie der Spiegel eigentlich Gegner
– Natürlich ist es für viele schlechter, aber doch nicht für alle
– ERA ist wie alle anderen Tarifverträge das Ergebnis von Auseinandersetzung zwischen Arbeit und Kapital. ERA wurde erkämpft und verhandelt und muß nun zum Leben erweckt und umgesetzt werden, da fällt leider schon mal was unter den Tisch
– Man kann nicht von guten oder schlechten Tarifverträgen reden, denn sie sind Ausdruck des Kräfteverhältnisses
– Damit ist klar, daß es nicht nur um Tarifverträge gehen kann und daß die Machtverhältnisse nicht in diesem System gelöst werden können
– Mit ERA wird ein 40 Jahre altes Bewertungs-, Lohn- und Gehaltssystem abgelöst und an die aktuellen Arbeitsbedingungen angepaßt
– Dieser Streit ist notwendig und hat in einer die Gewerkschaft stärkenden Weise zu erfolgen. Nicht sinnvoll ist allerdings, ERA vor dem Arbeitgeber wider besseres Wissen als Lohnraub zu bezeichnen
– Es ist Aufgabe, den kleinsten gemeinsamen Nenner in der Belegschaft zu suchen und ihn als Grundlage eines Zieles gemeinsam voranzutreiben
Da bleibt dann als i-Tüpfelchen auch die unernste Frage übrig:

Oder gibt es nur ein Ziel, ohne Zwischenstationen, an denen wir uns aufhalten, keine Kompromisse schließen, die den Sieg nur vertagen und die Abhängigkeit und Ausbeutung verlängern?

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