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Die Tondokumente von den RAF-Prozessen

4. August 2007

Ich bin eigentlich ein recht hart gesottener Mensch, politisch und auch sonst, ER zum Frühstück macht mir zum Beispiel überhaupt keine Probleme. Aber ab und zu trifft es einen eben doch, vor allem wo ich die bleierne Zeit der RAF noch persönlich miterlebt habe (ein Freund von mir hat sich damals z.B. mal von Klaus Croissant verteidigen lassen, als der noch nicht der RAF-Anwalt geworden war):
Bisher unveröffentlichte Originaltöne von Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Ulrike Meinhof und Jan-Carl Raspe aus den Stammheim-Prozessen, die im Staatsarchiv Ludwigsburg aufbewahrt wurden, hat nämlich jetzt der SWR2 der Öffentlichkeit zugänglich gemacht. (Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe waren Anführer der Rote Armee Fraktion (RAF) in der ersten Generation.)
Bei den veröffentlichten O-Tönen handelt es sich um einmalige historische Dokumente, die zwischen Oktober 1975 und Mai 1976 während der RAF-Prozesse in Stuttgart-Stammheim aufgenommen wurden.
Zu hören ist unter anderem die letzte Aussage von Ulrike Meinhof vor ihrem Selbstmord, ein Statement von Andreas Baader, von dem bisher keine Originaltöne bekannt waren, zum Thema Isolationshaft, Jan-Carl Raspe zu den Haftbedingungen und Gudrun Ensslin zur Verantwortung der RAF.
Da der swr-Server ab und zu überlaufen ist, habe ich die Ton-Schnipsel aufgenommen und hier gespiegelt: Baader, Raspe , <a Meinhof, Ensslin). Das folgende sind die offiziellen Gerichtsprotokolle zu den Schnipseln.
Andreas Baader zum Thema Isolationshaft
Andreas Baader kritisiert am 28. Oktober 1975 während des Stammheim-Prozesses die Isolationshaft.

„Das ist nämlich einer der Ablehnungsgründe, dass Ihre Disposition die ist, und das ist uns heute Morgen klipp und klar mitgeteilt worden: Die Alternative für uns ist die Möglichkeit zeitweiligen, wie es heißt, rechtlichen Gehörs hier, Anwesenheit in der, in der, in dieser Veranstaltung hier, und dafür den Preis zu zahlen, fünf oder sechs Stunden Isolation da unten in den Zellen. Oder drüben Umschluss, das heißt, diese minimalen Modifikationen der Isolation, die Sie drüben eingeräumt haben. Und wir haben also, was Sie großartig öffentlich haben verkünden lassen, das haben Sie im Zusammenhang mit der Fortsetzung der Hauptverhandlung vollständig wieder liquidiert. An drei Tagen in der Woche, drei Tagen in der Woche ist hier Verhandlung, findet praktisch kein Umschluss statt, findet kein Hofgang statt, schon gar kein verlängerter, ist die Situation der Gefangenen die, dass sie in schallisolierten, schalltoten fensterlosen Zellen vier oder fünf Stunden am Tag sich aufhalten müssen. Und zwar vollständig isoliert, also auch der Umschluss zu zweit, den Sie ja inzwischen zugestanden haben, ist da unten wieder liquidiert, wie wir festgestellt haben heute. (…)
Na ja. Aber wir machen das kurz. Ablehnung, das ist ja sowieso eine Lächerlichkeit bei dem Senat … man wird ihn in jedem Fall hier nicht loswerden. Aber dazu wollte ich einfach nur mal kurz feststellen: Wir sind sicher, Prinzing , dass Sie hier auch an Ihrem eigenen Urteil arbeiten.
Der Versuch, in diese Verhandlung hier Ihren politischen Inhalt, in dieser Verhandlung Ihren politischen Inhalt zu artikulieren, und Ihre Methoden und Ihre Bedeutung stützt sich auf den Widerspruch, wesentlich, zwischen Ihrem Beschluss, in dem Sie versucht haben, uns loszuwerden, uns aus der Verhandlung zu drängen hier, nach allen anderen Versuchen, die Verteidigung zu zerschlagen in diesem Verfahren und die Gefangenen verteidigungsunfähig zu machen, auch noch den Versuch, abrupt die Anklagebank leerzuräumen, um nicht hier mit dem, was wir zu sagen haben, konfrontiert zu sein, und dem Beschluss, äh, des Bundesgerichtshofs. Also, in diesem Widerspruch zwischen diesen beiden Beschlüssen, ist er ja zum Teil begründet.
Er ist auch wesentlich darin begründet, und ich nehme an, dass ich das heute nicht zu Ende bringen kann, dass Sie Ihren Beschluss auf Fälschungen stützen, explizit Fälschungen – und zwar bewusste Fälschungen, auf Verfälschungen und auf falsche Zuordnungen. Das sind so die drei Muster. Ich würde das für einen zwingenden Ablehnungsgrund halten, weil durch diese Methodik klar wird, dass Sie auch in der Beweisaufnahme so verfahren werden. Also insofern sind beides Ablehnungsgründe, die Verfälschungen, das heißt die Methode eines Gerichts, mit Verfälschungen einen Beschluss zu begründen, der die Gefangenen jeglichen rechtlichen Gehörs, jeglicher Verteidigungsmöglichkeit berauben soll. Und natürlich auch der ungesetzliche Ausschluss in diesem Beschluss selbst.“

Jan-Carl Raspe äußert sich zu den Haftbedingungen
Erklärung von Jan-Carl Raspe zu den Haftbedingungen am 28. Oktober 1975.

„Ich stell zunächst mal nur fest, dass Ihre Methode der Verhandlungsführung heute tatsächlich auch ´ne neue Qualität angenommen hat. Was Sie hier tun, ist tatsächlich nur noch: Deckel drauf! Aber ansonsten fahre ich fort mit der Begründung der Ablehnung.
Falsch ist, dass die Auswirkungen der Isolation den verantwortlichen Stellen verdeckt geblieben wären. Nichts war verdeckt.
Es gab Januar ’73 die Stellungnahmen von drei Gefängnisärzten in Ossendorf, als Ulrike seit siebeneinhalb Monaten im Trakt war, die ohne Untersuchung erklärten: Psychosomatische Schäden sind bei der Art von Unterbringung, nämlich in akustischer Isolation, unvermeidlich. Aus psychiatrischer Sicht sei die Grenze der Belastbarkeit erreicht, einfach weil die Auswirkungen der Isolation angefangen hatten, sichtbar zu werden.
Ulrike konnte bei Besuchen nicht mehr sprechen. Außerdem ist in unzähligen Anträgen der Anwälte auf Ärzte unserer Wahl auf Aufhebung der Isolation erklärt und mit präzisen wissenschaftlichen Argumentationen nachgewiesen worden, dass die Auswirkungen der Isolation für jeden nach einer bestimmten Zeit katastrophal sind. Wie Wunder hier, als er seinen Schließmuskel mal wieder nicht halten konnte, selbst gesagt hat, Isolation ist eine Frage der Zeit.“

Ulrike Meinhof zum Ausschluss von Wahlverteidigern
Erklärung von Ulrike Meinhof zum Ausschluss von Wahlverteidigern

„Ich will mal sagen, es sind drei Ausnahmegesetze für das Verfahren gemacht worden. Und alle drei Verfahren, alle drei Ausnahmegesetze, Sondergesetze, sind in diesem Verfahren exemplarisch gebrochen worden, durch eine extensive Ein-, extensive Auslegung, von der also jeder sehen kann, dass es dabei nicht mehr um irgend wie eine Anwendung von Gesetzen geht, sondern um die Exekution bestimmter, oder um die Durchsetzung bestimmter Ziele, die Rationalität überhaupt nirgendwo mehr haben, in irgendeiner Form, höchstens in der Absurdität, noch als irgendwie rechtsstaatlich behauptet zu werden.
Rational und logisch ist das, was Sie hier machen, indem Sie also bei Andreas den fünften beziehungsweise sechsten Anwalt rausfeuern, logisch und rational ist das präzise, das Vorgehen und die Struktur eines Kriegsgerichts, beziehungsweise, hier ist es vielleicht genauer zu sagen: eines Polizeigerichtsverfahrens.
Indem Prinzing natürlich ein Interesse daran haben muss, dass die Verteidigung sich unter gar keinen Umständen, die er zerschlagen hat, sich unter gar keinen Umständen wieder rekonstruieren kann, aus dem einfachen Grund, dass er natürlich öffentlich, vor der Öffentlichkeit des Verfahrens, je mehr er in diese aufgetürkte und lächerliche Beweisaufnahme reinkommt, Angst haben muss. Aber ich stelle einfach noch mal fest: Bei Andreas sind Croissant, Ströbele, Groenewold ausgeschlossen worden übers Verteidigerausschlussgesetz und auf einem Weg, und aus dem ganzen Verfahren ausgeschlossen, auf einem, auf dem Weg einer Interpretation, die das Gesetz, äh, und, also dann noch mal, um den Fall Andreas, um die Sach…, um dieses Ziel, bei Andreas alle Anwälte wegzuknallen, gebogen worden ist.
Haag ist illegalisiert worden und auf diese Weise hat Andreas ihn als Anwalt verloren. Gegen Heldmann läuft inzwischen ein Ehrengerichtsverfahren, und zwar läuft es in Frankfurt bei dem Ehrengericht der Anwaltskammer, von dem Bransch, der Vorsitzende dieses Vereines vor ein paar Monaten im Rahmen einer Rundfunkdiskussion einmal gesagt hat, dass jetzt die Ehrengerichte mit Anwälten besetzt wären, die bereit sind, exekutive Funktionen für die Bundesanwaltschaft zu übernehmen. Im Gegensatz zu denen, die diese Funktion bisher gehabt haben, und die damit gezögert haben, den Säuberungsprozess im Sinne des Staatsschutzes der Anwaltschaft durchzuführen. Bei einem solchen Ehrengericht läuft also jetzt das Ehrengerichtsverfahren gegen Heldmann, das wäre der Fünfte. Und Temming ist der sechste Anwalt, den Sie bei Andreas ausschließen wollen.
Und da kann man einfach kurz sagen: Das Ziel hat eben mit allen diesen albernen und lächerlichen Begründungen, Bundesverfassungsgericht und so ’nem Scheiß, überhaupt nichts zu tun. Es hat überhaupt nur mit den polizeitaktischen Zielen, die die Bundesanwaltschaft hier verfolgt und die Herold mal auf den Begriff gebracht hat: ‚Zellen dicht zu machen‘, was zu tun. Und es hat damit was zu tun, dass sie das ganze Verfahren hier in den letzten drei Monaten auf Andreas zuspitzen, weil es ein polizeitaktisches Ziel natürlich in Counter-Insurgency-Auseinandersetzungen und im Anti-Guerilla-Krieg ist, die Köpfe abzuschlagen. Und das meinen wir ganz konkret und wissen ja auch, dass es schon versucht worden ist.“

Andreas Baader gegen Ladung Nixons als Zeugen
Andreas Baader bezieht Stellung zum Antrag der Verteidigung, den ehemaligen US-Präsidenten Richard Nixon als Zeugen zu laden

„Ja, ich finde das auch sehr erstaunlich, denn das ist ja eigentlich eine Erklärung, die eine erhebliche Relevanz hat. Sie haben, ich stelle das hier nochmals fest, Sie haben ignoriert, was wir hier zwei Tage lang vorgetragen haben. Nämlich die Darstellungen von Verantwortung und Verantwortlichkeit, bezogen auf Ihr Ritual hier. Und sie ignorieren es jetzt wieder, das heißt Sie versuchen, eine einfache Erklärung dazu, drei Sätze, die im Grunde wirklich das Ungeheuer, dem Sie hier vorsitzen, füttert, die unterbinden Sie einfach. Das ist wirklich sehr interessant. Wir glauben inzwischen, dass Sie diesen Prozess hier gar nicht abkürzen können.
Nun hören Sie doch mal auf zu grinsen!
Egal, was immer sich hier ereignet, gar nicht abkürzen können, weil er tatsächlich vollkommen bestimmt ist von der Dramaturgie des Bundestagswahlkampfes. Darauf ist dieser Prozess bezogen, das ist anzunehmen zumindest. Deswegen ist gar nicht relevant, was hier gesagt wird, was hier für Zeugen auftreten, das alles spielt überhaupt keine Rolle. Es läuft, es rollt die leere Fassade.
Aber ich wollte noch mal sagen: Die Anträge sind möglich, weil sie zwei Zusammenhänge vermitteln. Sie fassen, erstens, wenn es überhaupt juristisch möglich ist, etwa die Widersprüche, aus denen sich diese Politik sich entwickelt hat und überhaupt möglich war. Und sie machen, zweitens, im Ansatz transparent, was der Gegenstand dieses Verfahrens ist, genauer, was der Gegenstand rechtlicher Erwägungen hier überhaupt nur sein könnte. Nämlich die totale Bestimmung, Kontrolle und Verfügung dieses Staates nach innen und außen, Verfügbarkeit dieses Staates nach innen und außen für die Weltinnenpolitik, des Hegemonialen, des US-Kapitals. Das heißt die zentrale strategische Funktion der Bundesrepublik als ökonomisches, politisches und militärisches Sub-Zentrum des amerikanischen Imperialismus, hier entwickelt, an seiner Funktion erstens für die offene Aggression gegen die Völker der Dritten Welt, konkret an Vietnam, und zweitens die verdeckte Aggression gegen die Staaten der westeuropäischen Peripherie.
Aber juristische Kategorisierungen sind nur kodifizierter Ausdruck realer Machtverhältnisse. Die Anträge der Verteidigung werden also, wie sich das in Ihrer ganzen Geste schon andeutet, unmittelbar natürlich hilflos sein. Das infame Ritual hier wird sich über die Argumentation wälzen, als wäre sie überhaupt nicht gesprochen werden. Und auch nicht gesprochen worden, so sehen wir sie nämlich, als ein Reflex, wenn auch ein schwacher, des globalen Klassenantagonismus, der das gesamte politische Leben in den kapitalistischen Metropolen und wesentlich in der Bundesrepublik seit sechs Jahren militarisiert hat – ein Ausdruck dieser Militarisierung ist dieses Gericht und seine Verfahrensweise.
Aber dass Worte überhaupt keine Evidenz mehr haben, spricht nur über die Evidenz der Politik, der Aktion, die Sie hier verurteilen sollen. An ihr halten wir ganz sicher fest. Und wir stellen das hier nur noch mal fest: Sie genau ist es, die die monströse Unwirklichkeit des Projekts, dieser Staatsschutzküche definiert, wie sie hier seit zwölf Monaten tagt. Tatsächlich hat gegenüber der verdeckten Konzeption dieses Verfahrens ein faschistischer Militärgerichtsprozess wenigstens die Würde der Eindeutigkeit einer Maßnahme, die sich zu ihren Mitteln bekennen kann.“

Erklärung von Gudrun Ensslin zu Anschlägen der RAF
Gudrun Ensslin erläutert, worin ihrer Meinung nach die Verantwortung der RAF besteht.

„Wenn uns an der Aktion der RAF ’72 etwas bedrückt, dann das Missverhältnis zwischen unserem Kopf und unseren Händen und den B-52. Hier noch mal einfach: Wir sind auch verantwortlich für die Angriffe auf das CIA-Hauptquartier und das Hauptquartier des 5. US-Korps in Frankfurt am Main und auf das US-Hauptquartier in Heidelberg, insofern wir in der RAF seit ’70 organisiert waren, in ihr gekämpft haben und am Prozess der Konzeption ihrer Politik und Struktur beteiligt waren. Insofern sind wir sicher auch verantwortlich für Aktionen von Kommandos, zum Beispiel gegen das Springer-Hochhaus, deren Konzeption wir nicht zustimmen und die wir in ihrem Ablauf abgelehnt haben.
Zu erwägen ist nicht ein Widerstandsrecht in der Bundesrepublik, wie es hier nicht um Rechte geht, sondern was die Politik der RAF ausdrückt, ist das Bewusstsein der Pflicht zum Widerstand in der Bundesrepublik. Und das exakt war zwei Tage lang der Inhalt unserer Erklärung zur Sache, wie das heißt.
Also nicht nur die Erklärung von Verantwortung, sondern was Verantwortlichkeit gegenüber imperialistischer Politik nur sein kann: Widerstand, Kampf. Das hat der Text, der im Januar hier gekommen ist, artikuliert. Das Gericht hat ihn ignoriert. Eine Reaktion, die nur zwei Deutungen zulässt: Sie haben nichts verstanden, aber wahrscheinlicher: Prinzing darf die Veranstaltung nicht abkürzen, weil sie von der Dramaturgie des Bundestagswahlkampfes bestimmt ist.“

Politisch war und ist mir das recht fern, überrascht hat mich die bittere Nüchternheit, mit der die RAFler in diese Prozesse reingegangen sind, vor allem ablesbar bei Baaders ersten Ausführungen. Es gab mal Zeiten, da galt die verbreitete Parole „Freiheit für alle politischen Gefangenen!“ auch für die RAFler. Jetzt gilt sie zumeist gar nicht mehr. Und damals wie heute dem Staat natürlich sowieso.

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