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Eine Demonstration, da zeigt man den Herrschenden hinter dem Zaun den Arsch

3. Juni 2007

Jonas Köper vom GegenStandpunkt hat am 31.05.2007 in Bremen seinen Vortrag zum Thema „Der G8-Gipfel und seine Gegner“ (download bei argudiss) mit folgenden Hinweisen eingeleitet, die ich deshalb hervorheben will, weil sein Verständnis vom Sinn und Zweck von Demonstrationen im allgemeinen und gerade jetzt der G8-Proteste so arg wenig verbreitet und geteilt ist.

Als ich zu diesem Thema neulich in einer anderen Stadt referiert habe, gab es eine Bestürzung, wie man so was überhaupt machen: In dieser Situation die Bewegung gegen an G8 mit kritischen Anmerkungen zu versehen. Deshalb hierzu eine schlichte Vorbemerkung: Wir würden es vom GegenStandpunkt überhaupt für überflüssig befinden, eine eigene Veranstaltung zu dem Thema zu machen, wenn wir mit allem einverstanden wären, was diese Bewegung so denkt und macht. Das machen wir überhaupt bloß deswegen, weil wir zu der Auffassung gelangt sind, da gibt es politische Fehler bei denen. Und diese politische Diskussion zum Zwecke der Klärung, die wollen wir mit so einer Diskussionsveranstaltung anrichten.
Man kann den G8-Staaten ziemlich viel anlasten beim Blick auf die Welt und die Zustände in der Welt. Und das tut diese Bewegung, die die Demonstration da in Heiligendamm und Rostock usw. organisiert, das tun die auch. … Da kann man nicht widersprechen, die Fakten, die sind alle so und die sind auch charakteristisch für die Lage auf der Welt. Aber politisch entscheidet sich doch jetzt alles an Antworten auf zwei Fragen: die erste Frage heißt: Warum ist es denn so? Und nicht nur, warum ist es so, sondern genau hingeschaut, wie sind denn die Gründe beschaffen, die ich ermitteln kann für diese Zustände? Entdecke ich da eher so was wie eigentlich nicht unbedingt notwendige Ausrutscher, Missstande? Oder entdecke ich, diese Zustände haben System, haben systematische Gründe in der politischen, ökonomischen Beschaffenheit der Verhältnisse auf dieser Welt.
Das wäre die eine Frage, die man dringend beantworten muß, wenn man auf die zweite Frage sich eine korrekte politische Antwort herleiten will. Die heißt nämlich, was folgert man aus den ermittelten politischen Gründen? Für welche Ziele stellt man sich auf? Wie stellt man sich auf? Im engeren Sinne auch, mit welchen Aussagen demonstriert man? Und da liegt – und das will ich einleitend aufwerfen – der politische Haken in dieser Anti-G8-Bewegung. Diese Bewegung, und so kommen dann auch solche Aufrufe zustande, solche gemeinsamen Aufrufe, einigt sich auf diese politische Lagebeschreibung, auf dieses Deuten auf die üblen, zweifellos üblen Zustände in der Welt. Auf das negative Urteil über diese Verhältnisse. Und sie tut dann so, als sei mit dieser politischen Auffassung, mit dieser politischen Einigung die politische Frontstellung eigentlich auch schon geklärt. Dieser gemeinsame Demo-Aufruf selber, in der Passage allein, die ich vorgelesen habe, der kombiniert, bei näherem Hinschauen, gar nicht verträgliche politische Lagedefinitionen und Schlussfolgerungen. Gar nicht verträgliche politische Frontstellungen.
Und das komische: In dieser Bewegung will man gar nicht entscheiden, was die wirklich angemessene politische Linie in dieser Weltlage wäre. Man will da gar nicht entscheiden, ob es sich da handelt um korrigierbare Ausrutscher – so argumentieren Leute in dieser Bewegung, die sagen, das sind Unterlassungen in der Politik, die dafür verantwortlich sind, dass die Lage so aussieht, wie sie aussieht, so argumentiert die Gewerkschaftsjugend in dieser Bewegung, so argumentieren die Parteijugendlichen, von den Grünen und so weiter – womit sie eben eine Demonstration eigentlich darauf festlegen, dass man die herrschende Politik als Adresse für korrigierende gute Taten anspricht. Das sind solche Sätze wie: Trotz der vollmundigen Versprechungen von G8-Gipeln haben sie die Schulden gar nicht so sehr gesenkt!
Es gibt eine andere Linie, die führt die Zustände in dieser Welt eher auf so etwa wie Untaten der Politik zurück. So argumentieren oft die ATTACler, auch Autonome. Mit Untaten meine ich das Charkterisieren politischer Maßnahmen und Zielsetzungen als Abweichungen von etwas, was eigentlich politisch korrekt wäre. Sagen wir mal so etwas wie politisches Delinquententum. Wenn sie ganz radikal sind, greifen sie zu diesem Begriff. Verbrecher. Und diese politischen Delinquenten, die wollen sie blamieren und die wollen sie konfrontieren mit der Masse unzufriedener Bürger, die sie als Demonstration organieren.
Publikum: Du hast eingangs behauptet, sie würden sich auf eine abstrakte politische Lagebeschreibung beschränken, getrennt davon, welche politischen Absichten sie dagegen demonstrativ praktizieren wollen. Jetzt hast du aber eben erzählt, da ist schon eine politische Wertung enthalten, dahingehend dass sie aus der politischen Lagebeschreibung schon Schlussfolgerungen gezogen haben.
Jonas Köper: Habe ich auch, und machen mir bitte daraus keinen Widerspruch, diesmal hast du nicht genau zugehört: Es ist so das ich gesagt habe, es ist charakteristisch für diese Bewegung, dass sie sich ganz viel Mühe gibt ihre politische Einigkeit festzuhalten in den deuten auf die schlechten Zustände. Und so tut, als wäre damit die politische Richtung schon fertig. Und jetzt habe ich fortgesetzt, die leisten sich den Widerspruch, unter dieser Einigkeit lauter unverträgliche Auffassungen über die Gründe und insofern auch darüber, wie man sich aufstellen muss zusammen zupacken und tun so als könnten sie es vermeiden, was zu klären. Das war deren Widerspruch nicht meiner.
Ich mache die dritte Position noch durch, es gibt in den Reihen auch sehr radikale Leute, passend zu autonome, Linksradikale, die greifen schon auch mal zu der Ursachenanalyse, nein die Zustände auf der Welt die gehen auf Taten und herrschende Interessen zurück, nicht auf Abweichungen von eigentlich fälliger Politik, sondern auf das Befolgen von den Zielsetzungen von deren Politik. Das sind solche Sätze wie: “ Sie sind Vorreiter einer auf Krieg gestützten Weltordnung, die in vielen Ländern Zuflucht Vertreibung usw. führt.“ Ja, da sagt man, ich habe einen positiven Grund für diese schlechten Zustände entwickelt, entdeckt, was die Herrschenden an wesentlichen Interessen haben. Dann macht man übrigens eine Demonstration, da zeigt man den Herrschenden hinter dem Zaun den Arsch und hat zum Adressaten eigentlich nicht die, jetzt komm ich zu langsam zu den Unverträglichkeiten, sondern hat als Ansprechpartner die Bevölkerung, auch übrigens die eigene Bewegung. Und versucht denen zu erläutern, was für eine politische Auffassung über die Zustände und ihre Gründe man hat. Und versucht sie dazu zu gewinnen.
Zurück zur Bewegung, die hält es stattdessen wesentlich möglichst viele zu vereinen und damit zu punkten. Und sie rechnet sich das als die große politische Tugend an. Sie unterlässt die Entscheidung der Frage, mit welchem Ziel man ihm will man punkten? Und kommt um diese Frage eigentlich gar nicht herum. Bei den deuten auf solche üblen Zustände in der Welt gibt es eigentlich gar keine Frontstellung, da sind eigentlich alle in einem Boot, es ist noch nicht einmal so, dass der Busch oder die Merkel bestreiten würden, was es in der Welt Hunger, Kriege, Flüchtlinge gibt, und dass das keine schönen Zustände sind. Es kommt doch wirklich jetzt darauf an, wie man sich dazu stellt, und da ich gesagt, sind schon die politischen Konsequenzen der Demonstranten untereinander unverträglich, und das will ich ganz kurz zusammenfassen, worin diese Unverträglichkeit liegt:
Man kann doch nicht auf der einen Seite sagen, das sind die Herren über eine auf Krieg gestützte Weltordnung, in der es zum Regelfall gehört, dass Kinder, Migranten usw. zu Tode kommen, an Hunger, auf der Flucht. Man kann das doch nicht auf der einen Seite sagen, und auf der anderen Seite sich mit Leuten vertragen, die an genau diese Kriegsherren und Flüchtlingsschinder appellieren und ihnen sagen, macht doch mal endlich, was ihr versprochen habt!

Kategorien(1) MG + GSP Tags:
  1. moritz
    3. Juni 2007, 19:40 | #1

    Nahezu alle der Beteiligten der gerade bei Indymedia laufenden Gipfel-Debatte geben sich wirklich die allergrößte Mühe, die Korrektheit der Ausführungen zur „Gewaltfrage“ im GS-Artikel „Antiimperialismus heute“ (Punkt IV) zu bebildern.:-)

  2. Neoprene
    3. Juni 2007, 21:49 | #2

    Da hätte man vorher auch eine Uhr für stellen können. Wieso sollte es auch nach der Demo politisch anders weitergehen als vor der Demo?

  3. moritz
    4. Juni 2007, 15:07 | #3

    Statements zum G8-Gipfel und zur Demo am Samstag von TOP Berlin (ums Ganze!) und ALB (Interventionistische Linke).

  4. 4. Juni 2007, 19:07 | #4

    Übrigens: Machen nicht die Autonomen auch an der „Delegitimierung“ des G8-Gipfels rum? Allerdings völlig anders, nämlich rein negativ (und exemplarisch). So, wie ich die kenne, wollen sie die Staatsmacht nicht als das behandeln, was sie ist (Gewaltmonopol), sondern einfach als eine Form von Gewalt. Die abstrahieren vom Gewaltmonopol und wollen den Arm der Staatsmacht als Schläger behandeln, wie Privatleute. „Niemand hat das Recht, anderen zu sagen…“ etc. Sie sehen die Gewalt, ohne es durch das Recht zu legitimieren und wollen sich dann dagegen wehren – und wollen gleichzeitig der Staatsmacht zudem praktisch ihre Legitimität absprechen, indem sie zeigen, dass sie denen auch wehtun können. (Daher sind für Autonome auch immer die „Bullen“ die Provokanten, schließlich zwingen sie als erstes etc. Und daher sind für die Bürger die Autonomen die Provokanten, denn es müsste schon ungerechtfertigte, gesetzesüberschreitende „Polizeigewalt“ sein, damit man es Provokation nennen darf…)
    Da liegt dann auch ihr Fehler: Die Gewalt des Staates ist nicht dadurch aus der Welt zu schaffen, dass man sie als ungerechtfertigt behandelt, dafür müsste man schon deren Grundlage entziehen und sich des Staatszwecks entledigen – dann bräuchte man aber auch nicht mehr das Monopol als „auch eine Gewalt“ behandeln, da es das nicht mehr gibt. Die praktische Absprechung der Legitimität, die die Autonomen vorhaben muss zwangsläufig symbolisch bleiben, da der Staat sein Monopol auf Gewalt immer wieder herstellt. So bleibt die Gewalt, nur mit ein paar gebrochenen Knochen mehr…
    Stimmts?

  5. Neoprene
    4. Juni 2007, 21:50 | #5

    Mit Autonomen kenne ich mich nicht so aus, die waren für mich zumeist nur „Liberale mit nem Pflasterstein in der Hand“.

  6. moritz
    5. Juni 2007, 00:41 | #6

    Was zur „Gewaltfrage“ zu sagen ist (und zwar vor und nach dem Samstag), steht m.E. in dem o.a. Artikel. Die Diskussion über die Militanz „gewaltbereiter Autonomer“ (gibt’s die überhaupt noch?) scheint mir insofern nicht sonderlich spannend zu sein.
    Sehr viel interessanter ist da doch, was der TOPler so erzählt hat, nicht zuletzt der Hinweis, dass offenbar Teile der ehemaligen Antifa-Szene („ums Ganze!“) ernsthaft den Aufbau einer bundesweiten kommunistischen Organisation ins Auge fassen. In deren Block am Samstag sollen immerhin ca. 2.500 Menschen mitgelaufen sein …

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