Der Gipfel der G8-Staaten und seine Gegner
Der GegenStandpunkt hat folgendes Flugblatt zum G-8-Gipfel und seinen Gegnern veröffentlicht (unter anderem hier)
Die Regierung auf der einen, Globalisierungskritiker auf der anderen Seite rüsten zum großen Ereignis Anfang Juni im Seebad Heiligendamm. Deutschland ist Gastgeber der anderen großen 7 Weltmächte und eine Saison lang ihr Sprecher, der die Tagesordnung des Treffens vorgeben und nachher dessen Kommuniqué vorlesen darf. Grund genug für die Macher, die 2 Tage im Luxushotel für den wichtigsten weltpolitischen Termin des Jahres zu nehmen und ihn zum Erfolg für die Gastgeberin zu machen, und für die Gegner, alles daran zu setzen, einen solchen Erfolg demonstrativ zu verhindern.
Wird unsere Kanzlerin „eine gute Figur machen“, werden die Acht „ihrer großen Verantwortung gerecht“? Einfühlsam übernimmt die deutsche Öffentlichkeit die Selbstdarstellung der Politik: Es geht um „uns alle“, wenn die Chefs der größten Mächte sich besuchen, voreinander ihre Macht repräsentieren und einander bestätigen, die Weltmächte zu sein, auf die es ankommt. Die Macht der Großen über andere Staaten gilt da locker als edle Verantwortung für die Welt und ihre Verbesserung. Die Probleme – der Weltwirtschaft, der Armut, der Kriege, der Umweltzerstörung – wollen sie ohne eigenes Zutun vorgefunden haben; was ihre Entstehung betrifft, sind sie leider ohnmächtig. Aber zur Bewältigung dieser Probleme sind sie und nur sie berufen, da lassen sie sich von keinem die Last der Verantwortung abnehmen. Um die Probleme der Welt zu lösen, kann ihre Macht über die Welt nie groß genug sein. So viel Selbstbeweihräucherung der reichsten und mächtigsten Staaten bringt der Gipfel allemal – und dazu das Bild einer verbesserungsbedürftigen und fähigen „Weltordnung“, deren Macher zwecks Problemlösungen kooperieren müssen.
Dass es um „Lösungen“ gehen müsste: Das meinen auch die Kritiker der G8 – freilich um andere als jene „neoliberalen Konzepte“, die sie für „eine Welt der Kriege, des Hungers, der sozialen Spaltung, der Umweltzerstörung, der Mauern gegen MigrantInnen und Flüchtlinge“ verantwortlich machen. Sie nehmen die Selbstdarstellung der Großmächte als wohltätige Führungsmächte für den Inhalt ihrer Politik, bestreiten sie und wollen sie verderben, so gut es ihnen gelingt. Damit siedeln sie ihren Protest ganz auf jener ideologischen Ebene an, mit der die G8- Mächte ihre globale Konkurrenz und deren Folgen als verantwortungsvolles Weltordnen vortragen: Statt die „Probleme der Welt“ anzupacken, tut die Politik nichts oder das Falsche; statt die Verlierer des Wettbewerbs an den Früchten globaler Marktwirtschaft zu beteiligen, grenzen sie sie aus; statt die Profitgier multinationaler Konzerne und Heu schrecken zu bremsen, machen die Nationalstaaten sich zu deren Knechten. Nie wollen die Großmächte das, was sie machen; Kritik jedenfalls fängt sich ihr globales Konkurrieren um die Reichtümer der Welt – beispielsweise von Attac – als Unterlassung ein: Immer unterlassen sie das, was sich Globalisierungsgegner als ihre wahre Aufgabe erfunden haben. Die Demonstranten kritisieren die G8 als „Dominanz ohne Legitimation“ wegen ihrer angeblichen Inkompetenz zur Gestaltung einer „anderen“ besseren Welt, als gnadenlose Egoisten, total verantwortungslos gegen den Rest der Menschheit. Und so halten sie den Gipfel dann für den Ort, wo die verbündeten Reichen absprechen, wie sie die armen Länder und Leute nächstens noch besser ausplündern.
Das aber geht an dem, was die G8 auf ihrem Gipfel mit allem Pomp und Sicherheitsvorkehrungen abziehen, in zweierlei Hinsicht vorbei: Weder treffen sich dort Weltretter, die man an ihre „Verantwortung“ mahnen und auffordern könnte, „endlich zu handeln“ statt zu palavern und heucheln, noch sind die G8 Komplizen, die sich in Heiligendamm brüderlich die Ausplünderung der Welt auf teilen. Die Großmächte des weltweiten Kapitalismus treffen sich wegen ihrer Konkurrenzaffären und deren Folgen für sie:
• Der Weltmarkt, als dessen politische Herren die führenden Industrienationen sich treffen, ist alles andere als eine Veranstaltung zur Verteilung nützlicher Gütern unter den Völkern; eine Absprache in Sachen internationaler Arbeitsteilung ist er schon gleich nicht. Und die Weltordnung, die die Chefs der G8 beaufsichtigen, ist kein Abkommen zur gemeinsamen Vermeidung oder Beilegung bewaffneter Konflikte. Der Kampf um die Aneignung von nationalem Reichtum aus der globalen Konkurrenz ist der Stoff ihrer internationalen Beziehungen. Was sonst als die Macht, die sie daraus ziehen, sollte sie „legitimieren“, darüber und damit über die Lebensumstände von 6 Milliarden Menschen zu entscheiden? Die G8 veranstalten also keinen „Missbrauch“ ihrer Macht: Jeder von ihnen kämpft für seine „vitalen Interessen“, für die sie weltweiten Respekt beanspruchen; Elend und Gewalt sind das regelmäßige und notwendige Produkt davon. Sie „versagen“ nicht bei der Bewältigung von Problemen, sie schaffen die katastrophalen Zustände auf der Welt. Sie pochen darauf, dass dieselbe Macht, mit der sie der Menschheit Probleme einbrocken, der Schlüssel ihrer Lösung ist. Deshalb bereden sie auf ihren Treffs auch keine Probleme von der Art, die die Regierten mit ihnen haben, sondern solche, die sie mit den finanziellen, politischen und lebendigen Schadensfällen ihrer Ordnung haben. Sie stellen sich den ruinösen Wirkungen, die ihre eigene Konkurrenz um den kapitalistischen Reichtum der Welt hervorbringt und dessen weitere Aneignung gefährdet. So behandeln sie unter TOP „Armutsbekämpfung und Aids“ die für sie ärgerliche Zahl von Staaten, die an den etablierten Wettbewerbsbedingungen des Weltmarkts zugrunde gehen. „Failing states“ bringen Chaos in ganze Regionen; das verhindert die paar Geschäfte, die mit ihnen noch gingen; und Flüchtlingsströme, die von dort an ihre Küsten schwappen, können die Metropolen des Kapitalismus überhaupt nicht leiden… Ganz folgerichtig kommen sie nach dieser Problemdefnition niemals auf die Idee, aus den Kassen der Reichen den Hungerleidern ein auskömmliches Leben aufzubauen.
• Darin sind sich die Wächter & Nutznießer der aktuellen Weltordnung ziemlich einig: Jeder G8-Gipfel dokumentiert ihren Willen, die Scheidung in viele arme und wenige reiche & mächtige Länder zu konservieren und Störungen dieser Hierarchie zu bekämpfen. Deshalb ist jeder Gipfel aber auch ein Zeugnis, wie es um die zelebrierte Gemeinsamkeit der Großen untereinander steht. Der kapitalistische Reichtum, um den sie wetteifern, soll die Macht je ihrer Nation mehren: Das hat auch unter ihnen eine Hierarchie geschaffen. Sie konkurrieren, wer den Erdball als seine Reichtumsquelle zurichtet, Partner und Hinterhöfe gewinnt, welche Kriege führt, Frieden zu seinen Konditionen stiftet – und damit: wem die Rolle als Führungsmacht gebührt. Das bringt der Gipfel 2007 in gebotener diplomatischer Heuchelei zum Ausdruck. Was von jeher als Ringen um die „Setzung von Themen“ inszeniert wurde, sorgt diesmal dafür, dass der Stand ihrer Beziehungen am ehesten dadurch charakterisiert wird, was wohl nicht auf die offizielle Tagesordnung kommt: Nämlich all die Affären, bei denen die Mitglieder der „Group of 8“ als militärische Weltordner immer unerbittlicher aneinander geraten. Immerhin findet das alljährliche Ritual in einer Lage statt, wo die gemeinsame Kontrolle der Welt durch die sieben Staaten, die den „Freien Westen“ bildeten, mehr oder weniger zerbrochen ist. Spätestens seit dem Irakkrieg ist ihre strategische Einheit Vergangenheit. Jeder ist offen dabei, die eigene Macht auf Kosten der anderen auszubauen. Die USA verlangen unbedingte Gefolgschaft für ihre Kriege und lassen die alten Verbündeten nur noch als jederzeit abrufbare „Koalition der Willigen“ gelten. Deutschland, Frankreich und andere lehnen diese Rolle ab und stellen militärischen Beistand sogar im Afghanistan-Krieg unter Vorbehalt, den sie noch mit der Bündnisvormacht USA zusammen führen. G8-Partner Russland betrachtet die neuen US-Abfangsysteme für atomare Mittel- und Langstreckenraketen als direkt gegen den eigenen Status gerichtete Rüstung und wird im Gegenzug angeklagt, damit den „Kalten Krieg“ aufleben zu lassen. Kernstaaten des alten Europa erkennen im selben Projekt die gezielte Spaltung der EU und den Versuch Amerikas, den Aufwuchs der Union zum auch militärisch handlungsfähigen Akteur zu unterbinden.
Unterm Strich ist der Gipfel 2007 ein einziges Dementi des Scheins der Kooperation. Er findet statt, weil eine Absage tatsächlich eine neue Konfrontationslage zwischen ihnen schaffen würde. Das soll derzeit aber nicht sein. Solange keiner Seite eine Kündigung ihrer diversen Bündnisse, die sie tatkräftig zersetzen, als opportun gilt, pflegen sie den Geist der Partnerschaft und ringen um Führungskompetenz. Und an Themen ermangelt es ihnen da wirklich nicht: Wer macht den Vorreiter beim Klima; wer domestiziert den Iran; wer verweist Putin in seine Schranken…
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All das ist den deutschen Veranstaltern einen 13 Millionen-Zaun rund um Heiligendamm wert. Beim Verhandeln ihrer aus- wie unausgesprochenen Konkurrenzaffären und Gewalthändel wollen sie ihren Frieden haben; deshalb verbitten sie sich jede Einmischung von unbefugter Seite. Wer Protest gegen die Verfassung der Welt und die Mächte, die in ihr das Sagen haben, angesagt findet, sollte wissen, womit und mit wem er es zu tun hat. Auch in den Reihen der Demonstrierenden wäre eine klärende Diskussion angebracht, ob ein solcher Protest eigentlich sachgerecht ist, der den Herrschenden die eigenen Wunschvorstellungen von einer „anderen“, besseren Welt ans Herz legen will, für die sie – jedenfalls eigentlich und dann zu Recht – die Welt regieren sollten, während diese Herrschenden den Protest mit Terrorismusverdacht und einem Bürgerkriegsaufmarsch der Polizei behandeln.