Berlin ¦ 29.04.14 ¦ Wem gehört die Ukraine?
Der GegenStandpunkt wird auch in Berlin eine Veranstaltung zum Ukraine-Konflikt machen:
Thema: Wem gehört die Ukraine?
Europa geht bis an die Grenzen seiner Methode friedlicher Eroberung – und darüber hinaus.
EU und USA schüren den Umsturz, Russland besetzt die Krim
Zeit: Dienstag | 29.04.2014 | 19:30 Uhr
Ort: Mehringhof (Versammlungsraum / 1. Etage) | Gneisenaustr. 2 | Berlin-Kreuzberg
Referent ?? (In Bremen, am 25.03.2014, hat Wolfgang Möhl, einer der Redakteure des GegenStandpunkts, die Veranstaltung bestritten, vielleicht auch in Berlin?)
Der Ankündigungstext auf kk-gruppe.net lautet wie schon wie zu den bisherigen Veranstaltungen:
„Es funktioniert auf Ansage: In ihren feierlichen Reden zum Jahreswechsel haben Kanzlerin und Bundespräsident festgestellt, Deutschland sei einfach zu groß, um bei internationalen Krisen eine untergeordnete Rolle zu spielen, und sie haben „mehr deutsche Verantwortung“ und aktiveres Eingreifen angekündigt. Wenige Monate später haben sie in der Ukraine die – nach eigener Auskunft – schlimmste Krise in Europa seit dem Mauerfall vom Zaun gebrochen; so schlimm, dass manche von einem neuen kalten oder gar heißen Krieg warnen.
Schuld daran ist, wie stets, die andere Seite: Erst der ukrainische Präsident Janukowitsch, der seine Unterschrift unter das Assoziationsabkommen mit der EU verweigert hat, dann die russischsprachigen Landesteile im Süden und Osten der Ukraine, schließlich und vor allem Putins Russland.
Was Merkel und ihre EU-Kollegen als ihr selbstverständliches Recht beanspruchen, das entdecken und verurteilen sie am russischen Präsidenten:
Ihm sagen sie Großmacht-Allüren und imperiale Absichten nach. Er wolle den Raum der ehemaligen Sowjetunion als russische Einflusssphäre bewahren, obwohl „die Zeit der Einflusszonen endgültig vorbei ist!“ Das sagt ihm allen voran die deutsche Kanzlerin Merkel, die die Ukraine jetzt „umso schneller in die EU einbinden wird.“
Merkel wirft Putin vor, er destabilisiere die Ukraine, weil er Anträge aus der Krim und vielleicht auch aus der Ostukraine, das Gebiet in die russische Föderation aufzunehmen, ermutigt. Der Vorwurf kommt von einer deutschen Kanzlerin, die nichts unversucht gelassen hat, den Staat des kaputten, zwischen seinen östlichen und westlichen Abhängigkeiten hin- und hergerissenen Landes zu destabilisieren, solange ein nicht willfähriger Präsident dort an der Macht war. Deutsche Politprominenz hat den Umsturz in Kiew ermutigt, zum Durchhalten aufgerufen und ihm die Unterstützung ganz Westeuropas zugesichert – und damit das Land endgültig zerrissen.
Der pro-westliche Umsturz mit all seinen glühenden Nationalisten und teilweise bewaffneten Demonstranten, mit seiner Lahmlegung des nationalen Lebens, den Besetzungen und Verwüstungen von Ministerien (ein Aufruhr, wie ihn sich keine westliche Demokratie gefallen lässt): Dieser Umsturz ist für die EU friedlich, demokratisch, authentischer Ausdruck des ukrainischen Volkswillens – der gilt selbstverständlich verbindlich für das ganze Volk einschließlich der dagegen aufbegehrenden Ostukrainer und muss unbedingt gegen russische Bedrohung und Übergriffe geschützt, also unter die schützende westliche Vormundschaft von USA, EU und Nato gestellt werden. Die im Vergleich dazu gesittete Volksabstimmung auf der Krim über den Beitritt zu Russland dagegen ist für sie illegal, undemokratisch – eine Farce, die nichts gilt – und Russlands Berufung auf bedrohte russische Bürger eine leicht zu durchschauende Bemäntelung der rücksichtslosen Machtübergriffe des neuen Moskauer Zaren auf ein unabhängiges Land. Die europäischen Schutzherren des Selbstbestimmungsrechts der Völker sind eben so freundlich, auch gleich die Kollektive zu definieren, die sie als Völker gelten lassen, denen Selbstbestimmung und deren Anführern das Staatswesen zusteht, und welche Ausrichtung des Staatswillens ihren machtvollen Schutz verdient; und die, für die das Gegenteil gilt.
Dabei ist die Quelle dieser Unterscheidung zwischen Recht und Unrecht kein Rätsel: Legitim sind nach dem Richterspruch des Westens in der Ukraine die politischen Kräfte, die sich als Statthalter der EU und ihr Land als deren Hinterland anbieten; illegitim sind diejenigen, die sich dem europäischen Anschluss entgegenstellen. Russland liest diese Gleichung von Recht und Interesse entgegengesetzt. Beide fordern voneinander, sich aus der Ukraine herauszuhalten. Die westlichen Mächte meinen und betreiben dabei von Anfang an den Anschluss an und Unterstellung der Ukraine unter die EU und Nato und damit die Erledigung russischen Einflusses. Russland ist entschlossen, den zu verteidigen. So steht Recht gegen Recht – und der friedliche Verkehr der beiden großen „Nachbarn“ nimmt folgerichtig den Charakter einer Mobilisierung von Macht- und Gewaltmitteln zur Durchsetzung des jeweils beanspruchten Rechts an. Dabei versichert Merkel ihren Bürgern: „Zum Krieg wird es nicht kommen“ – und gibt damit zu Protokoll, dass sie sehr gut weiß, wie weit der Westen die Herausforderung der russischen Weltmacht bereits getrieben hat.“
Apropos Wolfgang Möhl: Ich bin ja von GSP-Diskussionsveranstaltungen einiges gewöhnt, aber die Bremer Veranstaltung war in einer Hinsicht mal wieder Spitzenleistung:
Der Referent hat glatt 2,5 Stunden monologisiert (ein paar unwesentliche Einwürfe mal außen vor). Und außer Imperialisten und dem, was sie gerade an, in und über die Ukraine ausfechten, konnte man nichts weiter hören. Weder irgendwelche Linke, die zu dieser Analyse, die sozusagen die Fortschreibung und Aktualisierung des großen Ukraine-Artikels im Heft 1-2014 des GegenStandpunkt brachte, irgendwas zu sagen gehabt hätten, noch umgekehrt, daß der Referent in all der langen Vortragszeit auch nur mit mehr als einem Halbsatz wie immer fast zum Schluß (daß man sich in diese imperialistischen Machtauseinandersetzungen nicht einmischen solle indem man Partei ergreift) auf die Linke, vor allem hier, eingegangen wäre. Insofern war Bremen das Spiegelbild zum ja doch schon ein wenig verblüffenden weitreichenden Schweigen in der linken Szene zu diesem Thema, auf die hier ja auch schon manche hingewiesen haben.
Das ist aber mal heftig, da referiert der glatt zu nem Thema. Na und?
Der Referent bleibt nicht nur bei der Sache und zieht das auch knallhart durch, hat dir, Neoprene leider keine krassen Fetzereien zu Dokumentationszwecken zu bieten… dann muss zumindest dokumentiert werden, dass es nix gescheites zu dokumentieren gibt. Voll öde!
Offensichtlich wird das Desinteresse an dem, was das eh nicht sonderlich geneigte Publikum vor Ort oder hinterher beim Abhören sich denkt, das dieser Referent geradezu archetypisch vorgeführt hat, von vielen seiner GSP-Freunden geteilt, „knallhart“. Wenn man mal von der ja offensichtlichen Redundanz im Vortrag absieht, bin ich geneigt zurückzufragen, Na und? Was hat das jetzt den Referenten oder seine Zuhörer weitergebracht? Woran hätte man das merken können, denn aus der Veranstaltung ergab sich da ja buchstäblich nichts. Sind die wirklich alle desinteressiert an dem, was die anderen mehr oder zumeist weniger Linken auch ihrem Publikum zu sagen haben?
Bei Facebook hat das folgende Kommentare ergeben:
P.:“Ist doch mal ganz angenehm, dass du nicht, wie in Berlin, ständig dusselig dazwischen palaverst!“
N.:“P., wann je, geschweige den „ständig“, hättest denn du oder irgendjemand sonst mir meine „Dusseligkeiten“ durch garstige Widerworte ausgetreiben? Wann je hast du überhaupt irgendwem seine Dusseligkeiten ausgetrieben?“
P.: „Es ist ja nun nicht so, dass du für dein ständiges Getrolle nie ermahnt worden wärest oder – zumindest mittelbar – sprechverbote bekommen hättest.“
L.:“Sprechverbote … so, so … aha. Wenn ich mir die Audiobeiträge so ab und an anhöre, bekomme ich nur aufmunternde Worte zur Beteiligung an einer Diskussion mit. Werden die Sprechverbotsanweisungen rausgeschnitten?“
W.:“Unabhängig davon ob man auf Neos Koreferate steht, ist es doch tatsächlich ärgerlich, wenn ein Vortrag keine oder kaum noch Zeit für eine Diskussion übrig lässt. Das ist mir bei Möhl schon öfters aufgefallen, auch z.B. dass er manche Dinge nicht im Verlauf noch besser zu erklären versucht, sondern sich tatsächlich zu wiederholen scheint, ohne dass ein Gedanke klarer wird. In Hamburg habe ich es auch mal erlebt, dass die Referenten ausdrücklich vor Beginn des Vortrags sagten, dass sie die Veranstaltung nicht als Vortrag, sondern als Diskussion aufziehen wollen – nur lustig, dass sie dann doch fast 2,5 Stunden am Stück referierten. Soll das eigentlich ein Scherz sein oder für was und wen macht man diese Veranstaltungen eigentlich?“
Vielleicht spricht auch der Decker, hier vorab:
Ukraine-Krise: Die EU kämpft um Raum im Osten
https://www.youtube.com/watch?v=PdPvE0HIhgY
Die Veranstaltung am 29. April 2014 wird fortgesetzt im Mai 2014:
Zeit: Mittwoch | 07.05.2014 | 19:30 Uhr
Ort: Mehringhof (Blauer Salon / 1. Etage) | Gneisenaustr. 2 | Berlin-Kreuzberg
AK Ukraine: Deutsche Drangsale nach dem russischen Anschluss der Krim
Die offizielle Linie der deutschen Politik will beides:
– Mit den USA Russland „isolieren“ und den „Preis“ festsetzen, den Putin für seine Kündigung des Appeasements gegenüber der westlichen Entmachtung Russlands zu „zahlen“ hat
– gegen die Definitions- und Eskalationsmacht der USA die ökonomischen Erfolgsmittel aus eigenen Berechnungen gegen Russland einsetzen und eigene Entscheidungsfreiheit bewahren
Wegen der Gefährdung der imperialistischen Erfolgsmittel gegenüber Russland und der Gefährdung der angestrebten Emanzipation von den USA gibt es viel Bedenkenträgertum:
– Exkanzler (Schmidt, Schröder) und Sicherheitsexperten (Teltschik, Kujat) melden sich zu Wort
– ein illustres linkes und rechtes Spektrum von sogenannten „Russlandverstehern“ widersetzt sich dem Russland – Bashing
UND
Zeit: Freitag | 16.05.2014 | 18.30 Uhr
Ort: BAIZ | Schönhauser Allee 26A / Ecke Wörther Str. (Nähe U-Bhf Senefelderplatz) | Berlin
Roter Freitag: Wie geht und wozu taugt politische Feindbildpflege?
Cäsarenwahn und Machtkomplex, imperiale Gelüste und fragwürdige Kindheit: Was den Herrn Putin in Sachen Ukraine umtreibt, begründet sich unserer freien Medienlandschaft zufolge nie und nimmer aus politischen Interessen und strategischen Berechnungen, vielmehr treibt da ein offensichtlich Irrer sein Unwesen, gegen das man dringend eine – gerne auch gewalttätige – Gegenwehr treffen muß, selbstverständlich aus lauter Werteorientierung.
Daß Deutschland, die EU, “Der Westen” mit und an der Ukraine ein Interesse verfolgen, das einem Staatschef nicht egal sein kann, tritt vollständig hinter den Befund über den Charakter des Gegners zurück, diplomatische Noten, Sanktionen und Kriegsdrohungen müssen einfach sein, wo man es mit “so einem” zu tun hat.
Oder:
– Wie aus einem Staatschef ein Psychomonster wird, das dringend bekämpft gehört,
– was das mit der Sache zu tun hat, um die der Streit geht,
– und was man sich antun muß, um diese Sicht zu teilen,
darum soll es auf diesem Termin gehen.
Das war ein interessanter Vortrag, gestern in Berlin zur Ukraine. Ich musste leider nach einer Stunde den Saal verlassen. Ich habe eine chronische Bronchitis (das ist kein Witz, guckt bei Wikipedia) und es wurde im Gang, der zum Saal führt, stark geraucht. Da standen zwei riesige Steh-Aschenbehälter mit Sand, überfüllt mit Gegenstandpunktkippen. Der Zigarettenrauch wehte in den Versammlungsraum, ich glaube, weil Fenster geöffnet waren und Durchzug herrschte und ich bekam Atembeschwerden. Wie gesagt, war sehr interessant, die erste Hälfte des Vortrages, muss mir aber eben das GSP-Heft kaufen.
Die Aufzeichnung der Veranstaltung am 29. April 2014 in Berlin.
Und weiter geht’s
Zeit: Dienstag | 27.05.2014 | 19:30 Uhr
Ort: Mehringhof (Versammlungsraum / 1. Etage) | Gneisenaustr. 2 | Berlin-Kreuzberg
Veranstalter: GegenStandpunkt Verlag
Thema: Die friedliche Eroberung der Ukraine durch die EU findet ihr Ende:
Der Westen erklärt Feindschaft zu Russland
Putin ist schuld. Diese Moral hängen die deutschen Leitmedien vor und an jede Geschichte aus der Ukraine; dann berichten sie vom eskalierenden Bürgerkrieg zwischen „unserer“ westlichen Regierung und Gegnern ihrer Machtübernahme. Putin ist schuld. Vor allem auch daran, verkünden westliche Medien und Politiker, dass „wir“ Russland ab sofort als „Gegner“ (NATO-General Vershbow) behandeln, weltwirtschaftlich und weltpolitisch „isolieren“ (Obama), mit ansteigenden Sanktionen zunehmend „untragbar“ (Merkel) schädigen. Obama und Merkel versichern, dass sie dazu militärische Mittel nicht nötig haben und insoweit ausschließen. Das darf zumindest das deutsche Fußvolk als Friedensverantwortung missverstehen. Wenn die NATO dann doch rund um Russland aufmarschiert: Schuld ist…
Was hat Russland getan, was der Westen mit dieser erklärten Feindschaft bekämpft?
Russland
– hat die westlich unterstützte Machtergreifung prowestlicher Kräfte in Kiew, die der Westen sofort als legitime Regierung anerkannt und in der Staatenwelt abgesichert hat, nicht anerkannt.
– hat seinen strategischen Stützpunkt Krim über ein Votum der dortigen Bevölkerung sich angeschlossen und dem westlichen Zugriff entzogen.
– verurteilt das militärische Vorgehen Kiews in der Ukraine gegen Gegner der neuen Mächtigen und konzentriert Truppen an der Grenze zum ukrainischen Bürgerkrieg.
– verlangt eine internationale Regelung der umstrittenen Machtverhältnisse der Ukraine unter maßgeblicher Beteiligung Russlands und eine Staatsverfassung mit verbriefter Berücksichtigung insbesondere seines Interesses an Bündnisneutralität der Ukraine.
– verwirft rückblickend die Osterweiterung von EU und NATO als Einkreisungspolitik gegen Russland…
Das verurteilt der Westen als Verletzung der „Regeln“ und der „Weltordnung“, die nach Ende des Kalten Krieges mit der Sowjetunion zu gelten hätten. Was für eine Ordnung? Offenbar eine, die westliche Machtergreifung wie in Kiew und Machtausweitung von EU und NATO als Recht ein- und in Gegenzug Machtansprüche Russlands ausschließt. Obama „sieht“ Russland schon mal als „bloß eine Regionalmacht“.
Dabei hätten die westlichen Politiker gern die Politik der „Partnerschaft“ mit Russland und seine „Integration in die euroatlantische Gemeinschaft“ (Kerry) fortgesetzt, die für ihre Liebe zum Frieden mit Russland stehe. Nun geben sie sich „genötigt“ zur Fortsetzung ihrer Politik mit anderen, mit Zwangsmitteln. Nur: Wenn die neue offene Feindseligkeit des Westens gegen Russland die Fortsetzung der westlichen (Ein)Ordnungspolitik rund um Russland ist, dann war die wohl auch bisher nach Ziel und Inhalt nicht so friedlich, wie die Einladungen an Russland mitzumachen vorgaben?
Die neue Konfrontation mit Russland setzen die USA in die Tat um; die lauteste Klage, dass Russland die Politik der „Partnerschaft“ kaputt mache, führen Deutschlands Außenpolitiker.
Die USA verlangen als „Gebot der Stunde“
– eine Umkehr der „Energieabhängigkeit“ Europas von Russland
– die Umwandlung des Handels mit Russland und dessen Abhängigkeiten von Waren und Kapital aus dem Westen zu Waffen gegen seine „Modernisierung“ im Weltkapitalismus
– den Ausschluss Russlands aus Institutionen der Weltpolitik und seine „Isolierung“
– eine Neuaufstellung NATO und Aufrüstungsanstrengungen ihrer Mitgliedstaaten…
Deutschlands Außenpolitiker beschwören die „Fäden“ zu Russland, die man nicht abreißen lassen dürfe. Dann hat die Führungsmacht Europas am neuen Kurs wohl nicht nur etwas zu gewinnen; legt das aber Russland zur Last.
Was ist das für eine neue Weltlage, die da angerichtet wird?
http://www.kk-gruppe.net/
In Bremen gab es am Donnerstag, 15.5., bereits eine Veranstaltung:
http://www.argudiss.de/node/254
http://www.argudiss.de/sites/default/files/doku/gesamtaufnahmen%28mp3%29/ukraine_hb_0514_ges.mp3
Der Kampf um die Ukraine und das Feindbild Putin (14. Mai 2014, Regensburg)
Es gibt ein neues Jourfixe-Protokoll vom 12.5. zu
a) Ukraine
b) Chinas Währung
http://www.gegenstandpunkt.de/jourfixe/prt/2014/jf140512.html
Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 19.05.2014:
Eine respektable Leistung der europäischen Nachbarschaftspolitik: Ein Bürgerkrieg in der Ukraine und eine neue weltpolitische Konfrontation
Zeit: Donnerstag | 24.06.2014 | 19:30 Uhr
Ort: Mehringhof (Versammlungsraum / 1. Etage) | Gneisenaustr. 2 | Berlin-Kreuzberg
Thema: Krise, Krisenkonkurrenz, Gewaltkonkurrenz heute
Was ist dran an der These, dass Zeiten großer Krisen des Kapitalismus besonders kriegsträchtig sind?
Referent: Dr. Peter Decker (Redakteur GegenStandpunkt)
Es gehört zu den Gemeinplätzen der historischen Bildung, dass die Zeiten großer Krisen des Kapitalismus kriegsträchtig sind; dass Krise zu Krieg „führt“. 2014, das siebte Jahr der globalen Finanzkrise scheint die Regel zu bestätigen:
Die Finanzmärkte sind halbwegs stabilisiert. Die Schulden der Banken und Staatshaushalte sind nicht geringer geworden – im Gegenteil; nun aber werden sie von Investoren wieder als Geldanlagen akzeptiert und gekauft. In Amerika, Deutschland und Teilen der EU gibt es ein kleines Wirtschaftswachstum. Das beruht allerdings ebenso wie die Haltbarkeit der Schulden ganz auf den außerordentlichen Garantien der Zentralbanken in New York und Frankfurt und der gigantischen Kredit- und Geldschöpfung, mit der sie diese Garantien untermauern. Jede Andeutung der FED oder EZB, zu normalen Usancen der Geldpolitik zurückkehren zu wollen, lässt Investitionen und Wachstum wieder abstürzen.
Auf dem Feld der Wirtschaftsdiplomatie ringen die großen Akteure darum, den selbst-tragenden Aufschwung, der einfach nicht kommt, mit politischen Mitteln zu erzwingen: Freihandelsabkommen der USA mit Asien – „TPP“ – und Europa – „TTIP“ – sollen der amerikanischen Wirtschaft andere Nationen und deren Potenzen verfügbar machen und Wachstumschancen erschließen; die Partnerstaaten lassen sich mit genau dem entgegengesetzten Kalkül auf Verhandlungen über erweiterte Handels- und Investitionsfreiheiten ein: Ihnen geht es um die Aneignung amerikanischer Kauf- und Finanzkraft für ihre Volkswirtschaften. Kein Wunder, dass die radikalisierte wechselseitige Öffnung diesseits und jenseits des Atlantiks größtes Misstrauen erweckt.
Auf dem Feld der militärischen Gewalt häufen sich Konfrontationen der großen Mächte. In Asien ermuntern und befähigen die USA Japan, Südkorea und andere Staaten durch militärische Rückendeckung dazu, den territorialen und Macht-Ansprüchen Chinas drohend eigene Ansprüche entgegen zusetzen. In Deutschland erklären Bundespräsident, Außen- und Verteidigungsminister uni sono , dass sich das „Kraftzentrum der EU“ in internationalen Gewaltfragen nicht länger zurückhalten darf. Prompt radikalisieren sie den Kampf um den Anschluss der Ukraine an die EU und ihre Herauslösung aus dem russischen Einflussbereich. Zusammen mit den USA und anderen schüren sie den Konflikt im östlichen EU-Nachbarland bis zu Staatsstreich und Bürgerkrieg und treiben die Konfrontation mit Russland an die Grenze von Kriegsdrohungen.
Zugleich wirft die Eskalation Machtfragen zwischen Deutschland/EU und den USA auf: Muss die EU, weil sie in ihrem Ringen um den Anschluss der Ukraine auf die Abschreckungsmacht der Nato angewiesen ist, sich für das amerikanische Ziel hergeben, die zweitgrößte Atomwaffenmacht Russland zu isolieren, zu ruinieren und zu einer nur noch regionalen Größe zu degradieren. Oder kann Deutschland das amerikanische Kriegspotential für seinen anti-amerikanischen Aufbau eines expandierenden EU-Herrschaftsraumes instrumentalisieren, der Russland zwar immer weiter zurückdrängt, über Geschäfte und diplomatischen Verkehr aber zugleich Einfluss auf es behält.
Mit der wieder bestätigten Regel, dass Krisen zu Krieg führen, ist nichts begriffen. Der Zusammenhang versteht sich gar nicht von selbst. Es sind ja nicht die Wirtschaftskrisen und auch nicht die Konzerne, die nationale Feindschaften anordnen: Das tun schon die diversen Vaterländer. Und warum geraten die in Macht- und Unterordnungsfragen aneinander, wenn daheim der Geschäftsgang stockt? Warum ist die Krisenbewältigung kein Gemeinschaftswerk, sondern ein wüstes Gegeneinander dieser Staaten? Und was hilft eine Auseinandersetzung um die Senkaku-Inseln oder um die Krim für den Aufschwung, der auf sich warten lässt?
Diese Fragen muss beantworten können, wer mehr behaupten will als die Erfahrungstatsache, dass schon manchmal nach einer Krise ein Krieg „ausgebrochen“ ist. Hilfestellung dafür soll der Vortrag liefern.
@ DWR: Schwerpunkt zu TTIP & Freihandel in “Z”
„Wer bislang eine eingehende Analyse des geplanten Freihandelsabkommens aus marxistischer Perspektive vermisst hat, dürfte hier fündig werden. Im Mitte Juni erscheinenden Gegenstandpunkt 2/14 wird dieses Thema nach unserem beschränkten Wissen nämlich keine Rolle spielen.“
Die o.a. Ankündigung der Berliner Veranstaltung „Krise, Krisenkonkurrenz, Gewaltkonkurrenz heute“ sowie der Artikel aus dem GS 2-14 lassen schon vermuten, dass das Thema in Bearbeitung ist.
Drei Thesen zu den aktuellen Konjunkturen der imperialistischen Konkurrenz (GS 2-14)
1. Das kapitalistische Weltgeschäft nach sechseinhalb Jahren Finanzkrise
2. Die Konkurrenz der großen Weltwirtschaftsmächte ums Geld der Welt
3. Der Kampf um die Kontrolle der Staatenwelt – oder auch: Das Neueste von der deutschamerikanischen Freundschaft
Krise & Gewalt. Zu den aktuellen Konjunkturen der imperialistischen Konkurrenz (GS 2-14)
1. Das haben die Weltwirtschaftsmächte USA und EU geschafft: Mit der hoheitlichen Schöpfung und Vergabe von Kredit in nicht begrenzter Menge haben sie die Entwertung von Bankschulden wie von Verbindlichkeiten der eigenen Staatshaushalte gestoppt, ihre Zahlungsfähigkeit und die ihrer Geschäftswelt gerettet und das Finanzgewerbe zur Wiederaufnahme seiner spekulativen Leistungen ermächtigt. So finanzieren die kapitalistischen Weltmächte per Dekret das Funktionieren des Weltkapitalismus.
2. Aus der Not der Krisenbewältigung machen die großen Wirtschaftsmächte die Tugend des Konkurrenzkampfs ums Geld der Welt. Sie ringen um nationales Wachstum und mehr Anteil an einem krisenhaften Weltgeschäft. Für die konkurrierenden Führungsmächte des globalisierten Kapitalismus, für die USA und für Deutschland als Zentrum der Euro-Zone steht dabei je auf ihre Art, als Quintessenz ihrer Krisenpolitik der „Schluss“ von der Not, die fehlende kapitalistische Tauglichkeit ihres Kreditgelds ökonomisch zu überwinden, auf die Notwendigkeit, Hindernisse wegzuräumen, die, ihrer maßgeblichen Einschätzung zufolge, andere Souveräne mit ihrer Misswirtschaft und überhaupt mit ihrer Hoheit über ein Stück Weltkapitalismus für den eigentlich fälligen Akkumulationserfolg des Dollar- resp. Euro-Kapitals darstellen.
3. Der Wille, die Welt ökonomisch zu benutzen, muss sich als fähig erweisen, die Staatenwelt zuverlässig zu erpressen; nicht nur und nicht erst in der Krise, deswegen aber in der Krise erst recht. So kommt auch die Gewalt nicht zu kurz beim Kampf um die Kontrolle der Staatenwelt. Dazu das Neueste von der deutsch-amerikanischen Freundschaft.
Krise & Gewalt. Zu den aktuellen Konjunkturen der imperialistischen Konkurrenz (GS 2-14 / S. 40f)
„Für die Regierung folgt daraus aber nichts Geringeres als die Aufgabe, den inneren Wiederaufbau durch Eingriffe in den Gang des weltweiten Geschäftslebens zu ergänzen. Bei ihrem Projekt einer viele Nationen umfassenden, China jedoch bis auf Weiteres ausschließenden transpazifischen Freihandelszone – Trans-Pacific Partnership, TPP – geht sie davon aus,
dass viel konjunkturbelebendes Geschäft in dieser Region durchaus zu haben wäre, aber nicht stattfindet und womöglich an China verloren geht, wenn, weil und solange die näheren und weiteren Nachbarn der Volksrepublik nicht in eine exklusive verpflichtende Vertragsgemeinschaft mit den USA, und zwar mit allen Freiheiten für die Konkurrenzmacht amerikanischen Kapitals, eingebunden sind; außerdem wären in China selbst dann, aber auch nur dann substanziell mehr
und bessere Geschäfte zu machen, wenn das Land sich um seiner eigenen Handelsbeziehungen willen genötigt sieht, sich dem Reglement der transpazifischen Partnerschaft zu unterwerfen, das sich zielgenau gegen chinesische Besonderheiten und Vorbehalte richtet. [Das TPP-Projekt wird ausführlich abgehandelt in Heft 1-12 in dem Artikel Die Weltmacht kämpft um ihre Selbstbehauptung – Amerikas „pazifisches Jahrhundert“ und sein neuer Rivale China]
Von noch größerem Zuschnitt ist die Neuregelung der Wirtschaftsbeziehungen zur EU, die die USA mit dem Projekt der Transatlantischen Handels- und Investitionspartnerschaft – Transatlantic Trade and Investment Partnership, TTIP – anstreben. Da wird gleich alles an staatlichen Regelungen, was die Konkurrenzmacht und -freiheit des Kapitals irgendwie beeinträchtigen könnte, ins Visier genommen, um über den Nordatlantik hinweg für die größten und durchsetzungsfähigsten Konzerne ein einheitliches Betätigungsfeld zu schaffen. Bemerkenswert dabei ist das Angebot an die europäische Seite, das Amerika damit verbindet und das besonders bei der deutschen Regierung sehr gut verfängt, von der Kanzlerin jedenfalls mit der größten Selbstverständlichkeit gerne aufgegriffen wird: Hier biete sich – womöglich zum letzten Mal – die großartige Gelegenheit, in transatlantischer Kooperation den Rest der Welt vor die Alternative ‚Unterwerfung oder Ausschluss‘ zu stellen und so – was in der Welthandelsorganisation WTO schon nicht mehr gelingen will – für eine ganze Epoche die Bedingungen zu diktieren, unter denen sich das globale Geschäftsleben insgesamt abspielt; und das, bevor die nur allzu rasch wachsenden Schwellenländer die ökonomischen Kräfteverhältnisse umdrehen, sich dem Zugriff westlicher Konkurrenzfreiheit entziehen oder womöglich sogar ihrerseits den altgedienten Weltwirtschaftsmächten mit Bedingungen und Vorschriften kommen. In Kumpanei mit der gleichgesinnten Konkurrenz will die US-Regierung eine Weltgeschäftsordnung schaffen, die den globalen Kapitalismus unter das Regime der größten, also tüchtigsten Unternehmen bringt und damit unweigerlich, so Amerikas Prämisse, deutlich mehr und deutlich verbindlicher als bisher auf den Nutzen der US-Wirtschaft ausrichtet. Wie viel die Erfahrungen der Krise zu diesem Vorhaben beigetragen haben, mag dahingestellt bleiben – die Programmpunkte der angestrebten ‚Wirtschafts-Nato‘ selber sind gar nicht neu.
Auf jeden Fall geht die US-Regierung davon aus, dass die Aussicht auf ein allgemeines globales Wirtschaftswachstum, von dem alle Beteiligten auf ihre nationale Art profitieren können, auf keinen Fall mehr ausreicht, um ein für Amerika passendes Regelwerk zu schaffen. Um solche Geschäftsbedingungen weltweit durchzusetzen und krisensicher festzuschreiben, hält sie Abmachungen für nötig, für die es mehr braucht als gute Aussichten und diplomatisches Geschick. Die Verhandlungen mit den Pazifik-Staaten und erst recht die mit der EU sind Härtetests auf die Macht der USA, souveräne Staaten, und zwar die, auf die es ankommt, in ein auf Amerikas Bedürfnisse zugeschnittenes Verhaltensregime hinein zu nötigen. Der Lohn wäre eine nachhaltige Krisenbewältigung, die den Dollar-Kredit wieder zum Vorschuss für eine „sich selbst tragende“ weltweite Kapitalakkumulation und dadurch Amerikas Staatsschulden wieder zu ökonomisch absolut unanfechtbarem Geldkapital macht. Gefordert ist dafür überlegene Gewalt: genug, um den Rest der Welt und insbesondere die verbündeten großen Konkurrenten auf Respekt vor Amerikas Recht auf ökonomischen Erfolg festzunageln.
So steht für die konkurrierenden Führungsmächte des globalisierten Kapitalismus, für die USA und für Deutschland als Zentrum der Euro-Zone je auf ihre Art, als Quintessenz ihrer Krisenpolitik der imperialistische Übergang an: der „Schluss“ von der Not, die „Wachstumsschwäche“ ihres Kapitals und die fehlende kapitalistische Tauglichkeit ihres Kreditgelds ökonomisch zu überwinden, auf die Notwendigkeit, Hindernisse wegzuräumen, die, ihrer maßgeblichen Einschätzung zufolge, andere Souveräne mit ihrer Misswirtschaft und überhaupt mit ihrer Hoheit über ein Stück Weltkapitalismus für den eigentlich fälligen Akkumulationserfolg des Dollar- resp. Euro-Kapitals darstellen. Der Wille, die Welt ökonomisch zu benutzen, muss sich als fähig erweisen, die Staatenwelt zuverlässig zu erpressen; nicht nur und nicht erst in der Krise, deswegen aber in der Krise erst recht.“
Der GS-Artikel und die Ankündigung zur Veranstaltung am 24. Juni 2014 in Berlin lassen vermuten, dass es mal ganz grundsätzlich um den aktuellen Stand der imperialistischen Konkurrenz gehen wird. Und die beinhaltet ja eine Brisanz, die es in sich hat.
Ankündigung einer Veranstaltung am 17. September 2014 in München zum Thema: „TTIP: Konkurrenz um eine neue Weltwirtschaftsordnung“ (PDF)
Die Geheimnistuerei, die Kritiker den USA und der EU bezüglich ihres neuen Wirtschaftsabkommens (TTIP: „Transatlantic Trade and Investment Partnership“) vorwerfen, hat offenbar nicht gut geklappt – wenn es sie überhaupt je gab. Jedenfalls sind genug Details des projektierten, von den Regierungschefs beider Seiten für unverzichtbar erklärten Vertrages bekannt, um zu wissen, was man als betroffener Bürger davon zu erwarten hat: noch mehr Freiheit für das Geschäft, uneingeschränkte Konkurrenz der Konzerne über den Atlantik hinweg, neue Rechte für ihre Kalkulationen, bis zum Anspruch, nationale Regierungen vor internationalen, keiner nationalen Rechtsprechung verpflichteten Schiedsgerichten auf Schadenersatz zu verklagen, wenn dessen politische Beschlüsse den Gewinn schmälern, mit dem der Investor aus dem transatlantischen Partnerland beim Investieren gerechnet hatte. „Liberalisierung“ in ganz großem Stil eben, die man aus Erfahrung als Rücksichtslosigkeit gegen die eigenen Lebensbedürfnisse kennt. Und die diesbezüglichen Befürchtungen, dass es zu einer Verschlechterung der Lage für Arbeitnehmerrechte kommen wird, gewohnte Sicherheiten und Schutzrechte verloren gehen, von der Medizin bis zum Wohnen, die Umwelt betreffend usw., sind sicher nicht aus der Luft gegriffen. Um wessen Freiheit es geht, wenn die Losung „Liberalisierung“ lautet, ist Befürwortern wie Kritikern des TTIP nämlich klar: um die Freiheit einer kleinen radikalen Minderheit von Nutznießern, auch „die Wirtschaft“ genannt, die ihr Interesse an möglichst immer wachsenden Gewinnen möglichst ohne jede einschränkende Bedingung über jede staatliche Grenze hinweg betätigen sollen.
Die Befürworter und Protagonisten von TTIP verheimlichen das auch keineswegs, sondern verweisen, wenn sie bei den Bürgern auf Zustimmung zu diesem Projekt dringen, auf eine Tatsache, die ja tatsächlich nicht zu leugnen ist: Vom Erfolg des nie abschließend zu befriedigenden Profitinteresses kapitalistischer Unternehmen hängen alle andere Interessen in der Gesellschaft ab. Nämlich und vor allem: Nur wenn die Unternehmen Gewinne machen und dafür in immer wachsendem Maße auch fremde Märkte und Standorte ausnutzen, können sie hierzulande – als ob das ihr Zweck wäre! – „Arbeitsplätze schaffen und erhalten“, können also die vielen Leute wenigstens irgendwie leben, die alternativlos von Einkommen aus Arbeit abhängen.
– In was für einem Land leben wir eigentlich, wo das private Interesse einiger vermögender ökonomischer Subjekte das gesamte gesellschaftliche Produzieren und Verteilen bestimmt?
– Wie kommt es, dass ausgerechnet die Produktion eines immer größeren Reichtums für die Mehrheit nur aushaltbar ist, wenn sie – als Arbeitnehmer, als Verbraucher … – vor denjenigen geschützt werden, die das Wirtschaften bestimmen?
– Woher bezieht dieses partikulare Interesse eigentlich seine gesellschaftliche Macht, mit der es alle anderen von sich abhängig macht und sie benutzt?
– Warum braucht die nationale Marktwirtschaft so dringlich immer größere Teile des Globus, und warum kann man sich sicher sein, dass sie ihn ruiniert, sobald sie ihn benutzt?
– Warum bedeutet eine globale Marktwirtschaft eigentlich automatisch, dass die Nationen sich den weltweit wachsenden Reichtum streitig machen, bis dahin, dass Nationen, die nicht zu den wenigen Weltwirtschaftsmächten gehören, reihenweise ökonomisch ruiniert werden?
Leider stellen sich die Kritiker von TTIP solche Fragen nicht. Den keineswegs selbstverständlichen Umstand, dass die freie und grenzüberschreitende Betätigung der herrschenden ökonomischen Kalkulationen den Schaden für die Betroffenen und Abhängigen sicher mit einschließt, haken sie ab – und rufen den Staat an, der das Profitinteresse der Unternehmen machtvoll in die Schranken weisen soll. Ein Argument präsentieren sie nicht für ihre Vorstellung, ausgerechnet die politischen Führer ihrer Nation hätten dafür zu sorgen, dass nicht ein paar Konzerne mit ihrem Gewinnstreben den ganzen Rest der Gesellschaft beherrschen und beschädigen. Ohne jede Prüfung übersetzen sie die eigene Ohnmacht gegenüber dem herrschenden Profitinteresse in den guten Glauben an die wohltuende Macht der Mächtigen und deren gute Absichten.
Nicht einmal die brutale EU-Sanierungspolitik in Südeuropa belehrt sie darüber, dass demokratisch gewählte Politiker ihre Zuständigkeit exakt darin sehen, dem kapitalistischen Gewinnemachen auf die Sprünge zu helfen, auch wenn dafür der Lebensstandard ganzer Völker geopfert werden muss. Gerade am grandiosen „europäischen Einigungswerk“ könnte man studieren, dass für die Inhaber nationalstaatlicher Hoheit die nationalen Souveränitätsrechte offenbar sehr weitreichend austauschbar sind gegen die Beteiligung an einem supranationalen Markt, um dessen ungleich größere Erträge sie konkurrieren wollen.
Und wenn die europäischen Politiker in aller Freiheit und im selben Geist daran arbeiten, ihren europäischen Binnenmarkt um nicht weniger als den ökonomischen Zugriff auf die größte Nationalökonomie der Welt zu ergänzen? Dann warnen die Kritiker sie vor dem Ausverkauf europäischer Demokratie und Souveränität! Aus irgendeinem Grunde beschleicht sie auch hier nicht der Verdacht, dass das Abkommen mitsamt den befürchteten Konsequenzen im hoheitlichen Interesse der verhandelnden Staaten liegt, die daran Berechnungen knüpfen, in denen die betroffenen Völker genau so vorkommen, wie sie es befürchten, aber doch immer nicht glauben wollen.
Welche Interessen das sind, worauf und wogegen sie sich richten – darum soll es auf der Veranstaltung gehen.
TTIP: Ein Kampfprogramm zur Neuordnung des Weltmarkts für Dollar- und Eurokapitalisten
„TTIP bringt mehr Wachstum!“ versprechen die verantwortlichen Wirtschaftspolitiker. Wem versprechen sie damit eigentlich was? Dass Löhne und Gehälter wachsen, ist jedenfalls nicht versprochen. Dass die Lebensverhältnisse für normale Menschen leichter, angenehmer, sauberer, gesünder werden, ist auch nicht im Programm. Wachsen soll „die Wirtschaft“, nämlich was die an Erfolgszahlen produziert. Was sie da hinkriegt, ist natürlich nach wie vor und mehr denn je eine Frage der Konkurrenz – zwischen den Firmen, und zwischen den Staaten, die für die Bilanzen der Wirtschaft ihres Landes alle Rücksichten fallen lassen. Was also auf alle Fälle wächst und wachsen soll, das sind Reichweite und Schärfe eben dieser Konkurrenz, für die die Firmen in Europa, in Nordamerika und überhaupt weltweit ihr Personal auf wachsende Leistung trimmen und für die die zuständigen Politiker ihren Völkern einen gut durchorganisierten wachsenden Leistungsdruck bescheren. „Reformen“ ist das niedliche Stichwort dafür.
Für Leute, die sich nicht alles gefallen lassen wollen, was Staat und Wirtschaft mit ihnen anstellen, eine gute Gelegenheit, sich darüber Rechenschaft abzulegen – nein, nicht bloß, ob sie allen Ernstes noch mehr von dieser Konkurrenz haben wollen, sondern ob überhaupt diese Art von Leben. Denn warum soll man als normaler Mensch für eine Ökonomie des Konkurrenzkampfs der Firmen ums Geld der Welt sein?
Ach so, wegen des großen Segens, der damit verbunden und gleichfalls versprochen ist:
„TTIP schafft Arbeitsplätze!“ – zigtausende, heißt es. Und kaum versprochen, fangen kritische Experten das Nachrechnen an und kommen zu „mageren“ bis „enttäuschenden“ bzw. „gefälschten“ Ergebnissen. Aber was ist das überhaupt für ein Versprechen? Für einen normalen Zeitgenossen, der einen Arbeitgeber finden muss, damit er sich überhaupt einen Lebensunterhalt verdienen kann, enthält die schöne Verheißung eher eine Drohung, oder genau genommen sogar zwei:
Nr. 1: Wie dein „Arbeitsplatz“ aussieht, was du dort zu tun hast, was du dort verdienst, das liegt überhaupt nicht in deiner Hand. Das entscheidet sich im internationalen Konkurrenzkampf der Firmen, für den eine Handvoll demokratisch gewählte Machthaber die Richtlinien erlassen.
Nr. 2: Auf einen solchen Arbeitsplatz bist du angewiesen, aber der Arbeitsplatz nicht auf dich. Ob es den überhaupt gibt, das entscheiden die Firmen im Zuge und im Interesse ihres grenzüberschreitenden Konkurrenzkampfes, für den demokratisch gewählte Politiker sich immer griffigere Richtlinien ausdenken.
Eine schöne Ansage also: Du, lieber TTIP-Bürger, hast die Not, an eine Verdienstquelle zu kommen – wir, die Verantwortlichen, schaffen und verwalten sie. Und ausgerechnet das soll ein unanfechtbar guter Grund sein, dafür zu sein – für das Funktionieren eines Ladens, in dem der normale Mensch die ehrenvolle Rolle der abhängigen Nullnummer spielen darf!
Naja, immerhin ist auch versprochen:
„TTIP spart Kosten!“ Nämlich erstens den Unternehmern; zweitens die Kosten für die Einhaltung von Vorschriften, die besorgte Politiker irgendwann einmal für nötig gehalten haben – was natürlich schon zwei gute Gründe für TTIP sind. Der beste Grund heißt aber drittens: Diese Vorschriften sind, nach den amtlichen Feststellungen der Unterhändler, eigentlich gar nicht für die Angelegenheiten gut, die sie regeln – irgendwelche Gesundheitsrücksichten, Schonung der Natur oder so – , sondern vor allem dazu da, ausländische Konkurrenten zu diskriminieren.
Letzteres ist mal ein ehrliches Wort. Und sollte all denen zu denken geben, die ihre eigene Obrigkeit schon allein deswegen für vergleichsweise nicht schlecht halten, weil sie die amerikanische Art der Salmonellenbekämpfung in Hühnerkadavern für den menschlichen Verzehr bislang nicht zugelassen hat. Am Ende ist es nämlich wirklich so, dass alle politische Volksfürsorge, von gewissen Vorschriften zur Unfallverhütung bis zur Buchpreisbindung, schon seit jeher unter dem einen großen Vorbehalt steht oder jedenfalls mittlerweile nur im Sinne der einen großen Staatsaufgabe in die Tat umgesetzt wird: Das nationale Geschäft muss sich lohnen. Oder genauer: Alle Geschäftemacherei muss sich nicht nur überhaupt für die lohnen, die es machen, sondern auch für die Staatsgewalt, die darauf aufpasst. Deswegen passt die auch darauf auf, dass die weltweite Geschäftemacherei sich vor allem für die lohnt, die mit ihrer Bereicherung ihrer Staatsgewalt nützen.
Wenn das nicht auch für alle, die von den lohnenden Geschäften gar nichts haben, ein guter Grund ist, dafür zu sein!
Womit wir bei der letzten und ehrlichsten aller Versprechungen wären:
„TTIP setzt Geschäftsbedingungen für den Rest der Welt!“ Für die Chinesen vor allem, und zwar bevor die Volksrepublik, die kommunistische, zusammen mit Russland, Indien, Brasilien, Südafrika… – uns die Bedingungen serviert, nach denen kapitalistische Unternehmer auf dem Weltmarkt Geld verdienen können. Welche Bedingungen das dann sein könnten, wen sie wie treffen würden, spielt da gar keine Rolle – und schon gar nicht der Gesichtspunkt, dass der normale Mensch in dem ökonomischen Welttheater, um dessen Geschäftsordnung da so erbittert gerechtet wird, allemal nur als Versatzstück in kapitalistischen Konkurrenzerfolgskalkulationen vorkommt. Genau diesen normalen Menschen soll ganz spontan einleuchten, dass es auch für sie ganz furchtbar entscheidend ist, in welchen Hauptstädten über die Vorschriften entschieden wird, nach denen das weltweit agierende Kapital sein Wachstum betreibt – mit ihnen als lohnabhängigem Menschenmaterial unter staatlich organisiertem Leistungsdruck oder auch ohne sie, wenn es gerade keine lohnende Verwendung für sie hat. Ein herrlicher Grund, dafür zu sein, den die Politiker ihrem wahlberechtigten Volk da anbieten: Unsere schöne Welt ist imperialistisch; und deswegen wollen und müssen wir – zusammen mit unseren europäischen und transatlantischen ‚Partnern‘ – die führenden, maßgeblichen Imperialisten bleiben. Auf immer und ewig!
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Traurig genug: Genau an dem Versprechen macht sich die härteste Kritik fest, die in Sachen TTIP in Deutschland zu vernehmen ist: Die privaten „Schiedsgerichte“ sind der große Stein des Anstoßes. Denn da droht ein Sieg des ökonomischen Eigennutzes über demokratisch beschlossene Regelungen. Das darf nicht passieren – da sind sich die schärfsten Kritiker von unten mit dem dicksten TTIP-Anwalt der Regierung auf einmal einig!
Und das ist leider gar nicht verwunderlich. Denn was darf nach deren gemeinsamer Auffassung auf keinen Fall passieren? Erfolgreicher unternehmerischer Eigennutz? – Um dessen Förderung geht es doch erklärtermaßen in dem ganzen Unternehmen. Ein Verstoß gegen die Demokratie? – Da bezeichnet das Etikett „demokratisch beschlossen“ doch nichts weiter als den Punkt, an dem die Macht- und Freiheitsillusionen wahlberechtigter Regierter mit dem Souveränitätsanspruch der gewählten Regierenden zusammenfallen. Und den einen Inhalt hat dieser „Punkt“: National muss die Geschäftsordnung sein, der wir alle gehorchen. National muss die Herrschaft agieren, keiner auswärtigen Macht hörig: Dann gehorchen wir ihr gern! Aber auch nur dann; sonst nur ganz, ganz ungern – das ist die mannhafte Drohung der TTIP-Kritik von unten.
So verpasst man gründlich, worum es bei TTIP wirklich geht…
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Wer es wissen will, …
Mit TTIP zur Wirtschafts-NATO. Dollar-Imperialismus und Euro-Binnenmarkt – gemeinsam unüberwindlich (GS 3-14)
Der obige Text als Flugblatt der GegenArgumente München anlässlich des europaweiten, dezentralen Aktionstags gegen TTIP, CETA, TiSA und die Freihandelsagenda am 11.10.2014: TTIP: Ein Kampfprogramm zur Neuordnung des Weltmarkts für Dollar- und Eurokapitalisten (PDF)
Mittwoch, 29. Oktober 2014, 18 Uhr
Humboldt Universität Berlin, Institut für Sozialwissenschaften, Raum 004, Universitätsstr. 3b
TTIP stoppen: Eine Kritik am Freihandelsabkommen
Vortrag und Diskussion mit Michael Heinrich
Am Dienstag, 11. November 2014, 19.30 Uhr im Mehringhof (Versammlungsraum), Gneisenaustr. 2a, Berlin:
100 Jahre Erster Weltkrieg
Lehren der Geschichtswissenschaft für die deutsche Politik:
Imperialismus aus dem Geist der Verantwortung vor der Geschichte
Referent: Dr. Theo Wentzke (Redakteur GegenStandpunkt)
https://www.jungewelt.de/thema/das-heilige-eigentum
Gibts von dem Artikel über das Yukos-Urteil
irgendwo noch eine andere Version?
Oder stellt die „Junge Welt“ die gesperrten Artikel eine Zeitlang später dann auch mal frei?
Nicht daß ich wüßte. Theo Wentzke als Autor habe ich das auch schon gefragt, bisher aber noch keine Antwort bekommen.
Bisher war es (meist) so, dass junge Welt-Artikel von Redakteuren des GS in der Zeitschrift (ggf. überarbeitet) zweitveröffentlicht wurden. Der GS 4-14 käme dafür wohl in Frage.
Theo Wentzke hat mir so geantwortet:
Der Artikel „Das Verfahren Yukos vs. Russia: Der Schiedshof in Den Haag versieht das Urteil „Unrechtsstaat“ mit einem Preis von 50 Mrd. Dollar: Ein Stück Weltordnung in Sachen Energiemarkt“ aus dem bereits erschienenen GegenStandpunkt 3-2014 dürfte das Thema behandeln.
Noch ein Nachtrag (von Theo Wentzke):
„Nein, er hat nicht ganz recht: Schon in GS 3(!)-14 erschien der Artikel:
„Das Verfahren Yukos vs. Russia: Der Schiedshof in Den Haag versieht das Urteil ‚Unrechtsstaat‘ mit einem Preis von 50 Mrd. Dollar“, daher wird er nicht erst in GS 4-14 erscheinen, wie er vermutet.
In der jW vom 21.11. erschien eine nicht einmal halb so lange Neufassung über dasselbe Thema. Wer den Yukos-Artikel in GS 3-14 liest, erfährt daher mehr als die Leser der jW v. 21.11.
Dagegen ist der in jW v. 08.10.14 erschienene Vorabdruck von „Wirtschaftskrieg gg. RU“, abgesehen von ein paar Auslassungen, identisch mit dem ebenfalls in GS 3-14 veröffentlichten Artikel über dasselbe Thema.“
Im Sozialismus werden sich die Betreffenden dann garantiert rücksichtsvoll verhalten, im Kapitalismus geht das leider noch nicht, weil man halt noch bürgerliches Individuum sein muss. Aber später klappt das dann, Hand drauf.
„Gegenstandpunktkippen“ sind natürlich besonders ärgerlich und der vorhergehende Gegenstandpunktrauch ist besonders schädlich, was man an den Atembeschwerden zweifelsfrei ablesen kann.
Was will man von „Sekten-Ideologen“ auch anderes erwarten. Weswegen es auch nur gut und richtig sein kann, Hinweise auf eine von diesen Leuten unterstützte ausgedehnte Veranstaltungsreihe zu zensieren – wo käme man schließlich hin, wenn es dort zu „offenen Diskussionen“ käme, was bekanntlich völlig ausgeschlossen ist, weil dieser Verein ja „allgemein als autoritäre Psychosekte wahrgenommen“ wird.
Gelöschte Antwort von „Kein Ort“:
„Ganz „ohne jeden Raum für abweichende Meinungen und Interpretationen“ können die fiesen Schulungen und Teach-Ins der „Psychosekte“ wohl kaum sein. Immerhin übernimmt niemand eine Position weil Positionen „in Wiederholungen so lange vorgebetet werden bis sie wortgetreu wiedergekäut werden können.“ sondern muss schon einsehen, dass seine vorherige Position falsch war. Ich habe schon vereinzelt von solchen Debatten gehört – aber du scheinst es ja besser zu wissen.
Wie genau stellst du dir das eigentlich vor, dass in der Psychosekte das „eigenes Denken erst erlaubt sind, wenn man einen hohen Status in der Hierarchie erlangt hat“? Tatsächlich ist denken nicht abhängig von Erlaubnis oder Verbot, sondern wird so oder so von jedem Individuum praktiziert.
Zum Zweck des Wissensaneignung sind Hierarchien übrigens ziemlich untauglich – ob jemand Redakteurin einer Zeitung ist oder Schüler in einer Hauptschule ändert nämlich gar nichts daran, dass ihre oder seine Argumente ja nach ihrem Inhalt, und nicht nach ihrer Position beurteilt werden müssen.
Tatsächlich aber gibt es etwas – auch wenn es ganz anders funktioniert als du hier darstellst – was so mancher Leser der Psychoredaktion tatsächlich praktiziert: „Daß die „richtigen“ Interpretationen bei euch abgefragt werden, in Wiederholungen, so lange, bis die Anwärter_innen genau die „korrekte“ Interpretation wiedergeben.“ Man könnte das auch ganz anders formulieren: Es wird so lange über Inhalte gestritten, bis man sich einig wird, und keiner beschließt einfach was vertreten wird.
Psycho!!!“
„Der Gegenstandpunkt: Eine Sektenkunde“. Woran ein Freigeist eine Sekte erkennt (GS 1-12)
Möglicherweise hängen die beiden o.a. Zensur-Beispiele mit dieser Auseinandersetzung in Freiburg zusammen: Zur erodierenden Selbstverwaltung der KTS
Es ist schon recht schäbig, die schlechten Ausstattungseigenschaften von linken Veranstaltungsorten (ja, die haben regelmäßig keine Klimatisierung, keinen Erfrischungsbereich, keine Bars, keine separaten Raucherecken, schlechte Stühle, schlechte Akkustik usw.) ausgerechnet den Gruppen vorzuwerfen, die dort Veranstaltungen machen (müssen), weil ihnen eben nichts anderes zur Verfügung steht, weil man für die fürstliche Miete, sich einen guten kommerziellen Veranstaltungsort zu mieten, nicht genug Geld hat.
@Max
Die verpasste Diskussion findest du oft ein paar Tage später auf “ http://www.argudiss.de/dokumentationen “ und die Artikel sind ohnehin empfehlenswert. Aber schade ist es mit und ohne schuldige Raucher, dass du nicht mehr mitdiskutieren konntest.