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NaO: EU-Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine

20. März 2014

In all der Sprachlosigkeit der Linken gibt es ab und zu doch mal was Lesenswertes: Ausgerechnet die NaO hat einen kleinen Text über die Auswirkungen des EU-Assoziierungs-Abkommen mit der Ukraine von Angela Klein (SoZ) „nachgedruckt“, der wiederum eine Übersetzung eines Textes von József Böröcz „Terms of Ukraine’s EU-Dependency“ war. So was tut sonst nur noch der GegenStandpunkt (z.B. auf dem letzten Jour fix in München:

Der Konflikt innerhalb der Ukraine und mit der EU eskalierte, als der ukrainische Staatspräsident im November 2013 auf dem EU-Gipfel in Vilnius sich unerwartet erdreistete, dem bis dato vorgeschlagenen Assoziierungsabkommen mit der EU seine Unterschrift zu verweigern. Was beinhaltet das Abkommen?
In seiner gesamten Länge ist es nicht verfügbar – angeblich umfasst es 1500 Seiten. Im Netz finden sich Auszüge. Jozsef Böröcz von der Internet-Seite Left East hat sie durchgesehen und die wichtigsten Aspekte zusammengetragen. Daraus geht hervor: Ein Kernelement des Abkommens ist die “Tiefe und umfassende Freihandelszone”, alles andere ist dem untergeordnet. Was beinhaltet sie? Nun, im wesentlichen dreierlei:
Die Aufhebung aller Zölle und anderen Handelshemmnisse im Handel mit der EU
Es heißt: “Die Freihandelszone wird, verbunden mit dem breiteren Prozess einer rechtlichen Angleichung, zu einer weiteren Integration in den Binnenmarkt der EU beitragen.
Das schließt die Beseitigung so gut wie aller Zölle und Handelshemmnisse ein auf den Gebieten des Handels mit Waren, Dienstleistungen und der Investitionen (insbesondere im Energiesektor). Wenn die Ukraine den relevanten Acquis (Besitzstand) der EU übernommen hat, wird die EU ihr Marktzugang z.B. in Bereichen wie Dienstleistungen oder Industriegüter gewähren.” (eigene Übersetzung, d.Red.) Dafür verspricht die EU, dass die Beseitigung der Zölle und Handelshemmnisse “wirtschaftlichen Akteuren auf beiden Seiten Ersparnisse von rund 750 Millionen Euro durchschnittlich pro Jahr bringen” wird.
Böröcz hat einen Blick auf die bisherigen Handelsbeziehungen zwischen der EU und der Ukraine geworfen, sie sind extrem unausgeglichen. Nach eigenen Angaben exportiert die Ukraine in die EU Waren im Wert von 14,6 Mrd. Euro und importiert im Wert von 23,8 Mrd. Euro, das beschert ihr ein Defizit von 9,2 Mrd bzw. ein Verhältnis beim Handel von 1:1,5. Bei den Investitionen ist das Missverhältnis noch krasser: Ukrainische Investitionen in der EU belaufen sich auf 2 Mrd., solche aus der EU in der Ukraine auf 23,8 Mrd., was ein Defizit von 21,9 Mrd. Euro bzw. ein Verhältnis von 1:11 ausmacht. Angesichts dieser Relationen und angesichts der Tatsache, dass das Gewicht der ukrainischen Wirtschaft 40mal schwächer ist als das der EU kann man sich unschwer vorstellen, zu wessen Gunsten sich die Aufhebung der Zölle und Handelshemmnisse auswirken wird.
Die Liberalisierung der Investitionen
Investitionen sollen “vor allem im Energiesektor” erfolgen. “Durch die Nachbarschaftsinvestitionsfazilität (NIF), zu der die Ukraine Zugang hat, können Investitionen der Internationalen Finanzinstitute gehebelt werden. Die NIF ist dazu da, zusätzliche Mittel zu mobilisieren, um die Investitionsbedürfnisse der Ukraine für die Schaffung von Infrastruktur in Bereichen wie Transport, Energie, Umwelt und Soziales (etwa Schulen oder Krankenhäuser) zu decken.” Da keinerlei Ausführungen gemacht werden über die näheren Bedingungen dieser Investitionen, kann man dieses Investitionsprogramm getrost als ein Verschuldungsprogramm lesen.
Da die Ukraine sich zudem dem Regelwerk der EU unterwerfen muss, indem es ihren “Besitzstand” übernimmt, verpflichtet sie sich, sämtliche Mechanismen zum Schutz der eigenen Industrie und vor unfairem Wettbewerb niederzureißen und ihre Wirtschaft schutzlos einer um Längen produktiveren und kapitalkräftigeren Konkurrenz auszuliefern, die sich nur die Rosinen herauspicken wird und sich um die Entwicklung des Landes weiter nicht schert.
Das ist Kolonialismus in Reinform – erzwungen nicht durch die Gewehrläufe von Soldaten, sondern durch die schwere Artillerie der niedrigen Preise und des überschüssigen Kapitals.
Personenfreizügigkeit?
Fehlanzeige. Die Aufnahme der Ukraine in die Schengenzone und damit die Aufhebung des Visazwangs sowie die Freiheit der Niederlassung, der Arbeitsaufnahme und des Studiums in ihrem eigenen Bereich stellt die EU nur in äußerst vagen Worten in Aussicht, die sie zu nichts verpflichten: Sie “anerkennt die Bedeutung der Einführung eines visafreien Reiseverkehrs für die Bürger der Ukraine zur gegebenen Zeit, sofern die Bedingungen [dafür] geschaffen sind”. Fürs erste wird es also nicht einmal Visaerleichterungen geben, von der Aufhebung der Visumspflicht ganz zu schweigen. Die Personenfreizügigkeit muss warten, erst ist der freie Kapitalverkehr dran.
Last but not least: Das Abkommen stellt den Bürgerinnen und Bürgern der Ukraine keineswegs eine Mitgliedschaft in der EU in Aussicht. Das Wort “Mitglied” kommt in dem Text nur einmal vor, da bezieht es sich auf die Mitgliedschaft in der WTO. Die Ukraine wird kein Mitglied der EU werden, jede Hoffnung darauf ist auf Sand gebaut.

Kategorien(2) Trotzkismus Tags:
  1. 22. März 2014, 22:55 | #1

    „Das ist Kolonialismus in Reinform“ – genau das! Die „Ersparnisse von rund 750 Millionen Euro durchschnittlich pro Jahr“ muss man nur mit den Kosten für die Umstellung der ukrainischen Wirtschaft auf den im Abkommen kleinteilig geforderten europäischen Standard gegenrechnen, die laut der ach so sympathisch-demokratisch umgestürzten Ex-Regierung der Ukraine etwa 165 Milliarden Euro betragen würden. Aber so etwa 1,5 Milliarden zu den von ihr geforderten Kosten will die EU ja eventuell dazuschießen…
    Ein Geschäft scheint das also nicht zu sein. Eine imperialistischer Coup sollte es es aber immerhin werden, Russland die Ukraine zu entziehen. Und man muss schon ein Fast-Stalin, nämlich ein Putin sein, um sich daran zu stören, wenn sich dieser auf Freiheit und Menschenrechten gegründete Westen über die Trümmer einer weiteren Volkswirtschaft hinweg anschleicht.
    Putin sei ein Politiker, „dem man nicht über den Weg trauen kann“, sagen 75% der Deutschen in einer Umfrage. Entsetzliches Russland, kann man da nur sagen…

  2. Felix
    23. März 2014, 00:25 | #2

    Tomasz Konicz: Die Ukraine als Griechenland des Ostens? (14.03.2014)
    Der IWF ist mit europäischen Institutionen gerade dabei, die künftige Reform- und Wirtschaftspolitik der Ukraine festzulegen
    „Nimmt man die bisherigen Äußerungen von Funktionären des Internationalen Währungsfonds (IWF) für bare Münze, dann müssen die Bürger der Ukraine künftig wohl neue Löcher in ihre Gürtel bohren, um sie noch enger zu schnallen als bisher ohnehin üblich. Er sei von dem Reformeifer der neuen Machthaber “positiv überrascht” worden, erklärte der Chef der Europa-Abteilung des IWF, Reza Moghadam, nach einer Ukrainevisite Anfang März. Die neuen Autoritäten in Kiew seien wild entschlossen, eine “Agenda wirtschaftlicher Reformen” in Angriff zu nehmen, so Moghadam.
    Was hierunter zu verstehen ist, machten Mitglieder der Übergangsregierung schon kurz nach dem Umsturz in Kiew deutlich. Ende Februar kündigte Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk “unpopuläre Maßnahmen” an, mit denen die Ukraine “aus der finanziellen Krise geführt” werden solle. Hierunter verstand Jazenjuk konkret Einsparungen im Staatshaushalt, die durch Entlassungen und Lohnkürzungen im Öffentlichen Dienst und im Beamtenapparat realisiert werden sollen.“ (…)

  3. Nestor
    24. März 2014, 00:33 | #3

    Folgende Fragen tauchen bei mir angesichts dieses berühmt-berüchtigten Assoziationsabkommens auf.
    Die Ukraine ist praktisch pleite – seit ihrer Unabhängigkeit übrigens – und verfügt über eine reine Lokalwährung.
    Wie sollen da Investitionen gefördert werden? Wie soll die Ukraine die Konvertibiltät, d.h. Gewinnrepatriierung garantieren?
    Letztlich kann es nur darauf hinauslaufen, daß westliche Institutionen und Banen die Ukraine kreditieren, um sie überhaupt als Markt zu erschließen, also im Grunde das Spiel wieder anleiern, das in der EU bereits teilweise auf Grund gelaufen ist.
    Ich möchte also hier den Blick auf die Berechnungen des Finanzsektors richten, und dessen teilweise verrückte Kalkulationen: ein 45-Millionen-Land als Schuldner erschließen, um die eigene Geschäftssphäre ausweiten zu können.
    Ein zweites Thema, daran anschließend, ist die Rolle des IWF:
    Innerhalb des IWF gibt es schon seit einiger Zeit Kritik seiner Mitglieder, an der finanzpolitisch ziemlich aussichtslosen Dauerbaustelle Griechenland:
    http://NestorMachno.blogsport.de/2014/02/01/pressespiegel-der-iwf-und-die-eurokrise/
    Ob der IWF so einfach Kredite an die Ukraine vergeben kann? Der Finanzbedarf dieses Landes ist ja gewaltig. IWF-Kredite waren aber bisher die Voraussetzung für Kredite der Privatwirtschaft. Sie garantieren die Kreditwürdigeit eines Landes.
    Schließlich, was Kredite und Investitionen betrifft, wie schauts aus mit der Rechtssicherheit für Investoren in einem Land, wo es praktisch keine funktionierende Zentralgewalt gibt? Wo auch bisher Eigentum von etwas größerer Dimension mit bewaffneten Sicherheitsdiensten geschützt werden mußte?
    Klingt nicht gerade nach einem Land, wo es Unternehmen scharenweise hinziehen wird …

  4. Felix
    24. März 2014, 12:32 | #4

    Ähnliche Fragen wurden auf dem letzten Jour Fixe in Müchen diskutiert.

  5. Krim
    24. März 2014, 13:46 | #5

    „Ukrainische Investitionen in der EU belaufen sich auf 2 Mrd., solche aus der EU in der Ukraine auf 23,8 Mrd., was ein Defizit von 21,9 Mrd. Euro bzw. ein Verhältnis von 1:11 ausmacht.“
    Wieso gibt es ein Defizit bei der Ukraine, wenn EU-Gelder in der Bilanz in die Ukraine fließen. Außenhandel mal ausgenommen.

  6. Felix
  7. 24. März 2014, 23:00 | #7

    „Wieso gibt es ein Defizit bei der Ukraine, wenn EU-Gelder in der Bilanz in die Ukraine fließen.“

    Weil das Verbindlichkeiten der Ukraine sind. Ein Überschuss in der Kapitalbilanz beudeutet ausländische Kredite. Falls du das meintest…
    Ich frage mich, ob es bei diesem Abkommen nicht in erster Linie darum geht, Russland zu schwächen, geopolitisch und ökonomisch, und ob dafür nicht sogar in Kauf genommen wird, dass die Ukraine kein Geschäft für Europa darstellt. Schließlich ist es doch auch ein ökonomischer Vorteil, einen Konkurrenten geschädigt zu haben, selbst wenn man selbst daraus (vorerst) nichts ziehen kann.

  8. Felix
    25. März 2014, 17:30 | #8

    SPON: Europa könnte Gasboykott nur kurz durchhalten (25.03.2014)
    Politiker und Ökonomen behaupten, Europa sei nicht allzu abhängig von russischem Gas. Das könnte sich schnell als Wunschdenken erweisen. Eine Marktanalyse zeigt: Manche EU-Länder würden einen Lieferstopp nur wenige Tage überstehen – auch Deutschland träfe es hart.

  9. Felix
    26. März 2014, 14:03 | #9

    Mitschnitt der Sendung „Wem gehört die Ukraine?“ (25.03.2014) im Rahmen der Reihe Gegenargumente in Radio FRO und Ankündigung der GS-Veranstaltungen „Der Umsturz in der Ukraine“ am 1. / 2. April 2014 in Graz / Wien.

  10. Felix
    27. März 2014, 11:37 | #10

    Folgen des Ukraine-Konflikts: Russische Zentralbank bereitet Notmaßnahmen vor (27.03.2014)

  11. Felix
    27. März 2014, 23:54 | #11

    SPON: Merkel stellt komplette Energiepolitik in Frage (27.03.2014)
    Angela Merkel deutet eine mögliche Abkehr von russischen Gaslieferungen an. Es werde eine „neue Betrachtung der gesamten Energiepolitik“ geben, sagte die Bundeskanzlerin. Kanadas Premierminister Harper bietet sich bereits als Lieferant an.
    tagesschau.de: Es fehlt ein ganzer Haushalt (27.03.2014)
    Der Kredit des IWF hilft der Ukraine aus der schwersten Krise. Dennoch muss Ministerpräsident Janzenjuk nun harte Einschnitte durchsetzen: Jeder zehnte Behördenangestellte wird entlassen, denn dem Land fehlt der gesamte Haushalt eines Jahres.

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