Nachtrag zum 1. Mai: „Wir sind es wert“
„Wir sind es wert“:
Die Gewerkschaft Verdi klärt auf über den wahren Wert der Beschäftigten im öffentlichen Dienst – Der besteht in einem Mickerlohn plus 6,42 % geteilt durch zwei.
Die kürzlich zu Ende gegangene Tarifrunde im öffentlichen Dienst hat die Gewerkschaft Verdi mit der Parole: „Wir sind es wert“ bestritten. Warum die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes künftig mehr Geld verdienen sollen, hat die Gewerkschaft so begründet:
„Sie räumen unseren Müll weg, sorgen sich um uns, wenn wir krank sind. Sie sind für uns da, wenn wir ihr Wissen und ihre Unterstützung auf dem Amt benötigen. Sie kommen, wenn’s brennt. Die Beschäftigten im öffentlichen Dienst – wir brauchen sie.“
Eine Preisfrage: Wie rechnet man den Gebrauchswert einer Tätigkeit, die hohe Wertschätzung ihres Nutzens, in ein Entgelt um? Nach welcher Formel? Die Frage ernsthaft zu stellen wäre einigermaßen absurd. Jeder Versuch einer Antwort – wie rechnet man Wertschätzung in Geld um – wäre das Eingeständnis: Die Leistungen der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes sind teils unbezahlbar – man denke nur an die Feuerwehr, wenn es brennt –, teils völlig nutzlos bis ärgerlich – jeder Amtsbesucher kann davon ein Lied singen. Der Nutzen und der Preis der Dienste stehen augenscheinlich in keinem Verhältnis zueinander. Es ist also völlig unmöglich, den Nutzen einer Sache oder einer Dienstleistung in einer Geldeinheit ausdrücken zu wollen.
Aber es hilft ja nichts: Mit dem Verweis auf den vielfältigen Nutzen, den der Öffentliche Dienst erbringt, treten die Gewerkschaft und ihr Fußvolk zur Tarifrunde an. Und die Gewerkschaft schafft das Unmögliche. Sie verfügt anscheinend über eine Formel, nach der sich der Nutzen einer Tätigkeit in Geld umrechnen lässt und tritt mit der zur Tarifrunde an. Und siehe da: Sie hat ausgerechnet, dass all diese nützlichen Tätigkeiten von Feuerwehrleuten, Straßenreinigern und Altenpflegern gerade so viel wert sind, wie sie es bisher waren plus die geforderten 6,5 %. Also immer noch ziemlich wenig. Erst zu sagen: „Wir sind es wert“ und selbstbewusst aufzutreten mit der Geste: „Wir sind unbezahlbar“ und dann soviel wie bisher plus 6,5 % zu fordern, das ist schon ein gewisses Eingeständnis, dass sich aus der Wertschätzung gar nichts ableitet. Offenbar glaubt Verdi also selbst nicht, dass die Wertschätzung durch die Bevölkerung eine durchschlagende Wirkung besitzt, die sich bei all den nützlichen Dienstleistern in einer auskömmlichen Lohnhöhe niederschlagen würde.
Zu Recht. Denn für Wertschätzung gibt es gar nichts. Ein Entgelt, erst recht ein irgendwie aufgebessertes Entgelt, gibt es nur, wenn Druck gemacht wird. Denn der Lohn, auch in einem noch so wertvollen öffentlichen Dienst, enthält einen Interessengegensatz. Die Arbeitgeberseite stellt das knallhart klar. Sie hält es nicht einmal für nötig, das Argument der Wertschätzung zurückweisen zu müssen. Die Arbeitgeber klopfen ihren Angestellten durchaus auf die Schultern und anerkennen sie als „sehr wertvoll“. Aber im nächsten Augenblick verweisen sie schlicht auf ihre Haushaltslage: „Unsere Kassen sind leer.“ – Ende der Durchsage.
Wofür steht dann die Sache mit der Wertschätzung? Warum reitet die Gewerkschaft so darauf herum? Damit verleugnet sie den Interessengegensatz, der beim Lohn besteht und den sie mit ihrer Tarifforderung ja auch geltend macht. Sie verleugnet ihn, indem sie eine allseitige Harmonie der Interessen beschwört, die sich mit dem Hinweis auf die Wichtigkeit des Dienstes für das Gemeinwesen doch auch bei dessen Verwaltern, Bund und Kommunen, einstellen müsste. Die Gewerkschaft betreibt den Widerspruch, einerseits eine Forderung durchfechten zu wollen, und andererseits beim Aufstellen der Forderung von der Fiktion einer Interessenharmonie auszugehen, was die Absage ist, dass sie diesen Interessengegensatz betreiben will. Bei Verdi enthält also schon die Tarifforderung ein Versöhnungsangebot.
Das Resultat sieht entsprechend aus. Die Forderung von 6,5 % wird halbiert und um ihre soziale Komponente (200 € mehr für die unteren Lohngruppen) amputiert. Die Gewerkschaft sieht das allerdings anders; sie hält das Ergebnis für „beachtlich“ und rechnet vor: Wenn man die Lohnerhöhung von 3,5 % bis Januar 2012 und die für das nächste Jahr vereinbarten 2,8 % addiert, dazu noch einen Zinseffekt hineinrechnet, dann ergibt sich ein Ergebnis von 6,42 %, das ganz nah an den geforderten 6,5 liegt. (Der Zinseffekt ergibt sich daraus, dass die Gewerkschaft die Erhöhung für 2012 zweimal in Anschlag bringt: als Lohnerhöhung und als Geldsumme, die sich 2013 um 2,8 % verzinst). Das Ergebnis ins Verhältnis zur Parole des Streiks zu setzen, das versagt sich die Gewerkschaft. Dass die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes im Durchschnitt ein bisschen mehr wert sind als das Existenzminimum der Hartz‑IV-Bezieher, diese Auskunft wollten weder Führung noch Basis hören.
[Die Analyse des GegenStandpunkt-Verlags in Radio Lora München vom 7. Mai 2012]