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Arbeitsfetisch bei Linken: Arbeitszwang in Ewigkeit, Amen

23. Oktober 2006

Im labournet hat Andreas Schmidt, Hamburg, ein Polemik gegen Rainer Roth geschrieben. Ein Zitat daraus:

Rainer Roth, immerhin Autor des sehr brauchbaren Buches .Nebensache Mensch., hat sich bei der Diskussion auf den Standpunkt gestellt, dass nur dann ein »Bündnis zwischen Erwerbslosen und Erwerbstätigen möglich« ist, wenn die Erwerbslosen ihre eigene »Arbeitsverpflichtung« anerkennen.
Rainer Roth ist kein Lobbyist, kein Politiker, sondern Wissenschaftler. Für die »Arbeitsverpflichtung« legt er eine Begründung vor:
»Arbeitszwang gibt es in jeder Gesellschaft, auch in einer Gesellschaft, in der die Produzenten des Reichtums die Eigentümer der Produktionsmittel wären. Es ist der Zwang, durch Arbeit die nötigen Lebensmittel zu erzeugen und menschliche Bedürfnisse nach Lebensqualität und Genuss zu befriedigen.«

Der ganze Text, merklich ausgeweitet und überarbeitet, update 01/2007 ist hier als PDF zu haben.

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  1. 23. Oktober 2006, 14:01 | #1

    Die Einsicht in die Notwendigkeit, produzieren zu müssen, um ausreichend bzw. in der gewünschten Höhe Lebens- und Genußmittel zur Vefügung zu haben, hat doch rein gar nix mit Zwang zu tun. Darauf kommt jeder vernünftige Mensch doch ganz von selbst. Doofer Rainer.

  2. Clara
    25. März 2007, 21:08 | #2

    Überarbeitete und erweiterte Fassung der Polemik von Andreas Schmidt:
    http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/schmidt2.pdf
    Weitere Beiträge zur Debatte um das %u201CBedingungslose Grundeinkommen%u201D:
    http://www.labournet.de/diskussion/arbeit/existenz/linkskritik.html

  3. 26. März 2007, 16:55 | #3

    Das Papier ist lesenswert.
    Hervorzuheben ist folgender Abschnitt, der eine recht gute Einlassung zur Diskussion um das notwendig falsche Bewusstsein ist:

    Wesentliche Komponenten und Prinzipen des kapitalistischen Systems, denen die lohnabhängigen Bevölkerung unterworfen ist, erscheinen einem Großteil der Leute als etwas, das sie nicht sind:
    1. Das Privateigentum, ihr Ausschluss vom Reichtum erscheint einem Großteil der Lohnabhängigen als Möglichkeit des privaten Zurechtkommens, einer potentiell gesicherten Privatexistenz [64].
    2. Die im Kapitalismus nötige und unvermeidliche Armut erscheint einem Großteil der Lohnabhängigen als individueller Geldmangel, dem durch die Beschaffung von Geld als Lebensmittel beizukommen wäre.
    3. Der Zwang zur Lohnarbeit erscheint nicht als Abhängigkeit und Unterwerfung unter das Kapital, sondern einem Großteil der Lohnabhängigen als persönliche Chance, um auf dem Arbeitsmarkt zu Geld zu kommen: Arbeit als Lebensmittel.
    4. Der Staat erscheint einem Großteil der Lohnabhängigen nicht als Garant ihrer ewigen Abhängigkeit vom Kapital, sondern als Beschützer, der ihnen die Gnade der Lohnarbeit gewährt: Staat als Lebensmittel

    Da kann man nur zustimmen.

  4. Neoprene
    26. März 2007, 21:41 | #4

    auf http://emanzipationoderbarbarei.blogsport.de wird gerade eine Diskussion über das bedingungslose Grundeinkommen (BGE) geführt. Da verweist jemand z.B. auf Wertkritisches:
    „prinzipiell scheinen mir da durchaus Ansatzpunkt für eine sinnvolle kapitalkritische intervention.
    Vor dem hintergrund macht dann auch die phrase von der richtungsforderung zumindest ansatzweise sinn. die kommt, vermute ich mal, vom buko-altrecken werner rätz, der die auch mal ausformuliert hat:
    http://www.streifzuege.org/texte_str/str_05-33_raetz_mangel-fuelle.html
    Daraus zwei Stellen:
    „Wer also darauf besteht, dass die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und am allgemeinen Reichtum ein Menschenrecht ist, das man sich nicht verdienen muss, das nicht abhängig sein darf von Arbeit oder Wohlverhalten und Anpassung, zielt mitten in den Kern des theoretischen und praktischen Selbstverständnisses der neoliberalen kapitalistischen Gesellschaft. Die Forderung nach einem Existenz sichernden bedingungslosen Grundeinkommen nimmt die inhaltliche Auseinandersetzung mit dem Gegner am zentralen Punkt auf und an. Diese Forderung setzt dem Diskurs des Mangels einen Diskurs der Fülle entgegen, dem scheinbaren Zwang den blinden ökonomischen Gesetzen zu folgen, die gesellschaftlich vermittelte freie Entscheidung der Einzelnen, der Markt- und Standortkonkurrenz die gemeinschaftliche Verwaltung der in Gemeinschaft produzierten Güter.

    Schon lange vor dem Ende des Kapitalismus würde ein Existenz sicherndes bedingungsloses Grundeinkommen den Charakter der Arbeit in ihrem alltäglichen Vollzug verändern. Wenn ich mich nicht mehr für jeden Scheißjob verkaufen muss, weil ich auch anders leben kann, dann mache ich auch nicht mehr jeden Scheißjob. Bezahlung, Arbeitsbedingungen, Arbeitsorganisation – all das würde sich verändern.“
    Selbst oder eher auch hier die Selbstverständlichkeit, mit der (wieder) ein Sozialstaat eingeklagt wird. Einklagen ist leider die korrekte Bezeichnung hierfür, denn ein „Menschenrecht“, das gerade dieser Staat, der den Leuten die Armut eingebrockt hat, aus der sie jetzt mit BGE wenigstens ein bißchen wieder raus wollen („Wenn ich mich nicht mehr für jeden Scheißjob verkaufen muss…“), der soll es ihnen „bedingungslos“ gewähren. Und als I-Tüpfelchen dann noch die Perspektive „die gemeinschaftliche Verwaltung der in Gemeinschaft produzierten Güter“! Das ist doch ein Wort, oder?

  5. Clara
    30. März 2007, 02:10 | #5

    Zu @libelle: Ich wüßte nicht, was die bloße Gegenüberstellung von richtigen Einsichten in den Kapitalismus und Formen des geistigen Zurechtkommens der Privatsubjekte zur Erklärung deren notwendig falschen Bewußtseins taugt. Der Grund des notwendig falschen Bewußtseins liegt in der ökonomischen Praxis, näher: in den Zwängen der Konkurrenz, die den Leuten aufgeherrscht werden. Daraus ziehen sie ihre verkehrten Schlüsse und betätigen sich entsprechend bzw. vice versa: sie rechtfertigen bewußt ihr willentliches gesellschaftliches Tun. Die Notwendigkeit, sich praktisch bewähren zu müssen, um in den Genuß von Arbeit & Einkommen überhaupt und recht differenziert zu kommen, machen sie sich also zu ihrem Interesse und gestalten danach die Leistungen ihres Verstandes, ihr affirmatives, instrumentelles und parteiliches Verhältnis zu Ökonomie & Staat. Notwendig falsches Bewußtsein hat so seinen realen Grund und entspringt nicht einer Verrücktheit, Täuschung oder Manipulation. Noch die Rede von der Erscheinung des einen Richtigen im anderen Falschen kümmert sich nicht um die Beschaffenheit vom reellen Bewußtsein, ist damit auch nicht seine Kritik, sondern elitär. Man kann die eine richtige Seite als Voraussetzung, Bedingung oder auch Grund des anderen falschen Denkens auffassen, ohne damit Letzteres erklären zu müssen. Die Notwendigkeit, daß das Denken falsch ist, stellt sich als vorausgesetzte, bedingte oder eben scheinbar von ihrem Grund her abgeleitete dar. Die Notwendigkeit, der sich die Leute von ihrem praktischen Interesse im Kapitalismus her unterwerfen, erhält quasi eine höhere Erkenntnisweihe: die kapitalistischen Prinzipien und Verkehrsformen erscheinen ihnen ja nur als etwas, was sie nicht sind, – auf die Kritik ihrer Fehler sei deshalb gepfiffen. Daß ihr Bewußtsein aber nur dann notwendig falsch ist, wenn und solange es sich ideell auch noch die praktischen Notwendigkeiten zu eigen macht, bleibt außen vor. Das existente Bewußtsein wird nicht in dem aufgegriffen, was es ist, es ist vielmehr nur Erscheinung, vielleicht ein Reflex von etwas anderem, damit für sich der Kritik enthoben.

  6. 30. März 2007, 12:51 | #6

    @Clara
    Fangen wir mal hinten an:

    Die kapitalistischen Prinzipien und Verkehrsformen erscheinen ihnen ja nur als etwas, was sie nicht sind, – auf die Kritik ihrer Fehler sei deshalb gepfiffen. Daß ihr Bewußtsein aber nur dann notwendig falsch ist, wenn und solange es sich ideell auch noch die praktischen Notwendigkeiten zu eigen macht, bleibt außen vor. Das existente Bewußtsein wird nicht in dem aufgegriffen, was es ist, es ist vielmehr nur Erscheinung, vielleicht ein Reflex von etwas anderem, damit für sich der Kritik enthoben.

    Dass Bewusstsein ein bloßer Reflex ist behauptet man aber nicht, wenn man sagt die Leute würden vom falschen Schein der Verhältnisse getäuscht. Genauso wenig behauptet man, dass jemand, der auf eine Fata Morgana hereinfällt darauf notwendig hereinfallen muss, dann wäre man ja nicht mehr davon getäuscht! Insofern sind deine Argumente eben keine gegen Täuschung, Irrtum als Grundlage – oder auch – notwendige Bedingung des falschen Bewusstseins, sondern gegen die Behauptung der Unausweichlichkeit der Täuschung, also in gewisser Weise gegen die Behauptung, dass die Leute überhaupt nicht getäuscht wären, sondern sich in ihren Köpfen naturgesetzlich eine bestimmte Sorte Bewusstsein einstellt. Umgekehrt unterstellt die Art des falschen Bewusstseins aber, dass die Leute auf diesen Schein hereinfallen. Sie halten z.B. Geld gerade nicht für ein polit-ökonomisches Verhältnis, das sie schädigt, sondern für ein bloßes Ding, ein neutrales ökonomisches Hilfsmittel, das ihre Interessen nicht notwendig schädigen muss. Sie fragen also nicht, was ist das, sondern machen sich das Problem, wie sie an möglichst viel davon herankommen. Der klassische „Mittel“ Gedanke des GSP gibt aber überhaupt nicht vor, wie sich das Bewusstsein so ein Verhältnis als Mittel denkt. Und wie macht es das? Es nimmt die Formen der ökonomischen Betätigung als unhinterfragt gegeben hin und verlangt dann, dass ihr sich in diesen Formen betätigende Interesse aufzugehen hat. Auf die Art kommt das Mittel-Urteil zustande. Es stellt sich beispielsweise „ein gutes Leben“ als Arbeitsplatz mit viel Verdienst und viel Freizeit vor. Noch bevor also Peter Decker mit seinem partelichen Denken kommt findet mit diesem Interesse etwas statt: Es kleidet sich in die ihm vorgegebenen Formen seiner Betätigung, woraus danach die Forderung folgt, dass die Bedingungen für es aufzugehen hätten, der Arbeitsplatz also Lebensmittel etc… zu sein habe.
    Notwendig ist das falsche Bewusstsein dann erst einmal darin, dass solange man diesen Schein für die Sache nimmt, auch jedes Bewusstsein das daraus folgt verkehrt ist und zwar ganz egal, ob es nun Resultat interessierten Denkens oder aus einem Nachdenken mit Objektivitätsanspruch folgt.
    Das heißt: Ich stimme weder dir noch Peter Decker noch sonst irgendeinem dieser „Interessendenker“ darin zu, dass das falsche Bewusstsein der Leute aus ihrer Parteilichkeit folgt.
    Das dürfte deine eingangs gestellte Frage beantworten:

    Ich wüßte nicht, was die bloße Gegenüberstellung von richtigen Einsichten in den Kapitalismus und Formen des geistigen Zurechtkommens der Privatsubjekte zur Erklärung deren notwendig falschen Bewußtseins taugt.

    Alles was du für Gründe des notwendig falschen Bewusstseins hälst ist damit eigentlich auch zurückgewiesen. Weitere Details, auch die mir Deckers Position verbundenen Paradoxien stehen in der Diskussion auf kf.siteboard.de und ich schreibe, wenn ich in den nächsten Tagen (20,30,40) dazu komme mal eine ausführliche Kritik in dieser Sache am GegenStandpunkt.

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