ARTE, Versailles und der reelle Gesamtkapitalist
Ein kleiner Disput bei Facebook zum politökonomischen Charakter des Staates seit dem späten Feudalismus:
„Da Essen geistig tote Zeit ist, läuft beim Kauen die Arte-Mediathek vor meiner Nase. Weil ich mit fast allen, mir vom Titel ins Auge springenden Dokus durch bin, hab ich mich auch dieser, vermeintlich Seichteren gewidmet. Gut dran getan, denn das war’n echtes Fundstück.
Zugegeben, ohne bissl Knoffhoff zur geltenden Ökonomie erkennt man das vielleicht nicht. Es geht um die Momente, die, im DHM-Sprech gesagt, den Übergang vom Feudalismus zum Kapitalismus markieren, also um die Ausweitung der Warenproduktion vor dem großen Umschlag. Die Warenproduktion nämlich hatte ihre ersten Standbeine neben dem militärischen im Luxussegment und war also von Beginn parasitär, denn das Futter kam nach wie vor von abhängigen oder leibeigenen Bauern.
Wie sich die feudalen Monarchen in Frankreich bemühen, schon früh bürgerliche Staatsfunktionen umzusetzen, erinnert an Preußen und Friedrich 2. Um so mehr gesellschaftlicher Reichtum die Geldform annahm, begann auch schon das Gerangel um die Richtung seines Stromes. Und das viel weniger zwischen den frühen Unternehmen, als zwischen den Staaten. Standortpolitik heißt das heute. Deswegen nenn ich den Staat nicht ideellen, sondern reellen Gesamtkapitalisten.
Eine hübsche Illustration zu MEW23.
https://marx-wirklich-studieren.net/marx-engels-werke-als-pdf-zum-download/
https://www.arte.tv/de/videos/084674-000-A/versailles-wo-frankreich-den-luxus-erfand/“
Darauf kam diese Antwort:
„Ein reeller Gesamtkapitalist wäre ein Staat, der die gesamten Geschäfte übernimmt. Eine Profit-Planwirtschaft oder Staatskapitalismus oder sowas.
Der Begriff „ideeller Gesamtkapitalist“ soll doch eigentlich nur aussagen, dass der Staat sich um die Voraussetzungen des privaten Geschäfts in Konkurrenz kümmert, weil er dessen Erfolg will. Nicht den Erfolg einzelner Geschäfte, einzelner Geschäftsleute oder Unternehmen (wie auch in einer Geldkonkurrenz), sondern „unterm Strich“. So fallen Profit-Zweck des privaten Geschäfts und Wirtschaftswachstum-Zweck halt meist zusammen (aber bei weitem nicht immer und nicht für den einzelnen Kapitalisten).
Beteiligt sich der Staat am Privatgeschäft oder tritt mit Staatsunternehmen in die Konkurrenz zu Privatunternehmen, dann steht natürlich der Verdacht, dass wer die Regeln macht, nach denen er selber spielt… . Prinzipiell ist deshalb der Staat getrennt von seiner Ökonomie deren politisches Subjekt und nicht ökonomisches Subjekt.
Selbst wo der Staat mal Kapitalist ist, macht das ihn aber nicht zum Gesamtkapitalist, außer, er würde alles Kapital verstaatlichen…wodurch es nicht mehr Kapital wäre.“
Was diese Replik nach sich zog:
„Das Problem liegt hier, glaub ich darin, wie ich die Wortpaarung „reeller Gesamtkapitalist“ gebrauche. Das ist von der Intention eher als eine Art Provokation gemeint. Sachlicher wäre wohl: Der Staat ist der Betreiber des Kapitalismus.
Das Provokante richtet sich gegen das „ideeller Gesamtkapitalist“, das mir meist in einer abstrakten Form vorgetragen wird. Also „die Kapitalisten“ sind die Herrscher und der Staat deren Anhängsel, deren ausführendes Organ, was auch mit der Formulierung „geschäftsführender Ausschuss des Kapitals / der Kapitalisten“ korrespondiert.
Diese subordinierte Staatsauffasung wird dann gern auch historisch begründet, mit Verweis auf das Bürgertum, das sich emanzipiert und sich den Staat schafft, die Aristokratie entmachtet. Gerade in dem verlinkten Luxus-Film wird aber deutlich, dass der absolutistische Staat bereits genau das selbe tut, sich dann bloß die Form ändert.
Es gibt die Formel „der Staat sichert das Eigentum“, ist also Mittel des Kapitals. Dem stelle ich entgegen „der Staat setzt (stiftet, schafft) das Eigentum“.
Sein Erfolg ist der Erfolg seiner Einzel-Kapitale. Damit ist das sein primärer Tätigkeitszweck und Kapital sein Mittel.
Kapitale handeln eben nur auf Lizenz des Staates. Damit werden sie eine Art Subunternehmer. Wie jeder Sub seine eigenen Interessen mit und gegen den Auftraggeber verfolgt, tun das auch die Einzelkapitale dem Staat gegenüber. Nur dass der ihnen kein Geld zahlt, sondern welches wegnimmt. Genaugenommen deklariert er die Steuern ja als seinen Anteil, noch bevor sie entstanden sind, setzt sie als Bedingung der Lizenz zum Ausbeuten.
Und Kapital wird ja im Grunde auch gar nicht ökonomisch tätig. Es macht ja bloß Investment. Wirtschaften im eigentlichen Sinne tun dann eingekaufte Arbeitskräfte, Ökonomen, Planer, Logistiker, Ingenieure, Betriebswirtschaftler. So gesehen, würde man auch dem Kapital an sich schon keine eigentliche ökonomische Tätigkeit zugestehen können. Haushalten tun sie bloß ihr Geld mit einem sehr singulären Zweck, der sich in seinem Handling längst von realer Ökonomie emanzipiert hat.
Wenn eine Kapitalgesellschaft für die vielen Unternehmen, in denen es investiert hat, eine Art reeler Ober-(Gesamt-)kapitalist ist, trifft dies viel mehr noch auf den Staat zu, der als einziger eigenständiger Akteur in dem ganzen Spiel auftritt. Er lässt seinen Standort von Kapitalen bewirtschaften und ist viel mehr realökonomisch damit unterwegs, als jene. Deswegen sieht man auch keinen sonderlichen Unterschied, wenn der Staat mal einzelne Bereiche selbst als Kapital (nicht als Staatsfirma) betreibt, oder bei besonderen Vorhaben unter seine Oberdirektion nimmt, wie in D-Land 33-45.
Du hattest ja grad den Text von Ingo Elbe gepostet (http://www.rote-ruhr-uni.com/cms/IMG/pdf/elbe_engels.pdf). Hab grad angefangen zu lesen und finde eine Gegenüberstellung von: ‚Staat des Kapitals/ideeller Gesamtkapitalist’ und ‚Staat der Kapitalisten/reeller Gesamtkapitalist’. Die richtige Kombi fehlt, nämlich „reeller Gesamtkapitalist/Kapital des Staates“.“